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21 21 21 Sind 600.000 Mitglieder ein Druckmittel? Sind 600.000 Mitglieder ein Druckmittel? Sind 600.000 Mitglieder ein Druckmittel? Sind 600.000 Mitglieder ein Druckmittel?

Als Generalsekretar war Robert Renzler ViSionär und Lobbyist der Alpen. Jetzt hat er wieder mehr Zeit fur seine lebenslange Passion, das Bergsteigen.

GIPFELGESPRACH

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Sind 600.000 Mitglieder ein Druckmittel?

Seit Anfang des Jahres ist Robert Renzler einfaches Mitglied des Alpenvereins. Zuvor war er mehr als 18 Jahre dessen Generalsekretar. EM Gesprach fiber den K2 und den Brenner, aber das Recht auf Natur und daraber, wie die Berge ohne alpine Vereine aussehen warden.

Interview: Klaus Hese!bock, Katharine Lehner

Robert Renzler hat als Generalsekreteir des osterreichischen Alpenvereins die Interessen der Natur und der Menschen vertreten, die gerne in den Bergen unterwegs sind. Mit dem Jahreswechsel hat er sich nun in den Ruhestand verabschiedet. Die Bergwelten-Redakt ion war ihm immer besonders verbunden, da er die Idee des Magazins von der ersten Stunde an tatkriiftig und mit vielen Ideen unterstiitzt hat. Aus diesem Anlass haben wir ihn zum Gipfelgesprach eingeladen, urn in seiner beruflichen Laufbahn zuriick und in jener als Bergsteiger nach vorn zu blicken. Wie sehr haben Konflikte deine Amtszeit als Generalsekretar gepragt? Die Natur vor dem tiberbordenden Erschliefgungswillen zu schtitzen war sehr aufreibend, aber auch sehr befriedigend - wenn uns was gelungen ist. Ich erinnere mich an den Kampf gegen die Windrader am Brennerbergkamm zwischen 2010 und 2013. Das war sowohl energetisch als auch von der Ortlichkeit her em n sinnloses Projekt. Deren Bau haben wir letztlich verhindern konnen.

Der Alpenverein sagt von sich selbst, der Anwalt der Berge zu sein. Einen Anwalt braucht man, wenn es Konflikte gibt. Das ist eine sehr griffige Formulierung, aber intern habe ich immer gesagt: Wir Hatte das etwas damit zu tun, dass du vom Brenner bist? Das gebe ich ganz offen zu, das sind meine Heimatberge. Das war nicht ganz uneigennutzig.

sind die Gewerkschaft der Berge und Aber wenn nicht von Windradern, woher gleichzeitig der Bergsteigerinnen und soil unsere Energie dann kommen?

Bergsteiger. Ob Jagd, Grundeigentum Bevor ich nachdenke, von wo ich neue oder Forst - die verschiedenen Nutzer- Energie herbringe, sollten wir alle Potengruppen der Alpen haben immer schon ziale ausniitzen, urn Energie einzusparen. starke Lobbys. Und wir sind diese Lobby Denn die einzige grtine Kilowattstunde für unsere Mitglieder. Zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG. ist die eingesparte. Wenn ich wo emn Anfragen zum Inhalt und zu Nutzungsrechten bitte an den Verlag (Tel: 01/90221*27947). Pressespiegel Seite 22 von 27 Windrad aufstellen will, muss ich eine Strafk hinbauen. Die hat fast Autobahndimensionen in den Kehren, und die muss gewartet werden. Dann mussen die Windrader gebaut werden. Jene far den Brenner waren in Indien gemacht und dann herabergeschifft worden. Und nach 20 Jahren ist die Lebensdauer abgelaufen. Das heif3t, die gewonnene Energie ist bei weitem nicht so gra wie die eingesetzte. Wasserkraft und Windkraft beginnen nicht bei null. Wenn ich sehe, wie der Verkehr am Brennerpass gestiegen ist - und Verkehr ist em n Beispiel fur schlecht eingesetzte Energie dann fahrt sich die Diskussion, ob da oben Windrader stehen sollen, ad absurdum.

Sind Konflikte etwas Positives? Grundsatzlich ist der Konflikt nichts Schlechtes. Er wird aber schlecht, wenn er nicht mehr faktenbasierend ist. Das ist nicht erst seit Trump so, sondern das hat sich auch schon vorher abgezeichnet: Schon em n Jean-Claude Juncker ist als EUKommissionsprasident mit den Worten

„Ich muss selbst drauBen unterwegs sein, urn zu wissen, wie schon, befriedigend und schiitzenswert das ist.”

angetreten, dass man lagen muss, wenn es ernst wird.

Hast du das auch auBerhalb der Weltpolitik beobachtet?

Es hat sich eingeschlichen, dass die Leute eine Behauptung aufstellen, die man durchaus mit Gutachten widerlegen kann, dass sie aber trotzdem dabei bleiben. Eine sachliche Diskussion, an der sich die Politik orientieren soil, wird da immer schwieriger. Auch die Politik hat Rackzuge gemacht und hat sich immer mehr daran orientiert, was mehr Stimmen bringt.

Gibt es dazu em n Beispiel? Ich war 35 Jahre hauptberuflich beim Alpenverein, und in dieser Zeit ist der Piz

Val Gronda bei Ischgl immer em n Thema gewesen. Alle funf Jahre ist die Initiative gekommen, dass man im freien Gelande zusatzlich Abfahrten erschliefgen machte. Das haben wir 30 Jahre tang abgewehrt, aber schlussendlich ist er gefallen. Das war und ist frustrierend - vor allem, wenn man sieht, dass dort heute nahezu keine Leute Ski fahren.

Sind 600.000 Mitglieder auch em n politisches Druckmittel?

Unterstiitzt die Politik die Interessen Wir haben das zwar nie so verwendet, aber der Berge, der alpinen Vereine? indirekt weig die Politik naturlich, dass Im Vertrauensindex steht der Alpenverein viele Menschen emotional hinter den alpian erster SteIle, dann kommen die Natur- nen Vereinen stehen. Als ich 1986 zum freunde, dann erst die Arbeiterkammer. Alpenverein gekommen bin, da hatte die Das wei8 die Politik auch, und deshalb SPO 700.000 Mitglieder, und wir hatten wird uns generell Wertschatzung entgegen- 220.000. Jetzt sind wir bei 600.000, und gebracht. Wenn es urn Einzelprojekte geht die SPO hat unter 200.000. Da sieht man, - sei es em n neues Skigebiet oder andere Er- wie gegenlaufig die Entwicklungen sind. schlieigungsma8nahmen dann zahlt aber Auch der Skiverband stagniert - nur wir mehr, wekhe Lobby starker ist. haben uns verdreifacht. Zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG. Anfragen zum Inhalt und zu Nutzungsrechten bitte an den Verlag (Tel: 01/90221*27947). Pressespiegel Seite 23 von 27

Aber ist das wirklich em n Wunsch, alle Menschen in die Berge zu bringen? Das haben wir in meiner Zeit ganz klar

in unserer Werbelinie festgelegt: Unsere Zielgruppe sind die Menschen, die ohnehin in die Berge gehen. Das sind in Osterreich 1,2 Millionen. Was wir nie betrieben haben, ist Werbung, urn neue Schichten ansprechen.

Wo kann der Kompromiss zwischen Nutzen und Schiitzen liegen?

Ich glaube, dass die Natur, wenn sie bewusst genutzt wird, sehr viele Menschen vertragt. Andererseits gibt es Zonen, wo wir nichts verloren haben. Geschatzte Zonen oder Aufforstungsgebiete etwa. Aber in Summe sollte der Berg und die Bergnatur far die Menschen zuganglich bleiben. Wenn ich die Natur namlich nur noch vom Bildschirm kenne, dann ist das etwas Abstraktes, fur das ich mich nie so einsetzen werde. Ich muss selbst drau8en unterwegs sein, urn zu wissen, wie schon, befriedigend und schatzenswert das ist.

Balanceakt

Robert Renzler am Kuffnergrat in den franziisischen Alpen. Der spektakulare Anstieg fuhrt auf den Gipfel des 4.465 Meter hohen Mont Maudit.

Wie wiirde die Bergvvelt aussehen, gabe es die alpinen Vereine nicht? Vermutlich ware es so, dass Wege und Flatten von der Privat- und Fremdenverkehrsindustrie tibernommen worden waren. Dann wurden die Flatten anders ausschauen, was die Umwelt-Okologie und die Ausstattung anbelangt. Wenn man Flatten betriebswirtschaftlich - also ohne Forderungen - fahren miisste, waren nicht einmal die beliebtesten Hiltten rentabel. Wahrscheinlich mtisste man auch far die Wegenutzung zahlen. Den Vorschlag habe ich als Generalsekretar mehrfach bekommen vom Tourismus. Da haben wir uns vehement gewehrt - weil wir sagen: Das Recht auf Naturgenuss ist emn Grund- und Menschenrecht. Ich finde, das sollte auch in Osterreich em n Verfassungsrecht werden. Das ist em n graes Manko im Unterschied zu Deutschland, Italien und Frankreich. In Deutschland ist die Frage, ob man auf bayerischen Pisten mit Tourenski aufsteigen darf, bis zum Obersten Gerichtshof gegangen. Die Pistenhalter haben verloren, weil das Recht auf Naturgenuss in der bayerischen Verfassung und im deutschen Grundgesetz verankert ist. In Osterreich wurde das noch nicht ausjudiziert. Aber ich bin ziemlich sicher, die Tourengeher wtirden verlieren.

Und wie wiirden die Berge aussehen, wenn du allein bestimmen konntest? Dort, wo es schon eine intensive ErschliefAung gibt, wiirde ich sie noch verstarken. Aber ich warde absolut keine Neuerschliefgungen machen. Der PitztalOtztal-Zusammenschluss liegt ad acta, aber das war em n Paradebeispiel, wo fiber einen Zusammenschluss zwei oder drei neue Gelandekammern hatten angegriffen werden sollen. Das ist fiir mich em n absolutes No-Go in der heutigen Zeit. Ich

Hat das Auswirkungen? ware aber nicht so radikal, einen Ruckbau

Natarlich. Bei uns ist dieses Recht viel zu verlangen. Wo der Tourismus ist, da weniger wirksam in der Rechtsprechung. Zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG. hat er seine Berechtigung. Seine wirtAnfragen zum Inhalt und zu Nutzungsrechten bitte an den Verlag (Tel: 01/90221*27947). Pressespiegel Seite 24 von 27 schaftliche Bedeutung fur die Taler kann man nicht einfach negieren. Die Leute leben zu einem hohen Grad davon.

Verstehst du die andere Seite, die sagt, wir miissen weiter erschlieflen? Nein, da habe ich absolut kein Verstandnis. Das sind vorgeschobene Argumente. Wir wissen von den empirischen Daten, dass das Skifahren europaweit schrumpft. Allein vom Markt spricht also nichts dafar. Man redet jetzt vom ostasiatischen Markt - und da frage ich mich: 1st das die Zukunft im Zeichen des Klimawandels, dass ich die Leute aus China ftir eine Woche zu uns herkarre? Noch dazu unter der Voraussetzung, dass der Schnee dann ohnehin nur noch kanstlich sein kann.

Wird es in Zukunft mehr Notwendigkeit fiir sokhe Diskussionen geben, oder entsteht langsam mehr Bevvusstsein fiir den Naturschutz? Ich glaube, dass sich global das Bewusstsein und das Wissen durchsetzt, dass wir - was den Klimawandel anbelangt - keinen

Die Natur vor Oberbordendem ErschlieBungswillen schutzen: Robert Renzler am Cineastengrat im Ecrins-Massiv in Frankreich.

Spielraum mehr haben. Wenn ich heutzutage am 26. Oktober diesen beschneiten Streifen Piste in Kitzbtihel propagiere, dann ist das eine Negativwerbung. Und ich glaube, dass sich solche Diskussionen allein schon von den Werbestrategien der Tourismusgebiete ad absurdum fahren. Die werden das in em n paar Jahren nicht mehr machen, da bin ich mir sicher.

Clemens Matt hat mittlerweile deine Nachfolge angetreten. Wird er weniger streiten miissen? Die Begehrlichkeiten sind gra, und es gibt auch far ihn genug zu tun: einerseits zu verteidigen und andererseits vor der eignen Haustar zu kehren, was die Aufklarung und die Bewusstseinsbildung der Mitglieder und auch der Nicht-Mitglieder, die in die Berge gehen, anbelangt. ben Erstbegehungen gemacht - etwa an der Nordwestwand des 7.821 Meter hohen Masherbrum und ich hatte dabei immer den K2 vor meinen Augen. Wochenlang. Und mein grofies Ziel war, einmal auf diesem Berg zu stehen. Mir war klar, wenn ich mich als Generalsekretar bewerbe, dann ist das vorbei. Und ich habe mich deshalb ganz bewusst nicht beworben. Aber dann ist alles anders gekommen: Der damals - das war 2002 - designierte Generalsekretar ist kurzfristig abgesprungen. Und dann sind sie alle vor meiner Tar gestanden und haben gesagt: Jetzt musst du es machen.

Und wie siehst du die Entscheidung im Riickblick?

Ich sehe sie zwiegespalten. Es war eine ganz toile Aufgabe: Das Schone an dem Job ist, dass man mit so vielen Menschen

Du warst fast 20 Jahre Generalsekretar. zusammentrifft, die far eine Sache, far

War das dein Lebenswunsch? em n Ideal, brennen. Wir haben 20.000

Nein, ich wollte eigentlich nicht General- ehrenamtliche Helfer und Funktionare. sekretar werden. Ich war vor dieser Zeit Dass sich so viele Leute fur eine Idee, die mehrfach im Karakorum, wir haben drü- eigentlich so uralt Zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG. Anfragen zum Inhalt und zu Nutzungsrechten bitte an den Verlag (Tel: 01/90221*27947). ist, einsetzen, ist far Pressespiegel Seite 25 von 27 mich schon em n Privileg. Hingegen war die Entscheidung fur meine personliche Entwicklung als Extrembergsteiger unterm Strich sehr nachteilig.

Was ist deine Perspektive fiir die Zukunft? Bleibst du dem Alpenverein treu? Ich mochte jetzt einfaches Alpenvereinsmitglied und - solange ich fit bin - emn leidenschaftlicher Bergsteiger sein. Und wenn es urn em n Ehrenamt geht, dann wUrde mich mehr interessieren, etwas ganz anderes zu machen. Wenn man als Profi so lange drinnen war, dann sollte man sich zuruckziehen und nicht wie einer der zwei Alten in der „Muppet Show" vom Balkon aus Zurufe machen.

ROBERT RENZLER Der 64-jahrige Tiroler stammt aus Gries am Brenner, studierte Altphilologie und ist Bergfuhrer. Als Generalsekretar hat er die Geschichte des Alpenvereins aufarbeiten lessen, Klettern zum Schulsport gemacht, die Versicherung fur die Mitglieder eingefuhrt und mit dem „Future of Mountain Sports"-Kongress Ethikgrundsatze furs Bergsteigen definiert.

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