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Lan Nguyen Chaplin im Interview

„Wichtig ist, deinem Kind Dankbarkeit beizubringen“

VON TORBEN DIETRICH

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Lan Nguyen Chaplin lehrt und forscht an der Northwestern University.

Frau Chaplin, warum wollen Kinder immer so viele Sachen haben?

Lan Nguyen Chaplin lehrt und forscht an der Northwestern University in Illionois/ USA. Die 45-Jährige gehört zu den besten BusinessProfessoren der Welt und beschäftigt sich vor allem mit einer Frage: Warum wollen Kinder eigentlich immer so viele Dinge?

Materielle Dinge machen kleine Kinder glücklich, weil sie sie anfassen und betrachten können. Außerdem bekommen sie schon von klein auf Geschenke zu ihren Geburtstagen oder an Feiertagen. Auf diese Weise sind Spielzeuge und andere Dinge auch ganz klar mit Aufregung und Spannung verbunden.

Wir Erwachsenen sind da viel abgeklärter, wir können leichter verzichten … oder?

Geben wir es ruhig zu: Produkte vieler Art sind auch für uns Erwachsene wichtig. Ich will gar nicht wissen, wie viele Erwachsene sich ein neues Smartphone kaufen, obwohl ihr gegenwärtiges noch voll funktioniert. Wie ist das denn mit Ihrem Smartphone?

Mein Telefon ist immerhin vier Jahre alt, aber es stimmt: Bei gewissen Dingen empfinden wir wohl kaum anders als Kinder. Welche Art von Produkt ist denn unter Kindern besonders populär?

Das hängt wirklich vom Alter ab. Generell aber wollen viele ältere Kinder gerne elektronische Geräte haben: Smartphones, iPads, Gaming-Konsolen. Eine nachhaltige Attraktivität besitzen dabei aber Produkte, mit denen die Kinder auch nach längerer Zeit immer wieder spielen, wie Brettspiele oder Buntstifte. Einer der Gründe, warum viele Eltern ihren Kindern iPads gekauft haben ist, weil sie davon ausgehen, dass es gut angelegtes Geld ist: Kinder nutzen das Gerät offenbar lange und sinnvoll, auch weil es einige wirklich tolle Apps gibt.

Spielen materielle Dinge eine zu große Rolle?

Eins vorweg: Es ist vollkommen ok, deinen Kindern Dinge zu kaufen. Wichtig ist nur, ihnen Dankbarkeit beizubringen. Lebe das Verhalten vor, welches du gerne bei deinen Kindern sehen würdest. Also mache kein Gewese um das neueste iPhone oder sage deinen Kindern auch, warum du auf Dinge verzichtest, obwohl du sie schön findest. Und hab’ keine Angst, „Nein“ zu sagen.

Können Sie eine Strategie empfehlen, wie man den Konsum sinnvoll steuern kann?

Jede Familie hat ihre eigene Dynamik, eine allgemeingültige Strategie für den Umgang mit Güterkonsum gibt es nicht. Oder doch, eine goldene Regel fällt mir ein: Verbringe wertvolle Zeit mit deinen Kindern! Wenn du deine Kinder mit Produkten überhäufst, werden sie ihre Zeit mit diesen Dingen verbringen anstatt mit dir.

Gibt es also einen Konflikt zwischen der Ressource Zeit und „dem Produkt“?

Sagen wir es so: Materielle Dinge sollten nicht dazu da sein, um Zeit zu ersetzen, die du nicht mit deinem Baby verbringst. Kommuniziere und spiele mit deinen Kindern so viel du kannst. Und falls du doch nicht widerstehen kannst, etwa ein Spiel-Werkzeug zu kaufen, dann setz’ dich hin und entdecke das Werkzeug mit dem Kind gemeinsam – schraubt eure Möbel auseinander und baut sie wieder zusammen … Das macht Spaß! Oder spielt gemeinsam ein Videogame.

Können Konsumgüter aber nicht auch die Harmonie mit dem Nachwuchs retten, etwa zu Weihnachten?

Ich glaube nicht, dass ein Produkt den Familienfrieden retten kann. Man sollte eher darüber nachdenken, warum es diesen Familienfrieden gerade nicht gibt. Wahrscheinlich nicht wegen eines bestimmten fehlenden Produkts, sondern weil sich über lange Zeit etwas Anderes aufgestaut hat. Vielleicht hat das Kind über die Jahre gelernt, dass es nur herumjammern muss, damit es das gewünschte Spielzeug bekommt. Hier sollte man versuchen, ein gutes Vorbild zu sein und zu erklären, warum nicht alles einfach gekauft werden muss – und man trotzdem ein glückliches Leben führen kann. Zeit zu schenken statt irgendein Produkt – auch wenn die Kinder noch so sehr klagen – ist am Ende die nachhaltigere Lösung. Kinder verstehen das übrigens sehr schnell.

Können wiederentdeckte Spielzeuge manchmal auch wie ein Neues wirken?

Auch alte Dinge können absolut den Reiz des Neuen entfalten, wenn sie zum Beispiel nach einem halben Jahr auf dem Dachboden plötzlich wiederentdeckt werden. Man kann ein ganzes Wochenende damit verbringen, vergessene Spielzeuge neu zu entdecken und sich dafür zu begeistern. Ich wollte schon häufiger eins der Spielzeuge meiner Tochter verschenken, weil sie nie damit spielte und, dachte ich, auch keinerlei Erinnerungen mehr daran hatte. Am nächsten Tag war es natürlich genau das, womit sie spielen wollte.

Wie waren Sie als Kind, Frau Chaplin, wollten Sie auch so viele Dinge haben?

Ich bin in sehr armen Verhältnissen aufgewachsen. Für mich spielte es keine Rolle, mehr Dinge zu haben. Mir war nur wichtig, dass meine paar Spielsachen nicht allzu offensichtliche Gebrauchsspuren hatten, wenn ich sie bekam.

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