Beitr채ge zur Basler Geschichte Martin Weber Eric Jakob / Regio Basiliensis (Hg.)
Die Regio-Idee Grenz체berschreitende Zusammenarbeit in der Region Basel Christoph Merian Verlag
Die Regio-Idee
Beitr채ge zur Basler Geschichte
Martin Weber Eric Jakob/Regio Basiliensis (Hg.)
Die Regio-Idee Grenz端berschreitende Zusammenarbeit in der Region Basel
Christoph Merian Verlag
1. Auflage, 2013 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-85616-585-7
Auch als E-Book erhältlich : eISBN 978-3-85616-586-4
© 2013 Christoph Merian Verlag Alle Rechte vorbehalten; kein Teil dieses Werks darf in irgendeiner Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Lektorat: Ulrich Hechtfischer, Freiburg i.Br. Gestaltung und Karten: Atelier Mühlberg, Basel Lithos: LAC AG, Basel Druck und Bindung: Kösel GmbH & Co.KG, Altusried-Krugzell Papier: Z-Offset W 100 g/m2 www.merianverlag.ch
Inhalt
Vorwort des Herausgebers 7 Geleitwort 9 Einleitung 13 Die Pionierphase der 1960er-Jahre Das Europa der Regionen Von der ‹ Filzstiftplanung › zur trinationalen Regio-S-Bahn Olympische Spiele am Oberrhein ?
17 29 37 39
Die Institutionalisierung ab 1970 « Weitermachen ! » – Die Regio in den Medien Die Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen ( AGEG )
43 54 63
Die offizielle Oberrhein-Kooperation ab 1975
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Endlich zu dritt : Die Zusammenarbeit der drei Regio-Gesellschaften Das Babuschka-Prinzip Die Regio und Europa
87 94 96
Dienstleister für eine Idee : Von den Leitgedanken 1991 zu Regio 99
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Von der Oberrhein-Kooperation zur Metropolregion
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Die Regio-Idee
Die Wiederentdeckung der Agglomeration in den 1990er-Jahren Die Regio in der Tasche : Regio-Ortspläne ‹ Gemeinsam über Grenzen wachsen › – die Internationale Bauausstellung ‹ IBA Basel 2020 › ‹ slowUp Basel-Dreiland › – ‹ gemeinsam en route : ensemble unterwegs ›
133 140
Die Zusammenarbeit im Metropolitanraum Basel
149
Ausblick
165
145 147
Anhang 169 Anmerkungen 170 Literatur- und Quellenverzeichnis 185 Verzeichnis der Abkürzungen 191 Bildnachweis 194 Dank 195 Der Autor 196 Karten 197
Vorwort des Herausgebers
Das von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden gemeinsam erarbeitete und 2012 veröffentlichte ‹ Raumkonzept Schweiz › sieht drei Metropolitanregionen vor : Zürich, Basel und Genf-Lausanne. In diesen drei urbanen Räumen wird der Grossteil der wirtschaftlichen Leistung der Schweiz erbracht. Um das Potenzial dieser funktionalen Räume noch besser nutzen zu können, plädiert das Raumkonzept Schweiz für mehr Zusammenarbeit über Gemeinde-, Kantons- und Landesgrenzen hinaus. Voilà ! Vor bald fünfzig Jahren, im Jahr 1963, wurde die Regio Basiliensis mit dem Ziel gegründet, durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit die Region Basel besser entwickeln und gegenüber anderen Regionen in der Schweiz und international positionieren zu können. Was damals häufig noch als Wolkenschieberei exotischer Regio-Enthusiasten abgetan wurde, ist heute eine Selbstverständlichkeit geworden und damit Teil des politischen Programms in allen drei Teilregionen : in der Nordwestschweiz, in Baden-Württemberg und im Elsass. Dabei hat die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Raum Basel verschiedene Phasen durchlaufen. Nach einer Pionierphase in den 1960er-Jahren setzte ab den 1970er-Jahren eine Phase der Institutionalisierung und Verstetigung der Oberrheinkooperation ein. Seit den 1990er-Jahren befindet sich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in einer Umsetzungsphase, angetrieben vor allem durch die europäischen INTERREG-Förderprogramme zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit – heute ‹ Europäische Territoriale Zusammen arbeit › genannt – , an welchen sich von Anfang an auch die Schweizer Kantone und etwas später die Schweizerische Eidgenossenschaft beteiligt haben. Die vorliegende Publikation versucht, die Entstehung und Entwicklung der Regio-Idee in ihren wichtigsten Schritten historisch darzustellen. Dabei legt der Autor Martin Weber ein besonderes Gewicht auf die erste Hälfte der fünfzig 7
Die Regio-Idee
jährigen Geschichte der Regio Basiliensis. Unter Beizug und Auswertung zahlreicher Quellen und mittels vieler Originalzitate massgeblicher Regio-Exponenten wird nicht nur die Geschichte der Organisation Regio Basiliensis, sondern – in einem weiteren Sinn – die Entwicklung der für die Region Basel kennzeichnenden, ja konstituierenden grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit den Nachbarn in Deutschland und Frankreich nachgezeichnet. Im Namen der Regio Basiliensis danke ich herzlich dem Autor Martin Weber für die umsichtige und präzise Darstellung der Entstehung und Entfaltung der Regio-Idee ! Ich danke allen Gesprächspartnern für ihre wertvollen Inputs. Ein herzliches Dankeschön gilt auch den Partnern, die durch finanzielle Beiträge diese Publikation möglich gemacht haben : den Kantonen Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Aargau, der Christoph Merian Stiftung, der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft Basel sowie den Kollektivmitgliedern und Sponsoren Endress + Hauser, Novartis, Bâloise Groupe und UBS. Eric Jakob Geschäftsführer Regio Basiliensis 2003 – 2012
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Geleitwort Zum 50. Jubiläum der Vereinsgründung der Regio Basiliensis
Jedes Jahr im September steht in unserer Region für einen Tag der Langsam verkehr im Zentrum der Aufmerksamkeit. Am ‹ slowUp Basel-Dreiland › bewegen sich jeweils mehrere Zehntausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit dem Velo, den Inlineskates oder zu Fuss auf einem Rundkurs in unserer trinationalen Region. Dabei können die Landesgrenzen ganz einfach und selbstverständlich überquert werden. Waren Sie auch schon dabei ? Wie haben Sie sich beim gemein samen Passieren der Grenzen gefühlt ? Ein zentraler Akteur für die Entstehung des ‹ slowUp Basel-Dreiland › vor sechs Jahren war die Regio Basiliensis. Wie kein anderer Event macht der ‹ slowUp Basel-Dreiland › die trinationale Zusammen arbeit erlebbar. Damit ist er ein wunderbares Beispiel für das unermüdliche Engagement, das die Regio Basiliensis seit fünfzig Jahren an den Tag legt. Wenn heute im allgemeinen Sprachgebrauch in der Region nicht zwischen der Regio Basiliensis als Bezeichnung für den trinationalen Raum Basel und der Regio Basiliensis als Verein unterschieden wird, dann liegt ein Grund dafür sicherlich darin, dass sich der Verein bei der Namensfindung von einer bereits verwendeten Bezeichnung der trinationalen Region inspirieren liess. Es ist aber auch ein unverkennbares Zeichen dafür, dass sich der Verein zu Recht als zentraler Akteur in diesem Bereich hervorgetan hat. Die grossartige Arbeit, welche die Regio Basiliensis in den vergangenen fünf Jahrzehnten geleistet hat, zeigt sich dabei gleichermassen in der Bedeutung, welche die trinationale Zusammenarbeit heute in unseren Kantonen einnimmt, wie auch in den zahlreichen trinational umgesetzten Projekten. Bei der Vereinsgründung 1963 war die Lage noch eine ganz andere : Nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Zusammenarbeit in diesem Raum am Boden, und die Nachbarn begegneten einander mit Misstrauen. Das Jahr 1963 markierte in mehrfacher Hinsicht einen Neuanfang und Wendepunkt. Neben der Vereins 9
Die Regio-Idee
gründung der Regio Basiliensis setzten unsere nördlichen Nachbarn mit dem Elysée-Vertrag zur deutsch-französischen Freundschaft ebenfalls ein deutliches Zeichen. Von da an begegneten sich die Nachbarn in der Region Basel und am Oberrhein wieder offener und arbeiteten gemeinsam am Abbau von alltäglichen Hindernissen im Zusammenhang mit den Landesgrenzen. Dieser Moment markierte die Geburtsstunde der heutigen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Es freut uns daher ganz besonders, heute auf das fünfzigjährige Bestehen dieses Vereins zurückblicken zu dürfen, der wie kein anderer für die Zusammenarbeit in unserer Region steht. Der Verein, dem sich Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft sowie Kollektivmitglieder aus diesen Bereichen angeschlossen hatten, war schon sehr bald mehr als ‹ nur › ein Verein. Spätestens mit den Koordinationsaufgaben, welche die beiden Basler Kantone der Regio Basiliensis 1970 übertrugen, manifestierte sich ihr besonderer Charakter. Seither nimmt der privatrechtliche Verein auch staatliche Aufgaben wahr. Ein spannendes Konstrukt, welches die grenzüber schreitende Zusammenarbeit sehr bereicherte und vorantrieb. Heute lassen sich mit den Kantonen Aargau, Jura und Solothurn auch die übrigen Nordwestschweizer Kantone gemeinsam durch die Interkantonale Koordinationsstelle der Regio Basiliensis ( IKRB ) vertreten. Für die Nordwestschweiz ist die Regio Basiliensis damit zum unverzichtbaren Partner geworden. In den letzten fünfzig Jahren hat sich im Bereich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zweifellos viel getan, auch bei der Förderung von Regionen auf europäischer Ebene. Als eine der ältesten Förderorganisationen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Europa spielt die Regio Basiliensis auch in diesem Kontext eine wichtige Rolle. Mit der Betreuung der INTERREG-Programme für die Nordwestschweizer Kantone kommt der IKRB ein ebenso grosses Verdienst zu wie bei weiteren Kontakten der Kantone zu europäischen Institu tionen. Heute spielt sich die Zusammenarbeit auf mehreren Ebenen und in unterschiedlichen Konstellationen ab. Mit Blick auf das letzte dieser fünf Jahrzehnte lassen sich in diesem Zusammenhang unter anderem die Gründung des Trinatio nalen Eurodistricts Basel ( TEB ) im Jahr 2007, die Bildung der Trinationalen Metropolregion Oberrhein ( TMO ) sowie die Lancierung der Metropolitankonfe10
Geleitwort
renz Basel ( MKB ) hervorheben. Für all diese Gremien hat die Regio Basiliensis einen wichtigen Beitrag zur Bündelung der Kräfte in den entsprechenden Ko operationsräumen und bei den entsprechenden Akteuren geleistet. Mit der Regio Basiliensis steht den Nordwestschweizer Kantonen ein zuverlässiger und visionärer Partner zur Seite, dem eine zentrale Koordinationsfunktion zukommt. Das soll auch in Zukunft so bleiben ! In diesem Sinne gratulieren wir der Regio Basiliensis ganz herzlich zu ihrem runden Jubiläum. Ihr gebührt grösster Dank für ihre Arbeit in den letzten fünfzig Jahren. Wir wünschen der Regio Basiliensis alles Gute für die Zukunft und freuen uns auf die Fortführung dieser so wertvollen Partnerschaft. Guy Morin Regierungspräsident des Kantons Basel-Stadt Urs Wüthrich-Pelloli Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft
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Einleitung
Im Mai 1946 landete das erste Zivilflugzeug auf dem provisorischen Flughafen Basel-Mulhouse in Blotzheim, auf einer Piste, die innerhalb von zwei Monaten eingerichtet worden war. Drei Jahre später lag der Staatsvertrag zwischen Frank reich und der Schweiz über den Bau und Betrieb des Flughafens vor, er galt « als Paradebeispiel grenzüberschreitenden Wollens und als gelungener Testfall zwischenstaatlichen Realisierens ».1 Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit hat sich seit jenen Tagen entwickelt und intensiviert. Manch einer mag aus heutiger Sicht der Entschlossenheit und Umsetzungsgeschwindigkeit des Jahres 1946 nachtrauern. Tatsache ist, dass die Zahlen der Akteure und Projekte der grenzüberschreitenden Kooperation in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen sind, dass rechtliche und prozedurale Vorgaben komplizierter wurden und dass auch eine nur provisorische Piste heute nicht mehr innerhalb von Monaten gebaut werden könnte. Wenn die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Region Basel über Jahrzehnte an Dynamik gewonnen hat und heute zum Alltags geschäft Dutzender privater und staatlicher Einrichtungen gehört, dann ist dies das Verdienst einer Idee, die zu Beginn der 1960er-Jahre in die Welt gesetzt wurde und die wir im Originalton ihrer Urheber die ‹ Regio-Idee › nennen wollen. In eigener Definition möchte ich sie auf den kürzestmöglichen Nenner bringen : Die Region Basel ist eine grenzüberschreitende Region, und jede Zusammen arbeit und jedes Zusammenwachsen innerhalb dieser ‹ Regio › steht im Dienste der Regio-Idee und dient dem gegenseitigen Nutzen und Wohlergehen aller Teile dieser Region. Wie zu zeigen sein wird, hat sich diese Idee über die Jahre entwickelt, vor allem auch in räumlicher Hinsicht. Die ‹ Regio Basiliensis › 2 als Institution hat sich nicht nur der Propagierung des ‹ Regio-Gedankens › verschrieben, sie hat sich in ihrer Schlüsselrolle auch immer am stärksten mit den institutionellen und organisatorischen Aspekten 13
Die Regio-Idee
der Zusammenarbeit befasst. Aus zweierlei Gründen legt diese Darstellung deshalb auch immer wieder einen Akzent auf diese Aspekte : Zum einen kennzeichnen sie die Tätigkeit der Regio Basiliensis, zum anderen bilden sie ein übergeordnetes, ordnendes Dach über eine nicht zu überschauende Zahl von Projekten. Auf diese im Einzelnen eingehen zu wollen, würde den Umfang dieser Publikation sprengen. Es ist auch offensichtlich, dass nicht jede grenzüberschreitende Tätigkeit in einem Zusammenhang zur Regio Basiliensis steht. Dort, wo lokale, regionale oder nationalstaatliche Hoheit es erfordert, wurde und wird eine grosse Zahl grenzüberschreitender Aufgaben durch spezielle bilaterale und multilaterale Abkommen auf regionaler und zwischenstaatlicher Ebene geregelt : so auf den Gebieten von Kehrichtverbrennung, Verkehr, Eisenbahn, Strasse, Schifffahrt, Rhein oder im Bereich der Zusammenarbeit der Polizei-, Grenzschutz- und Zolldienste.3 Die vorliegende Darstellung versucht, auf der Grundlage einer ersten Sichtung des umfangreichen Archivs der Regio Basiliensis einen Einblick in die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte dieser Pionierorganisation zu geben und einen Beitrag zum Verständnis der vielfältigen Entwicklungsstränge der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu leisten. Dabei kommen aus Platzgründen viele Persönlichkeiten zu kurz, solche aus der Schweiz, erst recht aber aus Deutschland oder Frankreich, welche die Regio-Idee aufgenommen, weiterentwickelt und vorangetrieben haben. Ebenso ist die Auswahl an Projekten und Themen, die berücksichtigt werden, notgedrungen eingeschränkt und exemplarisch. Sie soll in keiner Weise bedeuten, dass nicht auch kleinere Projekte zu ihrer Zeit oder darüber hinaus ihren Wert haben – ganz im Sinne der Regio-Idee. Mein Dank richtet sich an die Regio Basiliensis als Herausgeberin dieses Buches, welche die Arbeit im Archiv der Regio Basiliensis und die Publikation ermöglichte, sowie namentlich an Peter Gloor, Christian J. Haefliger und Eric Jakob, die mich mit wertvollen Informationen und Hinweisen unterstützten. Dem Christoph Merian Verlag, dem Grafik Atelier Mühlberg, dem Lektor Ulrich Hechtfischer und Ueli Meyer vom Bildarchiv der Regio Basiliensis danke ich für die ausgezeichnete Zusammenarbeit. Ein Hinweis zur Nutzung dieses Buches : Auf der Innenseite der vorderen Umschlagklappe erleichtert eine grafische Übersicht das Nachverfolgen der 14
Einleitung
wichtigsten Entwicklungen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Bedeutende Institutionen und Ereignisse sind mit Seitenangaben versehen, die auf die entsprechenden ausführlichen Abschnitte im Text verweisen. Auf den letzten Seiten des Buches bieten kartografische Darstellungen einen Überblick über den Metropolitanraum Basel und den Oberrheinraum mit ihren jeweiligen Kooperationsräumen. Martin Weber
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Die Pionierphase der 1960er-Jahre
Die Regio-Idee
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Raum Basel, am Dreiländereck zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz, nahm zu Beginn der 1960erJahre einen raschen Aufschwung, sodass die ‹ Regio Basiliensis › schon bald auf schweizerischer und europäischer Ebene als Pioniermodell galt. Wie war es dazu gekommen ? « Die ersten spezifischen Regio-Gedanken sind im Jahre 1960 entwickelt und geäussert worden », notiert Hans J. Briner, der 1963 erster Geschäftsführer der ‹ Arbeitsgruppe Regio Basiliensis › wurde, im Rückblick.4 Und aus zwanzig Jahren Distanz schreibt er : « 1963 hätten wir kaum gedacht, dass die ‹ Region › als Begriff und als wesentlicher Bestandteil einer wirtschaftlichen und auch kulturellen Entwicklungsstrategie bereits jene Bedeutung habe, die ihr heute zukommt. Wir galten damals vor 20 Jahren grossenteils als Utopisten – wobei uns die ‹ Karikatur › der immer einen halben Meter über dem Boden Schwebenden angehängt wurde. » 5 Hans J. Briner wurde nach seiner Rückkehr aus Korea, wo er von 1953 bis 1956 Mitglied der Waffenstillstandskommission gewesen war, Sekretär der Latein amerikanischen Handelskammer in der Schweiz, welche von Samuel Schweizer vom Schweizerischen Bankverein präsidiert wurde.6 Im September 1961 stellte
1–6 (von links nach rechts) Hans J. Briner, Samuel Schweizer, Andreas L. Speiser,
Peter Gloor, Gaudenz Staehelin und Max Staehelin. 18
Die Pionierphase der 1960er-Jahre
er in einem Gastbeitrag für die ‹ Basler Nachrichten › die Frage « Wird Basel eine Provinzstadt ? » – und löste damit eine lebhafte Diskussion aus. Vor der Publikation des Beitrags hatte Briner das Gespräch mit seinem Parteifreund Andreas Speiser sowie mit Peter Gloor gesucht, dem späteren Präsidenten der Regio Basiliensis, den er aus Schul- und Militärdienstzeiten kannte. Speiser war ein enger Mitarbeiter von Samuel Schweizer, dem Präsidenten des Schweizerischen Bankvereins. Gloor war Wirtschaftsanwalt und nebenbei in der schweizerischen Entwicklungshilfe tätig. Die zentrale Idee des Artikels – der Kern der Regio-Idee – lag darin, « eine Art ‹ Development Board › » zu schaffen. « Ein solches Entwicklungsgremium ( eine mässige Übersetzung des englischen Begriffes ) hätte seine Tätigkeit dort zu beginnen, wo heute die bestehenden Fach- und Behördengremien leider infolge Zeitmangel mit ihrer Arbeit aufhören müssen – nämlich bei der langfris tigen und vor allem weitsichtigen Zukunftsplanung, und zwar nicht nur für die eigentliche Stadt, sondern für das ganze Gebiet von Basel, das vom Jura über den Schwarzwald, zu den Vogesen und bis weit in die oberrheinische Tiefebene reicht. » 7 Andreas Speiser leuchtete die Idee eines ‹ Development Board › sehr ein ; für ihn fasste der Begriff ‹ Interstate › – die Zusammenarbeit der US-Bundesstaaten untereinander, wie er sie in seiner New Yorker Zeit kennengelernt hatte – die Notwendigkeit und den Nutzen grenzüberschreitender Zusammenarbeit am prägnantesten zusammen.8 Zwanzig Jahre nach Gründung der Regio Basiliensis legte das Protokoll der 3. Schauenburg-Tagung ( einer Klausurtagung der Arbeitsgruppe Regio Basiliensis ) eine eigentliche Definition der Regio-Idee vor : « Interstate-Optik : Alles, was primär grenzüberschreitend, im Besonderen landesgrenzüberschreitend ist, ist Aufgabe der Regio Basiliensis. Kantonsgrenzenüberschreitende Aspekte sind ebenfalls Interstate, wenn sie dazu dienen, die Einheit des CH-Regio-Teiles im Rahmen regionaler Problemstellungen abzudecken. Nur ausgesprochen baslerische Probleme sind keine Interstate-Operationen ( Briner Einschränkung : Die motorischen Funktionen Basels mit ihren nach innen bezogenen, zur Zeit restriktiven Konsequenzen, haben klar Auswirkungen nach aussen, und zwar auf die gesamte Region inkl. die D+F-Teile des Agglomerationsraumes ). Regio-Programm : Die Regio kann sich nicht nach einem fixierten Programm ausrichten, 19
Die Regio-Idee
da ihr oberstes Prinzip die Flexibilität sein muss. Regio-Einsatz : Im Prinzip nur dort, wo keine anderen Organisationen, Stellen, Behörden oder Vereinigungen die betreffenden regionalen und Interstate-Probleme behandeln. Es soll mit Regio-Operationen keine Konkurrenzierung anderer Organisationen erfolgen. … Arbeitsperimeter der Regio ( Basiliensis ) : Ist klar begrenzt durch Jura, Vogesen und Schwarzwald mit den Riegeln bei Belfort, Schlettstadt und Waldshut. … Alle Probleme im Oberrheingraben, die F+D+CH betreffen, werden von der Regio behandelt. »9
7 Umlandzone Basel 1960 mit Stadtkern (über 1500 Einwohner/km2 ), nahem Umland
(631–1500 Einwohner/ km 2 ), weiterem Umland (Intensivzone) und weiterem Umland (Extensivzone). Quelle: Strukturatlas Nordwestschweiz, Oberelsass, Südschwarzwald 1967, Karte 71.03. 20
Die Pionierphase der 1960er-Jahre
Peter Gloor erinnert sich, wie es in kurzer Zeit gelang, Persönlichkeiten für die Idee dieses ‹ Development Board › zu gewinnen und wie Briners Gedanken positive Aufnahme fanden : « Am 29. Januar 1962 fand unter meinem Vorsitz im Zunfthaus zum Schlüssel ein Gespräch statt, an welchem 15 jüngere Vertreter aus unserem Freundes- und Bekanntenkreis teilnahmen. Die Ergebnisse wurden in einem ‹ Arbeitspapier ›10 festgehalten und mit Datum 17. September 1962/ 14. Januar 1963 unterzeichnet. Diese Sitzung war in gewissem Sinne die Initialzündung für die Gründung der Arbeitsgruppe Regio Basiliensis. Aus ihr heraus wurde die Idee entwickelt, dass ein ‹ Patronatskomitee › ( Förderungsgesellschaft ) mit einigen ‹ führenden Persönlichkeiten aus der Privatwirtschaft und dem öffentlichen Leben von Basel und Umgebung › geschaffen werden sollte. Im Anschluss an die Sitzung im Schlüssel fanden sehr viele wichtige Gespräche mit führenden Persönlichkeiten in Basel-Stadt und Baselland statt, um deren Unterstützung sicherzustellen. Dabei war mein Vater Paul Gloor eine wesentliche Hilfe. Er wurde 1958 als leitender Direktor der Bell AG pensioniert und konzentrierte sich in der Folge auf einige Verwaltungsratsmandate. So war er in den Protokollen erwähnt als ‹ Präsident des Verwaltungsrates der Buchdruckerei zum Basler Berichtshaus ›, d.h. der Basler Nachrichten. Er hatte als ehemaliger Präsident des Basler Volkswirtschaftsbundes und als Mitglied der Basler Handelskammer viele Kontakte in der Wirtschaft und Politik von Basel und Umgebung und fand in Hans Briner einen interessanten Gesprächspartner. Wie sich aus den Protokollen ergibt, erklärte sich mein Vater bereit, zusammen mit Herrn C. A. Staehelin, Direktor der J.R.Geigy AG, einem Freund von ihm, die finanziellen Mittel bei der Privatwirtschaft zu beschaffen. Da wir nebenamtlich tätig waren, nahmen wir uns nach der Sitzung im Schlüssel etwa ein Jahr Zeit, um das Terrain für die massgebende Sitzung vom 20. Februar 1963 vorzubereiten. Es schien uns entscheidend, dass nicht nur ein breiter Kreis von Persönlichkeiten an der Sitzung unter dem Vorsitz von Dr. Samuel Schweizer teilnehmen würde, sondern auch, dass die Reaktionen ausschliesslich positiv sein würden. Es hat sich gelohnt, genügend Zeit einzusetzen. Am 20.Februar 1963 fand dann die entscheidende Sitzung statt. Schon 5 Tage später, am 25.Februar 1963, wurde die ‹ Arbeitsgruppe Regio Basiliensis › gegründet. » 11
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Die Regio-Idee
Die Aktennotizen Briners aus der einjährigen Vorbereitungsphase zeugen vom umsichtigen und systematischen Vorgehen der Initianten. Schweizer konnte am 20. Februar 1963 feststellen, dass die « anfänglich mit einiger Skepsis beurteilten Gedanken und Überlegungen » sich « als genügend fundiert erwiesen, um zum mindesten eine ernsthafte Prüfung durch ein weiteres Gremium angezeigt erscheinen zu lassen. Nach Fühlungnahme mit Herrn Regierungsrat Dr. A.Schaller sind weitere Bedenken dahingefallen. » 12 Zur Vorbereitung einer « Besprechung Dr.Schweizer, Dr. Gloor, Dr. Briner mit Regierungsrat Dr. A.Schaller, vom 26. November 1962 » diente eine Notiz Briners vom 21. November 1962.13 Sie formulierte als « anzustrebendes Ziel » eine « Reorganisation des Verkehrs vereins » in ein « Touristikdepartement » und ein « Entwicklungsdepartement » sowie, sollte dieser Vorschlag scheitern, « in Zusammenhang mit der Aktion Regio Basiliensis Schaffung eines eigenen speziellen Entwicklungsgremiums ( mit Organisationsformen ) ». Nach der Besprechung notierte Briner : « Die Idee der Schaffung eines Entwicklungsgremiums für den Raum Basel ist richtig. Die Integration wird insbesondere der jungen Generation neue bedeutende Aufgaben stellen. Sie – die jüngere Generation – soll mittragen. Deshalb wird vorgeschlagen : 1. ) Schaffung eines Vereins oder Vereinigung zur Förderung der allgemeinen, wirtschaftlichen und kulturellen ( Weiter- ) Entwicklung Basels ( Vorschlag für die Namengebung : Vereinigung Regio Basiliensis resp. Actio Regio Basiliensis ). Parallele : seiner zeitiger Verein zur Förderung der Schifffahrt auf dem Oberrhein ( Regierungsrat Speiser ), aus dem eine Volksbewegung erwuchs. 2. ) In diesem Verein sollen führende Persönlichkeiten Basels der jüngern Generation den Start der Aktion Regio Basiliensis erleichtern. Sie sichern – wenn immer möglich durch individuellen Einsatz – dieser Aktion für 5 – 7 Jahre die finanziellen Mittel. »14 In diesem Schlüsselgespräch und in weiteren Besprechungen15 kristallisierte sich der Vorgehensplan bis zur Konstituierung des Vereins ‹ Arbeitsgruppe Regio Basiliensis › am 25. Februar 1963 heraus. Im Verlaufe des Jahres 1963 erfuhren die Statuten der Arbeitsgruppe noch zwei Änderungen. Der Vorschlag für den Zweckartikel 1 hatte ursprünglich gelautet : « Zweck der Arbeitsgruppe ist die Planung und Förderung der wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und geis tigen Stellung der Regio Basiliensis, die neben der Stadt Basel auch deren im 22
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Badischen, im Elsass und in der Schweiz liegenden natürlichen Raum umfasst. » Die im November 1963 erarbeitete definitive Fassung vermied die Fokussierung auf die « Stadt Basel » und deren « natürlichen Raum » : « Zweck der Arbeits gruppe ist die Planung und Förderung der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklung des als Regio bezeichneten Raumes, der das durch Jura, Schwarzwald und Vogesen begrenzte Gebiet am Rhein umfasst. »16 In der konstituierenden Sitzung der ‹ Förderungsgesellschaft › und vor der Presse begründete Gloor diese Neuformulierung : « Der Raum, in welchem gearbeitet werden soll, wird bewusst nur als ‹ Regio › und nicht als ‹ Regio Basiliensis › bezeichnet. Es soll dadurch erneut zum Ausdruck kommen, dass keine Dominierung irgendwelcher Art durch Basel angestrebt wird. »17 Der von den Initianten gewählte Begriff ‹ Regio Basiliensis › war als naturräumliche Bezeichnung für die Landschaftsregion um die Stadt Basel schon in den 1950er-Jahren verbreitet. Als solche hatte der programmatische Begriff Eingang vor allem in die Forschung am Geographischen Institut der Universität Basel unter Leitung von Hans Annaheim gefunden und der 1959 lancierten wissenschaftlichen Zeitschrift der Geographisch-Ethnologischen Gesellschaft ( GEG ) Basel, deren Redaktor Annaheim bis 1968 war, den Namen gegeben. Die Zeitschrift wurde auf Anregung des Geografen Georg Bienz gegründet, der es 1963 auch ermöglichte, dass ihr Name auf die Arbeitsgruppe übertragen wurde.18 In Artikel 2 wurde die ursprüngliche Formulierung « Die Arbeitsgruppe fasst vor allem jüngere Führungskräfte … zusammen … » ersetzt durch : « Die Arbeitsgruppe fasst vor allem initiative Kräfte aus dem privaten und öffentlichen Leben der Regio Basiliensis zusammen, die einzeln oder in Gruppen, Fragen im Rahmen der Zweckbestimmung bearbeiten. » Die Mobilisierung der Förderer Noch vor Jahresende 1963 erfolgte die Gründung einer Förderungsgesellschaft. Gloor erinnert sich : « Nachdem Dr. Samuel Schweizer uns bei der Vor bereitung der Gründung der Fördergesellschaft wesentlich unterstützt hatte, war er bereit, das Präsidium zu übernehmen. In dieser Funktion war er für uns als Mitglieder der Arbeitsgruppe eine äusserst wichtige Bezugsperson. Dies deshalb, weil er uns drei ( Briner, Speiser und mich ) periodisch nach Bedarf in 23
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seinem Büro beim Bankverein empfing und sich die Zeit nahm, uns anzuhören. Wir meldeten uns bei ihm nur, wenn wir spezielle Probleme und Fragen vorzutragen hatten. Speiser informierte Dr. Samuel Schweizer jeweils vorweg, sodass konstruktive Gespräche möglich wurden. Fand eine neue Idee bei Dr. Samuel Schweizer Zustimmung, konnten wir weitermachen mit der Sicherheit der Rückendeckung des Präsidenten. Es kam auch vor, dass er uns von etwas abriet oder doch wenigstens zur Vorsicht mahnte. So oder so waren diese Gespräche entscheidend für die Weichenstellung. Es kann nicht genug betont werden, wie wichtig Dr. Samuel Schweizer als Präsident war. »19 Der Zweckartikel 1 der ‹ Gesellschaft zur Förderung der Arbeitsgruppe Regio Basiliensis › lautete im Kern wie der der Arbeitsgruppe, vorangestellt war lediglich der Satz : « Die Gesellschaft bezweckt, insbesondere die Arbeitsgruppe Regio Basiliensis ( nachstehend Arbeitsgruppe genannt ) moralisch und finanziell zu unterstützen. »20 Die Komplementarität von Staat und Privatinitiative, die das Projekt Regio Basiliensis von Beginn an gekennzeichnet hatte, wurde so ergänzt durch diejenige von ‹ jung › ( Initiative, Arbeitseinsatz ) und ‹ alt › ( Entscheidungsträger, Finanzmittel ). Es sollte so « ein Gemeinschaftswerk aller an der Zukunft interessierten Kräfte darstellen », hatte Samuel Schweizer bereits im Februar 1963 resümiert.21 Im Dezember desselben Jahres gab er « bekannt, dass nach der Konstituierung der Gesellschaft die sukzessive Ergänzung des Vorstandes durch weitere Persönlichkeiten aus Basel-Stadt und Basel-Land, vor allem aber auch aus dem elsässischen und badischen Grenzgebiet, sowie den Kantonen Solothurn, Aargau und Bern vorgesehen » sei.22 Dieser Ansatz wurde jedoch nie umgesetzt, vor allem weil sehr kurzfristig auch im Elsass eine Arbeitsgruppe und eine Förderungsgesellschaft gegründet wurden. So blieb die Regio Basiliensis abgesehen von einzelnen Mitgliedern immer eine rein schweizerische Organisation. Die Mitgliederbasis der Arbeitsgruppe Regio Basiliensis wuchs bis Anfang 1964 auf über hundertfünfzig Personen an,23 die in unregelmässigen Abständen zu den Generalversammlungen eingeladen wurden. An der konstituierenden Sitzung der Förderungsgesellschaft am 13. Dezember 1963 nahmen 38 Personen teil, der erste Vorstand umfasste 29 Personen. Für die Alltagsarbeit entscheidend war jedoch das am 25. Februar 1963 gegründete ‹ Komitee ›, in dem 7 Vertreter der 24
Die Pionierphase der 1960er-Jahre
8 ‹Regio-Keller › im dritten Stock an der Freien Strasse 9 in Basel, Aufnahme aus dem Jahr 1995.
9 Regio-Lunch, wöchentliches Treffen der damaligen Arbeitsgruppe, zu Beginn der 1980er-Jahre.
Förderungsgesellschaft und 6 Vertreter der Arbeitsgruppe Einsitz nahmen, nämlich Präsident Peter Gloor, Andreas Speiser, Geschäftsführer Hans J.Briner sowie Alfred Bürgin, Andreas Linn und Heinrich Ott. Insbesondere das achtköpfige Bureau der Arbeitsgruppe ( es besorgte die laufenden Geschäfte und bereitete die des Komitees vor ) trat « fast wöchentlich einmal zu einem Arbeitslunch » zusammen, « trotz der allseits überhand nehmenden Arbeitsüberlastung ».24 Das ‹ Bureau der Arbeitsgruppe › wurde 1975 zur ‹ Arbeitsgruppe › und mutierte 1992 zu einer grösseren ‹ Begleitgruppe ›. Mitgliederbeiträge waren nicht vorgesehen, den Initianten ging es um das Engagement der Mitglieder. In der Vorstellung Briners sollte qualifizierten und initiativen Kräften aus Wirtschaft, öffentlicher Verwaltung und Wissenschaft « von ihren Arbeitgebern einmalig oder periodisch für die Arbeiten im Rahmen der Regio Basiliensis während einer bestimmten Zeit freigegeben werden ».25 Anträge auf finanzielle Unterstützung richteten sich von Beginn weg an die Wirtschaft und die beiden Basler Kantone : Auf fünf Jahre sollte das Jahresbudget von 100 000 Franken zu 60 % von der Wirtschaft und zu 40 % von den beiden Kantonen getragen werden.26 Briner selbst nahm die Geschäftsführung ab 1. Mai 1963 wahr. 1967 wurde aufgrund gestiegener allgemeiner Kosten eine Erhöhung 25