CZ_2011_1_Kurzversion

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Zeitschrift der 端berkonfessionellen Bewegung Campus f端r Christus Schweiz

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G N U N F F O H


hoffnung | inhalt

Inhalt ZUM THEMA

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Editorial

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Christliche Hoffnung

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«Durch Umdenken kreativ werden …» Robert Roth fördert und fordert eine Ökonomie, die integriert

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«Mit Jesus erreichen wir das Ziel!»

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«Solche Wendezeiten sind eine riesige Chance!»

Kolumne «Medien»

Im Sog der Weltwirtschaftskrise Wie eine Firma auf Gott setzt – und gewinnt

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Wie ein Baum im Wirbelsturm Mit Spannkraft und Elastizität Krisen bewältigen

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Inmitten von zunehmenden Krisen gilt: «Sei stark und mutig!» Das Wort des Missionsleiters Hanspeter Nüesch

Kolumne «New Generation» Andreas Boppart: «Eine schöne Erinnerung an die Zukunft»

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Nina Hagen: Die allerwichtigste Botschaft verstehen

Gemeinde Jesu – Gottes Liebe in die postmoderne Welt tragen

Markus Baumgartner über die Hoffnung der Schweizer

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Kolumne «beziehungsweise» Sabine Fürbringer: In Blickkontakt mit der Hoffnung

Ein Blick auf Gott und nicht ein Blick in die Zukunft

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Jugend mit einer Mission wird 50 Jahre alt Buchempfehlung, Einblick und Zeugnisse

Peter Höhn: Die Kraft der Hoffnung

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Franz von Assisi

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Hoffen wider alle Hoffnung

Kolumne «Filmtipp»

Leidenschaftlich für die Botschaft des Lebens und Friedens

Wie verschüttete chilenische Bergleute neues Leben fanden

Andy Schindler-Walch: «Die Verurteilten»

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«Nadja» bedeutet Hoffnung

HINWEISE

Eine behinderte Tochter wird zum Gottesgeschenk

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Diagnose Krebs

Campus live Zürich, Christen im Dienst an Kranken, PraiseCamp10, Alphalive

Eine Familie lernt, täglich aus Gottes Kraft zu schöpfen

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Hoffnung ist mehr als «Hoffnung» Ein «verkannter» Begriff biblisch neu beleuchtet

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CfC international Agape Litauen – Der Sehnsucht nach Leben begegnen

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Über Mauern springen

CfC national

Inserate, Impressum

Zwei Paare im Heiligen Land überwinden Feindschaften

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Kolumne «von Wegen!»

ZUM SCHLUSS

Fredy Staub: Im Reanimationsraum

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Es gibt Hoffnung für Europa

Themen, die weiterhelfen Aktion: Christliches Zeugnis zum Sammeln und Weitergeben

Auch wenn vieles dagegenspricht 2

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hoffnung | editorial

Editorial Die Kraft der Hoffnung den Glauben wie für die Hoffnung ist das, worauf sie gründen. Auch der Anker – das biblische Symbol der Hoffnung – hält das Schiff erst dann stabil, wenn er im festen Grund verankert ist.

«Es geht nicht nur darum, Hoffnung zu haben, sondern auch Hoffnung zu ‹werden›.»

Hoffnung, Glaube und Liebe bilden zusammen die drei Säulen unseres Christseins. Hoffnung wird aber im Gegensatz zu Glaube und Liebe eher vernachlässigt. Sie scheint zu unbestimmt und zu jenseitsorientiert, als dass sie uns für das Hier und Jetzt etwas bringen könnte. Hoffnung an und für sich – Hoffnung auf irgendeine Besserung unserer Umstände – bringt tatsächlich nicht viel. Im Gegenteil: Wer hat nicht schon schmerzlich erfahren, wie zerstörerisch enttäuschte Hoffnungen sein können. Das gilt aber ebenso für den Glauben: Auch der Glaube an sich nützt nichts. Jakobus drückt das ziemlich deftig aus, wenn er schreibt: «Auch die Dämonen glauben und zittern» (Jakobus 2,19). Entscheidend für

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Lesen Sie die Beiträge von Andrea Xandry und Joel Keller und entdecken Sie neu von der Bibel her, was wir an der biblischen Hoffnung haben! Ich bin selbst davon inspiriert worden. Im Zusammenstellen der Artikel für dieses Heft habe ich erfahren, welch reinigende Kraft die Hoffnung hat (vgl. 1. Johannes 3,3 und 1. Petrus 1,3). Hoffnung ist wie ein Jungbrunnen, der alte Enttäuschungen wegspült, der uns äusserlich und innerlich erfrischt und bewirkt, dass wir uns wie neu geboren fühlen. Oder wie Jürgen Moltmann («Theologie der Hoffnung») in einem Interview sagte: «Die Hoffnung ist eine Kraft im Diesseits, um das Leben neu anzufangen, um wiedergeboren zu werden zu einer Lebensbejahung aus tiefer Depression.» – Nicht, dass ich depressiv wäre, aber nur schon die Bewältigung der täglichen Herausforderungen hinterlässt Spuren und Abnutzungserscheinungen und kann einem über kurz oder lang die Hoffnung trüben und die Lebensfreude rauben. Dazu kommt in Politik, Wirtschaft und Kirche zurzeit so vieles ans Licht, was hinter den Kulissen nicht stimmt. Da ist auch für Christen die Versuchung

gross, zynisch zu werden, sich abzuschotten und bestenfalls noch zu überleben. Aber – und dort will unser Heftthema einen Kontrapunkt setzen – auch jetzt gibt es Hoffnung! Hoffnung, dass Gott, wie er es immer getan hat, überraschend kommt. Dass er, wo menschlich nichts mehr zu machen ist, Rettung bringt. Dass er von Grund auf Neues schaffen kann. Dass er aus dem Tod Leben erstehen lässt. Inmitten zunehmender Krisen wird eines bleiben: Man wird auf jene Menschen hören, die von einer lebendigen Hoffnung getragen sind und deshalb zu Hoffnungsträgern werden: wie José Henríquez für seine chilenischen Bergkumpel. Wie die «behinderte» Nadja für ihre «starken und gesunden» Mitmenschen. Wie Erich Mosset und seine Führungscrew für die krisengeschüttelte Firma. Wie Robert Roth für Hunderte von jungen Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt durch die Maschen fallen. So geht es nicht nur darum, Hoffnung zu haben, sondern auch Hoffnung zu «werden». Dazu nochmals Jürgen Moltmann: «Gott ist nicht nur unsere Hoffnung, sondern wir haben auch das Gefühl, dass wir die Hoffnung Gottes sind auf dieser Erde. Gott hofft auf uns.»

Peter Höhn

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hoffnung | «durch umdenken kreativ werden …»

… Restaurantküche, Kerzenatelier, Musik Store, Schreinerei, IT, Kreativatelier.

Du bist in ein Werk involviert, das im grossen Stil einer gesellschaftlich bedingten Not begegnet. Als Einzelperson fühlt man sich von diesen Realitäten aber oft überrollt und weiss gar nicht, was man dem überhaupt entgegensetzen kann. Die Job Factory befindet sich als marktwirtschaftliche Unternehmung mit sozialer Zielsetzung

permanent in einem Spannungsfeld. Jeder einzelne Mitarbeiter der Job Factory muss sich darin zurechtfin­den und vorwärtsgehen. Als Team versuchen wir dieser Herausforderung erfolgreich entgegenzutreten. Als Einzelperson kann man im Kleinen schon viel bewegen. Es gilt, die Chancen zu nutzen, die sich bei Problem-

stellungen – welcher Art auch immer – auftun. Denn die Beschäftigung mit Problematiken und das Entwickeln von kreativen Lösungen sorgen für ein Umdenken, für eine Verbesserung der Gegebenheiten. Jeder sollte darauf achten, wie er andere an diesen Prozessen teilhaben lassen kann. Denn jeder ist Teil der Schöpfung und soll sie mitgestalten.

Medien M ARKUS BAUMGARTNER Die grösste Hoffnung der Schweizer Von den Grossen Drei «Glaube, Hoffnung, Liebe» werden die Themen Glauben und Liebe häufig thematisiert. Die Hoffnung ist aber fast ein bisschen vergessen gegangen. Ein kleines Forschungsteam um Zukunftsforscher Dr. Andreas Walker hat sich dieses Themas 2009 und 2010 mit einer Internetumfrage und vertieften Auswertungen erstmals breiter angenommen. Erstaunlich: Das Thema ist bisher praktisch unerforscht und daher auch für die Medien etwas Spezielles: Die grösste Schweizer Zeitung «20 Minuten» publizierte im Dezember 2009 und 2010 die Ergebnisse zu Weihnachten. Im ersten Jahr gab es eine Überraschung: Der damals frisch gewählte Friedensnobelpreisträger Barack Obama war auch für die cz 1|11

Schweizer der wichtigste Hoffnungsträger. Die Resultate zeigen die grosse Diskrepanz zwischen konkreten Hoffnungen und Erwartungen in den wirtschaftlichen Aufschwung bei gleichzeitigem Misstrauen in die Führungskräfte der Wirtschaft auf. An der aktuellen Umfrage «Hoffnung 2011» haben über 6000 Personen aus der Schweiz teilgenommen. Dabei ist die persönliche Gesundheit auch für 2011 wieder die grösste Hoffnung. Wer in schwierigen Zeiten Hoffnung vermitteln und ermutigen sollte, ist auch interessant: Lehrer oder Politiker finden sich erst im Mittelfeld, auf den ersten Plätzen finden sich Freunde und Freundinnen sowie die Ehepartner. Das unmittelbare soziale Umfeld 9

• Markus Baumgartner, PR-Profi und Präsident von www.cnm.ch.

wird immer wichtiger. Diese Aussage wird gestärkt durch die Antwort darauf, welche Erfahrungen die Hoffnung stärken: Gute Beziehungen zu Familie und Freunden. Das ist natürlich eine Steilpassvorlage für alle Kirchen, die nach dem Konzept der sogenannten Freundschaftsevangelisation arbeiten. Die Studienergebnisse sind auf www.hoffnung2011.ch publiziert.


hoffnung | im sog der weltwirtschaftskrise

Ronda AG, Lausen BL • Unabhängige Familien-AG mit zweitausend Mitarbeitenden • Herstellung von elektronischen Uhrwerken • Standorte in Lausen, im Tessin, in Thailand, in Hongkong • www.ronda.ch

• Blick auf die Linearfräsmaschine (oben) und den Hauptsitz der Ronda AG in Lausen (rechts)

AN eNw DG eRn eEr aAt i oSn B O P P A R T «Eine schöne Erinnerung an die Zukunft»

Ich habe gerade letzten Sonntag einen Film angeguckt, in dem alle meine vier Lieblingshauptdarsteller gestorben sind. Leider kann man den Filmemachern nicht mal böse sein, denn sie haben nur ein mir unbekanntes historisches Ereignis verfilmt. Trotzdem habe ich mich 120 Minuten lang an die Hoffnung geklammert, dass es irgendeiner von den vieren ganz bestimmt bis zum Schluss schaffen und überleben würde. Vergebens. Meine Hoffnung wurde enttäuscht. Ich habe den ganzen Abend gebraucht, um emotional wieder auf die Beine zu kommen. Aber ich war nicht zum ersten Mal meine «Hoffnung los»: Als ich kürzlich in der dröhnenden Röhre lag, um mein Knie untersuchen zu lassen, war ich mir hoffnungsvoll sicher, dass da alles gut wäre. Leider sah es die Röhre an­ders und diagnostizierte ein angerissenes Kreuzband. Leben heisst automatisch, dass Hoffnungen immer mal wieder ins Leere laufen. Aber was ich trotz aller Enttäuschungen nie machen werde, ist, die Hoffnung loszulassen. Schon der Verfasser von Psalm 71 hielt genau daran fest: «Ich gebe die Hoffnung niemals auf; auch in Zukunft werde cz 1|11

ich dich preisen» (Psalm 71,14). Wenn Hoffnung stirbt, stirbt auch der Glaube. Und wer nicht glauben kann, wird auch nicht fähig sein, sich auf das Lieben einzulassen. Hoffen, Lieben und Glauben lassen sich gar nicht sauber voneinander trennen. Hoffnung sind die letzten paar Zentimeter vor der Grenze zur schier unbegrenzten Weite des Glaubensfeldes. Wer nicht mehr hoffen kann, der wird auch das Glauben nicht schaffen. Denn ohne Hoffnung verlieren wir die Zukunft. Und ohne Zukunft braucht es keinen Glauben mehr. Damit wird dann auch das Lieben flach. Der französische Philosoph Gabriel Marcel (1889-1973) hat einmal gesagt: «Hoffnung ist eine schöne Erinnerung an die Zukunft.» Ich liebe diesen Satz. Denn er drückt aus, was Gott in der Bibel vermittelt. Hoffnung ist eben nicht bloss eine Illusion, die verpufft, sobald wir nach ihr greifen und uns an ihr festhalten wollen. Sondern sie ist gegründet auf dem, was Gott durch Jesus Christus getan hat – und noch tun wird. So hoffen wir nicht bloss auf eine Zukunft mit Gott, sondern es wird für alle, die wach sind, zu einer 13

Andreas Boppart ist Eventprediger sowie Autor und leitet den Arbeitszweig Campus Generation Ministry von Campus für Christus.

«schönen Erinnerung an die Zukunft». Und diese drückt voll in unsere, in deine und meine Gegenwart hinein. Hoffnung hat mit Glaube und Liebe, aber auch mit deiner Zukunft und mit deiner Gegenwart zu tun. Und das macht es so aufregend, als Nachfolger von Jesus unterwegs zu sein. Man muss nicht einfach aus seinem Leben flüchten und darf nur noch verklärt lächeln, wenn man an ein abstraktes ewiges Leben denkt. Sondern man steht mitten im Leben und lässt diese Hoffnung sichtbar werden. Sodass andere mit uns mithoffen. Und immer wieder erleben, wie diese Hoffnung – vielleicht in Form eines Gebetes – von Gott auf wunderliche Art und Weise erfüllt wird. Solche Hoffnung belebt, was wiederum Glaube weckt und Liebe nährt. Und mit der Zeit kann man gar nicht mehr sagen, was eigentlich zuerst war – die Hoffnung oder das Ei ... äh ... das Huhn ... der Glaube?


hoffnung | wie ein baum … | kolumne

Er wird mir zur Hilfe. Ich meide Spötter und notorische Pessimisten, suche vielmehr die Nähe von Menschen, die mir lebensbejahend und ermutigend begegnen. Auch wenn mir Unrecht widerfahren ist, bleibe ich nicht in der Opferrolle stecken. Ich will versuchen, nach meinen Möglichkeiten, aus der misslichen Lage herauszukommen. Wenn ich denen, die an mir schuldig wurden, vergeben kann, bin ich frei, losgelöst von ihnen neue Wege zu gehen. Irgendwann wird das Leben wieder anders aussehen. Meine Hoffnung hat einen festen Grund: Ich weiss, dass Gott für mich ist. Mit ihm an meiner Seite ist Veränderung im Hier und Jetzt möglich.

Vielleicht habe ich mir die Suppe auch selbst eingebrockt. Aber ich bleibe nicht an meiner Schuld kleben. Dafür hat Christus bezahlt. Ich darf vorwärtsschauen. Und zudem gibt es für die Situation auch auslösende Bedingungen, die andere verschuldet haben und die ich nicht zu verantworten brauche. Vergebung schafft Platz in meinem Innern. Wo eigene Schuld und Anklage mein Innenleben bestimmt haben, kann nun Ruhe einkehren. In diesen geläuterten Raum darf ich den Heiligen Geist einladen. Er will in mir wohnen und meinen Mangel ausfüllen. Seine Liebe und Annahme bringen Heilung und bauen mich auf, sodass ich stark und widerstandsfähig werde. Aus dieser inneren Kraft heraus lassen sich Krisen bewältigen,

finden sich Lösungen für Probleme und die Geduld, Situationen standhaft auszuhalten. Ich brauche nicht aus meinen eigenen Ressourcen heraus ein Held zu sein, sondern Christus in mir macht mich zum Überwinder. Gott hat uns nie versprochen, dass das irdische Leben einfach ist, auch nicht, wenn wir in einer lebendigen Beziehung zu ihm leben. Wir können damit rechnen, dass noch Herausforderungen auf uns warten. Doch Gott hat auch verheissen, dass er uns niemals allein lassen wird und gerade in Schwierigkeiten sehr präsent ist. Wir dürfen zu starken Bäumen heranwachsen, die sich in den Stürmen des Lebens in Demut vor ihm beugen und dabei an innerer Stärke zunehmen, fest verwurzelt in Christus.

AFilmtipp NDY SCHINDLER-WALCH Die Verurteilten Amerika, 1946: Bankmanager Andy Dufresne (Tim Robbins) wird wegen angeblichen Mordes an seiner Ehefrau und deren Liebhaber zu zweimal lebenslänglich verurteilt und ins Gefängnis Shawshank gebracht. Der Direktor ist scheinheilig, der Oberwächter sadistisch, und Andy muss sich mehr oder weniger erfolgreich gegen einige Gefangene wehren, die ihn vergewaltigen wollen. Nur im farbigen Gefangenen Red (Morgan Freeman) findet Andy einen aufrichtigen Freund. Als Andy es schafft, eine Arie über die Gefängnislautsprecher abzuspielen, fragt Red nach dem Grund. Andy: «Man braucht Musik, um nicht zu vergessen.» Red: «Vergessen?» Andy: «Um nicht zu vergessen, dass es noch Orte auf der Welt gibt, die nicht aus Stein sind; dass cz 1|11

in deinem Inneren etwas ist, was sie nicht kriegen können, das dir allein gehört.» Red: «Wovon sprichst du?» Andy: «Hoffnung!» Red: «So! Dann will ich dir was über Hoffnung sagen. Hoffnung ist sehr gefährlich. Hoffnung kann einen Mann in den Wahnsinn treiben. Hier drinnen nützt sie dir nichts, am besten, du vergisst das nie!» Doch Andy denkt anders, obwohl er – trotz inzwischen nachweislicher Unschuld – weiter inhaftiert bleibt. Eines Tages erhält Red eine Antwort von Andy: «Hoffnung ist eine gute Sache. Vielleicht sogar die Beste. Und gute Dinge können nicht sterben.» «Die Verurteilten» basiert auf einer Novelle von Stephen King, übertrifft dabei die literarische Vorlage und zeigt eindrücklich auf, welche Kraft in der Hoffnung liegt. 17

• Andy Schindler-Walch, Filmspezialist und Redaktor bei einer Lokalzeitung.

«Die Verurteilten» (USA/1994, 137 Minuten) ist als DVD und Blu-ray im Handel erhältlich.


Hoffnung ist mehr als «Hoffnung» Ein «verkannter» Begriff biblisch neu beleuchtet Biblische Hoffnung vertröstet nicht nur, sie ist fest, sie ist sicher und sie trägt. Eine Einladung, Hoffnung von der Bibel her neu zu entdecken.

Andrea-Giorgio Xandry Wenn ich sage «Ja, das hoffe ich!» oder «Nein, das hoffe ich nicht!», dann schwingt in meiner Aussage Unsicherheit mit. Würde ich sagen «Ja, das erwarte ich!» oder «Nein, das erwarte ich nicht!», dann wirkte ich sicher und überzeugt. Was bedeutet denn nun wirkliche Hoffnung – Sicherheit oder Unsicherheit? Die Bibel siedelt sie definitiv auf der «sicheren» Seite an.

Hoffnung ist Erwartung

Hoffnung ist Wille

Hoffnung «ankert» im Allerheiligsten Ein Anker repräsentiert das biblische Symbol der Hoffnung. Der Hebräerbrief zeigt es in 6,19: «Mit der Hoffnung haben wir einen sicheren und festen Anker.» Dieser Anker hängt fest im Allerheiligsten, dem innersten Platz im Tempel Gottes. Wenn wir dorthin unseren Hoffnungsanker auswerfen, dann kann uns kein Sturm an seelischen, geistlichen oder körperlichen Schwierigkeiten umwerfen oder wegreissen. 22

Erstaunlich, was alles in dem Begriff Hoffnung steckt! Das griechische Grundtextwort für «Hoffnung» heisst «ELPIS». Ursprünglich wurde diesem «ELPIS» ein W-ähnlicher Buchstabe vorgesetzt (ein Digamma), und man hörte «WELPIS». In der europäischen Sprachentwicklung entstand aus derselben Wurzel «WEL», aus der im griechischen «WELPIS» (Hoffnung) wurde, im germanischen Sprachraum der Wortstamm «WEL...WILL...WOL...WOLLEN». Im Alemannischen hört man es noch gut: «Welle» – «Häsch es welle?» («Hast du es gewollt?»). Spannende Frage, besonders wenn es nun unsere persönlichen Hoffnungen angeht: Will ich, was ich hoffe – besser noch: was ich erwarte? Wenn ich dies bejahen kann, bin ich schon fast am Ziel, egal wie weit weg es scheint.

Einige Übersetzungen des Neuen Testaments gebrauchen das Wort «Erwar­ tung» dort, wo die meisten anderen «Hoffnung» schreiben. Erwartung drückt, wie oben erwähnt, Sicherheit und Überzeugung aus. Sie hat das Ziel vor Augen. Hoffnung im Sinn von solcher Erwartung baut auf Glauben, Vertrauen, Zutrauen und Dranbleiben (Treue) und erwartet von Gott das Erhoffte. Und das ist das Entscheidende: Ist in allem – auch in den Stürmen und Krisen des Lebens – die Beziehung zu Gott unser Ziel, dann werfen wir den Anker ins Allerheiligste, und der Hohepriester Jesus verankert ihn dort sturmsicher! Dazu weitere zwei Zitate aus dem Hebräerbrief (Kapitel 11, Verse 1 und 6, Elberfelderbibel, unrevidiert, mit Fussnote): «Der Glaube ist eine feste Zuversicht dessen, was man HOFFT, eine Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht.» Und: «Wer zu Gott naht, muss glauben, dass ... er ein Belohner ist.» – Hoffnung, auf Glaube gebaut, ERWARTET Gottes Belohnung. cz 1|11


hoffnung | hoffnung ist mehr als hoffnung

Hoffnung ist ein Weg

Hoffnung als «Eingeklemmtes»? In einigen Gegenden der Schweiz nennt man ein Sandwich auch ein «Eingeklemmtes». Zum Schmunzeln: Scheint dem Alemannen das, was zwischen den Brotscheiben lockt, das Wichtige zu sein? Wenn wir an 1. Korinther 13,13 denken, dann ist dort die Hoffnung eingeklemmt zwischen Glaube und Liebe: «Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei ...» Klar ist Brot die Grundnahrung. Aber erst der Belag, der Aufstrich, gibt den Geschmack. Hoffnung heisst mit dem Bild des Sandwiches: eine Grundscheibe Brot, das wäre der Glaube. Dann etwas Schmackhaftes nach meinem «Willen» drauflegen, das wäre die Hoffnung. Dann kommt die oben liegende, zudeckende Scheibe Brot dazu, das wäre die Liebe. Unsere Hoffnung bzw. unsere Erwar­ tung ist die Aussicht auf die Belohnung am Ziel. Glaube und Liebe sollen uns schmecken – guten Appetit! Anders gesagt: Wenn Gott uns eine lebendige Hoffnung gibt, dann auch, damit unser Glaube und unsere Liebe fortwährend belebt werden und bis zum Ende schmackhaft und lebendig bleiben. cz 1|11

Jesus nennt sich «der Weg» (Johannes 14,6). Die ersten Christen hiess man «Die auf dem Weg sind» (Apostelgeschichte 9,2). Gott wird als der «Gott der Hoffnung» bezeichnet (Römerbrief 15,13). Auf einem Weg, besonders auch auf dem Weg mit Jesus, erscheint «laufend» alles immer wieder in einem neuen Licht, so auch die Hoffnung: Sie wandelt sich, steigert sich und muss von uns in immer wieder anderen Situationen und Ausprägungen neu entdeckt, ergriffen und empfangen werden. Hier einige Schriftstellen dazu: – Hoffnung ist lebendig und wächst: «Gepriesen sei ... Gott ..., der nach seiner grossen Barmherzigkeit uns wiedergezeugt hat zu einer lebendigen Hoffnung ...» (1. Petrus 1,3). – Hoffnung liegt stets vor uns: «... dass wir die vor uns liegende Hoffnung ergreifen ...» (Hebräer 6,18). – Hoffnung ist gut: «... unser Herr Jesus Christus ..., der uns gute Hoffnung gegeben hat ...» (2. Thessalonicher 2,16). – Hoffnung ist glückselig: «... wir erwarten die glückselige Hoffnung ...» (Titus 2,13). – Hoffnung ist überströmend, das heisst, sie weckt wiederum Hoffnung in anderen: «... der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, um euch überströmen zu lassen in der Hoffnung» (Römer 15,13).

Hoffnung trägt, wenn alles zerbricht Alle Menschen gehen ihren persönli­chen Weg. Alle glauben dabei an irgendetwas. Viele lieben, und alle wollen geliebt werden. Und alle hoffen auf irgendetwas. Aber unterwegs zerschlägt sich so vieles. Enttäuschung, Verbitterung und Hoffnungslosigkeit wollen sich breitmachen. Aber auch das gehört zum «Weg». Es scheint mir, dass Gott uns vieles zumutet, damit wir trügerische Hoffnungen, die sich auf Menschen oder Dinge richten, loslassen. Damit wir unsere Hoffnung um­so mehr auf den Gott der Hoff­nung setzen und uns ihm als unserer Sicher­heit anvertrauen. Nur solche Hoffnung kann den Lebensweg glücklich vollenden. Nur solche Hoffnung trägt. Nur solche Hoffnung ist mehr als «Hoffnung». 23


hoffnung | über mauern springen

und Gemeinschaft suchen und einen Lebensstil der Versöhnung pflegen.» So erstaunt es nicht, dass Evan und seine Frau Maala enge Freunde von Salmans sind. In der direkten, menschlichen und geschwisterlichen Begegnung bauen sich die inneren Mauern trotz aller Unterschiedlichkeit ab; und die beiden Familien sind fest entschlossen, einander in Liebe zu unterstützen – Mauer hin oder her.

Brücken überwinden Mauern So wie Salwa sich als Gärtnerin in einem geheimen Garten sieht, benutzt auch Maala ein Bild, um ihren Versöhnungsauftrag zu beschreiben: «Ich fühle mich wie eine Brücke, die Hindernisse überwindet und den Weg für andere öffnet. Maala findet es nicht immer angenehm,

• Salwa Salman und das Christuskreuz über den Dächern von Bethlehem.

eine Brücke zu sein: «Du wirst belastet, überfahren, von Füssen getreten – aber eine Brücke verbindet Menschen und hält stand.»

Damit Hoffnung im Alltag gelebt werden kann, braucht sie stetige Nahrungszufuhr. Maala Thomas ist überzeugt: «Gott stellt uns alles zur Verfügung, damit wir Licht und Salz in der Welt sein können. Er belebt und inspiriert uns durch seinen Heiligen Geist, er unterstützt uns in unseren Gehorsamsschritten und lässt Kraft und Freude daraus wachsen.» Die Ehepaare Thomas und Salman werden nicht müde zu bezeugen, dass in diesen Prozessen das Geheimnis der Einheit und Gemeinschaft unter Glaubensgeschwistern ganz besonders zum Tragen komme. So können sie auch zermürbende äussere Umstände ertragen und daran festhalten, dass sie einen Gott haben, mit dem sie jegliche Mauern überspringen können, seien sie nun aus Beton oder in den Herzen.

FvonRWegen! EDY STAUB Im Reanimationsraum Es ist ein ganz normaler Vormittag. Die Uhr zeigt sieben Uhr. Wegen eines Lochs in meiner Hirnhaut befinde ich mich in der Notfallaufnahme des Zürcher Universitätsspitals. Nach einer Untersuchung werde ich im Rollstuhl in den Reanimationsraum gefahren. Ein merkwürdiges Gefühl. Ist dies nun meine Endstation? Adieu, liebe Welt? Bin ich am Ende – oder ist dies nur ein schlechter Traum? Ich mustere den Reanimationsraum. Er wirkt kahl und unfreundlich. Kein einziges Bild hängt an der Wand. Am Boden liegt kein Teppich. Doch es stehen faszinierende Geräte herum. Ich weiss nicht so recht, ob sie eher der Ausrüstung für die Raumfahrt oder den Installationen in der Talstation einer Bergbahn gleichen. Auf der einen Seite stehen einige Rollstühle und fahrbare Betten herrenlos herum. Ein bisschen ähnelt dieser Raum einem Schlachthof. Ja, mein Bruder und ich waren in unseren Jugendjahren Schafzüchter. Zweimal jährlich fuhren cz 1|11

wir mit einigen unserer Schafe zum Schlachthof. Kurz nach Einlieferung konnten wir Fell und Fleisch nach Hause nehmen. So, wie ein Schaf sich vorkommen musste, wenn es im Schlachthof stand, komme ich mir hier vor. «Wie vielen Menschen hat hier wohl schon die letzte Stunde geschlagen?», frage ich mich und atme tief durch. Auch wenn alles für ein Ende meines irdischen Daseins spricht, ich bin nicht bereit, meine Hoffnung wegzuwerfen. Warum? Weil Jesus sagt: «Ich bin bei euch.» Das reicht mir. Es gibt mir allen Grund, nicht zu verzagen. Seit meinem Aufenthalt im Reanimationsraum sind rund vier Jahre vergangen. Warum ich heute glücklich und vor allem sinnvoll hier auf Erden lebe? Weil Gott mir nochmals eine Runde irdisches Leben schenkt. Dieses Geschenk nutze ich fast täglich, um andere Menschen mit Jesus 27

• Fredy Staub gibt als Eventpfarrer und Autor jährlich Hunderten von Menschen entscheidende Anstösse zum Glauben.

vertraut zu machen. Weil er bei uns ist, und wir ihn heute erfahren können. Wenn wir aufhören zu hoffen, kommt, was wir befürchten.

PS: Zum Thema empfehlen wir das neue Buch von Fredy Staub «Der Überlebenskünstler», siehe unter www.FredyStaub.ch (Anm. d. Red.).


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hoffnung | buchempfehlung | jmem | kolumne

F Ü R B R I N G E R

beziehungsweise

In Blickkontakt mit der Hoffnung Ich war jung, und es war meine erste reale Konfrontation mit dem Elend und der Armut dieser Welt. Natürlich kannte ich das alles theoretisch, aber die Autofahrt durch die Innenstadt von Los Angeles erschütterte mich. Wir waren unterwegs zu einer kleinen christlichen Kommunität, die ihren Wohnort mitten im Brennpunkt von Gewalt, Drogen, Prostitution und Armut gewählt hatte. Der Stadtteil war heruntergekommen, die Spuren von massiven Ausschreitungen, die das Viertel erst kürzlich heimgesucht hatten, überall sichtbar in Form von Verwüstungen und ausgebrannten Häusern. Maarten Brak:

«Hoffnung für die junge Generation» «King‘s Kids, ein Dienst von JMEM, hat vor vielen Jahren das ‹Preteens›-Programm entwickelt. ‹Preteens› ist ein Programm mit dem Ziel, dass Kinder und ihre Eltern sich gemeinsam auf die Pubertät vorbereiten. Die Stärkung der Beziehung innerhalb der Familie und die neuen Freundschaften, die unter den Kindern entstehen, geben mir neue Hoffnung für die junge Generation und ihre Familien.»

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Mein Mann und ich fuhren die mehrspurige Hauptachse entlang, doch vom Beifahrersitz aus schaute ich in all die Seitengassen. Es war wie in einem schlechten Krimi: zugemüllte schmale Strässchen, dreckig, dunkel, verwahrlost. Und am Boden lagen immer wieder Menschen, zugedeckt mit Kartonschachteln, zugedröhnt mit irgendwelchen Drogen. Ich konnte den Anblick nicht ertragen. Ungefragt liefen mir die Tränen die Wangen herunter, ich hatte keine Kontrolle mehr über meine Gefühle. Da waren nur abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit und Schmerz in mir beim Anblick dieses Elends. Ich musste wegschauen. Und ich schämte mich. In mir hat es nach Jesus geschrien. «Jesus, ich bin wie alle anderen, die wegschauen. Ich ertrage das auch nicht!» Jesus hat meinen stummen Schrei gehört, und mir war, als schaue er mich direkt an. Und er sagte etwas in der Art: «Ich weiss. Aber ich schaue hin.» Das war Trost und gleichzeitig Herausforderung. Gott weiss um meine Unfähigkeit, ich brauch mich ihm nicht zu

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• Sabine Fürbringer ist Psychologin sowie Familienfrau und arbeitet bei Campus für Christus als Referentin, Autorin und Beraterin.

erklären. Er hat Blickkontakt mit mir, sucht Beziehung und Echtheit. Gleichzeitig geht er seinen Weg, schaut der Not ins Gesicht. Ich will ihm nahe sein. Also kommt mir auch das Elend nahe. Jesus hat Hoffnung für diese Menschen. Also kann auch ich Hoffnung haben. Nicht aus mir, sondern als Freundin von Jesus, der keine Berührungsängste kennt, weil er nicht überfordert ist. Nicht, dass ich mit Problemen beladene Situationen suchen würde, aber es geschieht immer mal wieder in meinem Leben, dass Jesus an meine Herzenstür klopft. Er fordert mich heraus, mit ihm zusammen hinzuschauen auf Brennpunkte, die ihn beschäftigen. Er macht mich mit Menschen bekannt, die er liebt und die Hoffnung brauchen. Dazu gehören geschundene Frauen in Afrika, aber auch die hoffnungslose Mutter oder der schwierige Junge aus der Nachbarschaft. Was für eine Ehre, mit Jesus zusammen zerrüttete, hoffnungslose Situationen auszuhalten und dort seine Ermutigung und sein Leben hineinzutragen!


Franz von Assisi Leidenschaftlich für die Botschaft des Lebens und Friedens Mit grosser Einfachheit begriff, predigte und lebte Franziskus von Assisi das Evangelium. Sein Glaube an Gott stellte Gesellschaft und Kirche vor ungewohnte Fragen. Aber noch heute inspiriert seine radikale und doch sanftmütige Jesus-Nachfolge die Menschen.

Brigitte Eggmann «Geh und stelle mein Haus wieder her!», hört der 23-jährige Franziskus sagen, als er ungefähr 1205 in der verfallenen Kapelle von San Damiano betet. Eigentlich heisst er Giovanni Battista Bernardone, aber weil sein Vater eine Vorliebe für Frankreich hegt, wird er Francesco gerufen. Vor wenigen Monaten erst hat ihn sein Vater aus der Kriegsgefangenschaft freigekauft. Mit Schrecken erinnert sich Franziskus an das Jahr im Gefängnis von Perugia. Ruhelos und ohne Ziel treibt er seit seiner Freilassung dahin. Rastlos fragt er sich, was er mit seinem weiteren Leben anfangen soll. Die Freude und der Spass an seinem früheren Leben sind ihm vergangen. Er will weder Ritter noch Tuchgrosshändler werden. Der seit Jahren immer wieder aufflammende Krieg zwischen Assisi und dem benachbarten Perugia und das Jahr in der Gefangenschaft haben sein Bild vom edlen Rittertum erschüttert. Sein Ideal hat Risse bekommen – Ruhm und Ehre, die glanzvollen Turniere, das besungene Heldentum sind nur die eine Seite. Die Kehrseite sind das Morden und Zerstören aus Eigennutz oder das Kämpfen und Sterben für eine «edle» Sache unter einem irdischen Herrn. 40

Trotzdem schliesst er sich nochmals einem Feldzug zur Rückeroberung Siziliens an. Doch sein Vorhaben wird durchkreuzt: In der ersten Nacht hat er eine Begegnung mit Jesus, der zu ihm spricht. Während des Abendgebetes (andere sagen, während eines Traumes) fragt ihn der Herr, warum er ihn verlasse und sich in den Dienst eines weltlichen Ritters stelle.

Ein Ritter Gottes So verlässt Franziskus das Heer und kehrt nach Assisi zurück. Von seinem bisherigen Freundeskreis wendet er sich mehr und mehr ab und vernachlässigt die Aufgaben im elterlichen Geschäft. In der Einöde rund um Assisi sucht er die Stille und betet in abgelegenen Höhlen und zerfallenen Kapellen. Und jetzt fühlt er sich von einer Kreuzikone persönlich angesprochen und hört wieder die Stimme Christi, die ihm die neue Aufgabe zuteilt. Ohne es richtig zu merken, denkt er: «Ja, warum nicht?» – und macht sich voller Begeisterung an die Arbeit, die kleine Kapelle eigenhändig wiederherzustellen. Baumaterial erbettelt er oder nimmt dafür Waren und Geld aus dem Geschäft seiner Eltern. Manchmal nimmt er sogar teure Stoffe mit und verschenkt sie an Arme und Bedürftige.

Zwei Jahre später kommt es deswegen zum Bruch mit seinem Vater. Mit Sorge hat dieser die Wandlung seines Sohnes beobachtet. Immer wieder sagt er zu seiner Frau: «Mit Güte kommt man nicht an die Spitze.» Sondern aufgeweckt, schlau, draufgängerisch und wagemutig müsse man sein. Wegen der entwendeten Waren und des gestohlenen Gelds strengt der Vater einen Prozess gegen seinen Sohn an. In der öffentlichen Gerichtsverhandlung im Frühjahr 1206 zieht dann Franziskus alle seine Kleider aus und gibt sie seinem Vater zurück. Mit dieser Geste verzichtet er auf sein Erbe und sagt sich von seinem Vater und dessen Besitz los. Das ist kein spontaner Entschluss. Immer wieder hat Franziskus sein Gewissen erbarmungslos geprüft und sich gefragt, wie weit er – trotz der Angst vor seinem irdischen Vater – seinen eigenen Willen aufgegeben habe. Doch nun als Ritter im Dienste des Königs der Könige will er sich vor keinem Menschen mehr fürchten.

Ein anderes Leben Danach lebt Franziskus mehrere Jahre ausserhalb der Stadt als Einsiedler, geht von Haus zu Haus und bettelt sein Essen zusammen. Während einer Messe hört er die Stelle im Matthäus­ cz 1|11


hoffnung | franz von assisi

Männer und Frauen schliessen sich ihm an. Reiche, Arme, Menschen vom einfachen Volk, Adlige. So auch die 19-jährige Chiara, Tochter des blaublütigen und wohlhabenden Favarone di Offreduccio di Bernadino. Sie hört den knapp zehn Jahre älteren Franziskus im Dom von Assisi predigen. Und verlässt in der Nacht zum Palmsonntag 1212 ihr Elternhaus. Sechzehn Tage später folgt ihr gemäss Überlieferung ihre Schwester Agnes nach.

• Älteste, noch zu Lebzeiten entstandene Darstellung von Franz von Assisi: Ein Wandgemälde in Sacro Speco in Subiaco, rund siebzig Kilometer östlich von Rom. Die Mutter Franz von Assisis hatte von seiner Geburt an gehofft und gebetet, ihr Sohn möge ein Diener Gottes werden.

evangelium, Kapitel 10, Vers 7 folgen­de: «Geht aber und predigt. ... Umsonst habt ihr‘s empfangen, umsonst gebt es auch. Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in eurem Gürtel haben, auch keine Reisetasche, auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken.» Er trägt nur noch einfache Wollkutten und lehnt Besitz und sogar den Kontakt mit Geld energisch ab. Denn damit, sagt er, könne er keine Kirche bauen. Seine strikte Lebensweise und seine Predigten lösen bei vielen Menschen Spott und Ablehnung aus. Andere wiederum fühlen sich gerade deswegen angezogen. Sein Idealismus und sein Charisma ziehen sie an. Sie erkennen sein Bestreben, ganz nach dem Vor­bild Jesu zu leben. Obwohl Franziskus nichts mehr besitzt, lebt er unbeschwert und fröhlich. Er sorgt sich nicht darum, was er morgen essen oder wo er schlafen wird. Gott wird für ihn sorgen, ist er überzeugt. Nach vielen inneren Kämpfen ist er sich nun der Berufung, seinem himmlischen Herrn zu dienen, absolut sicher. cz 1|11

Franziskus bringt Chiara – oder Klara von Assisi, wie sie später genannt wird – zunächst bei den Benediktinerinnen unter. Nachdem er die Kapelle von San Damiano fertiggestellt hat, ziehen Klara und Agnes dorthin. Rasch folgen ihnen andere Frauen, auch Schwestern, Freundinnen, eine Tante und die verwitwete Mutter nach. 1219, während des Kreuzzuges von Damiette zur Rückeroberung von Jerusalem, reist Franziskus als Missionar bis ins damalige Palästina und nach Ägypten. Er verfolgt drei Ziele: Bei Damiette an der Nilmündung will er den Sultan al-Kamil zum Christentum bekehren, wenn nötig, als Märtyrer sterben und drittens eine friedliche Lösung herbeiführen. Der Sultan ist von der Begegnung mit Franziskus beeindruckt, doch der junge Mönch kann weder die bevorstehende Schlacht noch die Fortsetzung des Kreuzzuges verhindern. Seit der Reise in den Orient verschlechtert sich seine Gesundheit. Ausserdem verliert er sein Augenlicht fast ganz. Geschwächt stirbt er 44-jährig im Herbst 1226 im Kreise seiner Gefährten. Es heisst, er habe dabei fröhlich zu singen begonnen. Als ihn einer der Brüder mahnt, doch lieber seine Sünden zu bekennen, soll er geantwortet haben: «Das habe ich heute Morgen schon getan. Aber nun will ich Gottes Güte preisen.»

Ansteckende Lebensweise Noch heute fasziniert das Leben von Franziskus die Menschen. Das zeigen unzählige Biografien bis hin zu Sagen und Legenden. Er hinterlässt aber auch zahlreiche eigene Werke: Briefe, Gebete, Gesänge, Anbetungstexte und Loblieder. Sein «Sonnengesang» ist eines der bewegendsten Gebete und spricht unzählige Menschen an. Er schrieb seine Texte in Altitalienisch oder Latein. Darüber hinaus verfasste er auch spezielle Anweisungen für die Einsiedeleien, Mahnungen und Richtlinien für seine geistlichen Brüder und Schwestern und ein Offizium für das Stundengebet. Er stellte dazu in freier Assoziation Verse aus den Prophetenbüchern, den Psalmen und dem Neuen Testament zusammen. Selbstverständlich und fröhlich packte Franziskus sein Leben an und pflegte eine ganz unmittelbare Beziehung zu Jesus und zum Wort Gottes. Was er machte und wie er lebte, war immer wieder Gesprächsthema Nummer eins in Assisi. Er brachte die Menschen zum Nachdenken. Statt mit der neusten Mode, der nächsten Schlacht oder den Nachbarn beschäftigten sie sich so mit Fragen des Glaubens. Seine Liebe zu Gott steckte die Herzen der gewöhnlichen Menschen und sogar der Kirchenoberen an. Nur drei Jahre nach dem Bruch mit dem Vater bestätigte Papst Innozenz III. die erste Ordensregel, die Franziskus aufgesetzt hatte. Und 2009, beim 800-Jahr-Jubiläum des Franziskanerordens, ermutigt Papst Benedikt XVI. die Vertreter der nun 35 000 Mitglieder zählenden franziskanischen Ordensfamilie, die heute in rund 65 Ländern präsent ist, sich auf ihre Ursprünge zu besinnen, den Armen zu dienen und im Geiste ihres Gründers «die Kirche wieder aufzubauen». Verwendete Literatur: de Wohl, Louis: Der fröhliche Bettler. R. Brockhaus, 1996, ISBN 3-417-20863-7. 41


Hoffen wider alle Hoffnung Wie verschüttete chilenische Bergleute neues Leben fanden Welch beklemmendes Gefühl: Ein Knirschen, ein Donnern, ein Tosen – und der Weg zur Aussenwelt ist abgeschnitten. Von einem Moment auf den anderen wird Realität, was jeder Bergmann nie erleben möchte. «Doch mit diesem Risiko leben und arbeiten wir», sagt José Samuel Henríquez (54), geretteter Kumpel, Tröster und Gebetsleiter in der Tiefe des Stollens.

Tom Sommer mit Christian Maureira Heute, nach der wundersamen Rettung aus siebenhundert Metern Tiefe, hat sich das Leben der 33 chilenischen Minenarbeiter völlig verändert. Die tägliche Routine, in den Stollen zu fahren und Mineralien abzubauen, ist von Mikrofonen, TV-Kameras und Besuchen in anderen Ländern vorderhand abgelöst worden.

serordentlichen Segen für mich und meine Kumpel. Das dient unserem geistlichen Aufbau und Wachstum. Mir geht es gut, weil Christus in mir lebt. Wir haben mittags um zwölf und abends um sechs eine offizielle Gebetszeit.» Er verabschiedet sich in diesem Brief mit Psalm 95,4: «In seiner Hand sind die Tiefen der Erde, und auch die Höhen der Berge sind sein.»

Der siebzehnte Tag Mentales Überleben dank MP3 «Was die 33 Bergleute durchgemacht haben, ist eine Geschichte, die um die Welt geht; viele Menschen wollen sie hören», erzählt Christian Maureira, Direktor von Campus für Christus in Chile. Er hat beim mentalen und geistlichen Überleben der Bergleute eine wesentliche Rolle gespielt: Auf seine Initiative hin kam der Kontakt zur Familie von José Samuel Henríquez zustande. Die Familie sorgte mit ihrer Anfrage bei den Behörden dafür, dass ein MP3-Abspielgerät mit dem Neuen Testament und dem Jesus-Film als Hörbuchversion durch den engen Sondierbohrschacht zu den Verschütteten gelassen wurde. José Samuel Henríquez bedankte sich mit einem Brief aus der Tiefe: «Danke für diesen aus42

Bis dahin waren sechzehn Tage ohne Kontakt zur Aussenwelt zu überstehen gewesen. Kein Wunder, dass unter den Verschütteten Hoffnungslosigkeit spürbar geworden sei, erzählt José später. «Warum bringt uns Gott nicht gleich um?», habe einer gefragt. Andere hätten begonnen, Briefe zu schreiben, in der Hoffnung, dass diese irgendwann einmal gefunden und gelesen würden. Im Gespräch mit Christian präzisiert José: «Trotz dumpfer Gefühle und zeitweiliger Auflehnung gegen das Schicksal spürte ich, dass sich in all diesen Menschen auch Demut entwickelte. Und das hat Gott sicher gesehen.» An jenem sechzehnten Tag sind fast alle Essensvorräte aufgebraucht. José erinnert sich an die in der Bibel erzählte Geschichte von der Brot-und-Fisch-

Vermehrung – und verkündet unter seinen Kumpel in der Tiefe: «Wir werden beten, und morgen werden wir wieder zu Essen haben.» Als er dies später Christian erzählt, wird ihm erst bewusst, wie kühn er da gebetet hat. Aber am folgenden, dem siebzehnten Tag in der Tiefe des Stollens, gelingt tatsächlich der Durchstich mit einem schmalen Versorgungskanal. «Dieser Durchbruch muss etwas vom Bewegendsten für José gewesen sein», erzählt Christian, «das spürte ich im Gespräch mit ihm.»

Zum Gebetsleiter gewählt José ist klar, dass im Bergbau noch viel mehr und Dramatischeres passieren kann: «Für einen Bergarbeiter bedeutet das ständig, innerlich einen Vertrag zu unterschreiben und anzuerkennen, dass man verschüttet werden kann. Du gehst rein und weisst nicht, ob du wieder rauskommst!» Für ihn sei darum das Wichtigste, Gott als Freund im Herzen zu haben. «Die Kinder Gottes tragen einen Frieden in sich, mit dem sie allen Umständen und auch Risiken begegnen können. Denn wir wissen: Wenn wir sterben, dann sind wir mit Christus, und wenn wir leben, dann leben wir für ihn.» Seine Leidensgenossen im Stollen cz 1|11


hoffnung | hoffen wieder alle hoffnnung

• Der erste Bergmann, der nach 69 Tagen aus der Tiefe gerettet wird.

• Gerettet: José Samuel Henríquez.

• Gerettet: Carlos Mamani (oben) und Raúl Bustos (unten).

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• Der chilenische Präsident Sebastián Piñera zusammen mit den 33 Bergleuten, kurz nach der Rettung.

«Dieses Grubenunglück ist ein Alarmsignal für die ganze Welt. Es will die Menschen aufwecken und daran erinnern, dass sie beten können und beten sollen. José Samuel Henríquez

kennen Josés Grundhaltung. Nach dem Bergsturz geht es bei der ersten Situa­ tionsanalyse darum, unter den eingeschlossenen Kumpel die Aufgaben zu verteilen. José bekommt – wie er sich ausdrückt – den «besten Job»: «Ich sollte meine Brüder und Freunde im Gebet leiten!» José stimmt zu, aber stellt eine Bedingung: Als bekennende Christen seien sie gewohnt, zu einem lebendigen Gott zu beten, deshalb würden sie entsprechend zu Gott beten und schreien. «Wenn alle damit einverstanden sind», sagt José, «dann übernehme ich gerne die Verantwortung, ansonsten bin ich nicht der richtige Mann dafür.» Alle sind einverstanden, und mit der Zeit wird aus der zweimaligen Gebetszeit pro Tag eine Lobpreiszeit, an der alle Kumpel teilnehmen.

Gottes Wort ist in der Tiefe gesät Via Versorgungsschacht gelangen nun auf einem MP3-Abspielgerät die Tonspur des Jesus-Films und das Neue Testament als Hörbuch zu den ver44

• Christian Maureira (links), Leiter von Campus für Christus in Chile, vermittelte den verschütteten Bergleuten biblische Hördateien. Hier beim Interview mit José Samuel Henríquez.

schütteten Bergarbeitern. José erzählt, die Männer hätten mehr und mehr Interesse an den Botschaften gezeigt. Wann immer möglich und wiederholt hätten sie zugehört, obwohl die Bedingungen mit dem Staub, der Feuchtigkeit und dem tropfenden Gestein nicht gerade einladend gewesen seien. «Für mich war klar spürbar», so José: «Hier wird das Wort Gottes gepflanzt, und Gott selbst übernimmt die Verantwortung für das Wachstum.»

... und aufgegangen In jenen Tagen treffen 22 der 33 Kumpel eine Entscheidung fürs Leben: Sie geben José noch im Stollen bekannt, dass sie ihr Leben Jesus anvertrauen und von nun an mit Gott leben wollten. Und damit ihr Entscheid nicht einfach in der Tiefe der Erde verborgen bleibt, schreiben einige Kumpel einen Brief an die Aussenwelt, andere wünschen nach ihrer Rückkehr ein Gespräch mit einem Pastor, um ihren Schritt öffentlich festzumachen. Kumpel Ricardo Villaroel Godoy (28) berichtet: «Ich habe vorher nie gebetet, aber in der Grube lernte ich zu beten. Ich habe zu Gott gefunden.» Für José ein Moment der Freude: «Ich habe das Wort gebracht und die Botschaft gepredigt, und so viele haben darauf reagiert. Es ist aber wie im Gleichnis vom

Sämann: Die Saat ist auf alle Arten von Erde gefallen.»

Ein Zeichen für die Welt Als es nach 69 Tagen gelingt, jeden einzelnen Kumpel mit einer engen Rettungskapsel an die Oberfläche zu holen, tragen diese ein T-Shirt mit der Aufschrift «Gracias Señor – Thank You Lord». Das hat José vorgeschlagen als einmalige Gelegenheit, Gott für die Rettung die Ehre zu geben. Alle gingen darauf ein, und einige schrieben eigenhändig auf das T-Shirt: «Für Gott ist nichts unmöglich!» Für José steht ausser Zweifel: «Gott war mit uns da unten; er hat uns angespornt, die Hoffnung nicht aufzugeben. Er hat uns begleitet und behütet, er hat uns herausgefordert, ihm zu vertrauen.» Gott habe gesehen, wie sich die Kumpel vor ihm gedemütigt und gebetet hätten; er habe ihre Gebete beantwortet und sie gerettet, meint er und fügt an: «Dieses Grubenunglück ist ein Alarmsignal für die ganze Welt. Es will die Menschen aufwecken und daran erinnern, dass sie beten können und beten sollen. Es ist ein Zeichen Gottes, das die Herzen der Menschen berührt und sie auf ihrer Suche nach Gott ermutigt.» cz 1|11


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