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TITEL
Sex im HinterStübcHen
Weil Bordelle dicht sind, hat sich die Prostitution ins Private und die illegalität verlagert
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Seit fast einem Jahr sind die Türen von Bordellen geschlossen. „Solo-Selbstständige-Prostitution“ – ohne Zuhälter oder Bordellbetreiber – hingegen bleibt erlaubt. Für viele Sexarbeitende bedeutet das: Arbeiten in der Schutzlosigkeit etwa fremder (Ferien-)Wohnungen, ohne Hygienemaßnahmen oder Kontrolle.
„Was willst du, du kleines Stück Sklavendreck?“ – pampt Domina Sofia Müller (Name von der Redaktion geändert) ihren Kunden am Telefon an, als er sie um einen Termin bittet. Seit über 20 Jahren ist Müller in der Branche tätig, „ich mache das aus Leidenschaft, mich macht es an, zu führen, zu quälen und die Sklaven zu formen, wie ich sie haben möchte“. Sie arbeitet – auch vor der Pandemie – im Privaten. Die Domina besucht ihre Kunden zu Hause, hat aber auch ein Zimmer ihrer Wohnung bereitsgestellt, um sie zu empfangen. Die „Sklaven“ werden durch ein Vorgespräch am Telefon selektiert, „ich hatte noch keine schlechten Erfahrungen“. 150 Euro kostet die Stunde mit ihr, Toilettenspiele berechnet sie extra, ihre Leidenschaft gilt dem Sadismus in jeder Form. Grenzen gibt es nahezu keine, außer ein Wunsch würde bleibende Schäden am Körper hinterlassen. Wer die Domina heute besucht, muss aber wissen: Auch bei ihr herrscht Maskenpflicht. Außerdem müssen die Kunden ihre Adressen hinterlegen. Dadurch würden viele abspringen, auch Stammkunden. Müller ist angemeldet, wie es das Prostituiertenschutzgesetz von 2017 vorgibt. Dazu muss sie zu einer jährlichen gesundheitlichen Beratung gehen, sich für jeweils zwei Jahre bei der Stadt Freiburg anmelden, erhält einen Ausweis und kann damit legal arbeiten. Als Steuerzahlerin hat sie Anspruch auf Corona-Hilfen der Bundesregierung – die sie auch bezogen hat. „Das war aber Glück bei mir, nur durch eine Bekanntschaft konnte ich alles beantragen“, so die Domina. Und das sei der springende Punkt, warum viele aktuell illegal arbeiten würden, obwohl eine Pandemie herrscht und ihnen theoretisch Hilfe zustünde: Der Antrag wird in der Regel bei einem Steuerberater gestellt, diesen hat aber kaum eine Prostituierte, da der Beruf sonst mit einer Tagespauschale nach dem Düsseldorfer Verfahren besteuert wird. „Dafür ist keine fremde Hilfe nötig. Es lässt sich fast kein Steuerberater finden, der dich jetzt als Kundin nimmt, weil die für die Richtigkeit aller Daten einstehen müssen.“ Wie viele Frauen sich in Freiburg prostituieren, lässt sich schwer ermitteln. „Die Stadt Freiburg hat keine belastbaren Zahlen. Das Anmeldeverfahren bietet dazu keinen Ansatz, denn viele Sexarbeiter·innen geben an, bundesweit tätig zu sein“, so Martina Schickle, Pressesprecherin der Stadt Freiburg. 40.369 angemeldete Prostituierte arbeiteten 2019 in Deutschland (2018 waren es 32.799), 4972 in Baden-Württemberg. Die Anzahl der Angebote auf einschlägigen Portalen schwankt in Freiburg
Fotos: © Nenad Kekenj-Seke; pixabay.com/ Espressolia, Gerd Altmann; picture alliance / Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa zwischen etwa 100 und 150 verschiede- verinnerlicht haben.“ Die oft gegebene nen Frauen. Müller ist keine von ihnen. Sprachbarriere und damit erschwerte Eine Annonce zu schalten, ist ihr zu heiß, orientierung in Deutschland sei außer„die Prostitution ist in Freiburg gerade nur dem ein weiteres Kriterium. unter vorgehaltener Hand geduldet, man Laut Nenad Kekenj-Seke, Betreiber muss sehr vorsichtig sein und alles diskret von zwei Freiburger Bordellen sowie machen.“ Deshalb treffe sie auch nur ein einem Escort-Service, sind 80 Prozent paar Stammkunden, denen sie wirklich der Frauen, die bei ihm arbeiteten, längst trauen kann. Das melde sie aber weiter- zurück in ihre Heimatländer. „Die musshin dem Finanzamt für die Tagessteuer. ten irgendwie ihr Leben finanzieren, und Den anderen Frauen wünscht sie mehr einen anderen Job auf die Schnelle zu Mut: „Es gibt keinen Grund, die Arbeit finden, ist schwierig.“ Diejenigen, die mit der Anmeldung nicht zu legalisieren, weitermachen, arbeiten unter prekären es bleibt weiterhin alles diskret und zieht Bedingungen: „im Privaten gibt es keine keine Nachteile nach sich. Es erfährt nie- Hygienemaßnahmen, keine Rückverfolmand davon, der es nicht wissen soll.“ gung, keine Kontrolle und auch die Polizei Erlaubt ist die sogenannte „Solo-Selbst- kann nichts tun“, so Kekenj-Seke. ständigen-Prostitution“ bis zu dem Punkt, Das beobachtet auch Edda Grieshaber an dem eine dritte Person wirtschaftlich von der Freiburger Beratungsstelle PiNK, partizipiert, erklärt die sich an SexarWalter Martin, stellvertretender »Geschäft beiterinnen in allen Lebenslagen Leiter des Dezernats für Banden und organisierte in ferienhäusern wendet: „Häufig machen die Frauen Hausbesuche, Kriminalität im Polizeipräsidium floriert« da ist das Risiko enorm. Weil sie Freiburg. Diese aufs Geld angegerade in der heutigen Pandemielage wiesen sind, müssen sie auch die Kunden, zuzulassen, findet er persönlich falsch. die es aktuell gibt, annehmen.“ immer „Die Begründung hierfür, dass ein sol- wieder würden sich die Freier weigern, cher Eingriff in die intimsphäre zu weit zu bezahlen oder drohen damit, die ginge, eine intimsphäre, die ab 50 Euro Polizei zu rufen. zu kaufen ist, halte ich für realitätsfremd Manchmal kriege sie auch mit, dass es und vor dem Hintergrund der sonstigen zu Gewalt oder Bedrohungen durch Kunaktuellen Beschränkungen für die Bevöl- den komme. „Die Frauen wissen häufig kerung schwer nachvollziehbar.“ Seine nicht, was sie aktuell dürfen und was verErfahrung sei, dass das Geschäft in Feri- boten ist. Viele sind mit der rechtlichen enwohnungen und sonstigen Beherber- Situation überfordert und versuchen, gungsbetrieben floriert. „Man mietet sich möglichst unter dem Radar zu arbeiten.“ unter Vorlage gefälschter Arbeitgeber-/ Wenige dieser Frauen bekommen staatDienstleistungsbescheinigungen ein.“ liche Hilfe, einige seien auch gar nicht Bis zu 90 Prozent der Prostituierten in leistungsberechtigt, so Grieshaber: „Bei Freiburg stammen aus osteuropa, „sie den meisten Frauen geht es wirklich um reisen immer wieder unter dem Radar existenzielle Not, sie leiden auch unter ein und gehen somit auch nicht in die der fehlenden Kundschaft.“ meist erforderliche Quarantäne“, so Mar- Domina Müller ist froh, dass sie sich tin. Wöchentlich erreichen Anrufe von er- nicht in solch prekärer Lage befindet: regten Nachbarn die Polizei, doch der sind „Corona hat viel zerstört, finanziell sodie Hände gebunden: „in der Regel ist wie psychisch. Die Frauen sind erpresszwar ein Zuhälter involviert, aber der ist bar, machen Dinge, die sie freiwillig nicht oft abwesend, solange der Freier da ist.“ machen würden.“ Bei ihr reiche es gerade Die Frauen würden auch fast nie aussa- für die Absicherung. „Mit dem Prostituiergen, „weil sie unter quasi Aufsicht der Zu- tenschutzgesetz wurde versucht, Sexarhälter, die oft gleichzeitig ‚Freund‘ oder beiterinnen in ihren Rechten zu stärken. Ehemann sind, stehen und oftmals ein Die Pandemie hat das zunichte gemacht. falsches Bild der hiesigen Polizei aus ih- Jetzt rutscht alles wieder in die illegalität.“ ren Erfahrungen aus den Heimatländern liliane herzberg
Keine gnade: Sofia Müller dominiert ihre „Sklaven“ auch während der Pandemie.