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KINDERSCHUTZ

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GESCHICHTE

GESCHICHTE

KINDERSCHUTZ KINDERSCHUTZ – GEHT UNS ALLE AN Social distancing im wörtlichen Sinn – hier bitte nicht!

Von Martine Runge-Rustenbeck, Schulärztin der Freien Waldorfschule und Kindergartenärztin der Waldorfkindergärten in Braunschweig

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Immer wieder lesen wir in der Zeitung oder sehen Berichte im Fernsehen von sexuellem Kindesmissbrauch, Vernachlässigung von Kindern, körperlicher und emotionaler Ge

Wut, ihre Sorgen, ihre Launen

walt gegen Kinder u.a.m. Jedes mal schaudern und erschrecken wir, empfinden tiefes Mitleid mit den Opfern, aber auch Hilflosigkeit und Ohnmacht gegenüber diesen schrecklichen Vorkommnissen.

Wir erwarten, dass schon Hebammen Pro

blemfamilien erken

nen, Erzieher*innen und Lehrer*innen Anzeichen

wie die weiter unten im Text

genannten richtig deu

ten und sachgerecht reagieren, Kinderärzt*innen und Jugendamtsmitarbeiter*innen bei Ver

dachtsmomenten rasch (abwertend, anzüglich, begehrend) sowie Witze auf Kosten des Darin heißt es u.a.: „körperliche Bestrafungen, seelische Verlet

und konkret handeln und

im Bedarfsfall die betrof

fenen Kinder in Obhut genommen werden, kurz: dass schon kein Kind durch das Netz fällt.

Wir hoffen, dass Kindern in unserem Umfeld so etwas nicht passiert, und neigen dazu, die Möglichkeit auszublenden, dass beispielsweise auffälliges Verhalten, Entwicklungsstörungen und wiederholte Verletzungen Folgen gewalttätiger Übergriffe durch Erwachsene oder auch Jugendliche sein können oder dass (Cyber-)Mobbing dahinter stecken kann, wenn Kinder depressiv werden, sich verschließen und ihr Selbstvertrauen verlieren.

Und wir wollen nicht wahrhaben, dass es sexualisierte Gewalt in kann. Denn die Täter sind meist freundlich und hilfsbereit, niemand würde ihnen grenzverletzendes Verhalten bis hin zu schwerem Missbrauch zutrauen. Sie kommen in nahezu allen Fällen aus jeder Schulklasse 1-2 Kinder sitzen, die schon Übergriffe sexueller Natur erlebt haben.

Jede/r von uns kann im Alltag bei sorgsamer Beobachtung Anzeichen für verbale, emotionale, gewalttätige und sexuelle Übergriffe gegen Kinder wahrnehmen. Subtile Gewalt ist es zum Beispiel, wenn Erwachsene ihre an Kindern auslassen, denn diese benötigen Sicherheit und Verlässlichkeit und wer

den durch Rollenunklarheit

überfordert, da sie unwillkürlich Verantwortung übernehmen. Das tun sie zum Beispiel auch dann, wenn ihre Eltern suchtkrank oder durch ande

re psychische Probleme überfordert sind.

Grenzüberschreitend wirken

auf Kinder auch laute Stimmen (Schreien, Schimpfen, Brüllen), Liebesentzug (Ignorieren des Kindes), vielsagende Blicke Kindes, abschätzige, sexistische Bemerkungen, Beleidigungen und Drohungen. Ohrfeigen, Kopfnüsse, die Tracht Prügel etc. sind zum Glück gesetzlich verboten, Kinder haben ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Die sogenannte körperliche Züchtigung wurde in den Grundschulen (früher Volksschulen) erst 1970 abgeschafft, das elterliche Züchtigungsrecht sogar erst im Jahr 2000 durch das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung ersetzt. unserem Freundeskreis, Kollegium, ja in unserer Familie geben

zungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“

Die Würde des Kindes also gilt es zu wahren – siehe § 1 des Grundgesetzes, in dem es heißt: „die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Das heißt, wir alle haben diese Pflicht und sind

Durch das 2012 in Kraft getretene Bundeskinderschutzgesetz wurden der vorbeugende Schutz von Kindern und das Eingreifen bei Verletzungen des Kinderschutzes gleichermaßen ins Blickfeld gerückt und vielfältige Hilfsangebote installiert. Allerdings bedarf es des mutigen Eintretens für das sich in einer ausweglosen Lage befindende Kind und des beherzten Aktivwerdens, wenn wir Zeugen von Übergriffigkeiten werden, verwirrende Beobachtungen machen, einen Verdacht hegen, kurz: ein „komisches“ Bauchgefühl haben.

Dieses entsteht zum Beispiel bei Kindern mit: • unerwarteter, irritierender Verhaltensänderung (wie übermäßiger Aggressivität, Unruhe oder Ängstlichkeit, Distanzlosigkeit, Rückzugs- und Vermeidungsverhalten) • frozen watchfulness = gefrorener Aufmerksamkeit • Interesselosigkeit, Lustlosigkeit • unerklärlichen Schlafstörungen (Alpträume, Nachtschreck u.a.) • Leistungsabfall in der Schule, Lernstörungen • Entwicklungsrückschritten, z.B. erneutem Einnässen • Verletzungen, deren Begründungen nicht wirklich passen • hohen Fehlzeiten in Kindergarten bzw. Schule

• nicht zum Wetter passender Kleidung, Ungepflegtheit, mangelnder Fürsorge • gemalten Bildern, die irgendwie auffällig sind in der Farbauswahl, den

dargestellten Szenen, häufig wiederkehrenden Motiven etc.

• Rollenspielen, die bezüglich Inhalt und Sprache suspekt sind.

WIE KANN ICH AKTIV WERDEN?

Wenn ich beobachte, dass ein Kind von den Eltern oder anderen Erwachsenen geschlagen, gedemütigt, angeschrien oder anders misshandelt wird, sollte ich couragiert eingreifen. Möglicherweise genügt schon ein erschrockener Blick oder ein empörter Kommentar, damit die Person aufhört und unter Umständen einsieht, dass sie zu weit gegangen ist. Das Kind befindet sich in einer verzweifelten Lage, hat Angst, ist traurig, und bekommt durch Außenstehende, die nicht einschreiten, das Signal, dass das Verhalten des Erwachsenen richtig ist und sein eigenes falsch. Es ist schwer, die Hemmschwelle zu überwinden, aber ein verständnisvolles und klares Stopp rüttelt den Täter unter Umständen wach und holt ihn aus seiner Stress-Situation heraus.

Schlagen von Kindern ist eine Straftat, unterlassene Hilfeleistung auch! Also: nicht wegsehen, nicht ignorieren!

Wenn ich Anhaltspunkte dafür habe, dass einem Kind Dinge widerfahren, die mit Gewalt in jedweder Form oder Vernachlässigung zu tun haben, das „komische Bauchgefühl“ besteht und sich der Verdacht einer Kindeswohlgefährdung aufdrängt, muss ich für den Schutz des Kindes sorgen. Erst einmal erlebe ich mich möglicherweise hilf- und ratlos, konfus und fühle mich wie gelähmt. Das ist normal!

Sehr wichtig ist es dennoch, rasch und konsequent zu handeln, denn ein Kind, das misshandelt, vernachlässigt, missbraucht wird, benötigt unbedingt Hilfe! Wenn es von Gewalt zuhause oder anderswo erzählt, muss ich es ernst nehmen, ruhig zuhören und darf keine bohrenden Fragen stellen. Aber auch wenn ich nicht mehr als ein paar vage Verdachtsmomente habe, die mich durcheinander bringen, bleibe ich dran und mache mir Notizen, beobachte genau und protokolliere Ort, Datum und Zeit meiner Wahrnehmungen als Gedächtnisstütze.

Absolut richtig ist es jedoch, nicht selbst zu ermitteln, sondern Fachleute zu Rate zu ziehen (namentlich oder anonym) , nämlich • von Beratungsstellen wie der Frauen- und Mädchenberatung bei sexueller Gewalt e.V., Münzstraße 16, Tel. 0531-2336666, info@ trau-dich-bs.de

• der Erziehungsberatungsstellen Domplatz 4, Tel 0531 45616, oder Jasperallee 44, Tel. 0531 340814 • vom Jugendamt – Abteilung Allgemeine Erziehungshilfe, KonradKoch-Quartier, Neue Straße 28, Tel. 0531-4701 • bei der Polizei – Kriminalpolizeiliche Beratungsstelle, FriedrichVoigtländer-Straße 41, Tel. 0531-4762005 • Hilfsangebote macht z.B. der Deutsche Kinderschutzbund, Hin

KINDERSCHUTZ ter der Magnikirche 6a, Tel. 0531 81009, info@dksb-bs.de punkte ins Blickfeld genommen werden..

Für die Kinder und Jugendlichen selbst steht die NUMMER GEGEN KUMMER zur Verfügung, bei allen Arten von Sorgen, Problemen und Ängsten können sie hier kostenlos und anonym kompetente Beratung erfahren unter 116111 und 0800 1110333, auch ein LifeChat ist dort möglich unter www.nummergegenkummer.de

Das Hilfetelefon Sexueller

Missbrauch, ebenfalls kostenlos und anonym, hat die Nummer 0800 2255530

Eltern und Erziehungs

personen, die sich hilflos fühlen, überfordert sind und in Sorge auszurasten, können beim Elterntele

fon anonym und kostenlos Rat bekommen 0800 1110550. Des weiteren bie

tet die Bundeskonferenz

für Erziehungsberatung e.V. eine Onlineberatung an: www.bkeelternberatung.de

Alle Personen, die beruflich mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, haben gemäß Bundeskinderschutzgesetz einen Anspruch auf Beratung durch eine „insoweit erfahrene Fachkraft“, die bei der Einschätzung einer möglichen Kindeswohlgefährdung unterstützt und dabei hilft, die weitere Verfahrensweise festzulegen, um das Kindeswohl zu sichern.

• KINDERSCHUTZ-SERVICETELEFON 0531-4708888 • Kinderschutz@braunschweig.de Die Kultusminister-Konferenz hat 2010 Handlungsempfehlungen herausgegeben „zur Vorbeugung und Aufarbeitung von sexuellen Missbrauchsfällen und Gewalthandlungen in Schulen“. Darin werden „standortspezifische Schutzkonzepte bzw. Maßnahmen für den Kinderschutz“ postuliert. Dies wurde zum Beispiel in der Waldorfschule Braunschweig in Form einer sog. Kinderschutzgruppe verwirklicht, deren Mitglieder jederzeit und niedrigschwellig als Ansprechpartner zu dem Thema fungieren und es in all seinen Facetten und in vielfältiger Weise in der Schule etablieren. So ist sichergestellt, dass es präsent bleibt und präventive Gesichts

Wer sich intensiver mit dem Thema Gewalt gegen Kinder befassen möchte, findet hier einige Literaturempfehlungen:

• Ursula Enders, Grenzen achten • Ursula Enders, Zart war ich, bitter war´s • Mathias Wais, Der ganz alltägliche Missbrauch

Weitere Informationen:

www.polizei-beratung.de www.aktion-tu-was.de

Bundesverband der Kinder

und Jugendärzte www.bvkj.de Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung www. bzga.de Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Missbrauchs in Berlin www.beauf

tragter-missbrauch.de

Kinderbücher zum Thema:

„Klein“ von Stina Wirsèn „Stopp, das will ich nicht“ von Elisabeth Zöller „Pass auf dich auf!“ von Bärbel Spathelf „Ich bin stark, ich sag laut Nein!“ von Susa Apenrade

Und Bücher, die Erziehungsthemen behandeln:

Mathias Wais – Dialogisch erziehen Martin Lintz – Von der Würde des Kindes

Michaela Glöckler/Claudia Grah-Wittich – Die Würde des kleinen Kindes

Michaela Glöckler - Elternsprechstunde

... nicht nur von

Inklusion sprechen! A n g e b o t e f ü r M e n s c h e n m i t B e h i n d e r u n g e n u n d A u t i s m u s i n W o l f e n b ü t t e l u n d d r u m h e r u m

www.itz-drk.de

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