Beiträge zur Basler Geschichte
Beiträge zur Basler Geschichte
Die Katholiken entdecken Basel
Die öffentliche Geschichte der Katholiken in Basel nach der Reformation begann am 14.Oktober 1798 mit einem Gottesdienst in der Clarakirche. Im Zuge der bitteren Erfahrungen des Kulturkampfes im 19. Jahrhundert zogen sie sich als Minderheit in eine Sondergesellschaft zurück. Das katholische Milieu umfasste zahlreiche Vereine, bald eine eigene Presse und später sogar eine Partei. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann es, sich schrittweise zu öffnen – Katholiken und Basel näherten sich einander an. Aber erst 1972 wurde die katholische Gemeinde öffentlich-rechtlich anerkannt. Im Mittelpunkt der sorgfältig recherchierten, reich bebilderten Publikation steht Pfarrer Franz Blum (1901–1969); er hatte als Seelsorger in St.Clara von 1937 bis 1967 das Aufbrechen des Milieus weit über den Rahmen seiner Pfarrei vorangetrieben. Benedikt Pfister würdigt dabei auch die Nachkriegshilfe der Basler Katholiken für die Stadt Freiburg im Breisgau, die Franz Blum 1950 mit der Ehrenbürgerschaft auszeichnete.
Pfister
Zum Autor Benedikt Pfister (*1978) ist Historiker in Basel. Er war als Öffentlichkeitsbeauftragter beim Roten Kreuz in Basel Projektleiter des Buches ‹Die Basler und das Rote Kreuz –125 Jahre SRK Basel ›. Zahlreiche Ver öffentlichungen, u.a. zur Geschichte des Gewerbeverbandes Basel-Stadt, zum Sportausrüster ‹ Mammut Sports Group AG › und zum Eishockey in der Schweiz.
Benedikt Pfister
Die Katholiken entdecken Basel www.merianverlag.ch
Der Weg aus dem Milieu in die Gesellschaft
ISBN 978-3-85616-617-5
9 783856 166175
Christoph Merian Verlag
Abbildung Umschlagvorderseite : Die Fronleichnamsprozession der Pfarrei St. Clara vom 22. Juni 1930 zieht durch die Riehentorstrasse am Restaurant Hirscheneck vorbei.
I Kapiteltitel Kapitel-Untertitel
Die Katholiken entdecken Basel
Beitr채ge zur Basler Geschichte
Benedikt Pfister
Die Katholiken entdecken Basel Der Weg aus dem Milieu in die Gesellschaft
Christoph Merian Verlag
1. Auflage Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: // dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-85616-617-5
© 2014 Christoph Merian Verlag Alle Rechte vorbehalten; kein Teil dieses Werkes darf in irgendeiner Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Lektorat : Jörg Bertsch, Basel Gestaltung und Satz : icona basel Lithos : LAC AG, Basel Druck und Bindung : Kösel GmbH & Co. KG, Altusried-Krugzell Papier : Lessebo Design Smooth 115 g / m2 www.merianverlag.ch
Inhalt
9 Vorwort 1 15 Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier 19 Die Rückkehr der Katholiken ins reformierte Basel 20 Ernst Feigenwinter und der Kulturkampf 22 Die Aufhebung der katholischen Schule und der Rückzug ins Milieu 25 Blums Sonntagsspaziergänge nach St. Marien 28 Erstkommunion in der neuen Kleinbasler Kirche 2 33 Ausbildung in den katholischen Stammlanden 35 Katholische Erziehung in Einsiedeln 38 Das Basler Volksblatt trotzt dem Generalstreik 41 Priesterseminar und studentisches Leben in Luzern 43 Der Katholikentag von 1924 in Basel 47 Die Ausstellung christlicher Kunst am Katholikentag 3 49 Stationen als Seelsorger in der Zwischenkriegszeit 52 Die katholische Pfarrei Frauenfeld sammelt Geld für Pratteln 54 Blums Rückkehr in die Region Basel 56 Kirchgemeindeversammlung sorgt für Aufruhr in der linken Presse 59 Der Tiger wird Blums Nachfolger in Aesch
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Inhalt
4 63 Vom Birseck ins Kleinbasel : Pfarrer in St. Clara 66 Katholische Demonstration im ‹ roten Basel › 69 Eine neue Osterliturgie für St. Clara 72 Leiter der Caritas in Kriegszeiten 76 500 Jahre Schlacht bei St. Jakob 5 81 Die Nachkriegshilfe für Freiburg im Breisgau 83 Die Schweizer Spende als Dachorganisation der Schweizer Nachkriegshilfe 86 Die Kinderspeisung der Basler Katholiken 90 Werbung für die Nachkriegshilfe in der Heimat 94 Die religiöse Nachkriegshilfe der Katholiken 96 Die Caritas verschickt Liebesgabenpakete 98 Martha Walz und Franz Blum werden Ehrenbürger von Freiburg 6 101 Der kleine Kulturkampf von 1945 bis 1950 103 Kampf gegen Gleichgültigkeit und ein Minderwertigkeitsgefühl 106 Die Heiligsprechung von Bruder Klaus 110 Die RKG feiert ihren 150. Geburtstag 113 Eine Kirche im Hirzbrunnen für einen Erzengel 115 Der politische Katholizismus fasst Fuss 117 Die Basler Jungkatholiken und der politische Aufschwung 121 Kardinal Mindszenty bewegt die Basler Katholiken 7 123 Die Auseinandersetzung um die moderne Kirchenkunst 125 Die Antoniuskirche schockiert die Traditionalisten 127 Die Gründung der Schweizerischen St. Lukasgesellschaft 128 Kritische Wortmeldungen von Hans Urs von Balthasar und Linus Birchler 135 Ferdinand Gehr und der Vorhang in Oberwil ZG
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Inhalt
8 139 Das katholische Pfarreileben im Wandel 142 Die Vereine in St. Clara 145 Romreise mit dem Marienverein 147 Das katholische Kino als Strassenfeger 150 Der verlorene Kampf gegen die Unmoral 152 Das Bild der « treulosen Juden » wandelt sich 9 155 Constantin Gyr und das neue Gemeindebewusstsein der Katholiken 158 Intensive Arbeit im Vorstand 159 Die RKG als zentrale Organisation für Basels Katholiken 161 Neue Kirchen im Neubad und in Riehen 164 Das Geschenk der Basler Katholiken an die Universität 167 Die Basler Regierung empfängt den Nuntius 168 Das Fischerdorf und das Bruderholz erhalten eine eigene katholische Pfarrei 170 Die fremdsprachigen Basler Katholiken 10 173 Aus dem katholischen Milieu wird ein Netzwerk 174 Das Erbe von ‹ Vater Walz › 176 Die karitative Arbeit in den Pfarreien 178 Kunigunde und der Katholische Frauenbund 180 Vom ‹ Haus der gefallenen Engel › zum Säkularinstitut 183 Erneuerung durch die jungen Katholiken 185 Die Jungwachtführer werden selbstständig 189 Die Pfadfinder als untypische katholische Organisation 192 Die ‹ Maitligruppe › als Vorläuferin des Blaurings in St. Clara 194 Frische, fromme, fröhliche und freie katholische Sportvereine 197 Katholische Presselandschaft im Wandel
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Inhalt
11 201 Der katholische Aufbruch und das Zweite Vatikanische Konzil 202 Die Katholiken und die Basler Fasnacht 205 Der Maskenball katholischer Vereine 209 Das letzte Aufbäumen des katholischen Milieus 216 Annäherung an die protestantischen Glaubensbrüder 219 Das Zweite Vatikanische Konzil sorgt für frischen Wind 222 Die Frauen erhalten das Stimmrecht in der RKG 12 227 Die öffentlich-rechtliche Anerkennung der katholischen Gemeinde 230 Eine katholische Landeskirche in einem vereinigten Kanton Basel ? 233 Die öffentlich-rechtliche Anerkennung von 1972 / 74 236 « In die Geschichte von Basel eindringen » 239 Schlussbemerkungen 245 Anhang 246 Anmerkungen 253 Statistiken 264 Literaturverzeichnis 271 Bildnachweis 272 Dank
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Vorwort
Die Wahl des Jesuiten Jorge Mario Bergoglio zum Papst Franziskus im März 2013 begeisterte viele Menschen. Mit einem einfachen « Buonasera » bei seinem ersten öffentlichen Auftritt direkt nach der Wahl erreichte der Papst weltweit die Herzen der Katholiken. Der Argentinier ist der erste Papst aus Lateinamerika und gilt als Anwalt der Armen. Franziskus ist ein neuer Hoffnungsträger in der katholischen Kirche. Der italienische Jesuit und Theologe Antonio Spadaro brachte das Befinden vieler Katholiken auf den Punkt : « Dieser Papst macht wieder Lust, katholisch zu sein und sich für die Kirche zu interessieren. »1 Spadaro impliziert damit, dass sich die katholische Kirche in einer Identitätskrise befindet, aus der Franziskus den Ausweg zeigen soll. Das sind hohe Erwartungen, zumal die Religion in einer säkularisierten Welt, in der wir im Westen leben, kaum mehr eine Rolle spielt. Nur hinter vorgehaltener Hand, vielleicht sogar etwas verschämt, nennt man in Gesprächen seine Religionszugehörigkeit, falls man überhaupt noch eine hat und darauf angesprochen wird. Das war nicht immer so. Die Basler Katholiken erlebten vor fünfzig Jahren eine Blütezeit ihrer Religion. ‹ Katholischsein › war ein Statement. Das katholische Milieu mit seinen katholischen Vereinen, der katholischen Partei und Presse, das sich durch eine Abgrenzung gegen aussen und eine starke Einheit gegen innen definierte, hatte sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg überlebt und begann aufzubrechen. Die Katholiken öffneten die Tore und Fenster ihrer Festung und machten sich auf den Weg in die Gesellschaft der Stadt Basel. Mit Ausdauer und Überzeugung durchbrachen sie die Mauern ihres Milieus und integrierten sich mit einem neuen starken Selbstbewusstsein in das soziale Leben. Das Gefühl, in der Diaspora eine vernachlässigte Minderheit zu sein, wich dem Bedürfnis, an der Gestaltung der Stadt mitzuwirken. Dieses Buch beschreibt, wie aus dem 9
Vorwort
rückwärtsgewandten katholischen Milieu ein selbstbewusstes katholisches Netzwerk wurde. In Zentrum steht Franz Blum ( 1901–1969 ), der als langjähriger Pfarrer von St. Clara die Ereignisse im katholischen Basel in jener Zeit hautnah miterlebte und mitgestaltete. St. Clara war die Mutterkirche der Basler Katholiken und Keimzelle des im 20. Jahrhundert erstarkenden Katholizismus in Basel. Franz Blum war aber kein lauter Agitator, sondern ein bescheidener und viel seitig aktiver Gestalter im Hintergrund. Aus den zahlreichen Mitstreitern und aktiven Gemeindemitgliedern, die Franz Blum zur Seite standen, ragen zwei Personen heraus, welche die Geschicke des katholischen Basel von St. Clara aus massgeblich beeinflussten. Constantin Gyr war langjähriger Präsident der katholischen Gesamtgemeinde und verantwortlich dafür, dass die Katholiken in Basel nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Einheit zusammenwuchsen. Martha Walz war in der karitativen Arbeit tätig und in katholischen Frauenorganisationen engagiert. Eine Zeitzeugin sprach von einem « Triumvirat Blum-Gyr-Walz », das in St. Clara prägenden Einfluss hatte. Dieses Buch begleitet Franz Blum auf seinen Lebensstationen und beschreibt damit gleichzeitig stellvertretend eine Geschichte der Basler Katholiken im 20. Jahrhundert. Blums Pfarrzeit in St. Clara von 1937 bis 1967 gibt den engeren Rahmen vor. Das Buch beschäftigt sich dabei nicht mit dem theologischen Wirken von Franz Blum, sondern setzt den Fokus auf seine sozialen Tätigkeiten und sein Engagement für die und mit den Pfarreiangehörigen. Die ersten drei Kapitel begleiten Franz Blum durch seine Kindheit im Basler Gundeldingerquartier, seine Schul- und Studienzeit in Einsiedeln und in Luzern sowie seine ersten seelsorgerischen Stationen in Root, Frauenfeld und Aesch. Die folgenden drei Kapitel beschreiben Blums Wirken als Pfarrer von St. Clara, insbesondere sein karitatives Wirken für die Nachkriegshilfe für Freiburg im Breisgau. Das siebte Kapitel zeigt Blum als Vorreiter einer modernen Kirchenkunst. Das achte Kapitel beschreibt den Wandel des katholischen Pfarreilebens. Das neunte Kapitel widmet sich Constantin Gyr und dem Aufbau der katholischen Gemeinde. Im nächsten Kapitel werden die Arbeit von Martha Walz und der Einfluss des gesellschaftlichen Wandels auf das katholische Milieu behandelt. Das neue katholische Selbstverständnis wird anhand der Haltung der Katholiken zur Basler Fasnacht und des Einflusses des Zweiten Vatikanischen Konzils im elften Kapitel bespro10
Vorwort
chen. Im letzten Kapitel wird die öffentlich-rechtliche Anerkennung der katholi schen Kirche von 1972 / 74 besprochen, die gerne als Höhepunkt der Integration der Katholiken in die städtische Gesellschaft gesehen wird. Die berücksichtigten Quellen und die Literatur zeigen eine Innenansicht der Basler Katholiken. Die Selbstzeugnisse von Franz Blum und anderen geben einen bisher noch unbekannten Blick auf das katholische Empfinden in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts frei. Der sozialgeschichtliche Zugang zur Geschichte der Basler Katholiken im 20. Jahrhundert in Verknüpfung mit einem biografischen Ansatz ist gerechtfertigt. Der Katholizismus verdankte in Basel seine Blütezeit Mitte des 20. Jahrhunderts nämlich nicht einer veränderten katholischen Kirchenlehre, sondern dem Engagement der Menschen an der Kirchenbasis. Franz Blum, Constantin Gyr und Martha Walz stehen stellvertretend für einige Identitätsmerkmale der katholischen Diaspora in Basel. Die Geschichte der Basler Katholiken ist auch eine Geschichte der Migration. Franz Blums Familie stammte aus dem Kanton Aargau. Sein Vater war Grenzwächter und kam wegen der Arbeit in die Grenzregion Basel. Constantin Gyr wuchs an der Hauptstrasse in Einsiedeln in der katholischen Innerschweiz auf. Er fand eine Lebensstelle in der Basler chemischen Industrie. Die Familie Walz entstammt ursprünglich dem benachbarten badischen Deutschland. Als Geselle auf Wanderschaft kam Schwiegervater Franz Josef Walz im 19. Jahrhundert nach Basel und gründete hier später eine Speisefettfabrik. Praktisch alle katholischen Familien in Basel können eine ähnliche Migrationsgeschichte erzählen. Während Franz Blum das seelsorgerische Wirken repräsentiert, stehen Constantin Gyr und Martha Walz stellvertretend für das geschlechtsspezifische Engagement in der katholischen Kirche. Den Frauen kam als erziehenden Müttern eine tragende Rolle in der Tradierung der religiösen Werte zu. Viele Frauen waren ausserdem in ihrer Pfarrei in der karitativen Arbeit tätig. Martha Walz engagierte sich nicht nur in der Fürsorge, sondern unterstützte mit ihrem Engagement im Katholischen Frauenbund auch den Wunsch der Frauen nach mehr Freiheit. Das neu entstehende Selbstbewusstsein der katholischen Frauen ging einher mit dem gesellschaftlichen Wandel nach dem Zweiten Weltkrieg und trug wesentlich zu einem Mentalitätswandel im katholischen Milieu bei. Das politische Engagement im Vorstand der katholischen Gemeinde, einer Pfarrei oder der 11
Vorwort
Partei war lange den Männern vorbehalten. Sie strebten eine gesellschaftliche und politische Gleichberechtigung der Katholiken an. Als Historiker habe ich versucht, mit der grösstmöglichen Objektivität die zahlreich vorhandene Literatur zu sichten, die Quellen zu studieren, die Gespräche mit Zeitzeugen zu führen und das Buch zu schreiben. Als Kleinbasler Katholik, der an der Grenze zwischen den Pfarreien St. Clara und St. Joseph aufgewachsen ist, scheinen mir einige persönliche Bemerkungen angebracht, um Transparenz zum Autor zu schaffen. Mein Grossvater väterlicherseits wuchs als Bauernsohn in Grosswangen im Kanton Luzern auf. Er studierte Chemie in Zürich und lernte dort seine Frau kennen. Meine Grossmutter kam aus einer zerrütteten Familie mit geschiedenen Eltern aus der Ostschweiz. Die Eltern meines Grossvaters lehnten die Hochzeit deshalb zuerst ab. Erst als ein Benediktiner-Pater aus Sarnen, wo mein Gross vater das Gymnasium besucht hatte, die Bedenken der Eltern beruhigte, stimmten sie der Heirat zu. Meine Grosseltern zogen 1945 nach Basel und drei Jahre später nach Riehen. Mein Grossvater arbeitete bis zu seiner Pensionierung bei der Firma Sandoz und war lange Jahre Kassier des Vinzenzvereins in Riehen. Meine Eltern lernten sich während des Theologiestudiums in Freiburg im Breisgau kennen. Zurück in Basel, wohnten sie in den 1970er-Jahren mit zwei befreundeten Männern, die ebenfalls Theologen waren, und ihren beiden Frauen, in einer Theologen-WG. Mein Vater arbeitete als Laientheologe in der Seelsorge und der Jugendarbeit in St. Clara mit und leitete in späteren Jahren bis zu seiner Pensionierung die katholische Erwachsenenbildung und die Öffentlichkeits arbeit der Römisch-Katholischen Kirche Basel-Stadt. Meine Mutter wuchs im benachbarten badischen Deutschland in der Nähe von Heidelberg auf. Sie war in St. Clara die erste katholische Laientheologin, die in Basel aktiv in einer Pfarrei mitarbeiten durfte. Bei ihrer ersten Predigt in der Clarakirche identifizierte ein Mann meine Mutter offenbar als Deutsche und verabschiedete sich darauf mit dem Hitlergruss aus der Kirche. Später arbeitete sie bis zu ihrer Pensionierung als Religions- und Lateinlehrerin. Ich selber bin kein praktizierender Katholik, fühle mich aber nicht nur meiner Eltern wegen mit dem Katholizismus verbunden. Meine mit mir hochschwangere Mutter besuchte nämlich 1978 die ‹ Dörflikilbi ›, das Pfarreifest von 12
Vorwort
St. Joseph. Kaum hatte sie etwas zu essen gekauft und sich auf eine der Sitzbänke niedergelassen, da setzten die ersten Wehen ein. Dieses Buch wurde von katholischen Privatpersonen angeregt und begleitet. Ich danke Prof. Dr. Niklaus Gyr, Dr. Urs Breitenstein, Dr. Joachim Köhn und Dr. Xaver Pfister ganz herzlich für die Initiative zu diesem Buch, das ohne sie nicht zustande gekommen wäre, sowie für die tatkräftige Unterstützung. Für inhaltliche Anregungen und Diskussionen danke ich ganz herzlich Prof. Dr. Markus Ries, Dr. Patrick Braun und Daniel Künstle, der mir auch Zugang zu seinem umfangreichen Privatarchiv gewährt hat. Zeitzeugen waren für die Arbeit eine sehr wichtige Quelle. Für die spannenden Gespräche danke ich ganz herzlich Margrit Altenburger, Marlen Baudendistel, Hans Baur, Ruth Bihler Strub, Maria Chiquet, Constantin Gyr, Niklaus Gyr, Rita King, Gretel Leonhardt, Joseph Nietlispach, Hans-Peter Platz, Mariegret und Hans-Peter Rüede, Felix Rudolf von Rohr, der im Januar 2014 verstorbenen Klara Schibler und Roswita Schilling. Mariegret Rüede, der Nichte von Franz Blum, danke ich für die Mithilfe beim Erstellen des Stammbaums der Familie Blum und den Einblick in das Familienarchiv. Rolf Fäs vom Bischöflichen Archiv der Diözese Basel danke ich für die Mithilfe beim Erstellen des Anhangs. Rosmarie Nebel danke ich für den Zugang zum Pfarreiarchiv Aesch, Angelus Hux für die Unterstützung beim Besuch im Pfarreiarchiv Frauenfeld und Rolf Stöcklin und dem Sekretariatsteam der Pfarrei St. Clara dafür, dass sie sich von meinen Besuchen im Pfarreiarchiv St.Clara nicht haben stören lassen. Hans Baur danke ich für sein Bewusstsein für die Geschichte der Basler Katholiken und den Zugang zum Archiv der Alten Hatstätter. Mathias Inauen von der Studentenverbindung Waldstättia, Barbara Alzinger vom St. Katharina-Werk sowie Rita Giger und Franziska Zimmermann vom Katholischen Frauenbund Basel danke ich für die Unterstützung bei der Sichtung von Unterlagen aus ihren Archiven. Dankbar bin ich für die vielen helfenden Hände im Staatsarchiv Basel-Stadt, im Staatsarchiv Thurgau, im Klosterarchiv Einsiedeln, im Stadtarchiv Freiburg, im Erzbischöflichen Archiv der Diözese Freiburg, im Bischöflichen Archiv der Diözese Basel, im Staatsarchiv Luzern, im Schweize rischen Wirtschaftsarchiv und im Archiv des deutschen Caritasverbandes.
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Vorwort
Ohne finanzielle Hilfe hätte dieses Buch nicht entstehen können. Ich danke der Christoph Merian Stiftung, die aus dem Ertragsanteil der Bürgergemeinde der Stadt Basel dieses Buch unterstützt hat; der Berta Hess-Cohn Stiftung für ihren Beitrag an die Druckkosten; den Studentenorganisationen Alt-Froburger und Alt-Rauracia, dem Bistum Basel, der Stiftung Dialog zwischen Kirchen, Reli gionen und Kulturen, dem Erasmusfonds des Dekanats Basel-Stadt, der Ernst Göhner Stiftung, der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft Basel, der Römisch-Katholischen Landeskirche des Kantons Basel-Landschaft, der RömischKatholischen Kirche des Kantons Basel-Stadt, der Stadt Freiburg im Breisgau, der Erzbischof Hermann Stiftung, dem Swisslos Basel-Landschaft und dem Swisslos-Fonds Basel-Stadt sowie zahlreichen Privatpersonen für ihre Unter stützung. Mein Dank gilt nicht zuletzt dem Christoph Merian Verlag für die Möglichkeit, dieses Buch in der Reihe ‹ Beiträge zur Basler Geschichte › zu veröffentlichen, Jörg Bertsch für das Lektorat und Nicholas Mühlberg für die Gestaltung. Das vorliegende Buch kann nur einen kurzen Überblick über das Leben von Franz Blum und die Geschichte der Basler Katholiken im 20. Jahrhundert geben. Es wäre wünschenswert, wenn sich weitere Autoren der vielseitigen Geschichte der Basler Katholiken annehmen würden. Viele Fragen harren einer Antwort.
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Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier
Franz Blum kam am 10. November 1901 in Schönenbuch zur Welt. Die Familie Blum stammte ursprünglich aus dem Kanton Aargau. Vater Franz Blum, 1863 in Wil AG geboren, kam als Zöllner in den 1890er-Jahren in die Region Basel. Im solothurnischen Hofstetten brachte seine Frau Emma, geborene Birri aus Zeihen im Aargau, 1899 die erste Tochter Maria zur Welt. Um die Jahrhundertwende zog es die junge Familie nach Schönenbuch, wo Franz Blum und 1903 die zweite Tochter Emma zur Welt kamen. Bei der Geburt der dritten und letzten Tochter Hulda 1908 lebte die Familie in Basel im Gundeldingerquartier. Die Katholiken in Basel trugen schwarz, als die Familie Blum nach Basel zog. 1900 war Burkard Jurt ( 1822–1900 ), der Pfarrer von St. Clara, gestorben. Jurt hatte der Mutterkirche der Basler Katholiken 42 Jahre als Pfarrer vorgestanden und die Zeit des Kulturkampfes nicht nur miterlebt, sondern aktiv daran teilgenommen. Er war eine prägende Gestalt des Basler Katholizismus. Als 1857 ein neuer Pfarrer für St. Clara gesucht wurde, schrieb der damalige Gemeindepräsident Carl Wahr an den Bischof. Er wies darauf hin, dass es einen tüchtigen Mann brauche, der sich gegen die vielen intellektuellen protestantischen Theologen und Professoren in Basel behaupten könne und sich auch nicht scheue, mit der Regierung einen vertraulichen Umgang zu pflegen. Burkard Jurt aus Luzern erfüllte diese Anforderungen und trat im Januar 1858 sein Amt an. Während seiner Amtszeit wurde die Clarakirche erweitert, das katholische Vereinswesen auf- und ausgebaut, das Basler Volksblatt als katholische Zeitung gegründet und mit St. Marien die erste eigene katholische Kirche in Basel gebaut. Der Aufbau der katholischen Gemeinde fiel in Basel in die Zeit des Kulturkampfes, den Jurt aus nächster Nähe kennengelernt hatte. Jurt war 1847 Sekretär des Generalstabs der Truppen des katholischen Sonderbundes. Die katholischen Kantone Luzern, Zug, Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Wallis und 16
Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier
Die Familie Blum gegen Ende der 1910er-Jahre. Vater Franz Josef, Emma, Mutter Emma, Franz, Hulda und Maria ( von links nach rechts ).
Freiburg hatten sich zum Sonderbund zusammengeschlossen, da sie sich von den freisinnigen Regierungen, die in vielen eidgenössischen Kantonen nach 1830 an die Macht gekommen waren, bedroht fühlten. Verschiedene innerkantonale konfessionelle Auseinandersetzungen wie etwa der Aargauer Klosterstreit mit der Aufhebung aller Klöster 1841 oder die Berufung von Jesuiten an die Gymnasien in Luzern führten zu Spannungen zwischen den Freisinnigen und Konservativen, die 1847 in einen Bürgerkrieg, den Sonderbundskrieg, führten, der rund 150 Menschen das Leben kostete. Die eidgenössischen Truppen unter General Guillaume-Henri Dufour besetzten im November 1847 Luzern, worauf die Sonderbundskantone kapitulierten. In der Folge konstituierte sich die Schweiz 1848 als Bundesstaat und nicht mehr als Staatenbund, mit entsprechend 17
Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier
Fridolin Johann Birri 1841 Zeihen AG 1918 Aarau
Maria Blum 20. Februar 1899 Hofstetten 14. Juli 1972 Wohlen
Magdalena Birri 1840 Zeihen AG 1920 Aarau
Emma Birri 3. August 1872 Zeihen AG 15. März 1939 Menziken AG
Franz Josef Blum 5. November 1863 Wil AG 7. März 1937 Menziken AG
Franz Blum 10. Nov. 1901 Schönenbuch 25. August 1969 Basel
Emma Blum 15. März 1903 Schönenbuch 1. August 1976 Aesch
Hulda Blum 18. Januar 1908 Basel 23. Februar 1986 Menziken AG
Fritz Maritz 19. Juli 1895 Aarau 27. Februar 1966 Wohlen
Josef Lötscher 21. Februar 1905 Basel 18. Mai 1988 Menziken AG
Gertrud, 5. September 1928 Fritz und Franz, 16. September 1929 Peter, 28. September 1931 Maria, 29. November 1938
Mariegret, 28. November 1936 Franziska, 8. März 1942 Josef, 20. September 1945 Alle in Menziken AG geboren
Der Stammbaum der Familie Blum-Birri.
weniger Kompetenzen für die Kantone. Der Bundesstaat war das Ergebnis eines freisinnigen Sieges über die katholischen Konservativen und veränderte die konfessionellen Mentalitätsstrukturen, wie Theo Gantner schreibt : « Der wirtschaftlich, politisch, wissenschaftlich und sozial einflussreiche Teil der neuen Eidgenossenschaft bekannte sich zum reformierten Glauben. Die Reformierten galten und fühlten sich als modern, industriell, städtisch und reich, während die Katholiken für traditionell, bäuerlich, ländlich und arm gehalten wurden und sich nach der politischen und militärischen Niederlage von 1847 auch entsprechend fühlten. » 2 Basel war zwar nicht Schauplatz des Sonderbundskrieges. Auch galt die obige Beschreibung für die Katholiken in Basel nur beschränkt. Das Gefühl, nur Bürger zweiter Klasse zu sein, war allerdings auch für sie prägend. Das Bewusstsein, als Katholiken in einer protestantischen Stadt in der Diaspora zu leben, führte zu einem Rückzug in ein katholisches Milieu, das in den folgenden Jahrzehnten aufgebaut wurde. 18
Die Rückkehr der Katholiken ins reformierte Basel
Die Rückkehr der Katholiken ins reformierte Basel Weshalb gab es aber in der seit 1529 reformierten Stadt Basel überhaupt eine katholische Gemeinde ? Die Geschichte der Katholiken in Basel beginnt 1734. Seit jenem Jahr lebte ein kaiserlicher Gesandter in Basel, der in einer eigenen Kapelle am Sonntag eine katholische, seit 1767 vom Rat bewilligte Messe or ganisierte. Der Gesandtschaftspriester übernahm auch seelsorgerische Aufgaben wie das Abnehmen der Beichte, das Verteilen der Kommunion und Taufen. Dennoch zogen viele Katholiken aus der Stadt den Besuch der umliegenden katholischen Kirchen in Dornach, Arlesheim, Blotzheim, Hüningen oder Wyhlen für den Gottesdienst vor. In Basel selber lebten damals offiziell noch keine Katholiken, da diesen das Bürgerrecht versagt blieb. Viele der Dienstboten und Handwerker des Bürgertums stammten aber aus dem Badischen und dem Elsass und waren katholisch. Auch Zuwanderer aus der Schweiz, speziell aus dem benachbarten Kanton Solothurn, brachten ihren katholischen Glauben mit. Nach der französischen Revolution besuchten vermehrt auch Menschen aus dem benachbarten Ausland und in Basel stationierte eidgenössische Truppen den katholischen Gottesdienst. Die Stadt reagierte sehr pragmatisch auf die steigende Anzahl der Katholiken. 1797 stellte sie ein Magazin im Clarahof im Kleinbasel für Gottesdienste zur Verfügung. Im folgenden März fand ein erster Gottesdienst unter der Leitung eines Kapuzinermönches des Klosters Dornach statt. Das eigene Zuhause erlaubte es den Katholiken, sich an den Aufbau einer Gemeinde zu machen. Der deutsche Josef Lacher übernahm die Federführung und bemühte sich erfolgreich um einen eigenen Pfarrer. Er fand Roman Heer aus Klingnau ( 1761–1804 ), der am 8. April 1798 seinen ersten Gottesdienst vor vollem Haus feierte. Das Magazin des Clarahofs war dem grossen Ansturm nicht gewachsen. Reihenweise kippten Besucher der Gottesdienste im Sommer wegen des Gedränges und der Hitze um. Dies blieb der Stadt nicht verborgen. Sie beschloss daher, die benachbarte Clarakirche paritätisch auch für die Katholiken zu öffnen. Der erste Gottesdienst in der Clarakirche vom 14. Oktober 1798 gilt als die offizielle ‹ Rückkehr › der Katholiken nach Basel. Die Helvetische Republik von 1798 garantierte die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Katholiken waren in Basel nun nicht mehr nur geduldet, sondern konnten sich auf ein Recht berufen. Im gleichen Jahr 19
Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier
organisierte sich eine katholische Gemeinde mit Josef Lacher an der Spitze. Die Stadt liess die Gründung unter der Bedingung zu, dass sich die Gemeinde nicht dem Bischof von Basel, sondern dem Bistum Konstanz unterstellte. Die meisten Katholiken lebten im Kleinbasel. Mit der Clarakirche, welche die Katholiken 1858 zum alleinigen Gebrauch erhielten, und dem 1836 gekauften Hatstätterhof konzentrierte sich hier das katholische Leben. Der Lindenberg mit dem Pfarrhaus, einer Hauskapelle und einem Schulhaus im Hatstätterhof wurde zur katholischen Festung. Die Stadt reagierte wohlwollend. Sie beteiligte sich finanziell am Kauf des Hatstätterhofs. Bereits 1834 hatte die Stadt der Gemeinde zwei Kreuze aus jenem Teil des Münsterschatzes geschenkt, der nach der Kantonstrennung 1833 nicht an Baselland gefallen war. Die neue Kantonsverfassung nach der Trennung der Kantone Basel-Stadt und Baselland erlaubte die Ausübung jedes christlichen Glaubensbekenntnisses. Mit der Bundesverfassung 1848 erhielten die Katholiken das Niederlassungsrecht und 1860 das Basler Bürgerrecht.
Ernst Feigenwinter und der Kulturkampf Der Kulturkampf streckte seine Fühler auch nach Basel aus. Nach der Revolution von 1848 hatte sich der Papst auf die konservative Seite geschlagen. Die romtreuen, auch ultramontan genannten Katholiken wurden so für den neuen freisinnigen Bundesstaat von 1848 in der Schweiz zu einer potenziellen Gefahr. Verschiedene Entscheidungen des Papstes sollten die Katholiken auf ihren Glauben einschwören, irritierten dabei aber auch die Gegenseite. 1854 hatte der Papst das Dogma der ohne Erbsünde empfangenen Maria verkündet. Dieser Inhalt lässt sich nicht aus Schriften aus dem Kanon der Bibel herleiten und wurde deshalb von der reformierten Kirche nicht akzeptiert. 1864 veröffentlichte der Papst den antimodernen ‹ Syllabus Errorum ›, eine Sammlung von 80 Sätzen, die ein Katholik unter keinen Umständen unterstützen durfte. Es war aber das Erste Vatikanische Konzil von 1869 / 70, das zu einer innerkatholischen Zerreiss probe führte. Das Konzil war eine Reaktion auf die sich wandelnde Gesellschaft, von der sich der Katholizismus bedroht fühlte. Der Papst befürchtete einen Verlust seines Einflusses bei den Katholiken. Das Konzil beschloss die Unfehl20
Ernst Feigenwinter und der Kulturkampf
barkeit des Papstes in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre. Ebenso wurde das Jurisdiktionsprimat verabschiedet, das dem Papst den Eingriff in alle Bistümer erlaubt. In der Folge des deutsch-französischen Krieges besetzten Truppen des Königreiches Italien den Vatikan und bewirkten eine Unterbrechung des Konzils. Im Oktober 1870 wurde es auf unbestimmte Zeit vertagt und ist bis heute offiziell nicht abgeschlossen. Vor allem liberal gesinnte Katholiken konnten die Beschlüsse des Konzils nicht akzeptieren. Die Alt- oder später Christkatholiken sagten sich auch in Basel von Rom los. Bereits 1873 erhielten sie in der St. Martinskirche und ab 1879 in der Predigerkirche Gastrecht. Die Ereignisse rund um die innerkatholische Spaltung politisierten einen jungen Baselbieter, der sich in der Folge zum starken Mann der Basler Katholiken entwickelte. Ernst Feigenwinter ( 1853–1919 ) stammte aus einer Reinacher Bauernfamilie. Nach einem Rechtsstudium in Basel, München, Strassburg und Berlin arbeitete er als Anwalt in Basel. Die kulturkämpferischen Auseinandersetzungen, der Hass und Spott, den die katholische Kirche insbesondere in der Abspaltung der Altkatholiken erdulden musste, verletzte Feigenwinters Rechtsempfinden und machte ihn zu einem Aktivisten für die katholische Sache. 1873 besuchte Feigenwinter eine Veranstaltung der Altkatholiken in Arlesheim und verteidigte den katholischen Glauben lautstark. Dabei kamen ihm seine rhetorischen Fähigkeiten zugute, die er unter anderem durch das Verfolgen der Rededuelle des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck mit dem katholischen Zentrumspolitiker Ludwig Windhorst während seiner Studienzeit in Berlin schulen konnte. Der Anlass in Arlesheim beschäftigte ihn derart, dass er noch im gleichen Jahr die Gründung einer Zeitung für die Basler Katholiken, das Basler Volksblatt, vorantrieb. Auf dem Höhepunkt des Kulturkampfes in der Schweiz wurde 1874 eine neue Bundesverfassung verabschiedet. Diese beinhaltete auch gegen die Katholiken gerichtete Artikel, so das Verbot der Errichtung und Wiederherstellung von Klöstern und der Gründung von religiösen Orden. In der Folge revidierte Basel 1875 seine Kantonsverfassung. Die reformierte Kirche und 1878 auch die christkatholische Kirche erhielten den Status als öffentlich-rechtliche Landeskirche. Die katholische Gemeinde lehnte dies ab, da sie sich nicht unter staatliche und damit protestantische Oberaufsicht stellen wollte. Sie organisierte sich am 21
Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier
13. Februar 1876 als Verein und wurde zur Römisch-Katholischen Gemeinde ( RKG ). 1903 und 1909 gab es von katholischer Seite erneute Bemühungen für eine öffentlich-rechtliche Anerkennung. Man konnte sich aber nicht einigen. Das neue Kirchengesetz 1910 brachte eine sogenannte ‹ hinkende Trennung › und ‹ Basler Lösung ›. Die evangelisch-reformierte und die christkatholische Kirche blieben zwar Volkskirchen mit öffentlichem Status, finanziell wurden sie aber vom Staat getrennt. Sie mussten in Form von Kirchensteuern selber für die Finanzen aufkommen. Dies war für die Katholiken ein Teilerfolg. Mit ihren Steuern an den Kanton finanzierten sie in der Folge nicht mehr die anderen Kirchen mit. Die fehlende öffentlich-rechtliche Anerkennung blieb allerdings für viele, vor allem politisch aktive Katholiken, bis 1974 ein Makel.
Die Aufhebung der katholischen Schule und der Rückzug ins Milieu Es war ein anderes schwerwiegendes Ereignis, welches das katholische Selbstverständnis für Jahrzehnte prägte. Höhepunkt des Kulturkampfes in Basel und gleichzeitig Endpunkt des nationalen Kulturkampfes war die Aufhebung der katholischen Schule am Lindenberg 1884. Die Schliessung wurde zu einem wesentlichen Motor des verstärkten Rückzuges in ein eigenständiges katholisches Milieu. Wohl kein Ereignis aus der Geschichte der Basler Katholiken wurde so oft besprochen und bearbeitet wie die Geschehnisse rund um die Schulschliessung. Viele frühe Arbeiten darüber sind heute historische Quellen, sind doch die Autoren Kinder ihrer Zeit. Publikationen aus der ersten Hälfte des 20. Jahr hunderts zeigen eine ‹ Jetzt-erst-recht-Haltung › : Der Katholizismus lässt sich auch mit der Aufhebung der Schule nicht aus Basel verdrängen. Franz Blum nannte die Aufhebung in einem Beitrag im Basler Volksblatt 1942 den « härtesten Schlag, den Katholisch-Basel erlitt ».3 Neuere Publikationen sehen in der Schliessung der Schule einen ersten Schritt zur Integration der Katholiken in die Stadt und betonen den Vorteil einer konfessionsneutralen Erziehung der Kinder. Patrick Braun schrieb 2001 : « Der Übertritt der katholischen Kinder in die öffentlichen Schulen hat die – aus heutiger Sicht – notwendige Assimilation des katholischen Bevölkerungsteils beschleunigt. »4 22
Die Aufhebung der katholischen Schule und der Rückzug ins Milieu
Pfarrer Roman Heer hatte die katholische Schule 1800 gegründet. Seit 1836 hatte sie im Hatstätterhof eine Heimat. 1864 wurde ein weiteres Haus am Oberen Rheinweg gekauft. Die Schülerzahl stieg bis 1880 auf 1400 Schülerinnen und Schüler, einen Viertel aller Schulkinder von Basel. Die freisinnige Regierung verlangte, dass keine Ordensleute mehr an der Schule unterrichten und der Lehrplan an die staatlichen Schulen angepasst werden sollte. Die katholische Gemeinde zeigte sich gesprächsbereit, wollte aber nicht auf das Lehrpersonal, die Lindenbergschwestern und die Marienbrüder, verzichten. Das Thema kam vor den Grossen Rat, der kontrovers und vom 28. Januar bis zum 5. Februar 1884 sehr ausgiebig darüber diskutierte. Die Konservativen, die heutige Liberaldemokratische Partei ( LDP ), setzten sich stark für die Religionsfreiheit und die katholische Schule ein. Ohne Erfolg. Am 5. Februar 1884 stimmte der Grosse Rat mit 66 gegen 50 Stimmen gegen die Lehrtätigkeit der Ordensleute an der katholischen Schule. Eine Volksabstimmung bestätigte am 24. Februar 1884 bei einer Stimmbeteiligung von 82 Prozent den Grossen Rat mit 4479 gegen 2910 Stimmen. Einzig die Gemeinde Bettingen lehnte die Vorlage mit 28 gegen 15 Stimmen ab. Die katholische Vorsteherschaft und ihr Mittelsmann und Jurist Ernst Feigenwinter rekurrierten vergebens beim Bundesrat in Bern gegen den Entscheid. Nach der Auflösung der Schule wurden die katholischen Schülerinnen und Schüler in die staatlichen Schulen integriert. Die Schliessung der Schule war auch für Burkard Jurt eine schwere Niederlage. Der Pfarrer von St. Clara empfand die Schliessung wohl nicht nur als einen Schritt in eine säkulare Moderne, sondern als gezielten Schlag gegen die Katholiken. Dabei konnte auch Jurt austeilen. 1872 beerdigte Jurt einen Katholiken, der seine Kinder protestantisch erzogen hatte. Der Mann war rücklings über eine Gartenhecke gestolpert und hatte sich dabei tödliche Verletzungen zugezogen. Jurt setzte in seiner Predigt den Tod mit der protestantischen Erziehung der Kinder in Verbindung. Daraufhin waren Pfui-Rufe zu hören, Jurt wurde als « Jesuit » beschimpft und es kam zu einem Gerangel. Die Stadt rügte Jurt für sein Verhalten und wies darauf hin, dass alles unterlassen werden solle, was den konfessionellen Frieden in der Stadt bedrohe. 1900 verstarb der Kulturkämpfer Burkard Jurt.
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Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier
Nach den schmerzhaften Erfahrungen des Kulturkampfes zogen sich die Katholiken noch stärker in eine Sondergesellschaft zurück. Der von aussen bedroht geglaubte katholische Glaube musste bewahrt werden. Die Katholiken sollten von der Wiege bis zur Bahre in einem geschützten Umfeld ihr Katholischsein leben können. Der Aufbau dieses Milieus, die Gründung zahlreicher Vereine und Organisationen, geschah hauptsächlich in den Jahren von 1860 bis 1920. Mit der Industrialisierung entstand Ende des 19. Jahrhunderts mit der sozialistischen Arbeiterbewegung ausserdem ein weiterer Gegner, gegen den es sich abzugrenzen galt. Die rasante Zunahme der Katholiken in Basel von rund 10 000 Personen im Jahr 1870 auf über 45 000 1910 forderte eine wohldurchdachte Organisation und Struktur, um die vielen katholischen Arbeiter nicht an andere, speziell das sozialistische Milieu, zu verlieren. Die Zuwanderer kamen, wie bereits früher, aus der badischen und elsässischen Nachbarschaft, aus der Innerschweiz, Solothurn, dem Aargau und dem Birseck. 1870 wurde der Katholikenverein, auch Volks verein genannt, gegründet, der grösste und wichtigste Verein, aus dem sich später die Katholische Volkspartei entwickelte. Der Aufbau von eigenen Vereinen wurde für die Katholiken auch deshalb nötig, weil ihnen die Teilnahme in privaten Vereinen, Organisationen und Gesellschaften sowie die Arbeit in der Verwaltung lange vorenthalten blieb. Die katholischen Vereine waren nach Geschlechtern getrennt. Für die Männer gab es, um nur einige wenige zu nennen, neben dem Männer- schon früh einen Gesellen- und einen Arbeiterverein, die Frauen sammelten sich im Frauen- und Mütterverein. Für die Mädchen gab es den Marienverein, der Jünglingsverein war für die Knaben. Die Erfassung in den Vereinen war nicht flächendeckend. Bereits um 1920 zahlten rund 40 Prozent der Katholiken keine Kultusbeiträge mehr und nur etwa ein Drittel praktizierte den katholischen Glauben im strengen Sinn.5 Das Milieu bestand aber nicht nur aus den Vereinen, sondern auch aus einem spezifischen Denken, das sich durch die Abgrenzung gegen das Andere definierte. Es war die Aufgabe der Pfarrer und Seelsorger, die Katholiken vor fremden Einflüssen zu bewahren. Die Mischehe war für eine konfessionelle Minderheit die schlimmste Gefahr. Feinde waren auch der Liberalismus, Sozialismus, 24
Blums Sonntagsspaziergänge nach St. Marien
Atheismus, Säkularismus und Modernismus. Die Einigelung und geistige Abschottung schuf auf der freisinnigen und sozialistischen Gegenseite ebenfalls Feindbilder. Für sie waren die Katholiken intolerante Ultramontane oder Träger des kapitalistischen Systems. Sie verurteilten am Katholizismus die Volksfrömmigkeit und den Aberglauben, den Klerikalismus und vor allem den politischen Katholizismus. Urs Altermatt beschreibt Struktur und Aufgaben des katholischen Milieus : « Die katholische Weltanschauung verbindet sie [ die Katholiken ] zu einer religiös fundierten Lebens- und Schicksalsgemeinschaft. Da ideologische Wert vorstellungen ohne die Hilfe von sozialen Mechanismen nicht existieren können, unterhalten die Milieukatholiken untereinander enge soziale Beziehungen und beschränken ihre sozialen Aktivitäten wenn immer möglich auf den Kreis der gleichgesinnten Milieuangehörigen. Die sozialen Beziehungen dienen als Transmissionsriemen, um die katholischen Wertvorstellungen zu tragen und zu schützen. Sie vermitteln den Milieukatholiken nicht nur das Gefühl des Zu hause-Seins, sondern auch die ebenso wichtige Kontrolle, indem sie sie vor der andersartigen Umwelt schützen. »6
Blums Sonntagsspaziergänge nach St. Marien Die Familie Blum wohnte an der Gundeldingerstrasse 474, am Fuss des Bruderholzes und unmittelbar neben dem heutigen Dreispitzareal. Franz Blum hielt in den 1960er-Jahren einige Erinnerungen an seine Kindheit schriftlich fest : « Hinter dem Haus, in dem wir wohnten, war ein Höflein, ein ebensogrosser Gemüsegarten und dann gings noch ein paar Schritte bis zum Wald mit dickstämmigen Bäumen. An diesen Wald knüpft sich meine wohl früheste Kindheitserinnerung. Die Mutter hatte mich auf dem Arm genommen und stand unter dem Fenster gegen den Wald. Es muss frühe, vor Tag, im Sommer gewesen sein. ‹ Horch ! ›, sagte die Mutter. Da wurde ich erst richtig wach und hörte das Jubilieren und Singen von tausend Vögeln. Der ganze Wald schien mir voller strömenden Freude und Seligkeit. ‹ Warum singen sie so ? ›, fragte ich. ‹ Sie singen ihr Morgengebet ›, sagte die Mutter. Ich legte meine Ärmlein um ihren Hals und lauschte. » 7 Das Gundeldingerquartier war ein junges Quartier. Nach dem Bau des Bahnhofs 25