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Junglehrerbeitrag

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Stress, lass nach

Stress, lass nach

Wer von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, hat jetzt einen Ohrwurm? Die, die es noch nicht gleich erwischt hat, spätestens jetzt vermutlich. „Major Tom“ von Peter Schilling, die Figur ist eine Erfindung von David Bowie aus dem Song „Space Oddity“, lässt vor allem zu späteren Stunden keine Kehle verstummt und kein Bein unterm Tisch. Eine musikalische Metapher über einen Astronauten, dem eine Reihe an vertuschten Schlampigkeiten zum Verhängnis wird und der nie wieder auf die Erde zurückkehrt.

Aus der Ferne betrachtet...

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Blickt man aus dem Epizentrum der aktuellen bildungspolitischen Gegebenheiten auf die gesamte Schulstruktur, wünscht man sich manchmal einfach entschweben zu können. Aus der Ferne betrachtet stehen wir mehr denn je vor Situationen, die man hat kommen sehen müssen, jedoch lange sträflich ignoriert wurden: Lehrerinnen und Lehrer fehlen hüben wie drüben, pädagogisches und administratives Unterstützungspersonal gibt es bis auf wenige Ausnahmen nur als geduldige Entlastungsidee, Leiterinnen und Leitern werden unverändert bürokratisch-sinnbefreite Zusatzaufgaben aufgebrummt, das Märchen der alternativlosen Inklusion zerstört ein funktionierendes Sonderschulsystem, Neulehrerinnen und Neulehrer lechzen ob der immensen Belastung gemischt aus absolut überbordenden Fortbildungen im Rahmen der Induktionsphase, nicht zu vereinbarenden Stundenplänen in der Masterausbildung und den an sie delegierten zusätzlichen Verpflichtungen wie Dauermehrdienstleistungen. Und langsam merke ich, dass wir hier alle, nicht nur Pädagoginnen und Pädagogen, sondern auch die uns anvertrauten Kinder und ihre Eltern, unsere gesamte Gesellschaft und Zukunft auf eine kurzsichtige Reise geschickt werden, wie Major Tom, die vielen von uns auch den Boden unter den Füßen wegzieht.

„Opportunitätskosten“

Es gibt viele kluge Menschen in unseren Breiten, die ausgiebig über diese Entwicklungen im Großen nachdenken, Richard David Precht zum Beispiel, dessen Meinungen ich in sehr vielen Bereichen teile. Im Podcast „Lanz & Precht“, den ich hier offiziell sehr empfehle, spricht er in einer der ersten Folgen ganz global über populistische „Opportunitätskosten“, ein Begriff, der mich auch in Verbindung mit unserer Bildungsstruktur zum Nachdenken gebracht hat: Im Grunde beschreibt

der genannte Ausdruck in der Wirtschaft die entstehenden Kosten oder verpassten Einnahmen für nicht genutzte Chancen. Und ich dachte mir beim Zuhören: „Wie interessant wäre das, könnte man dazu eine Berechnung im System Schule anstellen!“ Diese muss ich leider schuldig bleiben, dafür bin ich in der hohen Mathematik zu schwach untersetzt. Was dementgegen nicht ausbleiben muss, ist, darüber zu spekulieren, wie das System Schule jetzt verändert werden kann, damit wir nicht noch mehr versäumen, wieder mehr Normalität einkehrt. Denn

Völlig losgelöst...

»Und langsam merke ich, dass wir hier alle auf eine kurzsichtige Reise geschickt werden, wie Major Tom...«

David Hiegelsberger

CLV-Landesjunglehrervertreter

wir wissen, dass das System Schule jeden und jede betrifft. Wir merken das vor allem dann am stärksten, wenn Millionen Expertinnen und Experten ihrer geistigen Ergüsse nicht mehr Herr oder Frau werden, da sie doch auch selbst einmal zur Schule gingen. Wer also macht sich ernsthaft darüber Gedanken, wem ist es tatsächlich ein Anliegen, wer ist vor allem politisch unabhängig von Schönwetterentscheidungen und populistischen Eintagsfliegen?

Für andere im System einsetzen

Die – „sowas kann nur von einem kommen, der selbst da dabei ist“ – Antwort folgt: die Gewerkschaften und Personalvertretungen. Warum ich zutiefst überzeugt bin von dieser Aussage: In den Wochen seit Schulbeginn sehe ich von Ulrichsberg bis Bad Goisern, von Ostermiething bis Grein, wie sich Menschen im System mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen für andere im System einsetzen und noch die Zeit und Kraft finden, Verbesserungen zu erreichen. Die Ehre gebührt hier allen, aber in diesem Artikel vor allem meinen CLVJunglehrerteams in den Bezirken und auf Landesebene, die sich über die Maßen engagieren und mit frischen Ideen, notwendiger Hartnäckigkeit und fester Überzeugung einsetzen.

Wir wollen keine Major Toms sein auf einem Blindflug durch den Bildungsäther. Da macht auch niemand mehr einen Scherz, wenn der Countdown läuft. ■

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