Emilie Linder

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1797–1867

Emilie Linder

Beiträge zur Basler Geschichte Patrick Braun Axel Christoph Gampp (Hg.)

Braun/ Gampp (Hg.)

Emilie Linder war eine der bedeutenden Mäzeninnen der europäischen Kulturgeschichte. Die Muse von Clemens Brentano, Unterstützerin deutscher Nazarener und Sammlerin von deren Werken hat ihre Vaterstadt Basel mit grosszügigen Schenkungen bedacht. Dass sie selbst gemalt hat und das berühmteste Brentano-Porträt von ihr stammt, war bislang wenig bekannt. In diesem reich bebilderten Buch zeichnen die Autorinnen und Autoren das Bild einer engagierten Frau, die dank finanzieller Unabhängigkeit ihr Leben weitgehend autonom gestaltet. Basel, München und Rom sind Stationen ihrer Vita, bei der gegen Ende karitative Bemühungen um die Heimatstadt in den Vordergrund treten.

Beiträge zur Basler Geschichte

Emilie Linder 1797–1867 www.merianverlag.ch

ISBN 978-3-85616-624-3

Malerin, Mäzenin, Kunstsammlerin Christoph Merian Verlag

Linder_UG.indd 1

Abbildung Umschlagvorderseite : Unbekannter Künstler: Porträt der Emilie Linder. Bleistiftzeichnung, 1831.

18.10.13 15:48


Patrick Braun, Axel Christoph Gampp ( Hg.)

Emilie Linder 1797–1867 Malerin, Mäzenin, Kunstsammlerin

Christoph Merian Verlag


Diese Publikation wurde ermöglicht durch Beiträge der folgenden Institutionen: Ernst Göhner-Stiftung, Freiwillige Akademische Gesellschaft Basel, Rektorat der Universität Basel, Römisch-Katholische Kirche Basel-Stadt, Swisslos-Fonds Basel-Landschaft.

1. Auflage Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http  ://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-85616-624-3

© 2013 Christoph Merian Verlag Alle Rechte vorbehalten  ; kein Teil dieses Werkes darf in irgendeiner Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Lektorat  : Jörg Bertsch, Basel Gestaltung und Satz  : Atelier Mühlberg, Basel Lithos  : LAC AG, Basel Druck und Bindung  : Kösel GmbH & Co. KG, Altusried-Krugzell Papier  : Z-Offset W 100 g/m2 www.merianverlag.ch


Inhalt

Patrick Braun / Axel Christoph Gampp

9 Vorwort

I Persönlichkeit und Kontext Andrea Maihofer

16 Emilie Linder Ein Frauenleben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (  Basel/München  )

Hermann Wichers

46 Die Familie Emilie Linders Anmerkungen zu einer Spurensuche

Heinrich Thommen

66 Zur religiösen und ästhetischen Bildung von Emilie Linder Margret Ribbert

82 Treue Verwalterin der grossväterlichen Sammlung Schenkungen von Emilie Linder im Historischen Museum Basel Rosmarie Zeller

107 «  Sie versteht alles und ist nie superklug  » Emilie Linder, Brentano und ihr Münchner Salon


Inhalt

II Nazarener, Künstlerinnen der Romantik, die Malerin Karin Althaus

126 Das Umfeld der Nazarener in München Die Schule des Peter Cornelius Axel Christoph Gampp

142 Der Linder-Altar von Konrad Eberhard Ein Konversionsstück Bärbel Kovalevski

166 Deutsche Künstlerinnen im Aufbruch Teresa Bischoff

195 Emilie Linder als Malerin

III Wohltäterin, Marienkirche, Kunstökumene Patrick Braun

220 Emilie Linder und die katholische Gemeinde Basel Brigitte Meles

243 Die künstlerische Ausgestaltung der Marienkirche in Basel


Inhalt

Nikolaus Meier

264 Kunst–Kirche–Museum in Basel Die Sammlerin Emilie Linder, der Theologe Wilhelm Martin Leberecht de Wette, der Kunsthistoriker Georg Schmidt

Anhang 286 Literaturverzeichnis 302 Bildnachweis


Vorwort

Äusserer Anlass dieses Buches war ein Jubiläum im Jahr 2011. Die Basler Kirche St. Marien feierte den 125. Jahrestag der Kirchweihe von 1886. Durch ein Legat hatte Emilie Linder ( 1797–1867  ) zur Anschubfinanzierung dieses ersten katho­ lischen Kirchenbaus auf Grossbasler Ufer seit der Reformation beigetragen. Die Herausgeber des vorliegenden Bandes nutzten die Gelegenheit, die Stifterin im Dezember 2011 im Rahmen einer öffentlichen Tagung an der Universität Basel zu würdigen. Wurde Emilie Linder beim erwähnten Jubiläum erneut vom Lichte einer sehr katholischen Sonne beschienen, drängte sich im Rahmen einer wissenschaft­ lichen Beschäftigung mit ihr die Frage auf, ob ihre Vita nicht doch facetten­ reicher sei, als es aufgrund der bisherigen Literatur und ihrer Fama erscheinen wollte. Mit thematischer Breite und methodischer Vielfalt versuchten die Re­ ferentinnen und Referenten, sich ihrer Person und ihrem Wirken von ganz ­verschiedenen Seiten her anzunähern. Davon legt dieses Buch sprechend Zeug­ nis ab. Was für ein Frauenleben erstreckte sich hier über die gesamte erste Hälfte des 19. Jahrhunderts und gar noch ein wenig darüber hinaus  ? Der historische Moment schien bedeutungsschwer angelegt zu sein. Der Ausbruch der Französi­ schen Revolution lag im Geburtsjahr Emilies bereits acht Jahre zurück, das alte Europa stand immer stärker unter dem Zeichen des Aufstiegs Napoleons. Tradi­ tionen und überkommene Werte schienen obsolet zu sein. Doch als sich die Macht in den Händen des französischen Herrschers gefestigt hatte, begann eine konservative Wende, die erst recht nach seinem Sturz und der Restauration unter den Bourbonen Auftrieb erhielt. Den Sturz 1815 und den Tod Napoleons 1821 hatte die 17- beziehungsweise 23-jährige Frau noch während ihres Welsch­ landjahres und in ihrer Heimatstadt Basel erlebt. Erst 1824 übersiedelte sie nach 9


Vorwort

München, wo sich bald die Restauration unter Ludwig I. bemerkbar machte. Emilie Linder traf auf einen Kreis, der in gewisser Hinsicht im Zentrum der Be­ wegung stand und diese entscheidend mitprägte. Ihr Bild deswegen auf das einer frömmelnden Frau zu verengen, würde – wie die Beiträge dieses Bandes zeigen – völlig an der Realität vorbeigehen. Bewegte sich schon der Kreis an sich intellektuell auf aussergewöhnlichem Niveau – gehörten ihm doch Per­ sönlichkeiten wie Johann Nepomuk von Ringseis, Franz von Baader, Clemens Brentano und andere wichtige Zeitgenossen in München an – so verstand es Emilie Linder nicht nur, sich darin sicher zu bewegen, sondern auch zahlreiche Persönlichkeiten durch Freundschaft ein Leben lang an sich zu binden. Leider hat Emilie Linder viele Lebenszeugnisse verbrannt. Der vorliegende Band nähert sich ihr an, wie es die gegenwärtige Quellenlage erlaubt  : Er beleuchtet sie von ganz verschiedenen Seiten, wobei die Mitte, nämlich ihre Person selbst, immer in einem Halbschatten verbleibt. Doch auch so gewinnt sie an Konturen, die ihr die bisherige Forschung nicht in gleicher Deutlichkeit zu geben verstand. Ge­rade weil sie selber so wenig Eigenes zu ihrem Leben hinterlassen hat, hat sich die Nachwelt ihrer besonders leicht bemächtigen können. Die Forschungslage ist ein sprechender Beleg dafür. Gleich nach ihrem Tod 1867 veröffentlichte Franz Binder in den ‹  Historischpolitischen Blättern  › einen ausführlichen Nachruf. Binder, der dem Görres-Kreis in München angehörte, hatte Linder noch persönlich gekannt. Sein Nachruf beschreibt detailreich ihren Werdegang. Dreissig Jahre später veröffentlichte er eine um Berichte von Zeitgenossen erweiterte Fassung des «  Lebensbildes  » von 1867. Obwohl Binders historische Genauigkeit seine beiden Darstellungen zum Ausgangspunkt jeder ernsthaften Beschäftigung mit Linder macht, ist sie doch ein Kind ihrer Zeit und widerspiegelt damit – trotz aller Akribie – einen hervor­ stechenden Zug auch aller weiteren Abhandlungen  : Die gängigen gesellschaft­ lichen Vorstellungen über die Rolle einer Künstlerin, einer Mäzenin, einer Kon­ vertitin bestimmten darüber, wie man die besonderen Charakteristika der Persönlichkeit Linders ins Auge fassen wollte. Der Forschungsgang bis zur Basler Tagung von 2011 lässt sich in vier Ab­ schnitte einteilen  : 1. Die vom Nachruf Binders eingeleiteten und darauf basie­ renden frühen Schriften (1867–1897 ). 2. Arbeiten, die aus Basler Sicht die 10


Vorwort

Bedeu­tung Linders als Mäzenin thematisierten (1910–1915 ). 3. Der Beginn moder­ner wissenschaftlicher Beschäftigung mit ihrer Person durch die Disserta­ tion von Verena Jent ( 1970  ). 4. Die von Nikolaus Meier kuratierte Basler Aus­ stellung von 1997, die den Weg zur Tagung ebnete. Die vier Schnittstellen sollen im Rahmen dieses Vorworts etwas verdeutlicht werden. Am Anfang der Literatur über die aus Basel stammende Protestantin steht das Interesse an ihrer Konversion und ihrer damit in Verbindung gebrachten Wohltätigkeit. Basierend auf Binders erstem Nachruf schilderten der katholische Priester Eduard Alois Haller und die Luzerner Schriftstellerin Anna von Liebenau die Baslerin als vorbildlichen, den gesellschaftlichen Vorstellungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gänzlich entsprechenden Frauencharakter. Beide zeichneten ein hagiografisches Bild, das in katholischen Kreisen lange Zeit ­fraglos übernommen wurde. Im protestantischen Basel betrachtete man Linders Konversion als interessan­ ten Sonderfall, den viele belächelten. Die Kenner hingegen wussten den Beitrag der Konvertitin an die hiesige Kunstsammlung wohl zu schätzen. In Jahresbe­ richten der Kunstsammlung und des Kunstvereins äusserten sich Konrad Escher 1910 und Daniel Burckhardt-Werthemann 1915 bewundernd über Linders Tätig­ keit als Mäzenin und Kunstkennerin. Gleichzeitig vertrat Burckhardt-Werthe­ mann kurz und bündig die Meinung, dass Emilie Linder «  als Malerin nicht viel besagt  ». Sein Urteil wurde bis in die jüngste Vergangenheit kaum in Frage ­gestellt. Auch der Basler Kunsthistoriker Otto Fischer strich anlässlich der Fest­ schrift zur Eröffnung des Kunstmuseums 1936 nochmals die Bedeutung Emilie Linders unter den Basler Sammlern ihrer Zeit heraus. Zweifellos legte Verena Jent mit ihrer von Werner Kägi angeregten, 1970 er­ schienenen Dissertation den Grundstein zu einer modernen wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Biografie Linders. Dabei standen kunstgeschichtliche As­ pekte zur Sammeltätigkeit Linders sowie die literarischen Anregungen, welche Clemens Brentano durch seine Liebe zur Baslerin fand, im Vordergrund. Manche Aussage Jents zu diesen beiden Themenkreisen wurde durch die Entdeckung bio­grafischer und literarischer Quellen im Verlauf der folgenden Jahre relativiert. Den Boden für die Linder-Tagung hat wesentlich die von Nikolaus Meier 1997 in Basel kuratierte Ausstellung geebnet. Meier nahm zwei Jahrestage, den 11


Vorwort

200. Geburtstag Emilie Linders und den 100. Todestag Jakob Burckhardts, zum Anlass, die Tätigkeit der beiden Exponenten als Förderer der Öffentlichen Kunst­ sammlung Basel zu würdigen und miteinander zu vergleichen. Die Ausstellung öffnete einen neuen Blick auf die Kunstbewegungen des 19. Jahrhunderts einer­ seits, auf Emilie Linders Vorliebe und Bekenntnis zur nazarenischen Kunst ande­ rerseits. Verständlicherweise konnten die beiden umfassenden Fragenkomplexe im Rahmen einer Ausstellung nur angedeutet, nicht erschöpfend dargestellt werden. Bei vielen Betrachtern und Lesern weckten die Ausstellung und der dazugehörige Katalog den Wunsch, mehr über die Person und Lebenswelt Emilie Linders zu erfahren. Auf all diesen Beiträgen aufbauend, bemüht sich der vorliegende Band, einer­ seits positivistisch neues Quellenmaterial bereitzustellen, andererseits interpre­ tativ auf ihr Leben, Werk und Wirken zu blicken. Dabei erscheint es wertvoll, dass die noch relativ junge Wissenschaft der Gender Studies sich der Frau an­ nimmt. Andrea Maihofer, Basler Ordinaria des Faches, würdigt Emilie Linder im Kontext des frühen 19. Jahrhunderts. Ausgangs- und Rechtslage lassen deren Unabhängigkeit als überraschend erscheinen. Den Hintergrund ihrer Familie erforscht Hermann Wichers vom Basler Staatsarchiv bis in deren Verästelungen. Im Rahmen der Basler Verhältnisse gehörte sie nicht zu den Spitzen der Gesell­ schaft, wohl aber zu einer herausragenden Elite, die sich seit Emilies Grossvater stark der kulturellen Bildung und dem Sammeln verschrieben hatte. Der Gross­ vater Emilies, Johann Konrad Dienast, muss seine Enkelin massgeblich gefördert haben, wie eine Reihe unveröffentlichter Briefe, die Heinrich Thommen gehoben hat, deutlich belegen. Überraschend ist die Anzahl der Gegenstände, die sich aus der Sammlung Dienast im Historischen Museum erhalten haben. Emilie Linder blieb der Öffentlichen Kunstsammlung immer verpflichtet. Damals bildete diese eine spartenübergreifende Einheit. Die grosszügige Stifterin suchte jedes Samm­ lungsgebiet durch gezielte Ergänzungen zu vervollständigen. Der Beitrag von Margret Ribbert, Kuratorin am Historischen Museum, benennt sowohl die Be­ stände der Sammlung Dienast als auch Objekte, die sich als Stiftung Linders im dortigen Museum befinden.

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Vorwort

Die Vita Linders war in jenen Kreis bayerischer katholischer Restauration eingebettet, in welchem auch die Begegnung mit Clemens Brentano stattfand, die die Germanistin Rosmarie Zeller aufgrund literarischer Zeugnisse eingehend beleuchtet. Ein zweiter Teil ist den Bildenden Künsten gewidmet. Hier skizziert Karin Althaus, Mitarbeiterin des Münchner Lenbachhauses, die Gesamtlage in Rom und Bayern in den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts. Für Emilie Linders eigenen Geschmack und die damit verbundenen Absichten steht der von ihr in Auftrag gegebene Hausaltar von Konrad Eberhard, dem Axel Christoph Gampp, Privatdo­ zent für Allgemeine Kunstgeschichte an der Universität Basel und einer der Herausgeber dieses Buches, einen Beitrag widmet, in welchem es nicht nur um die Ikonografie, sondern auch um ikonologische sowie kunst- und kulturpoliti­ sche Inhalte geht. Bärbel Kovalevski, die sich als Wissenschaftlerin und Kurato­ rin seit langem für Künstlerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts interessiert, ge­ lingt es, das Schaffen Emilie Linders im Kontext von Vorläuferinnen und von weiblichen Zeitgenossen zu verorten. Aus den reichen, auf ihrer Dissertation aufbauenden Erkenntnissen lässt Teresa Bischoff in den vorliegenden Band ein Gesamtbild einfliessen, das erstmals alle Aspekte des Wirkens Emilie Linders als Malerin aufzeigt. Ebenfalls mit der Wirkung beschäftigt sich der andere Herausgeber, Patrick Braun, langjähriger Redaktor der Helvetia Sacra in Basel. Die Fürsorge, die Emilie Linder der katholischen Gemeinde ihrer Geburtsstadt aus dem fernen München hat zukommen lassen, beschreibt er ebenso wie die Umstände jenes Legates, das für den Bau der Marienkirche grundlegend wurde. Brigitte Meles, langjährige Mitarbeiterin der Basler Denkmalpflege, zeichnet die Baugeschichte und Ausstattung dieses von Emilie Linder indirekt initiierten, aber durch sie nicht weiter beeinflussten Kirchenbaus nach und setzt ihn in Beziehungen zu den historistischen Strömungen jener Tage. Nikolaus Meier, Kurator der Ausstel­ lung über Emilie Linder und Jacob Burckhardt und viele Jahre Bibliothekar des Kunstmuseums Basel, erkennt schliesslich in Emilie Linders stifterischem Wir­ ken den Ansatz zu einer konfessionell geprägten Philanthropie auf kulturellem Gebiet, die von Zeitgenossen nicht nur erkannt und aufgegriffen wurde, sondern sich in der Folge zu einer eigentlichen Kunstökumene in Basel ausweitete. In­ 13


Vorwort

dem letzte Beispiele aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammen, lässt sich auf diesem Felde die unmittelbare Aktualität Emilie Linders am besten nachweisen. Die beiden Herausgeber danken herzlich allen, die zum Gelingen dieses Bu­ ches beigetragen haben, zunächst den Autoren für ihre gehaltvollen Beiträge, sodann folgenden Institutionen  : der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft Basel, dem Rektorat der Universität Basel, der Römisch-Katholischen Kirche Basel, der Ernst Göhner Stiftung sowie dem Swisslos-Fonds Basel-Landschaft. Unser Dank gilt nicht zuletzt dem Christoph Merian Verlag für die Aufnahme der Publikation in die Reihe ‹Beiträge zur Basler Geschichte› sowie Jörg Bertsch für das umsichtige Lektorat und Nicholas Mühlberg für die gelungene Gestaltung. Es bleibt zu hoffen, dass der vorliegende Band dazu beiträgt, Emilie Linders Persönlichkeit, ihr Leben und Wirken wieder einem grösseren Publikum in Erinne­ rung zu rufen und damit auch unter ganz anderen Aspekten für sie Aktualität zu reklamieren. Basel, im Herbst 2013 Patrick Braun Axel Christoph Gampp

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Autor

I

Persรถnlichkeit und Kontext


Emilie Linder Ein Frauenleben in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts (Basel/München) Andrea Maihofer

Emilie Linder wird meist als eine reiche, sehr gebildete, aber bescheiden zurück­ haltende, ja stille Person geschildert  ; gefühlvoll und voller Güte, die, obwohl von einem interessanten Freundeskreis umgeben, ein zurückgezogenes, fast klösterliches Leben geführt hat  ; als eine Frau, die bekannt war vor allem durch ihre Frömmigkeit, ihre grosse Wohltätigkeit sowie durch ihre (  religiöse  ) Hin­ gabe an die Kunst, die sie zur Mäzenin und zur Kunstsammlerin hat werden lassen. Dieses Bild einer frommen, eher schlichten Person, das ich nach der ersten oberflächlichen Lektüre einiger Arbeiten zu Emilie Linder gewonnen hat­ te, wollte mir weder zu der immer wieder betonten ungewöhnlichen Faszination passen, die sie auf ihre Mitmenschen ausgeübt haben soll, noch zu dem wohl berühmtesten ihrer Porträts. Das um 1850/1860 von Rosalie Wieland-Rottmann, einer langjährigen Freun­ din Linders, geschaffene Ölbildnis zeigt eine Frau mit wachen, klugen Augen von fast stechender Intensität  ; ihre Haltung ist eine komplexe Mischung von verhaltener Energie und romantisch elegischer Wehmut, von freundlich auf­ merksamer Zugewandtheit und doch deutlicher Distanz – etwas Geheimnisvolles liegt darin, ein Hauch von Spannung. Allemal haben wir es mit einer Person mit einer ausserordentlichen Ausstrahlungskraft und Präsenz zu tun, und ihre Faszination auf andere wird allmählich verständlicher. Und in der Tat  : Bei einem zweiten Blick in die Arbeiten zu Linder wird das Bild dem Porträt ähnlicher. Nun wird deutlich, Emilie Linder war nicht nur eine gebildete, sondern eine hoch gebildete Frau mit eigenständigem Urteil und In­ tellekt  ; vielseitig interessiert an Literatur, Politik, Religion sowie an Kunst und Malerei. Sie war eine Frau, die Geselligkeit geradezu liebte, die sowohl ausge­ zeichnet zuzuhören vermochte, als auch mit tiefer Kenntnis über Philosophie, Religion und Kunst sowie über die alleralltäglichsten Dinge des Lebens zu spre­ 16


Emilie Linder

Rosalie Wieland-Rottmann  : Bildnis der Emilie Linder  ; o. J., Öl auf Leinwand, 73 x 60 cm  ; Basel, Kunstmuseum. 17


Persönlichkeit und Kontext

chen und zu diskutieren verstand  ; die einen grossen Kreis von Menschen, vor allem von Männern, um sich versammelte, von denen viele bedeutsame, ja mäch­ tige Positionen in Kirche, Kunst, Literatur, Wissenschaft oder Politik innehatten. Den meisten war sie ihr Leben lang in tiefer Freundschaft verbunden, ihnen wichtige Gesprächspartnerin, Beraterin und Freundin. Mehrfach hatte sie die Möglichkeit zu heiraten  ; doch stets hat sie sich gegen eine Heirat und für ihre Eigenständigkeit entschieden. Diese für eine Frau in der damaligen Zeit recht ungewöhnliche Lebensführung wurde ihr sicherlich durch ihr umfangreiches Vermögen erleichtert, über das sie, unüblich für diese Zeit, eigenständig verfüg­ te. Darüber hinaus haben wir es, wie sich zeigt, mit einer Frau zu tun, die ihr ganzes Leben lang – bereits Mitte zwanzig, wenn nicht schon früher, hat sie damit begonnen – zielstrebig ihr Vermögen nutzte, um einzelne Menschen, manchmal ganze Familien und verschiedene Institutionen wie Spitäler, Schulen, Kirchen oder Klöster zu unterstützen. Sie setzte ihr Vermögen jedoch nicht nur zu karitativen Zwecken ein, als Mäzenin hat sie viele Künstler oft über längere Zeit durch den Kauf ihrer Bilder oder durch die Vergabe von Aufträgen finanziell abgesichert. Und nicht zuletzt hat sie es bereits in jungen Jahren geschafft, sich als anerkannte Kunstsammlerin ihrer Zeit zu etablieren. Dabei hat sie als Mäze­ nin und Kunstsammlerin nicht nur gezielt Kunstpolitik betrieben, sondern sich dabei, genau besehen, auch dezidiert gesellschaftspolitisch engagiert. Sie war nicht einfach Sammlerin aus Leidenschaft für die Kunst, sie hat vielmehr syste­ matisch Künstler einer spezifischen Kunstrichtung, die der Nazarener, unter­ stützt und im Laufe ihres Lebens eine reichhaltige Sammlung vorrangig dieser einen Kunstrichtung zusammengestellt. Eine Sammlung, die sie später bekannt­ lich dem Basler Kunstmuseum vermachte, zu dessen Entstehung sie ebenfalls beigetragen hatte. Eine einfach nur fromme, schlichte Frau war die Linderin also nicht. Im Gegenteil, sie scheint eine recht eigenwillige Person gewesen zu sein, die ihre Interessen mit Zielstrebigkeit verfolgte. Und mutig muss sie gewesen sein, lebte sie doch in einer Zeit, in der eine gebildete, ja gelehrte Frau mit einer in vielen Bereichen derart eigenständigen und unabhängigen Denk- und Lebensweise der ständigen Gefahr ausgesetzt war, sozial sanktioniert und ausgegrenzt zu werden. 18


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