Sproochschatz!

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Michael Luisier Nicolas d’Aujourd’hui Es ist Mittwoch. Wie immer an einem Mittwochnachmittag spazieren Lea und Grossvater Edgar durch Basel. Sie lieben ihre Stadt und entdecken neue Sachen. Heute treffen sie Rico, den Papagei, und zwölf andere Tiere, die ihnen ihre Geschichte erzählen und ein neues Lied mit auf den Weg geben. Werden Lea und Grossvater Edgar auch den kleinen Drachen finden, der sich unter der Stadt versteckt hat? Wird Leas Lied ihn hervorlocken? Im Buch könnt ihr sehen und lesen, was passiert. Und die Lieder auf der CD sind zum Mitsingen.

Michael Luisier Nicolas d’Aujourd’hui

www.merianverlag.ch

CHRISTOPH MERIAN VERLAG


Impressum Diese Publikation wurde ermöglicht durch Beiträge der Christoph Merian Stiftung, der Botnar Foundation, E. E. Zunft zu Rebleuten, Georges Lichtenberg-Stiftung, Sulger-Stiftung sowie SwisslosFonds Basel-Stadt.

aus der Georges Lichtenberg-Stiftung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Christoph Merian Verlag Alle Rechte vorbehalten; kein Teil dieses Werkes darf in irgendeiner Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Autor: Michael Luisier, Basel Lektorat: Rosmarie Anzenberger, Basel Gestaltung: Nicolas d'Aujourd'hui, Basel Druck: Eberl Print, Immenstadt Bindung: Conzella Verlagsbuchbinderei, Aschheim-Dornach Presswerk CD: Sonopress, Gütersloh Schriften: Asap Regular, Medium, Bold Italic Papier: Munken Pure gelblichweiss 150 g/m2, Bilderdruck h'frei weiss halbmatt gestr 135 g/m2 ISBN 978-3-85616-896-4 www.merianverlag.ch


«Die wahre Heimat ist eigentlich die Sprache» (Wilhelm von Humboldt)

Vorwort Dialekt ist ein einzigartiger Schatz, ein ‹Sproochschatz›. Wenn es um Identität geht, steht in fast allen Kulturen Dialekt an erster Stelle. Gleichzeitig wird Dialekt zunehmend von Globalisierung, Medieneinflüssen, der Dominanz einer Hochsprache, der Vermischung mit anderen Dialekten bedrängt. Mit dem Projekt ‹Sproochschatz› unterstützt die Basler IG Dialekt Eltern und Grosseltern, Tanten, Onkel und Lehrpersonal, bei Kindern die Freude an der Sprache und vor allem am Dialekt zu wecken und zu fördern. Angefangen hat die spielerische Entdeckungsreise mit der Idee der Basler IG Dialekt, ein Buch als Lehrmittel schreiben zu lassen. Ein Gespräch mit der Christoph Merian Stiftung führte uns zu Michael Luisier, der dann mit unendlicher Fantasie und grossem Gespür für Kinder den Bogen ganz weit zum ‹Sproochschatz› geöffnet hat. Seine Geschichten von Lea, Edgar und Rico mit den neuen, von Felix Müller vertonten Liedern, die auf der beiliegenden CD enthalten sind, lassen die Fantasie der Kinder in alle Richtungen sprudeln. Und wer mag, kann im Buchhandel nach dem Papagei Rico fragen und dann Szenen aus dem Buch nachspielen. Nicolas d’Aujourd’hui hat diese Geschichten nicht nur in fröhliche Bilder gefasst, er hat auch eine hölzerne Schatzkiste mit prächtigen Handpuppen, Holztieren und einem Kartenspiel zu einem ganzen Spielzimmer ergänzt, das im Spielzeughandel angeboten wird und in seiner Art wohl einmalig ist. Unseren Dank verdienen in erster Linie die beiden Autoren, deren Ideen, Texte, Bilder und Figuren in enger Zusammenarbeit mit dem Christoph Merian Verlag und einer ganzen Reihe von Produzenten Gestalt angenommen haben. Und dann dürfen wir für die finanzielle Unterstützung, die wir äusserst grosszügig und spontan erfahren haben, ganz herzlich danken: der Bürgergemeinde Basel mit Beiträgen der Christoph Merian Stiftung und der Georges Lichtenberg-Stiftung, der Fondation Botnar, der Sulger-Stiftung, E.E. Zunft zu Rebleuten und dem Swisslos-Fonds Basel-Stadt. Für die Basler IG Dialekt Felix Rudolf von Rohr, Co-Präsident


e bappegai wo fliege ka E Bappegai wo fliege ka Dä fliegt vo Südamerika Uff Basel übers Meer Und rieft: «Y freu my seer Dört haigs e wunderschööni Sprooch Die schwätz y jetz e bitzli nooch Denn kan y aini mee Dasch easy, wirsch es gsee!» Är landet uf em Roothuusdach Doch s Roothuusdach isch zweenig flach Är rutscht über e Rand Jetz hänggt er an dr Wand Dört hört er, was er nit verstoot Är hört dört, was im Roothuus goot Und rieft verstuunt: «Jä, nai! Das isch jo wie dehai! Do hets jo ganz vyyl gscheiti Lüt, Wo reede, doch sy dängge nüt, Grad wie n e Bappegai Y gang glaub wiider hai!» Doch wel er sälber nit verstoot Was är so sait vo frie bis spoot Isch är no immer doo Und das blybt au esoo Und Basel het, s isch allerhand E Voogel an dr Roothuuswand Wo nie me haim will goo Und jetz waisch au ... worum



Das ist Lea.

Lea ist fünf Jahre alt und geht in den Kindergarten. Lea geht gerne in den Kindergarten. Denn dort trifft sie andere Kinder, lernt jeden Tag etwas dazu und hört immer neue Geschichten. Lea liebt Geschichten. Überhaupt liebt sie alles, was mit Sprache zu tun hat. Verslein zum Beispiel. Die macht sie sogar selber. Oder Lieder. Märchen. Und manchmal freut sie sich einfach nur über ein lustiges Wort. Wie Gurkensalat zum Beispiel. Oder Schnäggehüüsli.


Ja, Lea ist ein lustiges Kind. Und ein fröhliches. Und manchmal auch ein bisschen ein freches. Wie kürzlich, als sie ein Verslein über ihre Kindergartenlehrerin gemacht hat. Frau Haubensack, heisst die Kindergartenlehrerin. Und das hat Lea auf die Idee mit dem Verslein gebracht:

Frau Huubesagg, Frau Huubesagg Jetz mach nid so vyyl Schaabernagg Sunscht fliegt dr no n e Schruuben ab Frau Huubesagg, Frau Huubesagg

Die Kinder im Kindergarten haben schön gelacht, als Lea das Verslein aufgesagt hat. Und auch Frau Haubensack musste lachen. Das hat Lea ganz genau gesehen. Auch wenn Frau Haubensack dann doch ein bisschen beleidigt war, weil Lea ein Verslein über sie gemacht hat. Ja. Lea ist das, was man ein aufgewecktes Kind nennt. Wobei aufgeweckt natürlich das falsche Wort ist. Denn welches Kind ist schon nicht aufgeweckt! Nachmittags um zwei.


Heute ist Mittwoch. Mittwochnachmittag, um genau zu sein. Wie immer am Mittwochnachmittag ist Lea bei ihrem Grossvater. Grossvater Edgar heisst er. Man sieht ihn jetzt noch nicht, denn er ist unten in der Werkstatt am Basteln. Lea nicht. Lea ist lieber oben in der Wohnung. Denn dort gibt es einen grossen alten Schrank, in dem Grossvater Edgar alles aufbewahrt, womit man sich verkleiden kann: Hüte, Brillen, Schals, Mäntel, Jacken, Hosen, Schuhe, Taschen, Tücher, Hosenträger, Handschuhe, Perücken und alle Kronen von allen Dreikönigskuchen, die Grossvater Edgar je gegessen hat.


Lea liebt diesen Schrank. Sie kann sich stundenlang mit den Dingen aus dem Schrank beschäftigen. Dann verkleidet sie sich als Hexe, als Feuerwehrfrau,

als Zauberin,

als Zirkusdirektorin,

als Skirennfahrerin

oder als Königin.

Als Königin mit ganz vielen Kronen natürlich. Und das Schöne daran ist, dass ihr dann immer ganz viele Geschichten in den Sinn kommen. Geschichten, die sie als das erlebt, als das sie sich gerade verkleidet hat. Fantasie nennt man das. Lea hat ganz viel davon. Wie alle Kinder ganz viel davon haben. Dann mag Lea nicht mehr spielen. Sie hat ja auch schon alles gespielt, was ihr in den Sinn gekommen ist. Jetzt weiss sie nichts mehr. Also geht sie hinunter in die Werkstatt. Mal schauen, was Grossvater Edgar so macht.


Erzählst du mir eine Geschichte, fragt Lea, nachdem sie oben auf der Schatzkiste angekommen ist. Natürlich, sagt Grossvater Edgar, und das ist auch wieder typisch für ihn. Denn wenn er etwas noch besser kann als Dinge zusammenbauen, dann ist es Geschichten erzählen. Und so erzählt Grossvater Edgar die Geschichte von den Rittern, den Armagnaken, die eines Tages nach Basel gekommen sind, weil sie das ganze Land erobern wollten. Die Leute im ganzen Land wollten aber nicht erobert werden, und schon gab es eine wüste Schlacht. Unten bei St. Jakob. Das ist dort, wo heute das Fussballstadion steht. Nicht diese Geschichte, sagt Lea. Die kenne ich schon. Ach so, sagt Grossvater Edgar. Na gut, dann erzähle ich dir eine andere Geschichte. Und so erzählt Grossvater Edgar die Geschichte von dem kleinen Kaiser mit dem lustigen Hut, der eines Tages nach Basel gekommen ist, weil es gerade auf seinem Weg lag. Es war schon spät, und der kleine Kaiser war müde. Also ist er ins Hotel gegangen und hat tief und fest geschlafen. Am anderen Morgen ist der kleine Kaiser aufgestanden und in den Krieg gezogen. Den Krieg hat er verloren. Das Hotel aber, in dem er übernachtet hat, steht immer noch. Es ist unten am Rhein. Gleich bei der Mittleren Brücke. Die auch nicht, sagt Lea. Die kenne ich auch schon.


Wirklich, sagt Grossvater Edgar und staunt. Wer dir nur immer diese Geschichten erzählt! Na gut, sagt er schliesslich, dann erzähle ich dir eine dritte Geschichte. Und so erzählt Grossvater Edgar die Geschichte von den beiden Räubern, die eines Tages nach Basel gekommen sind, weil sie hier eine Bank ausrauben wollten. Da ist die Polizei aber richtig wütend geworden. Sie hat die Räuber verfolgt, sodass diese sich in einem Park verstecken mussten. Die beiden Räuber sind schon lange weg. Den Park aber, in dem sie sich verstecken mussten, den gibt es immer noch. Es ist genau der Park, in dem im Herbst immer das Seifenkistenrennen stattfindet. Die auch nicht, sagt Lea. Die kenne ich auch schon. Und überhaupt. Ich mag keine Geschichten, die wirklich passiert sind. Kennst du denn keine andere? Eine, die nicht wirklich passiert ist? Eine, die nicht wirklich passiert ist? Grossvater Edgar kratzt sich schon wieder am Kopf. Dann muss ich ja eine erfinden! Genau, sagt Lea. Dann musst du eine erfinden! Aber Grossvater Edgar kann sich kratzen, solange er will, es fällt ihm keine Geschichte ein.


Und so erzählt halt Lea eine Geschichte. Es ist die Geschichte von dem kleinen Drachen, der unter der Stadt lebt. Und das ist nun wieder typisch für Lea. Denn wenn sie etwas noch mehr mag als alle Geschichten und Verslein, Lieder, Märchen und lustigen Wörter zusammen, dann sind es Drachen. Drachen sind ihr Ein und Alles. Es war einmal ein kleiner Drache, sagt Lea. Der kleine Drache war nett und lieb und hatte lustige Ohren. Die Leute mochten ihn. Und so lebte er zufrieden mit den Leuten zusammen in der Stadt. Doch eines Tages fingen die Leute an, dem Drachen die Schuld zu geben, dass sie immer Streit hatten. Denn sie hatten viel Streit, die Leute. Und brauchten jemanden, der schuld daran war. Der Drache war aber nicht schuld daran. Er war ja klein und nett und lustig. Die Leute haben ihn trotzdem verjagt.


So sass der kleine Drache vor der Stadt und war traurig. Wo sollte er denn jetzt hingehen? Er wusste es nicht. Also wartete er, bis es Nacht wurde, schlich sich in die Stadt zurück und versteckte sich unter der Stadt. Unter der Stadt, fragt Grossvater Edgar. Was heisst denn das? Unter der Stadt heisst unter der Stadt, sagt Lea. In einem Brunnen oder so. Ich weiss es auch nicht mehr ganz genau. Auf alle Fälle ist der Drache immer noch dort. Und er ist traurig. Und hat auch nicht mehr viel zu essen. Das ist eine schöne Geschichte, sagt Grossvater Edgar, nachdem Lea zu Ende erzählt hat. Hast du die ganz alleine erfunden? Nicht ganz alleine, sagt Lea. Die Geschichte vom Drachen im Brunnen hat Frau Haubensack erzählt. Wie er aber dorthin gekommen ist, das habe ich erfunden. Fantastisch, sagt Grossvater Edgar beeindruckt. Dann schweigen sie einen Moment. Grossvater Edgar, weil er über Leas Geschichte staunt. Und Lea, weil sie an den kleinen Drachen denkt. Wie gerne würde sie mal einem kleinen Drachen begegnen!


So, sagt Grossvater Edgar schliesslich. Jetzt gehen wir auf einen schönen Spaziergang durch eine schöne Stadt. Und das ist nun wieder typisch für Grossvater Edgar. Denn immer, wenn Lea bei ihm ist, sagt er, jetzt gehen wir auf einen schönen Spaziergang durch eine schöne Stadt. Und das tun sie dann auch immer. Und jedes Mal entdecken sie neue Dinge unterwegs. Vielleicht entdecken wir ja diesmal den kleinen Drachen, sagt Lea und lacht. O ja, sagt Grossvater Edgar und lacht auch. Das wäre eine Geschichte!


Dann gehen sie in die Stadt. Und sind gespannt, was sie heute alles entdecken. Es gibt ein Lied darüber. «Basel isch e schööni Stadt» heisst es. Lea und Grossvater Edgar singen es auf ihrem Weg in die Stadt.


Basel isch e schööni Stadt Basel isch e schööni Stadt mit vyyle schöönen Egge Do kasch vyyl schööni Sache gsee, wo sich dien doo verstegge Zwai Ritter an dr Münschtermuur, dr aint ersticht e Drache Dr ander schnyydt dr Mantel ab und andri schööni Sache Basel isch e schööni Stadt mit vyyle schöönen Egge Do kasch vyyl schööni Sache gsee, wo sich dien doo verstegge E Köönig, wo duet d Auge rolle, streggt dr d Zungen uuse E zwaite Köönig oobedraa, es duet aim scho fascht gruuse Basel isch e schööni Stadt mit vyyle schöönen Egge Do kasch vyyl schööni Sache gsee, wo sich dien doo verstegge E Gitter hets am Spaaledoor, dört muess y undeduure Y ha n e bitzli Angscht drvoor und lauf halt nääbeduure Basel isch e schööni Stadt mit vyyle schöönen Egge Do kasch vyyl schööni Sache gsee, wo sich dien doo verstegge Laufsch bim Loonhoof d Stäägen aabe, gseesch e schwarzes Kätzli Y hoff, es isch au morn no doo, das Kätzli isch my Schätzli Basel isch e schööni Stadt mit vyyle schöönen Egge Do kasch vyyl schööni Sache gsee, wo sich dien doo verstegge E Naashorn stoot am Heubärg und es duet e bitzli grunze Do hämmer aber Glügg gha, well es hätt au könne … Basel isch e schööni Stadt mit vyyle schöönen Egge Do kasch vyyl schööni Sache gsee, wo sich dien doo verstegge



Auf dem Marktplatz treffen sie die Eule. Die Eule wohnt auf einem Türmchen am Haus genau gegenüber vom Rathaus. Dort lebt sie zusammen mit dem Raben und dem Hund. Als sie Lea und Grossvater Edgar über den Marktplatz kommen sieht, breitet sie die Flügel aus und fliegt hinunter. Wie gross sie auf einmal ist, denkt Lea, als die Eule vor ihr steht. Fast so gross wie ich. Erzählst du mir deine Geschichte, fragt Lea. Gerne, sagt die Eule. Es ist aber eine lange Geschichte. Das macht nichts, sagt Lea und lacht. Ich mag lange Geschichten. Und Grossvater Edgar mag sie auch. Dann erzählt die Eule ihre Geschichte.



d eule Y bin en alti Eule Und sitz über em Määrt Y lueg dr ganz Daag aabe Und y dängg, das het kai Wäärt Was soll y uff däm Dürmli Ellai, Joor yy Joor uus Y hätt so gäärn e Fründ und hätt So gäärn e fründligs Huus

Doch amme schööne Daag sinn Zwai Dierli zue mir koo Die sinn zu mir uff s Dürmli gsässe Sythäär sinn sy doo E Raab und au e Hündli Jetz bin y nümm ellai Und syt däm schööne Daag isch au Das Dürmli my Dehai Y bin en alti Eule Und sitz über em Määrt Uff aimool het my Lääbe E ganz e neue Wäärt Mit Fründe uff em Dürmli Mit Fründe zämme koo Do bruuch y au kai fründligs Huus Do länggt das Dürmli doo



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