01 — 2022
Die Renovierung
Hier baut die Christdemokratie W W W.C I V I S - M I T- S O N D E . D E
CIVIS & SONDE 1/2022
D 8,00 €
Eine historische Aufgabe: Wie Gebäude, so benötigen auch Parteien eine regelmäßige Erneuerung. Zweimal ist der CDU dies in der Opposition schon gelungen. Von 1969 bis 1982 entwickelte sich die Union unter Helmut Kohl in einer zweiten „Gründungsphase” zur pluralistischen Volkspartei. In den Oppositionsjahren 1998 bis 2005 widmete sich die Partei unter Angela Merkel den Aufräumarbeiten nach der Erschütterung der Spendenaffäre. Nun steht ein neues Bauvorhaben der Christdemokratie an. Noch ist offen, wie lange die Jahre der Renovierung andauern werden und was am Ende dabei herauskommt. Klar ist: Die Union muss es abermals schaffen, sich erfolgreich neu aufzustellen.
CIVIS & SONDE
»Meine Freunde, wir sehen, welche Dynamik in unseren Grundsätzen steckt. Wir müssen diese Dynamik fortentwickeln, und zwar mutiger und entschlossener.« Helmut Kohl, Bundesparteitag der CDU in Bonn 1973
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»Wir müssen auf der einen Seite unsere Unverwechselbarkeit als Christliche Demokraten bewahren, und wir müssen uns auf der anderen Seite auf Neues einlassen. Beides geht zusammen. Wir haben das oft bewiesen. Zusammen ist es die Voraussetzung dafür, dass wir wieder mehrheitsfähig werden.« Angela Merkel, Bundesparteitag der CDU in Bonn 1998
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Liebe Leserin, lieber Leser, Parteien gleichen in vielerlei Hinsicht stolzen Gebäuden. Sie stehen auf einem Fundament aus Werten und Überzeugungen, werden getragen von vielen einzelnen Steinen – ihren Mitgliedern –, die in einer festen Struktur aus stützenden Balken und Trägern – den Parteigremien – einen Raum der Gemeinschaft und Zugehörigkeit bilden. Nach außen präsentieren sie sich mit unterschiedlichen Fassaden – durch eigenen Stil, Inhalte und Positionen –, die sie in der Landschaft von anderen Parteien abheben. Nicht zuletzt dadurch bieten Parteien ihren Mitgliedern ein politisches Zuhause.
vorhandene Substanz mit moderner Technik und einem frischen Anstrich zu erneuern, sodass sie auch in Zukunft bestehen kann. Doch wie kann diese Renovierung gelingen? Genügen einige gezielte Reparaturen? Oder braucht es eine generelle und grundlegende Überholung? Umfangreiche Putzarbeiten, kräftiges Durchlüften und gründlich Hand anlegen – das empfiehlt die neue Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Yvonne Magwas, im Interview. Historisch betrachtet ist der Union eine vergleichbare Erneuerung schon zweimal gelungen. In den 1970er Jahren vollzog sie nach der Ära Konrad Adenauers die Transformation von der Honoratiorenpartei zur modernen Mitglieder- und Programmpartei. Nach der Ära Helmut Kohls wiederum erfolgte eine Neuaufstellung in den frühen 2000er Jahren. In beiden Fällen waren umfassende Baumaßnahmen an Programmatik und Parteiorganisation notwendig, um die Union wieder herzurichten. Auch heute wirken diese beiden Bestandteile renovierungsbedürftig.
Doch klar ist: Dieses Zuhause braucht von Zeit zu Zeit eine gründliche Erneuerung. Nur so bleibt die Substanz intakt. Denn auch am schönsten Gebäude nagt ansonsten der Zahn der Zeit. Die Union hat Deutschland in den vergangenen 16 Jahren unter der Kanzlerschaft Angela Merkels mit großem Erfolg geführt. Doch eine lange Phase in Regierungsverantwortung geht an keiner Partei spurlos vorbei. Und so lag auch bei der Union der Fokus in dieser Zeit naturgemäß an vielen Stellen maßgeblich auf dem Regieren – und weniger auf der eigenen Erneuerung.
Denn erstens hat es die Union zuletzt nicht mehr geschafft, ihre Problemlösungskompetenz unter Beweis zu stellen. Bei der Bundestagswahl hat sie laut Umfragen im Ansehen der Bürgerinnen und Bürger hier fast 25 Prozent eingebüßt. Statt ideologischer
Für die Union gilt es deshalb nun, dies aufzuarbeiten. Es braucht eine Renovierung, um die
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Debatten kommt es deshalb jetzt darauf an, konkrete Lösungsangebote für die drängenden Fragen unserer Zeit zu machen. Das setzt eine teils kleinteilige, inhaltliche Arbeit und harte programmatische Auseinandersetzungen voraus, ist aber unumgänglich, wenn die Union ihre Stimme als Kraft der bürgerlichen Vernunft behalten möchte. Dazu gehört auch die Verabschiedung eines neuen Grundsatzprogramms.
diskutieren die Vor- und Nachteile einer stärkeren Mitgliederbeteiligung auf allen Parteiebenen. Jana Schimke und Dennis Radtke liefern Anregungen, wie die Union in Zukunft durch die Vereinigungen ihre volle Bandbreite noch besser ausnutzen kann. Und unsere Autorinnen und Autoren entwickeln Ideen für eine neue Erzählung der Partei: in der Stadt, auf dem Land und in Industrieregionen, im Osten der Republik und für die junge Generation, im Bereich der Wirtschaft, im vorpolitischen Raum und in Europa.
Zweitens muss sich die Union auch strukturell erneuern. Nur durch eine größere Durchlässigkeit kann sie langfristig attraktiv bleiben. Um im Bild zu bleiben: Welche Wände können entfernt werden, um Luft und Licht hereinzulassen, ohne das Gebäude zum Einsturz zu bringen? Als Volkspartei – so sie diesen Titel weiter führen möchte – muss es der Union dabei noch besser gelingen, die volle Bandbreite der Bevölkerung abzubilden. Dazu muss sie sich weiter öffnen und ein dynamisches Umfeld fördern.
Die Ausgabe macht deutlich: Auf dem Reißbrett existieren heute schon viele Blaupausen für die Renovierung der Union. In den kommenden Jahren liegt es an der neuen Parteiführung, der Basis und den Vereinigungen, die Erneuerung auch in der täglichen Arbeit mit voranzutreiben. Die aktuelle Situation sollte dazu ermuntern, vieles auf den Prüfstand zu stellen und Neues auszuprobieren. Wir wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine anregende Lektüre. Wir laden Sie herzlich ein, mit uns bei Facebook, Twitter oder Instagram in den Austausch zu treten und freuen uns wie immer über Anregungen und Rückmeldungen an leserbriefe@ civis-mit-sonde.de.
Die Autorinnen und Autoren der vorliegenden Ausgabe machen Vorschläge, wie die Erneuerung der Union gelingen kann. So erwartet Yvonne Magwas von der neuen Parteiführung eine schnelle Umsetzung der bereits verabschiedeten Vorschläge der Struktur- und Satzungskommission. Die Kreisvorsitzenden Martin Pätzold und Oliver Krauß
Lassen Sie uns gemeinsam unser Haus renovieren!
Mit herzlichen Grüßen
Lucas Lamberty Chefredakteur
Susanne Zels Chefredakteurin
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01 | 2022 10
Inhalt »Es braucht umfangreichere Putzarbeiten« | Im Gespräch Yvonne Magwas über die Herausforderungen der neuen Legislaturperiode, die Rolle der Union in der Opposition und die innerparteiliche Neuaufstellung
Teil 1: Bestandsaufnahme vor Baubeginn 20
Der Kampf um die Mitte | Standpunkt Viola Neu analysiert das Wählerpotenzial der Union in Zeiten abnehmender Wählerbindung
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Weiter am europäischen Haus bauen | Standpunkt Manfred Weber zur Zukunft der Christdemokratie in Europa
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Der Reiz des Scheiterns | Aus eigener Feder Unsere Redaktionsmitglieder Christoph M. Abels und Skrollan von Lindequist über den richtigen Umgang mit Niederlagen
Teil 2: Der Umbau 36
Wie kann die Union ihre volle Spannweite nutzen? | Von beiden Seiten Jana Schimke und Dennis Radtke mit Beiträgen zur Frage, wie eine erfolgreiche Zusammenarbeit der Vereinigungen aussehen kann
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Gegen weiße Flecken | Standpunkt Christian Hirte zur innerparteilichen Reform nach dem Verlust fast aller Wahlkreise in Thüringen
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Mitglieder vs. Delegierte | Pro und Contra Martin Pätzold und Oliver Krauß debattieren eine stärkere Beteiligung der Mitglieder auf allen Parteiebenen
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Und eben doch CDU | Aufgeschrieben Bianca Praetorius beschreibt ihren politischen Quereinstieg und was sie sich für eine moderne Union wünscht
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Changemanagement im Landesverband | Standpunkt Jan Zimmer skizziert die Neuaufstellung der CDU im Ampel-regierten Rheinland-Pfalz
Teil 3: Ein neuer Anstrich 68
Wahlen gewinnen – überall | Drei Fragen Joe Chialo, Sabine Buder und Matthias Hauer über den Spagat der Union zwischen Stadt, Land und Industrieregion
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Die junge Generation mitnehmen | Standpunkt Franca Bauernfeind fordert eine angebotsorientierte Politik mit klarem Profil für die Wähler der Zukunft
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Startup-Pioniere überzeugen | Standpunkt Finn Age Hänsel erklärt, wie die CDU wieder zur Wirtschaftspartei werden kann
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Hört uns endlich zu! | Standpunkt Anna Kreye mit Vorschlägen, welche Themen die Union in Ostdeutschland besetzen muss
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Die Meinungshoheit zurückgewinnen | Standpunkt Clemens Schneider wünscht sich mehr Bürgerlichkeit im vorpolitischen Raum
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C wie Cool | Portrait Die Berliner Lokalpolitikerin Sarah Röhr porträtiert von Christine Hegenbart
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Impressum und Hinweise zum Abonnement
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Yvonne Magwas im Gespräch
»ES BRAUCHT UMFANGREICHERE PUTZARBEITEN« Im Oktober 2021 wurde Yvonne Magwas zur Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages gewählt. Ihre Mission: Modernisierung und Digitalisierung im Parlament vorantreiben und die Arbeitsweise des Bundestages ins 21. Jahrhundert bringen. Die 42-Jährige wünscht sich eine konstruktive Rolle der Union in der Opposition und die Besetzung „weicher“ Themen, um die politische Mitte zurückzuerobern. Von der neuen Parteiführung erwartet sie eine schnelle Umsetzung der Beschlüsse der Struktur- und Satzungskommission aus dem Jahr 2020 und ein neues Grundsatzprogramm. Die Fragen stellten Susanne Zels und Lucas Lamberty am 22. November 2021.
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Fotografie: Jens Oellermann
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I Die nächste Legislaturperiode
parlamentarischen Demokratie, sich zu erneuern. Das passiert ja auch nicht das erste Mal. Neben diesen neuen Perspektiven sind aber auch eine gewisse Kontinuität und Erfahrung wichtig. Eine gute Mischung aus jungen Hüpfern und alten Hasen ist notwendig. Die große Herausforderung ist hingegen, dass weiterhin zu wenige Frauen im Parlament vertreten sind.
CIVIS: Frau Magwas, seit Ende Oktober sind Sie Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Welche Herausforderungen sehen Sie für die kommende Legislaturperiode? Magwas: An allererster Stelle steht die Bekämpfung der Corona-Pandemie. Bevor die Pandemie nicht dauerhaft besiegt ist, ist eine gestaltende, langfristige Politik kaum möglich. Zur Behebung der Folgeschäden der notwendigen Pandemiebekämpfung ist es wichtig, die Weltwirtschaft wieder anzukurbeln. Zu den großen Themen der Legislaturperiode zählen sicher die weitere Gestaltung der Energie- und Mobilitätswende und der Digitalisierung von Staat und Verwaltung sowie eine umfassende Staatsmodernisierung; hierzu hat die Unionsfraktion bereits substanzielle Vorschläge vorgelegt. Außerdem müssen wir weiter in Zukunftstechnologien investieren. Ein besonderes Anliegen ist es mir, gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land zu schaffen und eine aktive Politik auch für die ländlichen Regionen zu machen. Damit stärken wir auch die Demokratie!
CIVIS: Seit Pandemiebeginn wurde eine fehlende Beteiligung des Bundestages bei der Entscheidungsfindung von Einschränkungen bemängelt. Die Politik werde weitgehend von der Exekutive bestimmt. Welche Erfahrungen nehmen Sie als Parlamentarierin aus den letzten 18 Monaten mit? Magwas: Das ist eine Legende, die schlicht falsch ist. Der Bundestag hat die großen Leitentscheidungen getroffen, die Umsetzungsschritte wurden delegiert. Das ist das normale Geschäft! Der Bundestag ist nicht dazu da festzulegen, wie viele Leute einen Aufzug betreten dürfen. An seine Grenzen gestoßen ist aber wieder einmal der Föderalismus mit den unterschiedlichsten Regelungen in den Ländern. Als Wahlkreisabgeordnete einer Drei-Länder-Region kann ich ein Lied davon singen. Bundeseinheitliche Regelungen gerade in einer Pandemie-Situation sind effektiver. Sie werden von der Bevölkerung besser verstanden und letztlich auch akzeptiert. Ich bin deshalb froh, dass das Bundesverfassungsgericht die Bundesnotbremse als verfassungskonform ansieht und dem Gesetzgeber einen weiten Ermessensspielraum zugesteht.
»Ein besonderes Anliegen ist es mir, gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land zu schaffen.« CIVIS: Wir erleben eine zunehmende Fragmentierung des Parteiensystems. Erstmals hat es keine Partei über 30 Prozent geschafft. Welche Auswirkungen wird dies auf die Parlamentsarbeit haben?
CIVIS: Wie möchten Sie als Vizepräsidentin des Bundestages die Rolle des Parlaments in den nächsten vier Jahren stärken?
Magwas: Als Ergebnis haben wir jetzt erstmals seit Jahrzehnten eine echte Dreierkoalition. Hinzu kommt ein extrem heterogener Bundesrat. Aus meiner Sicht wird es noch schwieriger werden, tragfähige und sinnhafte Kompromisse zu finden und Stabilität zu wahren. Im Grunde ist dafür eine Wahlperiode mit vier Jahren Dauer auch zu kurz.
Magwas: Mir geht es vor allem um die Vereinbarkeit von Familie und Parlamentsarbeit. Für Abgeordnete genauso wie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich will mich dafür einsetzen, die Abläufe zu modernisieren und die Potenziale der Digitalisierung auch hier zu heben. Das Parlament muss in der täglichen Arbeit endlich im 21. Jahrhundert ankommen.
CIVIS: 279 der 736 Abgeordneten im Deutschen Bundestag sind zum ersten Mal ins Parlament eingezogen. Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich daraus?
»Das Parlament muss in der täglichen Arbeit endlich im 21. Jahrhundert ankommen.«
Magwas: Neue Abgeordnete, von denen viele auch sehr jung sind, haben zumeist frische Ideen und bringen andere Sichtweisen ein. Mehr als ein Drittel neue Abgeordnete stehen für die Fähigkeit der
Nur ein Beispiel: Ich bin vor zwei Jahren Mama geworden. Die abendlichen Sitzungen mit
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namentlichen Abstimmungen nach 20 Uhr sind mit einem kleinen Kind eine große Herausforderung, konkret: nicht machbar. Als Abgeordnete stehe ich aber in der Öffentlichkeit, und es ist überall richtigerweise nachzulesen, wie ich wann abgestimmt habe. Mir stellt sich die Frage, warum ich gerade als junge Mutter nicht digital abstimmen kann. Und wenn das Parlament mehr Lebenswirklichkeit widerspiegeln soll, wenn politische Arbeit attraktiver sein soll, dann muss sich das ändern. Ebenso liegt mir die Repräsentanz von Frauen sehr am Herzen. Leider hat sich der Frauenanteil unter den Abgeordneten nur leicht erhöht, Frauen sind weiterhin minderrepräsentiert im Parlament. Ich finde es deshalb wichtig, dass die bereits in der letzten Legislaturperiode einberufene Wahlrechtskommission nun schnell wieder ans Arbeiten kommt und wir alsbald konkrete Ergebnisse für mehr Frauen im Deutschen Bundestag auf dem Tisch haben. Das ist mir wesentlich wichtiger als unselige Operationen an den Wahlkreisen! Wir sollten sehr aufpassen, dass wir nicht die regionale Verankerung der Abgeordneten verlieren. II Gute Oppositionsarbeit CIVIS: Erstmals seit 2005 wird die Union wieder in der Opposition sein. Sie gehören zu einer Generation von Abgeordneten, die die Arbeit von der Oppositionsbank im Bundestag bislang noch nicht kannte. Welchen Stellenwert hat Oppositionsarbeit für das Regieren in unserem Land in Ihren Augen? Magwas: Natürlich ist die Kontrolle der Regierung wichtig. Die Oppositionsarbeit muss konstruktiv, aber auch intensiv sein. Die Union muss eigene Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit geben. So wird sie zum notwendigen Korrektiv der Bundesregierung. Die Ampel wagt mit ihrem Koalitionsvertrag keinen Fortschritt. Schon jetzt, beim Umgang mit der Pandemie, ist klar: Die Koalition ist nicht der große Reißer, sondern ein Zweckbündnis. Inhaltlich muss die Union die Mitte weiterhin und wieder besser besetzen und sich weiter klar von der rechtsradikalen AfD abgrenzen. CIVIS: Was zeichnet gute Arbeit von der Oppositionsbank aus? Magwas: Die Opposition muss immer den Finger in die Wunden legen. Sie muss dabei stets auf
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Augenhöhe sein und bei jeder Sachfrage bessere Alternativen aufzeigen. Dazu gehört auch, sich zum Anwalt derjenigen Gruppen der Gesellschaft zu machen, die von der Regierung vernachlässigt werden. CDU und CSU müssen zeigen, dass sie jederzeit in der Lage sind, die Regierung zu übernehmen.
Satzungskommission schnell umsetzen und zügig das neue Grundsatzprogramm auf den Weg bringen. Sie muss die Mitglieder stärker einbinden und der Partei in allen Gliederungen neue Zuversicht einhauchen. Das ist die mittel- und langfristige Aufgabe. Parallel muss sie aber vom ersten Tag an die potenzielle Regierungsfähigkeit der CDU unter Beweis stellen.
III Inhaltliche Ausrichtung der CDU CIVIS: Welche Rolle spielt der von Ihnen angesprochene Grundsatzprogrammprozess für die Selbstfindung der Union?
CIVIS: Die Union hat die letzte Bundestagswahl verloren und befindet sich in einer Phase der Neuausrichtung. Welche Erwartungen haben Sie an eine neue Parteiführung für diesen Prozess?
Magwas: Der Wunsch der CDU-Mitglieder nach Mitbestimmung ist so groß wie nie, wie man auch bei der Vorsitzendenwahl sieht. Um diesen zu erfüllen, ist ein Grundsatzprogrammprozess das geeignete
Magwas: Eine neue CDU-Parteiführung muss die guten Ergebnisse der Struktur- und
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CIVIS: Auch in Ostdeutschland hat die Union viele Stimmen und Mandate verloren. Sie selbst kommen aus dem Vogtland und haben dort auch Ihren Wahlkreis. Wenn Sie auf Ihre tägliche Arbeit vor Ort schauen: Warum ist es für die Union so schwer, die Wähler hier zu erreichen? Magwas: Die CDU steht wie keine andere Partei für die Bundesrepublik, schon deshalb, weil sie meistens den Kanzler oder die Kanzlerin gestellt hat. Wenn die ostdeutschen Bürgerinnen und Bürger also in Teilen unsere parlamentarische Demokratie kritisch sehen, wählen sie auch seltener die CDU. Die Ursachen sind mittlerweile bekannt. Es ist eine Frage der politischen Kultur, vor allem auch der politischen Bildung. Auch dass bislang zu wenig Ostdeutsche in Führungspositionen gelangen, schwächt die Akzeptanz. Ich selbst möchte durch meine Wahl ein Gegenbild verkörpern: Ostdeutsche, Junge, Frauen – alle können es schaffen und in unserem Gemeinwesen an die Spitze gelangen. Als Volkspartei muss die CDU in allen Landesteilen wieder die Fähigkeit verkörpern, unterschiedliche Interessen miteinander in Einklang zu bringen. Dazu gehören unsere wirtschaftspolitische, unsere sozialpolitische und unsere ökologische Kompetenz. Unser Stimmenpotenzial liegt in der breiten Mitte. Die ist im Osten leider etwas kleiner. Und natürlich geht es auch um Köpfe. Mit einem Kanzlerkandidaten Markus Söder wäre die Wahl – gerade im Osten – erheblich anders ausgegangen. IV Neuaufstellung der Union CIVIS: Stellen wir uns die CDU als Haus vor, das aus einem inhaltlichen Fundament und Wänden, Balken und Trägern – den parteiinternen Strukturen – besteht. Wo sehen Sie den größten Renovierungsbedarf? Braucht es eine Kernsanierung oder reichen einfache Putzarbeiten?
Instrument. Im Grunde sind wir aber schon sehr weit gekommen und der Prozess läuft gut. CIVIS: Sie haben bereits gesagt, dass die Union die Mitte besetzen muss. In der letzten Wahl hat die Union aber gerade hier die meisten Wähler verloren.
»Wenn wir fertig sind mit Renovieren, dann diskutieren wir am nächsten Tag bitte nicht gleich wieder die Wandfarbe, sondern stehen gemeinschaftlich dazu.«
Magwas: Die Union wird leider – auch im Wahlkampf und gerade bei Frauen – eher als „kalt“ wahrgenommen. Wir müssen soziale Themen, „weiche“ Themen wie Familie, gesunde Ernährung, soziale Absicherung, Arbeitsmarkt und Klimaschutz bearbeiten und dafür auch profilierte Köpfe haben. Hinzu kommt natürlich eine Zukunfts- und Modernisierungskompetenz.
Magwas: Es braucht umfangreichere Putzarbeiten, ein kräftiges Durchlüften und hier und da muss ein Handwerker auch mal gründlicher Hand anlegen. Und
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wenn wir fertig sind mit Renovieren, dann diskutieren wir am nächsten Tag bitte nicht gleich wieder die Wandfarbe, sondern stehen gemeinschaftlich dazu.
mutig und schnell die vielen guten Ergebnisse der Struktur- und Satzungskommission umsetzen. Wir Frauen in der ersten Reihe sind Vorbild für Mädchen und Frauen, aktiver ihre Rechte einzufordern.
CIVIS: Kritiker bemängelten in den vergangenen Jahren vor allem eine Undurchlässigkeit von Strukturen und fehlende Diversität. Sie selbst setzen sich in besonderem Maße für Frauen in der Union ein. Welche Erfahrungen nehmen Sie aus Ihrem Engagement für die Neuaufstellung der CDU mit?
CIVIS: Bei den Erstwählern ist die Union auf dem vierten Platz hinter FDP, den Grünen und der SPD gelandet. Welche Veränderungen braucht es, um junge Menschen für die Union zu gewinnen?
Magwas: Ich möchte Frauen ermutigen: Bringt euch ein und kandidiert, wenn sich die Möglichkeit ergibt. Das geht aber nur mit den geeigneten Rahmenbedingungen. Da haben andere Parteien der CDU leider einiges voraus. Deshalb müssen wir jetzt
Magwas: Das muss sich vor allem die JU intensiv fragen! Die Union muss jungen Menschen ein attraktives Angebot machen, mit Themen, die sie interessieren: Arbeit, Bildung, soziale Absicherung, Klima. Dazu zählen aber auch andere Formate des
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Mitmachens: projektbezogen, ergebnisorientiert. Mehr digitale Formate, weniger Hinterzimmer. CIVIS: Was wünschen Sie sich für die Union bis zur nächsten Bundestagswahl? Magwas: Ich wünsche mir eine Aufbruchstimmung, die sich aus Erneuerung, stärkerer Einbindung der Mitglieder und auch dem Stolz auf das in 16 Jahren von Angela Merkel Geleistete speist. Es gibt keinen Grund, in Sack und Asche zu gehen! Dann werden wir bei den nächsten Landtagswahlen auch wieder gute Ergebnisse erzielen.
Yvonne Magwas MdB ist Soziologin und seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages. Im Oktober 2021 wurde sie zur Vizepräsidentin des Bundestages gewählt. Als Mitglied im Koordinierungsteam hatte sie eine leitende Funktion in der Struktur- und Satzungskommission, die im November 2019 vom Bundesvorstand der CDU Deutschlands eingesetzt wurde und im Juli 2020 ihre Vorschläge präsentierte.
CIVIS: Wir danken Ihnen für das Gespräch, Frau Magwas.
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Teil 1 Bestandsaufnahme vor Baubeginn Bei jeder Renovierung braucht es eine umfassende Bestandsaufnahme. Die Union hat 2021 mit 24,1 Prozent das historisch schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte bei einer Bundestagswahl erzielt. CDU und CSU verloren 8,9 Prozentpunkte im Vergleich zu 2017. Sie verzeichneten eine Abwanderung der Wählerinnen und Wähler zu fast allen anderen Parteien. Die meisten Stimmen verlor die Union mit 1,53 Millionen an die SPD. In Ostdeutschland konnte die CDU nur noch in neun der 55 Wahlkreise das Direktmandat gewinnen. 2017 hatte sie hier noch 45 Direktmandate geholt.
Der Kampf um die Mitte Zum Wählerpotenzial der Union
von Viola Neu Die Union hat bei der Bundestagswahl Wähler in erheblichen Umfang an SPD, die Grünen und die FDP verloren. Viola Neu erklärt, wie die abnehmende Wählerbindung in den letzten Jahren dazu beigetragen hat und warum die meisten Wähler heute mit mehr als einer Partei sympathisieren. Für sie steht fest: Das Wählerpotenzial der Union ist weiterhin groß – und liegt eindeutig in der politischen Mitte.
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„Nach Helmut Kohls Rücktritt hatte die CDU große Probleme, sich programmatisch zu profilieren. Es fiel ihr schwer, innovative Anstöße einzubringen und alte Ansätze neu zu beleben. Zudem gelang es häufig nicht, eine einheitliche Linie zu finden.“ Die Analyse von Frank Bösch aus „Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU“ von 2002 könnte auch die aktuelle Situation der CDU beschreiben und zeigt, dass es auch in der Vergangenheit zu ähnlichen Problemen kam, vor allem wenn die CDU nach langer Regierungszeit in die Opposition wechselte.
können dazu führen, dass Parteien von Wählern neu bewertet werden. Durch Personalauswahl, programmatische Positionen, Handeln in Regierung und Opposition und den daraus von den Wahlberechtigten abgeleiteten Eigenschaften können Parteien das Urteil und die Akzeptanz in der Wählerschaft beeinflussen. Schleichend über mehrere Jahrzehnte hat sich die Grundstruktur der Wählerschaft verändert. Um es auf eine kurze Formel zu bringen: Stammwähler sind nur noch eine Minderheit und Wechselwähler stellen die Mehrheit. Ursache ist der gesellschaftliche Wandel, der mit den Stichworten Pluralisierung, Individualisierung sowie horizontale wie vertikale Mobilität beschrieben wird.
Das Wahlergebnis der Union bei der Bundestagswahl 2021 lässt sich recht einfach erklären: Die Union verlor Wähler in allen sozialen Gruppen und konnte weder mit Kompetenzen, noch mit ihrem Spitzenkandidaten, noch als Partei überzeugen. Zu den kurzfristig wirkenden Faktoren kommen noch die coronabedingten Probleme hinzu. So wurde der 2019 begonnene Grundsatzprogrammprozess nicht abgeschlossen und auch Fragen des Wandels der Organisationsstruktur sind noch offen.
»Die Grundstruktur der Wählerschaft hat sich verändert. Stammwähler sind nur noch eine Minderheit und Wechselwähler stellen die Mehrheit.« In der Folge wird zum einen das Parteiensystem fragmentierter und zum anderen das Wahlverhalten volatiler, da Parteiloyalitäten schwinden. Da diese strukturellen Veränderungen durch den gesellschaftlichen Wandel verursacht sind, treffen sie alle Parteien gleichermaßen. Würden alle Parteien lediglich von ihren Stammwählern unterstützt, wäre ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde wahrscheinlich. Dass es zum Stillstand oder gar zur Umkehr dieser Prozesse kommen wird, ist unwahrscheinlich, wenn auch nicht auszuschließen.
Die Verzögerung der Wahl des Parteivorsitzenden sowie die späte Nominierung des Spitzenkandidaten haben vor allem die handwerkliche wie inhaltliche Wahlkampfkonzeption belastet. Hierin liegt ein großer Unterschied zur SPD, deren zentrales Kampagnenmotiv („Respekt“) etwa ein Jahr vor der Bundestagswahl feststand, aber auch zu den Grünen, die im Winter 2020 ihren Grundsatzprogrammprozess abschließen konnten. Von den Stammwählern zu Wechselwählern
Der Verlust der Mitte bei der Bundestagswahl
Doch bedarf es einer gründlichen Analyse, was die langfristigen Ursachen für diesen recht unvermittelten Entzug der Wählergunst sind. Mit Beginn der Pandemie verbesserten sich die Umfragewerte der Union, sodass sie auf komfortable Werte blicken konnte, die eine größere Unterstützung als bei der Wahl 2017 signalisierten. Doch sind solche vermeintlichen Sicherheiten schon seit Jahrzehnten trügerisch.
Mit der sich immer stärker verbreitenden Wechselbereitschaft der Anhängerschaften werden Wahlkampagnen vor immer größere Probleme gestellt. In einer Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung1 nannten Ende 2020 nur rund ein Viertel derjenigen mit einer Wahlabsicht keine alternative Partei, die man sich auch vorstellen könnte zu wählen. Damit hatten ca. drei Viertel derjenigen mit Wahlabsicht auch alternative Wahloptionen.
Wahlberechtigte ändern nicht erst seit 2021 – mehr oder weniger über Nacht – ihre Präferenz zu Gunsten oder zu Lasten von Parteien und das nicht gerade in moderatem Ausmaß. Schon einzelne Ereignisse
In der Anhängerschaft der Union konnte sich etwa jeweils ein Fünftel der Befragten vorstellen,
1 Vgl. hierzu und zu den später genannten Daten: Viola Neu, Des Wählers Herz. Emotionale Parteienbewertung aus repräsentativen und qualitativen Umfragen, Berlin, 2021; Viola Neu, Sabine Pokorny, Vermessung der Wählerschaft vor der Bundestagswahl 2021. Ergebnisse einer Umfrage zu politischen Einstellungen, Berlin 2021.
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sowie der emotionalen Wertschätzung anderer Parteien. Die emotionale Verortung der Parteien bei den Wahlberechtigten spaltet das Parteiensystem grob in die Anhänger der AfD und die aller übrigen Parteien.
entweder für die Grünen oder die SPD zu stimmen, weitere 13 Prozent nannten die FDP. Jeweils zwei Prozent wären bereit gewesen die Linke bzw. die AfD zu wählen. Auch bei den anderen Parteien ergaben sich große – nicht in die Logik politischer Lager passende – Überschneidungen im potenziellen Wahlverhalten.
Alle Anhänger bewerten ihre eigene Partei positiv. In allen Anhängerschaften wird die AfD mit den Begriffen Angst, Empörung, Wut und Verzweiflung in Verbindung gebracht, außer selbstverständlich bei den Anhängern der AfD. Bei einigen Abweichungen im Detail verbinden Anhänger ihre eigene Partei mit den Begriffen Hoffnung, Sicherheit, Vertrauen, Zuversicht und Zufriedenheit. Diese positiven Emotionen weckt auch die AfD in ihrer Anhängerschaft, wenn auch auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau. Aber alle anderen Parteien – vor allem die CDU und die Grünen – werden von den AfDAnhängern in nennenswertem Umfang mit den Begriffen Angst, Empörung, Wut und Verzweiflung assoziiert.
Diese Wanderungspotenziale haben sich bei der Bundestagswahl gewissermaßen materialisiert. Die Union verliert am stärksten Stimmen an die SPD, gefolgt von Verlusten an die Grünen. An dritter Stelle profitiert die FDP von der Union. Damit sind es die wechselbereiten Wähler der politischen Mitte, die maßgeblich die Verluste der Union verursacht haben. Der tatsächliche Wechselwille Die eine Frage ist die Wechselbereitschaft, die andere Frage zielt darauf, ob dieser Wechsel auch vollzogen wird. Auch hier ist die Tendenz eindeutig. Immer mehr Wähler entscheiden sich tatsächlich bei jeder Wahl neu. So ist im Laufe der Jahre der Anteil der tatsächlichen Wechselwähler angestiegen und hat mit geschätzten 47 Prozent – so die Berechnungen auf Basis der Wählerwanderungsbilanz von Infratest dimap – bei der vergangenen Bundestagswahl einen neuen Höchstwert erreicht.
Hierin spiegelt sich der für die AfD-Anhänger typische Effekt der Ablehnung aller – insbesondere der im Parteijargon als „Systemparteien“ charakterisierten – Parteien. Dies zeigt sich auch in der Sympathiebewertung der politischen Parteien. In der Anhängerschaft der AfD werden alle anderen Parteien nicht gemocht, gleichermaßen stößt die AfD in allen anderen Anhängerschaften auf keine Zustimmung. In der AfD-Anhängerschaft sagt etwa nur jeder Zehnte, dass man die CDU, SPD, die Linke und Grüne sehr oder etwas möge. CSU und die FDP kommen auf etwas höhere Werte.
Vorteile durch Stammwählerschaften haben sich so im Zeitverlauf nivelliert, lediglich die Anhängerschaft der AfD weist eine größere Bindung an die Partei auf. Die grundsätzliche Offenheit für mehrere Parteien spiegelt sich auch in der Frage nach Parteisympathien wider. Fragt man nach der emotionalen Nähe zu Parteien, nämlich ob man Parteien mag oder sie ablehnt, zeigt sich, dass die Wahlberechtigten nicht nur zu zwei Parteien Nähe empfinden, sondern zu deutlich mehr. Nach Daten der Konrad-Adenauer-Stiftung haben 23 Prozent der Wahlberechtigten Sympathien für drei Parteien, neun Prozent für vier Parteien und zwei Prozent für fünf Parteien.
»Gerade einmal vier Prozent der Unions-Anhänger zeigen eine emotionale Nähe zur AfD.« Unter den SPD-Anhängern sagen 39 Prozent, sie würden die CDU sehr oder etwas mögen, 35 Prozent der Grünen teilen diese Einstellung sowie 48 Prozent der FDP-Anhänger. Selbst unter Anhängern der Linken ist die CDU mit 15 Prozent beliebter als unter AfD-Anhängern. Gerade einmal vier Prozent der Unions-Anhänger wiederum zeigen eine emotionale Nähe zur AfD. Aber 37 Prozent der UnionsAnhänger empfinden Sympathie für die SPD, 41 Prozent für die Grünen und 27 Prozent für die FDP. Selbst die Linke erhält etwa doppelt so starke Sympathiewerte wie die AfD.
Kaum Wählerpotenzial rechts von der Union Dass der politische Kampf um die Wähler der Mitte entscheidend sein wird, wird auch an anderen Fragestellungen deutlich. Vor allem die Anhängerschaft der AfD unterscheidet sich in ihrer Wechselbereitschaft und der Wahrnehmung
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»Die Union kann jederzeit wieder in erheblichem Umfang Wähler für sich gewinnen, da sie grundsätzlich auf eine große Akzeptanz in der Wählerschaft bauen kann.« Die Union kann die Stimmen wieder zurückgewinnen
kann. Diese muss sie aber auch mobilisieren. Wie wichtig der Blick auf Potenziale ist, zeigen die Zugewinne der SPD. Sie hatte in Meinungsumfragen über eine lange Zeit einen eher schwachen Rückhalt in der Wählerschaft. Gleichzeitig waren ihre Potenziale etwa doppelt so groß, wie die Werte der Sonntagsfrage signalisierten. Und dies war die Basis für die erfolgreiche Mobilisierung bei der Bundestagswahl.
Auch bei der Anbindung der Wähler zeigen sich Unterschiede. Während sich bei allen Parteien rund drei Viertel derjenigen, die eine Wahlabsicht äußern, auch vorstellen können eine andere Partei zu wählen, so können sich nur etwa die Hälfte der AfD-Anhänger vorstellen, eine andere Partei zu wählen. Anhand dieser Daten wird deutlich, dass die Wechselbereitschaft nicht mehr in den klassischen politischen Lagern zu verorten ist. Insbesondere bei den Anhängern der Grünen und der Union ist in den letzten Jahren ein erhebliches Wechselpotential gewachsen. 1998 wechselten – gemessen nicht im Saldo, sondern als Addition des Zu- und Abstroms – 350.000 Wähler zwischen Union und Grünen. 2013 waren es laut den Wählerwanderungsbilanzen von Infratest dimap bereits 700.000 Wähler und 2021 1.180.000 Wähler.
Konzentriert sich der Blick lediglich auf die Sonntagsfrage, kommt es häufig in der politischen und medialen Öffentlichkeit zu Fehleinschätzungen. Während des Wahljahres 2021 gingen so viele politische Beobachter mit großer Sicherheit davon aus, dass die nächste Bundesregierung von Union und Grünen gebildet würde. Dass die Grünen wie die Union weit hinter diesen Erwartungen zurückbleiben könnten, war somit nicht diskursprägend. Daher werden sich Wahlkämpfe in Zukunft nicht auf die Frage konzentrieren können, eine Wählergruppe zu identifizieren und diese gezielt zum Wechsel zu motivieren. Notwendig wird das Vertrauen der Wähler der Mitte sein.
Und damit wird auch deutlich, dass die Union jederzeit wieder in erheblichem Umfang Wähler für sich gewinnen kann, da sie grundsätzlich auf eine große Akzeptanz in der Wählerschaft bauen
Dr. Viola Neu ist Leiterin der Abteilung Wahl- und Sozialforschung sowie stellvertretende Leiterin der Hauptabteilung Analyse und Beratung bei der Konrad-Adenauer-Stiftung.
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Weiter am europäischen Haus bauen Die Zukunft der Christdemokratie in Europa
von Manfred Weber Die europäische Christdemokratie erlebt derzeit eine turbulente Phase. Die jüngste Wahlniederlage in Deutschland ist leider kein Einzelfall. Für Manfred Weber ist in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Konflikte die Rolle der Christdemokratie als Brückenbauer wichtiger denn je.
Die Christdemokratie in turbulenten Zeiten
worden. Die Grünen profitieren davon, dass Klimawandel und Schutz der Biodiversität tausende – nicht nur junge – Europäer mobilisieren. Dagegen agieren Rechtspopulisten gegen einen vermeintlichen Kontrollverlust der Politik. Und zwar in einer sich immer schneller drehenden Welt, die in wenigen Jahren Berufe schafft und vernichtet und gleichzeitig – seien wir ehrlich – einen Individualismus belohnt, der viele Menschen oft einsamer und anfälliger für Konflikte macht. Viele von ihnen fürchten, dass die Zukunft weder Freiräume
Die Christdemokratie ist derzeit unter Druck. Zwar sind wir in Europa immer noch die stärkste Kraft und ohne uns kann keine entscheidende Richtungsbestimmung innerhalb der EU erfolgen, dennoch schmerzt jede Wahlniederlage. In den vergangenen zehn Jahren sind christdemokratische Parteien nicht zuletzt von Grünen und rechtspopulistischen Parteien herausgefordert
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politische DNA. Beides müssen wir wieder besser zur Bewältigung der neuen gesellschaftlichen Herausforderungen einsetzen und klare Botschaften senden.
noch Möglichkeiten des Aufstiegs schafft, sondern ihnen beides nehmen könnte. Zukunftsangst und Abstiegsfurcht nähren einen neuen innergesellschaftlichen Konflikt: Kosmopolitisch orientierte Globalisierungsgewinner und die Verlierer des technologisch-wirtschaftlichen Wandels stehen sich zunehmend an verhärteten Fronten gegenüber.
Die Europäer teilen unsere Werte Gerade in Zeiten von wachsenden Zukunftsängsten und Ressentiments gegenüber der Politik, teilt die Mehrheit der Europäer unsere christdemokratischen Werte. Laut Eurobarometer sind drei von vier Europäern der Meinung, dass die Schwächsten unter uns unterstützt werden müssen. 80 Prozent der Befragten finden, dass die Achtung der Rechtsstaatlichkeit gewährleistet und die Unabhängigkeit der Justiz garantiert werden sollte. Derselbe Prozentsatz ist der Meinung, dass wir uns für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzen und jede Art von Diskriminierung ablehnen sollten. Die europäischen Bürger legen Wert auf Sicherheit, aber sie wissen auch, dass eine Gesellschaft tolerant sein muss.
Unsere politischen Gegner scheinen ihre jeweilige scharfe Position in diesem Konflikt gefunden zu haben. Können wir das auch von uns als Christdemokraten sagen? Wir brauchen eine klare christdemokratische Antwort, die Brücken baut und nicht ihr Heil in der Polarisierung sucht.
»Nach zwei Weltkriegen haben die Christdemokraten mit dem Bau des europäischen Hauses begonnen und dabei den Menschen in den Mittelpunkt gestellt.«
Gleiches äußern die Bürgerinnen und Bürger auf der Ideenplattform zur Konferenz über die Zukunft Europas. Aufgefordert, Ideen zu präsentieren, die im Plenum der Konferenz diskutiert werden sollen, haben die Bürger – die Deutschen sind hierbei übrigens besonders aktiv – Beiträge zu verschiedenen Themen eingereicht. Eine überwältigende Mehrheit fordert, dass die EU noch demokratischer werden sollte. Sie schätzen die EU-Institutionen und sind der Meinung, dass das Europäische Parlament als einziger Vertreter des europäischen Volkes mehr Macht erhalten sollte. Sie wissen, dass die gesellschaftliche wie auch wirtschaftliche Erholung von der Corona-Pandemie davon abhängt, wie wir unsere gemeinsame Zukunft gestalten wollen. Gleichzeitig muss eine gemeinsame Zukunft auch die soziale Frage der Digitalisierung beantworten und einen Ausgleich zwischen Digitalisierungsgewinnern und -verlierern herstellen. Der digitale Wandel darf keine Ellenbogengesellschaft hervorbringen und den Zusammenhalt der Gesellschaft nicht gefährden. Die europäischen Bürger wünschen sich, dass die Zukunft prosperierend, gerecht und ökologisch verantwortungsvoll ist. Sie sind der beste Beweis für die Aktualität der christdemokratischen Ideen in Europa.
Genau mit diesem Politikansatz begannen Christdemokraten nach zwei Weltkriegen mit dem Bau des europäischen Hauses, indem sie den Menschen in den Mittelpunkt des sozialen und politischen Lebens stellten und keineswegs ausgrenzten. Konflikte zu überbrücken und Gräben nicht zu vertiefen, war das christdemokratische Erfolgsgeheimnis. Heute ist Europa ein Leuchtturm der Demokratie. Wir sollten stolz darauf sein, dass die Welt auf Europa als eine Erfolgsgeschichte der Demokratie und des wirtschaftlichen Aufschwungs blickt. Es war doch gerade die christdemokratische Erfindung der Sozialen Marktwirtschaft, die die gesamte Architektur des wirtschaftlichen Aufbaus der EU inspiriert hat. Ein freier Markt, der gut in demokratische Institutionen eingebettet ist. Eine Wirtschaft, die die Wettbewerbsfähigkeit in einer Gesellschaft schätzt, die sich um die Bedürfnisse derjenigen kümmert, die in Schwierigkeiten sind. Das ist es, was sich Ludwig Erhard und Konrad Adenauer für Deutschland und Europa vorgestellt haben. Die Bürger sehen die Erfolge: Zwei von drei Europäern sagen laut der im November erschienenen Eurobaromenter-Umfrage, dass die Wirtschaft ihrer Region sich in einer guten Verfassung befindet. Als Christdemokraten sollten wir es mit Alcide De Gasperi halten: „Politik bedeutet, etwas zu erreichen“. Wir sollten stolz auf das sein, was Christdemokraten aufgebaut haben. Das ist unser Erbe und unsere
Christdemokratie als Brückenbauer Doch wie kann es uns gelingen, unsere positive Wertebasis wieder deutlicher in den politischen Diskurs einzubringen und im demokratischen Wettbewerb
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»Anders als die Populisten glauben wir nicht, dass Toleranz und Sicherheit ein Widerspruch sind.«
Der christdemokratische Weg in die Zukunft
besser abzuschneiden? Es gilt hierzu, den entscheidenden Vorteil der Christdemokratie gezielter auszuspielen: Während unsere politischen Mitbewerber polarisieren, können doch gerade wir wachsende gesellschaftliche Konflikte überwinden und Brücken bauen. Das ist unser Markenkern. Wir sind für Tradition und Fortschritt. Wir sind zukunftsoffen, aber doch wertkonservativ. Wir bieten Zukunftsperspektiven an, geben aber auch Halt. Wir setzen uns tagtäglich sowohl für starke Regionen als auch für starke supranationale Strukturen ein, um Europa vor Ort aber auch global stark zu machen.
Bei einem Anteil von sechs Prozent der Weltbevölkerung liegt der europäische Anteil bei 17 Prozent der weltweiten Forschung und Entwicklung. Ein Drittel der weltweiten wissenschaftlichen Veröffentlichungen stammt aus Europa. Die europäische Erfolgsgeschichte der Corona-Impfstoffe ist das beste Beispiel dafür, wie entscheidend Innovationsfähigkeit und Technologieführerschaft als Garanten für Europas erfolgreiche Zukunft sind. Unser Wohlstand hängt vom Bildungsniveau ab, das wir in Europa garantieren können – nicht nur für die zukünftigen Generationen, sondern auch für die Kinder und Jugendliche von heute. Vier Millionen Kinder wurden dieses Jahr in Europa geboren – sie alle haben das gleiche Recht auf eine begabungsorientierte Bildungspolitik unabhängig von ihrer familiären Herkunft oder ihrem Geburtsort in Europa. Als Christdemokraten halten wir Bildung und Forschung für elementar.
»Während unsere politischen Mitbewerber polarisieren, können doch gerade wir wachsende gesellschaftliche Konflikte überwinden und Brücken bauen.« Und wir reden nicht nur von Bürgerbeteiligung, sondern wir leben sie. Wir sind die Verteidiger der repräsentativen Demokratie und halten sie ganz und gar nicht für veraltet. Wenn die Bürgerinnen und Bürger – über ihre nationalen Parlamente und das Europäische Parlament – nicht an der europäischen Entscheidungsfindung beteiligt sind, wird es keinen Fortschritt geben. Wir können nicht erwarten, dass sich die Menschen eingebunden fühlen, wenn wichtige Entscheidungen hinter verschlossenen Türen getroffen werden. Wie kann ein umfassender und ehrgeiziger Plan wie der Green Deal erfolgreich sein, wenn er nicht von den Bürgern mit Überzeugung mitgetragen wird? Wir sollten dazu Verantwortung und Rechenschaftspflicht durch die Stärkung der Parlamente verbessern. Sie sind der Ort der Vielfalt von Ideen und Hintergründen, sie spiegeln die politische Dialektik in unserer Gesellschaft wider.
Für uns ist Innovation kein kaltes Wort, sondern Auftrag, das Leben der Menschen zu verbessern. Die Heilung von Volkskrankheiten wie Krebs, die Vorbeugung künftiger Pandemien, die Bekämpfung des Klimawandels durch Innovation und die Gestaltung der digitalen Welt mit einem menschlichen Gesicht sind unsere Ziele und Herausforderungen. Wir sollten die Herausforderungen nicht fürchten, sondern uns ihnen mutig stellen. Wer, wenn nicht wir, können sie erreichen und bewältigen? Es ist unsere Aufgabe, den technischen Fortschritt mit europäischen Werten und Normen in Einklang zu bringen und europäische Standards global zu setzen. Wir Christdemokraten stehen für einen „European Way of Life“. Ihn zu etablieren und zu verteidigen, ist nach wie vor unser Auftrag. Wir wollen, dass der Fortschritt unser Leben erleichtert und keine Bürger erster und zweiter Klasse schafft.
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Wir müssen sicherstellen, dass der grüne Wandel keine Bedrohung für einkommensschwache Familien darstellt und dass die Digitalisierung mit der Entwicklung des ländlichen Raums Hand in Hand geht. Soziale Fairness und gesellschaftlicher Ausgleich sind Kernelemente der Christdemokratie und wir müssen an Erfolgsgeschichten wie dem deutschen Baukindergeld in der Wohnungsbaupolitik anknüpfen. Außerdem müssen wir die Rechtsstaatlichkeit in ganz Europa verteidigen, denn niemand fühlt sich sicher, wenn seine Rechte mit Füßen getreten werden. Als Christdemokraten glauben wir, dass keine Gesellschaft wirklich vorankommen kann, solange Bürger in der Gemeinschaft, in der sie sich frei und sicher fühlen sollten, gefährdet oder benachteiligt werden.
Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass unsere Gesellschaften sicher und tolerant bleiben. Anders als die Populisten glauben wir nicht, dass Toleranz und Sicherheit ein Widerspruch sind. Sie gehören zusammen. Christdemokratie verbindet und schließt keinen aus. So förderte die Christdemokratie in ihrer erfolgreichen Geschichte beispielsweise den Zusammenschluss und die Zusammenarbeit nicht nur von Katholiken und Protestanten, sondern auch von Arbeitern und Mittelständlern oder auch von unterschiedlich geprägten Regionen zum Wohle der ganzen Gesellschaft. In einer zunehmend individualistischer werdenden Gesellschaft ist die Christdemokratie das Gegenteil von Ignoranz und Egoismus. Denn nur eine tolerante und integrative Gesellschaft ist in der Lage, Bedrohungen für die innere Sicherheit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu beseitigen.
Wir haben den Auftrag, für einen wertebasierten Fortschritt einzutreten, der Europa nicht nur als supranationale Zusammenarbeit auf der Grundlage nationaler Interessen versteht, sondern als gemeinsames Projekt von Menschen, die derselben Kultur und demselben historischen Erbe angehören. Für uns Christdemokraten ist Europa mehr als die Summe nationaler Interessen und eine gute Politik besteht eben keineswegs aus scharfer Kante, sondern aus einem ausgewogenen Mix kluger Politikantworten. Lasst uns auch in Zukunft an einem künftigen Wohlstand in sozialer und ökologischer Verantwortung arbeiten. Unser Europa wurde von Christdemokraten geschaffen, wir werden für eine erfolgreiche europäische Zukunft dringend gebraucht.
Als Christdemokraten kämpfen wir gegen jede Form staatlicher Willkür. Zugleich sind wir jedoch auch Verfechter eines starken Staates, solange dieser der gesamten Gesellschaft und der Wohlstandsförderung und -sicherung nützt und schützt, indem er beispielsweise die innere und äußere Sicherheit gewährleistet. Wir müssen eine gemeinsame Lösung für die Migrationsfrage finden, um sicherzustellen, dass wir nicht erpressbar sind – weder von Recep Tayyip Erdogan und Alexander Lukaschenko, noch von anderen Kräften an unserer gemeinsamen europäischen Außengrenze. Die Grundsätze der Solidarität und der Subsidiarität müssen uns dabei leiten.
Manfred Weber MdEP ist Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament und stellvertretender Parteivorsitzender der CSU.
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Der Reiz des Scheiterns Mit Niederlagen richtig umgehen Die Union hat die Bundestagswahl verloren. Doch in jeder Niederlage steckt auch eine Chance, finden die CIVIS mit Sonde-Redaktionsmitglieder Christoph M. Abels und Skrollan von Lindequist. Entscheidend sei, die richtigen Lehren zu ziehen. Ein Plädoyer für eine positivere Einstellung zum Scheitern.
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von Christoph M. Abels und Skrollan von Lindequist Am Abend des 26. Septembers sahen wir nach vielen Monaten des Zweifelns, dass die Union nicht genügend Wählerinnen und Wähler überzeugen konnte. Wenn auch rechnerisch möglich, wurde eine Regierungsbeteiligung in den folgenden Wochen immer unwahrscheinlicher. Ungläubig stehen wir nun dort, wo wir in den letzten Jahren selbstsicher, und halb mitleidig, halb abschätzig die SPD verortet hatten: Auf der Verliererseite.
Wer in der Politik scheitert, scheitert im Rampenlicht und steht danach oft allein im Dunkeln. Am Wahltag verliert nicht nur der Spitzenkandidat, sondern auch die Kandidatin im Wahlkreis und all die Parteimitglieder, die sich für ihre Kandidaten und die Partei im Wahlkampf stark gemacht haben. Das ist ein schmerzhafter Prozess. Die Wenigsten begreifen eine verlorene Wahl als Chance für nötige innerparteiliche Reformen und eine Neuausrichtung. Die Wenigsten sehen das verlorene Mandat als Gelegenheit zum beruflichen Perspektivwechsel. Gerade diese Öffentlichkeit des Scheiterns und die negativen Emotionen, die von vielen Personen gemeinsam empfunden werden, erschweren die positive Deutung einer Niederlage: Denn wenn alle es als Katastrophe sehen, kann ich als einziger es doch nicht als Chance empfinden.
„Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Berthold Brecht, Der gute Mensch von Sezuan
Verlieren, Versagen, Scheitern und wie man damit umgeht – darüber wird viel in Podcasts und Selbsthilfe-Ratgebern gesprochen. Auf sogenannten „Fuck upnights“ erzählen Gründerinnen oder Gründer vor Publikum, welches Projekt so richtig in die Binsen gegangen ist und was sie daraus gelernt haben. Sie wollen aus der Niederlage lernen, es beim nächsten Mal besser machen und begreifen diese Erfahrung als Schritt zu persönlichem Wachstum. In der Breite der Gesellschaft ist diese „Kultur des Scheiterns“ hingegen noch nicht angekommen. Berichtet man im privaten Umfeld von der letzten erfolglosen Unternehmung, ist die Reaktion nicht tosender Applaus, sondern ein stiller, betroffener Blick. Der Studienabbruch des Kindes, der verlorene Job, die in die Brüche gegangene Beziehung – auf den ersten Blick denken wir nicht an Erneuerung oder Aufbruch.
Es reicht, einmal richtig zu liegen Dabei braucht es manchmal Umwege, um ein Projekt zum Erfolg zu führen. Amerikanische Unternehmer machen es vor: Spätestens seit der Gründung von Unternehmen wie Facebook, Snapchat und PayPal ist das Scheitern zumindest als Begleiterscheinung des Erfolgs populär geworden. Viele Silicon-Valley-Größen blicken heute auf eine Serie von Misserfolgen zurück. Steve Jobs, Bill Gates und Mark Zuckerberg brachen zum Beispiel allesamt ihr Studium ab. Die Mischung aus gefühlter persönlicher Sackgasse und Nonkonformismus
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Die Kraft des Scheiterns
brachte Evan Spiegel, Gründer der Social MediaPlattform Snapchat, gar dazu, sein Studium an der Stanford University nur einen Monat vor Abschluss hinzuwerfen. Es ist der Mythos des genialen Visionärs, den Studienabbruch nicht als Niederlage, sondern im Gegenteil als Auszeichnung zu empfinden. Man folgt dem unternehmerischen Ruf, statt sich im Elfenbeinturm um einen Abschluss zu bemühen.
Dabei braucht es nicht immer eine Pandemie oder eine andere lange Leidensgeschichte, um vom Scheitern zu profitieren. Forscher der ETH Zürich konnten jüngst zeigen, dass Studenten, denen ein Problem vorgelegt wird, ohne dieses vorher geübt zu haben, größere Lernerfolge erzielen, als Studenten, die sich zuerst mit den Lerninhalten befasst haben. Scheitern kann also eine bessere Lernmethode sein als planvolles Vortasten. Das stellt unsere akademische Lehre auf den Kopf. Gilt doch sonst: Erst wird die Vorlesung gehört, dann wird geübt. Was die Wissenschaftler Tanmay Sinha und Manu Kapur „produktives Scheitern” nennen, zeigt erstaunliche Ergebnisse. Während normalerweise über die Hälfte der Studenten den Kurs Lineare Algebra nicht erfolgreich abschließen, konnte in der Versuchsgruppe, die zuerst geübt und dann die Vorlesung besucht hatte, das produktive Scheitern die Erfolgsrate um 20 Prozent erhöhen und auch im Durchschnitt die Noten verbessern. “Wer öfter produktiv scheitert, lernt mehr”, fassen es die Autoren zusammen. Probleme sind eben manchmal doch nur dornige Chancen.
»PayPal wurde noch 1999 als eine der schlechtesten Geschäftsideen ausgezeichnet.« Eine Daumenregel in der Welt der Startups besagt: Nur eines von zehn gegründeten Unternehmen wird richtig erfolgreich. Dementsprechend ist die Zukunft von Unternehmen ungewiss. PayPal wurde noch 1999 als eine der schlechtesten Geschäftsideen ausgezeichnet und das ausgerechnet in einem Jahr, in dem es an schlechten und trotzdem finanzierten Ideen nicht mangelte – bereits im darauffolgenden Jahr platzte die Dotcom-Blase. Bei PayPals Börsengang im Jahr 2015 wurde das Unternehmen mit fast 50 Milliarden US-Dollar bewertet. Die Deutsche Bank, die im Jahr 1870 erstmals an einer Börse gehandelt wurde, brachte es im gleichen Jahr auf 48 Milliarden US-Dollar. PayPals früherer Technologievorstand, Max Levchin, wird zitiert mit den Worten: „Mein allererstes Unternehmen scheiterte mit einem großen Knall. Das zweite ist etwas weniger gescheitert, aber immer noch gescheitert. Das dritte scheiterte richtig, aber das war irgendwie in Ordnung. Nummer vier wäre fast nicht gescheitert. Nummer fünf war PayPal.” Diesen Erfolg hätte es wohl ohne die vier vorherigen Versuche nicht gegeben. Er musste nur einmal richtigliegen.
»Scheitern kann eine bessere Lernmethode sein als planvolles Vortasten.« Wir Deutsche bleiben skeptisch, unsere Sicht auf Rückschläge bleibt eher negativ. Daran ändert selbst die vermeintlich dynamisch-unternehmerisch geprägte FDP nichts. Im aktuellen Koalitionsvertrag hat sich als Forderung im Bereich der Gründungspolitik bezeichnenderweise nicht die Kultur des Scheiterns, sondern die positiv formulierte „Kultur der zweiten Chance“ durchgesetzt. „Du darfst einmal versagen, wenn es denn beim zweiten Mal klappt!” – so drückt der Preuße mal ein Auge zu.
Langen Atem hat auch die „Mutter der mRNAImpfstoffe” bewiesen. Die Wissenschaftlerin Katalin Karikó entdeckte 2005 einen Weg, erfolgreich mRNA, oder Boten-Ribonukleinsäure, die Grundlage der beiden Covid19-Impfstoffe von BioNTech und Moderna, so zu verändern, dass sie nicht länger vom Immunsystem bekämpft wurde. Ohne ihre Entdeckung und ihren Siegeszug wäre der Kampf gegen die Pandemie heute erheblich schwieriger. Was nach einer beispiellosen Erfolgsgeschichte klingt, sah lange wie ein qualvolles Scheitern aus: 40 Jahre lang beantragte Karikó erfolglos Gelder für ihre Forschung.
Jeder Tiefpunkt schafft die beste Voraussetzung, um ehrlich in sich zu gehen, Fehler zu analysieren, den Kurs zu ändern und es besser zu machen. Dabei ist die Analyse bereits eine der größten Herausforderungen. „Jedem Besiegten wird es schwer, den Grund seiner Niederlagen an der einzig richtigen Stelle, nämlich in sich selbst zu suchen“, fasste Theodor Fontane die Krux zusammen. So ist es verführerisch, der unangenehmen Situation so schnell wie möglich zu entfliehen, indem jeder mit dem
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»Jeder Tiefpunkt schafft die beste Voraussetzung, um ehrlich in sich zu gehen, Fehler zu analysieren, den Kurs zu ändern und es besser zu machen.«
Markus Söder – der beste nie nominierte Kanzlerkandidat aller Zeiten?
Finger auf einen anderen zeigt. Doch keiner ist allein für das Wahldebakel verantwortlich. Nur der „Sündenbock ist kein Herdentier, der steht relativ allein”, so brachte es der ehemalige CSU-Vorsitzende Erwin Huber diesen Spätsommer auf den Punkt. Mit mehr als einer halben Million Mitgliedern von CDU und CSU sollten wir die Herde wieder in den Blick nehmen. Von der motzenden Karteileiche, über den eingeschlafenen Ortsvorstand bis hin zu dem Politiker, der sich auf Parteikosten profiliert – heute sollte jedes Mitglied in sich gehen und fragen: Was habe ich für dieses Ergebnis getan und wie kann und will ich mich für meine Partei in der Zukunft einbringen?
Schon während des Wahlkampfes sehnte sich manch ein Mitglied weit über die bayerischen Landesgrenzen hinaus nach einem Kanzlerkandidaten Markus Söder. Nach der Wahl trennten sich die Mitglieder in zwei Lager: Diejenigen, die ihn auf Kosten der Union in einem intransparenten Hinterzimmer ausgebootet sahen, standen denjenigen, die in ihm einen illoyalen Spalter erkannten, der sich verzockt hatte, unversöhnlich gegenüber. Ob die Geheimnisse dieser Wochen je gelüftet werden (wir empfehlen eine Dokumentation zu drehen!) wird die Zukunft zeigen. Nie hingegen werden wir erfahren, ob er wirklich ein besseres Ergebnis erzielt hätte.
Verlieren – das heißt auch sich von Visionen und Träumen verabschieden. Wie schön und schmerzhaft zugleich das sein kann, zeigt der experimentelle Regisseur Alejandro Jodorowsky. In einer Dokumentation aus dem Jahr 2012 erzählt er begeistert, wie er vor fast 40 Jahren den Science Fiction-Roman „Dune“ verfilmen wollte. Er scharrte die besten Künstler seiner Zeit um sich: Salvador Dali, Mick Jagger und Orson Welles sollten mitspielen, Pink Floyd den Soundtrack liefern. Doch am Ende ging das Geld aus, der Film kam nicht zustande. Mit leuchtenden Augen ist er heute noch überzeugt: Das ist der beste nie gedrehte Film aller Zeiten!
Und damit stehen auch die wichtigsten Fragen im Raum: Wie hätten wir ein besseres Ergebnis erzielen können? Was haben wir falsch gemacht? Wo haben wir uns verschätzt? Aber auch: Was war richtig und worauf können wir aufbauen? Wir sind überzeugt, dass es nach 16 Jahren in Regierungsverantwortung grundsätzlich in Ordnung ist, in einer Wahl zu scheitern. Gefährlich allerdings wäre es, unabhängig vom neuen Vorsitzenden, diese Fragen unbeantwortet zu lassen. Wir sind jetzt
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aufgerufen diese auch schmerzhaften Erfahrungen für morgen nutzbar zu machen. Die Analyse kann nicht nur isoliert im Konrad-Adenauer-Haus stattfinden, wir brauchen das Feedback und die Kraft vor Ort in den Kreis- und Ortsverbänden. Um Volkspartei zu bleiben, müssen wir auch den schlafenden Riesen der Mitglieder in diesem Prozess wiedererwecken. Im Rahmen dieser innerparteilichen Modernisierung müssen wir unser Regelwerk auf den Prüfstand stellen.
CDU und CSU fehlt. Hier müssen wir nachsteuern, um solche Konflikte in Zukunft in geordnete Bahnen zu lenken.
Eine weitere Lektion dieses Wahlkampfs: Ein transparentes Prozedere für die Nominierung der Kanzlerkandidatin oder des Kanzlerkandidaten zwischen
Ob wir diese verlorene Wahl tatsächlich als den Anfang vom Ende verstehen, liegt in unserer Macht. Wir sind überzeugt, dass es zu früh ist, die letzte europäische Volkspartei zu Grabe zu tragen. Jodorowskys „Dune“ hat übrigens, obwohl nie produziert, viele andere Filmschaffende inspiriert und so Kinogeschichte geschrieben. Und siehe da: 2021 hat der kanadische Regisseur Denis Villeneuve dann doch noch eine Neuverfilmung in die Kinos gebracht. Davon sollten wir uns inspirieren lassen.
Christoph M. Abels
Skrollan von Lindequist
ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hertie School in Berlin. Zuvor hat er in verschiedenen Startups gearbeitet. Er hat Psychologie und Public Policy studiert und ist Mitglied der CDU.
hat European Studies und Jura studiert. In der Konrad-Adenauer-Stiftung hat sie zu Startup-Kultur geforscht, heute arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag. Sie ist CDU-Mitglied und Landesvorsitzende der JungenCDA Berlin.
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»Verlieren – das heißt auch sich von Visionen und Träumen verabschieden.«
Teil 2 Der Umbau Erneuerung bedeutet Arbeit. Auch bei der CDU laufen schon erste Renovierungs- und Umbaumaßnahmen. Im Nachgang zur Bundestagswahl hat die Partei die Wahl eines neuen Bundesvorsitzenden beschlossen – bestimmt durch einen Entscheid der rund 400.000 Mitglieder. Ein Novum in der Geschichte der Partei. Neben personellen Veränderungen stehen weitere Parteireformen an. Es geht um die Abstimmung über die Empfehlungen der Struktur- und Satzungskommission aus dem Jahr 2020 und die Frage, wie moderne Parteiarbeit in Zukunft aussehen kann.
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K A NN U N I ON VOLLE WE I T E Z E N?
Das neue Flügelspiel
Die Stärke der Union liegt in ihrer Breite, heißt es. Durch die integrative Kraft der Vereinigungen lasse sich als Volkspartei eine Politik garantieren, die alle mitnimmt. „Ich möchte in einer Partei sein, in der sich eine Jana Schimke mit einem Dennis Radtke hinsetzt und am Ende des Tages gehen die raus mit einer Lösung“, hat der langjährige Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), Carsten Linnemann, beim Deutschlandtag der Jungen Union im Oktober 2021 gesagt. Wie also kann eine erfolgreiche Zusammenarbeit aussehen? Oder ganz konkret: Auf welche Lösung kommen Jana Schimke von der MIT und Dennis Radtke von der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA)?
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Von beiden Seiten
Ein starker Sozialstaat lebt von einer starken Wirtschaft Die Wirtschaftsseite der Union
von Jana Schimke
Ich bin Anhängerin der Sozialen Marktwirtschaft. Aus Überzeugung, aus Leidenschaft, aus Respekt vor der Leistung eines jeden Einzelnen in unserem Land. Die Ursache dafür liegt auch in meiner Herkunft begründet. Ich bin in der ehemaligen DDR geboren und aufgewachsen – einem Land, in dem Leistungs- und Chancengerechtigkeit, Individualität und Eigenverantwortung, so wie wir sie heute
kennen und leben, nicht vorkamen. Träume blieben Träume. Bis zum Fall der Mauer. Meine Eltern schauten sich damals in die Augen, im Bewusstsein der jahrelangen planwirtschaftlich bedingten Einschränkungen, und mein Vater sagte: „Jetzt zählt endlich Leistung“. Dieser Satz ist mir bis heute in Erinnerung geblieben. Ebenso in
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Eine nach außen geschlossene CDU ist wichtig. In diesen Zeiten vielleicht noch viel mehr als sonst. Denn wir sind ab sofort in der Opposition. Uns steht eine personelle wie inhaltliche Neuaufstellung bevor, die so gut sein muss, dass uns die Wähler nach den nächsten vier Jahren wieder mehrheitlich ihr Vertrauen aussprechen und in der Bundesregierung sehen wollen. Vor diesem Hintergrund finde ich es ein gutes Zeichen, dass beispielsweise Friedrich Merz mit Mario Czaja einen ausgewiesenen Sozialpolitiker in sein Team für den Parteivorsitz aufgenommen hat.
Erinnerung geblieben, ist mir die unermüdliche Zuversicht meiner Eltern, ein besseres Leben leben zu können, aber auch die Arbeitslosigkeit, die bei uns kurz nach der Wende um sich griff. Die Welt stand uns offen und die CDU mit Bundeskanzler Helmut Kohl an der Spitze hat das möglich gemacht. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass ich meine politische Heimat in der CDU gefunden habe. Eine andere Partei kam für mich nie infrage. Unsere Partei hat die Geschicke der Bundesrepublik über lange Zeit maßgeblich mitbestimmt und geprägt. Heute erlebe ich eine Partei, die in den letzten zwei Jahrzehnten einen erheblichen Wandel vollzogen hat. Wir bleiben nicht auf der Stelle stehen, sondern entwickeln uns weiter. Wir sollten unsere Stärken auf ganzer Linie ausspielen.
»Streit in der Sache, der auch Reibung erzeugt, muss an sich nichts Schlechtes sein. Ganz im Gegenteil. Er zeigt, dass eine Partei lebendig ist, dass es einen Wettbewerb um die besten Ideen gibt.«
Im Wettbewerb um die besten Ideen darf es auch mal Reibung geben Keine andere Partei in Deutschland verfügt über eine so große Bandbreite wie die CDU: Wir sind christlich-sozial, wirtschaftsliberal und natürlich auch konservativ. Deshalb sind wir Volkspartei. Die einzelnen Pfeiler sind keine Gegensätze, sondern sie bilden das Fundament unserer Partei. Auch bin ich mir sicher, dass die dahinterstehenden Vereinigungen, wie beispielsweise die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft und die Mittelstandsunion, sich auf viele Grundsätze und Ziele verständigen können. Wir wissen, dass es einen starken Sozialstaat nur mit einer starken Wirtschaft gibt. Unser Bestreben ist es zudem, dass der Wohlstand in unserem Land auch bei möglichst vielen ankommen soll. Uns leitet das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe. Maß und Mitte bei allen Entscheidungen sind das, was uns eint und was Union bedeutet.
Rente, Klima, Wirtschaft: Bei vielen Themen sind sich die Vereinigungen über die Ziele einig Die Gründe für unser schlechtes Abschneiden bei der vergangenen Bundestagswahl sind sicherlich vielschichtig. Des Öfteren war zu hören, dass wir so gut wie nichts in der Sozialpolitik vorzuweisen hatten. Diese Einschätzung teile ich durchaus. Bei der SPD reichte offensichtlich allein der Wahlslogan für „stabile Renten“ aus, um gewählt zu werden. Wir müssen jedenfalls in der Rentenpolitik konkreter als bisher werden und können die Beantwortung entscheidender Fragen zur Zukunft der Rente nicht ausblenden. Ganz grundsätzlich hat unser Land in der nächsten Zeit einige gewaltige Aufgaben zu bewältigen und wir werden der künftigen Ampel-Koalition dabei ganz genau auf die Finger schauen müssen. Es wird darum gehen, wie wir den Folgen der Pandemie begegnen. Wir müssen uns überlegen, wie wir die Unternehmen stärken und dem Arbeitsmarkt Stabilität verleihen können. Uns in der CDU eint zudem das Ziel, vielen die Teilhabe an Beschäftigung zu ermöglichen. Wir wollen die aktuell eine Million Langzeitarbeitslosen in unserem Land nicht verwalten. Wir wollen Anreize zur Arbeitsaufnahme setzen. Bei der Klimapolitik wiederum fokussieren wir uns auf einen klugen Instrumentenkasten und auf die Einsicht, dass man Ökologie nicht losgelöst von ökonomischen und sozialen Fragen betrachten kann.
Was aber hat dazu geführt, dass beide Flügel manchmal so hart miteinander ringen? Was ist der Grund dafür, dass die Positionierung des einen so inakzeptabel für den anderen erscheint? Und warum nehmen wir uns diese Unterschiedlichkeiten so übel? Streit in der Sache, der auch Reibung erzeugt, muss an sich nichts Schlechtes sein. Ganz im Gegenteil. Er zeigt, dass eine Partei lebendig ist, dass es einen Wettbewerb um die besten Ideen gibt. Wichtig bei alledem ist nur, dass es fair und sachlich bleibt. Alles andere ist, wenn es zudem auch noch in aller Öffentlichkeit ausgetragen wird, für das Erscheinungsbild unserer Partei wenig förderlich.
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»Wichtig ist, dass wir respektvoll miteinander umgehen, auch im Angesicht unterschiedlicher Auffassungen.« Es gibt also viele Themen, bei deren Zielen wir uns auch innerhalb der Vereinigungen einig sind. Über die Wege dorthin können wir leidenschaftlich diskutieren. Was spricht eigentlich dagegen, dass wir Vereinigungen uns übergreifend über Eckpunkte zur Zukunft der Sozialsysteme verständigen? Was bedeutet die demografische Entwicklung in unserem Land für deren Finanzierung? Wie könnte eine vernünftige soziale Absicherung auch unter dem Aspekt der Generationengerechtigkeit aussehen? Eine tiefergehende Verständigung zwischen CDA und MIT, auch zusammen mit der Jungen Union und der Senioren Union, halte ich für durchaus sinnvoll, um
ein Gefühl für die Bedürfnisse des jeweils anderen zu bekommen. Wichtig ist, dass wir respektvoll miteinander umgehen, auch im Angesicht unterschiedlicher Auffassungen. Niemandem sollte die Mitgliedschaft in der CDU abgesprochen werden, weil er eine kontroverse Haltung vertritt oder auch mal gerne an das erinnert, wofür die CDU schon immer gestanden hat. Wir brauchen überzeugte CDU-Mitglieder und auch Flügelkämpfer. Am Ende sollte uns auf unserem gemeinsamen Weg vor allem leiten, wie wir insgesamt wieder erfolgreicher sein können.
Jana Schimke MdB ist seit 2013 Abgeordnete des Deutschen Bundestages und dort Mitglied im Vorstand des Parlamentskreises Mittelstand (PKM) der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Sie ist außerdem stellvertretende Bundesvorsitzende der MIT.
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Von beiden Seiten
Eine starke Wirtschaft lebt von einem starken Sozialstaat Die soziale Seite der Union
von Dennis Radtke
Die CDU ist keine Arbeiterpartei. Sie war es nie und ich wünsche mir eine solche Entwicklung auch nicht für die Zukunft. Die CDU ist aber auch nie eine reine Klientelpartei der Wirtschaft gewesen. Ziel war immer eine breite Wählbarkeit für weite Teile unserer Bevölkerung in all ihrer Vielfalt. Volkspartei im besten Sinne.
Diese Vielfalt ist der Partei an manchen Stellen in den letzten Jahren ein Stück weit abhandengekommen. Das ernüchternde Ergebnis der Bundestagswahl macht deutlich, dass dies nicht nur eine gefühlte Wahrheit ist, sondern traurige Wirklichkeit. Die Unionsparteien haben diese Wahl in der sozialen Mitte verloren. 1,5 Millionen Wählerinnen und
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Unternehmer sind zwölf Euro Mindestlohn ebenso uninteressant wie Debatten über Gendersternchen. Ihre realen Probleme heißen Fachkräftemangel sowie steigende Energie- und Rohstoffpreise. Solche konkreten Herausforderungen lassen sich nicht durch ideologische Phantomdebatten lösen.
Wähler, die zur SPD gewandert sind, und rund eine Million, die an die Grünen verloren wurden, haben uns nicht das Vertrauen entzogen, weil wir nicht konservativ oder wirtschaftsliberal genug sind. Es lag vielmehr darin begründet, dass wir für viele konkrete Probleme im Lebensalltag der Menschen keine Antworten hatten oder wie beim Mindestlohn schlicht die Debatte verweigert haben. Hinzu kommt, dass wir – teils offen – sozialpolitische Errungenschaften der Ära Angela Merkels, wie die Grundrente, in Frage gestellt haben. Wer so agiert, agiert nicht nur ohne Empathie, er agiert ohne politischen Instinkt.
Unser gemeinsames Projekt: Transformation der Wirtschaft Gerade die industriepolitischen Herausforderungen mit Blick auf die nötige Transformation der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität stellen CDA und MIT vor die gleiche wichtige Aufgabe: Wie gestalten wir die Rahmenbedingungen so, dass dies ohne Strukturbrüche für ganze Branchen und Regionen gelingt – zum Schutz der Beschäftigten und der Industrie. Die Zeiten der SPD als Schutzmacht für Industrie und Industriearbeiter sind längst vorbei. Wir haben daher die Chance, uns als letztes Bollwerk zu präsentieren, das beim Klimaschutz die Industrie nicht als Gegner begreift, sondern als Teil der Lösung. Die Frage der Transformation darf kein reines Elitenprojekt sein. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes ist für viele Menschen ebenso drängend, wie die Entwicklung der Energie- und Benzinpreise für viele schlicht bedrohlich ist. Die, die Angst um ihre Existenz haben, ob als Beschäftigter oder Unternehmer, dürfen sich nicht von Politik abwenden, sondern müssen wissen, dass die CDU Ansprechpartner und Anwalt ihrer Sorgen ist.
»Für viele konkrete Probleme im Lebensalltag der Menschen hatten wir keine Antworten oder haben wie beim Mindestlohn schlicht die Debatte verweigert.« Die politische Agenda von 16 Jahren Kanzlerschaft Angela Merkels zum Grundübel der Union umzuetikettieren, wäre aus meiner Sicht ein großer Fehler. Die Bundeskanzlerin führt bis heute unangefochten die Beliebtheitswerte der deutschen Politiker an. Wer sich, wie Teile der Partei, regelmäßig versucht von dieser Politik abzugrenzen und die Oppositionsarbeit gleich miterledigt, darf sich über entsprechende Konsequenzen am Wahltag nicht wundern. Wirtschaftskompetenz nicht mit Verbändelobbyismus verwechseln
Eine solche „Allianz“ ließe sich ebenfalls bei anderen Fragen schließen. Auch Unternehmen würden davon profitieren, wenn Betreuungsangebote für Kinder und pflegebedürftige Angehörige verbessert würden, weil dies gerade für Frauen, die immer noch den größten Anteil dieser unbezahlten Familienarbeit erbringen, neue berufliche Perspektiven eröffnen würde. Überhaupt müssen familienpolitische Fragen in der CDU wieder stärker eine Rolle spielen. Familienpolitik ist eben nicht „Gedöns“, wie Gerhard Schröder sagte, sondern Politik für einen Lebensbereich, der unser Land in seinem Innersten zusammenhält. Gerade die Corona-Pandemie hat schonungslos offengelegt, wie groß die Defizite in der Unterstützung von Familien in Deutschland sind, vor allem dort, wo ein Elternteil alleinerziehend ist. Die Frage der Gewährung eines unbürokratischen Unterhaltsvorschusses für Alleinerziehende sollte in Zukunft in der CDU genauso wichtig sein wie der Kampf gegen die Vorfälligkeit von Sozialversicherungsbeiträgen. Beides
Um aus dem Tal der Tränen zu kommen, brauchen wir wieder Mut zur Breite in der CDU. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass wir uns mit den Kompetenzeinbrüchen auf dem für die Union elementaren Feld der Wirtschaft auseinandersetzen. Aus meiner Sicht ist die Erklärung hierfür nicht ein „zu viel“ an Sozialpolitik in den letzten Jahren, sondern es ist dem Umstand geschuldet, dass Teile der Union Wirtschaftskompetenz mit Verbändelobbyismus verwechseln. Wir dürfen als CDU nicht länger diejenigen sein, die bei bestimmten Fragen als Letzte gemeinsam mit einigen Arbeitgeberverbandsvertretern einsam in den ideologischen Schützengräben sitzen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Realität in Interessensverbänden nicht zwangsläufig deckungsgleich mit der Realität in Unternehmen ist. Für die meisten
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»Wir haben die Chance, uns als letztes Bollwerk zu präsentieren, das beim Klimaschutz die Industrie nicht als Gegner begreift, sondern als Teil der Lösung.« muss in der Union seinen Platz haben und beides sollte auch mit Herzblut vertreten werden. Die Botschaft muss lauten: Die Sorgen von Alleinerziehenden sind uns genauso wichtig wie die Sorgen eines Familienunternehmers.
was es eigentlich ist: unser Tafelsilber als Volkspartei. Keine Vereinigung, kein Flügel, kann für sich einen Alleinvertretungsanspruch als Hüter dieses Tafelsilbers reklamieren. Wenn wir als Union nicht bereit sind, neben Debatten über regionalen Proporz und paritätische Beteiligung von Männern und Frauen auch CDA und MIT in die Debatten über die Neuaufstellung der Partei zu integrieren, würden wir, ohne Not, beim Neustart auf wichtige Elemente verzichten. Ich erwarte von einem künftigen CDU-Vorsitzenden, dass er dies in seine Überlegungen mit einbezieht – auch hierin sollten sich CDA und MIT einig sein.
Es braucht beide Seiten für die Neuaufstellung der Partei Ich wünsche mir für eine erfolgreiche Zukunft der CDU, dass es gelingt, auch verbunden mit authentischen Köpfen, thematische Breite nicht als Malus und nicht als Konfliktfeld zu sehen, sondern als das,
Dennis Radtke MdEP ist gelernter Industriekaufmann und Gewerkschaftssekretär. Seit 2017 vertritt er als Abgeordneter im Europäischen Parlament das Ruhrgebiet. Er ist Koordinator der EVP-Fraktion und Mitglied im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL). In der CDA engagiert er sich auf Bundesebene als stellvertretender Bundesvorsitzender sowie als Vorsitzender des CDA Landesverbands NRW.
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Gegen weiße Flecken Zur Erneuerung nach dem Verlust fast aller Thüringer Wahlkreise
von Christian Hirte In Thüringen musste die CDU bei der vergangenen Bundestagswahl besonders schwere Verluste hinnehmen. Der Landesvorsitzende Christian Hirte erläutert, wie die Partei nach der Niederlage ihren Blick wieder nach vorne richtet, sich für die Zukunft aufstellen möchte und dabei unter anderem ihre Mitglieder stärker einbinden will.
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Die verlorene Wahl
Armin Laschet ist ein kompetenter Politiker, den ich sehr schätze, und er war ein erfolgreicher Ministerpräsident. Daran bestand bei seiner Kür zum Kanzlerkandidaten kein Zweifel. Für Unmut insbesondere an der Parteibasis sorgte vielmehr zweierlei: erstens das ungeordnete Verfahren mit der Schwesterpartei CSU und zweitens das Gefühl, schon wieder übergangen worden zu sein. Die Thüringer CDU-Mitglieder hatten nach meiner Wahrnehmung bei den vergangenen Wahlen zum Bundesvorsitz mehrheitlich zu Friedrich Merz geneigt und beim Kanzlerkandidaten zu Markus Söder. Das erschwerte die Mobilisierung im Wahlkampf erheblich.
Sieben von acht Direktmandaten verloren – während die Enttäuschung über das Ergebnis der Union am 26. September in ganz Deutschland zu spüren war, trauten viele in Thüringen zunächst den eigenen Augen kaum. Das auf der Landesvertreterversammlung ausgegebene Ziel, zum dritten Mal in Folge alle acht Direktmandate zu holen, galt als ambitioniert, aber machbar. Es kam anders. Lediglich Manfred Grund konnte sein Direktmandat knapp verteidigen. Antje Tillmann und ich zogen dagegen über die Landesliste wieder in den Bundestag ein. Im Zweitstimmenergebnis zeigte sich deutlich: Die Thüringer Wähler haben, mehr noch als in den meisten anderen Teilen Deutschlands, gegen die CDU gestimmt. Wir überzeugten nur noch 16,9 Prozent der Thüringer, was einem Minus von 11,9 Prozent entspricht. Letztere stimmten stattdessen fast geschlossen für die SPD.
»Es gibt wohl kaum völlig isolierte Ost-Themen, aber die Perspektive auf viele Probleme ist im Osten Deutschlands eine andere.« Zudem ist häufig gesagt worden, im CDU-Wahlkampf hätten „Ost-Themen“ gefehlt. Präziser muss es heißen: Es gibt wohl kaum völlig isolierte OstThemen, aber die Perspektive auf viele Probleme ist im Osten Deutschlands eine andere. Die Frage nach Löhnen und der Altersversorgung stellt sich anders, wenn diese nach wie vor im Westen erkennbar höher ausfallen. Umwelt- und Klimaschutz will man auch in Thüringen, aber nicht zu jedem Preis. Auch das Thema Migration wollen die Bürger im Osten klarer auf der Agenda sehen. Gerade dieser letzte Punkt dürfte sich angesichts der von der Ampel im Bund geplanten Aufweichungen weiter verschärfen.
Die Ursachen In Thüringen gibt es ganz eigene Faktoren für dieses schlechte Abschneiden: darunter die KemmerichWahl 2020, der anschließende „Stabilitätsmechanismus“ zwischen der CDU-Fraktion und der linken Minderheitsregierung und die gescheiterte Neuwahl des Landtags. All das hat sich vielen Thüringern stärker eingeprägt als landespolitische Erfolge der CDU. Maßgeblich aber war unterm Strich, dass Kanzlerkandidat und Kampagne auch in Thüringen kaum verfangen haben.
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»Allen Beteiligten ist klar, dass sich das Blatt nicht einfach über Nacht wenden wird.«
Der Dialog
werden. Das stellt uns vor die Herausforderung, vor Ort präsent und kampagnenfähig zu bleiben. Um entsprechende Reformen auf den Weg zu bringen, haben wir eine Struktur- und Satzungskommission eingesetzt, die die Breite der Partei und insbesondere die Perspektive der Kreisverbände abbildet.
Für uns als Landespartei stand fest: Nach diesem Desaster muss es eine umfassende Aufarbeitung, einen Reformprozess und eine neue Form der Mitgliederbeteiligung geben. All das muss schnell beginnen – und gleichzeitig langfristig ausgelegt sein.
4. Wir streben eine noch engere Abstimmung und klarere Repräsentanz gegenüber der Bundespartei an. Das werden wir als Thüringer nicht allein bewerkstelligen können. Deshalb werden wir eine dauerhafte CDU-Ostkonferenz etablieren. Erste Gespräche mit den anderen ostdeutschen Landesverbänden haben bereits stattgefunden. Alle sind sich darin einig, dass es einen engen Austausch braucht, um mit einer starken gemeinsamen Stimme unsere Anliegen in Berlin sichtbar zu machen.
Die CDU Thüringen hat deshalb als erster Landesverband der Union direkt das Gespräch mit den Mitgliedern gesucht. Bereits wenige Tage nach der Bundestagswahl kamen Orts- und Kreisvorsitzende mit der Parteiführung zusammen, um über Konsequenzen zu beraten. Der dort begonnene Austausch setzte sich fort und gipfelte Mitte Oktober in den Beschlüssen des 37. Landesparteitags. Die Maßnahmen
5. Wofür steht die CDU und was macht CDU-Politik aus? Diese Fragen muss jeder wieder klar beantworten können. Zusammen mit der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag arbeiten wir an der Schärfung unseres Profils. Wir wollen wieder selbstbewusst nach außen tragen, was uns ausmacht und wer wir sind: nämlich die bürgerliche Volkspartei der Mitte auf Basis des christlichen Menschenbildes mit starken und erkennbaren Flügeln – konservativ, liberal und sozial.
Folgende Maßnahmen stellen wir ins Zentrum: 1. Wir geben erstmalig allen Mitgliedern der CDU Thüringen durch eine Mitgliederbefragung die Möglichkeit, über Parteiarbeit, konkrete Beteiligungsmöglichkeiten und thematische Ausrichtung der Landespartei mitzubestimmen. 2. Wir verstärken den Austausch mit den Kreis- und Ortsverbänden. Dafür besucht unser Präsidium zurzeit alle Kreisverbände. Langfristig werden wir mindestens zwei Orts- und Kreisvorsitzenden-Konferenzen im Jahr ausrichten.
Die Perspektive Damit sind die ersten Schritte hin zu einer Reform des Landesverbands und vor allem mehr Mitgliederbeteiligung gemacht. Auch vonseiten der Bundespartei kamen aus unserer Sicht zuletzt die richtigen Signale. Diese Signale können wir durch eine kraftvolle Oppositionsarbeit und Profilierung
3. Durch den Wegfall von Bundestags- und davor auch Landtagsmandaten sind „weiße Flecken“ auf der Thüringer Landkarte entstanden, die nicht mehr unmittelbar durch einen CDU-Abgeordneten vertreten
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verstärken. Angriffsfläche bietet die Ampelkoalition bereits jetzt mehr als genug, etwa in den Bereichen Sicherheit, Familie, Bildung oder, wie bereits erwähnt, Migration. Allerdings ist allen Beteiligten klar, dass sich das Blatt nicht einfach über Nacht wenden wird. Wichtige Rollen in diesem Erneuerungsprozess spielen nicht zuletzt der neue Bundesvorsitzende sowie die Kooperation zwischen Konrad-Adenauer-Haus und den Landesverbänden.
Wir wollen den Weg, der vor uns liegt, gemeinsam und geschlossen antreten. Den Erfolg dieser Bemühungen können wir in Thüringen in den kommenden Jahren messen: Wir wollen 2022 unsere kommunalpolitische Verankerung bei den ehrenamtlichen Bürgermeisterwahlen festigen und ausbauen. 2024 erwartet uns dann ein Superwahljahr: Bürgermeister, Landräte, kommunale Parlamente, Europaparlament und Landtag.
Christian Hirte MdB ist seit 2008 Bundestagsabgeordneter und seit 2020 Landesvorsitzender der CDU Thüringen. Von 2018 bis 2020 war er Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie sowie Beauftragter für die neuen Bundesländer.
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MITGL VS.
DELEG 48
I E DER Wer soll in der CDU entscheiden?
Seit der Bundestagswahlniederlage häufen sich die Rufe nach mehr Mitgliederbeteiligung in der Union. Erstmals wählen CDU-Mitglieder den Bundesvorsitzenden dieses Mal direkt. Noch herrscht das Delegiertenprinzip auf vielen Entscheidungsebenen in der Union vor, doch der Ruf der Basis nach Mitsprache wird lauter. Im Kreisverband Berlin-Lichtenberg wurde das Mitgliederprinzip bereits 2016 eingeführt. Der Lichtenberger Kreisvorsitzende, Martin Pätzold, zieht ein positives Resümee. In den Lichtenberger Wahlkreisen Hohenschönhausen Nord und Süd haben Danny Freymark und er bei der Abgeordnetenhauswahl 2021 erstmals mit jeweils deutlichem Stimmenzuwachs zwei Hochburgen der Linken erobert. Er fordert, das Mitspracherecht der Mitglieder als gesellschaftlichen Seismografen zu nutzen, um Megatrends und Problemfelder zu erkennen. Im mitgliederstärksten CDU-Kreisverband – der CDU Rhein-Sieg – finden Mitgliederprinzip und Delegiertenprinzip seit Jahrzehnten nebeneinander Anwendung. Der örtliche Kreisvorsitzende, Oliver Krauß, mahnt den finanziellen und personellen Aufwand für Partei und Mitglieder an – selbst ohne zusätzliche Anforderungen durch eine Pandemie. Mitglieder müssten besonders in flächenmäßig großen Landkreisen weite Strecken zurücklegen, um an Wahlversammlungen teilzunehmen. Gerade in solchen Wahlkreisen sei das Delegiertenprinzip deshalb notwendig. Die Digitalisierung biete jedoch Chancen für die Weiterentwicklung von Beteiligungsformaten.
IERTE 49
SCHWARMINTELLIGENZ NUTZEN Das Mitgliederprinzip auf allen Ebenen einführen
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von Martin Pätzold
das große Teile unserer Partei noch immer als fruchtbares Instrument der innerparteilichen Demokratie ansehen. Für viele Funktionäre, die seit Jahrzehnten in der CDU sind, die Abläufe kennen und wahrlich partizipieren können, mag dies zutreffen.
Die Christlich Demokratische Union Deutschlands, die Volkspartei der Mitte und meine politische Heimat, hat die letzte Bundestagswahl krachend verloren. Selbstverschuldet und basierend darauf, dass sich viele von uns zu weit von den Lebensrealitäten der Wählerinnen und Wähler in Stadt und Land entfernt haben. Daran gibt es nichts zu kaschieren. Im Nominierungsprozess unseres Spitzenkandidaten – nicht im Ergebnis als solches – wurde dies mehr als deutlich. Dem liegt der Kardinalfehler zugrunde, unsere Mitglieder an dem Auswahlprozess nicht beteiligt zu haben. Daraus müssen wir die richtigen Schlüsse ziehen, denn unsere inhaltlichen Positionen sind weiterhin mehrheitsfähig in der Gesellschaft. Und in unserer Mitgliederschaft schlummert weiter unheimliches Potential, was es zu heben gilt. Allein schon aus Eigeninteresse für die Idee der Union, die in der heutigen Zeit mehr denn je gebraucht wird.
Derweil sehnen sich unsere Mitglieder nach mehr Teilhabe und warten geduldig auf eine inhaltliche und strukturelle Erneuerung. Gerade für jüngere und neue Mitglieder gilt dies im Besonderen. Denn wer sich als Mitglied in der CDU engagieren möchte, hat häufig das Gefühl, nicht mitentscheiden zu können. In einer immer komplexeren Welt, die uns jeden Tag die Möglichkeit einräumt, sich auf mannigfaltige Art zu informieren, sich zu entscheiden und einzubringen, wirken wir als CDU viel zu oft starr und leblos. Teil des Erneuerungsprozesses muss deshalb auch eine stärkere Einbindung unserer Mitglieder sein. Beteiligung stärkt das Leistungsprinzip
»In unserer Mitgliederschaft schlummert unheimliches Potential, was es zu heben gilt.«
Oft wird heutzutage zurecht auf die Schwarmintelligenz verwiesen, die in sich selbst organisierenden Communities oder in Social Media entstehen. Nur verzichten wir fast gänzlich darauf, diese Sichtweisen in unsere Entscheidungsprozesse miteinzubeziehen. Für jeden Instagram-Influencer gilt heute das Credo: Beteilige deine Community. Dies mag trivial klingen und doch beherzigt die CDU diesen Grundgedanken, der auch für den innerparteilichen Willensbildungsprozess gilt, nicht ausreichend.
Innerparteiliche Demokratie erneuern Aufgrund unserer Niederlage auf Bundesebene muss nunmehr ein Erneuerungsprozess angestoßen werden, der hoffentlich zu einer Neubewertung einiger Standpunkte führen wird. Denn nicht zu Unrecht attestieren interne und externe Kritiker der CDU eine Abkopplung von den Lebenswirklichkeiten der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. Die Ursache hierfür sehe ich auch im starren Delegiertenprinzip,
Ich fordere deshalb ein Mitgliederprinzip auf allen parteilichen Ebenen. Denn: Eine stärkere Mitgliederbeteiligung befördert unsere Fähigkeit, die Verankerung im gesellschaftlichen Raum zu erhalten. Mehr
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»Möchten wir die repräsentative parlamentarische Demokratie stärken, so müssen wir unseren Mitgliedern zwangsläufig mehr Mitsprache einräumen.«
Ein neuer Führungsstil
Mitspracherecht bedeutet selbstverständlich mehr Verantwortung für jedes einzelne Mitglied. Denn auch wir müssen uns fragen, warum wir erfolglose Kandidatinnen und Kandidaten in den Wahlkreisen allzu oft wiederholt nominieren. Gerade für uns Abgeordnete und Mandatsträger muss das Leistungsprinzip gelten. In Sonntagsreden betonen wir das immer bewusst, im Parteileben versuchen wir es zu negieren. Authentisch ist das nicht.
Die Forderung nach einer stärkeren Einbindung der Mitglieder ist keineswegs als eine Abkehr von einer verantwortungsbewussten Führung zu verstehen. Diese ist selbstverständlich weiterhin gewünscht und notwendig. Der Anspruch an Führung hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Deshalb müssen wir die Zeichen der Zeit erkennen und den gesellschaftlichen Trends nicht länger hinterherlaufen, sondern sie mithilfe unserer Mitglieder frühzeitig identifizieren und in unser Agenda Setting aufnehmen. In der Vergangenheit kam es viel zu oft vor, dass Einwände und Verbesserungsvorschläge aus der Parteibasis überhört wurden. Insofern müssen wir die Mitglieder auch als Korrektiv für falsche Vorstandsentscheidungen begreifen – als gesellschaftlichen Seismografen.
»Unsere Mitglieder sehnen sich nach mehr Teilhabe.« Unsere Mitglieder wollen debattieren, sich einbringen und ihrer Stimme Geltung verschaffen – ansonsten wären sie nicht Teil der CDU geworden. Wir dürfen, das ist meine feste Grundüberzeugung, unsere Mitglieder nicht als bloße Beitragszahler und Wahlkampfhelfer wahrnehmen. Vielmehr gilt es, sie aktiv in die politische Arbeit einzubeziehen. Die Stärke einer Volkspartei bilden ihre Mitglieder. Binden wir diese ein, lassen wir Raum für Diskussionen und Widerspruch zu, so erhalten wir letztlich nicht nur eine breite innerparteiliche Akzeptanz für die getroffenen Entscheidungen, sondern es entstehen gleichsam auch politische Forderungen, die in breiten Teilen der Gesellschaft konsens- und anschlussfähig sind. Und da haben wir in den letzten Jahren so einige Entwicklungen verpasst. Die Union wirkt nicht mehr zeitgemäß, obwohl es unsere Themen sind. Im Auftreten und Habitus erinnern wir eher an das 20. Jahrhundert. Und das muss nicht so sein.
»Wir müssen die Mitglieder auch als Korrektiv für falsche Vorstandsentscheidungen begreifen – als gesellschaftlichen Seismografen.« Deutlich wurde dieser Zustand insbesondere bei der Wahl zum letzten Bundestag: Es trat ein Kanzlerkandidat der Union an, der an der Basis keinen breiten Anklang fand und damit fast zwangsläufig auch keine Begeisterungsstürme in der Gesellschaft hervorrufen konnte. Im Sinne des Leistungsgedankens muss hier zukünftig der beste Kandidat ausgewählt werden und die Verantwortung hierfür sollte maßgeblich bei der Basis der Partei liegen. Ich bin der festen Überzeugung: Unsere zukünftige Entwicklung
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hängt maßgeblich davon ab, wie wir unsere Mitglieder beteiligen werden. Möchten wir wieder Politik für die breite Mitte der Gesellschaft machen, so ist es unbedingt notwendig, verstärkt auf die Stimmen aus der Basis zu hören.
Widerspruch: Möchten wir die repräsentative parlamentarische Demokratie stärken, so müssen wir unseren Mitgliedern zwangsläufig mehr Mitsprache einräumen. Nur so können wir uns permanent inhaltlich weiterentwickeln und wieder zu einer modernen Volkspartei der Mitte werden, die altgediente Mitglieder hält und junge engagierte Menschen neu für sich gewinnt.
Trends erkennen Den Finger am Puls der Zeit zu haben, wird allzu oft mit Opportunismus verwechselt. Wir dürfen nicht ohne Rücksicht auf eigene Wertvorstellungen unsere politischen Überzeugungen abstreifen. Auch hier gilt: Die Parteibasis kennt die gesellschaftlichen Megatrends und Problemfelder; gleichsam sind sich unsere Mitglieder ihrer Wurzeln bewusst. Die technische Entwicklung ermöglicht es seit Jahrzehnten, sich im Internet umfassend zu informieren, die eigene Meinung kundzutun und diese mit Gleich- und Andersgesinnten zu teilen. Nur eine Partei, die daran gebunden ist auch die eigenen Mitglieder zu beteiligen, wird ihre Politik nachhaltig und im Sinne aller Generationen ausrichten können, ohne dabei eigene Wertvorstellungen über Bord zu werfen. Es ist kein
Uns muss bewusst sein, dass die Zukunft der Union von uns abhängt. Lassen wir dabei alle Mitglieder mitgestalten. Dadurch können wir uns besser aufstellen. Als Team mit einer breiten Unterstützung der Mitgliedschaft. Wir müssen uns verändern, um mit der Zeit zu gehen und unseren (neuen) Platz in der Mitte der Gesellschaft zu finden. Die Transformation unserer Parteiarbeit muss beginnen und sie wird dazu führen, dass unsere Partei zum Ort der Entscheidungsfindung werden sollte. Denn dadurch erhalten wir uns eine Stärke aus den alten Tagen: Wir können lokalen und regionalen Kandidatinnen und Kandidaten ein starkes Fundament mitgeben, dass erfolgreiche Wahlkämpfe ermöglicht.
Prof. Dr. Martin Pätzold MdA ist seit 2011 Kreisvorsitzender der CDU Lichtenberg und direkt gewähltes Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Von 2013 bis 2017 vertrat er Lichtenberg im Deutschen Bundestag.
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EINE FALLENTSCHEIDUNG Die einseitige Festlegung greift zu kurz
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von Oliver Krauß
ihren Status als Volkspartei in christlicher Verantwortung zu behaupten. Als solche ist sie wie keine andere Partei jedem einzelnen Mitmenschen verpflichtet. Politisches Handeln für eine möglichst gerechte Gestaltung der Welt basiert auf dem Gebot christlicher Nächstenliebe: Die Folgen dieses Handelns sollen gleichermaßen dem eigenen Wohlergehen und dem der Anderen dienen. Norbert Blüm hatte zugespitzt: „Der Mensch ist weder losgelassenes Individuum noch vergessenes Kollektiv. Er ist beides: Individuum und Sozialwesen. Das plausibel zu machen, halte ich für eine wichtige Orientierungsaufgabe.“
Ein „Ende des Unheils für die Staaten“ ist nicht abzusehen, wenn politische Macht nicht mit umfassendem Wissen zusammenfällt. Politische Teilhabe deshalb nur für die, die von „Arbeit für die Notdurft des Lebens befreit“ sind: Solche Skepsis der antiken Philosophen Platon und Aristoteles gegenüber direkter Demokratie ist über Staatsordnungen hinweg erhalten geblieben. „Vox populi – vox Rindvieh“: Mit diesem hergebrachten Satz brachte Franz Josef Strauß ein gewisses Misstrauen gegenüber Volksabstimmungen zum Ausdruck. An anderer Stelle rät er aber, dem Volk „aufs Maul“ zu schauen. Wie können wir als „Volke“, von dem in der Bundesrepublik alle Staatsgewalt ausgeht, und ebenso als Parteivolk Beteiligungsformen am besten organisieren, um der überantworteten Aufgabe gerecht zu werden?
Der große Reichtum einer Gemeinschaft liegt in den Köpfen und Händen ihrer Mitglieder. Im Einklang mit dem christlichen Verständnis vom Menschen gilt die Hinwendung jeder und jedem Einzelnen. Das fordert, Türen aufzumachen und sich als Partei zurückzunehmen. Der Anspruch, erkennbar zu sein, Einfluss nehmen zu können und durchsetzungsfähig zu sein, liefert demgegenüber Argumente für Hierarchisierung. Bei einer Öffnung gilt es zudem Übergänge im Innen- und Außenverhältnis zu bedenken. Nach Worten Karl Arnolds ist Gründungskonsens der CDU, eine „große politische Sammlung“ werden zu wollen, „die auf christlicher und demokratischer Grundlage beruht“. Stabile Parteimitgliedschaften bedeuten Bekenntnis zum Wertefundament und sind ausschlaggebend, um Partei zu sein. Davon zu unterscheiden sind die Assoziierung und die Übereinstimmung mit nur einer einzelnen Idee.
Parteien, deren innere Ordnung „demokratischen Grundsätzen entsprechen“ muss, haben Verfassungsrang und den Auftrag zur Willensbildung. Sie haben differenzierte Verantwortung, in deren Horizont sich Beteiligungsformate bewähren müssen: politisch, institutionell, gesellschaftlich. Im Blick auf die Binnenorganisation einer Partei stehen zwei Fragen im Fokus: Hat ein Delegiertenprinzip im Zeitenwandel noch eine hinreichende Berechtigung? Und kann eine digital erweckte Beteiligungsoffensive nicht nur bisherige Mitglieder wirklich erreichen, sondern auch ein neues, attraktives Angebot machen, sich für eine Mitgliedschaft zu entscheiden? Parteien sind den Mitmenschen verpflichtet
Präferenzen für ein Delegierten- oder aber für ein Mitgliederprinzip müssen diese Aspekte stets gegeneinander wägen. Im Zeitenverlauf muss die
Gerade die Ergebnisse der Bundestagswahl im September 2021 fordern die CDU wie nie zuvor,
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einzuholen. Eine verbindliche Entscheidung bietet Konfliktpotenzial für den einzelnen Abgeordneten, der sein Mandat unabhängig ausübt, ausdrücklich frei von jeder Bindung an Aufträge und Weisungen. Das Grundprinzip der demokratischen Repräsentation könnte in einem solchen Szenario beeinträchtigt sein.
jeweilige Realisierung dem Ganzen in bester Weise helfen und die Akzeptanz sicherstellen. Die Frage, ob beziehungsweise inwieweit politische Parteien ihre Mitglieder direkt an Personal- und/ oder Sachfragen beteiligen sollen, gewinnt zunehmend an Bedeutung. Entscheidungsprozesse werden nicht nachvollzogen oder zuweilen als dem mehrheitlichen Willen zuwiderlaufend empfunden. Beispielhaft fühlten sich Unionsmitglieder 2021 bei der Bestimmung des Kanzlerkandidaten nicht ausreichend mitgenommen. Die digitalen Formate, über die bereits Parteitage mit Wahlen erfolgreich durchgeführt wurden, wirken geradezu als Appell, die Möglichkeiten unmittelbarer Einflussnahme für alle Mitglieder auszubauen.
Die Diskussion um das „imperative“ oder „freie Mandat“ ist ebenso zu erleben, wenn es um die „Fraktionsdisziplin“ geht, die vor einem Auseinanderlaufen im Angesicht politischen Tatendrucks schützen soll. Ohne „Fraktionsdisziplin“, ohne „Fraktionszwang“ könnte vor allem eine knappe Mehrheit in einem Parlament kaum bestehen. Viele Mitglieder, hoher Organisationsaufwand, alternative Formate
Eine gemeinhin abnehmende Bereitschaft, sich dauerhaft in einem Verein oder in einer Partei zu engagieren, legt nahe, den Mehrwert einer Mitgliedschaft sichtbarer zu machen. Das Interesse, sich politisch zu engagieren, erscheint nach wie vor hoch, oft allerdings begrenzt auf ein konkretes Projekt, auf Einzelfragen. Vergleichbar dem kirchlichen Raum registrieren etablierte Parteien demgegenüber anhaltenden Mitgliederrückgang. Alterungseffekte sind zu beobachten.
Gemessen an der Einwohnerzahl ist der Rhein-SiegKreis mit mehr als 600.000 Einwohnern einer der größten Landkreise der Bundesrepublik. Der Kreisverband der CDU Rhein-Sieg gilt mit annähernd 6.000 Mitgliedern als der mitgliederstärkste CDUKreisverband. Traditionell finden hier Mitgliederprinzip und Delegiertenprinzip nebeneinander Anwendung.
Moderne Parteiarbeit mit Mitteln der Digitalisierung
»Gerade für einen Kreisverband mit einer recht hohen Mitgliederzahl bedeutet die Organisation einer Versammlung für alle Mitglieder regelmäßig erheblichen Aufwand.«
Eine moderne Partei nimmt ihre Mitglieder mit und präsentiert sich im Werben um neue Mitglieder zeitgemäß attraktiv. Heute stehen dafür digitale Formate zur Verfügung. In Wechselwirkung mit dem Pandemiegeschehen prägen sie den Alltag so sehr, dass für die Anwendung – wenn überhaupt – nur geringe Hürden zu überwinden sind. Neben dem Arbeitsleben bestimmen Telefon- und Videokonferenzen auch die Freizeit: vom digital umgesetzten Sportkurs bis hin zum Musikunterricht.
Im Zweijahresrhythmus werden in den 19 Stadtund Gemeindeverbänden Delegierte für den CDUKreisparteitag basisdemokratisch gewählt. Diese Delegierten wiederum wählen den Kreisvorstand. Ein Delegiertenprinzip ist immer wieder Kritik ausgesetzt, dass nur ein relativ kleiner Teil der Mitglieder letztlich über Personal- und Sachfragen bestimmt. Gerade für einen Kreisverband mit einer recht hohen Mitgliederzahl bedeutet die Organisation einer Versammlung für alle Mitglieder regelmäßig erheblichen Aufwand: nicht zuletzt in finanzieller und personeller Hinsicht – und selbst ohne zusätzliche Anforderungen durch eine Pandemie. Umgekehrt müssen viele Mitglieder gerade in großen Landkreisen längere Wegstrecken zurücklegen, um ihre Rechte in Präsenz auszuüben.
Aus Parteisicht muss die Nutzung digitaler Formate gewährleisten, auch diejenigen Mitglieder gleichberechtigt einzubinden, die keinen Zugang zu solchen Plattformen haben. Sachverhalte bieten sich als Gegenstand einer verbindlichen Mitgliederentscheidung nicht gleichermaßen an. Beispielsweise hatte die SPD 2018 beschlossen, über die Ergebnisse der seinerzeit mit den Unionsparteien geführten Koalitionsverhandlungen ein verbindliches Mitgliedervotum
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unterschiedlich. Eine einseitige Festlegung, „prinzipiell und immer“, greift zu kurz. Inmitten gesellschaftlicher Veränderung ergibt sich Richtigkeit im lernenden Prozess.
Im Spiegel des erhöhten Aufwands würde eine stärkere Einbindung der Mitglieder neben demokratischer Bewahrheitung mehr Transparenz realisieren, da anstehende Personal- oder Sachentscheidungen frühzeitig im großen Kreis zu kommunizieren wären.
Grundsätzlich hat sich die Mischung aus Delegierten- und Mitgliederprinzip in den großen Räumen des Rhein-Sieg-Kreises ebenso funktional bewährt wie hinsichtlich der Akzeptanz der Mitglieder im Kreisverband: identitätsstiftend und -erhaltend.
Die Kandidatinnen und Kandidaten, die bei Bundestags- und Landtagswahlen für die CDU Rhein-Sieg als Direktbewerber bzw. Direktbewerberinnen antreten, werden hingegen unmittelbar gewählt von allen Mitgliedern, die in dem jeweiligen Wahlkreis das aktive Wahlrecht innehaben. Verzichten Mandatsträger auf eine erneute Kandidatur, bewerben sich erfahrungsgemäß mehrere Parteimitglieder um die Nachfolge, wodurch außerordentliche Mobilisierungseffekte entstehen. Mit jeweiligen Favoriten verbindet sich ein hohes Maß persönlicher Identifikation. Die Kampagnenfähigkeit der Partei leidet darunter nicht. Oft ist sogar eine deutlich erhöhte Bereitschaft festzustellen, für den nominierten Kandidaten bzw. die Kandidatin zu werben, die man selbst mit aufgestellt hat. Nicht nur vereinzelt zeigen diese Aufstellungsveranstaltungen allerdings eine vorübergehende Anziehungskraft: So treten Menschen der Partei temporär bei, um einer Bewerberin oder einem Bewerber zur Kandidatur und gegebenenfalls zum Mandat zu verhelfen.
»Je vollständiger gesichert ist, was die Mitglieder denken und wollen, desto nachhaltiger lassen sich Aufbruch und Erneuerung in der Union gestalten.« Möglichkeiten, alle Mitglieder bei Personal- und Sachfragen einzubeziehen, sollten weiter ausgebaut werden. Die neue Überwindbarkeit physischer Grenzen ist eine besondere Chance für die vollwertigere Einbindung vor allem bislang passiver Mitglieder. Je vollständiger gesichert ist, was die Mitglieder denken und wollen, desto nachhaltiger lassen sich Aufbruch und Erneuerung in der Union gestalten.
Gewünschte Mitbestimmung mit frischem Schwung ausbauen
In dem Für und Wider um ein Mitglieder- beziehungsweise um ein Delegiertenforum sind letztlich ausschlaggebend die Neugierde, die Streitbarkeit, das Entgegenkommen und das Sichtbarmachen von Gestaltungskraft.
Ob das Mitglieder- oder aber das Delegiertenprinzip dienlich ist, erscheint von Fall zu Fall
Oliver Krauß MdL wurde 2017 in den Landtag von Nordrhein-Westfalen gewählt. Der selbständige Rechtsanwalt ist Sprecher der CDU-Landtagsfraktion für Europa und Internationales sowie Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Rhein-Sieg.
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Und eben doch CDU Über den Quereinstieg in eine Partei von Bianca Praetorius Die Personalrekrutierung in Parteien verläuft auch heute noch vornehmlich über die „Ochsentour“. Sie ist maßgeblich für die Kontinuität und Stabilität der Parteien. Gleichzeitig ist klar: Für eine lebendige Diskussionskultur und inhaltliche Weiterentwicklung braucht es Quereinsteiger, die neue Perspektiven und Impulse mitbringen und die Parteien auch in gesellschaftlichen Gruppen verankern, die sie sonst nicht erreichen. Bianca Praetorius, Mitbegründerin der KlimaUnion, ist eine solche Quereinsteigerin. Sie berichtet über ihren Weg in die CDU und wie sie sich eine moderne Union vorstellt.
warum sie CDU wählen, würden sie wahrscheinlich sagen: „Na, weil wir Arbeitgeber sind und Arbeitgeber müssen CDU wählen.” Es gehört sich so – genau wie getauft und konfirmiert zu werden.
Junge Frauen, die in die CDU eintreten, sind fast so selten wie konservative Porschefahrer, die zu Aldi fahren, um Bio-Lebensmittel einzukaufen. Es gibt sie, aber wenn man sie erblickt, guckt man erst einmal kurz verwundert. Ich bin 37 Jahre alt und 2021 in die CDU eingetreten, habe die KlimaUnion mitgegründet und glaube, dass die Union sich verändern muss und auch wird.
Viel darüber gesprochen haben wir nicht. Gedanken zu Glaube oder Politik blieben bei uns zu Hause immer wie die Bibel in der privaten Nachttischschublade. Höchstens meinem Vater entfuhr mal in Rage ein „Mensch, das sind ja solche Idioten bei der SPD!“. Daraufhin entschuldigte er sich sofort und murmelte, er wolle mich nicht
Obwohl ich in einem Haushalt von CDU-Wählern aufgewachsen bin, hatte ich lange keinen Bezug zu der Partei. Wenn ich meine Eltern fragen würde,
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beeinflussen, jeder müsse sich seine eigene Meinung bilden.
nicht wirklich bezeichnen, dafür macht es nicht immer genügend Spaß.
Auch während meiner Schulzeit auf einem Frankfurter Gymnasium hatte ich mit Politik nichts zu tun – ganz im Gegenteil. Politisches Engagement fanden meine Mitschüler und ich eher nicht so cool. Die Schulsprecher-Anwärter waren die, die keine Freunde hatten. Anti-irgendwas-Demonstrationen waren mir genauso fern wie „Jugend debattiert”.
Das Konzept „Partei“ neu denken So wie ich Parteien damals wahrgenommen habe, konnte ich mir absolut nicht vorstellen, einer beizutreten. Mein Startup-Mindset und jahrelanges Zusehen beim Scheitern vieler Konzerne bei ihrer kulturellen Transformation haben mir beigebracht: Große Tanker lassen sich nur schwer auf einen neuen Kurs bringen. Es gibt diesen wunderbaren Satz, der leider nicht von mir stammt: „Kultur isst Strategie zum Frühstück.“ Am besten geht Wandel, wenn man Dinge neu macht und besser designt. Also habe ich schließlich eine neue Partei mitgegründet, um das Konzept „politische Partei“ neu zu denken. Unsere Vision war: digitaler, inklusiver, nutzerfreundlicher und nahbarer. Schließlich waren wir zur Bundestagswahl 2017 in elf von 16 Bundesländern wählbar.
Was Startups und Politik gemeinsam haben Seit zehn Jahren arbeite ich nun selbstständig als Startup-Coach in Berlin. Als Pitch-Coach mache ich Gründerinnen und Gründer fit für ihre Frühphasen-Investment-Pitches. Unsere Hauptstadt ist nicht gerade als christdemokratische Hochburg bekannt und so kam ich erst über Umwege zu meiner CDU-Mitgliedschaft. Wenn ich an Startups denke, denke ich an Gestaltungsdrang. Da ist ein Problem – das kann ich lösen. Wenn wir ein passendes Geschäftsmodell entwickeln, kann es sogar langfristig Bestand haben und ist finanziell nachhaltig. Problem, Lösung, Produkt. Das ist, was ich am Unternehmertum liebe. TechStartups haben mich schließlich politisiert. Was mich an digitaler Technologie reizt, ist das Potenzial der Skalierung. Das bedeutet für mich: Ich drücke einen Knopf und dann tritt eine strukturelle Veränderung ein. Das wollte ich auf die Politik anwenden.
Zwei Jahre später haben wir das auf paneuropäische Ebene erweitert und dafür wieder eine neue Partei gegründet. Gemeinsam mit einer europaweiten Bürgerbewegung sind wir in sechs verschiedenen Ländern mit dem gleichen Programm angetreten. Ich war deutsche Listenkandidatin für das Europäische Parlament. Dabei habe ich viel gelernt und möchte diese Zeit nicht missen. Nach der Europawahl realisierten wir, dass viele kleine Parteien auf Bundesebene schlicht vergeudete Liebesmühe Tausender Wähler sind, weil sie bei der Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern werden. Allerdings lagen die sonstigen Parteien in Summe bei über 13 Prozent in den Wahlergebnissen. Wieder dachte ich an: Problem, Lösung, Produkt. Also habe ich 2020 versucht, einen Teil dieser kleinen Parteien von einem Zusammenschluss zu überzeugen, um mit ihren Forderungen überhaupt im Parlament anzukommen. Dafür wollten wir eine weitere Partei gründen, eine ContainerPartei, die das gemeinsame Ziel einer Paris-konformen 1,5-Grad-Klimapolitik verfolgen sollte. Dazu kam es jedoch nie, weil es nie zu einer Einigung zwischen den in Frage kommenden Parteien kam. Zu viele kleine Parteien zogen es vor, ihr Glück allein zu versuchen.
»Tech-Startups haben mich politisiert. Was mich an digitaler Technologie reizt, ist das Potenzial der Skalierung. Das wollte ich auf die Politik anwenden.« Politik wirkt mit Gesetzen, um etwas strukturell zu ändern, ein Problem zu lösen, ein besseres Gesamtergebnis zu schaffen. Ich bin pragmatisch: Es zählt, was am Ende wirklich funktioniert. Mich interessieren weniger die parteipolitische Kultur, die Debatte oder emotionale Zugehörigkeit – sondern die Chance, etwas zum Besseren gestalten zu können. Aus diesem Gedanken heraus habe ich 2016 entschieden, Politik zu meiner nebenberuflichen Herausforderung zu machen. Als Hobby kann man das
Diese zweieinhalb Partei-Gründungen waren Versuche, die von „außen” gedacht waren. Egal wie aufregend und lehrreich diese Jahre waren, ich
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Heinrich Strößenreuther und ich fühlten es in unseren Fingerspitzen: Die Union braucht ein Narrativ, das ihre Glaubwürdigkeit in Klimafragen und ihren Markenkern bewahren würde. Am Ende ist Klimapolitik auch Wirtschaftspolitik. Erneuerbare Energien könnten 65 Milliarden Euro Stromimporte ausgleichen. 1,5-Grad-konforme Klimapolitik ist außerdem ein Weiterbildungsthema, denn Klimawissenschaft und dazugehörige Lösungen erklären sich nicht von selbst. Die KlimaUnion hilft mit Narrativ und Expertise.
musste einsehen: Der Wirkungsgrad für die verbessernde Gestaltung von skalierbaren Strukturen war gleich Null. So ungern ich mir das auch eingestehen wollte. Etwas wirklich verändern Also wurde mir klar: Wenn ich weitermachen möchte, dann von „innen“ heraus. Das bedeutete den Parteieintritt. In meinem Umfeld gibt es für einen CDU-Eintritt statt Applaus einen saftigen Shitstorm. Vielleicht habe ich es genau deshalb für die richtige Entscheidung gehalten. In meiner Aktivismus-Filterblase hat die Union nämlich einen sehr schlechten Ruf. Klima wird ihr nicht zugetraut. Alles, was ihre Politikerinnen und Politiker dazu sagen, wird entweder verlacht, oder voller Wut niedergebrüllt, je nach Temperament und Leidenschaft für die Erhaltung der Erde.
Im März 2021, zur Zeit der Gründung der KlimaUnion, war ich in den letzten Zügen meines Mutterschutzes. Anfang April kam dann mein Sohn zur Welt. Ich erinnere mich noch, wie ich während der Geburt meiner Hebamme erklärt habe, welche wichtige Aufgabe mit dem Klima jetzt auf die nächste Bundesregierung zukommt und warum es absolut unabdingbar ist, ein konservatives Klimanarrativ zu entwickeln. Mein Wochenbett war voll mit Zoom-Calls, um die CDU kennenzulernen und die KlimaUnion zu stärken. Das Ganze bedeutet mir heute sehr viel.
»Ich trat also nicht in eine Partei ein, weil ich von ganzem Herzen verliebt bin. Ich habe mich für die Partei entschieden, in der meine ehrenamtliche Arbeit den größten Effekt haben kann.«
Opposition: Unsere Gelegenheit für einen echten Ideenwettbewerb Die Wahl ist vorbei und die Union ist wider Erwarten in der Opposition. Ich habe mich für diese Partei längerfristig entschieden. Denn ich glaube, dass sie in Deutschland noch lange sehr wichtig sein wird. Und weil ich überzeugt bin, dass Deutschland eine starke Mitte braucht, so abgedroschen das auch klingen mag. Ich möchte, dass es für den Wähler schwer wird, sich zwischen all den interessanten inhaltlichen Standpunkten zu entscheiden. Ich möchte einen Wettbewerb der Ideen der Parteien, in der eine Vision verlockender ist als die andere. Das Narrativ des “kleineren Übels” darf sich nicht weiter manifestieren.
Für die Klimafrage brauchen wir aber die Union, ob sie regiert oder nicht. Wichtige Entscheidungen für das Klima werden auf der Landes- und Kreisebene praktisch umgesetzt. Wenn die Union bei diesem Thema nicht dabei ist, können wir eigentlich auch einpacken. Ich trat also nicht in eine Partei ein, weil ich von ganzem Herzen verliebt bin. Ich habe mich für die Partei entschieden, in der meine ehrenamtliche Arbeit den größten Effekt haben kann. Meine Generation, die Millennials, gelten als „purpose driven“. Ich dürfte also mit meiner Sehnsucht danach etwas zu verbessern und zu bewirken, nicht allein in der Partei sein. Etwas wirklich verändern, kann ich nur mit dem tatsächlich erreichbaren Marktanteil: Die Grünen und die FDP haben nur jeweils ein Wähleranteil von 15 Prozent. Würde aber die CDU vor mir pitchen, würde ich ihr einen Daumen hoch für den größten tatsächlich bedienbaren Markt geben. Um dem Produkt CDU den Feinschliff zu verpassen, habe ich gleich nach meinem Parteieintritt die KlimaUnion mitgegründet.
Ich habe Erfahrungen im ganzen Spektrum der Politik sammeln können. Von Aktivismus auf der Straße und smartem Startup-Partei-Gefüge bis hin zur CDU. Dabei ist mir aufgefallen, dass es in Deutschland einfach ist, Menschen ihre politische Zugehörigkeit an reinen Äußerlichkeiten abzulesen. Bei Aktivisten wird viel geraucht, in der Union wird viel Wert auf gebügelte Hemden gelegt. Bei den Progressiven wird gegendert, in der Union muss
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Deshalb bin ich für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr in sozialen Einrichtungen für alle. Die Durchbrechung der Filterblase ist heute wichtiger denn je. Ich glaube, das ist auch in der Gesellschaft bereits angekommen und kann auf breite Zustimmung treffen.
man aufpassen, sich damit keine Feinde zu machen. An Segelschuhen oder Röhrenjeans kann man erkennen, wer sich in welcher Filterblase bewegt. Das langweilt so sehr, dass es wehtut. Parteizugehörigkeit darf keine Lifestylefrage sein. Die tiefe Spaltung, die wir gesamtgesellschaftlich durchmachen, wünsche ich mir innerhalb der Union zu überwinden. Das klingt klischeehaft. Aber wir müssen Volkspartei ernst nehmen, Brücken bauen und aufeinander zugehen, weil wir sonst zerfallen.
Auch beim Thema Daten müssen wir vieles ändern. Wir wollen Digitalisierung, schnelleres Internet, Glasfaserausbau. Dabei haben wir den Wert von Daten noch nicht ausreichend verstanden. Im kollektiven Bewusstsein sind Daten nur mit Datenschutz, bedrohter Privatsphäre und Schreckensszenarien verknüpft.
»Ich wünsche mir, dass es mehr Quereinsteiger wie mich gibt. Überall. Segelschuh-tragende Juristen, die sich zur Grünen Jugend bekennen. Sozialarbeitende Theaterschaffende, die bei den Jungen Liberalen ihr Zuhause finden.«
Diese Beklemmung sollten wir lösen, indem wir ein Datenbewusstsein schaffen und den Zugang zu einem Markt mit Datenschutz verbinden. Statt nur „Akzeptieren“ wählen zu können, könnte die Freigabe für Daten für einen bestimmten vorgezeichneten Vorgang freigegeben werden. Denkbar wäre auch eine Freigabe gegen eine finanzielle Beteiligung – also eine Art Datendividende. Statt Datensparsamkeit zu predigen, könnten die Daten fließen und der Bürger mitverdienen. Das könnte auch langfristig spannend sein, zum Beispiel als zusätzliche Einzahlung in einen Rentenfonds.
Man würde mich nicht sofort bei der Union vermuten. Meistens sind Menschen überrascht, wenn ich sage, dass ich bei der CDU bin. Ich glaube, das ist gut so. Und ich wünsche mir, dass es mehr Quereinsteiger wie mich gibt. Überall. Segelschuh-tragende Juristen, die sich zur Grünen Jugend bekennen. Sozialarbeitende Theaterschaffende, die bei den Jungen Liberalen ihr Zuhause finden. „Gesamtgesellschaftlich“ wird mehr als ein Buzzword sein, wenn sich Filterblasen vermischen.
Eine moderne, erfindungsreiche, kreative und klimakompetente Union – das wünsche ich mir. Eine Union, in der wir diese und andere Themen erforschen, vertiefen, prototypenhaft ausprobieren, testen, über den Haufen werfen und solange probieren, bis es klappt. Das ist politisches Unternehmertum und das brauchen wir heute, um das Morgen zu gestalten.
Bianca Praetorius bereitet als Startup-Coach Gründerinnen und Gründer aus der ganzen Welt auf ihre Investment-Pitches vor. 2021 ist sie in die CDU eingetreten und hat die KlimaUnion mitbegründet.
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Changemanagement im Landesverband Die Neuaufstellung richtig angehen
von Jan Zimmer Seit 2016 regiert eine Ampelkoalition Rheinland-Pfalz. Nach der fünften verlorenen Landtagswahl in Folge hat der CDU-Landesverband beschlossen, in einen umfassenden Analyseund Entwicklungsprozess einzusteigen. Dieser Prozess wird durch einen externen Transformationsberater begleitet. Jan Zimmer, Generalsekretär der rheinland-pfälzischen Christdemokraten, erklärt, warum der Prozess nicht nur dort unvermeidbar ist.
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Bereitschaft, andere Meinungen anzuhören und auch auszuhalten, Demokratie innerparteilich zu leben – all das bereitet manchen Christdemokraten Bauchschmerzen. Sind wir ehrlich miteinander, dann geben wir zum Beispiel zu, dass wir Parteitage mit mehreren Kandidaten solchen vorziehen, auf denen alles klar ist und sich irgendjemand darum gekümmert hat, dass aus Wahlen niemand „beschädigt“ hervorgeht. Das ist absurd. Diejenigen, die nicht werben mussten, gelten als stärker als diejenigen, die sich im fairen Wettbewerb durchgesetzt haben.
Offensichtlich funktioniert das, was wir immer schon gemacht haben, nicht mehr. Das hat uns nicht nur unsere Landtagswahl vor Augen geführt. Auch der Ausgang der Bundestagswahl, die Vorgänge rund um die Kandidatenfindung und die inhaltlichen Schwächen unterstreichen das. Strukturen, Prozesse, Inhalte, kurzum der gesamte operative Bereich, aber auch das Politische, werden deshalb bei uns beleuchtet und auf Bedeutung und Zukunftsfähigkeit abgeklopft. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Prozess auch im Bund kommen muss und wird.
Und warum traut sich niemand, der heute sagt, er fühle sich nicht gut vertreten, auf einem Parteitag an ein Mikrofon und kämpft für seine Überzeugung? Weil das Abweichen von einer gemutmaßten Linie verpönt ist, derjenige, der eine Debatte anfängt, „verbrannt“ wird. Das passt nicht zu einer Partei in einer Demokratie. Damit müssen wir uns konfrontieren, darauf müssen wir uns einlassen. Das wird schmerzhaft.
»Wer grundlegende Änderungen nachhaltig erzielen und unsere Mitglieder stark einbinden will, kommt nicht daran vorbei, auch mit Mitgliedern zu sprechen.«
Die Suche nach den Ursachen
Transparenz muss sein – keine Reform im Hinterzimmer
Doch woher kommt das Denken? Aus meiner Sicht ist es die Sehnsucht nach einer starken Führungsposition, die unwidersprochen aufzeigt, wo es langgeht. Damit hatten wir Christdemokraten auch lange Erfolg: Konrad Adenauer, Helmut Kohl, Angela Merkel. Kanzlerschaften in der CDU sind keine Legislaturperioden. Es ist immer gleich eine Ära, und das prägt die Partei mehr, als uns lieb und auch gesund ist. Eine oder einer steht an der Spitze, gibt Linien vor und trifft Entscheidungen, auch politischer Natur.
In Rheinland-Pfalz haben wir diesen Prozess auf Initiative von Julia Klöckner und mir mit maximaler Offenheit begonnen. Anders geht es nicht. Wer grundlegende Änderungen nachhaltig erzielen und unsere Mitglieder stark einbinden will, kommt nicht daran vorbei, auch mit Mitgliedern zu sprechen. Im Zuge einer Mitgliederumfrage haben wir unsere Mitglieder digital gebeten, uns offen mitzugeben, was nicht läuft. Knapp neun Prozent der angeschriebenen Mitglieder haben mitgemacht. Das Feedback war deutlich. Ebenso deutlich war aber auch, dass wir zum größten Teil unserer Mitgliedschaft nicht durchdringen. Schließlich hat eine überwältigende Mehrheit gar nicht erst teilgenommen. Als erste funktionelle Gruppe nach dem Landesvorstand haben wir die Kreisvorsitzenden informiert und eingebunden. Danach folgte ein Landesparteiausschuss, um einige Wegmarken festzuklopfen. All das wird mit einer regelmäßigen Mitgliederinformation und auf unserem Blog begleitet. Und auch die Medien lassen wir dabei nicht außen vor.
»Kanzlerschaften in der CDU sind keine Legislaturperioden. Es ist immer gleich eine Ära, und das prägt die Partei mehr, als uns lieb und auch gesund ist.« Das kann gut funktionieren, wenn der oder die Vorsitzende das Richtige tut. Bisher hatten wir häufig und sehr lange Glück. Wir hatten Kanzlerinnen und Kanzler und Vorsitzende, die überwiegend klug und mutig agierten und Macht und Einfluss für die CDU sicherten. Wir haben aber keine Erfahrung damit, wie wir miteinander umgehen, wenn entweder nicht das, was die Mehrheit als das Richtige
Es wird schlechter, bevor es besser wird Wir haben schnell gemerkt, dass wir zwar den ganzen Tag reden und diskutieren, aber keine wirkliche Kultur des guten demokratischen Umgangs miteinander haben. Offenheit für das Gegenüber, die
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Wandel kommen muss. Eine Gruppe wird daran arbeiten, (Neu-)Mitglieder besser aufzunehmen und einzubinden.
ansieht, getan wird, oder doch irgendwann ein Führungswechsel ansteht. Der Krampf, den die CDU auf Bundesebene seit Angela Merkels Verzicht auf den Parteivorsitz erlebte, ist nur ein Beispiel von vielen.
Und es wird um die Kultur gehen: Gelingt es uns, Räume zu schaffen? Räume, in denen man hart, aber respektvoll um den richtigen Weg ringen kann? Und schaffen wir es, Verständnis dafür aufzubauen, dass zur Demokratie gehört, dass man als Sieger respektvoll mit den Unterlegenen umgeht, die Unterlegenen aber eine Mehrheitsentscheidung akzeptieren und sich dahinter versammeln?
Nicht warten, bis der Notarzt kommen muss Auch in Rheinland-Pfalz steht ein Wechsel im Parteivorsitz an, seitdem klar ist, dass Julia Klöckner nach zehnjähriger Amtszeit (oder Ära), in der sie tiefe Gräben zugeschüttet hat, nicht mehr zur Wahl steht. Darin liegt, wenn wir den Prozess nicht klug und einbindend gestalten, gewaltiges Spaltpotenzial.
»Noch können wir es schaffen, der politischen Intensivstation zu entgehen. Dazu müssen wir intern klar miteinander sein.«
Es geht nämlich um mehr als die Frage, wer am Ende den Hut aufhat. Innerparteilich müssen wir klären, wie wir uns aufstellen. Organisatorisch, strukturell, operativ, aber eben auch politisch und inhaltlich. Unsere Partei strotzt vor klugen Köpfen, Sachverstand und Ideen. Leider lassen wir dieses Potential bisher – ob in Rheinland-Pfalz oder in ganz Deutschland – zu oft brachliegen.
Die Beantwortung dieser Fragen wird Jahre dauern. Zeit, die wir uns nehmen müssen, wenn wir nicht den Weg der Sozialdemokraten gehen wollen. Noch können wir es schaffen, der politischen Intensivstation zu entgehen. Dazu müssen wir intern klar miteinander sein. Dann können wir darauf hoffen, nach außen geschlossen aufzutreten und Wählerinnen und Wähler zu überzeugen.
Der nächste Schritt in unserem Entwicklungsprozess wird sein, Arbeitsgruppen zu schaffen, in die sich jedes Mitglied mit Anregungen einbringen kann. Wir werden uns damit beschäftigen, ob die Gliederung unserer Partei zukunftsfähig ist. Wir werden uns anschauen, ob wir in den Geschäftsstellen zeitgemäß arbeiten, oder ob dort ein
Das alles sollte nicht mehr an einer Person hängen und daran, ob wir mit dieser Person Glück haben und sie das Richtige tut – oder eben nicht.
Jan Zimmer ist seit 2010 Geschäftsführer der CDU Rheinland-Pfalz. Seit dem Frühjahr 2021 ist er außerdem Generalsekretär des Landesverbandes.
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Das persönliche Risiko-Management wird während und nach dem Studium oft vernachlässigt. Beschäftigen Sie sich daher schon frühzeitig mit den Wechselfällen des Lebens und sichern Sie folgende existenzielle Risiken ab: Unfall Unfälle im Studium, Beruf und in der Freizeit, weltweit und rund um die Uhr Privathaftpflicht Schutz vor den finanziellen Auswirkungen von Schäden, die Sie Dritten zufügen und für die Sie nach dem Gesetz verantwortlich sind (z. B. an der Hochschule bei Teilnahme an Vorlesungen, Seminaren, Praktika, am Hochschulsport oder im
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Das Füreinander zählt.
Teil 3 Ein neuer Anstrich
Eine erfolgreiche Renovierung umfasst einen frischen Anstrich. Nur so kann die Bausubstanz in vollem Glanz erstrahlen. Und was für das Gebäude der Anstrich, das ist für die Union die Erzählung. Dazu gehören eine klare programmatische Ausrichtung und überzeugende inhaltliche Angebote, mit denen sie sich erfolgreich nach innen und außen präsentieren und Wahlen gewinnen kann. Ein wichtiger Bestandteil ist dabei die Verabschiedung eines neuen Grundsatzprogramms. Der Prozess zur Erarbeitung eines entsprechenden Programms läuft seit 2018.
Wahlen gewinnen – überall
Blicke in städtisch, ländlich und industriell geprägte Regionen Die Union hat bei der Bundestagswahl Stimmen in unterschiedlichen Regionen Deutschlands verloren. Ein Blick auf die Landkarte zeigt: Die traditionelle Stärke auf dem Land ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Mit 45 Prozent wählten beispielsweise erstmals weniger als die Hälfte der Landwirte für CDU oder CSU. Gleichzeitig blieb die Union in Metropol- und Industrieregionen vielfach hinter ihren Konkurrenten zurück und hat teilweise noch Direktmandate verloren. Als Volkspartei ist es Anspruch der Union, alle Menschen in Deutschland mitzunehmen – egal, ob sie in Berlin, Buxtehude oder Bottrop leben. Das erfordert oftmals einen Spagat, unterscheiden sich die Lebensrealitäten der Bürgerinnen und Bürger in der Stadt, auf dem Land und in den großen Industrieregionen teilweise fundamental. Umso wichtiger ist es für die Union im ganzen Land ein Ohr für die Sorgen und Nöte der Wählerinnen und Wähler zu haben und ein programmatisches Angebot zu entwickeln, das alle überzeugt. CIVIS mit Sonde hat bei Joe Chialo aus Berlin, Sabine Buder aus dem Märkisch-Oderland und Matthias Hauer aus Essen nachgefragt: Welche Themen bewegen Wähler in ihrem Wahlkreis? Wie kann die CDU die Menschen dort wieder überzeugen? Wie muss sich die Partei hierfür erneuern?
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Stadt Joe Chialo [Berlin] 1. Welche Themen haben die Bürgerinnen und Bürger in Ihrem Wahlkreis Berlin-Spandau/Charlottenburg-Nord besonders bewegt? Die Themen reichen von einem Hochtechnologiestandort wie Siemensstadt über klassische Lokalthemen wie etwa die Belebung der Spandauer Innenstadt oder die Entwicklung von Quartieren mit sozialen Spannungen bis hin zur verkehrlichen
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der Regierungsspitze, wird der neue Kurs erst einmal diskutiert und verhandelt werden müssen. Deshalb müssen wir uns genau jetzt über diese Themen unterhalten.
Anbindung sowohl der großen Wohnlagen als auch der ländlich geprägten Außenbereiche. Neben diesen Themen kam ich mit den Menschen aber auch immer wieder zu meinen eigenen Schwerpunktthemen ins Gespräch. Dazu gehören die Kultur- und Kreativwirtschaft als ökonomisches Schwergewicht und gesellschaftlicher Impulsgeber – von der Clubszene bis zur Hochkultur.
Welches Bild von einer zukünftigen freien, pluralistischen und demokratischen Gesellschaft haben wir – auch in der digitalen Welt? Wie wollen wir dem Klimawandel entgegentreten und auf was sind wir bereit, dafür zu verzichten? Wie gehen wir um mit einer Telegram-Parallelwelt in Deutschland, die sich immer weiter von unserem Staat, von wissenschaftlichen Erkenntnissen und 300 Jahren Aufklärung entfernt? Wie treiben wir die europäische Einigung innerhalb der EU voran und verteidigen die rechtsstaatlichen Grundsätze? Wie definieren wir unser Verhältnis zum Globalen Süden? Wie sehen wir unsere Rolle in einer Welt, in der das Gravitationszentrum vom transatlantischen Verhältnis immer weiter Richtung Pazifik verschoben wird? Wir sind alle aufgerufen, unsere Fragen und Antworten in den nun anstehenden Prozess mit einzubringen.
Es geht darüber hinaus um Chancengerechtigkeit für alle Menschen – und zwar unabhängig davon, woher man kommt, welchen Namen man trägt, wie man aussieht, woran man glaubt oder wen man liebt. Und um Nachhaltigkeit mit einer technologie- und fortschrittsgetriebenen Klimapolitik. Die Stärkung der Familie als Fundament unserer Gesellschaft – und zwar dort, wo sie unsere Solidarität am meisten braucht – durch bezahlbare Mieten, intelligente Mobilität, bessere Bildung und mehr Sicherheit ist ein weiteres Thema.
»Es gibt nicht das eine, alles überstrahlende Thema, sondern unzählige Perspektiven, Probleme und Herausforderungen.«
Dabei ist die Wahl eines neuen Parteivorsitzenden nicht das Ende der Diskussion, sondern ihr Anfang. Natürlich wird mit Sicherheit auch gestritten werden. Wenn es an die Grundüberzeugungen unserer Partei und unserer Gesellschaft geht, dann ist viel Leidenschaft mit dabei. Die jetzt notwendige Phase mit hoffentlich vielen leidenschaftlichen Diskussionsbeiträgen ist dabei keine Schwäche, sondern eine Stärke unserer Partei.
Nicht zuletzt konnte ich die Menschen oftmals auch mit einem Thema erreichen, das vielleicht nicht auf der Hand, mir aber umso mehr am Herzen liegt: Unsere Beziehungen zum Globalen Süden und damit verbunden gleichberechtigte Partnerschaften auf Augenhöhe und die Förderung wirtschaftlicher Kooperationen des Mittelstands zu beiderseitigem Nutzen. Es gibt also nicht das eine, alles überstrahlende Thema, sondern unzählige Perspektiven, Probleme und Herausforderungen. Nicht nur die globale Relevanz, sondern auch und vor allem das subjektive Empfinden beeinflussen dabei die Prioritäten. Längst verbindet mich mit meinem Wahlkreis mehr als „nur“ die Politik. Ich werde Spandau auch in Zukunft begleiten und Spandau mich.
3. Wie muss sich die CDU erneuern, um in Metropolregionen die stärkste Kraft zu sein? Manchmal drängt sich das Gefühl auf, als wäre der Zug der Mehrheitsgesellschaft bereits losgefahren, während die CDU noch immer auf dem Bahnsteig steht und diskutiert. Besonders offenbar wird die Abkopplung von Teilen der progressiven Gesellschaft etwa bei der Diskussion über das Familienbild der CDU oder die Notwendigkeit einer wirksameren Klimapolitik. Aber auch bei den nicht selten unsinnigen Einlassungen zum Gendern. Junge Generationen, vor allem in den Städten, verzichten nicht nur auf eine Teilnahme an solchen Diskursen, oft genug verstehen sie gar nicht, warum darüber überhaupt noch diskutiert wird. Wir brauchen hier dringend eine thematische Erneuerung, ohne unsere klare Kante zum Beispiel bei der inneren Sicherheit zu verlieren.
2. Wie kann die CDU wieder die Partei sein, die Antworten findet und die Menschen überzeugt, was diese Themen angeht? Im Augenblick muss die CDU erst einmal wieder zu sich selbst finden. Das war schon nach der Ära Konrad Adenauers so, genauso wie nach der einstigen Rekordkanzlerschaft Helmut Kohls. Und auch jetzt, nach 16 erfolgreichen Jahren mit Angela Merkel an
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»Wir haben alle Chancen, auch in den urbanen Räumen wieder die stärkste politische Kraft zu werden.« Ein Ergebnis von gerade einmal zehn Prozent bei den unter 25-Jährigen, wie bei der letzten Bundestagswahl, ist ein Desaster. Es lässt für die Zukunft nichts Gutes hoffen, solange wir es nicht schaffen, aus der eigenen Komfortzone herauszukommen und uns selbst zu verändern. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Einfluss der Kultur- und Kreativwirtschaft als Motor des gesellschaftlichen Wandels.
begeistern und mitzureißen. Besonders in der kommenden Zeit ohne Regierungsverantwortung auf Bundesebene brauchen wir unbedingt mehr Denker und Visionäre. In vielen Metropolregionen müssen wir zeitgemäße Antworten finden, auch Demut zeigen, wo es angebracht ist. Wir müssen innerparteiliche Debatten deshalb nicht nur zulassen, sondern sie fördern. Die CDU ist noch immer eine Volkspartei. Das heißt, dass es bei uns die unterschiedlichsten Strömungen und Meinungen gibt. Gleichzeitig aber auch, dass wir in der Lage sind, uns am Ende auf einen zukunftweisenden Kompromiss zu einigen, der unseren gemeinsamen Wertekanon als Grundlage hat. Wenn wir uns dieser Stärken bewusst sind, wenn wir den jetzt anstehenden Prozess der Erneuerung nicht unterdrücken, sondern ihn offen zulassen, wenn wir endlich wieder die Sprache der Menschen sprechen, um deren Stimmen wir werben, und in allen Bereichen zeitgemäße Positionen beziehen, die auf eine gemeinsame Vision unserer Zukunft in Deutschland und Europa einzahlen, dann haben wir alle Chancen, auch in den urbanen Räumen wieder die stärkste politische Kraft zu werden.
»Manchmal drängt sich das Gefühl auf, als wäre der Zug der Mehrheitsgesellschaft bereits losgefahren, während die CDU noch immer auf dem Bahnsteig steht und diskutiert.« Neben der thematischen brauchen wir aber auch eine personelle Erneuerung: mit Menschen, die den Wandel verkörpern, die anders sprechen, anders auftreten, die neue Ideen haben und einen ansteckenden Optimismus; die in der Lage sind, Menschen zu
Joe Chialo ist Musikmanager und kandidierte 2021 im Wahlkreis Berlin-Spandau/Charlottenburg-Nord für den Deutschen Bundestag.
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Sabine Buder [Märkisch-Oderland] 1. Welche Themen haben die Bürger in Ihrem Wahlkreis Märkisch-Oderland – Barnim II besonders bewegt? Neben den großen gesellschaftlichen Themen wie Bildung, Absicherung im Alter, Migration und Klimawandel haben regionale Aspekte im Wahlkampf eine bedeutende Rolle gespielt. Etwa die Hälfte
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Land
den städtischen Regionen ist die Umsetzung jedoch ungleich einfacher als im ländlichen Raum. Daher ist eine der großen Herausforderungen der Politik, gleichwertig gute Lebensverhältnisse unabhängig vom Wohnort zu gewährleisten.
»Politik und Medien beurteilen den ländlichen Raum überwiegend aus der städtischen Perspektive.« So ähnlich die Bedürfnisse der Menschen in Stadt und Land auch sind, erwarten sie von ihren politischen Vertretern zuweilen grundverschiedene Positionen zu politischen Fragestellungen. Insbesondere im Agrar- und Ernährungsbereich unterscheiden sich die Wahrnehmungen und Sichtweisen gravierend und es ist eine sich vergrößernde Kluft zwischen Stadt und Land zu beobachten. Dieser Konflikt ist nicht neu, bekommt aber zunehmend eine politische Dimension. Er speist sich unter anderem daraus, dass Politik und Medien den ländlichen Raum überwiegend aus der städtischen Perspektive beurteilen. Die Folgen sind gravierend. 2. Wie kann die CDU wieder die Partei sein, die Antworten findet und die Menschen überzeugt, was diese Themen angeht? Im ländlichen Raum erzielt die Union traditionell gute Ergebnisse und insbesondere Landwirte gehören seit jeher zu unseren Stammwählern. Bei der Bundestagswahl 2021 haben sich mit 45 Prozent erstmals weniger als die Hälfte der Landwirte für CDU oder CSU entschieden. 2017 waren es noch 61 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2013 haben sogar 74 Prozent der befragten Landwirte angegeben, Union gewählt zu haben. Unsere Machtbasis auf dem Land schwindet zunehmend.
der Wahlberechtigten im Wahlkreis 59 lebt im berlinnahen, strukturstarken Raum, während der andere Teil in den dünn besiedelten, ländlichen Gebieten bis zur deutsch-polnischen Grenze zu Hause ist.
Mehr Tierwohl, Umweltschutz und Nachhaltigkeit – es gibt einen gesellschaftlichen Konsens für die Transformation der Landwirtschaft. Allerdings ist nur ein Bruchteil der Deutschen bereit, diesem Wunsch auch an der Supermarktkasse Rechnung zu tragen. Ohne geeignete Rahmenbedingungen wird die Finanzierung der Reformideen auf Kosten der regionalen Landwirtschaft gehen. Einseitige Informationen und irreführende Berichterstattungen zerstören zudem die gesellschaftliche Akzeptanz der Landwirtschaft. Seit Jahrzehnten nimmt die Anzahl
In beiden Regionen stellen die Bürger gerechtfertigt hohe Ansprüche an die technische und soziale Infrastruktur. Sichere Arbeitsplätze, bezahlbarer Wohnraum, intelligente Verkehrskonzepte, medizinische Versorgung, Teilhabe im Alter, hochwertige Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder und Jugendliche, Mobilfunk- und Breitbandanbindung – die Anliegen der Menschen sind vergleichbar. In
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»Es liegt in unserer Verantwortung, die Menschen auf dem Land durch sozialverträgliche Konzepte zu schützen und zu verhindern, dass die regionale Landwirtschaft als Verlierer aus dem Transformationsprozess hervorgeht.« der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland stetig ab. Dieser Negativtrend ist bei Tierhaltungsbetrieben besonders ausgeprägt.
Burn-out-Symptomen bis hin zu geäußerten Suizidgedanken unter den Landwirten. Wenn wir Politiker unsere Rolle als Kümmerer ernst nehmen, dürfen wir diese dramatischen Warnhinweise nicht ignorieren. Die Landwirte, die uns täglich mit hochwertigen Lebensmitteln versorgen, haben neben einer angemessenen Entlohnung auch unsere Anerkennung und unseren Respekt verdient. Es liegt in unserer Verantwortung, die Menschen auf dem Land durch sozialverträgliche Konzepte zu schützen und zu verhindern, dass die regionale Landwirtschaft als Verlierer aus dem Transformationsprozess hervorgeht.
Überzogene Forderungen der Verbraucher, enormer Preisdruck durch die Abhängigkeit vom Lebensmitteleinzelhandel und den harten Konkurrenzkampf auf dem Weltmarkt, sowie mangelnde Planungssicherheit aufgrund von vagen politischen Initiativen, zwingen die Landwirte zur Aufgabe ihrer Betriebe. Dadurch sinkt der Selbstversorgungsgrad und unsere Lebensmittel müssen zunehmend aus Ländern mit wesentlich niedrigeren Umwelt- und Tierschutzstandards importiert werden.
3. Wie muss sich die CDU erneuern, um im ländlichen Raum wieder die stärkste Kraft zu sein?
Durch die Veränderung der Agrarstrukturen zulasten kleinerer Betriebe und der regionalen Wertschöpfung sinkt die Lebensqualität der Menschen auf dem Land. Denn mit jedem Agrarbetrieb gehen wertvolle Arbeitsplätze im ländlichen Raum verloren, werden Existenzen und Perspektiven zerstört. Es geht hierbei nicht nur um Tiere und Traktoren, sondern um Menschen.
Die Antwort ist denkbar einfach: durch eine Rückbesinnung auf unsere Kernkompetenzen. Fachlichkeit statt Ideologie, Besonnenheit statt Aktionismus. Förderung der regionalen Landwirtschaft, Erhalt der Biodiversität und Schonung der Ressourcen sind relevante Themen, denen sich die Union ideologiefrei und besonnen annehmen muss. Häufig werden reale Probleme durch orchestrierte Kampagnen von NGOs und Teilen der Medienlandschaft
Die Landwirtschaftskammern und ländlichen Kirchengemeinden berichten von einer Zunahme an Familien- und Nachbarschaftsstreitigkeiten sowie
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bürgerliche Mitte unserer Gesellschaft erlebt dadurch, dass sich der gesunde Menschenverstand in der Politik scheinbar in einem ständigen Rückzugsgefecht gegenüber Panikmache und Bauchgefühl befindet. Eine konservative Partei, die dem keine klugen Argumente und Konzepte entgegenzusetzen vermag, macht sich überflüssig.
überzeichnet und ganze Bevölkerungsgruppen wie z.B. Landwirte gezielt stigmatisiert. Hier erwarten insbesondere unsere Stammwähler im ländlichen Raum, dass wir kompetent intervenieren.
»Häufig werden reale Probleme durch orchestrierte Kampagnen überzeichnet und ganze Bevölkerungsgruppen wie z.B. Landwirte gezielt stigmatisiert.«
Um das Vertrauen in unsere Kompetenzen und unser aufrichtiges Interesse für den ländlichen Raum zurückzugewinnen, braucht es Politiker mit Fachlichkeit und aktuellem Bezug an den politischen Verhandlungstischen. Gesellschaftliche Forderungen können nur durch sachlich fundierte und zu Ende gedachte politische Strategien umgesetzt werden. Seit jeher war es eine Stärke der Union, auf der Basis von Fakten und rationalen Überlegungen zu argumentieren und zu entscheiden.
Ob vermeintliche Tierschutzverstöße, Insektensterben oder Nitratbelastung des Grundwassers – stets wird die Landwirtschaft als schuldig oder zumindest mitschuldig dargestellt. Dazu werden wahlweise Fakten aus dem Kontext gerissen, unterschlagen oder übertriebene Schlussfolgerungen in grellen Farben als Schreckensszenarien skizziert. Auch unserer Partei hat sich diesem Duktus unterworfen. Neben ökonomischen Problemen durch Wettbewerbsnachteile auf einem globalisierten Markt leiden Landwirte und ihre Familien unter einer zunehmenden Diffamierung durch medial vermittelte Zerrbilder. Bauern gelten heute als Tierquäler, Vernichter von Artenvielfalt, profitgierige Brunnenvergifter und Klimaschänder.
Wir untergraben die Glaubwürdigkeit unserer Partei, wenn wir hier den Erwartungen nicht gerecht werden und stattdessen einem vermeintlichen Mainstream nachlaufen. Es ist ein Fehler, die Priorität auf den Stimmenfang in den Städten zu setzen und dabei den Verlust unserer konservativen Identität in Kauf zu nehmen. Es muss uns vielmehr durch ein klares inhaltliches Profil und fachlich versierte Argumentation gelingen, diejenigen wieder für uns einzunehmen, die uns unser Engagement seit jeher mit ihrer Treue gedankt haben. Nur wenn wir den Menschen auf dem Land zuhören, ihre Sorgen und Nöte verstehen und uns kümmern, dann werden wir im ländlichen Raum auch wieder Wahlen gewinnen.
Die Politik, leider auch die Union, hat es bisher nicht vermocht, sich öffentlich und mit Nachdruck gegen diese ungerechtfertigte Herabsetzung und hinter die deutsche Landwirtschaft zu stellen. Die
Dr. Sabine Buder hat als praktische Tierärztin einen direkten Bezug zu den Herausforderungen in der Landwirtschaft und dem Entwicklungspotential des ländlichen Raums. Die Kommunalpolitikerin war bei der letzten Bundestagswahl CDU-Direktkandidatin im Wahlkreis Märkisch-Oderland – Barnim II.
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Matthias Hauer [Ruhrgebiet] 1. Welche Themen haben die Bürgerinnen und Bürger in Ihrem Wahlkreis Essen III besonders bewegt? Im Ruhrgebiet trägt man das Herz auf der Zunge und da hört man nicht nur im Wahlkampf Klartext von den Bürgerinnen und Bürgern. Diesen direkten und ehrlichen Austausch schätze ich an den Menschen hier sehr. Die entscheidenden Themen dieses
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Industrie
der Schuldenspirale, damit sie angemessen in Bildung, Digitalisierung und Lebensqualität vor Ort investieren können? Wie ermöglichen wir für über fünf Millionen Menschen gute und nachhaltige Verkehrswege? Wie können wir Integration so vorantreiben, dass Menschen unabhängig von ihrer Herkunft gleiche Chancen auf gesellschaftliche und berufliche Teilhabe erhalten? Diese Fragen muss die Politik in Bund und Land gemeinsam mit den Menschen vor Ort verlässlich beantworten.
»Im Ruhrgebiet zählt eben nicht, woher man kommt, sondern dass man gemeinsam vorankommt.« Das Ruhrgebiet steckt voller Chancen, aber auch voller Herausforderungen. Wie kaum eine andere Region in Deutschland wurde das Ruhrgebiet durch Umbrüche und den gesellschaftlichen sowie wirtschaftlichen Wandel geprägt. Gleichzeitig erbringen die Menschen hier Leistungen, von der unser ganzes Land profitiert, beispielsweise bei der Integration von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Im Ruhrgebiet zählt eben nicht, woher man kommt, sondern dass man gemeinsam vorankommt. 2. Wie kann die CDU wieder die Partei sein, die Antworten findet und die Menschen überzeugt, was diese Themen angeht? Die CDU Ruhr ist verlässlicher politischer Partner für die Menschen hier in der Region. Sie können sich darauf verlassen, dass wir konsequent an diesen Themen arbeiten. In der zurückliegenden Legislaturperiode konnten wir als CDU in der Bundesregierung beispielsweise eine weitere Übernahme der Kosten der Unterkunft durch den Bund durchsetzen. Das ist eine spürbare und dauerhafte Hilfe für alle Gemeinden im Ruhrgebiet. Für eine Stadt wie Essen bedeutet das beispielsweise eine jährliche Entlastung von etwa 60 Millionen Euro. Uns als CDU war wichtig, den Kommunen nicht nur durch eine einmalige Finanzspritze punktuell zu helfen, sondern dauerhaft und strukturell. Eine anteilige Entschuldung wäre verpufft, wenn wegen hoher Steuerausfälle und hoher Sozialausgaben jährlich neue Schulden hinzugekommen wären. Die Entlastung von Sozialkosten und die Stärkung kommunaler Investitionen helfen den Kommunen im Ruhrgebiet dauerhaft.
Wahlkampfes waren bundesweit soziale Sicherheit, Wirtschaft und Arbeit, Umwelt- und Klimaschutz, Bildung sowie die Pandemiebekämpfung – das war im Ruhrgebiet durchaus ähnlich. Unsere Region steht allerdings auch vor besonderen Herausforderungen: Wie schaffen wir neue Jobs und Ausbildungsplätze? Wie können wir Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit heraushelfen, sodass weniger Kinder von staatlichen Transferleistungen leben müssen? Wie holen wir die hoch verschuldeten Ruhrgebiets-Städte aus
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als Standortvorteil nutzen, mehr Nachhaltigkeit durchsetzen – dabei sollte die CDU im Ruhrgebiet vorangehen und gerade auf die Mechanismen der Sozialen Marktwirtschaft setzen.
Nach diesem wichtigen Schritt der strukturellen Entlastung durch den Bund brauchen wir in der jetzigen Legislaturperiode eine verlässliche Lösung für die bestehenden Altschulden. Die Sozialdemokraten haben das Ruhrgebiet über Jahrzehnte finanziell ausbluten lassen. Während beispielsweise in Infrastruktur, Stadtentwicklung und Integration viel zu wenig investiert wurde, mussten die Kommunen immer neue Aufgaben ohne ausreichende finanzielle Kompensation schultern. Die Folgen sind noch heute spürbar und ein Ergebnis sind die hohen kommunalen Altschulden nahezu überall im Ruhrgebiet. Trotz hoher Grund- und Gewerbesteuern fehlt vielerorts Geld für dringend nötige Investitionen. Die Ampel-Koalition muss den Weg der kommunalfreundlichen Politik der CDU-geführten Bundesregierung fortsetzen. Bei der Altschuldenfrage sind im Koalitionsvertrag leider viele Hintertürchen offen geblieben. Wir werden die Ampel auch daran messen.
3. Wie muss sich die CDU erneuern, um in industriellen Regionen wieder die stärkste Kraft zu sein? Die CDU muss konsequent die Volkspartei der Mitte sein und sich auf ihre starken christlich-sozialen, konservativen und liberalen Wurzeln besinnen. Dafür müssen mehr Frauen und Männer der CDU sichtbar werden, die authentisch und mit Herzblut unsere Werte vertreten. Damit gewinnt die Partei auch Vertrauen zurück. Unsere Mitglieder sind die Basis unseres Erfolgs und müssen bei der Erneuerung eine zentrale Rolle spielen. Ihre Erfahrungen und Kompetenzen gilt es stärker einzubinden. Veränderung braucht aber auch neue Gesichter in der Führung. Wenn wir konsequent auf Leistung, Kompetenz und Glaubwürdigkeit setzen, wird zwangsläufig ein vielfältigeres Personaltableau gelingen. Am längsten in einem Amt zu sein – das ist hingegen kein Wert an sich.
Das Ruhrgebiet ist eine tolle Region und wird leider viel zu oft unterschätzt. Die Potentiale sind riesig: Mitten im Zentrum Europas liegt diese Region mit großem Fachkräfteangebot, vielen Unternehmen und einem breiten Absatzmarkt, mit starken Kompetenzen z.B. bei Energie- und Gesundheitswirtschaft und vielen anderen Branchen, mit Erfahrungen im Strukturwandel und jeder Menge Wandlungsfähigkeit für Veränderungen, mit reichhaltiger Kultur- und Hochschullandschaft und einer breiten Vielfalt in den Stadtgesellschaften. Diese Potentiale gilt es zu heben. Die Digitalisierung vorantreiben, den Mittelstand unterstützen, neue Arbeitsplätze schaffen, Vielfalt
Die Menschen müssen die CDU als die staatspolitische und verlässliche Kraft in Deutschland und Europa wahrnehmen, aber gleichzeitig als Kümmerer vor Ort. Unsere Politik muss Menschen für sich gewinnen und nicht ausschließen. Jeder Mensch ist gleich viel wert – unabhängig davon, wie alt er ist, welchen Beruf er ausübt, wen er liebt oder woher er kommt. Dafür muss die CDU unmissverständlich stehen, um Volkspartei zu bleiben.
Matthias Hauer MdB ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages und hält mit dem Wahlkreis Essen III das einzige Direktmandat der CDU im Ruhrgebiet. Seit 2021 ist er stellvertretender Vorsitzender der Landesgruppe NRW der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Sprecher der Abgeordneten der CDU Ruhrgebiet.
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»Wir brauchen eine verlässliche Lösung für die bestehenden Altschulden der Kommunen.«
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Die junge Generation mitnehmen Für eine Politik mit klarem Profil
von Franca Bauernfeind Mit nur zehn Prozent hat die Union bei der letzten Bundestagswahl gerade in der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen denkbar schlecht abgeschnitten. Franca Bauernfeind erwartet vom neuen Parteivorsitzenden, dass die Bedürfnisse der jungen Generation endlich ernstgenommen und gerade junge Frauen gefördert werden. Die Union dürfe dabei nicht im vermeintlichen Mainstream der „Wokeness“ mitschwimmen, sondern müsse eine angebotsorientierte Politik machen und eigene Themen setzen.
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spielten keine gleichgewichtete Rolle. Die von der Corona-Pandemie stark strapazierte Situation an den Schulen und Universitäten hätte eigentlich zur Folge haben müssen, dass Bildungspolitik im Wahlkampf ein prominentes Thema wird. Das Gegenteil war der Fall. Wenigstens die CDU hätte es zur Sprache bringen müssen.
Die Bundestagswahl 2021 ist vorbei, die CDU gespalten. Gegenseitige Schuldzuweisungen spicken die sozialen Netzwerke. Von den Kreisvorsitzenden wurde eine Mitgliederbefragung gefordert. Die Delegierten des Bundesparteitags, so die Analyse, hätten damals nicht denjenigen zum Vorsitzenden gewählt, den die Mehrheit der Mitglieder bestimmt hätte. Der Druck der Parteibasis auf die Führungsgremien war so hoch, dass die Mitgliederbefragung beschlossen wurde. Für die CDU ein historischer Schritt. Drei Kandidaten haben in der Folge bei den Mitgliedern um Stimmen geworben.
»Die von der Corona-Pandemie stark strapazierte Situation an den Schulen und Universitäten hätte eigentlich zur Folge haben müssen, dass Bildungspolitik im Wahlkampf ein prominentes Thema wird.«
Das Personaltableau ist das eine. Dass die CDU ein derart schlechtes Ergebnis zur Bundestagswahl erzielt hat, war jedoch mitnichten die alleinige Schuld des Spitzenkandidaten. Es war auch nicht die alleinige Schuld des Wahlkampfmanagements. Schuld war die jahrelange CDU-Politik, die meist den Weg des geringsten Widerstandes genommen hat. Geräuschlos wurde so zum Beispiel vor der Bundestagswahl 2017 die „Ehe für alle“ beschlossen. Kurzfristig mag das kontrovers diskutierte Thema auf diese Weise politisch abgeräumt worden sein. Entschieden ist entschieden. Demokratie lebt jedoch von Streit und Uneinigkeit. Erst durch den legislativen Prozess im Parlament werden aus den unterschiedlichen Meinungen Kompromisse, indem nicht das Trennende, sondern stets das Einende betont wird. Das Selbstverständnis, an der Spitze des Zeitgeistes und der „Wokeness“ marschieren zu müssen, nur nicht anzuecken oder aufzufallen, führt häufig dazu, dass man es kaum noch wagt, eigenes Profil zu zeigen. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.
Offensichtlich ist die Angleichung an den Mainstream kein erfolgversprechender Kurs. Die Versuche, mit Frauenquoten und Klimathemen irgendeinen verloren gegangenen Wähler zurückzugewinnen, sind gescheitert. Zuletzt ist mit 18,9 Prozent bei der Bundestagswahl für die Volkspartei CDU ein neuer Tiefpunkt erreicht worden. Die Diagnose: CDU-Politik reagiert, sie agiert nicht. Die eigenen Mitglieder beklagen, dass ein klarer politischer Kurs nicht oder nur schwer erkennbar sei. Wenn Christdemokraten nicht in der Lage sind, an ausgewählten Punkten gezielt Streit anzufangen, dann werden sie die Gesellschaft auch nicht mehr positiv prägen können. Politik für die junge Generation Wie also weiter mit der CDU? Einfach den Parteivorsitzenden auszuwechseln, wird die Probleme nicht lösen. Der Politikstil muss sich (wieder) ändern. Politik muss angebotsbezogen gemacht werden und nicht nachfragebezogen. Dazu braucht die CDU ein inhaltliches Profil, das einen klaren politischen Kurs vorgibt. Eine Partei darf nicht abwarten, wie sich Prozesse entwickeln. Sie darf nicht reagieren, sondern muss selbstbewusst agieren und politische Angebote machen. Dazu gehört, politische Probleme zu benennen und Lösungen zu entwickeln. Mitglieder und Wähler vertrauen einer CDU, die Haltung zeigt, die im Parlament und im Wahlkampf für ihre Standpunkte kämpft und dabei auch politischem Widerstand trotzt.
Gesucht: ein eigenes Profil der Union Die Art und Weise Politik zu machen, hat sich dahingehend verändert, dass der vermeintliche gesellschaftliche Konsens im Mittelpunkt steht. An ihm orientiert sich nicht nur die Debatte, sondern auch die Entscheidung. Gerade in gesellschaftlichen Fragen versucht die CDU nach dem Mainstream, also dem, was vermeintliche Konsensmeinung in der breiten Gesellschaft ist, Politik zu machen, in der Hoffnung, die Mehrheitsmeinung zu repräsentieren und dadurch Wähler hinzuzugewinnen. So dominierte die Klimapolitik den Bundestagswahlkampf maßgeblich. Sicherheit und Wirtschaft, die Themen, bei denen der Union nach wie vor die größten Kompetenzen zugeschrieben werden,
Nachhaltigkeit gilt nicht nur als Maxime in der Klimapolitik. Die CDU muss gerade auch die Frage
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von unter 30 Prozent in der CDU-Mitgliedschaft erscheint diese Forderung absurd und kaum praktikabel. Dass eine Quote Männer gerade bei einer solchen Mitgliederstruktur, wie sie in der CDU vorliegt, massiv benachteiligen würde, spielt in der öffentlichen wie in der internen Debatte nur eine untergeordnete, kaum hörbare Rolle. Denn die Einführung entspräche dem angeblichen Zeitgeist und mache eine „moderne Partei“ nun mal aus.
beantworten, wie sie ihre Wählerstimmen nachhaltig sichert. Nur auf die Bedürfnisse der Generation über 60, die heute den größten Wähleranteil ausmacht, einzugehen, erscheint mit Blick auf die kommenden Jahrzehnte zu kurz gedacht. Die CDU muss dringend auch für jüngere Wähler wieder attraktiv werden. Vor allem während der Pandemie hatte sich die FDP als Lobby für die Interessen junger Menschen in Szene gesetzt. Mit den Schlagworten Digitalisierung, Freiheit und hohe Bildungsstandards schafften es die Liberalen, bei den Erstwählern – den Schülern, Auszubildenden und Studenten – die meisten Stimmen zu holen – noch vor den Grünen. Trotz „Fridays for Future“ ist es der FDP gelungen, in vier Jahren Oppositionsarbeit ihren Markenkern herauszustellen und damit zu punkten. Und das, obwohl die Medien vermittelten, Klimapolitik sei das einzige Thema, das junge Menschen interessiert. Ob Schulart, Ausbildungsstelle oder Studienplatz, ob Jugendliche, Eltern oder Großeltern: Bildung geht jeden etwas an, sie ist die größte und wichtigste Ressource, die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben. Wer, wenn nicht die facettenreiche CDU, könnte hier besser Partei ergreifen?
»Die CDU kann Frauen fördern, ohne Männer zu benachteiligen, indem Sitzungszeiten gedeckelt und hybride Sitzungsangebote geschaffen werden.« Gerade viele von den Jüngeren – und hier vor allem die jüngeren Frauen – sprechen sich gegen die Einführung einer Frauenquote aus. Junge Frauen wollen nicht aufgrund ihres Geschlechts, sondern aufgrund ihrer Kompetenz gewählt werden. Die CDU kann Frauen fördern, ohne Männer zu benachteiligen, indem Sitzungszeiten gedeckelt und hybride Sitzungsangebote geschaffen werden. Daher ist es nur erfreulich, wenn sich gerade junge Frauen in die erste Reihe stellen und als Generalsekretärin oder Parteivorsitzende kandidieren. Sie sollen es aber werden, weil sie sich dafür qualifizieren. Genauso wie auch ein Mann sich für diese Aufgabe qualifizieren muss.
Ganz praktische Antworten finden und zurück zu ihren Wurzeln kehren, muss die Christdemokratie auch in der Frage nach der Finanzierung des Lebensunterhalts und der Generationengerechtigkeit. Dazu gehört beispielsweise auch, die Reform des Rentensystems anzugehen. Die junge Generation hat es verdient, dass ernsthaft über Lösungen gesprochen und gestritten wird. Der demographische Wandel lässt sich weder wegdenken noch dessen Auswirkungen beschönigen. Auch der gezielte und willkommene Zuzug von Fachkräften wird die Demographie nicht maßgeblich verändern. Und ja, dazu gehört eben auch, unangenehme Wahrheiten auszusprechen und eine Erkenntnis zu akzeptieren: Als Partei kann man es nicht jeder Generation gleichsam recht machen. Das ist nicht einfach. Eine Gesellschaft kann solche Entscheidungen jedoch verkraften, wenn sie vorher ernsthaft und breit diskutiert wurden.
Der CDU würde es guttun, wenn in den nächsten Jahren wieder mehr Kontinuität in die Parteiführung käme. Es müssen nicht gleich achtzehn Jahre sein, jedoch sollte der nächste Vorsitzende in der Lage sein, die CDU in einen erfolgreichen Bundestagswahlkampf 2025 zu führen. Darüber hinaus muss er die Jugend an den Tisch holen. Denn es wird die heutige junge Generation sein, die später die Geschicke der CDU weiterführen wird und auch die Entscheidungen von heute irgendwann verteidigen muss. Zwei Ziele sollte sich der neue Vorsitzende daher stecken: Den Frauenanteil bei den Mitgliedern deutlich zu steigern und die jungen Leute mitzunehmen. Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten, die Schüler Union, die Junge Union, die Junge CDA und all die Organisationen, die die Interessen der jungen Generation vertreten und in die Unionsfamilie hineintragen, stehen bereit, um Ideengeber für die Volkspartei CDU zu sein. Bitte ergreift diese Chance!
Junge Frauen fördern – ohne Quote Standhaft muss die CDU auch bleiben, wenn linke Identitätspolitik vorgeben will, dass Repräsentativität über dem Leistungsprinzip stehen müsse. Zuletzt entzweite die CDU die Frage nach der Einführung einer Frauenquote. Bei einem Frauenanteil
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»Der neue Vorsitzende muss die Jugend an den Tisch holen.«
Franca Bauernfeind ist Bundesvorsitzende des Ring Christlich-Demokratischer Studenten. Die geborene Nürnbergerin studiert im Master an der Universität Erfurt Staatswissenschaften. Von 2019 bis 2021 bekleidete sie das Amt der stellvertretenden RCDSBundesvorsitzenden und wirkte dabei auch in der Strukturund Satzungskommission der CDU Deutschlands mit. Zur Bundestagswahl 2021 kandidierte sie als Spitzenkandidatin der Jungen Union in Thüringen. Sie ist Mitglied im CDU-Bundesvorstand und Herausgeberin der CIVIS mit Sonde.
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Startup-Pioniere überzeugen Wie die CDU wieder Wirtschaftspartei wird
von Finn Age Hänsel Ein neues Unternehmertum drängt in die Wirtschaft. Es ist jünger, nachhaltiger und diverser – und verzagt zunehmend an der Union. Auch in Umfragen lag die CDU zuletzt im Bereich der Wirtschaftskompetenz nicht mehr vorne. Finn Age Hänsel fordert, die Zeit in der Opposition zu nutzen und neue Visionen für die Wirtschaft von morgen zu entwickeln.
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Seit den Zeiten Ludwig Erhards gilt die CDU als die deutsche Volkspartei, die die Soziale Marktwirtschaft begründet hat und in der Tagespolitik immer wieder für sie einsteht. Ebenfalls war die Union über die Jahrzehnte immer wie ein Fels in der Brandung an der Seite der Unternehmer und der Wirtschaft. Diese über Jahrzehnte gewachsene, gefühlte Wahrheit schien zur Selbstverständlichkeit geworden zu sein. Doch in den letzten Jahren ist sie ins Wanken geraten. Was ist passiert?
in der CDU heute nicht mehr zuhause und setzen sich sogar für neue Gesellschaftsformen von Unternehmen ein, z.B. das Verantwortungseigentum. Die CDU hat es zu lange verpasst, diese neue Art von Unternehmern anzusprechen und ihnen programmatische Angebote zu machen – oder sie zumindest ernst zu nehmen. Stattdessen haben die Grünen hier über Jahre hinweg viel Boden gut gemacht. Das Ergebnis sieht man in den oben genannten Parteipräferenzen von jungen Unternehmern.
»2019 zogen die Grünen in einer Umfrage des Bundesverbands Deutsche Startups an der CDU vorbei und lagen auch noch 2020 vor der Union.«
Für die CDU ist Wirtschaft kein Kernthema mehr In den langen Jahren der Großen Koalition hat die CDU einen Großteil ihres klaren Profils eingebüßt. Während früher noch Wirtschaftspolitiker einen Kern der CDU-Mannschaft bildeten und die Wirtschaft in der Partei eine klare Stimme hatte, ist diese Stimme in den letzten Jahren zunehmend verstummt.
Während früher höchstens noch der FDP eine größere Wirtschaftskompetenz zugesprochen wurde, ist vor der letzten Bundestagswahl Erstaunliches geschehen: Nicht nur in der deutschen Startup-Szene, der ich angehöre, sondern auch in Vorstandsetagen großer deutscher Unternehmen haben sich plötzlich die Grünen in Stellung gebracht und besonders junge Unternehmer in ihren Bann gezogen. Bereits 2019 zogen die Grünen in einer Umfrage des Bundesverbands Deutsche Startups, dem „Deutschen Startup Monitor“, an der CDU vorbei und lagen auch noch 2020 mit 37 Prozent vor der Union (28 Prozent). Auch im Wirtschaftsbeirat der Grünen tummeln sich heute neben Startup-Unternehmern der Vorstandsvorsitzende der BASF, Vertreter der REWE-Group sowie Vorstände von großen PharmaUnternehmen. Aber was sagt das aus?
Mit Ausnahme von Carsten Linnemann fallen den meisten Unternehmern kaum mehr CDU-Spitzenpolitiker ein, die wirklich ordnungspolitisch fundierte Positionen vertreten und für eine starke Wirtschaft eintreten. Jahre der Kompromisse mit der SPD und eine andere programmatische Schwerpunktsetzung haben das Profil der CDU geschwächt. War die CDU jahrelang immer die Wirtschaftspartei, zeigt eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen vom November 2021, dass 26 Prozent der Wähler der SPD die größte Wirtschaftskompetenz zutrauen. Die CDU folgt abgeschlagen mit 18 Prozent auf Platz zwei. Ein Alarmsignal. Es fehlen Visionen und ein Konzept
Die neue deutsche Wirtschaft ist jünger, nachhaltiger und diverser
Die Wirtschaft sehnt sich nach Visionen. Wie stellen wir uns die Wirtschaft 2030 vor? Welche Rolle spielen Industrie- und Digitalunternehmen? Wie fördern wir Innovationen? Wo soll Deutschland eine Spitzenrolle einnehmen? Wie bleiben wir in der globalisierten Welt wettbewerbsfähig? Die Fragen sind dringlich und als Unternehmer hat man das Gefühl, dass sich unsere Regierung diese Fragen nicht gestellt hat.
Die neuen deutschen Unternehmer definieren sich anders als frühere Generationen. Jeden Tag bilden sich neue Unternehmen, die sich mit nachhaltigen Themen beschäftigen, die nicht den Profit in den Vordergrund stellen, sondern eine Vision für eine bessere Welt haben. Diversität und Nachhaltigkeit werden nicht als notwendiges Übel betrachtet, sondern als Schlüssel zum Erfolg.
»Die Wirtschaft sehnt sich nach Visionen.«
Viele dieser Unternehmen optimieren nicht sich selbst, sondern wollen freiwillig und aktiv einen Teil dazu beitragen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Viele dieser Unternehmer fühlen sich
Gerade in der Startup-Branche haben viele Unternehmer in den letzten Jahren neidisch nach
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»Die wahren technologischen Pioniere der Wirtschaft sehen die CDU heute oftmals eher an der Seite der Bewahrer, die dem Tempo der wirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr standhalten können.«
Frankreich geblickt und beobachtet, wie Präsident Emmanuel Macron die „Startup Nation“ ausrief, einen Zukunftsfond beschloss und einen modernen Umbau der Wirtschaft ankündigte. Auch hierzulande wurden große Projekte wie die Energiewende angegangen, aber nie als Teil einer großen Zukunftsvision, sondern vorwiegend als Reaktion auf aktuelle politische Situationen. Viele Unternehmer leben heute jedoch bereits geistig in der Zukunft und ihnen fehlt eine Politik, die das begleitet. Der mutige Ruf nach Flugtaxis ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, ist aber leider verhallt, da die notwendigen Konzepte für eine neue Wirtschaft fehlten.
die sich immer rasanter, schneller, innovativer und nachhaltiger entwickelt und inzwischen eine Geschwindigkeit erreicht hat, mit der sie die alteingesessenen Unternehmen abhängt. Bis heute erinnere ich mich an das Bild von Taxifahrern, die vor einer Technologie-Konferenz in Berlin gegen die US-Firma Uber demonstriert haben – durch Zufall direkt hinter dem aufgestellten Prototyp eines Flugtaxis. Die Ironie des Bildes blieb Wenigen verschlossen. Während die Taxifahrer noch gegen Uber protestieren, stehen sie wahrscheinlich unbewusst schon vor der nächsten großen Innovation in diesem Bereich, die viele zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich nicht mal erahnt haben: dem Flugtaxi. Ein programmatischer Spagat
Bewahrer vs. Pioniere Die Geschwindigkeit in der Gesellschaft und in der Wirtschaft verändert sich rasant. Und wie in der Gesellschaft gibt es auch in der Wirtschaft den Teil der Bewahrer, der gern einfach weitermachen möchte wie zuvor und dadurch die Digitalisierung nicht nur verpasst, sondern aktiv gegen sie ankämpft. Und zum anderen gibt es die innovative Wirtschaft,
Es beiden Teilen der Wirtschaft recht zu machen – den Bewahrern und den technologischen Pionieren – ist ein Spagat, den die CDU bis heute nicht geschafft hat. Politiker wie Helge Braun und Dorothee Bär beschwören die digitale Wende – in der Masse bleiben sie aber einzelne Stimmen. Die wahren
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sozialen Medien veröffentlicht, um einen Anschein der Modernität zu erzeugen.
technologischen Pioniere der Wirtschaft sehen die CDU heute oftmals eher an der Seite der Bewahrer, die dem Tempo der wirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr standhalten können, wodurch Deutschland am Ende den wirtschaftlichen Anschluss verlieren könnte.
Chancen ergreifen Genau hier liegt die Chance der CDU: Die Partei muss zeigen, dass sie die neue Wirtschaft ernst nimmt. Dazu muss sie wieder selbst Unternehmer und Wirtschaftspolitiker in die erste Reihe stellen. Und sie muss eine eigene Vision der Wirtschaft von morgen präsentieren und glaubhaft vertreten: Eine Politik der wirtschaftlichen Erneuerung, eine Politik des modernen Unternehmertums, eine Politik der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit und eine Politik, die auch alte Zöpfe wie Subventionen abschneidet, um Neues zu ermöglichen. Vielleicht wird das der CDU kurzfristig Stimmen unter den Bewahrern kosten – aber der sonst zu zahlende Preis ist die Bedeutungslosigkeit in einer neuen Ära der Wirtschaft. Das kann und darf die CDU sich nicht leisten.
Die anderen Parteien machen es nicht besser. Die Grünen bedienen aber durch das Feld der Nachhaltigkeit zumindest den Wunsch der Unternehmer nach einer besseren Zukunft, die aus ihrer Sicht durch Technologie erreicht wird. Ob die Partei, die zumindest noch in Teilen der Marktwirtschaft skeptisch gegenübersteht, diesen Erwartungen langfristig gerecht werden kann, bleibt abzuwarten. Viele Unternehmer verlieben sich heute in Ideen der Grünen, ohne die Tragweite des Wahlprogramms je komplett durchdacht zu haben. Die Regierungsverantwortung der Partei wird zeigen, ob sie diesen innovativen Mythos aufrechterhalten kann. Die wirtschaftliche Wende aber ist unumkehrbar. Bereits seit 2021 sind nun drei Unternehmen im DAX vertreten, die der mehrheitlich grünen Start up-Szene zuzuordnen sind: Zalando, Hellofresh und Delivery Hero. Und sie sind nur der Anfang. In den nächsten Jahren werden mehr und mehr Unternehmen der Startup-Szene diesen Schritt gehen. Schaut man in den US-Leitindex Dow Jones, nehmen ehemalige Startups und innovative Unternehmen inzwischen den Großteil der Top-Plätze in den USA ein. Genau diese Unternehmen treiben die wirtschaftliche Entwicklung an. Es wird Zeit, dass die CDU sich dieser neuen Wirtschaft ernsthaft annimmt und nicht nur Fotos mit Gründern in den
»Opposition tut weh, aber sie kann auch einen Katalysator für Erneuerung darstellen.« Fragt man sich, wie das aussehen kann, muss man nur ins Nachbarland schauen und beobachten, wie selbst die deutsche Startup-Szene an den Lippen von Emmanuel Macron hängt. Nie war die Zeit, dies zu erkennen und daraus zu lernen, besser als jetzt. Opposition tut weh, aber sie kann auch einen Katalysator für Erneuerung darstellen. Packen wir es an.
Finn Age Hänsel ist Geschäftsführer des Cannabis-Startups Sanity Group. Er ist Mitglied im Vorstand des Bundesverbands Deutsche Startups und im Beirat Junge Digitale Wirtschaft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie.
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Hört uns endlich zu! Es braucht mehr als einen Ostbeauftragten von Anna Kreye Auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands bestehen große strukturelle Unterschiede zwischen neuen und alten Ländern. In Sachsen-Anhalt zu Hause, durch ihr politisches Engagement jedoch laufend in ganz Deutschland unterwegs, kann Anna Kreye darüber aus eigener Erfahrung berichten. Sie meint, OstThemen hätten im Wahlkampf eine unzureichende Rolle gespielt. Das werde zu Recht kritisiert.
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und in meinem Heimatland gar nicht. Es ist keinem einzigen Landkreis in Sachsen-Anhalt bisher gelungen, ein über dem Bundesdurchschnitt liegendes Bruttoinlandsprodukt je Einwohner zu erreichen und das, obwohl wir das Bundesland mit den meisten Weltkulturerbestätten sind.
In keinem anderen Bundesland fordert der demografische Wandel einen höheren Tribut als in meinem Heimatland Sachsen-Anhalt. 1990 lag der Altersdurchschnitt mit 38,4 Jahren noch deutlich unter dem gesamtdeutschen Schnitt. Heute ist SachsenAnhalt mit einem Durchschnittsalter von rund 48 Jahren das „Altersheim der Bundesrepublik“. In allen anderen ostdeutschen Bundesländern, mit Ausnahme von Berlin, sehen wir nahezu gleichlaufende Entwicklungen. Die Halbierung der Geburtenrate in den 1990er Jahren und die Abwanderung vieler junger Menschen nach dem Mauerfall führten dazu, dass in Ostdeutschland heute fast eine ganze Generation fehlt. Diese Generation fehlt nicht nur kurzoder mittelfristig auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch als Eltern für die nächste Generation. Es ist daher absehbar: Ohne Zuwanderung wird die Bevölkerung weiter schrumpfen, die Zahl der Erwerbspersonen weiter sinken und die der zu versorgenden Personen in einem enormen Tempo steigen.
Den demografischen Wandel kreativ gestalten Wie kann es in dieser Situation gelingen, das aktuelle Wohlstandsniveau für alle zu halten und auch den Osten Deutschlands gemeinsam fit für die Zukunft zu machen? Um den demografischen Wandel zu bremsen und das Niveau der wirtschaftlichen Wertschöpfung in Ostdeutschland aufrechtzuerhalten, ist die Zuwanderung in meinen Augen der mit Abstand stärkste Hebel. Wir brauchen Zuwanderung – entweder aus den übrigen Teilen Deutschlands oder durch den Zuzug von qualifiziertem Fachpersonal aus dem Ausland. Gerade der jungen Generation sollte ein Grund zum Kommen oder die Möglichkeit zum Bleiben gegeben werden.
»Die Halbierung der Geburtenrate und die Abwanderung vieler junger Menschen nach dem Mauerfall führten dazu, dass in Ostdeutschland heute fast eine ganze Generation fehlt.«
Dafür brauchen wir zuerst ein attraktives Arbeitsund Lebensumfeld – und müssen mindestens die bestehende Lebensqualität erhalten. Das bedeutet attraktive Jobs in ausreichender Anzahl und die Möglichkeit, Familie, Freizeit und Beruf miteinander zu vereinbaren. Wesentlich sind dabei Zukunftsthemen wie Digitalisierung und Vernetzung und eine bedarfsgerechte Infrastruktur. Dass das gelingen kann, hat beispielsweise die Stadt Wittenberge in Brandenburg bewiesen. Im Rahmen des Projekts „Summer of Pioneers“ ermöglichte die Stadt 20 Digitalarbeitern aus verschiedenen deutschen Großstädten Probewohnen und Coworking in einer eher ländlichen und vom demografischen Wandel geprägten Region. Die Pioniere bekamen für einen bestimmten Zeitraum ein Rundum-Sorglos-Paket für das Leben und Arbeiten auf dem Land und entschieden sich auch nach Auslaufen des Projekts mehrheitlich dafür, in der Region zu bleiben. Dies ist nur ein Beispiel für Projekte, die man vorantreiben sollte. Dafür aber brauchen die Kommunen landes- und bundesseitig Unterstützung bei der Umsetzung.
Entscheidende Unterschiede zwischen neuen und alten Bundesländern Wie herausfordernd die Situation ist, zeigt auch ein Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung. Wichtig ist die positive Botschaft: Der Transformationsprozess von einer Zentralwirtschaft hin zu einer Marktwirtschaft, und der damit verbundene Aufholprozess der ostdeutschen Wirtschaft, sind eine Erfolgsgeschichte. Auch im internationalen Vergleich ist die Geschwindigkeit, mit der sich die Lücke der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verkleinert hat, bemerkenswert. Doch trotz dieser positiven Entwicklung besteht im Vergleich mit den alten Bundesländern immer noch ein entscheidender Unterschied: Ja, auch dort gibt es wirtschaftlich schwache Landkreise, die teilweise seit Jahrzehnten nicht aufholen. Aber anders als in Ostdeutschland finden sich dort auch starke Regionen, die für die Entwicklung des Landes insgesamt eine herausragende Rolle spielen. Solche Leuchtturmregionen gibt es in den ostdeutschen Bundesländern kaum
Natürlich ist das nur ein erster Schritt. Ich wünsche mir unter anderem auch eine starke und leistungsfähige Infrastruktur. Ostdeutsche Neubauvorhaben aus dem Bundesverkehrswegeplan sollten zügig
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insbesondere für junge Menschen und Familien gelegt werden. Dazu zählen auch Investitionen in weiche Standortfaktoren und der Ausbau der digitalen sowie der Verkehrsinfrastruktur.
vorangetrieben werden, um die ländlichen Räume weiter zu erschließen, die ostdeutsche Verkehrsachse zu stärken und Unternehmen die Ansiedlung im Osten attraktiv zu machen. Zudem habe ich die Hoffnung, dass die Anbindung großer und mittelgroßer Städte sowie der touristisch attraktiven Regionen Ostdeutschlands an den Fernverkehr der Deutschen Bahn schon bald verbessert wird. Die unzulänglichen Fernanbindungen der Bahn in Ostdeutschland und weiter nach Osteuropa sind schon seit vielen Jahren ein strukturelles Entwicklungshemmnis für die neuen Länder.
Mit klarer und konsequenter Haltung zurück zu alter Stärke Dies sind einige konkrete Aspekte, die ich mir von der Union in ihrer inhaltlichen Ausrichtung mit Blick auf den Osten und die Herausforderungen des demografischen Wandels wünsche. Darüber hinaus wünsche ich mir von der Union im Allgemeinen eine verlässliche Politik, die sich durch eine klare und konsequente Haltung zu politisch relevanten Themen auszeichnet. Ich erwarte, dass wir denen helfen, die Hilfe benötigen. Dabei gilt es jedoch insbesondere, zunächst an die Eigenverantwortung jedes Einzelnen zu appellieren und stets die Grenzen politischen Handelns aufzuzeigen. Ich wünsche mir zudem, dass die CDU wieder zu einer Partei wird, die sich nicht vor lebhaften Debatten scheut, sondern vielmehr kontrovers mit ihren Mitgliedern um den besten Kurs ringt.
»Die unzulänglichen Fernanbindungen der Bahn in Ostdeutschland sind schon seit vielen Jahren ein strukturelles Entwicklungshemmnis.« Verlässliche Strukturpolitik zur Stärkung des Ostens Mit Blick auf den Strukturwandel im Lausitzer und Mitteldeutschen Revier bedarf es zudem einer verlässlichen Strukturpolitik. Die Bundespolitik muss für die Braunkohle-Regionen, für die dortigen Energieunternehmen, deren Zulieferer und die Beschäftigten unbedingt verlässlich bleiben. Ich bin überzeugt davon, dass alles andere zu einer Abwanderung der Menschen aus den betroffenen Regionen, einer damit verbundenen Schwächung des Ostens, einem Vertrauensverlust in die Politik und letztlich zu einer Stärkung der politischen Ränder führen wird. Wir dürfen nicht vergessen: Der Ausstieg aus der Braunkohle bedeutet nach der Wiedervereinigung bereits den zweiten großen Strukturwandel innerhalb von wenigen Jahren für die Menschen in den Regionen.
In den letzten Jahren standen das Regieren und der politische Kompromiss richtigerweise im Zentrum unseres bundespolitischen Handelns. Jetzt gilt es jedoch, neue Konzepte zu erarbeiten und dabei alle Teile der Partei mitzunehmen – auch die ostdeutschen Landesverbände, die aufgrund ihrer geringen Mitgliederanzahl gefühlt oft so unbedeutend sind. Es gilt, auch diesen zuzuhören, keine Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg zu treffen und ein Verständnis für die oftmals komplizierten Verhältnisse in Ländern mit starken politischen Rändern zu schaffen. Die Union sollte dafür sorgen, dass dem Osten bundesweite Bedeutung künftig nicht vordergründig nur aufgrund seiner koalitionspolitischen Experimentierfreude zu Teil wird. Wir müssen die Sichtbarkeit der Landesverbände aus den neuen Ländern auch innerhalb der Partei stärken. Dafür bedarf es weitaus mehr als der Benennung eines Ostbeauftragten. Wir brauchen in unserer Partei – und in der gesamten Bundespolitik – mehr Entscheidungsträger mit Ostbiografien.
Die Beschleunigung des Kohleausstiegs und dessen Vollendung bis 2030 halte ich daher für ausgeschlossen. Ich halte sie für ein Vorhaben, das gänzlich an der Lebensrealität der Menschen vorbeigeht. Politik sollte mit und für die Menschen gemacht werden, nicht andersherum. Für eine verlässliche Politik und die weitere Stärkung der Braunkohle-Regionen ist es zwingend erforderlich, dass die angekündigten Strukturmittel für die Reviere bis 2038 verstetigt und in voller Höhe bereitgestellt werden. Dabei sollte ein Aufgabenschwerpunkt auch auf die Schaffung eines attraktiven Arbeits- und Lebensumfelds
Ich bin mir sehr sicher, dass uns all das als Partei, die stets für den Zusammenhalt der Gesellschaft stand und immer noch steht, gelingen kann. Daher blicke ich motiviert und zuversichtlich auf die bevorstehende Zeit und bin gespannt auf das, was noch kommt.
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»Wir brauchen in unserer Partei – und in der gesamten Bundespolitik – mehr Entscheidungsträger mit Ostbiografien.«
Anna Kreye ist Landesvorsitzende der Jungen Union Sachsen-Anhalt und Mitglied im Bundesvorstand der CDU. Sie setzt sich zudem als Mitglied der Jugendaustauschorganisation „Youth For Understanding“ auch über Ländergrenzen hinweg für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ein. In diesen Funktionen ist sie seit vielen Jahren ehrenamtlich für ihre Heimat aktiv.
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Die Meinungshoheit zurückgewinnen Für mehr Bürgerlichkeit im vorpolitischen Raum von Clemens Schneider Statt Ideologiedebatten rät Clemens Schneider der Union zur Suche nach Lösungen außerhalb der Partei. In Zeiten, in denen der öffentliche Raum zunehmend durch linke Meinungen und einige rechte Krawallmacher dominiert scheint, steht für ihn fest: Das bürgerliche Lager muss die Diskursdominanz zurückgewinnen. Er fordert ein neues Großprojekt zur Schaffung eines aktiven Umfelds bürgerlicher Meinungsbildung.
„Jetzt müssen wir unseren Markenkern endlich wiederfinden! Nach Jahren der Verwässerung und Sozialdemokratisierung ist es an der Zeit, der wahren Union wieder Geltung zu verschaffen.“ So ähnlich ließen sich schon in den letzten Jahren, vor allem aber seit der Wahlniederlage im September, viele Stimmen in der Partei vernehmen. Gerade die Basis, die in guten wie in schlechten Zeiten die Partei am Leben erhält, verspürt Sehnsucht nach einer ideologischen Selbstvergewisserung.
Das ist auch nicht weiter verwunderlich. Wählerinnen und Wähler sind meist nur marginal oder erratisch an ideologischen Fragen interessiert. Und je höher jemand in die Welt der Funktions- und Mandatsträger aufsteigt, desto mehr ist sie oder er willens, Kanten abzuschleifen und die Rüstung der Ideologie gegen das Geschmeide der Macht einzutauschen. Die aber, die sich immer wieder motivieren müssen, Kreisverbandssitzungen zu besuchen, an Haustüren zu klopfen und Wahlplakate wieder
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Grundlage für die Entstehung von Zivilisation ist die Arbeitsteilung. Menschen spezialisieren sich auf Bereiche, die sie besonders gut beherrschen und die ihnen womöglich auch mehr Freude machen als andere. Dadurch werden unsere Gesellschaften immer raffinierter und lösungsfähiger: Wir entwickeln Vakzine, spielen im Orchester Klarinette und reparieren Autos.
abzuhängen, finden ihren Antrieb in der Überzeugung, für die richtige Sache einzustehen. Gerade in Krisenzeiten, wenn sich die Sonne des Sieges verdunkelt, ist das ihr letzter Halt. Gegen eine ideologische Selbstvergewisserung Auf der anderen Seite stehen die Erfahrungen von mehr als 70 Jahren bundesrepublikanischem Wählerwillen. Die drei alles überragenden Giganten dieser Epoche – Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Angela Merkel – waren allesamt Erzpragmatiker, denen ideologische Festlegung oder Kommunikation wesensfremd waren. Dasselbe gilt für die beiden einflussreicheren SPD-Kanzler Helmut Schmidt und Gerhard Schröder. Und im letzten Wahlkampf hat der knappe Wahlsieger vielleicht auch deshalb Erfolg gehabt, weil die Markenkern-Genossen in seiner Partei für mehrere Monate von der Bildfläche verschwunden waren.
Dieses bunte, produktive Miteinander kann es auch im Mikrokosmos der Politik geben. Parteien funktionieren als komplexes Zusammenspiel verschiedener institutioneller Akteure. Da gibt es die Ministerin, die an einem mühselig verhandelten Kompromiss herumdruckst, aber auch aus taktischen Gründen nicht herausposaunen kann, wie viel sie doch hinein verhandelt hat. Und da gibt es die Kreisvorsitzenden, die sehr genaue Vorstellungen davon haben, wie christdemokratische (oder wahlweise grüne, liberale, sozialdemokratische) Politik auszusehen hat und beim Landesparteitag klare Worte finden, um dem Ausdruck zu verleihen. Politisches Agenda Setting erfordert dieses Zusammenspiel. „Die da oben“ brauchen den Druck und auch die Erinnerung der Basis, die Basis wiederum braucht professionelle Vertreter, die geschickt und wendig sind. Erfolgreiche politische Bewegungen der vergangenen Jahrzehnte haben immer so arbeitsteilig funktioniert.
»Eine posttraumatische Union, die als konservative Alternative zur Alternative firmiert oder versucht, der FDP die wirtschaftsliberalen Wähler abzujagen, wird verzwergt werden.«
Sehen wir uns zum Beispiel einmal die Anti-Atomkraft-Bewegung an. Die hat sich über Jahre hinweg zum Erfolg gearbeitet, indem sie die gesamte Klaviatur bespielt hat. Da gründete sich das Öko-Institut in Freiburg, das seit den 1970er Jahren mit wissenschaftlichen Publikationen Argumente gegen Nuklearenergie darlegt und verbreitet. Da ketteten sich Aktivisten an Gleise. Da wurden Politiker in Landtage und den Bundestag gewählt und machten im öffentlichen Raum ihre Argumente salonfähig. Da wurden Journalisten geschult und Workshops für Radio- und Fernsehmoderatoren angeboten. Da schrieb Gudrun Pausewang ihr Buch „Die Wolke“ und Ministerialbeamte und Lehrer sorgten dafür, dass es zu einer millionenfach verwendeten Schullektüre wurde.
Eine SPD im Post-Agenda-Schmollwinkel war so wenig mehrheitsfähig wie die Veggie-Day-Grünen von 2013. Eine posttraumatische Union, die als konservative Alternative zur Alternative firmiert oder versucht, der FDP die wirtschaftsliberalen Wähler abzujagen, wird vermutlich ebenso verzwergt werden. Denn ein hohes Maß an Flexibilität jenseits gewisser unverhandelbarer (übrigens meist außenpolitischer) Grundprinzipien ist der Schlüssel, den alle erfolgreichen Kanzler der Republik in ihren langen Regierungszeiten eingesetzt haben. Gewählt wird man schließlich von verhältnismäßig unpolitischen Mehrheiten der Bevölkerung. Entscheidend ist die Arbeitsteilung im politischen Raum
Ähnliches geschieht auch im sozialistisch motivierten Lager: von Occupy Wall Street bis zu Thomas Piketty, von Attac bis zu Tagesschau-Kommentaren zur wachsenden Ungleichheit. Und auf der rechten Seite des politischen Spektrums werden die Wettbewerber auch immer professioneller. Da dominieren inzwischen nicht mehr dumpfe Glatzköpfe
Aber wohin mit den Sehnsüchten und auch der Energie der Menschen, die sich in der Union engagieren, weil sie an bestimmte Werte glauben und der Gesellschaft ihren Stempel aufdrücken wollen? Diese Sehnsüchte sind schließlich überlebensnotwendig für eine politische Bewegung. Eine entscheidende
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erschließen, ist gar nicht so einfach. Das fängt schon damit an, dass die Frauen und Männer, die sich für diesen Beruf entscheiden, eine gehörige Portion Idealismus mitbringen müssen, angesichts der Karriere- und Gehaltsoptionen. Und dann ist es ja auch noch nicht damit getan, dass man sich in den eigenen Kreisen verschanzt und in der „Welt“ oder der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in wohlgesetzten Worten über den linken Mainstream lamentiert. Gebraucht werden vielmehr bürgerliche Journalisten bei der „Zeit“, in der „Tagesthemen“-Redaktion und beim „Mannheimer Morgen“.
und Brandsatzwerfer die Szene, sondern Intellektuelle und die freundlichen Identitären-Hipster von nebenan. Nur im sogenannten bürgerlichen Lager herrscht fast gähnende Leere in den Bereichen der politischen Arbeitsteilung, sobald man die Ministerien und Parlamente verlässt. Vier Bereiche für bürgerliche Meinungsbildung Wohin mit der Energie und dem Veränderungswillen der Basis? Die Antwort liegt mithin nicht im verzweifelten Kampf für mehr Profil der eigenen Partei. Da können sich diejenigen, die das bedrückt, bei ihren Leidensgenossen in anderen Parteien erkundigen. Glühende Klimaaktivisten etwa werden mit einer sehr ähnlichen Entrüstung die Neoliberalisierung der Grünen beklagen. Die Antwort liegt zu einem erheblichen Teil neben der Partei. Denn bürgerliche Positionen werden nicht dadurch durchgesetzt, dass politische Schlüsselpositionen besetzt werden. Das sollte nicht zuletzt angesichts der Bilanz von über 52 Jahren unionsgeführter Bundesregierungen klar sein. Was jetzt gebraucht wird, ist ein aktives Umfeld der Meinungsbildung im bürgerlichen Lager.
3. Kultur Noch viel mehr als auf den beiden vorhergehenden Feldern dominieren im Kulturbereich Akteure aus dem linken Spektrum die Szene. Ganz konkret: Drehbuchautoren, Kindertheater-Leiterinnen, Comiczeichner, Liedermacherinnen und viele mehr. Die Bilder, die diese Menschen in unseren Köpfen und Herzen entstehen lassen, sind ungemein wirkungsvoll. Sie bestimmen unser Verständnis der Welt. Zumal sich sehr viel mehr Menschen eher der Alltagskultur aussetzen, als sich ausführlich in konkrete politische Fragen einzuarbeiten. Ob Umweltschutz oder soziale Gerechtigkeit: Bei vielen politischen Themen entscheiden Menschen aus dem Bauch heraus, was ihnen die plausible Antwort erscheint. Und diese Plausibilität ist geformt und geprägt von den Bildern und Erzählungen, die ihnen die Kultur geliefert hat. Deren zentrale Rolle bei der Meinungsbildung wird von bürgerlichen Kräften notorisch unterschätzt. Umso mehr muss darauf geachtet werden, hier aufzubauen und zu fördern. Anstatt für Zehntausende Euro Anzeigenseiten in bürgerlichen Zeitungen zu kaufen, sollten mit dem Geld Workshops für künstlerisch interessierte junge Menschen aus dem bürgerlichen Umfeld finanziert werden. Die Auswirkungen wären deutlich größer.
Richten wir einen genaueren Blick auf ein paar Bereiche, die für die Meinungsbildung essentiell sind: 1. Wissenschaft In den Geistes- und Sozialwissenschaften herrschen bekanntlich andere wissenschaftliche Prinzipien als in den Natur- und Ingenieurwissenschaften. Der Ideenwettbewerb ist sehr viel offener, weil es noch schwerer ist, eine ökonomische Theorie oder eine anthropologische Beobachtung zu widerlegen, als das bei medizinischen oder chemischen Fragen der Fall ist. Das Diskursfeld sollte hier nicht denjenigen überlassen werden, die mit linken Prämissen an die Fragen herangehen. In den Beiräten, an den Spitzen der Institute, bei der Arbeit an den Gutachten, müssen Wissenschaftler präsent sein, die unseren Ideenwelten nahestehen. Darum brauchen wie junge Frauen und Männer, die sich wissenschaftlich engagieren und fachlich und inhaltlich stark sind.
4. Schulen Lehrer – noch so ein Idealistenberuf. Denn ganz oft ist das kein gemütlicher Nine-to-five-Job mit viel Urlaub. Es gibt zwar eine erhebliche Sicherheit, was den Arbeitsplatz angeht. Aber Lehrer haben auch mit nervigen Eltern, Schulaufsichtsbehörden, Personal-Fehlplanungen, engstirnigen Schulleitern und der Umsetzung von bildungspolitischen Husarenstücken zu tun. Doch die Prägekraft dieser Menschen kann kaum überschätzt werden. Hier werden nicht nur Informationen übermittelt, sondern
2. Medien Journalisten wählen Grün-Rot-Rot. Diese offensichtliche Tatsache wird regelmäßig auch durch Studien bestätigt. Dass hier gekontert werden muss, haben die rechts und sehr weit rechts Stehenden schon seit geraumer Zeit verstanden. Doch dieses Feld zu
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Junge Menschen, die zum Film gehen oder Lehramt studieren wollen, müssen bestärkt werden. Man muss Geld in die Hand nehmen, um auch im bürgerlichen Lager Organisationen zu unterstützen, die Diskurse prägen und antreiben. Man muss sich von der Fixierung auf die Politik lösen, die in den Ministerien und Parlamenten stattfindet. Bedeutende Vordenker der Linken und Rechten haben das schon früh erkannt, wie der Marxist Antonio Gramsci mit seinem Konzept der Kulturellen Hegemonie und der französische Rechtsradikale Alain de Benoist mit seiner Vision einer Metapolitik.
Ideale, Werte, Weltsichten. Dabei muss gar nicht einmal auf die zum Teil erhebliche Indoktrination der einen Seite mit einem Gegenschlag geantwortet werden. Oft reicht es, wenn den jungen Leuten zumindest einmal Alternativen vorgestellt und vorgelebt werden. Viele von ihnen sind durchaus in der Lage, sich selbst ein Bild zu machen. Aber Präsenz müssen die Bürgerlichen hier zeigen. Die Prägekraft, die etwa die ökologische Bewegung in unserem Land entfaltet hat, ist das Ergebnis von Jahrzehnten, in denen in mühseliger, bisweilen sisyphoshafter Kleinstarbeit das Feld bestellt worden ist. Es ist das Ergebnis von schier unerschöpflichem Idealismus, von den richtigen, motivierenden Narrativen und von klugem Ressourceneinsatz. Das kann auch der bürgerlichen Bewegung gelingen.
»Gerade jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um ein neues bürgerliches Großprojekt zu starten.«
Auf Diskursdominanz hinarbeiten All die Mühseligen und Beladenen, die jetzt gerade die vergangene Bundestagswahl ebenso verdauen müssen wie die natürlichen Abnutzungserscheinungen einer Partei in 16-jähriger Regierungsverantwortung, mögen bald in Aufbruchstimmung kommen. Gerade jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um ein neues bürgerliches Großprojekt zu starten; die aufgestaute Leidenschaft und Energie in den Aufbau einer vielfältigen und dynamischen Szene zu investieren. Das kann dauern, mitunter Jahrzehnte. Aber wenn man dann eine ähnliche Diskursdominanz erreicht hat wie heute ökologische und linke Bewegungen, dann war es das allemal wert.
Geändert werden muss dazu allerdings die Perspektive, also die Blickrichtung. Die Hoffnung auf den Markenkern muss sich anderswo realisieren als bezogen auf „die da oben“. Stattdessen muss man im Kleinen anfangen, Gesprächsräume zu eröffnen, in denen man diesen Markenkern wieder genauer bestimmt. Dabei ist übrigens eine gewisse Bandbreite und Vielfalt nichts Schlechtes, sondern Teil der ideologischen Arbeitsteilung. Aber das sollte in der Union ja bekannt sein. Man muss sich in die Debatten des vorpolitischen Raums stürzen, der im Augenblick von vielen Linken und einigen Rechten bestimmt wird.
Clemens Schneider ist Direktor von Prometheus - Das Freiheitsinstitut, das er 2015 mitbegründet hat. Der studierte katholische Theologe ist darüber hinaus ehrenamtlich engagiert, unter anderem im Leitungsteam von NOUS - Netzwerk für Ordnungsökonomik und Sozialphilosophie.
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C wie Cool
Die Berliner Lokalpolitikerin Sarah Röhr porträtiert von Christine Hegenbart
der Konrad-Adenauer-Stiftung als Referentin für Digitalstrategien arbeitet, ihre eigene, interaktive Homepage wer-ist-sarah.de. Sie bestückte die Seite mit vielen Bildern, Videos und spannenden Inhalten: Mit dem dienstältesten Mitglied des Ortsverbandes, Eckhart Clausen, nahm sie zehn Folgen des Podcasts „Generation F“ auf. Auf einer Karte hielt sie straßengenau Projekte fest, durch die Friedrichsfelde noch lebenswerter gestaltet werden könnte. Und im Sinne der „Gamification“ des Wahlkampfs erarbeitete sie mit Hilfe von YouTubeVideos ein individuelles Müllsammel-Spiel für die Besucher ihrer Seite.
„Schwarzer Mantel, weiße Sneaker.“ Nach diesem Outfit soll ich am U-Bahnhof Tierpark Ausschau nach Sarah Röhr halten. „Weil das cool ist“, fügt sie in ihrer Textnachricht augenzwinkernd hinzu. Cool ist jetzt nicht gerade eine Eigenschaft, die man CDUMitgliedern als Erstes zuschreibt. Auch Sarah Röhrs Wahlkreis Friedrichsfelde ist nicht gerade cool: Als wir gemeinsam den U-Bahnhof verlassen, sehen wir die für den Kiez typischen Plattenbauten in den Himmel ragen. Im Asia-Imbiss „BaoBao“ trinken wir Tee. „Viele Cafés gibt es vor Ort leider nicht“, bedauert die 32-Jährige. Hier wohnen nur wenig CDU-Stammwähler. Und trotzdem hat Sarah Röhr hier für das Berliner Abgeordnetenhaus kandidiert.
Mit wenig Geld machte Sarah einen in der CDU deutschlandweit beachteten Wahlkampf. Von den Berliner Medien wurde er jedoch nicht wahrgenommen: In der örtlichen Presse kam sie nicht vor. Dabei wurde sie von vielen der 50 Mitglieder ihres Ortsverbandes tatkräftig unterstützt. Ihren Wahlkampf hat sie „radikal lokal“ ausgerichtet. An mehr als 40 Wahlkampfständen kam sie mit vielen Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch und gewann den Eindruck: Die, die offen für ein konstruktives Gespräch sind, die könne man auch überzeugen.
Sie erzählt, dass sie in Köpenick geboren, in Altglienicke aufgewachsen und während des Studiums nach Friedrichsfelde gezogen sei – aus pragmatischen Gründen: Die Wohnung war günstig und die Verkehrsanbindung gut. Ihr Umzug hat sie in gewisser Weise zur CDU gebracht. Nach dem Studium wollte sie im Kiez richtig ankommen, neue Leute kennenlernen und sich in einer Partei gesellschaftlich engagieren. Ihre Wahl fiel auf die CDU. Nicht nur, weil sie Fan der pragmatischen Politik Angela Merkels war. Sondern auch, weil sie das junge Personal vor Ort – Martin Pätzold und Danny Freymark – überzeugte. „Die Union ist hier progressiver, jünger und weiblicher“, meint die Historikerin. Über die Arbeit in ihrem aktiven Ortsverband erzählt sie: „Wir diskutieren hier sehr offen. Selbst beim größten Streitthema gehen wir trotzdem danach einen trinken. Das ist für mich in bestem Sinne Volkspartei.“
Ihr schönstes Erlebnis: Nach einer Wahlkampfveranstaltung kamen zwei junge Mädchen zögerlich auf sie zu. Sie fragten nach einem Selfie und berichteten: „In der Schule im Politikunterricht haben wir über Sie gesprochen. Normalerweise würden wir da nicht mitdiskutieren. Aber wir haben Sie auf Instagram gesehen und finden Sie so cool. Deswegen haben wir mitdiskutiert und würden Sie auch wählen.“ Die Abgeordnetenhauskandidatin verbucht dies als Erfolg: „Auch wenn ich das Ding hier nicht gewonnen habe: Wenn ich junge Menschen davon überzeugen konnte, dass Politik cool ist und dass die CDU cool ist, hat es sich gelohnt.“
Allerdings eine Volkspartei ohne großes Wahlvolk: In diesem tiefroten Stadtteil im Osten Berlins erhalten CDU-Kandidaten regelmäßig nur etwas mehr als zehn Prozent der Stimmen. Auch dieses Jahr war das nicht anders. Immerhin: Entgegen dem Bundestrend konnte Sarah Röhr insgesamt einen kleinen Stimmenzuwachs verbuchen. In einigen Wahllokalen erhielt die leidenschaftliche Wahlkämpferin sogar 17 Prozent der abgegebenen Stimmen.
Ja, auch sie habe, wie viele andere Politikerinnen, jeden Tag sexualisierte Nachrichten bei Facebook bekommen, so Sarah Röhr. Davon habe sie sich aber nicht entmutigen lassen. Und ja, es sei einfacher als Frau in einem wenig aussichtsreichen Wahlkreis zu kandidieren. Die Politikerin ist sich sicher, dass die CDU bei der Frauenpolitik „am meisten verändern muss“. Daher will sie sich zukünftig auf die Frauen Union konzentrieren und besonders auf ihr Amt als FU-Kreisvorsitzende.
Warum lässt man sich in einem Stadtteil aufstellen, in dem die CDU auf verlorenem Posten steht? „Diese Ausgangssituation hat mich jeden Tag aufs Neue motiviert, auf die Straße zu gehen und meine Projekte voranzutreiben“, antwortet sie. Sie habe so die Möglichkeit gehabt, einen innovativen und kreativen Wahlkampf zu führen, den sie als „Chemielabor der politischen Kommunikation“ bezeichnet. Nächtelang programmierte die junge Frau, die bei
Was sie sich für ihre Union wünscht, frage ich sie abschließend. Sie antwortet spontan mit: „Mehr Frauen.“
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01 — 2022
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Der Redaktionsschluss dieser Ausgabe war Dezember 2021.
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