Atlantis Basel

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Atlantis Basel Kult und Kultur seit 1947


Atlantis Basel K U LT U N D K U LT U R S E I T 1 94 7 M A R C K R E B S , C H R I S T I A N P L AT Z

C H R ISTO P H M E R I A N VE R L AG


Inhalt

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Die Entfesselung der Jugend Nach dem zweiten Weltkrieg

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Der Tradition verpflichtet Vorwort des Herausgebers

25

Exzentrische Brüder

Vorhang auf !

Das Atlantis als Bühne für Theater und Talks

Paul und Kurt Seiler brechen zu neuen Ufern auf

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Wunderwelt mit viel Rauch Vorwort von -minu

59

Nicht nur ein Café, sondern eine Reise in eine andere Welt

69

All That Jazz

Groove für Generationen

Die goldene Ära

Unter Onorio Mansutti und Eddie Cassini blüht das Atlantis wieder auf


125

Ozzy Osbourne und andere Helden Wie das -tis zum Pilgerort für Rockfans wurde

153

Chaos und Neustart

173

Gastronomie und Partys statt Konzerte  Das -tis im neuen Jahrtausend

Dramatische Wechseljahre: Das -tis droht in den 90ern unterzugehen

Zurück in die Zukunft Musikdampfer auf Irrfahrt «Was ist eigentlich mit dem Atlantis los?»

Encore 204 Chronologie 215 Bildnachweis 216 Impressum

217

185

167

203

Das Comeback des Konzertlokals

Atlantis Sounds

Musik aus dem und rund ums Atlantis Basel


Der Tradition verpflichtet

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VORWORT


Unser Engagement für das Atlantis erfolgt im Wissen um die Geschichte dieser Institution. Dieser Tradition verpflichtet und aus Anlass seines 70. Geburtstages haben wir eine neue Gesamtdarstellung der bewegten Geschichte des Hauses angeregt. Im Zentrum stehen Personen, Gesellschafts-, Musik- und Kulturströmungen sowie viele kleine Anekdoten, welche die Einzigartigkeit des Atlantis hervorheben. Dieses ist Erinnerungsort für viele Gäste, Künstler, Freunde und Mitarbeitende, die in diesem Buch zu Wort kommen. Ein Buch zu schreiben, zu gestalten und herauszugeben, bedeutet ebenso harte Arbeit wie Leidenschaft. Besonderen Dank gilt deshalb Marc Krebs und Christian Platz für die Recherche und ihren unermüdlichen Einsatz um die 250 000 sinnvoll aneinandergereihten Schriftzeichen, Andreas Hidber von Accent Graphe für die treffende Verteilung und Bebilderung dieser Schriftzeichen auf insgesamt 222 Buchseiten, Adrian Heuss von advocacy für den netten Versuch, die insgesamt 13 Projektsitzungen nicht allzu turbulent werden zu lassen, Lea Hofmann für die vielen Stunden in staubigen Archiven, dem Korrekturbüro Rotstift für den Einsatz ihrer namensgebenden Werkzeuge, dem CMV für die garantierte Bodenhaftung im gesamten Projektverlauf und dem RFV Basel sowie Steffi Klär für 15 Tracks in der Beilage, die niemanden auf den Sitzen halten.

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VORWORT

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Danken möchten wir auch allen Sammlern, Fotografen, Geschichtenerzählern und Anekdotenlieferanten, die ihre Zerebra und Archive geöffnet haben, um die Vergangenheit greifbar zu machen. Stellvertretend seien hier Sam Mumenthaler und Egge Gilgen genannt. Wir hoffen, mit diesem Buch und der beiliegenden CD allen offenen und heimlichen, bisherigen und zukünftigen Liebhabern des Atlantis eine Freude zu bereiten. Für das Atlantis, David Andreetti


Wunderwelt mit viel Rauch Atlantis? Man denkt an Platon. Die Antike. Und an Coca-Cola. Im Basler -tis wurde das amerikanische Getränk mit Eiswürfeln serviert. Und mit einer Scheibe Zitrone. DAS WAR NEU.

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VORWORT


Für uns Teenies war Ende der 50er-Jahre alles auf dieser neu entdeckten, mystischen Insel am Klosterberg faszinierend: der dösende Alligator am Eingang, die kleinen unbequemen Hocker sowie das fast schon orientalische Interieur mit den bunten Glasscheibenlampen und dem dumpfen Messing.

Das Basler Atlantis war eben nicht nur ein Treffpunkt für Jazzund Rockfans, es war ein verspieltes Traumland: Einmal monatlich versprühte das Cabaret Local unter den Bühnenbildern von Christoph Gloor einen Feuerregen an Pointen (mit der unvergesslichen Satirikerin Vreni Berlinger und der Schauspielerin Claudia Federspiel), an den Sonntagen rief Radio DRS jeweils Über allem schwebte ein Nebel von Wunderwelt, Geheimnis. zum Klassiker ‹persönlich› – und bis heute ist der NovemRauch. Viel Rauch. Zigaretten waren damals so hip wie Cola. ber-Donnerstag, an dem sich ‹tout Bâle› zu Onorio MansutUnd weit, weit weg in den Schwaden ahnte man tis legendärem Benefizabend für die Kinder « den Pianisten. Er spielte Jazz. Manchmal klimin Brasilien trifft, ein ‹must› in jeder Basler Über allem perte er einfach nur Hauskomponiertes. Aber Agenda. schwebte ein Nebel es war ein Anfang. Später gruppierten sich die von Wunderwelt, Auch heute noch, wo das Atlantis schon lange Jazzgruppen auf der engen Bühne. Schon mitGeheimnis. tags. Also schwänzten wir Latein. Das Atlantis in Rente gehen könnte, ist die Insel am KlosRauch. wurde zum Klassenzimmer – und wir haben terberg ein Treffpunkt, der vibriert. Fasziniert. Viel Rauch. uns im Inselreich am Klosterberg besser auf Und verführt – seit neuster Zeit speziell auch » das Leben vorbereitet als mit lateinischen Dekulinarisch: Der Zigarettenrauch von einst ist -MINU klinationen. köstlichen Küchendüften gewichen. Dank Basler Mäzenatentum ist hier ein Stück Stadtgeschichte erhalten Ein dunkler Punkt waren für uns Schüler die Cola-Preise. Wie geblieben. Und pulsiert für weitere Generationen. so viele der Teenies von damals habe auch ich einen Flachmann mit mir geführt. Dieser wurde auf der -tis-Toilette mit Wasser Christian Platz und Marc Krebs sind nicht nur bekannte Jouraufgefüllt. So konnte die Cola immer wieder gestreckt werden, nalisten. Sie sind auch Kenner der -tis-Szene. Beide standen hier als Musiker auf der Bühne – beide haben die verrückte bis sie bleicher war als Kamillentee ... Zeit der Insel geatmet. Und mitgerockt. Wer also hätte für ein Wie Platons Atlantis ist auch das Inselreich am Klosterberg Buch aus jener Zeit den besseren Ton drauf als die beiden roimmer wieder untergegangen. Doch stets tauchte es als neuer ckenden Schreiber? Phönix aus der Asche auf – und brachte uns Highlights, Feuerwerke und eben diese Sternenmomente, welche das Spezielle In diesem Sinne: eintauchen in die mystische Welt des Atlantis! Und geniessen. dieser wunderbaren, kleinen Oase ausmachen. Rockbands liessen es krachen und mischten ihre Fans auf, die vor einem Konzert jeweils bis an den Fuss des Berges Schlange standen. Und sich auf Wolke zwölf kifften. Da waren aber auch die legendären Talks mit Moderator Päuli Burkhalter: Unvergesslich jener Sonntag mit Düggelin, Fred Spillmann und Basels Edel-Sado-Herrscherin Elke – die Show musste per Lautsprecher für die Hunderten, welche keinen Platz im Lokal fanden, auf die Strasse übertragen werden. AT L A N T I S BASEL

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-minu



Die Entfesselung der Jugend N ACH D E M Z W E I T E N W E LT K R I E G

DIE ENTFESSELUNG DER JUGEND

NACH DEM ZWEITEN W E LT K R I E G

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Der Zweite Weltkrieg hat die Schweiz verschont. Doch auch hier löste er eine Zeit der Unsicherheiten und Ängste aus. Nach dem Krieg herrschte ein gesellschaftliches Frühlingsklima. Die Wirtschaftswunderjahre standen bevor. In dieser Zeit taute auch die Jugend auf und eroberte sich eine neue Welt. Dabei stand die Musik im Zentrum. Eine Musikkultur, die in den USA entstanden war. Sie kam aus dem Elend, der Unterdrückung, der Sklaverei.

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Zwei Konzerte der Darktown Strutters in der Moschee, hier im Mai 1951 ‌


Konzert derderselben DarktownPerspektive Strutters in1953. der Moschee, Mai 1951 ‌ und aus


DIE ENTFESSELUNG DER JUGEND

NACH DEM ZWEITEN W E LT K R I E G

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Louis Armstrongs Trompete ist ganz eng mit Jimi Hendrix’ im schlechtesten Fall wie Spinner, vor denen man sich in Acht Gitarre verwandt. Doch die Trompete war zuerst da. So wie nehmen musste. Sie entsprachen kein bisschen jener geordJimi Hendrix’Gitarre die Heldin des Rock war, so war die Trom- neten Basler Bürgerwelt, die Mitte des 20. Jahrhunderts das pete die Heldin der Jazzgeneration. Sie war das Horn, das zum gesellschaftliche Klima bestimmte, mit ihren eisernen Regeln gesellschaftlichen Aufbruch blies im Sinne eines neuen auf- und engmaschigen Moralvorstellungen. geschlossenen Internationalismus, der eine Antwort auf die Schrecken des Zweiten Weltkriegs war. Sie war aber auch die Sie kleideten sich anders als ihre Zeitgenossen am Rheinknie, Axt, welche die Gesellschaft spaltete, in Alt und Jung. ‹Axe› umgaben sich mit Frauen, die nicht das damalige gesellschaftliund ‹Horn› nannten die afroamerikanischen che Bild von Anstand und braver DienstfertigMusiker ihre Blasinstrumente. Im Jazz spielkeit erfüllten, sie realisierten Träume von ReiDas Radio ten sie die Hauptrolle. sen in ferne, unbekannte, unheimliche Länder, war der erste welche die meisten Leute nur aus Geschichten Herold der Die Jungen liebten diesen drückenden, energikannten, die sicher zwischen zwei Buchdeckeln neuen Musik aus schen, vom Blues getränkten Sound, der ihnen eingeklemmt waren. Übersee. neue Horizonte eröffnete, abseits der europäischen Klassik und der damaligen UnterhalDoch sie waren auch Macher, waren Männer, tungsmusik. Die meisten Erwachsenen schüttelten bloss ihre die Visionen in Projekte verwandelten und diese dann erfolgKöpfe. Sie hörten in den Klängen aus den USA die Ouvertüre reich zu handfesten Realitäten formten. Hätten sie dies nicht des gesellschaftlichen Zerfalls, der naturgemäss eines der ganz getan, wären sie wohl einfach der gesellschaftlichen Ächtung grossen Angstszenarien der Nachkriegszeit, der Aufbaujahre anheimgefallen, der Höchststrafe jener Zeit. Und natürlich war. Diese Angst grosser Teile der Erwachsenenwelt wirkte bis waren die Seilers Jazzfans. in die frühen 1970er-Jahre hinein. Und kaum hatte man sich an den einen wilden Musikstil einigermassen gewöhnt, drang Draht zu Afrika schon der nächste, noch wildere, aus dem Äther, per Radiowellen, in die Wohnungen: Rock. Sie hatten einen Draht zu Afrika, der ursprünglichen Mutter dieser Musik, und konnten deshalb unverkrampft mit MenKleines Welttheater schen umgehen, die eine dunkle Hautfarbe hatten. Für die meisten Baslerinnen und Basler gab es für diese Menschen damals Das Radio war der erste Herold der neuen Musik aus Übersee. ein Wort: ‹Näger›. Im städtischen Alltag am Rheinknie tauchten Als die Rockmusik Ende der 1950er-Jahre die Schweiz eroberte, sie nur selten auf – und wenn einer von ihnen auf der Strasse getragen von der Schallplatte, erschraken viele der Jazzfans, erschien, stellte dies eine kleine Sensation dar, dann waren alle die noch vor kurzem Rebellenstatus genossen hatten, und Blicke auf ihn gerichtet, voller Neugier und allerlei Mutmassunlehnten wiederum diese elektrisch verstärkte Musik mit ihrem gen, wie sie das Unbekannte bekanntlich zu begleiten pflegen. stampfenden Vier-Viertel-Takt ab, in der plötzlich elektrische Gitarren das Kommando übernahmen. «Diese Gitarren klingen Mit der jahrzehntelangen Entwicklungsgeschichte des Atlanfür uns wie Maschinenpistolen», pflegten ältere Leute gerne tis, in dem von Anfang an Jazzkonzerte dargeboten wurden, zu sagen. Genau diese Entwicklungen – und noch einige mehr wurde der Jazz zunächst zur akzeptierten, später sogar zur – haben sich auch im Atlantis manifestiert. In diesem Sinne hat akademischen Kunstform. Von den afroamerikanischen Barsich im Basler Konzertlokal ein kleines Welttheater abgespielt. pianisten, die an der Steinentorstrasse wirkten, über die Jam Sessions von jungen Musikern, die sich 1959 im Provisorium Die Brüder Paul und Kurt ‹Chürbse› Seiler waren schon in den an der Elisabethenstrasse etablierten, bis zu den Auftritten 1940er-Jahren auffällige Figuren, für die später beschreibende internationaler Grössen am Klosterberg war es ein langer Weg. – englische – Worte wie Beatnik, Hippie oder Freak erfunden Dieser Weg wurde mehrmals gekreuzt vom Aufkommen neuer wurden. Damals gab es keine derartigen Ausdrücke. Auf die Musikstile, die in ihren Anfängen jeweils auf ähnliche Widerdamalige Gesellschaft wirkten sie im besten Fall wie Abenteurer, stände gestossen sind wie einst der Jazz.


Rock ’n’ Roll explodiert, aber nicht im -tis

Für Kurt Seiler war Jimi Hendrix’ Gitarre ein Lärminstrument, wie für viele seiner Altersgruppe. Wobei gesagt werden muss, 1955 schlug in den USA endgültig die Stunde des Rock ’n’ Roll. dass die neugierigere Garde der Jazzmusiker sich auch für Mit Elvis Presley hatte diese Musikform, die es eigentlich schon Rock interessierte und dass Rock den Jazz ab Ende der 1970erlänger gab – nämlich als afroamerikanische Jahre veränderte. Denn Grössen wie Miles Angelegenheit unter dem Namen Rhythm & Davis oder Cannonball Adderley begannen Spätestens Blues –, einen weissen Vertreter gefunden, der plötzlich damit, die beiden Musikwelten zu ab 1965 hielten ihr einen ungeheuren Popularitätsschub erfusionieren. Dabei wurde der Jazzrock geBeat und möglichte. Natürlich fand diese Musik ihren schaffen. In den späten Sixties interessierte Rock im Atlantis Weg in die Schweiz und nach Basel. Aber das sich Seiler immer weniger für sein Musiklokal. Einzug. Atlantis spielte hier keine Pionierrolle. Ganz im Es begann zu darben. Immer öfter legten DJs Gegenteil. Kurt Seiler fand diese neue Musik auf, darunter Patricia Eichenberger, die erste laut und primitiv, als Jazzfan konnte er damit schlicht nichts DJane des Landes – obwohl es diesen Begriff damals nicht gab, anfangen. Sie klang in seinen Ohren wie Lärm. Genauso wie der denn die Gender-Wissenschaften, wie wir sie heute kennen, Jazz in der Erwachsenenwelt der 1940er- und 1950er-Jahre als waren noch Zukunftsmusik. Lärm abqualifiziert wurde. Rock, Jazz, Jazzrock, Folk, World Music, diese unterschiedliEs waren andere Lokale, die meisten von ihnen im Kleinbasel, chen Welten passten dann während Eddie Cassinis Ära bestens in denen der Rock ’n’ Roll explodierte. Und mit dem Auftreten unter das Dach des Hauses am Klosterberg. Lokale und nationaseiner Fans wirkten die Jazzrebellen plötzlich ein bisschen zivi- le Profis und Amateure, internationale Künstler und Bands: Das lisierter. Bis Mitte der 1960er-Jahre blieb das Atlantis bei Jazz -tis der Seventies präsentierte erfolgreich eine ausserordentlich breite Palette an Musikstilen und -protagonisten. und Unterhaltungsmusik der alten Schule.

Doch dann kam eine weitere mächtige neue Welle angeschwappt, sie stammte von den britischen Inseln, ihre Auslöser waren The Beatles, die US-amerikanische Musik, mit ihrer eigenen Note versehen, in England und auf der ganzen Welt etablierten. Und in ihrem Gefolge kamen viele weitere erfolgreiche Bands. Aus Rock ’n’ Roll wurde Rock. Jazz spielte auf der Popularitätsskala nur noch eine Nebenrolle, ‹Chürbse› musste sich ergeben. Rock verändert den Jazz

Spätestens ab 1965 hielten Beat und Rock im Atlantis Einzug. Mit Schweizer Bands wie Les Sauterelles (siehe Seite 125 ff.), aber auch mit internationalen Musikern und Bands wie Black Sabbath. Jazz spielte im Programm zwar immer noch eine Rolle. Doch ohne die neue Musik wäre das Publikum dem Konzertlokal ferngeblieben.

Die Ironie der Rockgeschichte

Die Ironie der Rockgeschichte will es aber, dass auch Cassini, der vielen Musikstilen aufgeschlossen gegenüberstand, lange Zeit seinen blinden Fleck hatte: Punk. Ausgerechnet 1976 kam diese neue wütende Form der Rockmusik aus New York und London über die Welt wie eine Sonnenfinsternis. Sogleich spaltete Punk die Rockgilde. Von den einen wurde diese erneute Revolution begeistert begrüsst, von den anderen durchwegs abgelehnt. Vor allem, weil diese Musik die Rebellion auf die Strasse brachte. Laut, brutal, böse, erfrischend primitiv war der frühe Punk. In seinem Gefolge kamen die Jugendaufstände der frühen 1980er-Jahre, die sich allerdings bereits in den späten Seventies zusammengebraut hatten, auch in Basel, mit Demos, Hausbesetzungen und dem – alles andere als diskreten – Ruf nach Autonomen Jugendzentren, sogenannten AJZs.

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Die meisten Rockfreaks alter Schule verachteten diese neue Musik, verachteten deren junge Anhänger und Protagonisten, die dauernd ‹No Future› und ‹Anarchie› brüllten, damals noch kurze Haare, Lederjacken und Springerstiefel als Pflichtprogramm trugen. Und Eddie Cassini schützte sein Lokal vor den Punks. In den frühen Eighties liess er diese Szene nicht ins Haus, was aus heutiger Sicht durchaus verständlich ist, weil sie Chaos und fliegende Bierflaschen in jedes Lokal brachte, ihm aber damals den Hass dieser neuen Rebellen einbrachte. Sie betrachteten ihn als alten Langweiler und sogar als ‹Fascho›, fürchteten ihn aber gleichzeitig und dichteten ihm die ungeheuerlichsten Verbrechergeschichten an. Der alte Konflikt um die Musikstile war also wieder da, einfach in neuem Gewand und mit einer Sicherheitsnadel in der Nase. ‹Nouvelle Vague›

Im Herbst 1987 gab es unter dem Namen ‹What’s Happening› sogar ein zweitägiges Festival mit Bands aus dieser Ecke, an dem Gruppen wie The Baboons, Man Without Future oder The Hydrogen Candymen aufspielten. Aber auch New Wave fügte sich ins Atlantis-Programm ein, waren doch die alten Rockfreaks plötzlich Fans von den Talking Heads. Die neuen Stile hatten ihren Platz am Klosterberg erobert. In einer Zeit, in der in den USA bereits Rap und HipHop aufkamen. Doch diese neuen schwarzen Musikformen aus den afroamerikanischen Ghettos haben sich im -tis nicht mehr wirklich durchgesetzt – auch wenn einige frühe Vertreter der lokalen Hip-Hop-Szene wie etwa die Rapperin Luana hier auftreten konnten.

Eddie Cassini schützte sein Lokal vor den Punks.

Doch auch die rohe Energie des frühen Punkrock schliff sich mit den Jahren ab, die Musik wurde bereits im Lauf der 1970er-Jahre immer differenzierter, immer kommerzieller, nahm bald den Namen New Wave an – man denke in diesem Zusammenhang an ‹La Nouvelle Vague› des französischen Kinos, da gibt es durchaus Ähnlichkeiten: die Kargheit, die knappen, einfachen Songs und Texte, die düster-brütende Melancholie. 1987 und 1988 begannen immer öfter New-Wave-Bands im Atlantis zu spielen, die sich teilweise im Umfeld der besetzten ‹Alten Stadtgärtnerei› gebildet hatten.

Ch-ch-ch-ch-Changes ...

Denn als die Ära Cassini Ende der 1990er-Jahre zu Ende ging, hatte das Atlantis als Konzertlokal nur noch eine kurze Laufzeit. Es verwandelte sich unter Jürg Wartmann immer stärker in ein Party-Haus, in dem angesagte DJs und elektronische Sounds die Atmosphäre bestimmten. Es ist fast überflüssig, zu sagen, dass viele Rock- und Jazzfans alter Schule die elektronische Musik verabscheuten (mit einigen Ausnahmen natürlich).

So wiederholt sich die Musikhistorie immer wieder. Das Atlantis der Gegenwart hat nun also freie Bahn, noch nie war es möglich, so viele verschiedene Musikstile in einem Programm unterzubringen, wie dies heute der Fall ist. David Bowie hat diese Welt der permanenten Veränderungen ja bereits 1971 besungen, in seinem berühmten Song ‹Changes›: «Ch-ch-ch-ch-Changes/ Turn and face the strange ...» Ja, dieses merkwürdige Universum der Veränderungen und Metamorphosen, das Atlantis ist lange Zeit ein Teil davon gewesen. Und so wird es wohl auch künftig sein.

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Diese und folgende Doppelseite: Wenn das Atlantis Anfang der 1950er-Jahre gestossen voll war, herrschten Zustände, die heute undenkbar wären – schon nur aus feuerpolizeilichen Gründen.





Sheila She Loves You am BScene-Festival 2016: Endlich wieder Livekonzerte.



Publikum Ende der 1970er-Jahre, auf der Bühne: Span.


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