CZ_2012_4_Kurzversion

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Zeitschrift der überkonfessionellen Bewegung Campus für Christus Schweiz

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Kinder Veronika Schmidt

Hanspeter Nüesch

Kathrin und Daniel Heusser

Ohne Kindheit keine Menschheit

Kindlichkeit heisst: «Papi kann alles!»

Wenn Kinder uns spiegeln


CZ 4_12 | Kinder | Inhalt

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Editorial

Editorial | Peter Höhn

Das Gespür der Kinder für das Leben

erkennen, wo es für einen oder für alle der Beteiligten mit dem Leben und Zusammenleben nicht stimmt.

Welche Botschaft des Lebens will mein Kind mir vermitteln?

In den Ferien ist mir das Buch «Dein kompetentes Kind» des dänischen Pädagogen Jesper Juul in die Finger gekommen. Sein Ansatz jenseits von autoritärer und antiautoritärer Erziehung hat mich sehr angesprochen. Weder sollten Erwachsene Kinder als ungebändigte Wildlinge betrachten, die man zu angepassten, leistungsfähigen und gesellschaftsverträglichen Funktionären dressieren muss, noch sollten Kinder als die immer und überall Bestimmenden verwöhnt, vergöttert und vergötzt werden. Stattdessen, sagt Juul, gehe es darum, eine erneuerte Sicht der Gleichwertigkeit zu gewinnen. Kinder hätten den grundsätzlichen Willen zur Kooperation. Aber: Kinder hätten auch ein Gespür für echtes Leben, und dies sollten Erwachsene ernst nehmen und gemeinsam mit den Kindern entschlüsseln lernen. Sie sollten die Signale der Kinder hören und

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«Dein kompetentes Kind» ist kein explizit christliches Buch, aber es hat mir doch eine zutiefst geistliche Perspektive eröffnet. Eine Perspektive, die nicht nur darauf abzielt, wie Erwachsene Kinder am besten auf das Leben vorbereiten, sondern auch fragt: Welche Botschaft des Lebens will mein Kind mir vermitteln? Was sagt und lehrt Gott uns Erwachsene durch die Kinder? Was will er uns durch sie schenken, das uns dem Leben näher bringt? Diesen Fragen gehen wir in dieser Ausgabe nach und laden Sie ein, sich von Kindern, ihrem Gespür und ihrer Kompetenz für das Leben begeistern und verändern zu lassen. Lesen Sie dazu Veronika Schmidts Plädoyer «Ohne Kindheit keine Menschheit» sowie die Zeugnisse junger Paare, die erzählen, weshalb sie sich trotz Zeitgeist für Kinder entschlossen haben. Erfahren Sie von Familie Matthias «Kuno» und Susann Kuhn und von Pflegefamilie Daniel und Kathrin Heusser, was sie durch ihre Kinder alles für ihr eigenes Leben gewinnen. Lassen Sie sich von Hanspeter Nüesch herausfordern, ein Leben lang ein kindli-

ches Wesen zu bewahren und damit im Geist jung zu bleiben. Hören Sie, was Adonia-Gründer Markus Hottiger als Kind bewegte und was daraus entstanden ist. Schauen Sie dem Mimen Carlos Martinez zu und lernen Sie neu staunen wie ein Kind. Jesus sagt es deutlich: «Wenn ihr euch nicht ändert und so werdet wie die Kinder, kommt ihr nie in das Reich Gottes» (Matthäus 18,3). Um Gott und seine Liebe zu erfassen, braucht es das Herz eines Kindes. Sich auf Kinder einzulassen, sie anzunehmen, mit ihnen Zeit zu verbringen und von ihnen zu lernen – all dies ist ein Weg, Gott selbst zu erfahren und vom Leben, das er schenken will, erfüllt zu werden. Im Hinblick auf Weihnachten gilt das geistlich gesehen auch ganz besonders für den Mensch und Kind gewordenen Gott, der uns den Weg zum Leben und zur Freude weist. Andrea Xandrys biblische Betrachtung über den «kleinen Gott» leitet uns auf den Weg zur Krippe, um das Geheimnis dieses Kindes nochmals tiefer zu ergründen und seine Botschaft anderen neu zu vermitteln: «Es ist uns ein Kind geboren ...»

Peter Höhn


Vom Lehrer zum Musicalschreiber Schon während des Studiums schrieb Markus Hottiger Lieder. Der Gründer der Jugendorganisation Adonia erzählt von seiner Leidenschaft für Musicals, wie er lernte, sich abzugrenzen, und warum Kinder ein gemeinsames Ziel brauchen.

Christian Bachmann

Markus Hottiger ist verheiratet und hat vier erwachsene Söhne. Der gelernte Grundschullehrer gründete die Kinder- und Jugendfreizeitorganisation Adonia und ist Geschäftsführer des AdoniaVerlages.

Als ich im Adonia-Büro im aargauischen Brittnau eintreffe, muss ich nicht lange auf ihn warten. Markus Hottiger führt mich ins grosszügige Sitzungszimmer und bietet mir einen Kaffee an. Nun sitze ich ihm gegenüber, dem Mann, der eine der wohl grössten christlichen Jugendorganisationen der Schweiz ins Leben gerufen hat. 3000 Kinder und Teenies besuchen jährlich ein Musicalcamp, und mehr als 50 000 Väter, Mütter, Göttis, Tanten, Grosseltern, Kollegen und Freundinnen ein AdoniaKonzert. Und dabei sind die Musicalcamps nur ein Zweig einer Arbeit, die viel mehr zu bieten hat als Ferienlager für musikbegeisterte Kids. Schulmusicals und der erste Adonia-Chor Angefangen hat die heute weitverzweigte Arbeit 1979 mit einem Teenagerchor aus fünfzig Sängern. Seine ersten Lieder schrieb Markus Hottiger schon während des Lehrerseminars. In den Achtzigerjahren schrieb er zahlreiche biblische Musicals und ausserdem Schul- und Weihnachtsmusicals, die jedes Jahr über zweihundertmal von Schulklassen aufgeführt wurden. 1992 leitete er den ersten Adonia-Juniorchor. Der begabte Musiker organisierte, arran-

gierte und dirigierte – und dies neben seinem Hundertprozentjob als Lehrer. Tatkräftige Hilfe erhielt er von seiner Frau Vroni. Schon sein Vater hatte Kirchenchöre geleitet. Aufgewachsen ist Markus Hottiger mit drei Schwestern in einer gläubigen Familie in Oftringen; er besuchte die Sonntagschule und christliche Kinderlager. Mit 13 entschied er sich während einer Zeltevangelisation mit dem Janz Team für Jesus Christus. Dass er später mit Kindern arbeiten wollte, war Markus Hottiger schon früh klar. Bereits in der zweiten Klasse wollte er Lehrer werden. «Das System der Schule gefiel mir: Kinder erziehen und ihnen etwas fürs Leben weitergeben, sie ermutigen, ihre Kreativität fördern – das war das, was ich machen wollte», erklärt der Vater von vier erwachsenen Kindern. Einsatz bis an die Grenzen 1988, im Alter von dreissig Jahren, erkrankte Markus Hottiger an Polyarthritis, einer schweren Entzündung der Gelenke. Sein Lehrerberuf und das grosse Engagement in der Singbewegung hatten ihn an seine Grenzen gebracht. Markus’ Erkrankung sollte jedoch zum Guten dienen: Weil er lernte, sich abzugrenzen und andere miteinzubeziehen, konnte die

Adonia-Arbeit erst entstehen. Der 54-Jährige erklärt: «Als Pionier muss man weitergehen und Leute stehen lassen, die nicht mehr mitziehen wollen.» Markus lernte, Misserfolge wegzustecken und nach vorne zu schauen. Seit 1992 ist er vollzeitlicher Mitarbeiter des neu gegründeten Vereins Adonia, nachdem er zuvor zwölf Jahre als Primarlehrer gearbeitet hatte. Aus der Leidenschaft geboren Vor dreissig Jahren seien Mundartlieder, die auch Kinder verstehen, noch kein Thema gewesen im Gottesdienst. Markus Hottiger erklärt: «Ich wünschte mir etwas Modernes, etwas Zeitgemässes, das Kinder in ihrer eigenen Sprache singen können.» Deshalb habe er begonnen, selber Lieder zu schreiben und bald darauf auch Musicals. Das Schreiben und Komponieren ist für ihn nicht in erster Linie Arbeit, sondern Leidenschaft. Aus dieser Leidenschaft heraus sei seine Berufung gewachsen, erklärt Markus. Er befasst sich jeweils zwei bis drei Jahre mit einem Thema, liest Bücher und Kommentare. Und plötzlich hat er im ganz normalen Alltag eine Idee für die Umsetzung. Dann klinkt er sich zwei oder drei Wochen aus seinen Verpflichtungen aus, um das Musical auf Papier zu bringen. «Diese Gabe hat sich über 8


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35 Jahre entwickelt», sagt der erfolgreiche Produzent und Komponist. Ein grosses Ziel beflügelt Aktivitäten wie Singen, Tanzen und Theaterspielen eignen sich gut, um die kreativen Gaben von Kindern ausserhalb der Schule zu fördern. Hottiger meint: «Der Schlüssel besteht darin, eine Tür zum Herzen der Kinder zu finden.» Kinder seien in vielerlei Hinsicht ein Vorbild: unheimlich spontan, ehrlich und direkt, voller Energie und Lebensfreude. «Ihr unvoreingenommener Glaube wirkt für Erwachsene manchmal naiv, doch für Kinder sind die einfachen, alltäglichen Bitten selbstverständlich», ist Markus Hottiger überzeugt. Von ehrlichen Gebeten wie «Lieber Gott, mach, dass ich nicht mehr schwatzen muss!» könnten wir Erwachsene viel lernen. Es gebe ein relativ enges Zeitfenster vom Beginn des Schulalters bis in die Preteen-Jahre, in dem Kinder besonders offen und lernbegierig seien. Dieses Fenster zu nutzen, sei eine grosse Chance, um Kindern anhand von Geschichten aus der Bibel biblische Gebote und Werte zu vermitteln. Markus Hottiger macht deut-

lich, warum es so wichtig ist, Kinder für ein grosses Ziel zu motivieren: «Das gemeinsame Ziel im AdoniaLager mit sechzig oder mehr Kindern beflügelt, und der bevorstehende Auftritt vor Publikum setzt im Chor unglaubliches Potenzial frei.» Die strahlenden Kindergesichter und das positive Feedback der Eltern seien für ihn etwas vom Schönsten an seiner Arbeit. Hundert Berufe und ein Traum Der Tagesablauf des Adonia-Gründers und heutigen musikalischen Leiters ist vielseitig und scheint keine Wünsche offenzulassen. «Ich übe etwa hundert verschiedene Berufe aus», sagt Markus Hottiger schmunzelnd. Er ist Produzent und Verlagsleiter, Autor und Komponist und macht Öffentlichkeitsarbeit. Und doch hat er noch einen Traum, den er gerne verwirklicht sehen möchte: «Ich wünsche mir, dass alle Kinder in der Schweiz unsere Kinder-HörspielBibel mit zwanzig CDs erhalten und so die biblischen Geschichten kennenlernen. Dafür braucht es so viele Schenker wie möglic www.adonia.ch

Am Ende ihres Camps gehen die Adonia-Teenschöre auf

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Beziehungsweise | Sabine Fürbringer Boten des Himmels Gerade mal zwei Wochen alt ist sie, die kleine Filippa, als ich sie in den Armen halte. Ihre Grossmutter, bei der ich zu Besuch bin, hat sie mir sorgfältig und auch stolz anvertraut. Die folgenden zehn Minuten sind bezeichnend für das, was ich oft erlebe, wenn ich einen Säugling halten darf. Meine Ohren verschliessen sich für die Gespräche der Erwachsenen, die auch noch im Raum sind. Mein Blickfeld ist eingeschränkt auf das Kind. Meine Gedanken hören auf zu kreisen. Da ist nur noch Platz für andächtiges Staunen. Meine freie Hand muss immer wieder über die feinen Babybäckchen streicheln. Ich geniesse es, die Wärme des kleinen Körpers, der sich so entspannt in meinen Arm schmiegt, zu spüren. Und meine Emotionen sind überwältigt ob dieser Zartheit, Reinheit, aber auch Verletzlichkeit. Die neugeborenen Menschenkinder tragen ein Geheimnis in sich, das unaussprechlich ist. Leben pur.

Vor Jahren las ich eine überlieferte Erklärung für die kleine Einbuchtung der menschlichen Oberlippe. Bevor ein Kind geboren würde, lege ihm ein Engel noch kurz den Zeigefinger auf die Lippe, mit der Aufforderung, über die Geheimnisse des Himmels, die es kennt, zu schweigen. Daran denke ich, wenn ich ein so kleines Geschöpf sehe, und muss innerlich zustimmen. Ja, es schweigt verbal, aber sein ganzes Sein transportiert die Schönheit, Liebe und Vollkommenheit des Schöpfers. Der Glanz des Himmels leuchtet noch ziemlich ungetrübt. Das Leben des Neugeborenen ist in völliger Abhängigkeit von den Erwachsenen. Das Wechselspiel ist ganz jung, nicht eingefahren. Destruktive Muster haben noch keine Zerstörung hinterlassen. Es ist erstaunlich, wie beim Neugeborenen alle körperlichen Voraussetzungen für das Wachstum bereits angelegt sind. Viele Weichenstellungen und Einflüsse der kommenden Jahrzehnte werden darüber entscheiden, in

welcher Form dieser Mensch von seinen Möglichkeiten Gebrauch machen wird. Ich erahne, mit welcher Liebe der himmlische Vater uns anschaut, den Blickkontakt mit uns sucht, uns umsorgen und bewahren will. Er sieht unsere Möglichkeiten noch viel deutlicher, hat unseren Lebensweg in seine Handfläche geschrieben. Die Voraussetzungen für unser Wachstum hat er in uns hineingelegt; in der freiwilligen Abhängigkeit und im Austausch mit ihm möchte er helfen, dass unser Potenzial in Schönheit zum Tragen kommt. Dadurch, dass er uns den freien Willen zugesteht, empfindet und leidet er wie wir, wenn sich unser Weg nicht entlang seiner Lebenslinie bewegt.

Sabine Fürbringer ist Psychologin und Familienfrau und arbeitet bei Campus für Christus als Referentin, Autorin und Beraterin.

Ich werde auch in Zukunft die Gelegenheiten ergreifen und Säuglinge im Arm wiegen, denn sie lassen die Musik des Himmels in mir anklingen. Und sie helfen mir, die Liebe des himmlischen Vaters zu erfassen.

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New Generation | Andreas Boppart Kinder sind wie Fürze Wenn ich hier etwas zum Thema «Kinder» loswerden soll, hängt das natürlich stark von der Tagesform ab. Ich schreibe diese Zeilen heute in entspannter Atmosphäre – hätte ich sie gestern geschrieben, wäre alles ein bisschen anders dahergekommen. Denn zwischen gestern und heute liegt eine Nacht. Eine Nacht in ihrer vollen Länge, in der die kleine Nele wieder einmal aus einem nicht eruierbaren Grund das Gefühl hatte, wir hätten uns in der Zeitrechnung geirrt. Jedenfalls war sie hellwach. Nicht das erste Mal. Sie tickt dann wie ein Ührchen, und irgendwann gegen 4.00 träumt sie sich weg. Wäre Nele mein Computer, hätte ich gewusst, dass irgendwas mit der Zeitzone verschoben sein muss, hätte das Problem gegoogelt und behoben. Oder hätte sie einfach per Knopfdruck in den Stand-by-Modus verschoben. Nur hat meine Tochter weder Zeitzonen noch Stand-byModus. Schade eigentlich. So ver13

suchte ich alles nur erdenklich Mögliche, um die Zeit von 0.00 bis 4.00 Uhr zu überbrücken. Eigentlich ist es ja ein tolles Vorrecht, Kinder zu haben, die einen wach halten. Seit ich Papa bin, habe ich ab und zu ein derart aktives Nachtleben, dass es manchen um Jahre jüngeren Single vor Neid erblassen liesse. Dank der Kiddies hat man einfach viel mehr von der Nacht. Es gibt Leute, die nutzen die geschenkte Zeit positiv und lesen etwas, zum Beispiel die Bibel. Mir kommt das manchmal auch in den Sinn. Aber meistens erst um 3.55 Uhr. «Kinder sind wie Fürze», heisst es, «man erträgt nur die eigenen». Aber in solch durchwachten Nächten kann ich nicht mal mehr die eigenen «riechen». Doch Gott hat das natürlich vorausgeahnt und bei uns einen Kippschalter eingebaut. Am nächsten Morgen, wenn mich Nele aus dem Bettchen anstrahlt, macht es in meinem Herzen «Wumm!» – und (fast)

alles ist wieder vergessen. Wenn das sogar bei mir funktioniert, wie viel mehr dann beim himmlischen Vater? Wie oft geht es Gott mit uns so – wir tun Dinge, die ihm den Schlaf rauben. Vielleicht rauft er sich auch mal heftig die Haare, aber doch ist seine Liebe zu uns ungebrochen. Das war schon bei seinem Volk so, das ihn ständig enttäuschte und vor ihm davonrannte. Und trotzdem sagte er: «Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte» (Jeremia 31,3). Wunderbar, als sein Kind immer wieder so «aufwachen» zu dürfen. Übrigens – und bevor ich einen Haufen ermahnende Post kriege: Ich liebe meine Kinder! Sie haben mein Leben auf gewaltige Weise entschleunigt. Sie haben meinen Fokus zurechtgerückt, mich meinem himmlischen Vater nähergebracht und sie entwaffnen mich täglich. Ich liebe sie total. Meistens jedenfalls.

Andreas «Boppi» Boppart ist Eventprediger und Autor und leitet den Arbeitszweig Campus Generation Ministry von Campus für Christus.


Kinder entspringen dem Herzen Gottes Hinter jedem neugeborenen Kind steht die Absicht und Schöpfungskraft Gottes. Gott bezieht uns Menschen in den folgenden Entwicklungsprozess mit ein. Dabei bleibt auch unser eigenes Herz nicht unverändert.

Sabine Fürbringer

Sabine Fürbringer ist verheiratet mit Andreas und Mutter von zwei Teenagern. Sie ist Mitarbeiterin von Campus für Christus und Psychologin sowie Referentin zu seelsorgerlichen Themen, schreibt für das Christliche Zeugnis und begleitet als Coach Frauen in Leitungsaufgaben.

Um die Anfänge des menschlichen Lebens winden sich viele Geheimnisse. Bis heute kann die Forschung lediglich beschreiben, wie neues Leben entsteht. Gewisse Vorgänge sind nachvollziehbar, es lassen sich biologische Abläufe erkennen, mittlerweile sogar steuern. Erklären, weshalb sich neues Leben entwickelt und woher die Energie, die Schöpferkraft dafür kommt, gelingt aber nach wie vor nicht befriedigend. In der Bibel erkennen wir Gott, der für sich in Anspruch nimmt, Ursprung und Vollender allen Lebens zu sein. Darum lohnt es sich, über wissenschaftliche Erkenntnisse hinaus Gottes Lebensprinzipien auf die Spur zu kommen. Jedes Kind eine Idee Gottes Dem Propheten Jeremia hat Gott erklärt, wo die Anfänge seines Lebens liegen: «Ehe ich dich im Mutterschoss bildete, habe ich dich erkannt, und ehe du aus dem Mutterleib hervorkamst, habe ich dich geheiligt» (Jeremia 1,5). Am Anfang jedes neuen Lebens steht eine Idee Gottes. Es ist seine Absicht, einen Menschen nach seinem Bild zu formen, einzigartig, geplant, mit Sinn und Ziel in dieser Welt. Ohne diesen festen Entschluss Gottes entsteht kein Leben.

Was für ein Geschenk, wenn ein Kind diese Gewissheit von Anfang an vermittelt bekommt und aufsaugen kann! Auf dieser Grundlage wächst Mut und Kraft zum Leben. Sie ist Ausgangspunkt für ein freudiges Vorwärtsstreben, Antrieb zum Entdecken und zur Entwicklung. Verheissene Kinder Johannes der Täufer war so ein Kind, das um seine Ursprünge wusste. Sein Vater Zacharias hatte eine Engelsbegegnung, bei welcher der Himmelsbote detailliert die bevorstehende Schwangerschaft seiner bereits betagten Frau erläuterte. Die Nachricht muss für ihn dramatisch gewesen sein. Zacharias verlor die Sprache, und alles entwickelte sich so, wie der Engel vorausgesagt hatte. Auch bei Jesus bezog Gott die Eltern im Voraus mit ein in seine Pläne. Dadurch erhielten sie ein deutliches Bewusstsein um die Bestimmung des heranwachsenden Kindes. Die Details waren nicht klar, und bestimmt machten sie sich ihre eigenen Vorstellungen, um dieses Reden Gottes in Gedanken auszumalen. Da war auch manche Täuschung drin. Aber die tiefe Gewissheit, dass Gottes Absicht und Wille, sein Segen und seine Bestimmung auf dem ungeborenen Kind liegen, stand fest, und die Kin-

der konnten dieses Wissen schon im Mutterleib aufnehmen. Wie kostbar, wenn wir als werdende Eltern unserem Kind diese Wahrheit betend und segnend zusprechen dürfen. Dabei geht es nicht darum, dem Kind unsere Wünsche aufzuladen, es mit prophetischen Eindrücken zu überlasten und mit unseren Erwartungen festzulegen. Vielmehr darf es von Anfang an in ein Bewusstsein um seine Bestimmung eingebettet sein, die im Laufe seines Lebens immer deutlichere Konturen annehmen wird. Weil das Kind dem Herzen Gottes entspringt, hat das auch für die Rolle der Eltern klare Konsequenzen: Sie bekommen es anvertraut, dürfen die noch unfertige Persönlichkeit fortan umsorgen und leisten einen wesentlichen Beitrag, sie zu formen. Das ist eine grosse Verantwortung, die eigentlich einen intensiven Dialog mit dem Schöpfer brauchen würde. Und wenn diese Grundlage fehlt? Viele von uns sind jedoch ohne dieses Bewusstsein aufgewachsen, wurden nicht als die erkannt, die sie sind. Manche wurden aufs Sträflichste vernachlässigt. Ihre innere Kraft zum Leben konnte sich nicht voll entfalten, und sie spüren das als 18


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Erwachsene in unterschiedlichen Lebensbereichen. Die «Neugeburt», von der Jesus spricht (Johannes 3,1-8), steht auch in diesem Zusammenhang. Der himmlische Vater macht es durch Jesus möglich, dass unser Leben nochmals von Anfang an neu aufgesetzt wird. Er will uns hineinführen in die Dimension seiner Vaterliebe, die schon vor unserer Erschaffung aktiv war und uns überhaupt werden liess. «Wie soll das gehen?», wollte auch der Pharisäer Nikodemus wissen, als er mit Jesus über die Neugeburt sprach. Jesus verwies ihn auf den Heiligen Geist. Es ist der Geist Gottes, der uns in die Wahrheit führt, auch in die Wahrheit über unser Leben, seine wahren 19

Ursprünge und seine wahre Bestimmung. Aus dieser Erkenntnis wächst in uns der Drang nach vorne, das Wachsenwollen, der Mut zur Entwicklung und zum Ergreifen des Lebens in seiner ganzen Fülle. Kinder entspringen dem Herzen der Eltern Neben dem Willen Gottes, der sich ungebremst in einem neuen Menschen zeigt, überliefert uns die Bibel auch Geschichten von Eltern, die mit einem unerfüllten Kinderwunsch umgehen mussten. Wir bekommen Einblick in ihre Herzen, insbesondere in die Traurigkeit kinderloser Frauen. Sie vermissen nicht nur die Freude der Mutter-

schaft, sondern erleiden gesellschaftliche Ächtung und die Boshaftigkeit der Nebenfrauen; Neid, Minderwert und Bitterkeit setzen ihnen zu. Eine von ihnen ist Hanna. Einmal, zur Zeit des alljährlichen Opferfes«Ehe ich dich im Muttertes, an dem ihr schoss bildete, habe ich dich innerer Schmerz erkannt, und ehe du aus dem besonders gross Mutterleib hervorkamst, ist, hört sie auf habe ich dich geheiligt» zu essen und weint nur noch. Im Tempel schüttet sie ihr Herz vor Gott aus, bekommt priesterlichen Zuspruch und geht getröstet nach Hause. Als sie später tatsächlich schwanger wird, weiht sie ihren Sohn Samuel Gott. Kaum entwöhnt,


gibt sie ihn her, in den Tempel. Sie gibt ihn für seine Bestimmung frei. Aus diesen wenigen Indizien lässt sich schliessen, dass in Hannas Ringen mit Gott viel mehr geschehen ist als die Erhörung ihres Gebetes. Wäre sie auf das Kind fixiert gewesen, hätte sie es kaum so zuversichtlich wieder ziehen lassen. Im überlieferten Lobgesang von Hanna in 1. Samuel 2 wird klar, dass sie dem allmächtigen Gott begegnet ist und ihr Leben vollständig in seine Hand gegeben hat. Das zuversichtliche Unterwerfen ihres Herzens, das vorbehaltlose Ausliefern in Gottes Hand hat neues Leben ermöglicht.

Unerfüllter Kinderwunsch In diesem Zusammenhang denke ich an einige seelsorgerliche Begegnungen mit kinderlosen Frauen, die sich nichts sehnlicher wünschten, als schwanger zu werden. Sie verzweifelten beinahe an Gott, der ihnen dieses Geschenk vorzuenthalten schien. Die eine hatte den Eindruck, dass sie sich durch mehr fromme Leistung das Recht auf den Segen eines Kindes erarbeiten könne. Im offenen und ehrlichen Austausch mit dem himmlischen Vater fand sie selber in eine Kindschaft hinein, fern vom Leistungsdenken und schlussendlich auch frei von Ansprüchen, wie Gott seine Liebe zeigen müsse. Die

andere sah im Mutterwerden den einzigen Weg, ein erfülltes Leben zu führen. Auch hier war es dran, falsche Lebensziele zum Kreuz zu bringen und die Fülle des Lebens in Jesus zu suchen und nicht in einem erfüllten Kinderwunsch. Wie auch immer die Ausgangslage sein mag: Die zentralen Prozesse, die zu neuem Leben führen, geschehen im Herzen. Ob dann aus diesen Herzenswegen tatsächlich Leben in Form eines leiblichen Kindes geboren wird, steht nicht in unserer Macht. Ich habe auch Frauen erlebt, die trotz allem kinderlos geblieben sind. Doch sie haben nicht nachgelassen, ihr Herz Gott hinzustre-

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CZ 4_12 | Kinder | Kinder entspringen dem Herzen Gottes | Kolumne Filmtipp

cken und ihr Glück in ihm zu suchen – und zu finden! Neues Leben ist dabei dennoch entstanden, in Form von Kreativität, neuen beruflichen Herausforderungen, einem geistlichen Dienst, der viele Menschen berührt, in der Liebe zu Heranwachsenden oder durch eine tiefe Freude und Sättigung bei Jesus, der sie täglich entlang ihrer ganz persönlichen Bestimmung führt. Gott beansprucht unser Herz Unser eigenes Herz zu erforschen und zu durchschauen, ist ein lebenslanger Prozess. In Jeremia 17,9 heisst es zu diesem Thema: «Trügerisch [schwierig] ist das Herz, mehr als alles, und

unheilbar ist es. Wer kennt sich mit ihm aus? Ich, der Herr, bin es, der das Herz erforscht und die Nieren prüft.» So, wie Gott allein fähig ist, unser Herz zu verstehen und Zugriff auf unser Innerstes hat, so gibt es auch beim Kind einen Bereich, der für uns als Erwachsene unantastbar bleibt. Es steht uns nicht zu, dort einzudringen. Mag sein, dass es uns vor Schmerz fast zerreisst und wir nur noch Ohnmacht empfinden, wenn wir spüren, dass die Grenze unseres Einflusses erreicht ist. Wir möchten bestimmen und lenken, aber genau das ist uns in den Tiefenschichten versagt. Hier will Gott selber Gemeinschaft mit dem Kind ha-

ben, sich mit ihm verbinden. Wir dürfen teilhaben im Gebet, aber wir bleiben aussen vor. Wir sollen mit Gott im Austausch über den Lebensweg des Kindes stehen und dabei unsere Verantwortung wahrnehmen. Aber das Kind gehört nicht uns, und es steht uns nicht zu, ihm manipulierend oder gewaltsam unseren (auch gut gemeinten) Willen auff zunötigen. Wir sind zum Loslassen auff gefordert, ohne Garantie, dass sich das Kind Gott anvertraut und gute Schritte tut oder Irrwege und Zusatzschlaufen auf seinem Lebensweg einbaut. Gott, der die Herzen kennt und sich darum kümmert, wird das Kind nicht loslassen, so wie auch mich als Erwachsenen nicht.


Blickpunkt Welt | Kurt Burgherr Kindern eine Zukunft schaffen In vielen Ländern des Südens ist der grösste Teil der Bevölkerung unter 15 Jahre alt. Dies fällt sofort auf, wenn man dort unterwegs ist. Überall Kinder! In den Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas sind sie noch immer der sicherste Garant für die Altersvorsorge der Eltern. So betrachten sich diejenigen als gesegnet, die viele Kinder haben. Als Gast in diesen Ländern sehe ich einerseits, wie diese Kinder unter einfachsten Umständen leben. Ihre Armut tut ihrer Kreativität jedoch keinen Abbruch. Ich staune, wie und mit was alles sie spielen können. Andererseits bedrückt es mich, wenn ich sehe, wie ihnen kaum Beachtung geschenkt wird, wie sie unter schwierigsten Umständen (über-)leben und oft hart arbeiten müssen, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen.

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Während unserer diesjährigen Projektreise in Afrika habe ich wieder realisiert, wie wichtig Bildung ist. Die schlechten Lebensumstände haben nicht nur wirtschaftliche Ursachen. Oft hängen sie auch mit Korruption, der Politik und der Tradition zusammen, welche die Entwicklung eines Landes hemmen. Mit einer guten Bildung jedoch haben diese Kinder eine Chance, später ihr Umfeld verändern zu können. So wurden in den vergangenen Jahren in Burundi Hunderte von neuen Schulen gebaut – achtzig Prozent der Staatsausgaben gehen in die Bildung. Auch wenn diese Schulen weit entfernt sind von dem, was wir unter Schule verstehen, erhalten die Kinder dort doch Zugang zu einer elementaren Bildung. Eine ähnliche und doch ganz andere Entwicklung beobachten wir in China. Auch in diesem Riesen-

reich darf ein Kind nicht wirklich Kind sein. Da Eltern nur ein Kind haben (dürfen), setzen sie alle Hoffnung auf diesen einen kleinen Menschen. Der Druck auf die chinesischen Kinder ist extrem gross. Sie müssen zu den Besten gehören. Sie dürfen nicht scheitern. Dafür investieren die Eltern Zeit, Geld und ihre ganze Hoffnung. Bei unseren Entwicklungsprojekten stellen wir immer wieder fest: Die «Investition» in Frauen hilft den Kindern am meisten. Frauen sorgen für die ganze Familie und somit auch für die Entwicklung ihrer Kinder. Oder wie es Klaus Dewald, der Leiter von GAiN, dem deutschen Pendant zu Agape international, im Rahmen der Hilfsprogramme von «Heartbeat Tallinn» ausdrückte: «Gib einer Mutter Hoffnung, dann haben ihre Kinder eine Zukunft.»

Kurt Burgherr leitet Agape international, die Auslandtätigkeit von Campus für Christus Schweiz, mit Schwerpunkt in Gemeinde- und Leiterentwicklung sowie Entwicklungszusammenarbeit.


Was Kinder betrifft, betrifft die Mens Über die Jahrhunderte haben ganz unterschiedliche Pädagoginnen und Pädagogen mit einer (neuen) Sicht auf das Kind entscheidende gesellschaftliche Impulse ausgelöst. Zum Beispiel:

Brigitte Eggmann Maria Montessori Freude am Lernen fördern Maria Montessori (1870–1952) war eine italienische Ärztin, Reformpädagogin, Philosophin, Philanthropin und überzeugte Christin. Ihr Anliegen war es, geistig zurückgebliebene Kinder zu fördern und deren Vertrauen ins Leben zu stärken. Sie hatte festgestellt, dass diese Kinder kaum irgendwelche Gegenstände besassen, an denen sie die Wirklichkeit erfahren konnten. Als Pädagogin ging es ihr darum, die natürliche Freude der Kinder am Lernen zu fördern und dem Kind die Möglichkeiten zu bieten, sich in einer vorbereiteten Umgebung, die seinen psychischen Bedürfnissen angepasst war, mit allen Sinnen zu entfalten. Ihre Pädagogik stützt sich auf den Grundgedanken «Hilf mir, es selbst zu tun!». In ihren Augen bringt jedes Kind Offenbarungs- und Regenerationskräfte für die ganze Menschheit mit: «Ohne das Kind, das ihm hilft, sich ständig zu erneuern, würde der Mensch degenerieren.» – «Die Aufgabe der Umgebung ist nicht, das Kind zu formen, sondern ihm zu erlauben, sich zu offenbaren.» Denn: «Was Kinder betrifft, betrifft die Menschheit!»

Johann Heinrich Pestalozzi Das Recht auf Erziehung Mehr als ein Jahrhundert früher hatte Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827) erkannt, dass im Verhältnis der Mutter zu ihrem Kind die Grundlage aller Erziehung liegt. Daraus leitete er eine Verantwortung zur Erziehung gerade auch vernachlässigter und verwahrloster Kinder ab. Bereits als Zwanzigjähriger schrieb er an seine Verlobte Anna: «Wenn ich einst auf dem Land bin und einen Sohn eines Mitbürgers sehe, der eine grosse Seele verspricht und der kein Brot hat, so führ ich ihn an meiner Hand und bild’ ihn zum Bürger ... Und wenn ein Jüngling eine edle Tat tut und den Hass seiner Familie auf sich lädt, soll er bei mir Brot finden, solange ich habe!» Diesem Anspruch versuchte er gerecht zu werden, sei es als Leiter eines Waisenhauses in Stans oder als Lehrer und Institutsleiter in Yverdon. Kinder bewegten Pestalozzis Herz: «Was ist süsser als Kinderfreude, und was ist reiner als Kindergüte?», schreibt er in seinem Roman «Lienhard und Gertrud». Kinder waren für ihn von Gott als Individuen geschaff fene Persönlichkeiten und keine anonyme Massenware. «Gott ist es selber, der die Ungleichheit der Menschen durch die Ungleichheit der Gaben gegründet, die er einem jeden von uns verliehen; aber er hat sie mit väterlicher Liebe und Weisheit unter

seine Kinder verteilt, und wir sollen darin mit menschlicher Liebe und Weisheit benützen und leisten, was er mit göttlicher Liebe und Weisheit also gegründet.» Einer seiner Erziehungsgrundsätze lautet: «Ihr müsst die Menschen [Kinder] lieben, wenn ihr sie ändern wollt. Euer Einfluss reicht nur so weit wie eure Liebe.» Charlotte Mason Den Verstand des Kindes wertschätzen Charlotte Mason (1842–1923) lebte in England und entwickelte eine Pädagogik, die vor allem auf der Arbeit mit authentischem Material beruht. Wichtiger Bestandteil waren dabei sogenannte «lebendige Bücher» (living books). Damit sind Originaltexte gemeint und nicht simplifizierte Texte oder speziell für Schüler erstelltes Unterrichtsmaterial. Denn: «Auch der Nüchternste unter uns findet einen Beweis, dass Kinder einen Verstand haben, der erstaunlich wach ist.»Die Kinder lesen darum echte Bücher und erzählen die Handlung nach. Mason betont die Elternverantwortung, die Priorität der Charakterentwicklung und das Bewusstsein, dass es beim Lernen um Beziehung und nicht in erster Linie um Wissen geht. Weitere Säulen ihrer «geistigen Ernährung» sind das Studium der Natur und die Entwicklung eines Sinnes für Musik- und Kunstwerke. 36


Jean Piaget Die Welt neu erfinden Jean Piaget (1896–1980) war ein Schweizer Entwicklungspsychologe. Sein Grundlagenwerk «Das Wachsen des logischen Denkens von der Kindheit bis zur Pubertät» betont, dass für die Entwicklung des Denkens nicht allein genetisch determinierte Vorgaben oder Umweltfaktoren entscheidend seien, sondern das wechselseitige, gestaltende Einflussnehmen des Menschen. Menschen, damit auch Kinder, verändern sich, indem sie auf Einflüsse der Umwelt reagieren, sich ihnen anpassen, sie aber auch selbst beeinflussen. Piaget betrachtete Menschen als «offenes System», und das hat für ihn Konsequenzen für die Bildung: «Das Ziel von Bildung ist nicht, Wissen zu vermehren, sondern für das Kind Möglichkeiten zu schaff fen, zu erfinden und zu entdecken, [und so] Menschen hervorzubringen, die fähig sind, neue Dinge zu tun.» Piaget wehrte sich vehement gegen den klassischen Behaviorismus (das Konditionieren rechten Verhaltens) und verfocht: «Jedes Mal, wenn wir einem Kind etwas frühzeitig beibringen, das es später für sich selbst hätte entdecken können, wird diesem Kind die Chance genommen, es selbst zu erfinden und es infolgedessen vollkommen zu verstehen.» 37

Jean-Jacques Rousseau Kindheit für alle Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) war ein Philosoph, Querdenker, Schriftsteller, Naturforscher und Komponist der Aufklärung, der die Gesellschaftsordnung seiner Zeit in Frage stellte. Er gilt als «‹Erfinder› der Zivilreligion, die den Einsichten der Vernunft, nicht den Weisungen religiöser Autoritäten und Dogmen, folgen soll ...», wie es Stefan Schneiter im Juli 2012 in «reformiert» formulierte. Rousseau war auch Vater mehrerer Kinder, die seine Lebensgefährtin aus verschiedenen Gründen in eine Einrichtung für Findelkinder geben musste. So mögen seine Aussagen zu Kindern erstaunen: «Das süsseste Glück, das es gibt, ist das des häuslichen Lebens, das uns enger zusammenhält als ein andres. Nichts identifiziert sich stärker, beständiger mit uns als unsere Familie, unsere Kinder.» Und doch sind sie für unsere Zeit bemerkenswert: «Die Natur will, dass die Kinder Kinder seien, ehe sie Männer werden. Wollen wir diese Ordnung umkehren, so werden wir frühreife Früchte hervorbringen, die weder Saft noch Kraft haben: junge Gelehrte und alte Kinder.» Und weiter: «Lasst die Kindheit in den Kindern reifen.» Und: «Kindererziehung ist ein Beruf, wo man Zeit zu verlieren verstehen muss, um Zeit zu gewinnen.»

menius daktische enius (15 meine Schulpflicht uch für Mädchen. nicht einfach nanderreihen, en alle Sinne einsetzen und sich auf diese Weise Wissen aneignen. Was Comenius darüber hinaus über die Fähigkeiten des Menschen äussert, steht immer unter dem Vorzeichen, dass «der Mensch von Gott in Christus wiederhergestellt wird» und nichts weiter benötigt als einen leichten Anstoss und einige kluge Anleitungen. In seiner letzten Schrift, «Unum necessarium» (Das eine Notwendige), die er mit über sechzig Jahren schrieb, plädiert er für eine Bildung mit Lebensund Alltagsbezug und fordert, man müsse «die Jugend in den Schulen aus dem beschwerlichen Labyrinth herausführen, worin sie verwickelt worden war».

Verwendete Literatur Schaeffer Macaulay, Susan: Um der Kinder willen. Zeitlose Bildungs- und Erziehungsgrundlagen. Lizenznehmer: Verein für CharlotteMason-Schulen Schweiz, ISBN 9783-033-00969-1. Pestalozzianum Zürich: Auf den Spuren Pestalozzis. Stationen seines Lebens. Pestalozzianum Verlag 1996, ISBN 3-90752637-6. Kummer, Daniel;

Und nicht zu vergessen: Jesus Christus – der Freund der Kinder Kinder verändern uns und erschliessen uns neue Horizonte. Jesus sagt es deutlich: «Wenn ihr euch nicht ändert und so werdet wie die Kinder, kommt ihr nie in das Reich Gottes» (Matthäus 18,3). Um Gott und seine Liebe zu erfassen, braucht es das Herz eines Kindes. Kinder sind bereit, unbeschwert Liebe und Zuwendung zu empfangen, ohne zu fragen, was sie dafür geben müssen. An ihnen sollen sich Erwachsene in ihrem Verhältnis zu Gott ein Beispiel nehmen, und sie werden dabei erfahren: «Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf» (Matthäus 18,5).

Schmid, Andreas: Grundzüge einer christlichen Pädagogik. 22.09.1997, www.evbg.ch. Ringwald, Alfred: Menschen vor Gott. Persönlichkeiten aller Zeiten weisen zum Ewigen. Band II. Stuttgart: Verlag Junge Gemeinde.


Das Wort des Missionsleiters | Hanspeter Nüesch

Kindlichkeit heisst: «Papi kann alles!» Wenn ich gefragt werde, was unser Missionswerk auszeichnen soll, dann kommt mir spontan «Kindlichkeit» in den Sinn. Nichts wünsche ich mir mehr, als dass wir bei all unseren Erfahrungen und Erkenntnissen kindlich einfach bleiben.

Hanspeter Nüesch, Missionsleiter von Campus für Christus Schweiz.

Warum weise ich der Kindlichkeit einen so hohen Wert zu? Vielleicht hilft es zum besseren Verständnis, das Gegenteil von Kindlichkeit zu beschreiben: Abgehobenheit, Abgeklärtheit, Erfahrungsorientiertheit, Leidenschaftslosigkeit, Professionalismus, Routine, Abgebrühtheit, Distanziertheit, Verschlossenheit, Misstrauen. Einem Kind ist das alles fremd. Ein Kind lebt leidenschaftlich, es kann ungestüme Freude ausdrücken, kann etwas bestaunen, vertraut den Eltern blindlings. Gottes Weisheit ist nicht abgeklärt Mit dem Älterwerden verlernen viele Menschen das Staunen und werden zunehmend abgeklärt. Im Wörterbuch der Synonyme steht für «abgeklärt»: «weise» und «leidenschaftslos». Sicher ist Weisheit eine anzustrebende Eigenschaft. Die Weisheit, die von Gott kommt, ist jedoch eine leidenschaftliche Weisheit, kein abgehobenes, cooles Über-der-Sache-Stehen. Viele Christen verlernen mit der Zeit das Staunen über Gottes Liebe und Wunder. Sie glauben eher ihren Erfahrungen als den biblischen Verheissungen. Sie meinen, genau zu wissen, was Gott zu tun vermag und was nicht. Sie haben die kindliche Überzeugung, dass ihr Vater alles kann, aufgegeben. Das Feuer in ihrer

Gottesbeziehung ist als Folge davon erloschen. Leidenschaftlich und lernbereit leben So wie wir das Feuer in unserer Beziehung zu unserem Ehepartner aktiv am Leben erhalten müssen, indem wir ihm gegenüber unsere Liebe und unser Vertrauen immer neu ausdrücken, so müssen wir auch täglich unser Glaubensfeuer am Brennen erhalten, indem wir unsere Liebe Gott gegenüber ausdrücken und im Vertrauen auf ihn Glaubensschritte machen. Das oberste biblische Gebot ist, Gott von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit unserm ganzen Gemüt zu lieben, also kurz gesagt: leidenschaftlich. Meine kürzlich verstorbene Mutter hat immer wieder betont: «Gottes Leidenschaft für uns muss von uns beantwortet werden mit Leidenschaft für ihn und die Welt.» Obwohl sie Grund gehabt hätte, etwas «abgehoben» zu sein – sie initiierte die St. Galler Kulturstiftung und war die erste Frau, die den Grossen Rat des Kantons St. Gallen präsidierte –, blieb sie in ihrem tiefsten Wesen sehr kindlich. Ihre Lebensdevise war, gerade auch angesichts mancher altersbedingter Beschwerden: «Freude dennoch, Freude leben, Freude weitergeben.» Sie betonte, es sei täglich spannend zu entdecken, welche Aufgabe

Noch mit 80 Jahren nahm die Mutter des Autors, Johanna Nüesch (1917–2012), Klavierstunden.

Gott bereithalte, um irgendwo ein kleines Licht anzuzünden. Und sie hatte eine Eigenschaft, die Kinder im Speziellen auszeichnet: ihre Lernbereitschaft. Das drückte sie so aus: «Ich möchte nie zu Bett gehen, ohne mich zu fragen: ‹Jöli (Koseform von Johanna), was hast du heute wieder gelernt?›» Nicht bei unseren Erfahrungen stehen bleiben Für die Zukunft unseres Missionswerks, aber auch für den Leib Christi in unserem Land generell, wünsche ich mir mehr als alles andere, dass wir bei allen Erfahrungen, aus denen wir lernen sollen, nie das kindliche 38


CZ 4_12 | Kinder | Kindlichkeit heisst: «Papi kann alles!»

Lernen wir wieder, wie Kinder unsere Freude und Begeisterung zu zeigen! Im Bild Stephan Nüesch, Sohn des Autors (Aufnahme von 1981).

Staunen über Gottes Liebe und Macht verlernen. Ich wünsche mir, dass unsere Augen leuchten, wenn wir von Jesus Christus und seinen Wundern sprechen, und dass wir nie zu professionell-abgebrühten, leidenschaftslosen Christen werden, die den Namen «Braut Christi» kaum verdienen. Ich wünsche mir, dass wir ein weiches Herz bewahren, sodass wir ein Leben lang formbar bleiben und sensibel für die Leitung des Heiligen Geistes, und dass wir stets offen sind für die grösseren Segnungen, die Gott uns noch schenken möchte. Kindlichkeit konkret Kindlich zu bleiben, heisst, einfach zu bleiben im vollen Vertrauen auf die Kraft des einfachen Evangeliums. Kindlich zu bleiben, heisst, abhängig zu bleiben, im Bewusstsein, dass wir es allein nicht schaffen. Kindlich zu bleiben, heisst, ehrlich zu unseren Schwächen zu stehen und Hilfe zu beanspruchen. Kindlich zu bleiben, heisst, unser ganzes Vertrauen in den Vater zu setzen, nicht in die eigenen Erfahrungen und Gaben. Kindlich zu bleiben, heisst, leidenschaftlich zu leben und immer neu zu staunen ob der Liebe und Grösse unseres Vaters. Kindlich zu bleiben, heisst, nicht auf die Meinung unserer Umwelt zu 39

schauen, sondern einzig danach zu streben, dem Vater zu gefallen. Kindlich zu bleiben, heisst, offen für Neues zu sein; für total neue Wege, die der Vater uns zeigt. Kindlich zu bleiben, heisst, vorwärtszuschauen und Grosses von unserem Vater zu erwarten, Dinge, die unsere Vorstellungen übersteigen. Kindlich zu bleiben, heisst, Dinge zu wagen im Vertrauen darauf, dass «Papi alles kann». Immer wieder alles von Gott erwarten Letztes Jahr sind meine Frau und ich zum ersten Mal Grosseltern von zwei Mädchen geworden. Sie sind mir ein Anschauungsobjekt, was Kindlichkeit heisst. Mit einem Jauchzer lassen sie sich in die starken Arme der Eltern fallen. Sie zeigen ihre ungestüme Freude und schreien ihre Anliegen heraus, ob wir das lieben oder nicht. Ich bin sicher, dass unser Vater im Himmel es liebt, wenn wir immer wieder zum Ausdruck bringen, dass er der Grösste ist, und wir täglich Wunder von ihm erwarten, eben genauso wie es Kinder tun. Denn als Christen können wir mit Überzeugung bekennen: «Papi ist der Grösste. Er kann alles.» Alina macht die ersten Schritte im Vertrauen darauf, dass ihre Eltern Stephan und Hanna Nüesch sie halten, wenn sie fällt.


CZ 4_12 | Inserate

Impressum Herausgeber | Campus für Christus Josefstrasse 206, 8005 Zürich, Tel. 044 274 84 84, www.cfc.ch Campus für Christus ist eine überkonfessionelle Organisation mit rund zwanzig in der Erwachsenenbildung, Diakonie und Mission tätigen Dienstzweigen. Darunter fallen u. a. Beratung und Schulung in lokalen Landes- und Freikirchen, Studentenarbeit/Dozentenforum, Agape-Mission/ Entwicklungshilfe, Athletes in Action, Crescendo-Berufsmusiker, Christen im Dienst an Kranken, FamilyLife, campus generation ministry und EXPLO-Schulungskonferenzen. Verlag | Christliches Zeugnis Josefstrasse 206, 8005 Zürich, Tel. 044 274 84 34, Fax. 044 274 84 83 E-Mail: christlicheszeugnis@cfc.ch, www.christlicheszeugnis.ch ISBN 978-3-905789-38-6 ISSN 1662-243X Auflage | 4927 Gemeinnützige Organisation, WEMF-bestätigt Redaktion | Verantwortlicher Redaktor: Peter Höhn (ph) Brigitte Eggmann (be); Sabine Fürbringer (sb). Mitarbeiter an dieser Nummer: Roger Götz, Tamara Krone, Samuel Müller Copyright | Wiedergabe von Artikeln und Bildern nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Grafik und Satz | 720.ch, Schaffhausen Druck und Versand | Jordi AG, Belp, klimaneutral gedruckt Erscheinungsweise | Vierteljährlich Abonnement | Schweiz: SFr. 28.–, Ausland: SFr. 36.–/€ 22.–, inkl. Versandkosten (Preisänderungen vorbehalten) Inserate | Das Christliche Zeugnis publiziert grundsätzlich nur Inserate von Campus für Christus bzw. von CfC-Partnerschaftsprojekten sowie von Veranstaltungen, die das landesweite Miteinander des Leibes Christi im Fokus haben. Kündigungsbedingungen | Auf Ende Jahr telefonisch/schriftlich Bildnachweis | Titelseite: Privat; S. 3, 13, 24, 25, 35 rechts, 38 links Campus für Christus; S. 4, 7, 10, 12, 14, 15, 16, 17, 18, 21, 29 links, 29 rechts, 31 oben, 32, 34, 38 rechts, 39, 43 Privat; S. 8 Christian Bachmann; S. 9 Adonia/Markus Hottiger; S. 11, 12, 36, 37 oben links istockphoto.com; S. 22 Bernd Eidenmüller, Stuttgart; S. 26, 27 Serafin Fürbringer; S. 40 aus «Die Weihnachtsgeschichte, wie sie in der Bibel steht»; S. 42, 44, 45, 46, 47 Agape Russland; S. 48 Campus Generation Ministry; S. 49 oben FamilyLife; S. 49 unten Christen im Dienst an Kranken. Kinderzeichnungen: S. 3, 9, 10 Meret; S. 4, 5 rechts, 7, 18 Tabea; S. 5 Mitte, 6, 19, 20, 30, 31 Anja; S. 14-17 Angela, Marco und Nicola, Meret; S. 29 links Privat; S. 33, 35 Marco; S. 56 Anja, Angela, Meret.


«Drei Dinge sind uns aus dem Paradies verblieben: Sterne, Blumen und die Kinder.» Dante Alighieri

«Ein Kind lieb haben heisst: es in seiner Art und Unart, in seinen Freuden und Schmerzen ganz ernst zu nehmen.» Friedrich von Bodelschwingh

«Ein Kind bewegt das Oberste zuunterst – und rückt gleichzeitig alle Dinge an ihren richtigen Platz.» Alain Delon, Filmschauspieler

«Es gibt Menschen, die das wahrhaft kindliche Wesen durch das ganze Leben hindurch behalten. Sie gehören immer zu den Besten, manchmal auch zu den Intelligentesten.» Carl Hilty

«Mütter verstehen, was Kinder nicht sagen.» Jüdische Weisheit

«Christus, da er Menschen ziehen wollte, musste er Mensch werden. Sollen wir Kinder ziehen, so müssen wir auch Kinder mit ihnen werden.»

«Kinder haben den Älteren noch nie besonders gut zugehört, aber sie versäumen es nie, sie nachzuahmen.» James Baldwin, amerikanischer Schriftsteller

Martin Luther

«Kinder und Uhren dürfen nicht beständig aufgezogen werden. Sie müssen auch gehen.»

«Kinder brauchen Vorbilder, keine Kritiker.» Joseph Joubert, französischer Mystiker

Jean Paul

«Kinder sind eine Brücke zum Himmel.»

«Kinder sind in erster Linie Kinder, auch wenn heute von allen möglichen Seiten versucht wird, ihnen die Kindheit zu nehmen, indem man sie allzu früh mit den unbewältigten Problemen der Erwachsenen konfrontiert, anstatt ihnen Zeit zu lassen, Kinder zu sein.»

Persisches Sprichwort

Otfried Preussler

«Das Kind ist wie ein Pergament, dicht beschrieben mit winzigen Hieroglyphen, von denen du nur einen Teil zu entziffern vermagst.»

«In den ersten Lebensjahren eines Kindes bringen ihm die Eltern Gehen und Sprechen bei, in den späteren verlangen sie dann, dass es still sitzt und den Mund hält.» Johann Nepomuk Nestroy

«Jedes Kind, das zur Welt kommt, predigt sogleich das Evangelium der Liebe.» Karl Ferdinand Gutzkow, deutscher Schriftsteller und Journalist

Janusz Korczak


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