7 minute read

MUTIG WERDEN

Next Article
HIER WIRD GEHOLFEN

HIER WIRD GEHOLFEN

Was kann Mut erzeugen, wenn uns kol

lektive Bedrohungen wie das Coronavirus oder der Klimakollaps Angst machen? Wie mit den Kindern darüber reden? Nützliches Wissen in Krisenzeiten. Dies hätte ein Artikel werden sollen über Öko-Angst. Also über die Angst davor, dass der Klimawandel unser zukünftiges Leben auf diesem Planeten auf den Kopf stellt, zerzupft und zerzaust. Denn leider haben die Warnungen, die der Club of Rome mit seinem Bericht über die Grenzen des Wirtschaftswachstums bereits 1971 (sic!) publiziert hat, nicht den erhofften Effekt gebracht, im Gegenteil. Gleichermassen blind wie munter hat die Menschheit in den letzten 50 Jahren ihren ökologischen Fussabdruck auf der Erde weiter vergrössert. In Australien, wo vor Monaten reihenweise unschuldige Kängurus in Buschfeuern verkohlten, benötigt die Bevölkerung für ihren momentanen Lifestyle die Ressourcen von fast vier Erden, in Deutschland brau

Advertisement

chen wir knapp drei Erden. Wir leben auf viel zu grossem Deshalb ist es auch verständlich, dass uns gewisse VeränFuss, wissentlich, und das schon seit Langem. derungen und Lebensereignisse verunsichern: «Wir wissen zum Beispiel, dass Eltern, kurz nachdem sie ihr erstes Kind Tatsache ist, dass es immer mehr Menschen gibt, denen bekommen haben, mit neuen Ängsten konfrontiert werden die Folgen unseres Treibens Angst machen. Nicht nur Greta und insgesamt ängstlicher agieren und reagieren als daThunberg, die deswegen zur Schulstreikenden wurde. Geravor.» Ihr Verantwortungsgefühl für das neugeborene Wesen de junge Eltern realisieren, dass die Welt, wie wir sie heute ist damit geweckt. kennen, morgen vielleicht nicht mehr so Sorgen und Befürchtungen können jekomfortabel sein wird, wenn ihre Kinder «Es ermutigt uns, doch auch übertrieben sein, uns quälen gross sind. wenn wir uns trauen, und sogar wahnhaft werden. Bei jeder Wie umgehen mit den Sorgen, den Beüber unsere Ängste Angst lässt sich deshalb die Frage stelfürchtungen und Bedrohungen, wie Mut schöpfen? zu reden, uns mitzulen: Hat sie im Alltag eine Funktion? Oder wird sie gerade zu extrem? «Das ist der teilen», Fall, wenn wir einen Tunnelblick bekomAngst wie Greta Thunberg men», sagt Benoy. «Unser Verhalten wird

Die Angst, die Greta Thunberg letztes Jahr forderte, hat dann rigide und unflexibel. Der Alltag wird durch nichts anuns alle ergriffen. «Ich will, dass ihr Panik schiebt! Ich will, deres bestimmt als durch unsere Ängste.» dass ihr die Angst fühlt, die ich jeden Tag fühle», sagte das 16-jährige Mädchen 2019 am WEF in Davos mit eindringlicher Mutiger Umgang mit Angst Stimme. Die unmittelbare Angst, die uns in diesen Tagen in Weil sich unangenehme Gefühle von den Eltern auf die KinWellen heimsucht, gilt zwar nicht der Klimakrise. Doch erder übertragen, ist ein mutiger und bewusster Umgang dastaunlicherweise bewirkt sie zum Teil gerade das, was Klimit gerade in schwierigen Zeiten auch aus Rücksicht auf die maaktivistinnen und Wissenschaftler seit Langem fordern: Kinder nötig. Angst ist in erster Linie eine physiologische Weniger CO2-Emissionen. Jedenfalls für den Moment. Reaktion. Deshalb hilft es im Akutfall, sie über den Körper zu beantworten: Durch langsames und bewusstes Atmen, Die Funktion der Angst möglichst tief in den Bauch hinein. Atmen, fühlen, atmen. Zum Zeitpunkt, wenn dieser Artikel erscheint, werden wir Aussprechen zu können, was Angst macht, schafft zudem alle unsere Erfahrungen mit #stayathome gemacht haben. Klarheit. «Es ermutigt uns, wenn wir uns trauen, über unOder immer noch machen – wer weiss schon, was noch alles sere Ängste zu reden, uns mitzuteilen», sagt der Wiener auf uns zukommt. Auch die Angst wird ein hartnäckiger BePsychologe Paolo Raile. Wir stossen damit einen Prozess gleiter bleiben und immer wieder mal aufflackern. Oder sich an, tauschen uns aus mit anderen, lernen verschiedene aufbäumen und für kurze oder längere Zeit unser ganzes Sichtweisen kennen. Und bekommen schliesslich den Mut Sein in Beschlag nehmen. Ob uns das passt oder nicht. Und zu handeln. wir werden lernen, mit der Furcht umzugehen, sie im besten Aktiv werden, statt in Stockstarre zu fallen oder die Augen Fall in eine konstruktive Kraft umwandeln können und Mut zu verschliessen vor der Gefahr, das sei wichtig, sagt Raile, zu schöpfen. der für das Wiener Institut für psychoanalytisch-ethnoloUm mutiger zu werden, ist es gut zu wissen, dass Angst, gische Katastrophenforschung die Angst vor den Folgen ob vor einer Krankheit oder vor dem Klimakollaps, im Kern des Klimawandels untersucht. «Und dann will ich, dass ihr eine Funktion hat. «Sie aktiviert unsere selektive Aufmerkhandelt!», hat auch Greta in Davos gesagt. Im Fall der Corosamkeit und ist also erst mal etwas Gutes: Sie macht uns na-Krise haben wir es getan, in für uns alle überraschend vorsichtig, wachsam und dient dazu, uns anzupassen», sagt mutiger und radikaler Art. «Wieso tun wir es nicht, wenn Charles Benoy, leitender Psychologe am Zentrum für Psyes ums Klima geht?», fragt Jonas Hostettler, Chemiker und chosomatik und Psychotherapie der Universitären PsychiGründer von «Eltern fürs Klima». atrischen Kliniken Basel, das sich unter anderem mit der Therapie von Ängsten und Phobien befasst. Die funktionale Mutig handeln, bevor es eskaliert Angst sei sinnvoll und evolutionär bedingt, erklärt Benoy. Die Datenlage der Wissenschaft ist klar. Mehr noch, die Erde

erwärmt sich sogar noch schneller, als die Modelle es vorausgesagt haben. Schneearme milde Winter und rekordmässig heisse Sommer treiben uns mittlerweile heftiger den Schweiss auf die Stirn, als uns lieb ist. «Trotzdem habe ich den Eindruck, dass die meisten Menschen noch nicht geschnallt haben, wie schlimm es ist», sagt Jonas Hostettler. «Wenn wir so weiter machen, ist es bald zu spät, dann kippt das Ökosystem und es kommt eine Kaskade in Gang, die nicht mehr zu stoppen ist.» Der Vater von einem fünfjährigen Sohn und einer siebenjährigen Tochter ist seit Jahren in Sorge um unsere Welt.

«Bevor ich angefangen habe, mich zu engagieren, hatte ich nachts Alpträume, dass alles verdorrt.» Vor einem Jahr hat Hostettler mit zwei Gleichgesinnten «Eltern fürs Klima» gegründet und kämpft nun an der Seite der Klimajugend auf allen verfügbaren Kanälen für politische Lösungen: CO₂-Ausstoss verbieten und wo dies nicht möglich ist, die Emissionen aktiv aus der Atmosphäre wieder entfernen. Keine Verbrennungsmotoren mehr in zehn Jahren, Ölheizungen ersetzen, Stromversorgung auf erneuerbare Energien umstellen, den Flugverkehr klimaneutral machen und reduzieren. «Nur so schaffen wir es», ist Hostettler überzeugt. «Die letzten 30 Jahre haben gezeigt, dass der Mensch nicht freiwillig verzichtet oder Eigenverantwortung übernimmt, wenn nicht über Gesetze sichergestellt wird, dass alle mitmachen; obwohl die neoliberale Indoktrinierung uns genau das glauben machen wollte.» Vielleicht hat die Corona-Krise mehr Ähnlichkeiten mit der Klima-Krise als uns auf den ersten Blick erscheint. Auch Covid-19 haben die allermeisten zuerst unterschätzt. Bis klar wurde, dass es sich in einem Tempo ausbreitet, dem unser Gesundheitssystem nicht gewachsen ist. Weil es, wie auch CO₂, nicht an den nationalen Grenzen haltmacht, wurde es zum Menschheitsproblem. «Ähnlich wie beim Klima haben wir auch bei der Pandemie einen Verzögerungseffekt, nämlich durch Inkubationszeiten und Symptomlosigkeit mancher Infizierter», sagt der deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber. Die Lehre aus der Corona-Krise will Schellnhuber auf die Klima-Krise übertragen: «Richtiges Timing ist alles. Man muss handeln, bevor die Sache eskaliert, nicht erst, wenn man schon mitten im Schlamassel steckt.» Gerade beweist die ganze Welt, dass wir es können, wenn wir wollen.

Mit Kindern über Ängste reden Auch wenn Eltern mit ihren Kindern über Bedrohungen und Ängste reden, ist es wichtig, dass sie Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und zusammen mit den Kindern überlegen, was getan werden kann. «Das Hirn kann mit der Aussichtslosigkeit nicht umgehen», sagt der Angstexperte Charles Benoy. «Eine hoffnungslose Situation führt dann meist zu rigidem Verhalten, zu Flucht oder Passivität, was für die Psyche des Kindes die schlechteste Möglichkeit ist. Der Mensch muss auf etwas zugehen können. Er braucht eine Perspektive – das macht Mut.» Der britische Dichter und Mythologe Martin Shaw schrieb noch vor der Corona-Krise ein Essay über den Zustand der Erde und wie wir mit Kindern darüber reden können. Er meint, wir sollten aufhören zu sagen, dass die Erde untergehe, uns aber mit der Tatsache anfreunden, dass Dinge enden können. Gleichzeitig öffnet der Troubadour die Tür

für überraschende Möglichkeiten: «Ich schlage vor, dass wir ansprechbar werden für Wunder.» Vielleicht ist der blaue Himmel ohne Kondensstreifen gerade ein solches Wunder. Das Vogelgezwitscher, das in diesem Frühling reiner ertönt. Oder die ungewohnte Ruhe in und um uns herum.

Zuhören, nachfragen und Interesse zeigen, macht Mut. • Wenn wir den Kindern helfen, ihrer Angst Raum zu geben und in die Augen zu schauen, stellen sie fest, dass sie kleiner wird und vielleicht sogar verschwindet. • Einen offenen Umgang pflegen, auch mit unerfreulichen Themen. Nichts verheimlichen, aber altersentsprechend erklären. • Unabhängig von ihrem Alter wollen Kinder mit ihren Ängsten und Themen ernst genommen werden. Zuhören, nach

Individualpsychologische Beratung Ermutigungs-Training (Encouraging) Heilströmen - Jin Shin Jyutsu

fragen und Interesse zeigen, macht Mut. • Unsachliche Spekulationen und Panik vermeiden. Eigene Überlegungen einbringen, jedoch darauf achten, Ruhe und Geborgenheit zu vermitteln. Die Art und Weise, wie wir über ein Thema sprechen, hat einen Einfluss darauf, ob das Kind Angst bekommt oder nicht. • Auf positive Wortwahl achten, auch sie macht Mut. • Immer die Hoffnung aufrechterhalten und zusammen Wege und Möglichkeiten finden, was in der Situation getan oder verändert werden kann. • Absolutistisches Reden und Verhalten vermeiden, Ausnahmen ermöglichen, flexibel bleiben. • Wer selber grosse Angst hat, muss sich bewusst sein, dass die eigene Mutlosigkeit aufs Kind übergeht. Wenn möglich sich zuerst mit der eigenen Angst befassen und einen Umgang damit finden.

This article is from: