Unter uns

Page 1

UNTER UNS Arch채ologie in Basel

Arch채ologische Bodenforschung Basel-Stadt Historisches Museum Basel Christoph Merian Verlag


Unter uns – Archäologie in Basel



UNTER UNS Arch채ologie in Basel

Arch채ologische Bodenforschung Basel-Stadt Historisches Museum Basel Christoph Merian Verlag


IMPRESSUM

Publikation Herausgeber

Konzeption und Projektleitung

Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt

Andrea Hagendorn, Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt

Historisches Museum Basel

Pia Kamber, Historisches Museum Basel

Gesamtleitung

Wissenschaftliche Mitarbeit

Guido Lassau,

Dagmar Bargetzi, Annegret Schneider, Archäologische Bodenforschung

Leiter der Archäologischen Bodenforschung Basel

Basel-Stadt und Michael Kaiser, Historisches Museum Basel

Burkard von Roda, Direktor des Historischen Museums Basel

Redaktion Marion Benz Vor- und Bildredaktion Andrea Hagendorn, Pia Kamber

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Redaktion Literatur

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

Silke van Willigen

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Umbruchkorrektorat Doris Tranter Fotos Textteil

ISBN 978-3-85616-384-6

Peter Portner, Historisches Museum Basel Fotos Katalog Philipp Saurbeck, Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt Gestaltung, Satz Manuela Frey, Historisches Museum Basel

© 2008

Rekonstruktionszeichnungen

Christoph Merian Verlag

Heidi Colombi, Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt

© 2008 Texte und Abbildungen

Pläne

Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt

Hansjörg Eichin, Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt

Historisches Museum Basel

Lebensbilder Ausführung: Digitale Archäologie, Freiburg i. Br. Wissenschaftliche Beratung: Guido Lassau, Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt, Autorinnen und Autoren

Alle Rechte vorbehalten; kein Teil dieses Werkes darf

Lithos

in irgendeiner Form ohne vorherige schriftliche

Mc High End AG, Allschwil

Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Bildbearbeitung und Scans Manuela Frey, Alwin Seiler, Historisches Museum Basel Druck Vögeli Druck AG, Langnau i. E. Bindung Schumacher AG, Schmitten


Ausstellung Unter uns. Archäologie in Basel

Gestaltung Drucksachen

im Historischen Museum Basel, Barfüsserkirche

Manuela Frey, Historisches Museum Basel

26. September 2008 – 1. März 2009 Gesamtleitung Burkard von Roda, Historisches Museum Basel Konzeption und Projektleitung Andreas Fischer, Pia Kamber, Historisches Museum Basel Wissenschaftliche Beratung

Begleitprogramm und Vermittlung Gudrun Piller, Johanna Stammler, Historisches Museum Basel Medienarbeit Esther Arnold, Eliane Tschudin, Historisches Museum Basel Merchandising und Finanzen Denise Jost, Esther Keller, Katja Kretz, Historisches Museum Basel

Andrea Hagendorn, Guido Lassau Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt Wissenschaftliche Mitarbeit Michael Kaiser, Historisches Museum Basel Ausstellungsgestaltung Anex & Roth visuelle Gestaltung, Basel Ausstellungstexte

Finanzielle Unterstützung der Publikation und der Ausstellung

Andreas Fischer, Michael Kaiser, Pia Kamber

Freiwillige Akademische Gesellschaft, Basel

Historisches Museum Basel

Bertha Hess-Cohn Stiftung, Basel

Multimedia iart interactive ag, Basel Lebensbilder Digitale Archäologie, Freiburg i. Br. Fotos Peter Portner, Historisches Museum Basel Philipp Saurbeck, Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt Restauratorisch-Konservatorische Betreuung, Vitrinenbestückung Anna Bartl, Janet Hawley, Annette Hoffmann, Barbara Ihrig, Walter Pannike, Franziska Schillinger, Historisches Museum Basel Ausstellungsaufbau Stefan Bürer, Lukas Bürgin, Werner Geiger, Michael Girod, Henry Halbeisen, Alfred Jäggi, Roger Keller, Andreas Müller, Alwin Seiler, Daniel Stebler, Historisches Museum Basel

L. und Th. La Roche-Stiftung Basel Stiftung für das Historische Museum Basel


INHALTSVERZEICHNIS

Editorial

9

Eckhard Deschler-Erb, Toni Rey, Norbert Spichtig

EISENZEIT

117

800 – 52 v. Chr. Pia Kamber

SCHATZGRÄBER, SAMMLER UND GELEHRTE

11

Die Anfänge der Archäologie in Basel

Toni Rey

Argonauten in Basel?

148

Toni Rey

Altes Eisen Jürg Sedlmeier

ALT- UND MITTELSTEINZEIT

33

500'000 – 5500 v. Chr.

52

56

58

Zwischen Korn und Mehl

154

Rodeln in der späten Eisenzeit?

156

Das liebe Geld

160

Norbert Spichtig

Jürg Sedlmeier

Geheimnisvolle Silexartefakte

152

Norbert Spichtig

Jürg Sedlmeier

Ein Faustkeil sorgt für Aufsehen

Leichen im Keller

Norbert Spichtig

Jürg Sedlmeier

Von Neandertalern keine Spur

Toni Rey

Toni Rey

Jürg Sedlmeier

Eine Entdeckung in letzter Minute

150

60

Sklaverei am Oberrhein?

162

Norbert Spichtig

Ein guter Tropfen aus dem Süden

164

Urs Leuzinger

JUNGSTEINZEIT

65

Edles Tafelgeschirr – Made in Basel

5500 – 2200 v. Chr.

168

Eckhard Deschler-Erb

Urs Leuzinger

Wohnen mit Panoramablick

Norbert Spichtig

76

Spätkeltische Adlige auf dem Basler Münsterhügel

170

Urs Leuzinger

D’Lochaxt vom Haafebeggi Zwai ...

78

RÖMISCHE ZEIT

Urs Leuzinger

Ein Friedhof mit über 4000 Jahren Geschichte

80

175

52 v. Chr. – 476 n. Chr. Eckhard Deschler-Erb

Urs Leuzinger

Prospektion – Wer sucht, der findet!

Eckhard Deschler-Erb, Andrea Hagendorn, Guido Helmig

82

Die Statue im Hof

204

Eckhard Deschler-Erb

Schutz vor bösen Mächten

Guido Lassau

BRONZEZEIT

85

106

108

212

Gaumenfreuden in römischer Zeit

214

Guido Helmig

Guido Lassau

Von todbringenden Waffen und nützlichen Werkzeugen

Heimische Köstlichkeiten aus mediterranem Geschirr Andrea Hagendorn

Claudia Adrario de Roche

Ein paar Scherben als Boten der grossen weiten Welt

208

Eckhard Deschler-Erb

Claudia Adrario de Roche

Zu schade für den Stammtisch: Das Schwert von Hüningen

Andrea Hagendorn

Eine Strasse erzählt Geschichte

2200 – 800 v. Chr.

206

112

Häuser in Flammen

218


Guido Helmig

Der Weg alles Irdischen

Christoph Ph. Matt 222

224

226

228

Sicherheitsnadel als Zeichen von Prestige

230

Nur ein Läuse-Rechen?

234

318

Christine Ochsner Keller

Recycling fürs Jenseits?

Andrea Hagendorn

314

Pia Kamber

Das grosse Beben

Annemarie Kaufmann-Heinimann, Kurt Paulus

312

Pia Kamber

Alchemisten auf der Spur?

Guido Helmig

In römischen Diensten

Pia Kamber

Das Rätsel der Glaskuchen

Andrea Hagendorn

Bauen statt Kämpfen – Der Siegeszug Roms

285

1000 – 1500 n. Chr.

Guido Helmig

Sagenhaftes aus Riehen

HOCH- UND SPÄTMITTELALTER

322

Die Funde aus den Basler Bischofsgräbern Pia Kamber, Michael Matzke

Ein sensationeller Schatzfund aus Basler Boden Reto Marti

FRÜHMITTELALTER

237

476 – 1000 n. Chr.

Pia Kamber

Luxus aus Latrinen

328

Pia Kamber

Max Martin

Krieger aus dem Osten?

324

262

Der falsche Tote

332

KATALOG DER BODENFUNDE

335

Max Martin

Der Alamannin neue Kleider

264

AUS DEM KANTON BASEL-STADT

Reto Marti

Kunst und Magie zwischen den Kulturen

268

ANHANG

Max Martin

Omnia mea mecum ...

270

Max Martin

Gläserner Luxus und würziger Wein

272

Max Martin

Mit dem Lockhirsch auf Rotwildjagd

274

Reto Marti

Wichtige Waren aus dem Webhäuschen

276

Reto Marti

Politik in Silber und Gold

278

Reto Marti

Rudolf, von den Heiden erschlagen

280

Reto Marti

Kult, Klang, Kontrollmass? – Das Geheimnis um die Töpfe aus Riehen

282

Autorinnen und Autoren

392

Abbildungsnachweise

394


E D I TO R IA L


UNTER UNS

Unter uns. Archäologie in Basel – der Titel für eine

von unserer Vergangenheit machen. Die Lebensbilder aus

Gesamtschau des regionalen archäologischen Kulturerbes lässt

jeder Epoche, die mit digitalen Mitteln auf der Basis der Aus-

Raum für Assoziationen. Unter uns mit Betonung auf dem

grabungsbefunde realer Basler Fundstellen rekonstruiert wur-

ersten Wort kann ganz einfach auf die Lebensspuren unter

den, verdeutlichen diesen Wandel. Mit einem Spiel aus Licht

unseren Füssen bezogen werden, die unsere Vorfahren in Basel

und Schatten verleiht der Fotograf Peter Portner den Funden der

und Umgebung hinterlassen haben. Es ist aber genauso mög-

unterschiedlichen Epochen eine faszinierende Aura und macht

lich, den Titel im Sinne einer Differenzierung zu interpretie-

die geheimnisvolle Kraft erfahrbar, die von ihnen ausgeht.

ren, um damit die lokalen Eigenheiten zu betonen: unter uns in

Neben den Essays wurden zu den interessantesten oder

Basel, nicht unter euch in Zürich oder in Stuttgart. Und wenn

ungewöhnlichsten Funden, Fundgruppen und Fundstellen span-

etwas ‹unter uns› bleibt, dann ist es – in einem erweiterten

nende Kurzgeschichten verfasst. Abgerundet wird die Publika-

Wortsinn – auch geschützt und zu bewahren. Schliesslich

tion mit einem Katalog der wichtigsten Objekte aus der archäo-

denken wir – im Sinne von ‹mitten unter uns› – an unser gesell-

logischen Sammlung des Historischen Museums Basel und aus

schaftliches Dasein und unsere Einbettung in die Mensch-

den Fundbeständen der Archäologischen Bodenforschung.

heitsgeschichte, wie sie mit der archäologischen Arbeit über

Ohne das ausserordentliche Engagement unserer Mitar-

einen grösseren Zeitraum deutlich gemacht werden.

beitenden wären diese Publikation und die gleichnamige Aus-

Unter uns kann aber auch meinen: unter unserer Ver-

stellung Unter uns. Archäologie in Basel nicht zustande ge-

antwortung für dieses archäologische Erbe, unter uns allen als

kommen. Unser Dank geht deshalb zuerst an die beiden Teams

Mitgliedern der Gesellschaft oder uns Schreibenden konkret

der Archäologischen Bodenforschung und des Historischen

als den Verantwortlichen der beiden Institutionen, die zusam-

Museums Basel, die zusammen mit externen Autorinnen und

men mit unseren Teams mit der Archäologie in Basel betraut

Autoren die Texte verfassten, die Abbildungen und Fotos rea-

sind: der Archäologischen Bodenforschung Basel-Stadt, die

lisierten, das Buch gestalteten und seine Produktion koordi-

für die Rettung und Erforschung des archäologischen Erbes

nierten. Ein grosses Dankeschön geht auch an alle Mitarbeiten-

zuständig ist, und dem Historischen Museum Basel, das die

den an der Produktion der Ausstellung. Die Vorbereitung der

archäologische Sammlung betreut und vermittelt.

Funde, die Ausstellungsgestaltung und der Aufbau sind darin

Bereits 25 Jahre ist es her, dass mit der Publikation

eingeschlossen. Ebenso an die Projektleitungen: für die Publi-

‹Bodenfunde aus Basels Ur- und Frühgeschichte› ein Über-

kation an Andrea Hagendorn und Pia Kamber, für die Aus-

blickswerk über die ältere Siedlungsgeschichte erschienen ist.

stellung an Andreas Fischer und Pia Kamber.

Seither haben als Folge der rasanten Entwicklung Basels und

Namhafte Beiträge der Freiwilligen Akademischen Gesell-

der Bautätigkeit, die damit verbundenen war, zahlreiche wis-

schaft, der Berta Hess-Cohn Stiftung, der L. und Th. La Roche-

senschaftlich dokumentierte Rettungsgrabungen durch die Ar-

Stiftung und der Stiftung für das Historische Museum Basel

chäologische Bodenforschung stattgefunden. Durch die Aus-

ermöglichten Publikation und Ausstellung. Diese Unterstüt-

wertung der Grabungsdokumentationen und der Fundobjekte

zung sei hier dem Vorsteher beziehungsweise den Stiftungs-

ist das Wissen über die frühe Geschichte Basels enorm gewach-

ratspräsidenten der genannten Institutionen Dr. Caspar Zell-

sen. Ein Teil dieses Wissens liegt in Fachpublikationen vor und

weger, Martin Hug, Stefan Schmid und Niklaus C. Baumann

ist somit erst der Forschung zugänglich. Nach einem Viertel-

herzlich verdankt. Ein ganz besonderer Dank gilt dem Regie-

jahrhundert wollen nun die zwei dafür verantwortlichen Institu-

rungsrat, namentlich dem Vorsteher des Erziehungsdeparte-

tionen die aktuellen Ergebnisse der Archäologie auch einem

ments Dr. Christoph Eymann und dem Grossen Rat des Kan-

breiten Publikum erschliessen.

tons Basel-Stadt, die sich immer wieder für die Rettung, den

Das dazu entstandene Buch deckt in leicht verständlicher

nachhaltigen Umgang und die Vermittlung unseres gemein-

und attraktiver Form einen Zeitraum von über 100'000 Jahren

samen archäologischen Erbes einsetzen.

ab – von der Altsteinzeit bis zum Spätmittelalter. Einführende Essays zu den einzelnen Epochen der Menschheitsgeschichte vermitteln die Geschichte Basels, wie sie sich im Laufe der

Dr. Burkard von Roda

Jahrtausende verändert hat, wie sie sich aber auch mit jedem

Direktor

neuen Fund verändert, der – manchmal auf überraschende

Historisches Museum Basel

Weise – das Bild in neuem Licht erscheinen lässt, das wir uns

Guido Lassau Kantonsarchäologe Archäologische Bodenforschung

Basel-Stadt

ED I TORI AL

9



SCHATZGRÄBER, SAMMLER UND GELEHRTE

Die Anfänge der Archäologie in Basel

SCHATZG RÄBER, SAM MLER UND GELEHRT E


Der Münzschatz aus der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts wurde 1884 in Augusta Raurica gefunden und kurz darauf von Johann JakobGBachofen S CH ATZ R Ä B E R ,erworben. S A MM L E R

U N D G EL EHRTE


SCHATZGRÄBER, SAMMLER UND GELEHRTE

Pia Kamber

Die Anfänge der Archäologie in Basel

Seit über 400 Jahren werden in und um Basel archäologische Funde ge-

Die Geschichte beginnt mit einem toten Drachen. Gegen

sammelt und Ausgrabungen durchgeführt. Aber erst im 19. Jahrhundert

Ende des Konzils (1431–1448) erreichte ein Bote auf der

waren die Grundlagen der modernen Forschung geschaffen, und man

Durchreise Basel mit ungewöhnlichem Gepäck – einer Kiste

begann die Funde als Quellen zur Stadtgeschichte zu begreifen. Ein Pro-

mit den ausgeweideten Überresten eines Basilisken. In der Stadt

zess, der mit der Gründung des Historischen Museums Basel 1892 und

kursierten damals Erzählungen über ein Ungeheuer, das mit

der Archäologischen Bodenforschung 1962 erste Höhepunkte erreichte.

seinem Blick die Vorübergehenden töte.1 Das Untier hauste an

Die Ausgräber sind – geprägt vom jeweils vorherrschenden Zeitgeist –

der Quelle des späteren Gerberbrunnens (heute Gerbergasse

von völlig verschiedenen Voraussetzungen ausgegangen. Schatzgräber,

48) und trieb auch in den umliegenden Hügeln sein Unwesen.

Schwarzkünstler und Sammler haben an archäologischen Entdeckungen

Kein Wunder, interessierte sich die Basler Obrigkeit für das

einen ebenso grossen Anteil wie die wissenschaftlich motivierten For-

Gepäck des Boten. Sie liess das merkwürdige Tier öffentlich

scher. Auf den Spuren der frühen Archäologie begegnen wir Zauberei,

ausstellen und abzeichnen. Das Bild ist leider nicht erhal-

Drachen, Riesen und der Sintflut, aber auch wahren Pionieren, die

ten, doch dürfte es den damaligen Vorstellungen von einem

mit bewundernswerter Nüchternheit archäologische Fundstellen doku-

Basilisken entsprochen haben. Demnach war der Basilisk ein

mentiert haben.

Mischwesen zwischen einem Hahn, einem Drachen und einer

Die in der Universitätsbibliothek, im Staatsarchiv und im Historischen

Schlange, das durch einen eierlegenden Hahn ausgebrütet wurde.

Museum Basel aufbewahrten Akten zum Thema sind nicht nur zahlreich,

Bis heute ist unbekannt, was für eine Kreatur damals den

sondern auch äusserst kostbar. Sie bergen viele Geheimnisse, die nur

Weg nach Basel gefunden hat. Handelte es sich um eine spe-

darauf warten, von einem modernen ‹Schatzgräber› entdeckt zu werden.

zielle Echsenart, die in Europa noch unbekannt war, oder gar

Schlaglichtartig erhellen sie das Dunkel um die Anfänge der Archäologie

um eine Fälschung aus Rochenhaut, wie sie in Raritäten-

in Basel.

Kabinetten vom 16. bis ins 18. Jahrhundert immer wieder zu finden ist? Oder wurde vielleicht aus verschiedenen Bestandteilen von Tieren wie Hahn, Schlange und Fledermaus ein Mischwesen präpariert?

SCHATZG RÄBER, SAM MLER UND GELEHRT E

13


Die Ofenkachel mit den beiden Basilisken als Schildträger des Basler Wappens wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beim Fröschen-Bollwerk (heute Ecke Schützenmattstrasse / Schützengraben) ausgegraben.

Von Drachen und anderen Ungeheuern

Im frühen 16. Jahrhundert, als die Geschichte mit dem toten Basilisken erstmals niedergeschrieben wurde, wurzeln auch die Anfänge der archäologischen Forschung in Basel. Zuvor wurden archäologische Artefakte und Versteinerungen mehr oder weniger ignoriert, hatten sie doch im christlichen Schöpfungsbild keinen Platz – ausser sie wurden mit Ereignissen in Verbindung gebracht, die in der Bibel beschrieben sind. So erklärt etwa ein Traktat des späten 15. Jahrhunderts Augusta Der hier abgebildete Basilisk wurde 2005 für eine Ausstellung über Drachen hergestellt. Wie die meisten Fälscher vor ihm benutzte auch der Tierpräparator des Naturhistorischen Museums Basel dafür einen Rochen, den er phantasievoll zusammengenäht hat. Solche Fälschungen wurden vom 16. bis ins 18. Jahrhundert vielen Sammlern für ihre Schatzund Wunderkammern untergejubelt. Wegen des verbreiteten Glaubens an Drachen und andere Kreaturen wurde die Echtheit solcher Präparate damals kaum hinterfragt.

Merkwürdig bleibt an dieser Geschichte, dass es erst etwa

Raurica zur ältesten Stadt der Welt, die von Japhet (dem Sohn

hundert Jahre später in Mode kam, derartige Kreaturen in Kurio-

Noahs) und seinen Söhnen 400 Jahre vor dem Turmbau zu

sitätenkabinetten zur Schau zu stellen. Interessant ist die Über-

Babel gegründet worden sei.2 Ebenso gelten Fossilien aus der

lieferung auch unter anderen Gesichtspunkten. Wir erhalten

Region bis weit ins 18. Jahrhundert hinein als Beweis dafür,

einen frühen Hinweis auf die Sammeltätigkeit, bei der kein

dass die im alten Testament beschriebene Sintflut (Sündflut)

Aufwand gescheut wurde, sollte doch der Bote den toten Ba-

auch die Landschaft Basel nicht verschont hat.3

silisken von Rom zu einem Empfänger in den Niederlanden

Im Boden gefundene Keramikgefässe werden noch bis ins

bringen. Im Verhalten der Basler Regierung manifestiert sich

18. Jahrhundert als natürlich gewachsen oder aber als Geschirr

das erwachende Interesse an der eigenen Herkunft, auch wenn

von Kobolden und Berggeistern aufgefasst, Mammutknochen

sich dieses vorerst noch im Bereich der Sagen und Legenden

als Skelettteile von Riesen bestimmt, Dolmen als Gräber von

abspielte. Jedenfalls hinterliess der für echt gehaltene Drache

Giganten identifiziert und Beile als Donnerkeile gedeutet,

einen so grossen Eindruck, dass man den Namen der Stadt

welche von Blitzen in die Erde geschleudert wurden. In Basel

fortan von ihm herleitete. Dies wird von den Chronisten, wel-

erkannte der berühmte Stadtarzt Felix Platter (1536 –1614)

che die denkwürdigen Ereignisse rund um die Basler Basilisken

Mammutknochen aus der Ostschweiz zweifelsfrei als Über-

im frühen 16. Jahrhundert überliefert haben, kritisch bis

reste eines Riesen. Und auch der bekannte Basler Kupferstecher

ungläubig kommentiert.

Matthias Merian bildet 1645 Mammutknochen, die im öster-

Spätestens gegen Ende des 15. Jahrhunderts wird der

reichischen Städtchen Krems an der Donau entdeckt wor-

Basilisk zum Schildträger des Stadtwappens und wandelt sich

den waren, nicht nur ab, sondern schreibt dazu: «… von ge-

damit vom Ungeheuer zum Schutztier, dessen Macht das

lehrten und erfahrenen Leuten in Augenschein genommen,

Selbstbewusstsein der Stadt bis heute stärkt. Die lange Tradi-

und für Menschengebein erkennet worden, hin und wider in

tion von Basler Basiliskensagen legt nahe, diese in die Kategorie

Antiquaria verehret, auch nach Schweden und Polen verschickt

der Ursprungs- und Erklärungssagen einzureihen. Dabei han-

worden … .»4 Selbst die Existenz von Drachen wurde bis weit

delt es sich um den Versuch, durch den einfachen Gleich-

ins 17. Jahrhundert hinein ernsthaft diskutiert. So berichten

klang von Wörtern – wie etwa Basel / Basilisk – den Ursprung

Augenzeugen am 9. September 1603 und am 25. Juni 1616

des Namens zu begründen.

von fliegenden, feuerspuckenden Drachen über Basel.5

14

S CH ATZ G R Ä B E R , S A MM L E R U N D G EL EHRTE


SCHATZG RÄBER, SAM MLER UND GELEHRT E


Schatzjäger und Teufelsbeschwörer In der Frühzeit der Forschung umranken Sagen von verborgenen Schätzen die Ruinen der Landschaft Basel. Besonders die rätselhaften Trümmer von Augst beflügelten die Phantasie der Menschen. Es ist die Rede von unterirdischen Gängen, unheimlichen Geistern und gefährlichen Schatzwächtern. Die bisher älteste bekannte Schatzgräbergeschichte, die sich im frühen 16. Jahrhundert beim römischen Theater in Augst abgespielt haben soll, überliefern die Gelehrten Beatus Rhenanus und Johannes Stumpf: «Das gemein landvolck haltet ein soeliche fabel, dass in disen gewelben ein kostlicher schatz von den roemern verlassen, in einer trucken behalten, hinder einer eysinen thür verschlossen, durch ein grossen hund, als ein staeten waechter, verhuetet werde … .»8 Stumpf berichtet weiter, dass sich lange Zeit niemand mit diesem Hund anzulegen wagte, Die Entdeckung grosser vorzeitlicher Knochen und Versteinerungen festigte bis in die frühe Neuzeit die Vorstellung von ausgestorbenen Riesengeschlechtern. Die Abbildung aus Athanasius Kircher 1678, S. 59, zeigt die damals verbreitete These vom Riesenstadium, welches die Menschheit auf ihrem Weg zum Normalwuchs durchschritten habe. Insbesondere das im Buch Mose erwähnte Riesengeschlecht und die Riesen Goliath, Gog und Magog, die in der Bibel namentlich genannt werden, nährten entsprechende Thesen. Noch im 18. Jahrhundert wurden die Knochen einer Riesin auf verschiedene Kirchen Europas verteilt und dort religiös verehrt.

Solche Beobachtungen und der damit verbundene Glaube

bis sich ein Familienvater aus Verzweiflung über seine bittere

an Drachen und andere Ungeheuer erhielten durch Präparate,

Armut in den unterirdischen Gang wagte. Dort begegnete er

wie die in Basel zur Schau gestellten Überreste eines Basilisken,

Skelettresten und anderen Abscheulichkeiten, die ihn derart

immer wieder neue Nahrung.

schockierten, dass er wenige Tage nach seiner Expedition ver-

Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts beginnt man, die

starb.

Geschichte losgelöster von den biblischen Vorstellungen zu

Die Fabel von der Augster Schatzhöhle kursierte in den

betrachten. Dazu trägt das Studium von römischen Autoren

verschiedensten Versionen. Sie war noch im 17. Jahrhundert

bei, deren Schriften damals wiederentdeckt werden. Über die

lebendig und hat auch in die modernen Sagenbücher Eingang

sichtbaren Ruinen von Augusta Raurica, die in Schriftquellen

gefunden.9

des 14. Jahrhunderts als «heydesches (heidnisches) Gemür»6

Von einer Schatzhöhle und der wundersamen Schatzgrä-

bezeichnet sind, zieht der Basler Dominikanermönch Felix Fabri

bergeschichte berichtet auch Basilius Amerbach in einem Brief

in seiner 1488 verfassten Descriptio Sveviae (Beschreibung

von 1588.10 Nach seiner Variante handelt es sich beim Schatz-

Schwabens) als Erster die richtige Schlussfolgerung. Er identi-

sucher um Lienimann, einen armen Schuhmacherknecht aus

fiziert sie als die untergegangene Römerstadt Augusta Raurica

Basel. Dieser überlebt die unheimliche Reise in die Unterwelt

und erwähnt, dass dort früher «Schätze gesucht und sogar

unbeschadet – trotz Begegnungen mit einer verzauberten, ins

gefunden wurden».7 Die ersten ‹Ausgrabungen› auf Basler

Unermessliche anwachsenden Jungfrau und einem schatzbe-

Boden, der bis zur Kantonstrennung von 1833 auch die meis-

wachenden Hund – und kehrt reich beschenkt nach Hause

ten Gemeinden des heutigen Baselbiets und Fricktals umfasste,

zurück. Obwohl Amerbach die Geschichte vom wagemutigen

wurden demnach nicht von Forschern durchgeführt, sondern

Lienimann als «läppisches Getratsche» abtut, scheint der sa-

von Schatzsuchern!

genhafte Römerschatz seinen Forschergeist angestachelt zu

16

S CH ATZ G R Ä B E R , S A MM L E R U N D G EL EHRTE


haben. Wie er seinem Freund mitteilt, hat er die Örtlichkeit bereits zweimal besucht und mit Hilfe von Bergknappen Untersuchungen durchführen lassen. Amerbachs Ambivalenz gegenüber der Schatzgeschichte wird deutlich, wenn er schreibt, dass bei den Untersuchungen auch ein eisernes Hundehalsband ausgegraben wurde. Damit schien ihm zumindest dieser Teil der Geschichte plausibel. Zudem muss er eingestehen, dass ihm bereits sein Vater Bonifacius von Lienimann erzählt hat, der Münzen hier- und dorthin verschleuderte. Er vermutet deshalb, dass sich in der vom Vater geerbten Münzsammlung das eine oder andere Stück aus der Schatzhöhle befinden könnte.

1626 wurde bei Arbeiten an der Befestigung Kleinbasels ein Schatz aus burgundischen Kupfermünzen des frühen 15. Jahrhunderts entdeckt. Die Fundumstände hat Remigius Faesch auf Lateinisch in einem Einwickelpapierchen festgehalten: «Huius generis numismatu(m) / A(nno) C(hristi) 1626 extra moenia / urbis nostris minoris magna re- / perta copia, dum urbis muniendae / gratia murus perfoteretu(ur)».

Aus heutiger Sicht wirkt Amerbachs Haltung wider-

Die magische Schatzgräberei war vom 16. bis zum

sprüchlich. Sie ist aber charakteristisch für eine Zeit, in der

18. Jahrhundert ein weitverbreitetes Phänomen: In Basel häufen

die wissenschaftliche Forschung in den Kinderschuhen steckte

sich die Prozesse vor allem in der ersten Hälfte des 18. Jahr-

und das Weltbild noch von mittelalterlichen Vorstellungen

hunderts. Ab der Jahrhundertmitte werden praktisch keine

durchdrungen war. Es existierten unterschiedliche Systeme der

Fälle mehr gerichtlich geahndet, was darauf hindeutet, dass die

Welterklärung nebeneinander, wobei Bibelgläubigkeit, Wissen-

Behörden anfangs besonders sensibel auf diese Spielform des

schaft und Volksglauben einander (noch) nicht ausschlossen.

Aberglaubens reagierten und später das Interesse daran ver-

Versagten die wissenschaftlichen Erklärungsversuche, griff man

loren. Für den fraglichen Zeitraum ist jedoch auch ein gestei-

auf altbekannte Deutungsmuster zurück, und dazu gehörten

gertes Interesse weiter Bevölkerungskreise an Schatzgräberei

auch Magie und Zauberei! Wie bereits Johannes Stumpf 1548

auszumachen. Dieses lässt sich wirtschaftlich begründen. Nach

berichtet, stand der Augster Römerschatz öfters im Zentrum

Aussage vieler Delinquenten war Armut ihre Triebfeder zum

solcher Rituale: «Man sagt, das vil Schwarzkünstler und Teüfel-

Schatzgraben. In einer Zeit grossen wirtschaftlichen Auf-

beschweerer (denen doch der Teüfel ir Kunst zubewaeren bil-

schwungs, von dem nur wenige profitierten, suchte offen-

lich platz geben soelte) disen verwendten Schatz vergebens ge-

sichtlich mancher weniger Begüterte die Verheissung nach

suocht und sich darob genaerret haben.»11 Gerade weil viele

Reichtum und schnellem Glück im Boden.

Schatzsuchen mit magischen und pseudochristlichen Ritualen

Die zahlreichen Ruinen und Burgstellen der Region Basel

einhergingen, sind sie überhaupt überliefert. Denn als Schatz-

wirkten auf die Schatzsucher besonders anziehend. Ebenso

wächter galt gemeinhin der Teufel, der vor einer Schatzbergung

erfolgversprechend schien das Graben in bestimmten Äckern

gebannt werden musste. Die Magier und Schwarzkünstler

und Wiesen zu sein. Bereits Johannes Stumpf berichtet 1548

wurden von den Behörden verfolgt und die Verfahren in Pro-

von Münzfunden in der an archäologischen Zeugnissen

zessakten dokumentiert.

reichen Landschaft Basel.13 Immer wieder wurden grössere

‹Reguläre› Schatzgräberei war in Basel nicht verboten –

Münzschätze entdeckt: So etwa 1516 bei der Ruine Landskron,

im Gegenteil. Bereits 1514 erlaubte die Basler Regierung das

1597 in Titterten, 1626 in Kleinbasel oder 1674 beim All-

Graben nach Schätzen in Augst und stellte dafür eine Regelung

schwiler Weiher.14 Ebenso dürfte die Kunde von der Entdeckung

auf. Die Ausbeute musste nach Abzug der Grabungskosten zur

einer vermeintlichen Münzwerkstatt 1761 in Augst oder das

Hälfte dem Staat überlassen werden.

‹Geldfeld› von Nunningen Begehrlichkeiten geweckt haben.15

12

Schatzsuche in der Landschaft Basel konnte also durchaus

SCHATZG RÄBER, SAM MLER UND GELEHRT E

17


Eine grössere Anzahl Goldmünzen wurde im Jahr 1937 in einem Blindboden im damaligen Restaurant Blumenraineck an der Petersgasse 2 gefunden. Alle Münzen stammen aus dem deutschsprachigen Raum, die jüngste datiert ins Jahr 1508. Zuoberst auf dem Stapel liegt ein Gulden der Reichsstadt Nürnberg mit dem Heiligen Laurentius.

lohnend sein. Zwar waren die meisten Entdeckungen nicht das Ergebnis einer gezielten Suche, sondern beruhten auf Zufall, doch versuchte so manch ein Schatzjäger mit magischen Ritualen etwas nachzuhelfen. Wie viele solcher Versuche tatsächlich stattgefunden haben, bleibt unbekannt. Sowohl Fälle von Schatzgräberei als auch die damit einhergehenden Geisterbeschwörungen haben Eingang in Sagen und Legenden gefunden, wobei sich Legendenbildung und wirkliche Schatzsuchen gegenseitig durchdrangen. Dies lässt sich nicht nur am Beispiel der Augster Schatzhöhle belegen. Prominente Beispiele dafür sind auch der Münzfund von der Burg Reichenstein (BL) 1851 und die beiden 1854 /1855 entdeckten Münzschätze aus der Basler Hard (heute Muttenz).16 Beispielhafte Details über den Ablauf von solchen Schatzbeschwörungen finden sich in den Verhörprotokollen zu zwei Fällen, die sich 1727 in Augst und vor dem Steinentor in Basel zugetragen haben.17 Rädelsführer ist bei beiden Grabungen Jacob Schaffner, ein 24-jähriger Schuhmacherknecht aus Basel. In dunkler Nacht trifft sich eine Gruppe Eingeweihter am vereinbarten Ort. Der Anführer markiert die vermutete Schatzzone mit einem Kreis, den er mit seinem Degen auf den Boden ritzt. Nun müssen sich die beteiligten Personen innerhalb des Kreises aufstellen. Der Zeremonienmeister sorgt für den korrekten Ablauf der Schatzbeschwörung und liest während einiger Stunden Gebete aus einem ‹Kunstbuch› vor. Zugleich schreibt der Anführer das erste Kapitel aus dem Johannesevangelium mehrfach ab und legt die Zettel in vier Ecken auf den Boden, die er mit geweihten Kerzen markiert. Es herrscht ein absolutes Redeverbot. Zum Schluss wird im Namen von Gott-Vater, Sohn und Heiligem Geist ein Loch gegraben. Das erhoffte Ergebnis blieb leider aus. Bei der Basler Schatzbeschwörung kam der Ehefrau eines Beteiligten eine Schlüsselrolle zu. Mit Hilfe eines Spiegels wollte sie einen Geist und sogar den Schatz bereits vor der Grabung gesehen haben. An Geistersehern und Schatzspürern scheint in der Region Basel kein Mangel geherrscht zu haben. Dabei war die Grenze zwischen ehrlicher Überzeugung vor den eigenen übersinnlichen Fähigkeiten und betrügerischen Machenschaften sicher fliessend. Die Schatzsucherei bot sich für Betrügereien geradezu an. So wurden nicht nur die ländliche Bevölkerung, sondern auch Basler Ratsherren Opfer von mehr oder weniger raffinierten Scharlatanen, die vom Aberglauben der Leute profitierten. In den Basler Gerichtsfällen ist interessanterweise nie von Hexerei die Rede, selbst wenn noch so abstruser Hokuspokus betrieben wurde. Vielmehr werteten die Behörden die Delikte meist als Aberglauben oder Gotteslästerung, die sie gerne auf mangelnde Bildung und ein falsches Religionsverständnis zurückführten.


Forscher und Sammler 1582 ist eine Gruppe deutscher Bergwerksarbeiter in ungewöhnlicher Mission unterwegs. Sie sollen die rätselhaften Trümmer der neun Thürme in Augst untersuchen, wo gemäss sagenhafter Überlieferung in einem unterirdischen Gewölbe ein Römerschatz vermutet wird. Damit beginnt die erste wissenschaftliche Ausgrabung nördlich der Alpen. Die Bergknappen sind Angestellte von Andreas Ryff (1550 –1603), der die Ausgrabungen im Auftrag von Basilius Amerbach (1533–1591) leiten wird. Die geplanten Untersuchungen sind zuvor vom Basler Rat bewilligt worden, der sich zusammen mit namhaften Bürgern sogar finanziell an den Arbeiten beteiligt. Von ihrem Engagement erhoffen sich alle Investoren eine Gewinn bringende Ausbeute. Der Grabungsleiter scheint für seine Aufgabe prädestiniert, führt er doch mit grosser Geschäftstüchtigkeit die Silberbergwerke seiner Ehefrau in den Vogesen, wo auch das Silber Ausschnitt aus dem Münz- und Mineralienbuch des Andreas Ryff, um 1594: Er zeigt einen Rutengänger und verschiedene Bergbautechniken wie den Abbau mit Treibfäusteln und Keilen, die Schachtförderung mit der Kreuzhaspel und die Stollenförderung mit Wagen und Karren. Ryffs Münzen- und Medaillensammlung wird heute zusammen mit einem Münzschrank von 1592, der eigens dafür angefertigt worden war, im Historischen Museum Basel aufbewahrt.

zur Herstellung der Basler Münzen gewonnen wurde. Die pro-

Ryff in ihre Sammlungen integriert haben. Während Andreas

funden Kenntnisse von Bergbau und Abbautechniken machten

Ryff ganz im Geiste seiner Zeit eine grosse Münz- und Me-

Ryff und seine Bergknappen tatsächlich zum idealen Ausgra-

daillensammlung aufbaute und daneben Mineralien sammelte,

bungsteam. Jedenfalls werden ihre Untersuchungen bis zum

waren Amerbachs Interessen vielschichtiger. In seinem Kunst-

heutigen Tag als Pionierleistung in der Schweizer Archäologie

und Kuriositätenkabinett vereinte er neben archäologischen

gewürdigt.

Funden auch Kleinplastik, Gemälde, Grafik, Goldschmiede-

In den ersten Ausgrabungsjahren entdeckten die Berg-

arbeiten und Kuriositäten aus der Region am Oberrhein.

knappen nebst vielem anderen einen Inschriftenstein und

Zudem baute er die vom Vater geerbte Münzsammlung, die

legten einen Mosaikboden sowie verschiedene Pfeiler und

auch Bodenfunde aus der Region enthält, mit Sachverstand

Fundamente frei.18 Doch erst Nachgrabungen in den Jahren

aus. Über seine Erwerbungen führte er akribisch Buch und

1588 und 1589 brachten das erhoffte Resultat. Denn Basilius

korrespondierte darüber mit Kennern und Gelehrten in ganz

Amerbach war weniger am sagenhaften Römerschatz interes-

Europa.19 1661 erwarb der Basler Rat das Amerbach-Kabinett

siert als an der exakten Untersuchung und Deutung der Rui-

für die Universität und machte es zehn Jahre später als erste

nen. Er liess die freigelegten Mauern vom Kunstmaler Hans

öffentliche Sammlung eines bürgerlichen Gemeinwesens dem

Bock vermessen und zeichnen. Das umsichtige Vorgehen hat

Publikum im Haus zur Mücke (heute Schlüsselberg 14) zu-

sich gelohnt: Amerbach kann die in zeitgenössischen Schrift-

gänglich.

quellen als heidnische Gemäuer und als Burg bezeichneten

Kunst- und Naturaliensammlungen sind ein Phänomen

Ruinen richtig als Reste eines römischen Theaters identifizie-

des 16. bis 18. Jahrhunderts. Ihre Erscheinungsformen sind so

ren. Aus diesen Grabungskampagnen sind die Zeichnungen

vielfältig wie die Bezeichnungen, die man ihnen gab: Kuriosi-

und Notizen erhalten, aber auch Funde, die Amerbach und

tätenkabinett, Schatz-, Naturalien- oder Kunstkammer. Wohl-

SCHATZG RÄBER, SAM MLER UND GELEHRT E

19


sich die vollständigste aller Naturaliensammlungen befunden habe.20 Und so verkehrt sich der erste Eindruck einer frühneuzeitlichen Wunderkammer in sein Gegenteil: Was auf den modernen Betrachter als Sammelsurium wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als systematisch und tiefgründig. Basilius Amerbach ist nicht nur ein Wegbereiter der wissenschaftlich ausgerichteten Archäologie, sondern er legte mit seiner Sammlung auch den Grundstein für drei grosse Basler Museen: das Historische Museum, das Kunstmuseum und das Naturhistorische Museum.

Vorbild Antike Basilius Amerbach lebte in einer Zeit, in der gebildete Kreise in Europa die Erneuerung von Kultur und Künsten nach dem Vorbild der Antike anstrebten. Die Bewegung, die von Italien ausging, erhielt später die Bezeichnung Renaissance (Wiedergeburt). Herausragende Autorität im literarisch-künstlerischen Schaffen und im philosophisch-historischen Denken war die griechisch-römische Antike mit ihren Autoren. In Basel als Zentrum des Buchdrucks verkehrten im 16. Jahrhundert Gelehrte aus ganz Europa, die sich nicht nur mit den antiken Schriftstellern, sondern auch mit den Altertümern der Region auseinanderzusetzen begannen. Zwar galt ihr Interesse vor allem Augst bei Basel, dessen Ruinen sie beschreiben und zu Basilius Amerbach schreibt 1589: «… zu Augst ist die Ruine eines grossen Gebäudes entdeckt worden … Ich vermuthe ein Theater oder Amphitheater … Es wurde ein Stein mit der Inschrift M. IVLI ausgegraben.» Leider ist dieser Inschriftenstein heute verschollen. Glücklicherweise hat ihn jedoch Charles Patin 1673 in seinen Quatre Relations Historiques, S. 140–141, zusammen mit einer Ansicht des Augster Theaters abgebildet.

habende Fürsten, aber auch reiche Bürger in ganz Europa

deuten versuchen. Doch nennen sie auch Fundstellen im Stadt-

legten sich solche Kabinette zu Repräsentations-, Bildungs-

gebiet und spekulieren über die Anfänge von Basel. Die frühes-

und Erbauungszwecken an. Üblicherweise umfassten solche

ten Fundmeldungen stammen vom Münsterhügel und vom

Kabinette natürliche und künstliche (also von Menschen ge-

Holee, wo heute die Grenze zwischen Basel und Binningen (BL)

schaffene) Gegenstände aus möglichst vielen Bereichen. Alles

im Bereich der Holeestrasse verläuft. Dort kamen zu Beginn

was wertvoll war, merkwürdig erschien, Seltenheitswert besass,

des Jahrhunderts römische Münzen, Grabsteine und Sarko-

einer Erklärung bedurfte oder nähere Untersuchungen recht-

phage zum Vorschein.21 Eine Chronik von 1493 beschreibt

fertigte, wurde zusammengetragen – doch keineswegs wahl-

erstmals archäologische Denkmäler in Basel: «… wiwol in

los. Denn das Ziel bestand darin, in einem solchen Kabinett

dieser … alten statt vil anzaigung und uberbleibung ser alter

die Schöpfung begreifbar zu machen. Im Kleinen sollte eine

gepew erscheinen, so sind doch dieselben auss pawfelligkeit

Ordnung entstehen, die als Erklärungsmuster für das Grosse

und erdpidem, auch auss alter, also entstelt, das man nicht

gelten konnte. In den theoretischen Abhandlungen zum Thema

erkennen kan, was gestaltnus und zu welchem geprauch die-

wird immer wieder auf die Arche Noah verwiesen, auf der

selben gepewe gemacht gewesen seyen.»22

20

S CH AT Z G R Ä B E R , S A MM L E R U N D G EL EHRTE


1518 wurde in Basel das Geschichtswerk des spätrö-

Basler Rat gegenüber dem Rathaus ein Gemälde des neu er-

mischen Historikers Ammianus Marcellinus gedruckt. Dieser

korenen Stadtgründers anbringen. Dieses wurde 1580 durch

erwähnt, dass Kaiser Valentinian (364–375) bei Basel eine

eine Statue im Hofeingang des Rathauses ersetzt, die den Platz

Festung errichten liess: «… munimentum … prope Basiliam

bis heute ziert (s. S. 204). Als Reminiszenz an die alte Grün-

Ob Robur den Befesti-

dungssage, laut der sich der Name Basel von einem Basi-

quod apellant accolae Robur … .»

23

gungsbau bezeichnet oder der ältere einheimische Name von

lisken herleitet, trägt die Statue einen Helm mit Basilisk.

Basel ist, bleibt bis heute umstritten. Jedenfalls handelt es

Im selben Jahr erschien die grosse Basler Chronik des Uni-

sich um die älteste Nennung des Namens Basel. Die Textstelle

versitätsprofessors Christian Wurstisen, in der er die Forschungs-

löste bei den Basler Gelehrten grosse Betriebsamkeit aus.

resultate eines ganzen Jahrhunderts zusammenfasst. Dieses

Während des ganzen 16. Jahrhunderts bemühten sie sich um

Buch blieb bis um 1800 das Hauptwerk zur Basler Geschichte.

die Lokalisierung dieser Festung und haben dafür manchen

Die Ausführungen der Gelehrten des 16. Jahrhunderts

Platz in Anspruch genommen – vom Basler Münsterhügel bis

über die Altertümer der Region Basel bleiben theoretischer

zum Wartenberg in Muttenz –, Hauptsache, es fanden sich

Natur. Immerhin dürften die meisten von ihnen ihre For-

dort Spuren von Wehranlagen.24 Ähnlich verfuhren sie mit

schungsobjekte aus eigener Anschauung gekannt haben. Wie

Arialbinnum, das auf römischen Strassenkarten des 3. und

Theodor Zwinger 1577 schreibt, gehörte Basel neben Padua,

4. Jahrhunderts eingezeichnet ist. Die Station liegt zwischen

Paris und Athen zu den vier grossen Bildungsstätten Europas,

Kembs und Augusta Raurica, kann aber mangels Distanzan-

dessen historische Sehenswürdigkeiten (insbesondere Augusta

gaben auf den Karten nicht genau lokalisiert werden. Der Ver-

Raurica) unbedingt besucht werden sollten. Viele dieser Be-

such, antike Quellen und archäologische Denkmäler mitei-

sucher haben zum Andenken oder für ihre Privatsammlungen

nander zu verknüpfen, gipfelte in den phantasievollen Thesen,

Fundgegenstände erworben, so wie Zwinger selbst oder auch

dass es sich beim Basler Holee um das in der Notitia dignita-

Christian Wurstisen. Letzterer kaufte einem Bauern eine Rö-

tum aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts erwähnte Castell

mermünze ab, die 1581 in Therwil (BL) gefunden worden

Olinonis handle und dass der Salzturm und das Rheintor

war, und schenkte sie seinem Kollegen Basilius Amerbach.

(beide mittelalterlichen! Bauwerke standen in der Nähe der mittleren Rheinbrücke) römischen Ursprungs seien.25 Die Spekulationen des 16. Jahrhunderts werden von der

Plünderer und Fälscher

heutigen Forschung nicht mehr aktiv weiterverfolgt. Für die meisten Zuschreibungen fehlt nämlich jeglicher wissenschaft-

Das 17. Jahrhundert in der Region Basel war geprägt

liche Beweis – mit einer Ausnahme! 1973 kamen am Klein-

von vier Pestepidemien, dem Dreissigjährigen Krieg (1618 –

basler Rheinufer die Überreste einer spätrömischen Wehran-

1648) und von Hungersnöten. Unter den erschwerten Lebens-

lage zum Vorschein, bei der es sich durchaus um das Valen-

bedingungen erlosch das Interesse an den lokalen archäolo-

tinianische Festungswerk handeln könnte (s. S. 197). 1528 weist Beatus Rhenanus, der in Basel als Herausgeber von antiken Autoren wirkte, auf das Grabmal des Munatius Plancus in Gaeta (Süditalien) hin. In der Grabschrift rühmt sich der verstorbene Feldherr, die Colonia Raurica gegründet zu haben. Rhenanus war davon überzeugt, dass Basel die Nachfolgerin der untergegangenen Kolonie sei. Eine These, welche viele seiner Zeitgenossen unterstützten. Deshalb liess der Die hier abgebildeten Statuetten wurden vom 16. bis zum 19. Jahrhundert von verschiedenen Sammlern erworben: Jede hat einen Doppelgänger, woran sich die Fälschung einfach erkennen lässt. Drei dieser Figuren sollen angeblich in Augst gefunden worden sein. Wie wir heute wissen, stammen die Vorlagen dazu aus Italien. Von der Statue im Vordergrund aus der Sammlung Amerbach ist sogar das Wachsmodell der Nachahmung erhalten (dritte Figur von links).

SCHATZG RÄBER, SAM M L ER UND GELEHRT E

21


gischen Zeugnissen fast vollständig – ausser sie warfen Gewinn

binette waren unter den Gebildeten Europas bekannt und ha-

ab. Nun sind es vor allem Bauern und arme Leute, die versu-

ben viele Besucher angezogen. Dazu gehörte auch der Franzose

chen, ihre materielle Not mit dem Verkauf von Bodenfunden

Charles Patin, einer der bekanntesten Numismatiker seiner

zu lindern. Ihre ‹Ausgrabungen› verlaufen entsprechend ziel-

Zeit. Im Jahr 1670 besichtigte er die Trümmer von Augusta

orientiert. Die Theater-Ruinen, die Andreas Ryff und Basilius

Raurica und erwarb dort von Bauern Münzen für die eigene

Amerbach hatten freilegen lassen, weckten die Begehrlichkeiten

Kollektion. Er hatte fünf Jahre zuvor das erste Handbuch für

der Anwohner und boten Jahrhunderte lang Anlass für um-

Münzsammler verfasst und gab 1671 ein grosses Werk über

fangreiche Steinbeuterei. «… man hat unzehlich viel mechtige

römische Münzen heraus. Seine Eindrücke über Basel und

Stein da gefunden / hübsch Seulen / und andere viel Sachen

Augusta Raurica, die er in Reiseberichten festhielt, stehen

so zum theil gen Basel verführet und an Gebew (der Statt zur

jedoch hinter den Erkenntnissen des 16. Jahrhunderts weit

zier) verwendet worden», schreibt etwa Sebastian Münster

zurück, gehören aber zu den wenigen erhaltenen Schriftstücken

1598.26 Die Steine werden aus den Ruinen herausgebrochen,

des 17. Jahrhunderts, die von Altertümern in der Landschaft

zu Kalk gebrannt oder per Schiff nach Basel verfrachtet. Bis

Basel handeln.

die Basler Obrigkeit die ersten Schutzmassnahmen trifft, um

Die Nachfrage nach archäologischen Funden bedeutete

die weitere Ausbeutung des Terrains zu verhindern, vergehen

eine Gewinn bringende Einnahmequelle. Den Sammlern wur-

fast anderthalb Jahrhunderte. Noch im späteren 18. Jahrhun-

den jedoch nicht nur Originale verkauft, sondern auch Fäl-

dert verkaufen Einwohner aus Augst römische Steine nach

schungen untergejubelt. Keine der im Historischen Museum

Basel für den Bau des dortigen Waisenhauses und die Mühle

Basel erhaltenen ‹alten Sammlungen› ist frei von Kopien oder

im St. Albantal. Solche Spoliensteine aus Augusta Raurica

Fälschungen. Bereits im Amerbach’schen Kabinett finden sich

lassen sich in Basel bis heute entdecken.

Bronzestatuetten, die im 16. Jahrhundert hergestellt und durch

Finanziell unberührt von der desolaten Wirtschaftslage

gezielt herbeigeführte Schäden auf antik getrimmt wurden.

verwirklichte der Basler Rechtsprofessor Remigius Faesch

Andere Objekte kopieren antike Vorbilder und stammen ver-

(1595–1667) ein grosses Kunst- und Raritätenkabinett. Es ver-

mutlich grösstenteils aus Werkstätten in Oberitalien. Dank

einigt mehr als 8000 Münzen und Medaillen, darunter auch

eines von Amerbach sorgfältig geführten Geschenkverzeich-

einen Münzschatzfund aus Kleinbasel (s. S. 17) und Dutzende von

nisses wird deutlich, dass er nicht (immer) Fälschern aufge-

Fundstücken aus Augst.27 Die Sammlung mit ihren Tausen-

sessen ist, sondern solche Nachahmungen auch ganz bewusst

den von Büchern und Kupferstichen, den zahlreichen Gemäl-

in seine Sammlung integriert hat. Ein Geschenk von Stadtarzt

den, Holzschnitten, Kuriositäten und Naturalien ist zusam-

Felix Platter, einem ebenso passionierten Antiquitätensamm-

men mit dem Amerbachkabinett die bedeutendste unter den

ler, katalogisiert er wie folgt: «Ein zerprochener Jupiter bild-

zahlreichen Basler Wunder- und Kunstkammern. Beide Ka-

lin vom mossin (Messing) nachgmacht durch Hans Michel

22

S CH AT Z G R Ä B E R , S A MM L E R U N D G EL EHRTE


Das bedeutende Kriegerrelief aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. wurde als Spolie in der spätrömischen Kastellmauer hinter dem Domhof am Münsterplatz 12 verbaut. Weil aus Basel bislang kaum römische Grosssteinbauten bekannt sind, könnte auch dieses Relief aus Augusta Raurica stammen. Die römischen Ruinen in Augst wurden bis ins 18. Jahrhundert gezielt geplündert, um Baumaterial zu gewinnen.

bildhower … .»28 Dieser Basler Bildhauer, der auch der Schöpfer der überlebensgrossen Munatius-Plancus-Statue im Hof des Rathauses ist, schenkte Amerbach das zerbrochene Bildnis eines Jupiters aus Alabaster, das er nach einem antiken Vorbild geschaffen hat. Solche Renaissancekopien waren hochgeschätzte Prunkstücke in den frühen Sammlungen und den Originalfunden nahezu ebenbürtig. Um ‹richtige› Fälschungen – also Stücke, die in betrügerischer Absicht hergestellt wurden – handelt es sich bei einer Reihe nahezu identischer Bronzestatuetten mit angeblichem Fundort Augst, die augenscheinlich gemeinsame Vorbilder haben. Auch Renaissancebronzen und echte Antiken aus Italien oder Ägypten wurden den Basler Sammlern untergeschoben, in dem man ihneneine lokale Herkunft aus Augusta Raurica vorgegaukelt hat.29 Die beachtliche Zahl von Fälschungen gerade in Sammlungen des 18. und 19. Jahrhunderts ist ein untrügliches Zeichen für die wachsende Bedeutung, die der Antike und insbesondere der Ruinenstadt Augusta Raurica in jener Zeit wieder zukam.

Daniel Burckhardt-Wildt hat seine bis 1780 mit Hilfe von «hiesigen und auswärtigen Händlern sowie Bauern in Augst» zusammengetragenen Fundstücke auf 54 Tafeln in Zeichnungen wiedergegeben. Die Nummerierung lässt den Schluss zu, dass er beabsichtigte, die Stücke zu beschreiben. In einem Ausgabenbuch für seine Kuriositätensammlung hat er den Kaufpreis und die Namen der Verkäufer notiert. Abgebildet ist die Tafel 11 aus den Delineationes Antiquitatum Aegyptiacarum et Romanorum ex Collectione Danielis Burcardi mit Terra-Sigillata-Scherben aus Augst sowie die Seite 26 aus dem Ausgabenbuch von 1770–1786.

Sehnsucht Antike

zu. Aber immer noch begann die Geschichte in der Römerzeit. Einige Mitglieder der Deutschen Gesellschaft Basel machten

Die beiden geistigen Hauptströmungen des 18. Jahrhun-

sich um die Erforschung ihrer Heimatstadt sehr verdient, allen

derts – Aufklärung und Klassik – brachten der Archäologie

voran der Archivar Daniel Bruckner (1707–1781), der die erste

wesentliche Erkenntnisschübe. Basel entwickelte sich zu einer

umfassende Landeskunde der Region erarbeitet hat. In 23 Bän-

Hochburg von Sammlern, die aus naturwissenschaftlichem

den spürte er den «Merkwürdigkeiten der Landschaft Basel»

Interesse systematisch Versteinerungen und Naturalien zusam-

nach, worunter er historische, archäologische, naturkundliche

mentrugen. Viele unter ihnen sammelten nebenher auch Ar-

und volkskundliche Zeugnisse verstand. Den letzten Band sei-

chäologica aus der Region. Die neuen Spezialsammlungen

nes Werks widmete er Augst, wo er die römischen Altertümer

des 18. Jahrhunderts bilden die Brücke zwischen den älteren

nach dem Vorbild seines Elsässer Kollegen Daniel Schöpflin

Raritätenkabinetten und den modernen Museen des 19. Jahr-

dokumentierte, der 1751 als Erster einen Übersichtsplan der

hunderts. Im Zuge der Aufklärung begannen viele Gelehrte,

Augster Ruinen publiziert hat. Bruckner fasste nicht nur den

sich wieder auf die eigene Geschichte zu besinnen. In Basel

Wissensstand bis zum 18. Jahrhundert zusammen, sondern

wandte sich die 1742 gegründete Deutsche Gesellschaft zur

liess auch Ausgrabungen auf eigene Kosten durchführen, um

Förderung der Deutschen Sprache alsbald der Lokalhistorie

seine Interpretationen zu überprüfen. Er beschrieb zudem auch

SCHATZG RÄBER, SAM MLER UND GELEHRT E

23


24

DA S F R Ü H MITTE LA LT E R


Fundstücke aus Augst, die Daniel Bruckner im 23. Band seiner Merkwürdigkeiten der Landschaft Basel von 1763 beschrieben hat. Seine archäologische Sammlung wird heute im Historischen Museum Basel aufbewahrt.

alle Basler Sammlungen, die römische Antiken aus Augst

waren. Eine Publikation des deutschen Archäologen Johann

enthalten.30 Wie wir heute wissen, befinden sich unter den

Joachim Winkelmann (1717–1768) machte sie in ganz Eu-

Fundstücken, die pauschal Augst zugeschrieben wurden, auch

ropa populär und löste ein wahres Antikenfieber aus. Die

Bodenfunde aus der Stadt Basel.

Auseinandersetzung von reichen Baslern mit dem Altertum

Bruckner selbst besass ein reichhaltiges Antiquitäten-

beschränkte sich allerdings oft auf das Ausstellen von Archi-

und Naturalienkabinett, das die Basler Regierung 1778 für

tekturteilen und wertvollen Funden zur eigenen Erbauung und

die öffentliche Sammlung der Universität erworben hat. Es

zum Schmuck von Villen und Gärten. Vermögende Einzel-

diente ihm nebst den Fossilien aus anderen Basler Sammlungen

personen erwarben Grundstücke in Augst und liessen dort auf

als Beleg für die damals heftig diskutierte These, dass Ver-

eigene Kosten nach Antiken suchen. Andere beteiligten sich

steinerungen Zeugen der Sintflut seien: Entweder ist «unser

an so genannten Subscriptionen, die den Geldgebern von Aus-

Land vor der allgemeinen Sündflut Meer gewesen» oder aber

grabungen einen Anteil an der Ausbeute sicherten. In diesem

die heute versteinerten Tiere wurden von den «Flutten der

Umfeld wird die Römerstadt – das ‹lokale Pompeji› vor den

Sündflut ... zu uns gebracht».

Toren Basels – regelrecht geplündert.

31

Weil viele der abgebildeten und besprochenen Fossilien

Ein typischer Vertreter dieser romantischen Geisteshal-

und archäologischen Funde heute noch als Hinterlassenschaft

tung war der Seidenbandfabrikant Johann Rudolf Forcart-Weiss

aus verschiedenen Kabinetten Basler Gelehrter und Sammler

(1729–1834). Er residierte in einem schlossartigen Gebäude,

im Historischen Museum Basel und im Naturhistorischen

dem Württembergerhof, an dessen Stelle heute das Basler Kunst-

Museum Basel vorhanden sind, gilt das Buch als wahre Fund-

museum steht. Zum Anwesen gehörte ein weitläufiger Gar-

grube für die Forscher aller beteiligten Disziplinen.

ten, den er vom französischen Revolutionsflüchtling und Archi-

Unter den zahlreichen Basler Sammlern des 18. Jahrhun-

tekten Aubert Parent (1753–1835) etappenweise gestalten liess.

derts sticht eine weitere Persönlichkeit heraus, die versuchte,

Um den Garten mit Antiken und einer romantischen Felsen-

eine Antikensammlung im neuen wissenschaftlichen Geist an-

grotte auszustatten, führte Parent mehrere Ausgrabungen in

zulegen. Daniel Burckhardt-Wildt (1752–1819), Sohn eines

Augst durch.33 Das Gelände mit dem Heiligtum in der Grien-

reichen Basler Seidenbandfabrikanten, sammelte bereits als

matt gehörte seinem Auftraggeber, und für das Material zum

Knabe Versteinerungen und kaufte mit seinem Taschengeld

Bau der Grotte durfte er sogar auf Staatsland graben. Der

Fundstücke aus Augst, die Baselbieter Milchmänner und Markt-

Aufwand hat sich gelohnt – der Forcartsche Garten wird

bauern in der Stadt feilboten. Als Erwachsener konnte er

zu einer der Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt Basel. Ein

sich unbelastet von materiellen Sorgen ganz seiner Sammel-

Reiseführer von 1840 lobt: «Besonders interessant wird er

leidenschaft hingeben. Vorbild für die Ordnung seiner Samm-

[der Forcartsche Garten] durch zahlreiche Bautrümmer und

lung war die Systematik des französischen Archäologen Anne-

sonstige Antiquitäten (Münzen u. dgl.) aus dem nahen Augst,

Claude-Philippe de Thubières, Comte de Caylus (1692–1765),

wie zum Beispiel die oben erwähnte Grotte durch Säulen des

der die antike Kunst nach Unterschieden in ihrer regionalen und

dortigen Jupitertempels unterstützt wird und im Innern mit

zeitlichen Entwicklung unterteilte. Caylus veröffentlichte dazu

Friesstücken und Capitälen (aus der Zeit Aurelians) desselben

als einer der Ersten systematische Sammlungskataloge, in denen

Gebäudes geschmückt ist. Auch finden sich mehrere Antiqui-

er die Fundstücke nicht nur abbildete und beschrieb, sondern

täten, Münzen u. dergl. in einem Pavillon aufgestellt. Es wird

auch Material und Masse sowie technische Besonderheiten re-

mit anerkennungswerther Freundlichkeit dem Fremden der

gistrierte. Seinen sammelnden Zeitgenossen in Basel weit vo-

Zutritt gestattet.»34 Die Grotte wurde bald nach dem Bau der

raus, versuchte Burckhardt-Wildt, die Systematik von Caylus

Dufourstrasse um 1900, die einen beträchtlichen Teil des

auf die eigene kleine Kollektion zu übertragen.32 Er führte über

Gartens zerstörte, abgebrochen. Die römischen Säulen und

seine Erwerbungen genau Buch und hielt viele der gekauften

Fundstücke verfrachtete man ins Historische Museum Basel.

Antiken in einem selber gezeichneten Tafelband fest. Von

Von dort gelangten sie übrigens wieder zurück nach Augst als

keiner anderen zeitgenössischen Antikensammlung in Basel

Dauerleihgaben ans 1957 gegründete Römermuseum.

besitzen wir einen vergleichbaren Sammlungskatalog.

Der Forcartsche Garten widerspiegelt in eindrucksvoller

Wichtige Impulse erhielt die archäologische Forschung

Weise die geistige und materielle Haltung des späten 18. Jahr-

im 18. Jahrhundert durch die ersten Ausgrabungen in den

hunderts, mit der man versuchte, sich der Antike anzunähern.

beiden römischen Städten Pompeji und Herculaneum, die

Aubert Parent beutete die von ihm entdeckte Tempelanlage

79 n. Chr. durch einen Vulkanausbruch verschüttet worden

auf der Suche nach wieder verwertbaren Materialien und

SCHATZG RÄBER, SAM MLER UND GELEHRT E

25


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.