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Philippe Saurbeck (* 1966) ist Fotograf und archäologischer Grabungstechniker. Er lebt mit seiner Familie in Rheinfelden.
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DIE GESCHICHTE EINES BASLER WAHRZEICHENS
Christoph Matt (* 1953), Studium der Ur- und Frühgeschichte, Schweizer Geschichte und Volkskunde in Basel. Seit 1980 ist er Mitarbeiter der Archäologischen Bodenforschung des Kantons Basel-Stadt.
Wehrhaft und schmuck kündete das Spalentor, kurz vor 1400 fertiggestellt, vom erwachenden Selbstbewusstsein der Stadt Basel. Jahrhundertelang Teil der Stadtmauer, bot es den Bewohnern Schutz und zog Reisende an. In dieser aufwendig illustrierten Publikation zeichnen Peter Habicht und Christoph Matt die wechselvolle Geschichte eines grossen Wahrzeichens nach. Fachkundig schildern sie die reiche Ausstattung, erzählen vom Leben in der Vorstadt und von den Menschen, die sich dort niederliessen. Fuhrleute und Schmiede, Wirte und Bäcker, auch Klarissen, Polizisten und einmal gar ein Geldfälscher lebten in der Nähe des Tores, das ins Elsass und damit in die Kornkammer der Stadt führte. Heute ziehen die Pendlerströme vorbei, doch noch immer gibt das Tor der Ladenstrasse dahinter ein intaktes Gepräge. Vor Kurzem aufwendig restauriert, spiegelt das Spalentor siebenhundert Jahre Bau- und Siedlungsgeschichte.
PETER HABICHT, CHRISTOPH MATT
Peter Habicht (* 1959) hat in Basel Geschichte studiert. Er arbeitet als Autor, Stadtführer und Referent. Publikationen u.a.: ‹Basel – Mittendrin am Rande› (engl. ‹Basel – A Center at the Fringe›); ‹Lifting the Mask. Your guide to Basel Fasnacht›.
DAS SPALENTOR UND DIE VORSTADT
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ERHALTEN
1 SPALENTOR
CHRISTOPH MERIAN VERLAG
12 MUESHAUS
2 SPALENSCHWIBBOGEN
13 STACHELSCHÜTZENHAUS
3 STEINENKREUZTOR / FRÖSCHENBOLLWERK
14 WERKHOF
4 EGLOLFSTOR (LEIMENTOR)
15 KARRERHOF / VESALIANUM
5 GESELLSCHAFTSHAUS ZUR KRÄHE
16 SPALENBRUNNEN
6 KLOSTER GNADENTAL
17 TEUCHELWEIHER UND SCHÜTZENHAUS
7 LÜTZELHOF ISBN 978-3-85616-656-4
NICHT ERHALTEN
18 FRIEDHOF ST. PETER
8 HAUS ZUM ERKER
19 ERSTER JÜDISCHER FRIEDHOF
9 HAUS ZUM ÖSTERREICH
20 SPALENGOTTESACKER / BOTANISCHER GARTEN
10 ZEUGHAUS / KOLLEGIENGEBÄUDE
21 FRIEDHOFSKAPELLE
11 KORNHAUS / ALTE GEWERBESCHULE
22 SPALENSCHULHAUS
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KAPITEL X:
2
3
KAPITEL X:
4
VORWORT DER HERAUSGEBERIN Das Stübli hoch oben im Spalentor ist uns Krähen nun schon seit fünfzig Jahren liebgewordenes ‹Nest› und ein Ort, der für unsere Vorstadtgesellschaft eine fast mythische Bedeutung hat. Dort trifft man sich einmal im Monat zum gemütlichen Hock mit kleinem Imbiss, für den die ungeschriebene Regel gilt, dass er nur so gross sein darf, dass man ihn in zwei Körben hinauftragen kann. Dort oben werden Ideen geboren und geschmiedet. Und einmal im Jahr findet im zweiten Stock des Tors das wichtigste gesellschaftliche Ereignis der Vorstadtgesellschaft zur Krähe, das traditionelle ‹Graaiemähli› statt. Da geniessen Meister und Vorgesetzte zusammen mit ein paar wenigen Gästen ein mehrgängiges Diner an festlich gedeckter Tafel. Es ist immer wieder eindrücklich, im kleinen Kreis – am Tisch haben nur sechzehn Personen Platz – dem gemächlichen Eindunkeln der Spalenvorstadt zuzusehen. Um möglichst viele Menschen an dem Leben im und um das Tor teilhaben zu lassen und ihnen einen entsprechenden Einblick auch in die Geschichte der Spalenvorstadt zu ermöglichen, ist dieses Buch entstanden. Während der fast zwei Jahre dauernden und im Frühjahr 2014 abgeschlossenen Sanierung des Spalentors wurden wir von der Vorstadtgesellschaft immer wieder mit Fragen zum Tor, seiner Geschichte und seiner Umgebung konfrontiert. So kam der Wunsch auf, das Wissen rund ums Tor, das an verschiedenen Orten vorhanden und von dem auch einiges bereits publiziert war, zusammenzutragen und allen, die an der Geschichte dieses Basler Wahrzeichens interessiert sind, in einem leicht und anregend zu lesenden Buch zugänglich zu machen. Dank der Unterstützung einiger Zünfte und Gesellschaften Basels, von Stiftungen, Banken, Firmen und Privatpersonen aus dem Spalenquartier waren die Mittel für unser Vorhaben bald zusammen, und das Projekt konnte gestartet werden. Im Christoph Merian Verlag fanden wir den idealen, professionellen Partner, der es unserer kleinen Vorstadtgesellschaft überhaupt erst ermöglichte, ein solches Buch herauszugeben. Als federführender Autor konnte der Historiker Peter Habicht gewonnen werden, der sich gemeinsam mit dem Archäologen Christoph Matt mit viel Kompetenz an die Arbeit machte. Unterstützt wurden die beiden vom Fotografen Philippe Saurbeck. Thomas Lutz hat als Vertreter der kantonalen Denkmalpflege Basel-Stadt einen Gastbeitrag beigesteuert, der die erfolgreich abgeschlossene Sanierung des Spalentors würdigt. Unser Altvorgesetzter Peter Pardey hat die Texte mit grossem Sachverstand kritisch gegengelesen. Ihnen allen sei an dieser Stelle für ihr Engagement und ihre Unterstützung unseres Vorhabens ausdrücklich und ganz herzlich gedankt. Nun wünsche ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, viel Spass bei der Begegnung mit bereits Bekanntem und dem Entdecken von viel Neuem rund um unser Spalentor. Hansruedi Kehlstadt Basel, im Mai 2015
E. Vorstadtgesellschaft zur Krähe: Hansruedi Kehlstadt (Meister), Martin Weis (Statthalter), Rolf Bommer (Seckelmeister), Jean-Pierre Rothen (Schreiber), Alex Wirth (Irtenmeister), Edwin Mundwiler (Bauherr), Remigius Faesch (Sechser), Jürg Humbel (Altvorgesetzter und Bannerherr), Peter Pardey (Altvorgesetzter)
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KAPITEL X:
INHALT
Kapitel 1:
Eine Annäherung
13
Welch ein Bauwerk
13
Kapitel 2:
Wehrhaft 21
Von Mauern geschützt Die Burkhard’sche Mauer Die Innere Stadtmauer Der Spalenschwibbogen Die Vorstadtbefestigung Das Erdbeben von 1356 Die Äussere Stadtmauer Das Fröschenbollwerk
21 23 23 24 26 28 28 32
Kapitel 3:
Das Tor 41
Ganz plakativ Die Baugeschichte Die Spalenmadonna Der Baselstab Das Vorwerk Das ‹Basler Dybli› Im Inneren des Tores Die Bewohner des Tores Die Waffen des Tores
41 43 46 48 49 51 53 53 55
Kapitel 4:
Draussen 65
Torschlusspanik Zölle Basel und das Elsass Flüchtlinge
65 67 69 75
Kapitel 5:
Drinnen 87 Die Vorstadt entsteht 87 Die Vorstadtgesellschaft zur Krähe 90 Das Gesellschaftshaus 94 Das Leben in der Vorstadt 99 Der Spalenbrunnen 102 Wohnen in der Vorstadt 105 Das Haus zum Österreich 106 Das Klarissenkloster Gnadental 110 Das Haus zum Erker 114 Der Lützelhof 116 Bauten der städtischen Infrastruktur 1 17 Kornhaus und Mueshaus 1 17 Zeughaus und Werkhof 120 Das Stachelschützenhaus 12 1 Das Spalentier 124 Die Friedhöfe 125
Kapitel 6:
Der Wandel 139
Immer weiter Die Eisenbahn Die ‹Stadtgesundung› Das Schleifen der Stadtbefestigung Neues Leben vor den Toren Das Spalenschulhaus Vorstadt und Tor im Wandel
139 139 1 4 1 143 146 150 1 5 1
Thomas Lutz:
‹Im neuen Glanze erstrahlen› soll’s eben nicht!
163
Literatur und Bildnachweis Dank
176
Anhang:
174
Domenico Quaglio (1787 – 1837), Das Spalentor von Südwesten gesehen, Bleistiftzeichnung, um 1820/1830, 37.5 × 48 cm.
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KAPITEL 1:
EINE ANNÄHERUNG
WELCH EIN BAUWERK Mit seiner Grösse und der qualitativ hochstehenden künstlerischen Ausstattung zählt das Spalentor zu den bedeutendsten mittelalterlichen Stadttoren in Europa. Seine Wirkung entfaltet es auch heute noch – trotz einer viel befahrenen Strassenkreuzung und obwohl die Stadt vor 150 Jahren über ihren mittelalterlichen Mauerring hinausgewachsen ist. Es ist schon aus einer Distanz von über 1,5 Kilometern in voller Grösse zu sehen, denn die Missions- und in ihrer Fortsetzung die Burgfelderstrasse läuft schnurgerade auf das Tor zu. Diese Strasse ist sehr alt. Sie folgt einer Geländekante des Westplateaus 1 in Richtung Sundgau und Burgundische Pforte, der Niederung zwischen dem Jura und den Vogesen. Jahrhundertelang war diese Landstrasse Basels Lebensader. Sie führte nicht nur ins südliche Elsass, Europas Korn- und Weinkammer, sondern auch zu den wichtigen Messen von Lyon und der Champagne und, last but not least, nach Besançon, dem Sitz des Erzbischofs, welchem das Bistum Basel unterstellt war. Basel war weit über das Mittelalter hinaus nach Westen orientiert. Für viele zeitgenössische Beobachter galt sie (zumindest bis zum Beitritt zur Eidgenossenschaft) als elsässische Stadt. Es erstaunt deshalb nicht, dass der Rat an dieser Stelle, wo die meisten Fremden Basel erstmals erblickten, das mit Abstand aufwendigste und prächtigste Tor errichten liess. Denn das Spalentor sollte von Anfang an mehr sein als nur ein Wehrbau, eine Zollstation oder ein Eingang: Es war die ‹Visitenkarte›, ein Wahrzeichen und das Symbol für den Reichtum und die Macht der Handelsstadt Basel.
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EINE ANNÄHERUNG
Sog. Meister von 1445, ‹Die Speisung der heiligen Einsiedler Antonius und Paulus›, Mischtechnik auf Tannenholz, 1445, 133.5 × 77.5 cm.
Die Altartafel ‹Die Speisung der heiligen Einsiedler Antonius und Paulus› wurde 1445 von einem unbekannten Meister aus dem Bodenseeraum geschaffen. In unserem Zusammenhang interessiert die Geschichte der beiden Eremiten weniger als die Stadt, die im Hintergrund dargestellt ist, oder vielmehr das Stadttor. Denn es trägt unverwechselbar die Züge des Spalentors. Es ist die älteste bildliche Darstellung dieses Bauwerks, die wir kennen. Das bedeutet allerdings nicht, dass mit der Stadt im Hintergrund tatsächlich Basel gemeint wäre, auch wenn es in der mittelalterlichen Kunst durchaus üblich war, das Heilsgeschehen in ein vertrautes europäisches Umfeld zu verlagern. Vielmehr stehen Mauern und Tore grundsätzlich als Symbol für die Stadt als eine von Menschen erschaffene Ordnung – im Gegensatz zur Wildnis, in der sich die Szene mit den beiden Eremiten abspielt. Dass der sogenannte Meister von 1445 für diese Stadtformel das Spalentor wählte, spiegelt den tiefen Eindruck, den es auf die damaligen Zeitgenossen machte. Mauern und Tore machen die Stadt zur Stadt, sie definieren die Grenze zwischen drinnen und draussen. Stadtbeschreibungen der Renaissance beginnen unweigerlich mit dem Mauerring, der nicht selten als ‹Krone› bezeichnet wird. ‹Drinnen›, das war die Welt der freien Händler und Handwerker, ‹draussen› die Welt der unfreien Bauern. Als im 15. Jahrhundert die Städte als Mitspieler auf dem politischen Parkett auftauchten und die feudale Herrschaft der Ritter und des Landadels zurückdrängten, wurden die Mauern auch zum Symbol der Herrschaft der Stadt über das Land. Es ist kein Zufall, dass Basels dritter Mauerring, zu dem das Spalentor gehörte, in einer Zeit gebaut wurde, in der sich die Stadt zunehmend von ihrem mittelalterlichen Stadtherrn, dem Bischof, emanzipierte, eine eigenständige Bündnis- und Territorialpolitik betrieb und sich (mit dem Erwerb der Vogteien im Sisgau) ein eigenes Untertanengebiet schuf. Mauern boten Schutz, in Zeiten des Krieges und in Zeiten des Friedens. Denn ‹draussen› war ja nicht nur Kulturland. Weite Teile Europas waren noch von dichten Wäldern bewachsen, Strassen führten durch Sumpflandschaften oder über unwegsame Gebirge. Wilde Tiere bildeten eine Gefahr für Reisende; Räuberbanden und Wegelagerer ebenso. So führte denn auch das Aufkommen des internationalen Handels im 12. und 13. Jahrhundert zu zahlreichen Stadtgründungen, damit die Kaufleute die Nacht im Schutz eines Mauerrings verbringen konnten. Wichtige Verkehrsachsen wie diejenige durch die Burgundische Pforte mögen zwar einigermassen sicher gewesen sein; doch wird wohl mancher Reisende ein Dankesgebet an ‹unsere liebe Frau zu Spalen› gerichtet haben, die ihn vom Spalentor herab begrüsste und ihm Schutz und Sicherheit verhiess. Und er wusste, dass er in der hinter dem Tor liegenden Strasse, die seltsamerweise ‹Vorstadt› hiess (doch davon später), nicht nur eine Herberge finden würde, sondern alles, was es unterwegs brauchte. Davon, dass das Spalentor schon zu Zeiten, als alle europäischen Städte über Mauern und Tore verfügten, als aussergewöhnlich angesehen wurde, zeugen die vielen bildlichen Darstellungen, beispielsweise die Kupferstiche, die in ganz Europa nachgedruckt wurden. Auf ihnen wird, wie
15
EINE ANNÄHERUNG
im abgebildeten Beispiel, das Tor häufig als ‹St. Pauls Tor› oder ‹Porte St. Paul› bezeichnet. Darüber konnte sich schon im 18. Jahrhundert der Basler Rhetorikprofessor Johann Jakob Spreng erregen: «Es ist eine übel gerahtene Klügeley, wenn Einige anstatt des Spalenbergs, der Spalenvorstadt, und des Spalenthors, […] St. Pauli Berg, St. Pauli Vorstadt und St. Pauli Tohr, in unsere Stadtkarte einflicken, und allso unsern Nachkömmlingen unzählige Irrtümer und Missverständnisse in allerley Briefen und Urkunden verursachen.» 2 Tatsächlich hat der Name Spalen immer wieder zu Diskussionen Anlass gegeben. Einig ist man sich allerdings, dass sich der Begriff nicht vom Apostel Paulus ableitet, sondern vom mittelhochdeutschen Spale, was soviel wie Leitersprosse bedeutet. In der Schweiz, wo der Flurname Spale verschiedentlich belegt ist (beispielsweise in Langenbruck, wo es einen Spalebach, einen Spaleberg oder eine Spalematt gibt, oder in Seewen, das über eine Hindere, Vordere, Obere und Undere Spahlen verfügt), bezeichnet der Begriff Verschiedenes: langes Holzscheit, Latte, (Leiter-)Sprosse, Rundbalken, Pfahl oder ein Querholz zur Befestigung und Gangbarmachung von steilen oder sumpfigen Wegen. Eine weitere Bedeutung, nämlich das Schulterstück oder die Laffe bei Schlachttieren, geht auf das italienische spalla zurück. Viele dieser Bedeutungen wurden schon zur Interpretation des Namens beigezogen. Mittlerweile besteht der Konsens, dass sich der Name, der übrigens erstmals 1230 urkundlich als vicus spaleae für den Spalenberg auftaucht, von Pfählen herleitet und als Hinweis auf eine frühe Befestigung der Talstadt mittels eines Palisadenzauns zu verstehen ist. 3
S. 17: William Tombleson (1795 –1846), ‹St. Paul’s Gate, Basle›, Stahlstich, um 1830, 20.3 × 12 cm. 1 __ Das Westplateau ist eine Hochebene, die nach Norden in Geländeterrassen Richtung Rheinebene, nach Osten steil zum Tal des Birsig abfällt. Am östlichen Rand des Plateaus befinden sich die Strassenzüge Nadelberg, Heuberg und die Kohlenberggasse. 2 __ Spreng 1756, S. 37. 3__ Freundliche Mitteilungen von Dr. Markus Ramseier und Jürgen Mischke.
16
Stadtmauer und -graben zwischen dem FrĂśschenbollwerk und dem Spalentor, um 1860. Foto: Adam BorbĂŠly Varady.
KAPITEL 2:
WEHRHAFT
VON MAUERN GESCHÜTZT Mitteleuropäische Städte haben sich häufig nach einem ähnlichen Muster entwickelt: Ausserhalb eines mehr oder weniger bescheidenen Herrschaftssitzes, dem Burgus, entstanden aufgrund von Neuerungen im Marktrecht (wie etwa der Einführung des Zoll- und Münzrechts) im späten 10. Jahrhundert kleine Markt- oder Kaufmannssiedlungen. Da dort, wo gehandelt wird, auch Streit entsteht, oblag dem adligen Stadtherrn die niedere und hohe Gerichtsbarkeit (Schultheissenamt und Vogtei). Aus den Beratergremien dieser Gerichte entwickelten sich im 12. Jahrhundert die Räte, deren Sitz, das Richt- oder Rathaus, meist unmittelbar beim Markt errichtet wurde. Doch musste der Markt auch gegen aussen geschützt werden. Der Friede war wegen der Kleinräumigkeit der Herrschaftsgebilde weniger durch grosse Kriege als durch unzählige kleine Fehden gefährdet. So entstanden in ganz Mitteleuropa im 11. Jahrhundert die ersten Steinmauern, welche die alten Holzbefestigungen ersetzten. Sie fassten Herrschaftssitz und Kaufmannssiedlung in einem Mauerring zusammen: Die Stadt war geboren. Die Geschichte Basels entspricht diesem Muster. Auf dem steilen Hügelsporn über dem Rhein, auf dem schon Kelten und Römer gelebt hatten, entwickelte sich ab dem 8. Jahrhundert ein feudaler Herrschaftssitz. Der adlige Herrscher war zugleich weltliches und geistliches Oberhaupt: der Fürstbischof. Die Hauptkirche des Bistums, das Münster, bildete mit dem bischöflichen Palast und den Höfen des Adels ein Zentrum, das bis in die Neuzeit häufig ‹auf Burg› genannt wurde (die Liegenschaft Münsterplatz 2
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BOLLWERK
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heisst noch heute so). Am Fusse des Münsterhügels entstand im späten 10. Jahrhundert im Bereich des späteren Fischmarktes eine kleine Marktsiedlung, die wohl schon sehr früh durch einen Palisadenzaun geschützt war. Nach einer ersten Expansionsphase im Gebiet der heutigen Talstadt (von der Schifflände bis zum Barfüsserplatz) und entlang des Hangs des Westplateaus (Petersberg, Spalenberg, Heuberg) erhielt sie im späten 11. Jahrhundert eine Steinmauer.
DIE BURKHARD’SCHE MAUER Basels erste Stadtmauer entstand um das Jahr 1080 unter Bischof Burkhard von Fenis. Wie andere Kirchenfürsten mischte auch er in der hohen Politik mit. Seine Loyalität zum deutschen König Heinrich IV. brachte ihn häufig in Verlegenheit. So musste er beispielsweise Heinrich auf dessen schmachvollen Gang nach Canossa begleiten. Und er musste seine Stadt vor Heinrichs Kontrahentem, dem Gegenkönig Rudolf von Rheinfelden, schützen. Deshalb liess er eine Mauer bauen. Ihr Verlauf bereitete den Archäologen lange Zeit Kopfzerbrechen. Er konnte erst in den letzten Jahrzehnten lückenlos nachgewiesen werden. Die Fundamente liegen nur fünf bis zehn Meter hinter der Inneren Mauer unter dem Boden. Die Burkhard’sche Mauer besass zwar schon Wehrtürme (zum Beispiel den Eckturm am Kohlenberg), war aber offenbar relativ schnell erstellt worden 1 und mit einer Breite von 0,9 bis 1,5 Metern nicht sonderlich stark. Dies wird wohl einer der Gründe dafür gewesen sein, dass sie keine hundertfünfzig Jahre später durch einen neuen Mauerring ersetzt wurde.
DIE INNERE STADTMAUER Das 13. Jahrhundert war für ganz Mitteleuropa eine Blütezeit. Der internationale Handel boomte, die Städte wuchsen. Auch in Basel verdoppelte sich die Bevölkerung innerhalb eines Jahrhunderts. Die grossen Orden der Franziskaner und Dominikaner liessen sich in der Stadt nieder, Kirchen wurden gebaut, ein Wasserleitungssystem eingerichtet und vieles mehr. Es war eine Zeit des ununterbrochenen Bauens. Dabei ragen zwei Grossprojekte der ersten Jahrhunderthälfte heraus: der Bau der Rheinbrücke (und der Gründungsstadt Kleinbasel) sowie derjenige einer neuen Stadtmauer. Wann der Bau der sogenannten Inneren Stadtmauer (eigentlich die mittlere der drei mittelalterlichen Mauern) begann, ist unklar. Gesichert ist einzig, dass sie vor 1250 fertiggestellt war. Ihr Verlauf lässt sich noch heute dem Stadtplan anhand der Strassennamen ablesen: Petersgraben, Leonhardsgraben, Kohlenberg, Steinenberg, St. Alban-Graben. Wie erwähnt entsprach dies, ausser beim Barfüsserplatz, dem Verlauf der Burkhard’schen Mauer. Das bedeutet, dass die umschlossene Fläche zumindest zur Zeit des Baubeginns durchaus genügte, um die wachsende Bevölkerung unterzubringen. Weshalb also eine neue Mauer? Zum einen hängt dies sicherlich mit den Mängeln der Burkhard’schen Mauer zusammen. Tatsächlich wurde die Innere Mauer doppelt so dick, ihr Graben doppelt so tief. Zum andern trug
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WEHRHAFT
Johann Jakob Neustück (1799 –1867), Der Spalenschwibbogen vom Stadtinnern her gesehen, Aquarell, 1837, 34 × 45 cm.
die neue Mauer mit ihrer Stärke, mit ihren Schalentürmen und vor allem den repräsentativen Tortürmen einem gesteigerten städtischen Selbstbewusstsein Rechnung.
DER SPALENSCHWIBBOGEN Das Aquarell von Maximilian Neustück zeigt uns den Spalenturm oder -schwibbogen 2 vom Stadtinnern aus gesehen. Wir sehen ein gemütliches Treiben auf der Strasse, wir sehen den Sackpfeifferbrunnen (der 1839 in die Spalenvorstadt versetzt wurde), vor allem aber sehen wir den wuchtigen Torturm, der ab dem 13. Jahrhundert als Hauptzugang zur Stadt diente. Die vier Ecken sind aus massiven Bossenquadern aus rotem Sandstein gebildet. Sie implizieren Stärke, denn derart bearbeitete Steine, die sich nach aussen wölben (Bosse = Buckel), findet man vornehmlich an Befestigungen. Während die Vorderfront des Tores vollumfänglich aus Bossenquadern bestand, sehen wir an der der Stadt zugewandten Innenseite Fenster. Erst bei genauem Hinsehen erkennt man, dass diese vergittert sind, denn dahinter befanden sich Gefängniszellen. Sie trugen Namen wie ‹Eichwald› (vermutlich ein aus massiven Balken gezimmertes Blockgefängnis, wie es sich zum Beispiel im Schloss Lenzburg erhalten hat), ‹Hexenkäfig›, ‹Saal› oder ‹Hurenkämmerlein› und galten als «sehr peinigend und beynahe zum Ersticken eingerichtet».3 Der
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Johann Jakob Neustück, Der Spalenschwibbogen von der Spalenvorstadt her gesehen, Aquarell, 1837, 39.8 × 50.2 cm.
prominenteste Gefangene im Spalenschwibbogen war wohl der unglückliche Erzbischof von der Krain, Andreas Zamometic. Der erbitterte Gegner von Papst Sixtus war 1482 nach Basel gekommen, um hier ein neues Konzil auszurufen. Auf Geheiss des Kaisers setzten ihn die Basler zwar fest, weigerten sich aber, ihn nach Rom auszuliefern. Nach zwei Jahren wurde er am Morgen des 13. Novembers erhängt in seiner Zelle im Spalenschwibbogen aufgefunden. Als Selbstmörder wurde er vom Henker in ein Fass genagelt und in den Rhein geworfen. Über der Uhr gucken ein Mann und eine Katze vergnügt zum Fenster hinaus. Bei ihm dürfte es sich um den Ratsdiener handeln, dessen Aufgabe unter anderm die Bewachung und Verpflegung (eineinhalb Pfund Hausbrot und dreimal Suppe pro Tag) der im Turm Gefangenen war und der dort auch über eine Amtswohnung verfügte. Wohnungen gab es auch in anderen Toren. Offenbar waren sie sehr begehrt, so bescheiden sie auch gewesen sein mögen. Für gewisse Stellen scheint die freie Amtswohnung unabdingbar gewesen zu sein: «sonst [könne] man keinen tauglichen Herrendiener finden […], wenn demselbigen nicht der Vortheil der Wohnung auf einem Thurme zugesichert werde».4 Der wichtigste Schmuck des Schwibbogens waren die grossen Turmuhren auf beiden Seiten. Sie werden erstmals in einer Stadtbeschreibung von 1594 erwähnt5 und dienten jahrhundertelang der Bevölkerung
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WEHRHAFT