Scheich Ibrahim

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HISTORISCHES MUSEUM BASEL

Scheich Ibrahim Der Basler Kaufmannssohn Johann Ludwig Burckhardt (1784 –1817) und seine Reisen durch den Orient Christoph Merian Verlag



HISTORISCHES MUSEUM BASEL Gudrun Piller Sabine Söll-Tauchert Daniel Suter Therese Wollmann Mit Kartenmaterial von Thomas Hofmeier und Oskar Kaelin

Scheich Ibrahim Der Basler Kaufmannssohn Johann Ludwig Burckhardt (1784 –1817) und seine Reisen durch den Orient

Christoph Merian Verlag



Inhaltsverzeichnis Einleitung 5 Herkunft aus einer Basler Kaufmannsfamilie

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Kindheit im Haus zum Kirschgarten 1784–1799 11 Sommermonate auf dem Landgut Erndthalde

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Ausbildungszeit in Neuenburg 1799–1800

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Studium in Leipzig und Göttingen 1800–1805

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Arbeitssuche in London und Studien in Cambridge 1806–1808

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Briefliche Verbundenheit mit der Familie

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Das Projekt der Forschungsreise 1808–1809 25 Über Malta nach Aleppo 1809 26 Aufenthalte in Aleppo und Damaskus 1809–1812 27 Kontakt mit den Beduinen

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Aufbruch nach Kairo und die Wiederentdeckung Petras 1812

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Warten auf die Karawane in Kairo 1812–1813

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Die erste Reise nach Nubien 1813 38 Aufenthalt in Esna 1813–1814

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Aufbruch zur Reise durch Nubien nach Arabien 1814–1815 44 Die Handelsstadt Schandi 1814

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Von Sawakin über das Rote Meer nach Dschidda 1814 51 Der Wallfahrtsort Mekka 1814 53 Von Mekka nach Medina 1815 57 Krank in Medina 1815

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Erneutes Warten auf die Karawane in Kairo 1815 60 Die Reise auf die Sinaihalbinsel 1816 61 Tod in Kairo 1817

Erbe und Nachleben

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Chronologie 76 Literaturverzeichnis 79 Abbildungsnachweis

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Impressum 84 3


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Einleitung Johann Ludwig Burckhardt (1784–1817) gehört zu den herausragenden Persönlichkeiten der Stadt Basel. Als Sohn von Johann Rudolf Burckhardt und Sara Rohner verbrachte er seine Kindheit im Haus zum Kirschgarten. Damit steht er in einer besonderen Beziehung zum Historischen Museum Basel, und seine Biografie ist im Haus auch in einigen Objekten greifbar. Von 1809 bis 1817 unternahm der Gelehrte und Forscher im Auftrag der Londoner «Association for Promoting the Discovery of the Interior Parts of Africa» unter dem Namen Scheich Ibrahim ibn Abdallah ausgedehnte Forschungsreisen durch die Länder des Nahen Ostens, die wir heute als Türkei, Syrien, Libanon, Israel, Jordanien, Ägypten, Sudan und Saudi-Arabien kennen. Sein eigentlicher Auftrag, mit der «Fessan-Karawane» von Kairo aus in das an Edelmetall reiche Zentrum Afrikas vorzustossen, scheiterte am jahrelangen Ausbleiben der Karawane infolge einer Epidemie. Während der Wartezeit unternahm Burckhardt andere Reisen und entdeckte dabei als erster moderner Europäer die jordanische Felsenstadt Petra und den grossen ägyptischen Tempel von Abu Simbel wieder. Als erster Europäer beschrieb er ausserdem den Hadsch, die Wallfahrt nach Mekka und Medina. Die Beschreibungen seiner Reisen, seine Tagebücher, seine Briefe und seine Monografie über die Beduinen und die Wahhabiten sind eindrückliche Quellen für die Orientforschung um 1800 und eröffnen den Blick auf eine faszinierende Forscherpersönlichkeit. Es erstaunt beim Lesen immer wieder, wie sachlich und frei von Sensationslust er die Lebensweisen der Menschen – Begrüssungsformeln, Speisesitten, Hygienevorstellungen, religiöse Rituale, politische Zustände und soziale Strukturen – beobachtete und beschrieb. Der nüchterne, weder von Rassismen noch von romantischer Verklärung geprägte Blick auf die Kulturen, in denen er unterwegs war, ist bemerkenswert und gerade angesichts aktueller Diskussionen wohltuend. Seine Arbeit über die Wahhabiten, die er als Nebenauftrag der «African Association» verfasste und die 1830 postum erschien, bleibt bis heute eine wichtige Quelle zu dieser fundamentalistischen Richtung des sunnitischen Islams. Burckhardt war einer der ersten europäischen Reisenden, der für seine Forschungen auf eine breite und durch einen aufgeklärten Geist geprägte geisteswissenschaftliche und sprachliche Bildung zurück5


greifen konnte. Als Vorbereitung auf die Forschungsreise erweiterte er seine klassische Grundbildung systematisch um naturwissenschaftliche, geografische, astronomische und medizinische Kenntnisse. Zudem eignete er sich profundes Wissen über den Islam an, erlernte die arabische Sprache und bereitete den Körper ganz gezielt auf die Strapazen vor. Letztlich reiste Burckhardt alias Scheich Ibrahim nur acht Jahre lang durch die Länder des Orients – bereits im Alter von 32 Jahren verstarb er am 15. Oktober 1817 in Kairo an einer Darminfektion. Doch er tat dies in einer so zielgerichteten Weise und mit solch professioneller Kompetenz, dass seine Tagebücher noch heute durch ihre Zuverlässigkeit beeindrucken. Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts war in Europa wenig bekannt über das Leben in den arabischen Ländern und auch die «African Association», die Burckhardt mit den Reisen beauftragte, konnte ihm kaum nützliche Informationen mit auf den Weg geben. So war er ganz auf sich selbst gestellt und auf seine Fähigkeiten, seine Beharrlichkeit und seine Geduld angewiesen. Als teilnehmender Beobachter tauchte er in die fremden Kulturen ein und war unter falscher Identität unterwegs. Diese zu wahren, war täglich eine grosse Herausforderung. Das postume Gemälde von Sebastian Gutzwiller auf dem Titelumschlag zeigt uns den ernst blickenden, bärtigen Mann mit Turban. Arme und Hände sind unter dem orientalischen Gewand verborgen, was die Figur wuchtig erscheinen lässt. Auf diesem Bild, das wir von Johann Ludwig Burckhardt alias Scheich Ibrahim ibn Abdallah kennen, erscheint er uns älter als der erst 30-jährige Mann, der er hier war. Seine Reisebiografie führt uns auf jeder Zeile vor Augen, von wie vielen Gefahren sein Unternehmen begleitet war: Von Überfällen, kriegerischen Konflikten, Krankheiten, aber auch von der ständigen Bedrohung, enttarnt und als Spion verdächtigt zu werden, ist die Rede. Johann Ludwig Burckhardt starb denn auch tragischerweise ganz kurz vor dem Zustandekommen einer Fessan-Karawane, die ihn endlich seinem eigentlichen Ziel – dem Vordringen in das Innere Afrikas – näher gebracht hätte. Er starb aber auch zu jung, um für seine Forschungsarbeiten die Meriten abholen zu können, die er verdient hätte. Seine Notizen erschienen postum, und es dauerte einige Zeit, bis die Forschung verstand, was er eigentlich erreicht hatte. 1991 wurde den Nachkommen Burckhardts von der Königin Nur al-Hussain von Jordanien ein Orden verliehen, der sich seit 1992 als Depositum im Historischen Museum Basel befindet. Burckhardt erfuhr so eine postume Ehrung am Ort seiner Entdeckungen. 6


Porträt von Johann Ludwig Burckhardt (?) aus seinem Nachlass, Aleppo 1809 (?), Cambridge University Library

In Basel gewirkt hat Burckhardt nie, bereits im Alter von 15 Jahren verliess er seine Heimatstadt für immer. Begraben liegt er auf einem islamischen Friedhof in Kairo. Und als Beauftragter der African Association war Scheich Ibrahim eigentlich ein englischer Forscher, seinen Nachlass vermachte er grösstenteils der Universität Cambridge. Vielleicht wurde Burckhardt deshalb im angelsächsischen Raum stärker wahrgenommen als hier. Er blieb seiner Heimatstadt aber immer verbunden. Und in der Sammlung des Historischen Museums Basel erinnern einige Objekte an den berühmten Orientreisenden – zeitgleich zum Erscheinen dieses Bandes werden sie im Haus zum Kirschgarten neu präsentiert. Die hier vorliegende Publikation hat eine Geschichte, die bereits 33 Jahre zurückreicht und somit die Lebenszeit Johann Ludwig Burckhardts umfasst: Die von Therese Wollmann verfasste Schrift mit dem Titel «Scheich Ibrahim. Die Reisen des Johann Ludwig Burckhardt (1784–1817)» erschien erstmals 1984 im Friedrich Reinhardt Kommissionsverlag als Begleitpublikation zu einer Ausstellung, die das Historische Museum Basel anlässlich des 200. Geburtstags Johann Ludwig Burckhardts im Haus zum Kirschgarten veranstaltete. 1995 erschien das Heft zum zweiten Mal. Auch bei einer weiteren, 2002 im Eigenverlag herausgebrachten Auflage blieb der Inhalt unverändert und es wurden lediglich einige Abbildungen ausgetauscht und das grafische Konzept überarbeitet. Das Interesse an der Publikation blieb über die ganze Zeit hinweg bestehen. Und ohne Zweifel verstärkten die Ausstellungen «Scheich Ibrahims Traum. Schätze aus der Textil- und Schmucksammlung von Widad Kamel Kawar» (27.9.2012 – 1.9.2013) im Haus zum Kirschgarten sowie «Petra. Wunder in der Wüste. Auf den Spuren 7


von J. L. Burckhardt alias Scheich Ibrahim» (23.10.2012 – 20.5.2013) im Antikenmuseum Basel das Interesse an der Person Burckhardts und an seinen Leistungen. Seit 2012, dem Jahr des 200-jährigen Jubiläums der Wiederentdeckung von Petra, ist die Publikation denn auch erneut vergriffen. Der 200. Todestag des Forschungsreisenden am 15. Oktober 2017 bildet deshalb den Anlass für eine überarbeitete und erweiterte Ausgabe. Neben den Beiträgen in wissenschaftlichen Publikationen und grösseren Forschungsarbeiten bildet dieser handliche und anschauliche Band nach wie vor die einzige Monografie, die den berühmten Gelehrten in deutscher Sprache einem breiten Publikum näher bringt. Die biografische Erzählung ist von einer Vielzahl an ausgewählten Zitaten aus Burckhardts Schriften begleitet und reich illustriert. Die Neuauflage bot die Gelegenheit, den Teil über Burckhardts Kindheit und Jugend im Haus zum Kirschgarten, sein familiäres Umfeld, seine Erziehung, Ausbildung und frühe Prägung auszubauen (Sabine Söll-Tauchert). Der gesamte Text von Therese Wollmann wurde überarbeitet (Gudrun Piller, Daniel Suter), die Zitate wurden geprüft und korrigiert (Jonathan Büttner) und auch die Karten wurden stark verbessert (Thomas Hofmeier, Oskar Kaelin ). Die neue Publikation wurde um weitere Abbildungen ergänzt und Illustrationen wurden durch passendere ersetzt (Daniel Suter). Nicht zuletzt erhielt die Schrift eine neue Gestaltung (Manuela Frey). Wie bereits bei früheren Publikationen des Museums konnte auch hier der Christoph Merian Verlag für eine Zusammenarbeit gewonnen werden. Ein sehr herzlicher Dank geht an Herrn Rolf A. Stucky, der als profundester Kenner Scheich Ibrahims wertvolle Hinweise gegeben hat. Ein grosser Dank geht zudem an die Berta Hess-Cohn Stiftung für die Übernahme der Druckkosten. Am 19. und 20. Oktober 2017 analysiert anlässlich des 200. Todestages ein Team von schweizerischen und englischen Forscherinnen und Forschern im Rahmen eines Kolloquiums an der Universität Basel Leben und Werk Johann Ludwig Burckhardts unter den verschiedensten Gesichtspunkten. Die Beiträge dieser Tagung werden beim Christoph Merian Verlag publiziert. Dies zeigt, dass es rund um diesen Orientforscher der ersten Stunde noch viele Aspekte zu vertiefen gibt. Gudrun Piller

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Herkunft aus einer Basler Kaufmannsfamilie Aus so manchem Brief Johann Ludwig Burckhardts, den er aus der Ferne an seine Eltern und Geschwister nach Basel schickte, spricht die Sehnsucht des Europäers nach der heimischen Umgebung. Auch Tausende Kilometer fern der Heimat nahm der Orientreisende Anteil am Geschehen in seiner Heimatstadt Basel. Denn hier hatte er die ersten 15 prägenden Jahre seines Lebens verbracht. Geboren wurde Johann Ludwig am 25. November 1784 in Lausanne. Seit den frühen 1780er-Jahren besuchten seine Eltern Johann Rudolf Burckhardt (1750–1813) und Sara Rohner (1761–1825) jährlich mehrere Monate lang Freunde am Genfer See, die der Vater noch aus der Zeit seiner Ausbildung kannte. Dort verkehrten sie in gebildeten Kreisen, zu denen der berühmte englische Historiker Edward Gibbon (1737–1794), Jacques Georges Deyverdun (1734–1789), Benjamin Constant (1767–1830) und einige Mitglieder des britischen Hochadels gehörten. Die meiste Zeit seiner Kindheit verbrachte Johann Ludwig Burckhardt jedoch in Basel und Umgebung.

«Hoffentlich seid Ihr, liebe Eltern, alle wohl und zufrieden und die Erndthalde in schönem Gedeihen. Wie geht der Bandhandel in Basel, und verhindern die Verbote des Auswärtigen Handels wirklich die Industrie auch in der Schweiz? O, wann werde auch ich einst wieder die blühenden Fluren meines geliebten Vaterlandes erblicken und die Gletscher wiedersehen? In dem hochgepriesenen Orient ist die Natur wüst und öde; keine grüne Weide ergötzt das müde Auge, die Zeit des ersten Frühlings ausgenommen […].» Brief an die Eltern, Aleppo, 05.09.1811 (Briefe, S. 132f.)

Bildnis des Vaters Johann Rudolf Burckhardt (1750–1813), um 1786, Gemälde von Anton Graff (1736 –1813), Historisches Museum Basel, Inv. 1976.175.

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Johann Ludwig Burckhardt stammte aus einer seit dem 16. Jahrhundert in Basel ansässigen, angesehenen Kaufmannsfamilie, deren Mitglieder vielfach auch politische Ämter bekleideten. Sein Vater, der Handelsherr und Seidenbandfabrikant Johann Rudolf Burckhardt gehörte zu den reichsten und wirtschaftlich bedeutenden Persönlichkeiten der international vernetzten Handelsstadt. Schon mit 17 Jahren war er in die väterliche Seidenbandfabrik «Gedeon Burckhardt» mit angegliederter Speditionsfirma eingestiegen, die er mit viel Geschäftssinn weiter ausbaute. Noch vor Vollendung seines 18. Lebensjahres heiratete er die Tochter des Bürgermeisters und Seidenbandfabrikanten Johannes De Bary-Frey (1710–1800). Aus dieser Ehe mit Anna Maria De Bary (1749–1808) gingen zwischen 1768 und 1774 vier Kinder hervor. Die Familie lebte im elterlichen Wohnhaus in der Elisabethen-Vorstadt (heute Elisabethenstrasse), zu dem fast ein halber Hektar Reb- und Gartenland gehörte. Von einem luxuriösen und nicht ganz regelkonformen Lebensstil der Familie zeugen einige Einträge im Reformationsprotokoll, das Verstösse gegen die Reformationsordnung verzeichnete: So mussten Angestellte der Burckhardts im Kirschgarten wegen zu kostbarer Kleidung, mit denen sie die Kleiderordnungen verletzten, Strafen zahlen. Auch für eine vergnügliche Schlittenfahrt in der Nacht wurde Johann Rudolf Burckhardt verwarnt. Bald strebte Johann Rudolf Burckhardt nach einem eigenen Wohnhaus. 1774 erwarb er benachbarte Liegenschaften, um sich hier einen prächtigen Neubau errichten zu lassen. Im Alter von nicht einmal 25 Jahren beauftragte er den noch jüngeren Basler Architekten Johann Ulrich Büchel (1753–1792) mit dem Bau eines Stadtpalais im modernen Stil des Frühklassizismus. Noch während der fünfjährigen Bauzeit kam es zum Zerwürfnis zwischen den Eheleuten. Aufgrund «Verbitterung und Abneigung Ihrer Herzen» – wie es das Ehegericht formulierte – wurde die Ehe 1779 in einem Aufsehen erregenden Scheidungsprozess aufgelöst. Wenige Monate später gab Johann Rudolf Burckhardt dem Statthalter des Ehegerichts bekannt, dass er sich Sara Rohner versprochen habe. Diese 1780 geschlossene zweite Ehe scheint sehr viel glücklicher gewesen zu sein. Mit Sara Rohner zog er in das neu erbaute Haus zum Kirschgarten ein und hatte mit ihr ebenfalls vier Kinder: Der älteste, 1782 geborene Sohn Christoph starb jedoch bereits im Alter von 7 Jahren an einer Kinderkrankheit. 1783 kam Georg Rudolf (1783–1866) und wiederum ein Jahr später Johann Ludwig als dritter Sohn zur Welt. Ihm folgte seine Schwester Rosine Valerie (1786–1875). 10


Kindheit im Haus zum Kirschgarten 1784 –1799 Im Haus zum Kirschgarten, das seit 1951 als Museum für Wohnkultur des Historischen Museums Basel öffentlich zugänglich ist, hat sich so gut wie nichts vom ursprünglichen Mobiliar erhalten. Dennoch lässt sich anhand jener Räume, deren originale Wandverkleidung heute noch existiert, ein Eindruck von dem gehobenen Ambiente gewinnen, in dem der spätere Forschungsreisende aufwuchs. In dem 1780 vollendeten Bauwerk sollte sich die Innenraumgestaltung einzelner Bereiche bis zum Verkauf des Hauses durch die Familie Burckhardt im Jahre 1814 hinziehen.

Fassade des Hauses zum Kirschgarten, zwischen 1775 und 1780 errichtet

Bereits die imposante neunachsige Hauptfassade des Stadtpalais, dessen Portal von prominenten Doppelsäulen flankiert ist, stellt den ungewöhnlichen Anspruch des Bauherrn zur Schau. 11


Stadtansicht von Basel mit dem Haus zum Kirschgarten rechts im Bild, Maler: Maximilian Neustück, 1822, Historisches Museum Basel, Inv. 2003.154. Depositum Stadt- und Münstermuseum

«Wie ich höre, wird der Kirsgarten zu einem ordentlichen Feen-Palast umgeschaffen. Es vergieng mir sehen und hören, als ich die lange Herzählung der Herrlichkeiten des sonst so demüthigen Flügellogis las. Speisesaal, Visitenzimmer, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Toilettenkabinet, nebst wohl conditionnierter Bibliothek, dann Küche, Bedientenzimmer und Keller. Es ist was Erstaunliches, wie weit die erfinderische Kunst der Architektur in unserem Jahrhundert gebracht worden ist.» Brief an die Schwägerin Anna Elisabeth Burckhardt-Gemuseus, Leipzig, 05.07.1802 (Briefe, S. 39)

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Im ländlich geprägten Umfeld der Elisabethen-Vorstadt stach die hohe, damals hell gestrichene Fassade des zwischen 1775 und 1780 erbauten Hauses zum Kirschgarten deutlich aus dem Stadtbild hervor. Bereits zwei Jahre nach seiner Vollendung wurde das Stadtpalais in einem 1782 erschienenen Fremdenführer «Itineraire alphabétique de la Ville de Bâle» aufgrund seiner geschmackvollen Architektur und Verteilung der Gemächer sowie der eleganten und reichen Ausstattung hervorgehoben. Auch auswärtige Besucher rühmten das Palais, so der aus Leipzig stammende Hofmeister Karl Gottlob Küttner (1755– 1805), der 1783 seinem Studienfreund schrieb, es sei «bey weitem das feinste Privatgebäude», das er «in der ganzen Schweiz gesehen habe, und vereinigt Schönheit und Geschmack mit der edlen Einfalt der Antike». Die Faszination für die Antike durchzog das gesamte Haus und wird den hier aufgewachsenen Johann Ludwig in seinem Interesse an der Kultur der Antike geprägt haben. Auch die Weltoffenheit des Heranwachsenden wurde sicherlich in diesem Umfeld gefördert. Küttner schrieb 1783: «Durchreisende Fremde besichtigen häufig dieses Haus, wozu ihnen der Eintritt fast nie versagt wird; und diejenigen, die irgend eine Empfehlung haben, sind durchaus eines guten Empfanges versichert.» So empfahl beispielsweise Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), der Burckhardt während des Hausbaus 1779 dort besucht hatte, diesen Kontakt auch anderen Reisenden. Die Besucher konnten mit der Kutsche durch das Hauptportal in die Kutschendurchfahrt fahren und trockenen Fusses über die elegante Treppe ins repräsentative Obergeschoss gelangen.


Das Gelände hinter dem Haus war als Landschaftsgarten nach englischem Vorbild gestaltet, in dem sich auch eine Vogelvoliere befand. Im Erdgeschoss des Hauses lag links von der Durchfahrt die geräumige Küche sowie eine Gesindestube, rechts davon ein Empfangsraum und zum Garten hin eine Bibliothek. Die erste Etage, die sogenannte Bel Étage, diente mit ihrer Folge von Repräsentationsräumen dem Empfang von Gästen. Die Eingangshalle vermittelte in ihrer damals höchst modernen Gestaltung mit Marmorboden und Säulen eine Vorstellung von den Ansprüchen des wohlhabenden, gebildeten und kultivierten Hausherrn. Der Bereich, in dem sich die Familie vorwiegend aufhielt, war das private Wohngeschoss in der zweiten Etage. Die im frühen Grundriss verzeichnete Raumfolge von Vorzimmern, getrennten Schlafzimmern für «Madame» und «Monsieur», «Cabinet» und «Garderobe» orientierte sich am französischen Adelspalais.

Links: Haus zum Kirschgarten, Blick von der Kutschendurchfahrt ins Treppenhaus Rechts: Haus zum Kirschgarten, Vestibül (Vorhalle) im 1. Obergeschoss mit dem Aufgang zur privaten Wohnetage

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«Ich kann mit voller Wahrheit sagen, daß ausgenommen der Gesellschaft meiner Europäischen Freunde und der manchen Hülfsmittel zur Einsammlung von Kenntnissen, welche Europa nur besitzt, ich von allen Europäischen Vergnügungen und Zeitvertreiben ein einziges in diesen fernen Landen mir zuweilen wünsche, dies ist: ein paar Stunden hindurch gute Musik anzuhören. Freilich haben auch die Türken ihre Musik, und ihre klagenden wehmütigen Gesänge, besonders wenn sie von Liebe singen, sind nicht ohne Verdienst. Aber ihre Musik hat den Fehler, daß sie bloss aus Melodie besteht und keine Harmonie-Akkorde enthält, welche die wahre Kraft der Musik in sich enthalten.» Brief an die Eltern, Aleppo, 05.09.1811 (Briefe, S. 131)

Dort sind an der Gartenseite die beiden Kinderzimmer «chambre à coucher des filles» und «chambre des fils» eingezeichnet. Über Letztere schrieb der deutsche Theologe Wilhelm Ludwig Steinbrenner (1759–1831) nach seinem Besuch 1790: «Vorzüglich lacht einem die Nettigkeit und Ordnung in den Kinderzimmern entgegen, die doch sonst in diesem Stük immer arm und blos, oder reich an Unsauberkeit und Unordnung sind.» Wie in anderen gehobenen Basler Familien üblich, besuchten die Kinder keine öffentliche Schule, sondern wurden von einem Hauslehrer unterrichtet. Der Vater legte Wert auf eine umfassende und fundierte Bildung seiner Kinder. Auch die Musik spielte eine wichtige Rolle. Johann Ludwig erhielt wohl bereits im Alter von sieben Jahren ein Pianoforte aus Mahagoniholz mit Tasten aus Elfenbein geschenkt, das eigens für ihn in London bestellt worden war. In seinen späteren Briefen aus dem Orient klingt seine Sehnsucht danach, Klänge harmonischer Musik zu hören, immer wieder an.

«Es freut mich zu hören, daß Du und Rosine oft den Genuß der Musik habt. Wenige, vielleicht keine Genüsse der civilisierten Welt fällt es mir so schwer zu entbehren als die schöne herzerhebende Musik.» Brief an die Mutter, Kairo, 24.03.1817 (Briefe, S. 182)

Melodie eines orientalischen Tanzes namens «Debké», Ausschnitt aus Johann Ludwig Burckhardts Brief an seine Eltern aus Aleppo vom 05.09.1811, Universitätsbibliothek Basel

Der Vater Johann Rudolf Burckhardt war ein begeisterter Kunstliebhaber und -förderer, der ein ausgeprägtes Interesse an der zeitgenössischen Landschaftsmalerei und Druckgrafik hatte. Daneben zeichnete er zuweilen selbst, wie die Darstellung seiner Familie am Neujahrsmorgen zeigt. Hier nimmt er als Familienoberhaupt die Neujahrswünsche seiner Kinder entgegen. Dem ältesten, wenig später im Alter von 7 Jahren verstorbenen Sohn Christoph, der ihm die Karte mit der Aufschrift «GLIK» reicht, folgen Georg, Johann Ludwig und Rosine an der Hand ihrer Mutter Sara Burckhardt-Rohner.

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Johann Ludwigs Vater pflegte enge Beziehungen mit Künstlern, wie mit dem Zürcher Maler und Dichter Salomon Gessner (1730–1788). Es zeugt von einem besonderen Anspruch Burckhardts, dass er keinen Geringeren als den berühmten Porträtmaler Anton Graff (1736–1813) mit Bildnissen seiner selbst und auch seines Söhnchens Johann Ludwig beauftragte. Der aus Winterthur stammende Anton Graff, der als kurfürstlich sächsischer Hofmaler in Dresden lebte und die grossen Persönlichkeiten seiner Zeit porträtierte, malte den etwa Zweijährigen kindlich verspielt mit einem Hündchen. Der Knabe trägt einen sogenannten Skeleton-Anzug, der der neuesten aus England kommenden Mode entsprach und dem Kind mehr Beweglichkeit ermöglichte als die förmlichen Kleider der vorangegangenen Jahrzehnte. Oben: Neujahrsmorgen der Familie BurckhardtRohner, um 1790, Aquarell von Johann Rudolf Burckhardt, Privatbesitz Links: Bildnis des Johann Ludwig Burckhardt im Alter von zwei Jahren, um 1786, Gemälde von Anton Graff (1736 –1813), Privatbesitz

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Als Kenner antiker Kunst erwarb Burckhardt in Rom hergestellte Abgüsse von antiken Skulpturen und liess diese im Haus zum Kirschgarten aufstellen. Das kunstsinnige Umfeld, die aufgeklärt-humanistische Bildung sowie die Weltgewandtheit seines Vaters müssen einen starken Eindruck bei Johann Ludwig hinterlassen haben. Es ist wohl der Legende zuzuschreiben, dass der Vater bei der Erziehung der Kinder besondere Strenge walten und diese ohne Deckbetten schlafen liess, um sie abzuhärten. Tatsache ist, dass Johann Ludwig später auf seinen Reisen durch ausgedehnte Wüstengebiete und karge Landschaften hart im Nehmen war. So schlief er auf dem sandigen Boden und konnte längere Zeit ohne Essen und Trinken auskommen. Wie aus dem Brief an seine Eltern vom 2. August 1806 hervorgeht, zog er es beispielsweise bereits bei der Schiffsreise von Hamburg nach England vor, in seinen Mantel gehüllt auf dem windigen Schiffsdeck zu übernachten, anstatt unter Deck zusammen mit sieben weiteren Passagieren beengt und bei schlechter Luft die Nacht zu verbringen. Es ist bemerkenswert, dass er die Grösse der Schiffskajüte mit dem «Rosen Cabinet» im Elternhaus zum Kirschgarten verglich. Dieses auch als «Rosenboudoir» bezeichnete, rund 13 m2 kleine Eckzimmer, das an das Schlafzimmer seiner Mutter angrenzt, weist heute noch die charmante Wandbemalung mit feinen Girlanden von Rosen, Maiglöckchen und Vergissmeinnicht auf. «Übrigens waren wir schlecht gehalten auf dem Schiff, in einer Cajüte wie das Rosen Cabinet waren 8 Passagiere, worunter 4 Damen zusammen gepreßt. […] Ich habe die ganze Zeit hindurch in einen Mantel gehüllt auf einer Matraze auf dem Verdeck geschlafen, weil ich mich nicht entschließen konnte, in einer wirklich verpesteten Luft in der Cajüte meine Nächte zuzubringen.» Brief an die Eltern, London, 02.08.1806 (Briefe, S. 61)

Das Rosenboudoir im Haus zum Kirschgarten als Rückzugsort von Johann Ludwigs Mutter, Sara Burckhardt-Rohner, Wandbemalung von Matthias Klotz (1747–1821), 1780 datiert.

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Sommermonate auf dem Landgut Erndthalde Um den Jahreswechsel 1793/94 erfüllte sich der Vater Johann Rudolf Burckhardt seinen Wunsch nach einem eigenen Landsitz, in dem die Familie die Sommermonate verbringen konnte. Er erwarb von einem Bauern das Landgut Erndthalde oberhalb von Gelterkinden im oberen Baselbiet, das er nach persönlichen Vorstellungen im Stile eines stattlichen Emmentaler Bauernhauses gestalten liess. Es sollte sowohl ein landwirtschaftlicher Betrieb als auch ein Ort der Erholung sein. Vermutlich angeregt durch die Ermitage in Arlesheim entstand in der Umgebung ein romantischer Landschaftsgarten mit verschlungenen Wegen, die zu einer gotischen Kapelle führten. Ihre Aussenseiten waren künstlich bemoost und an der hinteren Aussenwand war die lebensgrosse Darstellung des Eremiten Niklaus von Flüe aus Unterwalden aufgemalt. Von einem nahe gelegenen Weiher führten belaubte Gänge und verschlungene Wege durch den dichten Wald nahezu um das gesamte Gut herum. An verschiedenen Orten, an denen man Aussicht auf die Landschaft geniessen konnte, waren «mahlerische mit Stroh oder

Links: Der Landsitz Erndthalde bei Gelterkinden mit Emmentaler Bauernhaus (1880 abgebrannt), 1813, aquarellierte Bleistiftzeichnung von Samuel Birmann (1793–1847), Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett Rechts: Die Kapelle auf der Erndthalde, Radierung von Friedrich Christian Reinermann (1764–1835), 1799 datiert, Historisches Museum Basel, Inv. 1951.2.

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«Ich vergesse über dem geräuschvollen London und der kleinen Welt, die hier ihr Wesen treibt, Erndthalden gewiß nicht, und ich hoffe auch mich selbst darin nicht vergessen [sic!].» Brief an die Eltern, London, 02.08.1806 (Briefe, S. 63) «Ich bin gewiß nicht zum Dichter geboren; aber ich weiß, daß meine Einbildungskraft nie stärker arbeitet, als wenn ich an die glücklichen Kinderjahre denke, die ich auf der Erndthalden verlebt habe, und wenn ich mich unter Euch dorthin versetzte, die nicht nur in der Erinnerung dort leben, sondern alles das wieder geniessen, was mir jene so werth macht.» Brief an die Eltern, London, 11.11.1806 (Briefe, S. 76 f.)

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Moos gedeckte Hüttchen oder Ruhebänke zu Bequemlichkeit und Erholung angebracht», wie Markus Lutz (1772–1835) in seinen «Neue Merkwürdigkeiten der Landschaft Basel» (1805–1816) beschrieb. Johann Caspar Lavater (1741–1801), der hier seinen Freund Burckhardt einige Male besuchte und zuweilen auch in der kleinen Gutskapelle predigte, pries den Hof sogar in einem Gedicht. Das Vieh des landwirtschaftlichen Betriebs, die Obstbäume und die idyllischen Wege im Grünen trugen zweifellos dazu bei, dass Johann Ludwig Burckhardt die Erndthalde als Inbegriff der unbeschwerten Kindheit und Jugend empfand und in seinen Briefen an Eltern und Geschwister immer wieder erwähnte. Die Aquarellzeichnung, die den etwa Neunjährigen hinter einem Baum hervorschauend zusammen mit seiner Schwester Rosine und dem älteren Bruder Georg zeigt, könnte auf diesem Sommersitz entstanden sein. Johann Ludwig Burckhardt (links) mit seinen Geschwistern Rosine und Georg, um 1795, Aquarell, Privatbesitz


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