2_09_versöhnt_Kurzversion

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Zeitschrift der überkonfessionellen Bewegung Campus für Christus Schweiz

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versöhnt leben


I N H A L TE D I T O R I A L versöhnt leben | inhalt

versöhnt leben | editorial

Inhalt ZUM THEMA

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Vier Arten des Vergebens Die Bibel zum Thema von Andrea-Giorgio Xandry

«Du Elende, Sturmbewegte, Ungetröstete» Eine traumatisierte Frau findet zum Leben

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Kolumnen «von Wegen!» und «New Generation» Fredy Staub und Andreas Boppart über Versöhnung

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Sich mit dem Leben versöhnen, das bedeutet weder, dass ich mich resigniert abfinde, noch dass ich feige davonlaufe …

Wiedergutmachung im Strafvollzug

Der verlorene Sohn ... Vielleicht bin ich zu sehr sensibilisiert dafür. Aber mir fällt auf, wie sich das Thema dieses Heftes «Versöhnt leben» wie ein roter Faden auch durch die übrigen Aufgaben zieht, an denen ich in den letzten Wochen dran bin. In mehreren Beratungsgesprächen – mit einzelnen Menschen, mit Ehepaaren, mit Mitarbeitenden – ging und geht es letztlich immer wieder um die Frage: Bin ich versöhnt mit dem Leben, wie es ist? Bin ich versöhnt mit mir selbst?

... als Musical «The Voice»

Kolumnen «Filmtipp» und «Medien» Andy Schindler-Walch und Markus Baumgartner

Unfallstelle Ehe

AUSLAND

Versöhnt leben lernen, wenn alles zerbricht

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Wir fragen nicht mehr: «Woher kommst du?»

KULTUR

Eine Suche nach Identität

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Versöhnte Dorfkirchen

Kleine Schritte auf dem Weg zum Ausgleich

Sabine Fürbringer: Gott will Schmerzenskinder adoptieren

«Ich war nicht der Sohn, den mein Vater haben wollte»

Wer versöhnt ist, der überzeugt

Kolumne «Farbe bekennen» René Bregenzer: Das Zufahrtssträsschen

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Kolumne «beziehungsweise»

Editorial

Scheidung aufarbeiten Interview von Peter Höhn mit Georges Morand

Scheiden tut weh Stefania Moser: Mediation als Weg, das Leben zu ordnen

Scheidungskinder Christian Mantel: Was Kindern hilft, wenn Eltern auseinander gehen

Hochzeit in Venedig

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«Schuldscheine abgeben und Müllsäcke entsorgen»

Kolumne «Unterwegs erlebt»

HINWEISE

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Damit Versöhnung praktisch wird Dossier von Tom Sommer und Jens Kaldewey

Mit der Krise kommt die Chance

Roland Kurth: Wenn es in unseren Köpfen rumort ...

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Wenn zwei zweimal heiraten

Ukraine

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Was mir auffällt: Wer unversöhnt ist – sei es mit Gott, mit Menschen, mit Situationen, mit sich selbst –, der bleibt innerlich irgendwie gebremst, gelähmt, blockiert. Der lebt «gespalten», ist nicht im Einklang. Der kann nicht von innen heraus überzeugt handeln, auch nicht überzeugt glauben und beten. Jakobus empfiehlt Menschen, denen es so geht: «Reinigt eure Herzen, ihr Wankelmütigen [wörtlich: ihr Menschen mit zwei Seelen]» (Jakobus 4,8). Anders gesagt: Werdet euch bewusst, wo ihr mit etwas nicht im Reinen, wo ihr mit etwas nicht versöhnt seid. Sonst könnt ihr nicht

CFC International Agape Österreich

CFC National Leiterkonferenz in Genf, Gott finden im Internet, Engadiner Skimarathon

Produkte/Agenda/Inserate/Impressum

Armida Kolb erzählt, wie Versöhnungsseminare helfen

ZUM SCHLUSS

Die Elektrizität fiel aus Hanspeter Nüesch: Das Wort des Missionsleiters

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Themen, die weiterhelfen Aktion: Christliches Zeugnis zum Sammeln und Weitergeben

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überzeugt, authentisch und mit Herzblut leben. Sich mit dem Leben versöhnen, das bedeutet weder, dass ich mich resigniert abfinde, noch dass ich feige davonlaufe. Vielmehr geht es – wie die Lebenszeugnisse in diesem Heft zeigen – darum, dass ich mich eigenverantwortlich und aktiv mit den unversöhnten Anteilen meines Lebens auseinandersetze. Das bedeutet erstens: Ich höre auf, meine unversöhnten Anteile auf meine Eltern, meine Nächsten, meinen Ehepartner, auf Gott oder auf die Umstände zu projizieren. Ich entlasse sie aus dem Gefängnis meiner Ansprüche. Zweitens: Ich nehme mein eigenes Leben in die Hand und bringe es samt seinen schwierigen, dunklen, zerbrochenen und schwachen Seiten zum Schandpfahl des Kreuzes, wo Jesus sich für alle und alles zum Sündenbock hat machen lassen. Hier allein ist Vergebung und Heilung zu finden. Hier allein kann ich Gottes uneingeschränktes Ja zu mir hören, das ich bisher von Menschen erwartet habe, aber nur Jesus mir geben kann. Hier allein

kann ich erleben, wovon Susanne Bogenmann in ihrer eindrücklichen Lebensgeschichte erzählt: dass Jesus aus den Trümmern meines Lebens Kapital werden lässt und den Mist meines Lebens in fruchtbare Erde umwandelt, auf der neue, gute Saat heranwächst. Je mehr jeder von uns seine Hausaufgaben in Sachen Versöhnung macht, je mehr sich jeder von uns konsequent von Jesus zeigen lässt, wo denn um Himmels willen der Balken im eigenen Auge sitzt, desto mehr werden wir – wie schon Friedrich Nietzsche es wünschte – «als Christen erlöster aussehen» und als Menschen überzeugen. Oder wie Thomas von Kempen in der «Nachfolge Christi» schrieb: «Je mehr ein Mensch EINS mit sich selbst und innerlich zur Ruhe gekommen ist, umso tiefere Einsicht gewinnt er in das Wesen aller Dinge, weil er das Licht der Erkenntnis von oben empfängt.» Ich wünsche Ihnen Mut für den nächsten Schritt auf Ihrem Versöhnungsweg. Peter Höhn

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AUFARBEITEN

versöhnt leben | scheidung aufarbeiten

Z U R P E R S O Morand N Georges

Scheidung aufarbeiten Interview mit Georges Morand Georges Morand hat selbst eine Scheidung durchlitten und verarbeitet. In der reformierten Kirchgemeinde Gossau ZH bietet er als diakonischer Mitarbeiter «Workshops für getrennt lebende und geschiedene Frauen und Männer» an.

Interview: Peter Höhn CZ: Welche Gründe können dazu führen, dass eine Ehe einfach nicht mehr zu retten ist? Georges Morand: Wenn einer von beiden nicht mehr will, sich verabschiedet – äusserlich oder innerlich. Zur Rettung braucht es beide, und das ganz! Ich bin davon überzeugt, dass die meisten Schwierigkeiten in der Ehe zu überwinden sind. Wenn aber einer von beiden keine Hoffnung mehr hat, ist die beste Rettungsaktion des anderen oder die Hilfe von aussen meist wirkungslos. Wer kann sagen, wann bzw. ob eine Ehe gestorben ist? Normalerweise nur die Betroffenen selbst. Und genau das ist für die Betroffenen happig, weil sie für ihre Entscheidung absolut selbst Verantwortung übernehmen müssen. Es wäre einfacher, sagen zu können: «Der und die hat mir gesagt, es sei hoffnungslos!» Denn das schlechte Gewissen quält, Schamgefüh­ le und grosse Ängste plagen einen, und man fragt sich, ob man wirklich alles zur Rettung getan hat. Bei mir war es so, dass ich erst ein paar Monate, nachdem 16

wir uns wegen einer Affäre meiner damaligen Frau getrennt hatten, tief in mir drin spürte, dass es nun kalt, tot, aus war. Das war nach 24 Jahren eine ganz neue Erfahrung, nicht zu verwechseln mit Gefühlen in Flauten und Krisen. Diese Feststellung war für mich schrecklicher – vergleichbar mit dem Katastrophengefühl, das einen befällt, wenn man mitten in der sibirischen Kälte mit letzter Kraft das letzte Streichholz verbraucht hat – und es kein Überleben mehr gibt. Welches sind deine wichtigsten Erfahrungen im Begleiten der Männer und Frauen, die ihre Scheidung aufarbeiten möchten? Gerade haben wir unseren ersten «Workshop für getrennt lebende und geschiedene Frauen und Männer» beendet. Ich gab ihnen die Aufgabe, auf die eine Seite eines Plakates gross zu schreiben, wie sie oder mit welchen Gefühlen oder mit welcher Haltung sie vor neun Monaten zum Workshop gekommen waren. Auf der anderen Seite des Plakates sollten sie beschreiben, wo sie heute stehen. Jede und jeder hat einen Wachstumsschub gemacht, steht an einem andern Ort. Ich war tief berührt.

Eine Teilnehmerin schrieb mir später: «Ich habe mich selbstmitleidig als Opfer gefühlt. Durch den Workshop konnte ich mich von der Opferrolle verabschieden und mich selbstkritisch auch als Täter erkennen. Und das Beste: Gott liebt mich trotzdem!» Ein Mann schrieb: «Der Workshop hat mir geholfen, die Beziehung zu Gott/Jesus aufrechtzuerhalten. Die behandelten Themen trafen die wunden Punkte - gute Balance zwischen Aufarbeitung der Vergangenheit, sich den Problemen der Gegenwart stellen und die Zukunft mit Zuversicht anpacken. Da die Kursleitung ebenfalls zu den Direktbetroffenen gehörte, waren die vermittelten Themen besonders glaubwürdig.» Wie habt ihr diesen Workshop praktisch durchgeführt? Vier Workshopabende bieten für Betroffe­ne Verarbeitungshilfen und öffnen neue Lebensperspektiven für die näch­ste Wegstrecke. Als Leitfaden benutzten wir das Buch von Jim Smoke «Blüten aus der Asche meines Lebens. An einer Scheidung nicht zerbrechen». Die Aben­de verteilten wir auf zwei Monate, da viele Betroffene wenig zeitlichen Freiraum haben. Alle lasen im Voraus das cz 2|09

angekündigte Kapitel. Kern des Abends war für die Teilnehmenden eindeutig die Zeit in den Kleingruppen (vier bis fünf Leute pro Gruppe). Normalerweise starteten wir im Plenum mit einer thematische Einführung oder eine Ergänzung zum Gelesenen. Auch Einzelarbeiten zur Vertiefung und Konkretisierung setzten wir regelmässig und gezielt ein. Den Abend beendeten wir im Plenum mit einem Wegwort und Gebet. Der Glaube ist nicht vorausgesetzt, fliesst aber mit ein. Das Buch hat im letzten Drittel viele praktische Hilfen für das Gespräch oder zur Selbstarbeit. Wichtig ist, eine sinnvolle Auswahl zu treffen. Die Menge überfordert sonst. Nach dem VierAbend-Workshop fragten wir, wer Interesse an einer Fortsetzung habe. Bis auf eine Person machten alle nach den Sommerferien mit einem Fünf-Abend-Modul weiter. Die Gruppe wuchs richtiggehend zusammen. Wie kann ich hilfreich reagieren, wenn sich in meinem Umfeld ein Ehepaar oder ein Ehepartner auf Trennung/Scheidung zubewegt? Was haben wir bei einem Unfall als Erstes zu tun? Logischerweise Anteil nehmen statt beschuldigen. Viele sind überfordert, ähnlich wie mit Trauernden. «Gnädig, barmherzig und voller Güte ...», sagt die Bibel. Zuhören, mitweinen, Raum schaffen, aus den vier Wänden cz 2|09

Georges Morand, 49, geschieden, vier erwachsene Kinder, wohnhaft in Ottikon ZH. Der Coach und Theologe ist Coautor des Buches «Entdecke dein Potenzial». In der Reformierten Kirchgemeinde Gossau ZH ist er verantwortlich für die Förderung von über 400 Ehrenamtlichen sowie Gründer von morandcoaching.

locken, seelsorgerlich-therapeutische Gespräche ermöglichen (finanziell reicht es oft kaum dazu) usw. Meist kann man nicht mit beiden Teilen ein vertrautes Verhältnis behalten, auch wenn man sich das wünschten würde. Manchmal geht das aber später wieder.

27 h «untertauchen» Die Lebensbalance neu gestalten, in klösterlichem Umfeld direkt am See. Gönnen Sie sich eine Zäsur im Alltag.

Was ist dir sonst noch wichtig im Zusammenhang mit dem Verarbeiten bzw. Aufarbeiten einer Scheidung? Erstens: Der Umgang mit eigenem Scheitern und mit Gescheiterten fällt uns Christen komischerweise sehr schwer. Warum wohl? Fühlten sich nicht gerade Gescheiterte ganz besonders von Jesus angezogen, hingegen von den Pharisäern und Schriftgelehrten abgestossen? Wie kommt das? Christuszentrierte Kirche lebt Gnade für alle Arten von Gescheiterten – sonst verdient sie diesen Namen nicht. Zweitens lehrt mich die Erfahrung: Kinder leiden enorm unter einer Scheidung. Aber Ostern gilt auch ihnen, und deshalb können auch sie an einer Scheidung wachsen. Dieser Hoffnungsansatz liess mich als Vater anders mit meinen Kindern umgehen. Mit diesem Wissen muss ich nicht aus Schuldgefühlen durch Verwöhnen und Schützen alles wiedergutzumachen versuchen. Auch Kinder können durch Existenzkrisen wachsen. David Ben Gurion sagt: «Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.»

29. und 30. Juni oder 2. und 3. Dezember 2009 «entkorken» Der Lebensgeschichte die Zukunft entlocken. Nutzen Sie das Plus & Minus Ihrer Biografie!

11. bis 13. Oktober 2009 «meistern» Das Leben fokussieren, inspirieren, stärken. Erweitern Sie durch Coaching Ihre Fach- und Lebenskompetenz. Informationen dazu auf :

www.morandcoaching.ch

• Jim Smokes «Blüten aus der Asche meines Lebens» hilft Menschen, eine Scheidung nicht nur zu erleiden, sondern auch an ihr zu wachsen. 17

ISBN 978-3-86122-709-0


versöhnt leben | damit versöhnung praktisch wird

Konflikte im täglichen Miteinander

Innere Verabschiedung von unerfüllten Lebenswünschen

Vier Arten von Ursachen – vier Arten von Versöhnung

Seelsorgerliche Impulse

Jens Kaldewey

Viele Konflikte im täglichen Zusammenleben eskalieren, weil wir das «falsche Etikett» daraufkleben. Besonders stark ist unsere Tendenz, etwas als «Schuld», als «Sünde», als «böse» zu bezeichnen, was in Wirklichkeit überhaupt nicht aus böser Absicht geschah. Es gibt mindestens vier Ursachen von Konflikten. Allerdings sind sie oft miteinander vermischt und nicht immer leicht zu trennen. Es lohnt sich aber, diese Trennungsarbeit zu leisten, um im dazugehörenden Versöhnungsprozess nicht in eine Sackgasse zu geraten. 1. Es gibt Versöhnung mit schuldhaftem Verhalten durch Vergebung. 2. Es gibt Versöhnung mit Missverständ­ nissen durch Verständnis. Gewisse mich verletzende Verhaltensweisen meines Nächsten beruhen nicht auf bewusster Sünde, sondern auf Un­wis­ senheit, anderen Überzeugungen oder anderer Gewissensprägung. So entstehen Missverständnisse, die nicht wirklich durch Vergebung aufgelöst werden können, sondern nur durch Verständnis infolge ausreichender Kommunikation. 3. Es gibt Versöhnung mit Fehlern meines Nächsten durch Verzeihung und Grosszügigkeit. Es kommt vor, dass mein 28

Nächster etwas verkehrt macht, was mich wirklich ärgert. Er vergisst etwas, lässt etwas fallen, macht etwas kaputt, richtet Schaden an – aber ohne böse Absicht! Hier bin ich gefordert, diesen Fehler zu verzeihen. Ich darf allerdings Wiedergutmachung erwarten und die­ se Erwartung auch bekunden – aber ohne Wut, Vergeltungsaktionen, Druck, Gewalt. 4. Es gibt Versöhnung mit Mängeln und unveränderbaren Schwächen meines Mitmenschen durch Annahme. Ich neh­me den anderen in einem bewuss­ ten Akt der Annahme so an, wie er ist, und verzichte darauf, ihn anders zu machen. Ich finde mich ab – aber nicht in einer selbstmitleidigen Opferhaltung, sondern im Vertrauen, dass Gott mich im Grossen und Ganzen meines Lebens nicht zu kurz kommen lässt, dass ich trotz dieses Defizits ein erfülltes Leben führen kann.

Schritte der Versöhnung 1. Innehalten und anschauen: Nichts überstürzen! Ruhig bleiben, beten und gut überlegen: Worum geht es hier? Ist das, was der andere «verbrochen» hat, Sünde? Ein dummer Fehler? Oder etwas, was er einfach nicht verändern kann? Oder habe ich vielleicht etwas falsch verstanden, könnte es sich um ein «ganz blödes» Missverständnis handeln?

2. Beten: Nicht als religiöser Akt, sondern wirklich fragen: «Herr, was sagst du? Was soll ich tun? Was habe ich beigetragen? Hilf mir, jetzt nicht vorschnell zu verurteilen und zu handeln.» 3. Die richtige Versöhnungsmassnahme ergreifen: Das könnte eine der folgen­ den sein: - Kontakt aufnehmen, das Gespräch suchen mit aller Offenheit für den anderen («Im Zweifelsfall für den Angeklagten»): «Du, ich habe heute Morgen dein Verhalten nicht verstanden, du bist so plötzlich verschwunden. Was war los?» - Im Gebet dem anderen seine Schuld vergeben, das heisst: die Schuld aus der Beziehung entfernen, den anderen nicht in irgendeiner Weise belangen oder bestrafen. - Den anderen aus Forderungen entlassen, denen er jetzt und wahrscheinlich auch später nicht nachkommen kann, das heisst unter anderem: nicht zu «würgen» wie der unbarmherzige Knecht in Matthäus 18,28 – also nicht ständig irgendwelchen Druck auszu­ üben. - Den Fehler verzeihen, das heisst: auf Vorhaltungen verzichten, es dem anderen bei nächster Gelegenheit nicht «aufs Brot schmieren», sondern dem anderen deutlich zeigen, dass man ihn trotzdem gernhat. cz 2|09

Jens Kaldewey

Ziel dieser Schritte ist es, in einem schmerzhaften, aber notwendigen Trauerprozess heil zu werden und zu reifen. Vorbemerkung: Bei dieser Übung wird das Zulassen und Ausformulieren der wahren Gefühle vorausgesetzt, auch gegenüber Gott und seiner Führung bzw. gegenüber dem, was er in meinem Leben zugelassen hat! Die folgenden Fragen sind möglichst konkret zu beantworten und quasi im Gespräch mit Gott in der Du-Form zu formulieren: 1. Was mir in meinem Leben bis heute Mühe bereitet bzw. was ich bis heute schlecht von dir akzeptieren kann (bis hin zur Anklage im Sinne von: Was ich dir richtig übelnehme ...). 2. Meine Gefühle diesbezüglich sind ... 3. Worauf ich gerne eine klare Antwort von dir hätte ... 4. Was ich von deiner heilenden Hand berühren lassen möchte – oder worin ich deinen Trost brauche ... 5. Was ich mir von dir schenken lassen möchte ... 6. Wofür ich dir trotz allem danken will ...

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Hingabegebet von Charles de Foucauld (leicht bearbeitet)

7. Wofür ich dich um Vergebung bitte ... (zum Beispiel zu langes Fixiertsein auf ... oder für innere Festlegungen bis hin zu sogenannten Schwüren: «Das darf nie passieren!», «Ich werde niemals ...», «Ich werde alles tun, koste es, was es wolle, um ...») 8. Was ich mir selber vergeben will ...

Entscheidung zur Versöhnung Jetzt will ich mich mit dir versöhnen und verabschiede mich deshalb nun definitiv von folgenden unerfüllten Lebenswünschen (oder im Bild: Ich lege nun folgende unerfüllten Lebenswünsche auf deinen Altar ...). Ich werde konkret folgende Schritte tun, um im Prozess der Selbstannahme weiterzukommen:

Mein Vater, ich überlasse mich dir. Mache mit mir, was dir gefällt. Was immer du mit mir tun magst, ich danke dir. Zu allem bin ich bereit, alles nehme ich an. Wenn sich nur dein Wille an mir erfüllt und an all deinen Geschöpfen, so ersehne ich weiter nichts. In deine Hände lege ich mein Leben, ich gebe es dir, mein Gott; mit der ganzen Liebe meines Herzens, weil ich dich liebe und weil diese Liebe mich treibt, mich dir hinzugeben, mich in deine Hände zu legen, ohne Mass, mit immer grösserem Vertrauen, denn du bist mein Vater.

Hingabegebet schreiben (vgl. Beispiel rechts) Darin gebe ich Gott quasi meine «Erlaubnis», mich im Rahmen seiner Vorstellung umzugestalten und mich zu seinem Lebensziel mit mir zu führen.

Einen symbolischen Gegenstand suchen (oder selbst gestalten) Dies als Erinnerungszeichen für den Verabschiedungsprozess und den Neuanfang vor Gott (zum Beispiel ein Bild oder eine Spruchkarte, ein Bibelwort, etwas aus der Natur usw.). 29


versöhnt leben | damit versöhnung praktisch wird

S E G N E N KOLUMNE BFarbe R bekennen EGENZER Das Zufahrtssträsschen

«Ich lernte Schuldscheine abzugeben und Müllsäcke zu entsorgen»

Die Elektrizität fiel aus

Armida Kolb erzählt, wie ihr Versöhnungsseminare geholfen haben

Das Wort des Missionsleiters

«‹Frau Kolb›, so werde ich hin und wieder gefragt, ‹wie haben Sie das nur geschafft, mit all dem Schweren in Ihrem Leben umzugehen?› Hier wird mir immer wieder klar, dass da Menschen waren, die mir zugehört und geholfen haben, mein Leben aufzuräumen.»

Eine Zeitschrift hatte sich auf mich und Campus für Christus eingeschossen. Immer neu deckten sie unsere vermeintlichen Verbindungen zu Rom bis hin zum Papst auf. Geschickt mischten sie Wahres mit Halbwahrem und total Unwahrem, sodass selbst manche unserer Freunde und Missionspartner nicht mehr wussten, was nun wahr und was erfunden war.

«Vor rund fünf Jahren fing ich an, im Zentrum Ländli Seminare zu besuchen, zum Beispiel ‹Vergangenes loslassen – Neues begrüssen› oder ‹Türen öffnen – Türen schliessen›. Auch das Seminar mit Jens und Kathi Kaldewey mit dem Titel ‹Frieden schliessen mit sich und anderen – Versöhnung mit der Lebensgeschichte und mit Gott› besuchte ich einige Monate später. Schnell wurde klar, dass es jetzt wirklich ernst werden würde. Keine Konsumhaltung, sondern handfeste Arbeit an meinem Leben war gefragt. Es ging darum, mit Herzensüberzeugung – und nicht einfach mit der Schwammdrüber-Methode – einen Versöhnungsprozess in Gang zu bringen, Schuldscheine anderen 30

Menschen gegenüber zu benennen und abzugeben und die Müllsäcke aus dem Leben zu entsorgen. Mein Leben gab mir Grund genug, mich diesem Prozess, der noch nicht ganz abgeschlossen ist, zu stellen. War ich doch grundsätzlich ein unerwünschtes Kind in meiner Familie, wurde als jun­ges Mädchen mehrmals missbraucht, erlebte fast eine Entführung und muss­te als Zwölfjährige alleine zur Gerichtsverhandlung – ein weiterer Ausdruck davon, dass ich von meinen Eltern im Stich gelassen wurde. Hinzu kam, dass ich damals aus familiären Gründen auf eine Lehre verzichtet und nur eine Anlehre gemacht habe. Mit Beginn der Seminarbesuche bekam ich mehrfach von Gott den Eindruck, bei bestimmten Personen nachfragen und Informationen aus meiner Kindheit einholen zu müssen. So auch bei meinem jüngsten Bruder, der mir bestätigte, dass so manches in meiner Kindheit zwischen mir und meinen Eltern schiefgelaufen sei. Im Seminar mit Kaldeweys wurde uns vorgeschlagen, vier Schritte zu gehen

(vgl. Kasten auf Seite 26 «Vergebung als Gerichtsverhandlung»). Für mich war das allerdings sehr schwierig. Erst ein Jahr später, in einem weiteren Seminar, konnte ich beginnen, diese Schritte umzusetzen. Der Schmerz und die Wut waren vorher noch zu gross gewesen, was mir heute zeigt, dass wir uns für solch tiefe Prozesse wirklich Zeit lassen müssen. Heute erlebe ich erste Früchte der Auseinandersetzung mit meinem Leben. Ich kann mir auch vorstellen, meine Erfahrungen anderen Menschen weiterzugeben. Positiv erlebe ich zum Beispiel, dass mein gesamtes Lebensgefühl heller und leichter geworden ist, dass ich mich in meiner Würde wiederhergestellt fühle und dass ich nicht mehr ins Helfersyndrom falle. Ja, ich will den Weg der Versöhnung weitergehen. Wenn das nicht aus tiefstem Herzen geschieht, sind wir, wie ich es erlebt habe, schnell dabei, uns doch wieder – wenn auch ganz subtil – zu rächen. Nein, ich will nicht stehen bleiben. Jesus ist auch den Kreuzweg bis Golgatha gegangen. Es wird erst dann Ostern, wenn man mit dem Alten, Verletzten des Lebens bis nach Golgatha gegangen ist und alles sterben lässt. Vergeben und versöhnen bedeutet dann Ostern.» cz 2|09

Hanspeter Nüesch Ich hatte mir eine innere Defensive aufgebaut, die mich davor schützen sollte, verletzt zu werden. Wieder lag eine Ausgabe dieser Zeitschrift auf meinem Pult. Ich begann die letzten «Neuigkeiten» über mich und unser Werk zu lesen mit dem Gedanken: «Das schaffe ich. Die können mich nicht fertigmachen!» Es ging dann nicht lange, bis mir das Geschriebene wie ein Stich ins Herz fuhr. Ich hatte meine Widerstandskraft völlig falsch eingeschätzt. Mein Puls stieg in ungeahnte Höhen. Ich hatte wirklich Angst, ob das mein Herz überleben würde. In dem Moment schickte mir Gott unseren Mitarbeiter Thomas Zindel über den Weg. Gemeinsam spazierten wir zur Migros, um dort das Mittagessen einzunehmen. Mein Herz beruhigte sich langsam. Dann begann aber Gott ganz sanft zu mir zu sprechen: «Du hältst dich nicht an das, was du andere lehrst. Du musst dich nicht gegen deine Opponenten zu verteidigen versuchen. Du musst sie in meinem cz 2|09

«Ankunft am Ziel auf der rechten Seite», meinte kürzlich die freundliche Stimme des GPS, und ich sah auf dem kleinen Bildschirm, wie ich ins «Nichts» hinausfuhr. Die kleine Privatstrasse zum Haus meiner Mutter ist auf der elektronischen Karte nicht erfasst. Die Privatstrasse, schlecht gewartet durch die Nachbarn, liess keine guten Erinnerungen in mir hochkommen: Erlebnisse von Neid und Eifersucht, von aktivem «Zleidwerken», von fehlender Gemeinschaft, von Ablehnung. Zu Hause angekommen, waren es aber die aufmunternden und versöhnenden Worte meiner Mutter, die mich rasch zu Gedanken des Friedens zurückbrachten. Eigentlich beschämend für mich, war es doch gerade meine Mutter, die – nicht nur wegen dieser Privatstrasse – über Jahrzehnte mit nachbarschaftlichen Unannehmlichkeiten konfrontiert war und oft die steinigsten Wege gehen musste. «Mit Gottes Hilfe lässt sich dies wohl machen», meinte sie so nebenbei. Erneut zum Nachdenken angeregt, ging mir durch den Kopf, wie Gott sich meiner Frau und mir gegenüber vor gut 31 Jahren barmherzig gezeigt hatte, sich mit uns versöhnte und uns den speziellen Dienst der Versöhnung übertrug.

Namen segnen und das Beste für sie wünschen. Der Kampf ist mein, nicht dein. Wenn du selber zu kämpfen versuchst, werden dich die Pfeile des Feindes nachhaltig verletzen. Wenn du aber den Schild des Glaubens hoch hältst und die Menschen meinem Segen anbefiehlst, dann werden dir die feurigen Pfeile nichts anhaben können.»

Zwei Stunden später wieder auf dem Heimweg: Das kleine Zufahrtssträsschen war nicht in besserem Zustand, wohl aber mein Herz und meine Gedanken. Ich war und bin froh zu wissen: Der Weg der Versöhnung ist weder ein Weg ins «Nichts» hinaus, noch ein Sträss­chen in traurigem Zustand, wohl aber ein Weg heim ins Vaterhaus. Welch spezielle Aussicht! Die kleine Begegnung mit meiner Mutter und unserem Gott war für mich ein weiterer Lernschritt zu einem versöhnten, einem versöhnlichen Leben.

In einer Mitarbeiterzusammenkunft habe ich dann die beiden Redaktoren der erwähnten Zeitschrift unter Gottes Segen gestellt und das Beste für sie und ihre Zeitschrift gewünscht. Kaum hatte ich das Segensgebet gesprochen, fiel die Elektrizität des ganzen Gebäudes aus. Ein solch deutliches Amen Gottes auf ein Gebet von mir hatte ich noch nie erlebt. Die zwei Redaktoren der Zeitschrift zerstritten sich in der Folge und wurden ersetzt. Die Angriffe gegen mich und Campus für Christus hörten auf. Die Zeitschrift brachte wieder Beiträge, die hilfreich waren. Und ich hatte eine wichtige biblische Lektion neu gelernt.

• René Bregenzer ist Mitglied der Missionsleitung von Campus für Christus Schweiz. 31


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