Cristina Spoerri

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Cristina spoerri der bewegte raum

Christoph Merian Verlag


Künstlerische Bilanz Die erste repräsentative Einzelausstellung Cristina Spoerris hat 1979 in der Galerie Conrad in Basel stattgefunden. Soweit sich diese Präsentation rekonstruieren lässt, hat die Malerin bis dahin ihr bildnerisches Vokabular in mehrere Richtungen ausgelegt. Es gibt die zentralsymmetrischen Kompositionen, die sich mit Kreuz, Kreis und Dreieck zwischen Meditationsangebot und kontrastreicher Signaletik ansiedeln. Kräftige Farbigkeit, markante Konturen, starke Zentralsymmetrien nehmen mit früher konkreter Kunst Kontakt auf sowie mit einer im besten Sinn plakativen Sprache grafischer Entwürfe. Text kann den Tiefenraum in der Bildmitte umspielen oder sich um diagonale Kreuzbalken organisieren; solche hatten sich schon Anfang der 1970er-Jahre zu einem Rückgrat von Spoerris Bildkompositionen entwickelt. Bis Ende der 1970er-Jahre fügt die Malerin bestehende Bildideen zu ornamentalen Rahmungen zusammen. Sie nimmt Gegen­ ständliches in ihre geometrischen Kompositionen auf, darunter Bildnisse, Stilleben, Brief­ umschläge. Sie erschliesst das Bild als Raum, der schriftliche Botschaften, biografische Anspielungen, Orts- und Zeitangaben wiedergibt – und gleichzeitig verschlüsselt und in Schutz nimmt. Die mit ‹Brief› bezeichneten Hochformate speichern Momente der Sehnsucht und Erinnerungen an persönliches Begegnen, vielleicht Begehren. Ein vertikal ausgerichteter Rhombus nimmt schablonierte Kapitalbuchstaben auf, die sich – einmal in deutscher, einmal in italienischer Sprache – randabfallend an einen fernen oder verlorenen Geliebten richten: «Perchè ti penso ragazzo di verdi occhi color di lago dopo la ­tempesta», formuliert das Bild der Bundeskunstsammlung. Der ‹Brief› der Basellandschaftlichen Kunstsammlung gibt ein Fragment des Gedichts ‹Für Musik› des deutschen Dichters Emanuel Geibel wieder: «Durch das Meer der Träume / Steuert ohne Ruh’, / Steuert meine Seele / Deiner Seele zu.»28

« In ihren neuen Bildern hat Cristina Spoerri ihre ‹Brief›- und ‹Zeichen›-

Motive weiterverfolgt und kompositionell sowie inhaltlich noch verdichtet. Dunkle Linien in Dreieck- und Rechteckverläufen, die oft an Briefenveloppen erinnern, legen sich als Gerüst über die Bildfläche. Oft sind in ein zentrales Mittelfeld grosse Buchstaben eingefügt, während ornamentale Figuren den Randabschluss bilden: Seh-Briefe mit der Botschaft einer eigenen Harmonie, auf die alle Zeichen ausgerichtet sind. Dann wieder können kleinere Signalformen aus Kreuz, Streifen, Herz und Rhombus in einer fast heraldischen Abfolge den Bildraum besetzen, in intensiven, oft mit flüssigem Grau kombinierten Tönen. Ein bald exakter, bald peinture-weicher Farbauftrag bindet die geometrischen Figurationen und Chiffren teppichhaft in die grossen Formate ein, gibt ihnen eine Intimität.» Annemarie Monteil in der Basler Zeitung, 11. Dezember 1981

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Brief A (um 1980) Dispersion, Öl, Kohle auf Leinwand, 170 × 125 cm Sammlung Kunstkredit, Archäologie und Museum Baselland

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Es ist verführerisch, der Malerei so direkt und wörtlich Bedeutung einzuschreiben. In ihrem unanfechtbaren Tiefgang verwandelt Sprache das Bild in eine Membran zwischen Innen und Aussen. Malerei wird zur Folie, die in ein mehrschichtiges Layout auskristallisiert erscheint. Im Bildbau der ‹Briefe› hat Spoerri eine vorläufige Form gefunden, der sie in vorausgehenden, zentralsymmetrischen Werken schon auf der Spur gewesen war. Typografisch anmutende Flächen und Umrisse hatten den Text um 1973 zum Hintergrund oder fragmentiert in die Bildmitte genommen. Geometrische Mandalas könnten Pate ge­standen haben, bevor die Sprachvisionen ihre Transparenz gewinnen. Jetzt muten sie an wie Entwürfe zu Teppichen oder Glasfenstern. Es bleibt in allen Varianten die Absicht lesbar, Bilder als eigenen Reflexions- und Echoraum zu nutzen, um sie dann einer breiteren Rezeption zur Verfügung zu stellen. Die Basler Kunsthistorikerin Dorothea Christ hält 1979 in der Begleitpublikation zur Ausstellung in der Galerie Conrad fest, die Malerin arbeite «vorbehaltlos ‹autobiografisch›». Wobei das Autobiografische so zu verstehen sei, «dass sie, die ja fast ausschliesslich ungegenständlich arbeitet, zwar keine realen Erlebnisse erzählt, kaum die Spur vergangener Ereignisse aufklingen lässt, dass sie aber ihr spirituelles Suchen, ihre Ziele, ihre Umwege, ihre Zweifel und gewonnenen Einsichten in die Bilder trägt.»29 Spoerris Motive und Themen speisen sich aus einem persönlichen Erfahrungshorizont, den sie in der Vereinfachung geometrischer Formen zur allgemeingültigen Mitteilung verdichtet. Kann man den Wohnzimmerformaten jener Jahre eine dekorative Gefälligkeit nicht immer absprechen, so gelingt die glaubwürdige Übersetzung des Empfindens da, wo Architektur Spoerris subjektiven Partituren eine sehr konkrete, im wörtlichen Sinn auch grössere Dimension anbietet.

Der Brief, 14. 10. 79 (1979) Dispersion, Öl, Kohle auf Baumwolle, 171,5 × 127 cm Sammlung Kunstkredit Basel-Stadt

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Zeichen der Zeit (1973) Acryl und Mischtechnik auf Leinwand, 200 × 140 cm

Ohne Titel (1976) Acryl auf Leinwand, 125 × 125 cm

Kosmische Kräfte (vor 1975) Öl auf Leinwand, 130 × 120 cm Sammlung Kunstkredit, Archäologie und Museum Baselland

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Ohne Titel (um 1992) Acryl und Kohle auf Baumwolle, 130 × 105 cm

Ohne Titel (1976) Acryl und Mischtechnik auf Leinwand, 190 × 130 cm

« Man könnte sich vorstellen: die Bilder von Cristina Spoerri sind wie Tafeln

mit Signalen und Botschaften, die sich an Wesen richten, die aus anderen geistigen Bereichen kommen und eine andere Sprache sprechen; Botschaften wie zum Beispiel: Hier ist Leben! Hier sind Menschen! Hier werden Reaktionen festgehalten auf Erfahrungen in einer nichtmateriellen Welt! Warum auch nicht, aber wer sind dann diese Wesen? Woher müssten sie kommen, damit sie diese Botschaften aufnehmen und ver­ stehen können? Diese Fragen müssen gestellt werden, sollen die Bilder nicht einfach im Kunstgewerblichen, das heisst im Dekorativen, das erklärungsloses Wohlgefallen auslöst, hängen bleiben. » Aurel Schmidt im Basler Magazin, 8. September 1979

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Zeichen für den Übergang: Wandbild in Reinach Im Jahr 1982 entsteht eine neue Eingangssituation zum Friedhof Fiechten in Reinach. Spoerri realisiert ein Bild entlang der Wand, die den Besucher in einem angedeuteten Halbrund unter dem Dach vom Park- und Vorplatz zur Kapelle und zu den Grabfeldern leitet. Grundelemente auch dieser Komposition sind Rad, Quadrat, Kreuz und Dreieck, wie Spoerris Malerei sie bereits vorbereitete. Im wandhohen Band kommen sie hier nebeneinander zu stehen. Durch vertikale Farbbahnen gerahmt, wirken die grossen, diagonalen und kreisenden Richtungsimpulse stabilisiert. Die Farbpalette reicht von Schwarz über Grau-, Blau- und Rottöne bis ins Weiss. In der schon bekannten Schablonenschrift zitiert Spoerri den ‹Winterabend› von Georg Trakl: «Wenn der Schnee ans Fenster fällt, / Lang die Abendglocke läutet, / Vielen ist der Tisch bereitet, / Und das Haus ist wohl bestellt (...).» Das Vertrauen in lesbare Zahlen und Buchstaben mischt sich mit der Wahrnehmung, dass jedes Zeichen an einer übergeordneten formalen Grundbedingung teilhat. Man kann in den Elementen einen Bezug zu Wasser, Feuer, Erde und Luft ausmachen und die Werkbetrachtung im Hinblick auf Himmelsrichtungen, ja auf Weltreligionen öffnen.30 In dieser Lektüre erweist sich auch eine grosse Qualität von Spoerris Wandbild. Denn im Quadrat lässt das Kreuz seine einschränkend christologische Deutung hinter sich, der Kreis kann auf ein Zifferblatt, ein Wasser- oder ein Lebensrad verweisen. An der architektonischen Schwelle zwischen Lebenden und Verstorbenen hält die Grundform verschiedene Deutungen offen. Durch die schmalen Oberlichter in der Decke schreibt sich je nach Witterung ein mehr oder weniger markanter, heller Lichteinfall in die Komposition ein.

Ohne Titel (1982) Wandmalerei auf Betonwand verputzt, 280 × 914 cm Friedhof Fiechten, Reinach BL (auch vorangehende Doppelseite)

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Es ist nicht auszuschliessen, dass Cristina Spoerri im Entwurfsprozess der Friedhofswand etwas entdeckte, was in ihrer Malerei in der Folge eine bleibende Rolle spielen wird: die schwarze Kreide, die in der monochromen Übermalung als dunkler Schatten nachwirkt. Was die Künstlerin in der Finalisierung des Wandbilds noch nicht gelten lässt, nutzt sie als wesentliches Gestaltungselement in der sich anschliessenden Arbeit. Ihre Bildräume werden bunter und sind gleichzeitig durchdrungen von einem dunklen Sfumato, das sich aus der Vorzeichnung bis in die letzte Bildschicht durchsetzt. Spoerri löst sich von Bildfindungen, die noch wenige Jahre zuvor «etwas Perfektes, also Starres, vielleicht sogar Steriles» zu erkennen gegeben haben.31 Die Anlehnung an typografische Elemente weicht aus dem Bildvokabular. Farbe wird zur bewegten Materie. Aus symmetrischen Kompo­ sitionen scheinen sich manchmal aufrechte Körper zu lösen – Figuren, die, der Architektur entlehnt, mit unserer eigenen Körperachse Verbindung aufnehmen. In Zonen der Unschärfe verliert die Zentriertheit ihre Strenge. Spoerris Formensprache bleibt nach dem Reinacher Auftrag weiterhin an Zeichen und Motiven orientiert, die dem Bedenken von grösseren Zeiträumen gewidmet sind, als eine menschliche Biografie sie vermessen kann: Immer wieder wird sich die sakrale Architektur der Romanik in Um- und Grundrisse einschreiben. Elsässische Friedhöfe sind nahe, wo gerundete Grabsteine – hier in intensiver Farbigkeit – den Bildraum dynamisieren.

Ohne Titel (1984) Acryl, Kohle, Lasur auf Baumwolle, 190 × 240 cm

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Ohne Titel (1984) Acryl, Kohle, Lasur auf Baumwolle, 240 × 190 cm Ohne Titel (1976) Acryl und Kohle auf Baumwolle, 120 × 100 cm

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Bewegung der Zeit (1982) Dispersion auf Baumwolle, 190 × 260 cm Sammlung Kunstkredit Basel-Stadt

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Espace (vor 1984) Mischtechnik auf Leinwand, 242 × 193 cm Sammlung Kunstkredit, Archäologie und Museum Baselland Ohne Titel (1984) Acryl, Kohle, Lasur auf Baumwolle, 240 × 190 cm

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Lumière (1986/87) Mischtechnik auf Baumwolle, 240 × 190 cm, Privatbesitz

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1989: Kunsthalle Basel Die zehn Werke, die Cristina Spoerri 1989 im Oberlichtsaal der Kunsthalle Basel vorstellt, sind das Ergebnis langsamer Malprozesse: In einem nie ganz abschliessenden Pendeln zwischen planer Auslegeordnung und räumlicher Perspektive überlagert die Malerin ihre direkt auf die Leinwand aufgetragene Kohlezeichnung. Die Acrylfarbe nimmt deren Spuren als Schatten und Unschärfen in die jeweils nächste Schicht mit. Vorderund Hinter­grund halten im Bereich des Ungefähren inne. Öffnung und Übermalung halten sich die Waage und sind häufig um ein ausgewiesenes Bildzentrum organisiert. Auf einer Skala zwischen Hell und Dunkel, Hier und Dort – mehr noch: zwischen Dies- und Jenseits – wird eine innere Bewegung zur Bezugsgrösse, die sich auch in Bildtiteln spiegelt: In ‹Ville de Rêve› dringt ein schmales Tor in die Sphäre einer vielschichtigen Grab- oder Grabungsstätte vor. ‹Das Unendliche› manifestiert sich als Spiegelung, die als aufgehelltes Kreuz oder Oval inmitten von diagonalen Akzenten zur Ruhe kommt. ‹Fenster in die Vergangenheit› kleidet die Andeutung archaischer Sakralbauten mit schraffierten Kacheln aus, die Mitte frei haltend für einen Blick ins Helle.

« Cristina Spoerri, viel- und weitgereist, lässt sachte und vehement ihre

Erfahrungen in die Bildwirklichkeit einfliessen. Die flächigen, Aufriss und Grundriss verbindenden Strukturelemente leben durch die Räumlichkeit und die Bewegung der Farbe. Farbe, das kann die Transparenz der Kohle sein, mit einem Hauch von farbigem Licht. Staunend steht man zwar vor dem Bild, aber, so fragt man sich des öfteren, blickt man nun von innen nach aussen, oder steht man innen und verfolgt das wandernde Licht des Tages im Raum am Boden, an den Wänden, dann, wenn das diffuse Dunkel durch den Lichtschein Substanz wird? Farbe, das kann auch die Plötzlichkeit der Erscheinung einer Form sein, die sich einer geo­ metrischen Vielfarbigkeit als Bild und nicht als Struktur ausgibt. Farbe, das kann aber auch der Durchblick sein, der Nähe und Ferne zugleich in jene Wahrnehmungsebene bannt, die Standort und Verheissung verschmelzen lässt. » Jean-Christophe Ammann im Ausstellungskatalog der Kunsthalle Basel, 1989

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Vernissage zur Ausstellung in der Kunsthalle Basel (19. Februar 1989)

Ville de Rêve (1988) Mischtechnik auf Baumwolle, 240 × 190 cm Privatbesitz

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