KREIS 48. Die Basler Künstlergruppe

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DIE BASLER KÜNSTLERGRUPPE

CHRISTOPH MERIAN VERLAG



Inhalt

Vorwort und Dank der Herausgeber 7 Invar-Torre Hollaus: Der Kreis 48 – Eine Basler Künstlergruppe 9 Georg Kreis: Im Basel der Jahre 1945 bis 1950 – Zwischen bedrückender Vergangenheit und ungewisser Zukunft 11 Maria Becker: Die Avantgarde kam schrittweise – Kunstströmungen und Künstlergruppen in Basel zwischen 1900 und 1950 16 Deborah Harrington: Der Kreis 48 – Aufbruch in der baslerischen Künstlerszene 20 Andreas Jetzer: Kreis 48 – Entstehung, Organisation und Auflösung 23 Simon Baur: Henri Bodin – Kunst als Tagebuch 32 Maria Becker: Jean-François Comment – Die Freisetzung der Farbe 40 Hans-Joachim Müller: Romolo Esposito – Der Phantast 56 Andrea Silvia Végh: Karl Glatt – Vom Graumaler zum Meister sprühender Farbigkeit 62 Andrea Silvia Végh: Valery Heussler – «Mitverantwortung ist der Motor meines Werkens» 76 Maria Becker: Max Kämpf – Die Würde des Menschen als Grundmotiv 85 Marie-Louise Hieronymus-Schaller: Theo Lauritzen – Entdecken und Freigeben 103 Maria Becker: Robert Lienhard – Abstraktion und Naturform sind kein Widerspruch 116 Hans-Joachim Müller: Alex Maier – Der Stille 126 Anna M. Schafroth: Peter Moilliet – Von der Pietà zu den Traumhäusern 134 Simon Baur: Johann Anton Rebholz – Maler der Lichtspiegelungen 150 Andrea Silvia Végh: Hanni Salathé – Vom Realismus zur abstrakten Form 162 Andrea Silvia Végh: Julie Schätzle – Die erste Künstlerin im Kreis 48 172 Simon Baur: Gustav Stettler – Ein Schwarzmaler mit Pfiff 182 Simon Baur: Paul Stöckli – Traumtänzer zwischen Linien und Zeichen 194 Annemarie Monteil: Hans Weidmann – Lebenselixier Reisen 208 Valentine Reymond: Des liens étroits entre le Kreis 48 et Moutier 222 Werner von Mutzenbecher: Als Max Kämpf noch im Kleinbasel lebte 226 Peter Suter: Der Lorelei-Brunnen von Peter Moilliet 229 Werner von Mutzenbecher: Gustav Stettler 233 Andreas Jetzer: Gespräch mit Peter Moilliet 234 Biografische Notizen 236 Impressum 254



Vorwort und Dank der Herausgeber

Wissen Sie, in welchem Basler Park Sie der Lorelei begegnen können und wer ihr Schöpfer ist? Haben Sie die eisernen Riesenschmetterlinge in der Essiganlage in Riehen (seit Mai 2016 in die Wettsteinanlage verlegt) je bemerkt? Erinnern Sie sich, welche Frau die Salesmen vor der Kantonalbank in Rheinfelden schuf? Oder haben Sie schon einmal vom Streit um Stalins ‹Schnauz› am Basler Wirtschaftsgymnasium gehört? Antworten auf diese und weitere Fragen finden Sie in diesem Buch, das sich der Künstlergruppe Kreis 48 widmet. 3 Künstlerinnen und 13 Künstler fanden sich vor bald siebzig Jahren zum Kreis 48 zusammen, um ihre Freundschaft und künstlerischen Interessen zu pflegen. Das vorliegende Buch ist eine Einführung in das individuelle Schaffen der ‹48 er›, wie sie auch genannt wurden, und gibt dabei zudem einen vertieften Einblick in eine ganze Periode Basler Kunstschaffens. Wir freuen uns, Ihnen diese Publikation präsentieren zu dürfen und viele spannende neue Erkenntnisse über die 16 Künstlerinnen und Künstler vorstellen zu können. Einige von ihnen sind bekannt und mit eigenen Katalogen hervorgetreten, andere wurden kaum dokumentiert. Der Kreis 48 als Ganzes wurde bisher noch nicht monografisch dargestellt. Diese Lücke zu schliessen war unser Ziel. Zum erfolgreichen Gelingen haben viele Kunstfreunde und Institutionen beigetragen. Oliver Bolanz vom Christoph Merian Verlag war seit Beginn an von der Buch­ idee überzeugt und hat uns immer wieder Mut gemacht, das Projekt zu realisieren. Ihm und seinen Mitarbeitenden Claus Donau, Andrea Bikle und Karin Matt sei hier gedankt. Für die gekonnte und schöne Gestaltung der Monografie zeichnet Anne Hoffmann verantwortlich. Sie hat uns wertvolle Hinweise gegeben und uns kritisch unterstützt, und wir danken ihr herzlich für beides. Auch Jean-Jacques Nobs von der LAC AG möchten wir für seine unermüdliche Unterstützung bei der Bereitstellung und Herstellung der Abbildungen danken, ebenso der Druckerei zu Altenburg, welche diese Monografie so hochwertig realisiert hat. Nicht zuletzt danken wir Karoline Mueller-Stahl für ihre Geduld und professionelle Expertise bei ihrer vorzüglichen Lektoratsarbeit. Allen Autorinnen und Autoren gilt unser besonderer Dank für die neu recherchierten und aufschlussreichen Texte. Als Kunstfachleute haben sie sich schon früher mit den Werken der 48 er beschäftigt oder sie sogar persönlich gekannt; so konnte ein facettenreiches Buch entstehen.

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Allen, die diese Publikation unterstützt haben, danken wir herzlich für ihre finanzielle Hilfe, die es uns ermöglicht hat, eine Basler Künstlergeneration nochmals aufleben zu lassen. Wir danken auch denjenigen, die mitgearbeitet und mitgeholfen haben, aber nicht namentlich aufgeführt werden können oder wollen. Wir hoffen, dass die Darstellung des Kreis 48 auch soweit gelungen ist, dass nicht nur die individuellen Qualitäten der verschiedenen Künstlerpersönlichkeiten angemessen hervortreten, sondern auch die Wirkung der Verbindung als Gruppe. Wir wünschen Ihnen Kunstgenuss bei der Lektüre! Margrit Gass, Markus Glatt, Andreas Jetzer Basel, August 2016

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Der Kreis 48 – Eine Basler Künstlergruppe Invar-Torre Hollaus

1948 schliessen sich auf Initiative von Max Kämpf in Basel ein gutes Dutzend

Kunstschaffende zum Kreis 48 zusammen. Zu den Gründungsmitgliedern gehören n ­ eben Max Kämpf auch Henri Bodin, Jean-François Comment, Romolo Esposito, Karl Glatt, Theo Lauritzen, Alex Maier, Peter Moilliet sowie Johann Anton Rebholz, Gustav Stettler, Paul Stöckli, Hans Weidmann und – als einzige Frau – Julie Schätzle. Später kommen mit Valery Heussler und Hanni Salathé noch zwei weitere Künstlerinnen hinzu, auch Robert Lienhard tritt der Gruppe erst später bei. Zwischen dem ältesten Mitglied der Gruppe, der 1903 geborenen Julie Schätzle, und dem jüngsten, der 1926 geborenen Hanni Salathé liegen im Ganzen 23 Jahre. Der Zusammenschluss dieser Künstler verschiedenen Alters, die auch stilistisch ganz unterschiedlich ausgerichtet sind, erfolgt keineswegs zufällig. Einige von ­ihnen lernen sich bereits im Winter 1939 / 40 an der Allgemeinen Gewerbeschule Basel in der Zeichenklasse von Albrecht Mayer und im Malunterricht von Arnold Fiechter kennen. Andere wiederum hatten ihre Ausbildung an der Kunstgewerbeschule bereits ein paar Jahre zuvor durchlaufen und bildeten sich im Ausland weiter, bevor sie wieder nach Basel ­zurückkehren und sich den anderen Künstlern anschliessen. So zum Beispiel Karl Glatt, gewiss einer der profiliertesten Künstler der Gruppe, der nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Wien 1934 nach Basel zurückkehrt, um sich hier dauerhaft niederzulassen. Aus dem gemeinsamen Unterricht und der fortwährenden Diskussion grundsätzlicher künstlerischer Fragestellungen entwickelten sich in der Folge nicht nur langjährige Freundschaften, sondern auch ein intensiver künstlerischer Austausch, in dem sie sich gegenseitig inspirierten. Auch dank dieser konstruktiven Kritik sah sich jedes Mitglied der Gruppe in seinem Tun bestätigt und wusste, an welchen Widerständen es sich zu reiben galt, um so kontinuierlich den persönlichen Stil zur Entfaltung zu bringen. Diese stilistische Vielfalt, die in verschiedenen druckgrafischen Techniken, Zeichnung, Malerei und Bildhauerei zum Ausdruck kommt, ist ein Charakteristikum, das den Kreis 48 auszeichnet. Einzelne Künstler wie Karl Glatt, Gustav Stettler und vor allem Max Kämpf experimentierten zwischenzeitlich zudem mit einer sehr reduzierten Palette und stellten eher stille, unspektakulär wirkende Alltagsmotive dar, was ihnen die Bezeichnung ‹Basler Graumaler› einbrachte. Die Farbigkeit kam jedoch bald wieder in ihre Bildwelten zurück.

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Dem Kreis 48 war dabei nie an einem dogmatischen inhaltlichen oder künstlerischen Programm gelegen. Das wesentliche sie verbindende Interesse, das nahezu alle ihre Beiträge wie ein roter Faden durchzieht, ist die Darstellung des Menschen und das beständige Befragen seiner vielfältigen Erscheinungsformen und seines Körpers. Die meisten Künstlerinnen und Künstler bleiben denn auch während ihres gesamten Schaffens der figurativen beziehungsweise der gegenständlichen Kunst verpflichtet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war dieses Beharren auf der menschlichen Figur durchaus ein Wagnis und konnte schnell als rückständig abge­urteilt werden, folgte die zeitgenössische Kunst damals doch vorwiegend abstrakten Tendenzen. Rückblickend gibt die Entwicklung der Kunstgeschichte den Mitgliedern des Kreis 48 aber insofern recht, als dass der Mensch in der Kunst ein zentrales Thema geblieben ist. Ein anderer Beweggrund für die Gründung des Kreis 48 ist von eher pragmatischen Überlegungen geleitet: Sie ist auch eine Reaktion auf die Ende der 1940 er-Jahre die Kunstszene in Basel nach wie vor dominierende Gruppe 33, deren Mitglieder um Walter Kurt Wiemken eine deutlich politisch geprägte Haltung einnahmen. Darüber hinaus war der Kreis 48 vor allem bestrebt, sich durch gemeinsam organisierte Ausstellungen in der Öffentlichkeit besser zu positionieren und sich ausserhalb der Einflusssphäre der damals eher konservativen Basler Sektion der GSMBA (Gesellschaft Schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten) eine grössere institutionelle Unabhängigkeit zu bewahren. Rasch konnte der Kreis 48 in Basel einflussreiche Fürsprecher gewinnen. Bereits im Gründungsjahr 1948 fand in der damals noch jungen Galerie Beyeler eine erste Gruppenausstellung statt. 1950 folgte eine erste Ausstellung in der Kunsthalle Basel, der 1955 und 1963 weitere folgten. Armin Hofmann, einer der innovativsten und internatio-

nal renommiertesten Schweizer Grafiker, entwarf für diese Ausstellung eines seiner viel beachteten Plakate. In Trudl Bruckner fand die Künstlergruppe eine enthusiastische Unterstützerin, die die einzelnen Künstlerinnen und Künstler während ihrer langjährigen Galerietätigkeit regelmässig ausstellte und sie einem kunstinteressierten Publikum über die Basler Grenzen hinaus bekannt machte. Es ist zu wünschen, dass diese Pionierarbeit durch die vorliegende Monografie, die erstmals alle Künstlerinnen und Künstler des Kreis 48 vereint und sie in einen kunsthistorischen Kontext stellt, Anregung für weitere Untersuchungen und Erkundungen bietet. So möge sie Fortsetzungen finden und eine nachhaltige Rezeption ermöglichen.

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Im Basel der Jahre 1945 bis 1950 – Zwischen bedrückender Vergangenheit und ungewisser Zukunft Georg Kreis

Gesellschaftliche Gegebenheiten konditionieren bis zu einem gewissen Grad auch das Wünschen und Wollen der Menschen. Darum die Frage: In welchem Kontext und vor welchem Hintergrund wurde im dritten Nachkriegsjahr die Künstlervereinigung Kreis 48 ins Leben gerufen? Hinweise auf die in den Jahren von 1945 bis 1950 herrschenden Umstände oder Gegebenheiten – in Basel, in der Schweiz, in Europa – können nicht ohne einen zumindest indirekten Bezug zum gegebenen Gegenstand, dem Kreis 48, zusammengestellt werden. Für seine Entstehung gibt es keine zwingenden Voraussetzungen, möglicherweise können aber – in Kenntnis dessen, was der Kreis 48 war und wollte – erklärende Rahmenbedingungen genannt werden. Nicht zutreffend wäre es jedoch, anzunehmen, dass diese den Kreis 48 gleichsam programmiert hätten und dass er einfach, wie man gerne sagt, ein Produkt seiner Zeit gewesen sei. Die Gruppe musste sich aus sich selbst heraus bilden, sie musste die elementare Kraft für ihre Errichtung selbst aufbringen: eine kreative Gruppe, die in einer bestimmten Zeit und an einem konkreten Ort entstanden ist. Wenn der Kreis 48 seinerzeit eine Neuschöpfung war, sind die Basler Verhältnisse unter den Aspekten von Kontinuität und Innovation aufschlussreich. Beide kann man in den Nachkriegsjahren zunächst an einem ziemlich unwichtigen und dennoch bedeutsamen Nebenschauplatz beobachten, und zwar in den Tanzschulen Bickel-von Künsberg und Fromm, in denen die Jugend und die weniger Jungen die traditionellen und die gerade in Mode gekommenen Tänze übten: nach dem in den 1920 er-Jahren nach Europa gekommenen Foxtrott nun auch den in den 1950 er-Jahren aus Kuba stammenden Cha-Cha-Cha. Wie präsentierte sich jedoch die internationale Lage? Der Krieg war zwar vorbei, in neuen Formen der Bedrohung aber noch immer präsent. Die Basler Chronik registrierte für den 6. August 1945 den Atombombenabwurf über Hiroshima mit der Feststellung, dass es jetzt die Möglichkeit gebe, «ganze Länder innerhalb von wenigen Minuten in Mondlandschaften zu verwandeln.»1 Neu war auch die Teilung Europas durch den ‹Eisernen Vorhang›, von dem die Zeitgenossen nicht wissen konnten, wie lange er bestehen würde. Die Blockade von Westberlin (Juni 1948 bis Mai 1949 ) hätte das Vorspiel für grössere und weitreichende Auseinandersetzungen werden können. Der Ausbruch eines dritten Weltkriegs erschien vielen als ernst zu nehmende Gefahr. Die grosse

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Henri Bodin – Kunst als Tagebuch Simon Baur

Heinrich Barth, Henri Barth, Henri Bodin: Nur wenige können sich an den Maler erinnern, der auch Mitglied der Künstlergruppe Kreis 48 war. Der Anfang des 20. Jahrhunderts als Mitglied einer prominenten Basler Malerfamilie geborene und bereits 1958 gestorbene Künstler ist heute so gut wie vergessen. Rund ein halbes Dutzend Bilder, vor allem Zeichnungen, liessen sich durch intensive Recherchen noch finden, dabei wurden Nachlässe gesichtet, alte Wohnadressen verifiziert, sein Umfeld durchstöbert, doch es kamen nur wenige Spuren zutage. Die Dokumente, die schliesslich auftauchten, fanden sich verstreut in Publikationen, Zeitungen, Archiven und in Privatbesitz. Künstlerisches Umfeld Henri Bodin wurde am 2. September 1907 in Paris als Sohn des bekannten Basler Malers Paul Basilius Barth und der Magdalena Barth-Zaeslin geboren. Seine ersten Jahre verbrachte er in Paris, wo sein Vater an der Académie Julian studierte und gleichzeitig Kontakt zu den Basler Künstlern Karl Dick, Numa Donzé, Jean-Jacques Lüscher und Haiggi Müller pflegte. Auch der Maler Ernesto Schiess gehörte zum familiären Umfeld, er war mit Heinrichs Mutter verwandt und Heinrichs Patenonkel. Schiess’ unabhängiges und exotisch wirkendes Leben machte ihn zum Aussenseiter und Einzelgänger. Seine vom Impressionismus inspirierte Farbpalette wies wenig Verwandtschaft mit der Malerei von Paul Basilius Barth auf, zu dem er trotzdem ein gutes Verhältnis behielt. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs kehrte die Familie in die Schweiz zurück. Hin und wieder reiste sie ins Wallis und an den Genfersee, wo der Vater malte. Im Januar 1916 kam der Bruder Andreas Sebastian auf die Welt, der später ebenfalls Maler wurde. 1921 liessen sich die Eltern scheiden, der Vater heiratete 1924 Elsa Wassmer, die Mutter 1923 den Maler Louis Moilliet. 1922 unternahm Paul Basilius mit Numa Donzé eine Reise nach Nordafrika. Die Mutter erlaubte ihm nach der Geburt von Peter, ihrem ersten Kind, das sie mit Louis Moilliet bekam, Heinrich mitzunehmen.1 Vor allem Marokko faszinierte den Knaben, vermutlich entstand dort sein Wunsch Künstler zu werden. 1925 begann er auf den Rat des Vaters Kurse in Zeichnen und Malerei an der Allgemeinen Gewerbeschule Basel zu besuchen, seine Lehrer Arnold Fiechter und Albrecht Mayer förderten ihn. 1926 erfolgte ein kurzer Unterbruch und er lebte mit seinem Bruder Andreas und dem Halbbruder Peter Moilliet bei der Mutter in der Villa am Bach in St. Moritz.

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Henri Bodin Auf dem Trottoir 1931

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Henri Bodin Tigermutter und roter Kakadu 1939


Henri Bodin Wildsaufamilie 1939. Ruinen um 1945

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Länder und Menschen Fiechter rät ihm nach Berlin zu reisen und Herwarth Waldens Galerie Der Sturm zu besuchen, da dort nicht nur expressionistische Kunst, sondern auch die europäische Avantgarde vertreten war. Noch vor seinem 20. Geburtstag konnte er sich diesen Wunsch erfüllen. Besonders beeindruckte ihn eine Ausstellung über George Grosz, die er im März 1926 in der Galerie Alfred Flechtheim sah. In der kurzen Zeit, in der er in Berlin lebte, hatte er Kontakt mit dem Basler Künstler Alexander Zschokke, der im GeorgeKreis verkehrte. Von seinem Vater Paul Basilius Barth erbte Henri das Reisefieber, von seinem Patenonkel Ernesto Schiess den Drang nach Unabhängigkeit. Im Juli 1927 reiste er ein zweites Mal nach Berlin. Da ihm Basel zu eng geworden war, übersiedelte er sodann für ein Jahr ans Bauhaus nach Dessau, im Frühjahr 1932 zog er von dort weiter nach Paris, wo er sich, neben Spanien, bis Mitte der 1930er-Jahre aufhielt.2 Er verkehrte im Kreis der Surrealisten und lernte unter anderen Irène Zurkinden und Meret Oppenheim kennen, mit der er bis zu seinem Tod Kontakt hatte.3 Offensichtlich lebte er häufig in finanziellen Nöten. Es hat sich ein Brief vom 2. Juni 1931 an den Kunstkredit Basel-Stadt erhalten, in dem er anfragt, ob dieser nicht einige Werke von ihm erwerben könne, man ersuchte ihn daraufhin, sich an der kommenden Weihnachtsausstellung zu beteiligen, und erwarb dort sein bekanntestes Werk Auf dem Trottoir (S. 33 ), das im selben Jahr entstanden war und eine Strassenszene zeigt, wie wir sie auch aus Bildern von George Grosz kennen. 1946 hielt Bodin sich für kurze Zeit in New York auf, wie einem Brief zu entnehmen ist. 4 Rückzug und Vereinsamung Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kehrte Henri Bodin in die Schweiz zurück, zwei Basler Wohnorte konnten hier eruiert werden. Obwohl er Mitglied des Kreis 48 war, waren seine Werke nur in wenigen Ausstellungen der Künstlergruppe zu sehen. Innerhalb der Gruppe ist er nicht durch besondere Aktivität aufgefallen. Seine letzten Lebensjahre müssen ereignislos verlaufen sein, er verkaufte wenig und stellte auch nur selten aus. 1954 besuchte er die Biennale in Venedig, wo er von der Kunst Francis Bacons, den er vermutlich 1927 in Berlin und später wieder in Paris getroffen hatte, beeindruckt war.5 Zurückgezogen starb er am 18. Februar 1958 in Basel. In den beiden Basler Zeitungen erschienen kurze Nachrufe, die von einem Wunderkind mit grossem Talent schreiben. Besonders schmerzvoll sei für ihn jedoch der Tod seines Vaters im Jahr 1955 gewesen, den er offensichtlich nicht verarbeiten konnte.

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Henri Bodin Im Hafen von Barcelona 1934

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Henri Bodin Pariser Strassenszene undatiert


Bilder des alten Europas Henri Bodins Kunst lässt sich als Illustration seiner Biografie lesen, es sind die Schattenseiten des Lebens, die Erfahrungen sozial Benachteiligter, von Prostituierten und Kriegsverwundeten, aber auch Situationen auf seinen Reisen – Berliner- oder Pariser Strassenszenen, Basler Fabrikareale, spanische Häfen oder Kriegssituationen – die er in seinen Zeichnungen in Aquarell und Tusche und in einem einzigen Ölbild zeigt. Wie sein eigentlicher Name Heinrich Barth und sein Künstlername Henri Bodin andeuten, bewegte er sich in unterschiedlichen Existenzen. Seine Kunst weist aber auch die Einflüsse von Kollegen auf, etwa von George Grosz und von Walter Kurt Wiemken. Das von ihm erhaltene Werk ist nicht nur äusserst schmal, alle uns bekannten Arbeiten entstanden in einem Zeitraum von rund zehn Jahren. Die 1930 er- und 1940 er-Jahre sind eine Zeit des Umbruchs, der Unsicherheit und des sozialen wie auch intellektuellen Abstiegs. Bodins Zeichnungen zeigen den beginnenden Zerfall und die Zerstörung dieser Epoche. Auch die beiden Tierdarstellungen Tigermutter und roter Kakadu und Wildsaufamilie (S. 34, 35 ), die beide im Kriegsjahr 1939 entstanden sind, lassen sich politisch und sozialkritisch deuten. Letztere erinnert an eine Nummer des Münchner Humoristen Weiß Ferdl, der während des Dritten Reichs eine Schweinefamilie vorstellte: «Sohn Mann, Tochter Mann, Frau Mann, Herr Mann», eine Anspielung auf den Paladin Adolf Hitlers. Als er aus dem Gefängnis zurückkam, stellte Weiß Ferdl die Familie erneut vor: «Sohn Mann, Tochter Mann, Frau Mann – und wegen dieser dicken Sau musste ich ins Gefängnis!» Wenn man bedenkt, wie stark Bodins Kunst auch an George Grosz erinnert, so darf man von der Möglichkeit solcher Anspielungen ausgehen. 1 Lebenslauf im Nachlass Robert Thomas Stoll, Basler Staatsarchiv, PA 1229a B 4 1 A bis G. 2 Nachruf, in: Basler Nachrichten, Nr. 75, Jg. 114 , 19. Februar 1958 , S. 2 . 3 Vgl. drei Briefe von Myrta Gamp, der Freundin Henri Bodins an Meret Oppenheim, datiert mit 6. Oktober 1933, 7. Mai 1936 und 14 . März 1946 (sie befinden sich in Schweizer Privatbesitz). 4 Ebd. 5 Vgl. dazu den Lebenslauf (wie Anm. 1), dort finden sich auch noch weitere Informationen.

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Valery Heussler – Mitverantwortung ist der Motor meines Werkens Andrea Silvia Végh

In dem Gemälde Selbstporträt mit Bümpf (S. 77) zeigt sich die 34 -Jährige mit schräg zur linken Schulter geneigtem Kopf, akkurat geschnittener Ponyfrisur und wachem Blick, der von oben auf die Betrachtenden fällt. Ihre Schultern sind gleich Epauletten von Schatten bedeckt. Kantig geschnitten ist das Gesicht, der Oberköper mit dem schlichten, langärmeligen lindgrünen Pullover und die breiten Hände wirken androgyn. In den Armen hält die selbstbewusste Künstlerin einen ihrer ‹Bümpfe›, ein pelziges Tier mit Kat­zenpfoten, einer Stupsnase und fuchsroter Kopfbehaarung. Sie krault den Nacken des Tieres. Bümpfe und eine Art Lemuren kommen in den 1940 er- bis 1960 er-Jahren öfter in Heusslers Malerei vor. Sie lehnte es ab, in der dumpfen Nachkriegszeit menschliche Figuren darzustellen. Bei Theodor Adorno und Heussler sind Parallelen der Betroffenheit zu sehen.1 So auch in der Brotmaschine (S. 79 ), die von einem grossen, pelzbewehrten Bümpf bedient wird und auf deren Sprossen zwei grosse Brotklumpen liegen. Am Fusse des Hügels, auf dem die Mühle steht, sind winzige Mumien angelehnt. Das Licht fällt auf die surreale Landschaft im Vordergrund. Aus fernen Zeiten blickt ein Steinwesen im Vordergrund aus dem Bild. «Aus Stein wird Brot», schrieb Valery Heussler auf das Blatt «Erste Version der Brotmaschine (im Tafelbild 1953 ), realisiert und ausgestellt i. J. 1975». (S. 78 ) «Valery Heussler wagt sich mit einer Riesenbrotmaschine von 1953 ins Gebiet des surreal-kritischen Objekts.»2 «Ein Stein konnte in die Dose auf dem Förderband gelegt werden und hochgedreht werden. Unten fiel dann ein frisches Brot aus der Schublade.»3 Die Künstlerin, die ihre Malerei mit dem Vornamen «Valery» und «Valery H.» signierte, erzählt in den durchwegs surrealen Darstellungen auf symbolische Art von ihrer Zeit. Einem Jahrhundert, in dem Frauen noch als ‹Es› bezeichnet wurden, Männer im Gegensatz dazu immer noch ‹Er› blieben, selbst wenn ihr Name wie bei Guschti oder Megge (freundschaftlich zärtlich) ein ‹e› oder ein ‹i› am Ende erhielt. Auch im Pseudonym ‹Lulubé› beschrieb sie der Autor des Romans Das Herz des Hais als sächlich, ihr Künstlerehemann blieb als ‹Cherubim› männlich. Werke wie Der Ofenverkäufer wurden von Reisen zu den Liparischen Inseln inspiriert, sie wurden später vom damaligen Direktor des Kunstmuseums Basel angekauft. Dieser Zeit verdanken auch Werke wie Mumientransport (S. 81) ihre Anregung. Aus Ägypten sind die in Binden gewickelten Körper der Toten bekannt, die in mehrschaligen Särgen bestattet wurden. Die ­Körper der toten Potentaten waren mit Blumen und kostbarem Schmuck versehen. Bei Valery

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Valery Heussler Selbstporträt mit Bümpf 1954

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Valery Heussler Skizze zur Brotmaschine nach 1975


Valery Heussler Brotmaschine 1953

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Heussler haben wir es mit stehenden und liegenden grösseren und kleinen einbandagierten Wesen zu tun, einer wertvollen Fracht, die von zwei elegant gekleideten Männern aus dem Halbdunkel einer Schiffslucke getragen und von einem dekorierten Mann, dem Schiffsoffizier, aus einem Fenster beaufsichtigt werden. Die meisten der Gesichter dieser Einbandagierten sind gut erkennbar, ihre Augen sind geöffnet. Eine der Mumien steht auf dem Kopf, eine andere liegt bereits in der Kiste. Wer wird da transportiert? Und wohin? Vielschichtig und ungewiss ist das Geschehen. Valery Heussler war bereits seit Jahren Laternenmalerin in Basel und gehörte, wohl als erste weibliche Trommlerin, einer Clique an. 1967 be­gann sie ihre Lehre für Schmieden, Schweisstechnik und Schlosserei an der Schlosserfachschule der Allgemeinen Gewerbeschule in Basel, die sie nach gut zwei Jahren erfolgreich abschloss. Das war eine grosse Leistung, vor allem in dieser Zeit, in der Frauen noch immer benachteiligt waren und beispielsweise auch nicht wählen durften. Seit 1970 wohnte und arbeitete Valery Heussler in einem Bauernhaus in Elfingen, wo sie sich ein Atelier eingerichtet hat. Nach wie vor polarisierte sie: Die einen liebten und ­bewunderten sie, so etwa Leo E. Hollinger, Lutz Windhöfel oder Lina Furlenmeier: «Ich habe sie sehr gerne gehabt. Elle avait fait beaucoup pour les femmes.»4 Andere, vor allem lokale Künstler, fürchteten ihre Konkurrenz. Als Eisenplastikerin schuf sie gesellschaftskritische Arbeiten, die sie in Serie oder als Installation produzierte und ausstellte, so die Uniforme Hörerschaft (S. 82). «Es ist wichtiger denn je, gegen den Strom zu schwimmen», war die Überzeugung der Künstlerin Valery Heussler. Ihre Plastiken zeigen genau jene Mehrheit, die dem Strom wie Lemminge folgen, Menschen, die alle das Gleiche tun, das Gleiche sehen, das Gleiche hören. Valery Heussler hat dem Menschen in seinem alltäglichen Trott und in der Eile und Hektik seiner Arbeitswelt einen Spiegel entgegengehalten. Sie zeigt und kritisiert Geschäftsleute ihrer Zeit in ihren typischen Charakteristika. Dabei hat sie auch in ihrer Gesellschafts- und Zeitkritik stets betont, dass in erster Linie die Beherrschung des Metiers wichtig sei und die intensive Beschäftigung mit der Kunst. In kleinen Plastiken aus Bronze und Ton macht sie ‹Gleichgeschaltete› zum Thema, Menschen, die nur Empfänger sind und von sich selbst nichts hergeben, eine passive Hörerschaft ohne Mund. Ausser Ohren und Augen, materialisiert durch Rohre und Löcher, brauchen sie nichts. Andere Werke sind miteinander zusammengeschlossen und heissen zum Beispiel Die Blockierten oder Uniforme Hörerschaften – am Fliessband. Unheimlich, ja bedrohlich schreiten wiederum andere Figuren daher, so wie in Salesman. Heusslers Augen- und Ohrenmenschen bevölkern gleich Mahnmalen die Natur. Mit einem, zwei und drei Augenpaaren stieren sie vor sich hin, mal hochbeinig, dann wieder klobig und von Rohren, die Ähnlichkeit mit Waffen haben, durchbohrt.

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Valery Heussler Mumientransport 1952

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Valery Heussler Hindurchgehen 1991. Augenturm 1980 er-Jahre. 82

Uniforme Hรถrerschaft 1980 /1990. Durchschaubar 1980 er-Jahre, Detail


HINDURCHGEHEN hiess die Ausstellung in der Shedhalle im Eisenwerk Frauen-

feld, dort streben normierte Salesmen mit langen Röhren-Augen aus Stahl, Schaumstoff und Textil gnadenlos unter eisernen T-Trägern von einer Seite der Halle zur anderen (S. 82). Sie bedrängen den Betrachter bereits in der Projektskizze zur Gesamtinstallation, in der Realisation wirken sie dann tatsächlich zum Davonlaufen beängstigend, wäre da nicht die «vielförmige fünfköpfige Gruppe aus Stuccoblech, Schaumstoff und Holz, die auf seltsam irreale Art versucht, die Strasse der insgesamt dreizehn ‹Salesmen› mit ihrer inneren Energie zu unterwandern.»5 Man muss kämpfen, auch und vor allem in der Kunst: Das war eine Devise der Künstlerin. «Ein wenig Hoffnung» empfinde man bei ihren plastischen Arbeiten, so Lutz Windhöfel; er sieht darin einen «leise(n), wenn auch skeptische(n) Optimismus»6 . Doch bei allem Kämpfen um die Ausbildung, die Existenz, die Anerkennung als Künstlerin, Valery Heussler behielt stets ihren Humor. 1 Im Jahr 1949 schrieb der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno: «Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch». Diese Aussage wurde vielfach so interpretiert, dass man nach dem Holocaust kein Gedicht mehr schreiben könne. Valery Heussler verzichtete darauf, menschliche Figuren zu malen. 2 hjk: 46 Frauen in der Kunsthalle. Zwischen Persönlichkeit und Verein. In: Basler Nachrichten, 5. November 1975. 3 Herrn Leo E. Hollinger danke ich herzlich für die Erklärung der Funktionsweise der Installation. 4 Die Künstlerin Lina Furlenmeier hat mit Valery Heussler im Schwarzen Kloster in Freiburg i. Brsg. 1975 und 1979 ausgestellt. Vielen Dank für das informative Telefongespräch mit ihr vom 29.10. 2015 . 5 Anneliese Zwez: Valery Heussler «HINDURCHGEHEN». Katalog zur Ausstellung im Shed Eisenwerk, Frauenfeld 1991, S. 17. 6 Lutz Windhöfel: Das Individuum in der Sackgasse. Zum Menschenbild bei Valery Heussler. In: Valery Heussler Werke 1995 . Katalog zur Ausstellung in der Galerie Margrit Gass, Basel 1995, o. S.

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