Die Katzen von Estremera / Los gatos de Estremera

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Die Katzen von Estremera Ein Beamter im Gefängnis von Estremera schreibt über die Inhaftierung der katalanischen Politiker: „Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal dazu benutzt werden würde, auf diese schändliche Weise ein politisches Problem zu lösen.“ José Ángel Hidalgo Estremera, 27. März 2018 Ich bin Justizvollzugsbeamter in der Haftanstalt Estremera. Mein Beruf ist hart und belastend, und seit einigen Monaten ist er es noch mehr… wegen einiger Katzen. Ich möchte Ihnen von den Katzen berichten, die sie uns in dieses Gefängnis gesetzt haben; vorher möchte ich meine Arbeit aber in einen Kontext setzen. Kontext ist immer gut, wie ein Schluck Kräuterlikör, der hilft, ein Essen zu verdauen, das einem schwer im Magen liegt. Was ich Ihnen berichten möchte, ist eine Mixtur, an der sich jeder von uns verschlucken könnte, deshalb halte ich ein wenig Kontext für notwendig. Was meinen Beruf wirklich hart macht, ist zunächst einmal, dass er sich im Anonymen abspielt, fast schon heimlich; so sehr, dass wir Beamte unsere Tätigkeit als sinnlos und ohne jede Logik empfinden, wie einen Unglücksfall. Manchmal beklagen wir uns unter den Kollegen: Hör mal, nie wird es so bekannt, wie es sein sollte, wenn wir einen Gefangenen beim Versuch, sich am Gitter aufzuhängen, noch lebend finden oder ihn halb verbrannt aus einem Feuer retten, wenn sie uns einen Messerstich zwischen zwei Rippen verpassen, uns einen Arm brechen, uns in die Schulter beißen oder auf unsere hässlichen Hemden erbrechen. „Oh“, kommentieren wir untereinander, „schau Dir im Gegensatz dazu an, was passiert, wenn einige Guardia Civil-Beamte in einer Bar ein paar Ohrfeigen kassieren. Terrorismus! 500 Euro netto Gehaltserhöhung im Monat, denn für das verdienstvolle Korps [Ausdruck für die paramilitärische Einheit Guardia Civil] ist das Beste gerade gut genug. Natürlich.“ Gleich in meinem ersten Monat im Dienst hat sich im Gefängnis ein bekanntes ETA-Mitglied auf mich gestürzt, hielt mich umklammert, riss das Telefonkabel aus der Wand und entwand mir das Funkgerät mit einer seiner riesigen Pranken, die von Handía stammen könnten, jenem baskischen Riesen, dessen traurige und magische Geschichte letztes Jahr mit dem Goya-Preis ausgezeichnet wurde. In dieser Handfläche hätte mein Schädel bequem Platz gefunden, und die Finger hätten ihn ohne jede Anstrengung wie ein Ei zerquetschen können. Aber Sebastián wollte mir nur mit der Vehemenz seiner Heimat Guipúzcoa mitteilen, was für ein „Txakurra“, was für ein Hund von Staatspolizist ich sei. Danke, Sebastián: Du wolltest mir nur eine Demütigung gratis verpassen aufgrund der Bedeutung, die meine Arbeit für Euch hat, „Du bist ein Hund, ein Kerkermeister“, informierte er mich. Ja, gratis: denn wir hatten zuvor noch kein einziges Wort miteinander gewechselt. Mit dieser kleinen Anekdote, einem kleinen Kidnapping von kaum einer halben Stunde, aber dennoch einem Kidnapping, begann meine neue berufliche Laufbahn; hätte Sebastián mich außerhalb der Gefängnismauern überfallen, wäre es möglicherweise eine Schlagzeile wert gewesen; hier drinnen nicht. Dieser Punkt gab mir über das Wesen meiner neuen Tätigkeit einiges zu denken. Aber weiter mit dem Kontext. Polizei und Guardia Civil verhaften Verbrecher gewöhnlich bei Einsätzen, die mit glänzendem Intellekt ausgeführt werden… und einer kleinen Armee, bestehend aus hundert bis hundertzehn Beamten. Diese so genannten Einsatzkommandos sind mit einer Artillerie ausgerüstet, die ausreichen würde, um Polen zu erobern. Später sperren sie hundert oder hundertzehn dieser Verbrecher, die sie


im Laufe der Jahre gefangen haben, in einen Gefängnistrakt und stellen ihnen einen einzelnen Beamten gegenüber, der vielleicht auch noch klein und schmächtig ist, obwohl auch große, breitschultrige und starke Typen darunter sind. Der Körperbau spielt aber gar keine Rolle bei der Beurteilung des wesentlichen Punktes: dass sie alleine sind. Alles, was diese hundert oder hundertzehn Gefangenen von sich geben, landet an jedem einzelnen Tag ihrer Gefangenschaft auf diesem Funktionär und seiner armseligen Uniform: Ihr Weinen, ihr Urin, ihr Erbrochenes, ihr Blut, ihr ständiges Unbehagen, das nach und nach die kleinen Träume des Mannes oder der Frau erstickt, welche/r nur den einen Wunsch hat, am Abend körperlich und seelisch unversehrt wieder nach Hause zurückzukehren. Lasst mich noch eine Sekunde bei den Uniformen bleiben, denn, oh, wie spektakulär sind die der Polizei, und wie malerisch sehen erst die Guardia Civil-Beamten in den ihren aus, figurbetont, wie sie für diese gertenschlanken Typen geschnitten sind. Dagegen müsstet Ihr mal unsere sehen: Man möchte es nicht für möglich halten, dass jemand so etwas entwirft. Und um den Kontext dieses, meines, anonymen Elends abzurunden, das mein Beruf mit sich bringt, darf ich nicht vergessen zu erwähnen, dass das Gefängnis, in dem ich arbeite, Estremera, dasjenige ist mit der höchsten Zahl von Angriffen auf Beamte in ganz Spanien. Es geht immer noch schlimmer… Hundertdreißig Angriffe auf Beamte letztes Jahr in Estremera? Wie sagte schon Woody Allen: Rekorde sind dazu da, sie zu schlagen! Und natürlich wird diese hohen Zahl zweifellos bald pulverisiert werden dank der Leitung dieser Anstalt, die uns ständig mit der Peitsche antreibt, pausenlos und ohne Sinn, trotz all des Elends und der Widrigkeiten, von denen ich Euch berichtet habe. Und trotzdem gehen sie her und demütigen uns noch mehr, indem sie in unserem Hof ein Quintett seltsamer, wirklich sehr seltsamer Katzen aussetzen. Es sind Katzen mit traurigen Gesichtern, die sich ängstlich umschauen und miauen an einem Ort, an dem sie sich verirrt fühlen, der nicht Teil ihrer Welt ist. Seit dem Tag ihrer Ankunft haben sie uns, ihre Betreuer, angesteckt mit einer fast schon pathologischen Ruhelosigkeit und Unruhe.

Und was für ein Katzenquintett das ist! Der Anblick ist überwältigend, wie sie morgens ihre Milch trinken, mittags ihren Teller Blähungen verursachendes Fleisch fressen und abends über die windgepeitschten Dächer laufen, während dieser aufreibende Frühling die schönen Auen des Tajo erschüttert. Wenn abends der Wind nachlässt und es nicht regnet, wenn die untergehende Sonne die Klingen des Sicherheitsdrahtes glutrot leuchten lässt, dann kann man Junqueras und Forn Tennis spielen sehen. Sie spielen mit den eigenartigen Bewegungen großer und etwas übergewichtiger Katzen, und mir erscheint es wie eine Qual, wenn ich beobachte, wie sie einen Buckel machen und gähnen, wenn sie eine Ball verfehlen, mehr als alles Elend meiner Arbeit, von dem ich Euch berichtet habe, mal Tausend genommen, ja sogar noch schlimmer als hundert Tonnen Erbrochenes und Blut zusammen, mehr als aller Urin, auf dem ich schon ausgerutscht und hingefallen bin oder den ich gefühlt habe in den Tiefen von Toiletten auf der Suche nach selbstgebastelten Waffen der Gefangenen. Und ich winde mich in diesen Beklemmungen, während ich sie beim Tennis beobachte. Als ich mich für den Beruf des Gefängniswärters entschied, wusste ich genau, was ich tat; ich hatte mich mehr als ausführlich informiert, auf welches Elend ich mich einließ; „ich werde selbst in all dem Elend immer einen Silberstreif am Horizont finden“, dachte ich. Nichts aber ließ in mir den Verdacht aufkommen, dass ich als Beamter einmal benutzt, ja BENUTZT werden würde, um auf schändliche Weise ein Problem zu lösen, das doch rein politischer Natur ist.


In derselben Weise haben sie auch die Nationalpolizei und die Guardia Civil benutzt; nur, dass ihnen ihre Dienste vergolten wurden mit den schon erwähnten 500 Euro monatlich bar auf die Hand. Wenn Sie mich fragen: Die Aussicht auf dieses Geld soll sie bei Laune halten, falls es wieder einmal nötig sein sollte, auf Menschen einzuprügeln, die das fürchterliche Verbrechen begehen wollen, zu wählen. Uns hat man diese 500 Euro nicht spendiert, obwohl wir doch wesentlicher Bestandteil dieser Galgenstrategie der Regierung sind: GEFÄNGNIS, GEFÄNGNIS und nochmal GEFÄNGNIS für jeden, der falsch denkt. Deshalb möchte ich wenigstens diese 500 Euro haben, denn ich schäme mich zu Tode dafür, diese Katzen in Estremera eingesperrt zu sehen; mein Schamgefühl ist so groß, dass es mir unerträglich wird, täglich dorthin zu fahren und meinen Dienst zu erfüllen. Es ist eine demokratische Schande, den Anblick ertragen zu müssen, wie diese fünf Männer in einem Gefängnis sitzen wegen politischer „Verbrechen“. So ist es, das weiß ich, das ist meine Überzeugung, bitte hört auf mich und wacht auf, denn ihr wirkt alle wie im Tiefschlaf, wie benebelt: Diese Schande betrifft nicht nur mich oder meine Kollegen, sie betrifft das ganze Land, Spanien, das immer betrügt, das immer scheitert, das immer verletzt und anderen blutende Wunden zufügt mit der abgebrochenen Spitze seiner historischen Konflikte. Jetzt hat es diese Katzen aus Katalonien erwischt, aber ihr wisst schon, dass dort in der Gegend noch andere Tierarten im Visier der Waffe des Jägers sind; und sie werden sie mit einer Brutalität abschießen, die nur mit einem glühenden Hass einer Art auf eine andere zu erklären ist: rappende Papageien, witzige Hunde aus der Mongolei oder intelligente Oktopusse aus Arco. Euch entgeht sicher nicht, wie viel ich mit diesen Worten riskiere. Eines Tages werdet Ihr fühlen, wie diese Schande, die aufquillt wie feuchtes Holz, wie der benutzte Verband eines Kranken, Euch am Ende die Seele abschnürt. Ich bitte Euch, dass Ihr Euch dann an die Worte dieses einfachen Beamten erinnert, der lediglich für sich beansprucht, dass man ihn nicht als Taschentuch benutzt, an dem sich die Regierung den Rotz von der Nase wischt; und wenn es schon sein muss, dass man ihm dann wenigstens die kleine Zulage von 500 Kröten netto monatlich dafür gewährt, denn das ist der geschätzte Preis, den der Innenminister für seine Seele angesetzt hat. Ach, und danke fürs Lesen. ---------------------------José Angel Hidalgo ist Justizvollzugsbeamter, Journalist und Schriftsteller. Er ist Autor von Sal en los zapatos (Verlag Verbum) und arbeitet in der Justizvollzugsanstalt Estremera (Madrid VII) seit ihrer Eröffnung vor fast zehn Jahren durch Francisco Granados. Auf ausdrücklichen Wunsch des Autors veröffentlichen wir auch sein Foto. Der spanische Originalartikel ist erschienen am 27. März 2018 auf: http://ctxt.es/es/20180328/Firmas/18682/catalu%C3%B1a-junqueras-forn-estremera-PPfuncionario-prisiones.htm


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