Globalisierung im Schatten der Überwachung - Internet. Demokratie. Handel.

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ISBN 978-3-944622-01-9

Internet. Demokratie. Handel.

9 783944 622019

Globalisierung Preis: 6€

im Schatten der Überwachung

TTIP – ein nicht ganz so freies Handelsabkommen

It’s the economy, stupid. Was ist mit der Zivilgesellschaft?

Freier Handel & freies Netz – ein Widerspruch?

Das transatlantische Freihandelsabkommen unter Ausschluss der Öffentlichkeit?


TAFTA haptisch – entstanden während des zweiten Collaboratory-Workshops am 27. und 28. August 2013 in der HUMBOLDT-VIADRINA School of Governance.


EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, zur Zeit wird die globale Kommunikationsüberwachung durch Geheimdienste kontrovers diskutiert. Gleichzeitig findet ein anderes brisantes Thema bislang in der Öffentlichkeit noch zu wenig Beachtung: das geplante transatlantische Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Das mit den Abkürzungen »TAFTA« oder »TTIP« benannte Abkommen könnte weitreichende Auswirkungen für jedermann haben, zum Beispiel im Bereich Verbraucherschutz, bei Lebensmittelstandards oder dem Datenschutz. Das Abkommen soll volkswirtschaftlichen Gewinn bringen, gleichzeitig befürchten Kritiker negative Folgen für die Informationsfreiheit im Netz. Mit diesem Reader führen wir in das Thema ein und erklären die komplexen Beziehungen und Zusammenhänge. Dabei gehen wir auf verschiedene Gesichtspunkte ein, in denen sich Globalisierung und das Internet berühren. Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wollen wir damit einen leicht verständlichen und interdisziplinären Diskussionsbeitrag zur Hand geben, um Ihnen diese schwierigen globalen Themen näher zu bringen. Das Ihnen vorliegende Magazin entstand als Experiment im Rahmen eines »Sprints«: Innerhalb weniger Wochen hat eine Gruppe unterschiedlicher Autoren dezentral an dieser Publikation gearbeitet.

Es enthält eine Zusammenstellung von Meinungsartikeln, Essays und Analysen zu Themen der heutigen digitalen und globalisierten Gesellschaft, die uns alle angehen – nicht nur die Technikspezialisten, Fachpolitiker oder Netzaktivisten. Welche Rolle das Internet bei der Globalisierung spielt, was dies für politische Prozesse, wie das Freihandelsabkommen, bedeutet, und welche Rolle wir alle dabei spielen, ist dabei der rote Faden, der Sie durch das Magazin begleitet. Hinter diesem Projekt steht eine Initiative des Internet und Gesellschaft Collaboratory, einer netzpolitischen Projektplattform mit Sitz in Berlin, in Kooperation mit dem internationalen Blogger-Netzwerk FutureChallenges.org der Bertelsmann Stiftung. Mehr als dreißig internationale Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Bereichen haben in den letzten Monaten in mehreren Workshops diese Themen debattiert. Aktuelle und weitere Entwicklungen dazu, Podcasts, internationale Fachartikel, Videobeiträge und Interviews gibt es auf http://globalisierung.collaboratory.de. Wir freuen uns auf Kommentare und Anregungen online oder an kontakt@collaboratory.de. Wir wünschen viel Spaß und neue Erkenntnisse beim Lesen! Die Herausgeber Marc Venhaus (Projektleitung), Sebastian Haselbeck (Collaboratory e. V.), Ole Wintermann (FutureChallenges.org)

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Netz und Nationalstaat Recht / Politik / Demokratie / Internetregulierung / Gesetze

Schafft das Internet eine neue Kultur – supranational & grenzenlos? Cyberspace / digitale Kultur

Was ist TTIP? Handelshemmnis / Politik / Regulierung

Internationale Blogger zum Thema TTIP Kulturklauseln / Gentechnik / AUSFTA / PRISM

Entscheider – hört die Signale TTIP, Globalisierung und das Internet Globalisierung / Absatzmärkte / Internet-Partizipation

Das Internet der Konsumenten Edward Snowden / NSA / Privatsphäre / Verbraucherrechte / Konsumverhalten

TTIP & Menschenrechte Privatsphäre / ISDS

Internet und Nachhaltigkeit Rohstoffe / Umwelt

TTIP was bleibt offen? Wettbewerb / Wirtschaft / Kontrolle

Wird TTIP das neue ACTA? Abkommen / Freiheitsrechte / Leak

Vertrauen aufbauen Handelspartner / Globalisierung / Interaktion

»IP-out-of-TTIP« ist der falsche Ansatz Technologischer Fortschritt / Lobbyismus / Digital Natives

42 oder vom Versuch, die richtigen Fragen zu stellen Mitbestimmung / EU-Bürger / globale Wirtschaftsordnung

Überwachen und Strafen im Internet Liberalismus / Überwachung / Foucault

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Die Autoren

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Impressum


GLOSSAR ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement): Ein aufgrund massiver Proteste 2012 gescheitertes plurilaterales Handelsabkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie und zum Schutz geistigen Eigentums. Bruttoinlandsprodukt (BIP): Der Wert aller Güter und Dienstleistungen, die eine Volkswirtschaft innerhalb eines Jahres herstellt bzw. erbringt. Ein wichtiger, aber keinesfalls idealer Indikator zur Messung des Wohlstands in einem Land. Blogparade: Autoren und Betreiber eines Blogs rufen im Rahmen von Blogparaden Blogger dazu auf, Online-Posts zum gleichen Thema zu veröffentlichen. Diese werden auf den Blogs der Teilnehmer und als Zusammenfassung beim Initiator veröffentlicht, manche auch später als E-book. Cloud Computing beschreibt den Prozess der Virtualisierung von Rechen- und Speicherleistung, bei denen Speicherort und Rechenzentrum nicht mehr klar zuordenbar sind. Beispiele dafür sind Google Apps oder der Online-Speicherdienst Dropbox. Cloud Computing macht IT-Dienstleistung nach Verbrauch möglich. Crowdfunding ist eine spezielle Form der gemeinschaftlichen Organisation beziehungsweise des Sammelns von finanziellen Mitteln, wobei in der Regel digitale Plattformen genutzt werden.

Digital Divide (deutsch: »Digitale Kluft«): Ökonomische Ungleichheit zwischen Personen, die sich durch den unterschiedlichen Zugriff oder die unterschiedliche Vertrautheit mit digitaler Technologie ergibt. Dabei gibt es sowohl eine globale digitale Kluft zwischen dem hochentwickelten Nordwesten (Amerika, Europa, plus Japan und Australien) und dem eher begrenzt entwickelten Südosten (Afrika, Asien, plus Südamerika) wie auch nationale digitale Kluften zwischen Menschen, die mit den modernen Informations- und Kommunikationstechnologien aufgewachsen sind, und solchen, die sich mit deren Nutzung schwertun. Digital Natives (deutsch: »Digitale Ureinwohner«): Personen, die mit der digitalen Technologie des späten 20. Jahrhunderts aufgewachsen sind und sie wie selbstverständlich in ihrem Alltag nutzen. In Abgrenzung zu diesem Begriff spricht man auch von Digital Immigrants (deutsch: »Digitale Einwanderer«), um Personen zu beschreiben, welche zwar nicht mit den heutigen digitalen Technologien aufgewachsen sind, diese aber in ihren Alltag integriert haben. Edward Snowden: Ein ehemaliger Mitarbeiter der NSA und CIA, der in den Jahren 2012 und 2013 diverse vertrauliche Informationen über Spionageprogramme der US-amerikanischen Geheimdienste an verschiedene Journalisten übergab, um auf die flächendeckende Überwachung von Gesellschaft, Infrastruktur und Wirtschaft aufmerksam zu machen. Programme, die bekannt wurden, waren zum Beispiel Follow The Money (Überwachung von Kreditkartentransaktionen) oder PRISM (Überwachung von Internetkommunikation).

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GLOSFreihandelsabkommen: Ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen zwei oder mehr Staaten mit dem Ziel, tarifäre↗ und nichttarifäre Handelshemmnisse↗ abzubauen, um so die Handelsaktivitäten zwischen den beteiligten Staaten zu erhöhen. Globalisierung: Begriff, der die Zunahme internationaler Verflechtungen zwischen Menschen, Institutionen, Staaten und Märkten beschreibt. Antreiber von Globalisierung sind Fortschritte z. B. in der Containerschifffahrt oder bei Kommunikationstechnologien sowie politische Zusammenschlüsse oder Liberalisierung von Handel und Mobilität. Handelshemmnis, nichttarifäres: Maßnahmen, die die Einfuhr von Gütern und Dienstleistungen aus dem Ausland beschränken. Beispiele sind Qualitätsstandards, Verpackungs- und Bezeichnungsvorschriften, technische bzw. rechtliche Anforderungen an importierte Produkte, mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen bis hin zu Einfuhrverboten, aber auch Ausfuhrverbote. Handelshemmnis, tarifäres: siehe Zoll. Hegemonialcharakter: Das Wort »Hegemon« stammt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie »Anführer«. In der Politikwissenschaft, insbesondere in den internationalen Beziehungen, bezieht sich »Hegemon« auf Staaten, die gegenüber einem großen Teil der Staatenwelt Herrschaft ausüben. Leak: Unautorisierte Veröffentlichung von geheimen Informationen oder Dokumenten, z. B. auf WikiLeaks↗.

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Multistakeholder-Ansatz: Eine Verfahrensweise, um möglichst viele Gruppen an einer Entscheidung, einer Organisation, einem Prozess o. ä. zu beteiligen, die ein großes Interesse hieran haben, weil sie durch die Folgen einer solchen Entscheidung usw. direkt betroffen wären. Panoptikum: Von Jeremy Bentham gegen Ende des 18. Jahrhunderts entworfene Bauweise, z. B. für Gefängnisse. Das Panoptikum ermöglicht die gleichzeitige Überwachung vieler Menschen durch einen Einzelnen. Im Mittelpunkt steht ein Beobachtungsturm, von welchem aus der Wärter die Zellen sehen kann, ohne dass die Insassen wiederum den Wärter sehen können.

Stakeholder: Bezüglich eines Themas berechtigte oder interessierte Kreise, wie Staaten, Unternehmen, Personen oder Gruppen. TAFTA ist die Abkürzung für »Transatlantic Free Trade Agreement«. Das ist der englische Begriff für ein transatlantisches Freihandelsabkommen↗ zwischen der EU und den USA. Diskussionen über ein entsprechendes Abkommen begannen bereits in den 1990er Jahren. Seit Beginn des Jahres 2013 hat sich in den offiziellen Verlautbarungen jedoch der Begriff »Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft« (siehe TTIP) durchgesetzt. Damit soll verdeutlicht werden, dass es bei den Verhandlungen um mehr als nur den Abbau von Zöllen geht.


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TTIP steht für »Transatlantic Trade and Investment Partnership«, dem englischen Begriff für »Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft«, der seit Beginn des Jahres 2013 zunehmend an Stelle des Ausdrucks TAFTA verwendet wird. TTIP beschreibt ebenso wie TAFTA ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. TLD: Eine Top Level Domain, beispielsweise .com oder .de, ist die oberste Zuordnungsebene von Domainnamen (z. B. www.meinname.de). Jede dieser TLDs hat eigene Organisatoren (sogenannte Registrare) für ihre Vergabe, für .de ist das die DeNic. Neue, ab 2014 verfügbare GeoTLDs (beispielsweise .berlin oder .bayern) werden zusätzliche Möglichkeiten eröffnen. VPN (Virtual Private Network): Als VPN bezeichnet man eine verschlüsselte Datenverbindung vom eigenen PC in ein Intranet von Organisationen, z. B. einer Universität. Dies erlaubt die Nutzung aller Netzwerkfunktionen, die in diesem Intranet vorhanden sind. Wenn es das angewählte Netzwerk zulässt, besteht auch die Möglichkeit, auf das Internet zuzugreifen. Das ermöglicht beispielsweise das Umgehen von Netzwerksperren in Ländern mit Internetzensur.

Wikis sind gemeinschaftlich erstellte Internetseiten, deren Inhalte (insbesondere Texte) von den Nutzern gelesen und mit Hilfe von Content-Management-Systemen auch bearbeitet werden können, z. B. Wikipedia. Gesammeltes Wissen wird somit leicht zugänglich und kann gleichzeitig auch ständig von allen Beteiligten ergänzt bzw. angepasst werden. WikiLeaks: Online-basierte nicht-kommerzielle Plattform, die geheime Informationen veröffentlicht, die von öffentlichem Interesse sein können. Die Quellen/ Informanten bleiben in aller Regel anonym, wenngleich es auch spektakuläre Ausnahmen gibt wie z. B. Bradley Manning, der zahlreiche streng geheime Dokumente über den Irak- und den Afghanistan-Krieg an WikiLeaks übergeben hat. Zoll: Eine steuerliche Abgabe, die anfällt, wenn Güter und Dienstleistungen die Grenze eines Landes überschreiten. Wird der Zoll vom importierenden Land erhoben, handelt es sich um einen Importzoll. Siehe Handelshemmnis, tarifäres und nichttarifäres.

SAR

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.ac .ad .ae .aero .af .ag .ai .al .am .an .ao .aq .arpa .as .asia .at .au .aw .ax .az .ba .bb .bd .b .bg .bh .bi .biz .bj .bm .bn .bo .br .bs .bt .bv . .by .bz .ca .cat .cc .cd .cf .c .ci .ck .cl .cm .cn .co .c .com .cr .cu .cv .cx .cy .cz .dj .dk .d Wie das Internet Grenzen unserer .do Gesellschaft überschreitet und damit .dz .de .ec .edu .ee . bestehende Strukturen in Politik und .er Recht an ihre Grenzen stoßen. Eine .es .et .eu .fi .fj .fk . in das Spannungsver.fo Einführung .fr .ga .gb .gd .ge .g hältnis zwischen globalem Netz und .gh lokalem Recht. .gi .gl .gm .gn .gov .gq .gr .gs .gt .gu .gw .gy .hk .hm .hn .hr .ht . .id .ie .il .im .in .info .int .io .iq .ir .is .it .je .j .jobs .jp .ke .kg .kh .ki .km .kn .kp .kr .kw .ky . .la .lb .lc .li .lk .lr .ls .lt .lu .lv .ly .ma .mc .md .mg .mh .mil .mk .ml .mm .mn .mo .mobi .mp . .mr .ms .mt .mu .museum .mv .mw .mx .my .mz .name .nc .ne .net .nf .ng .ni .nl .no .np .nr .n .om .org .pa .pe .pf .pg .ph .pk .p .pn .post .pr .pro .ps .pt .pw .py.tl .tn .to .tp .tr .travel .tt .tv .tw .tz .ua .ug .uk .

Netz und Nationalstaat

Jan Mönikes Sebastian Haselbeck

Recht / Politik / Demokratie / Internetregulierung / Gesetze


.ar be .bf .bw cg .ch coop v .cw dm .eg .fm gf .gg .gp .hu jm .jo .kz d .me .mq z .na nu .nz pl .pm .tm .us

Das Internet verändert nicht nur unsere Art zu arbeiten, zu kommunizieren und zu leben. Es entsteht auch ein neuer Raum für Recht und Politik: Je mehr soziale Funktionen ins Internet verlagert werden und unsere Welt dabei vernetzt und beeinflusst wird, umso drängender stellt sich die Frage nach politischem Einfluss und demokratisch legitimierter Regulierung dieses Raums. In Deutschland macht sich in der politischen Debatte erst seit Kurzem die Erkenntnis breit, dass das Internet mehr ist als nur E-Mail oder OnlineShopping. Die seitherigen Vorschläge zur Internetregulierung vermögen daher noch kaum zu überzeugen. Viele politische Initiativen erkennen im Netz vor allem eine Bedrohung, einen »Tatort Internet«, ohne jedoch die tatsächlichen Risiken nur annähernd zutreffend zu beschreiben. Andere wiederum überhöhen die vorhandenen partizipatorischen Chancen des Netzes in einer idealisierenden Weise, die bestenfalls politisch naiv ist. Dieser Überblick will daher in die grundsätzliche Herausforderung einführen, die das Internet für Politik und Recht, Demokratie und Staat bedeutet, um das notwendige Verständnis für die weitere Debatte herzustellen. DIE »ENTMÄCHTIGUNG DES NATIONALSTAATES«

Auch wenn nicht jeder Nationalstaat demokratisch sein muss, haben sich historisch die Territorialstaaten als Voraussetzung für Demokratie erwiesen. Das Internet jedoch ist seiner technischen Struktur nach nicht auf territoriale Grenzen angewiesen, sondern verhält sich grenzüberschreitend. Der Fluss der Daten orientiert sich an ökonomischen, nicht an überkommenen nationalstaatlichen Grenzen. Zugleich verliert im Digitalen alles, was rechtlich auf Körperlichkeit und Ortsbezogenheit beruht, seinen zwangsläufigen Anknüpfungspunkt. Mit Cloud Computing↗ lässt sich selbst der Ort der Datenverarbeitung nicht mehr ohne weiteres bestimmen. Der Prozess der »Globalisierung↗« – das Zusammenrücken von Menschen, Märkten und Strukturen weltweit – erfährt daher durch seine »jüngere Schwester« Internet weitere Dynamik und beschleunigt die »Entmächtigung des Nationalstaates«. [1] Normen und Recht können durch Parlamente, Regierungen und Gerichte in der globalen Informationsgesellschaft weiterhin (auch allein im nationalstaatlichen Raum) gesetzt werden. Währenddessen schwindet im Internet jedoch die Sicherheit der Rechtserkenntnis und der Rechtsdurchsetzung, selbst

bei eigentlich rein innerstaatlichen Tatbeständen. Das liegt einerseits an »hausgemachten« Problemen, bei denen bereits durch Anpassungen des nationalen Rechts Verbesserungen erreicht werden könnten. Aber es gibt eben andererseits auch nationalrechtlich nicht befriedigend lösbare Kollisionen gegensätzlicher Rechtsnormen, selbst dann, wenn diese nicht zwangsläufig auf unterschiedlichen normativen Wertungen beruhen. Wenn beispielsweise nach deutschem Recht nicht der Nutzer, sondern der Provider für die Verbreitung einer diffamierenden Äußerung im Internet verantwortlich ist und diese löschen muss, in den USA aber genau umgekehrt der User und nicht der Provider Verantwortung trägt, kann der Betroffene selbst dann praktisch rechtlos sein, wenn die Löschpflicht an sich in beiden Ländern unstreitig besteht. [2] Hierdurch können – überall, wo Daten im Spiel sind – selbst völlig ungewollt im Internet Bereiche entstehen, in denen keine Durchsetzung rechtsstaatlichen Rechts mehr sicher gewährleistet werden kann. Das aber stellt die Wirksamkeit von (nationalem) Staat und (demokratischer) Politik insgesamt in Frage. Zudem verlangt der »Code« (also die technische Basis des Netzes, die vorgibt, was überhaupt möglich ist) als neue Dimension der Regulierung von Politik und Staat, sich zusätzlich zum Recht auf »Technikgestaltung« als zusätzliches Regelungsinstrument einzulassen (Stichwort: »code is law« – die Beschaffenheit der Informationstechnik oder der Software gibt die Richtung vor), ohne jedoch unmittelbaren Einfluss darauf zu haben. Die Durchsetzung von Recht und (nationalstaatlicher) Ordnung allein auf traditionellen Wegen, durch Gesetze und Gerichtsurteile, erweist sich dagegen als schwierig. Demokratie und Rechtsstaat aber brauchen Instrumente, politische Entscheidungen auch in die Tat umzusetzen – gegebenenfalls auch gegen widerstrebende Interessen. Beim Internet auf territoriale Grenzen limitiert zu sein, befriedigt insoweit nicht – weder den Staat und seine Institutionen, noch jene Bürger, die ihre demokratisch gefassten Entscheidungen auch durchgesetzt sehen möchten. Braucht es also so etwas wie eine transnationale Kontrolle des Internets oder im Gegenteil neue Grenzen? Das Internet unterliegt trotz seiner Ausbreitung und Relevanz weder einer zentralen technischen noch einer einheitlichen staatlichen Kontrolle. Es erscheint frei und unregulierbar. Aber, wie Lawrence Lessig, Rechtsprofessor an der Harvard Universität, feststellt, 7 / 72


ist das nicht zwingend so: »Es liegt nicht in der Natur des Cyberspace, unregulierbar zu sein, weil der Cyberspace keine Natur hat. Er besteht nur aus Code – die Software und Hardware macht den Cyberspace zu dem, was er ist. Und die kann man natürlich verändern.« [3] Weiter: »Der Cyberspace besitzt die Möglichkeiten, der am umfassendsten regulierte Raum zu

zuständig ist. Keines dieser Foren ist alleiniger Herr über das Netz. So wie das Internet sich ständig verändert, ist auch das System von Gremien ständig dabei, sich an die wandelnden Herausforderungen anzupassen. Eine mit staatlichen Institutionen vergleichbare Verbindlichkeit erreichen sie dabei jedoch nicht. Staaten, wie die Bundesrepublik Deutschland, haben

Das Internet unterliegt trotz seiner Ausbreitung und Relevanz weder einer zentralen technischen noch einer einheitlichen staatlichen Kontrolle. Es erscheint frei und unregulierbar. sein, den wir jemals gekannt haben. Er hat das Potenzial, die Antithese eines Freiheitsraums zu sein, und wir sind dabei, diese Transformation der Freiheit in Kontrolle zu verschlafen.«

sich in der Vergangenheit allerdings auch nur sehr begrenzt an diesen internationalen Gremien und Konferenzen beteiligt. Das ändert sich gerade erst, denn Regierungsvertretern fehlen bislang oft noch Fachkenntnisse sowie klare politische Zielsetzungen.

WER REGULIERT DEN CODE?

Internetregulierung ist heute ein Mosaik verschiedener Foren, Organisationen und etablierter Verfahren, die sich in der Praxis bewährt haben, aber oft nichtstaatlichen Charakter aufweisen. So kümmert sich beispielsweise die Internet Society (ISOC) gemeinsam mit der Internet Engineering Task Force (IETF) und anderen Hütern von technischen Standards um deren Einhaltung durch Aufklärungsarbeit und politische Willensbildung. Die technischen Normen des Internets basieren weitgehend auf sogenannten RFCs, den Requests for Comments, einer Art freiwilliger, kooperativer Regelfindung zwischen Fachleuten. Die Internet Assigned Numbers Authority (IANA) und die ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) kümmern sich um die Organisation des Systems an Internet-Adressen und Domain-Namen. Auf Ebene der UNO setzt das Internet Governance Forum (IGF) das Mandat des World Summit on the Information Society (WSIS) um, den die International Telecommunication Union (ITU) veranstaltet. Die ITU ist dabei das einzige völkerrechtliche Gremium, das sich auf globaler Ebene mit Telekommunikationsfragen beschäftigt. Dazu kommt die World Intellectual Property Organisation (WIPO), ebenfalls im UN-System, die für Fragen des sogenannten geistigen Eigentums 8 / 72

WER BESTIMMT DENN DANN?

Das Internet ist zwar digital, flüchtig und international. Seine technischen Infrastrukturen sind es jedoch nicht, auch nicht die wesentlichen Akteure. Sie sind nicht prominent, aber doch bekannt. Wegen der Bindung des Netzes an Funk- oder Leitungskapazitäten – also Telekommunikation – dominieren vor allem Akteure aus den Industrienationen, wenn sie sich aktiv am Geschehen beteiligen. Dabei zeichnet sich ein neues Regulierungsschema ab: Der Privatsektor übernimmt die Führungsrolle, und gesellschaftliche Gruppierungen werden zwar beteiligt, ohne jedoch einen signifikanten Einfluss geltend machen zu können. Die Regierungen gewährleisten lediglich die »Führung des Privatsektors«, fordern aber keine nachhaltige soziale, rechtsstaatliche oder demokratische Regulierung ein. In einigen Ländern, beispielsweise Iran oder China, versucht dagegen der Staat die Führung zu übernehmen, indem er notfalls Teile des Internets mit technischen Maßnahmen und seinen Machtmitteln zu »re-territorialisieren« versucht. Aber auch in demokratischen Staaten gibt es immer wieder Forderungen, das Internet unter die Kontrolle nationaler Gesetze und Parlamente zu bringen, beispielsweise im Kampf gegen Kinderpornographie oder für mehr Datenschutz.


GLOBALISIERUNG UND DEMOKRATIE

Politik kann vielfach innerhalb des nationalen Rahmens nicht mehr umgesetzt werden. In dem Dilemma, wie die Freiheit und Offenheit des Internets mit dem politischen Gestaltungswillen einer Gesellschaft vereinbart werden kann, richten viele den Blick auf größere politische Einheiten und transnationale Regime. Sie sollen einen Ausweg bieten und – möglichst ohne, dass die Kette der demokratischen Legitimation abreißt – die Funktionsverluste des Nationalstaates kompensieren. Als erstes Beispiel einer Demokratie jenseits des Nationalstaates könnte sich uns tendenziell die Europäische Union anbieten. Allerdings ändert die Schaffung größerer politischer Einheiten noch nichts an der grenzüberschreitenden, globalen Natur des Internets und damit der Begrenztheit der Durchsetzung staatlichen Rechts über die Grenzen eines (vergrößerten) Territoriums hinaus. Die Politik wird gegenüber den globalen Märkten also erst »aufholen« können, wenn es auf weitere Sicht gelingt, für so etwas wie eine »Welt-Innenpolitik« eine tragfähige politische Infrastruktur hervorzubringen, die von demokratischen Legitimationsprozessen gleichwohl nicht entkoppelt ist. Politik könnte darauf zielen, das lockere Netz transnationaler Regime enger zu knüpfen und in der Weise zu nutzen, dass der Kurswechsel zu ei-

Im Dilemma um die Freiheit und Offenheit des Internets richten viele den Blick auf größere politische Einheiten und transnationale Regime. ner Welt-Innenpolitik ohne Weltregierung tatsächlich vollzogen werden könnte. Eine solche Politik müsste unter dem Gesichtspunkt betrieben werden, Harmonisierung statt Gleichschaltung herbeizuführen. Das Fernziel müsste sein, die digitale Spaltung und Schichtung der Weltgesellschaft ohne Beeinträchtigung der kulturellen Eigenart schrittweise zu überwinden. DAS INTERNET ALS NEUER RAUM DES RECHTS

Für das Internet bedarf es – ähnlich wie vor Jahrhunderten für die Weltmeere – dabei neuer, grundlegen-

der Regeln zum freien Fluss von Informationen zwischen den Völkern. Hierfür gibt es wenige historische Vorbilder: Das moderne Seevölkerrecht fußt auf dem von Hugo Grotius 1609 verbreiteten Gedanken eines offenen, freien Meeres (»mare librum«), das jedoch nicht gänzlich unreguliert sein soll. Für das Internet ist noch lange nicht entschieden, ob sich in vergleichbarer Weise der Gedanke der Freiheit gegenüber dem der Re-Territorialisierung durchsetzen wird und ob sich am Ende wieder eine vermittelnde Position zu etablieren vermag. Ein Beispiel wäre die Anknüpfung an das System der GeoTLDs↗. Innerhalb des Namensraums .de wäre deutsches Recht danach notfalls auch mit technischen Mitteln vollständig durchzusetzen und in .berlin wären darüber hinaus noch landesrechtliche Normen zu beachten. Unter .com oder .int würde man dagegen bewusst den Schutz eines einzelnen nationalen Staates verlassen, sich jedoch auch nicht von ihm einengen lassen. Auch dort aber sollte dann wenigstens noch ein grundlegender, universeller Standard von bestimmten völkerrechtlichen Regeln gelten, die von jedem Land durchzusetzen wären – worauf man sich eben auch im Seevölkerrecht verständigt hat. Will man verbindliche Regeln für das Internet aufstellen, sind dabei jedoch die drei Dimensionen von Regulierung mit ihren je vier möglichen Handlungsfeldern zu beachten. Der bisherige, meist nur zweidimensionale, Ansatz vertraut allein auf Recht und Gesetze, welche die Inhalte im Internet auch über alle Grenzen hinweg regulieren wollen. Das allein kann nicht funktionieren und verursacht nur (ungewollte) Schäden. WIE STEHT ES UM DIE ZUKUNFT DES OFFENEN NETZES?

Das Internet verändert unsere globale Kommunikation radikal. Alte und neue Akteure sind täglich mit den Herausforderungen einer globalen Informationsgesellschaft konfrontiert, bei der wir alle gleichzeitig auch Nutznießer sind. Die Technik erleichtert den globalen Austausch an Wissen und Daten, aber auch von physischen Gütern. Landesgrenzen spielen für vieles, was wir tagtäglich privat, geschäftlich oder politisch machen können, nur noch eine untergeordnete Rolle. Gleichzeitig bedeutet das globale Internet nicht den Wegfall der bestehenden Grenzen und Strukturen. Es entsteht ein Spannungsverhältnis, das sich nicht kurzfristig auflösen lässt: Innovationen, Wissens9 / 72


Dimensionen der Regulierung

Grafik nach einer Vorlage von Jan Mönikes.

Regulierung im Internet muss die 4 Handlungsfelder in den 3 Dimensionen erkennen: Inhalt

Gesetze

Verträge

Ethik &

Markt &

Moral

Preise

Strukturen und Konventionen der Datenkommunikation (Code, Software) Technik der Datenkommunikation (Telekommunikation, Hardware)

austausch, Teilhabe und globaler Austausch reiben sich mit der Bedrohung bestehender Geschäftsmodelle, neuer Monopole und grenzüberschreitender Kriminalität. Staaten können einfacher als je zuvor Informationen über ihre Bürger erheben, sie überwachen und zensieren. Auf der anderen Seite können Menschen gleichzeitig so leicht wie nie zuvor politischen Protest und Gegenöffentlichkeit organisieren. Das Internet als ein gigantischer Globalisierungstreiber verhält sich dazu neutral: Dort, wo Dienstleistungen oder Unterhaltungsangebote aus rechtlichen, technischen oder kulturellen Gründen regional beschränkt werden sollen, widerspricht das seiner eigentlichen Struktur. Zensur, Sperren und lokale Gesetzgebungen führen zur Zersplitterung des Internets. Nationale oder sonst territorial beschränkte, »balkanisierte« Netze, hätten mit dem offenen Internet von heute nur noch wenig gemein. Das große Potenzial des Internets bliebe so ungenutzt. Besonders in den aktuellen internationalen Debatten um Überwachung, Datenschutz, politische Zensur oder Freihandelsabkommen, bei der rechtlichen Harmonisierung von Regeln und ihrer Durchsetzung zeigt sich, wie wenig gewappnet Politik und Gesellschaft bislang sind, diese Herausforderungen zu meistern. Ebensowenig kommen sie bislang zu konstruktiven Lösungen, die das Internet nicht in seiner Offenheit und Freiheit insgesamt gefährden. Es bedarf daher einer sachlich informierten intensiven Debatte mit technischem Verständnis und pragmatischen Ansätzen im internationalen Dialog, für die bestehende politische Strukturen allein unzureichend 10 / 72

sind. Die Zukunft einer freien Informationsgesellschaft steht auf dem Spiel. Politik und Zivilgesellschaft müssen sich dazu stärker mit Fragen beschäftigen, die bisher nur in Nischen wahrgenommen wurden. »Netzpolitik« muss auch in der breiten Öffentlichkeit stärker als Gesellschaftspolitik wahrgenommen werden. Denn die Bewältigung globaler Herausforderungen, die mit dem Internet zu tun haben, darf nicht zu Lasten von Demokratie und Rechtstaatlichkeit, freier Meinungsäußerung und anderen Menschenrechten wie der freien privaten wirtschaftlichen und kulturellen Entfaltung gehen. Daher kommt insbesondere der konkreten Gestaltung internationaler, grenzüberschreitender Abkommen eine besondere Bedeutung für die Freiheit des Internets zu. ◊ [1] Vgl. Habermas, Jürgen, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie. http://library.fes.de/pdffiles/akademie/online/50332.pdf [2] Vgl. Mönikes, Jan, Wiki-Immunity: Durchsetzbarkeit von äußerungsrechtlichen Urteilen gegen Wikipedia. http://moenikes.de/ITC/2010/05/06/wiki-immunitydurchsetzbarkeit-von-auserungsrechtlichenurteilen-gegen-wikipedia/ [3] Lessig, Lawrence, (1999): Code and Other Laws of Cyberspace. New York: Basic Books.


Schafft das Internet eine neue Kultur – supranational und grenzenlos?

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Schafft das Internet eine neue Kultur – supranational

Bastian Koch, Sebastian Haselbeck, Mario Sorgalla, Fortune Nwaiwu, Markus Kirchschlager Cyberspace / digitale Kultur

und grenzenlos? Der folgende Themenblock behandelt über mehrere Seiten, wie das Internet Gemeinsamkeiten schafft, und beleuchtet Trends und Gegentrends im vermeintlich freien und globalen digitalen Kommunikationsnetz.

»Governments of the Industrial World, you weary giants of flesh and steel, I come from Cyberspace, the new home of Mind. On behalf of the future, I ask you of the past to leave us alone. You are not welcome among us. You have no sovereignty where we gather.« [1] Das Zitat aus John Perry Barlows Declaration of the Independence of Cyberspace aus dem Jahr 1996 ist ein Beleg für die Aufbruchstimmung und die Hoffnungen, die mit dem neuen Medium Internet – damals tatsächlich »Neuland« – verbunden waren. Man hatte die Auflösung nationalstaatlicher Grenzen proklamiert und entdeckte scheinbar unendliche Möglichkeiten der Vernetzung und Kommunikation zwischen verschiedensten Kulturen auf unserem Globus. Der Begriff »Netzwerkgesellschaft« [2] wurde für diese neue Lebensweise etabliert, geprägt von grenzüberschreitenden Formen (digitaler) globaler Mobilität, die sogar neue Formen von Identität hervorbringen sollte. Doch was hat es tatsächlich mit diesen unbegrenzten Möglichkeiten der Kommunikation via Internet

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auf sich? Findet darüber tatsächlich ein interkultureller Austausch statt? Hat es wirklich neue Identitäten hervorgebracht? Ist mit dem Internet eine eigenständige neue globale (Cyber-)Kultur entstanden? Nachdem in der letzten Dekade keine globale kulturelle Homogenisierung stattgefunden hat und staatliche Grenzen weiterhin von Bestand sind, ist eine differenziertere Betrachtungsweise notwendig. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich dem Themenkomplex »Internet« und dem durch das Internet entstandenen sogenannten »Cyberspace« zu nähern und seine Wechselwirkungen mit menschlichen Lebensweisen und Kulturen zu beschreiben. »Kultur« verwenden wir hier im Sinne eines offenen und weiten Kulturbegriffs, der sich auf die dynamische und veränderbare Lebenswirklichkeit des Individuums bezieht. In den folgenden Beiträgen (Seite 12 bis Seite 23) beleuchten wir das grenzüberwindende und Gemeinsamkeiten schaffende Potenzial des Internets näher. Die Seiten 17 bis 18 beschäftigen sich mit Gegentrends und Grenzen, die in dem vermeintlich freien und globalen digitalen Kommunikationsnetz gegenwärtig immer deutlicher zu Tage treten. Dabei wollen wir unterschiedliche Perspektiven mit einfließen lassen. Daher finden sich Auszüge aus Blogartikeln auf den Seiten 15 bis 16 und 19 bis 20, die im Rahmen einer vom internationalen Bloggernetzwerk FutureChallenges.org initiierten Blogparade↗ entstanden sind, sowie Zitate aus Begegnungen mit jungen Wissenschaftlern. Sie berichten von ihrer Erfahrung mit dem Medium aus Forschung oder Praxis oder mit der Bedeutung, die sie dem Internet im Überwinden von Grenzen beimessen. ◊ [1] Barlow, John Perry (1996) A Declaration of the Independence of Cyberspace: https://projects.eff.org/~barlow/ Declaration-Final.html Stand: 11.09.2013. [2] Castells, M. (2000) The Rise of the Network Society. 2nd ed. Oxford: Blackwell.


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Markus A. Kirchschlager digitaler Raum / digitale Kultur / Identität /interkulturelle Kommunikation

Das Internet als alternativer Kommunikationsund Begegnungsraum ist ein Katalysator für eine positive interkulturelle Verständigung. Trägt das Internet als Kommunikationsmedium zum grenzüberschreitenden Austausch zwischen Kulturen bei? Territoriale Grenzen lassen sich heute zumindest kommunikativ durch das Internet wesentlich leichter und schneller überwinden, als das früher der Fall war. Allein aufgrund seiner Struktur und der technischen Möglichkeiten hat es zu einem exponentiellen Anstieg globaler grenzüberschreitender Aktivitäten beigetragen, und damit auch zu mehr interkulturellen Kontakten und interkulturellem Austausch. Aber handelt es sich bei diesen interkulturellen Kontakten auch um positive Erfahrungen, die Stereotype und Vorurteile abbauen und im Umgang mit Selbst- und Fremdbildern schulen? Dafür spricht, dass bei der digitalen Kommunikation über das Internet der soziale Hintergrund der Akteure in den ChatForen, Blogs oder E-Mails in den Hintergrund gerät. Ethnie, Geschlecht, sprachliche Unterschiede (wie beispielsweise ein Akzent) oder sozialer Status der Kommunikationsteilnehmer sind nicht zweifelsfrei festzustellen. Individuen, die in der physischen Welt weniger Entfaltungsmöglichkeiten haben, können im digitalen Datenraum eine bedeutende Rolle spielen. Sinnbild dafür ist der (Computer-)Nerd, der sich paradoxerweise zwischenzeitlich in der physischen Welt zu einer Stilikone der Populärkultur entwickelt hat. Die Anonymität im Internet fördert eine interkulturelle Kommunikation, die auf gleicher hierarchischer Ebene stattfindet – eine damit wichtige Voraussetzung für eine positive Verständigung und echte Anteilnahme. Schon 1995 kommt Sherry Turkle [1], eine Spezialistin für die Beziehung zwischen Mensch und Maschine vom Massachusetts Institute of Technology, zu dem Schluss, dass im Internet keine Hierarchie von akzeptierten und ungewünschten Identitäten existiert. Stattdessen existieren verschiedene Versionen von Identität parallel. Dadurch lasse sich der Cyberspace als ein alternativer Raum betrachten, in dem die postmoderne Auffassung eines dezentralen, frag-

mentierten, fluiden Subjekts in Reinform zu finden sei. Neben der Anonymität tragen also auch hybride Identitäten zum Abbau von Dominanzverhältnissen in der Interaktion bei und fördern das Gelingen von grenzüberschreitender transkultureller Kommunikation im Internet. Doch spielt dieser virtuelle Erfahrungshorizont eine Rolle im physischen Leben? Beeinflusst er unsere Denkweise und unsere Wahrnehmung außerhalb des Internets? Sherry Turkle bejaht das. Sie geht davon aus, dass das Handeln in simulierten Welten die Frage nach dem Realen erzwingt. Der grenzüberschreitende Charakter des Internets spiegelt sich auch in der globalen digitalen Kultur wieder. Kulturelle Codes und digitaler Lifestyle haben sich transkulturell, also unabhängig von den Lebensumständen der Nutzer, in der digitalen Sphäre etabliert. Im Internet ist eine Gemeinschaft entstanden, für die im virtuellen Raum verschiedene kulturelle Praktiken bestimmend sind, die mehr oder weniger von allen Nutzern geteilt werden. Alle Internetnutzer haben unterschiedliche kulturelle Hintergründe, sind aber Teil der gleichen virtuellen Community. In sprachlicher Hinsicht hat sich eine internetspezifische globale Variation von Englisch als Lingua franca des Internets etabliert. [2] Diese Englischvariation besteht aus einem vereinfachten Englisch kombiniert mit »Netspeak«, also informellen expressiven Zeichen wie Smileys oder Akronymen, etwa »lol« für »laugh out loudly«, die Konversationsdynamik simulieren. Als technologische Brücke sprachlicher Barrieren können Online-Überset-

»Kulturelle Codes und digitaler Lifestyle haben sich transkulturell, also unabhängig von den Lebensumständen der Nutzer, in der digitalen Sphäre etabliert.« 13 / 72


zungswerkzeuge wie Google Translator oder Babelfish (heute Bing Translator) angesehen werden. Der Gebrauch einer gemeinsamen Sprache oder die Nutzung technischer Hilfsmittel zur Überwindung sprachlicher Unterschiede fördert natürlich die Verständigung über staatliche und kulturelle Grenzen hinweg. Diese Standardisierung lässt sich jedoch relativieren, indem die Verhaltensweisen im Umgang mit dem Internet, also die Aneignung dieses Mediums, weiter differenziert werden. Die Benutzung des Internets beinhaltet keine einheitlich vorgegebene Technik, die zweckgebunden verwendet werden muss, sondern konstituiert sich erst durch kulturspezifische Aneignungsformen. Ergebnis ist kein homogenes Medium, sondern ein kulturspezifisches Internet als komplexer Raum kulturellen Handelns. Vergleichbarkeit und grenzüberschreitende Gemeinsamkeit kommen unter diesem Blickwinkel auf der Ebene der individuellen Verhaltens- und Nutzungsweisen zustande, die immer von den konkreten Lebensumständen der Individuen abhängig sind. So lässt sich konstatieren, dass ein chinesischer und ein deutscher Manager ein ähnlicheres Nutzungsverhalten im digitalen Raum zeigen, als ein Berliner Manager und ein Berliner Currywurstverkäufer. Das Internet evoziert also kulturelle Gemeinsamkeiten über alte Grenzen hinweg. Das beste Beispiel für Veränderungen von Wahrnehmung und Identität, auch durch technologiegestützte transkulturelle Kommunikation, ist das »Projekt« Europa. Die Europäische Kommission hat daher eine Studie in Auftrag gegeben (EUCROSS), die unter anderem untersucht, ob innerhalb Europas eine europäische Identität entstanden ist. Ein Faktor, der dafür als förderlich für das Entstehen einer europäischen Identität erachtet wird, ist das Internet. Rund 27 Prozent aller Europäer haben nahe Verwandte im Ausland, knapp 40 Prozent haben gute Freunde im Ausland, und das Internet ist für die meisten Menschen das wichtigste Medium, um diese Kontakte zu pflegen. Für 59 Prozent aller Europäer ist Internetnutzung Alltagspraxis, für weitere 11 Prozent immerhin wöchentliche Gewohnheit. Dazu kommen 35 Prozent aller Europäer, die das Internet zum grenzüberschreitenden Einkaufen nutzen. [3] Auch wenn diese Zahlen nicht automatisch auf eine europäische Identität schließen lassen, können diese grenzüberschreitenden Aktionen im Internet als begünstigend für ihre Entstehung erachtet werden. In der EUCROSS-Studie geht die Häufigkeit der Internetnutzung einher mit Indikatoren, die für ein erhöhtes Interesse an anderen europäischen Kulturen 14 / 72

sprechen und die in Fragen internationaler Politik auf ein zunehmendes europäisches Bewusstsein schließen lassen. Das Internet hat also wahrscheinlich einen Beitrag zur Entstehung einer grenzüberschreitenden europäischen Identität geleistet. Doch wie tiefgreifend sind diese Veränderungen tatsächlich? Bieten solche globalen oder regionalen Formen von Gemeinsamkeit genug Identifikationspotenzial, um vorherrschende kulturelle oder territoriale Grenzen zu sprengen? ◊ [1] Turkle, Sherry (1995) Life on the Screen: Identity in the Age of the Internet. New York: Simon and Schuster. [2] Marcoccia, Michel (2012) The internet, intercultural communication and cultural variation, Language and Intercultural Communication, 12:4. [3] Salamonska, Justyna/ Baglioni Grifone, Lorenzo/ Recchi, Ettore (2013) Navigating the European Space: Physical and Virtual Forms of Cross-Border Mobility among EU Citizens, EUCROSS Working Paper #5, 15. Juli 2013.


#Blogparade: Schafft das Internet einen größeren Raum für kulturelle Gemeinsamkeiten? Im Rahmen einer Blogparade hat FutureChallenges. org die Frage gestellt, ob das Internet das Potenzial hat, eine neue supranationale und grenzenlose Kultur zu schaffen. Hat die globalisierte Telekommunikation und die Kommunikation über Grenzen hinweg Auswirkungen auf interkulturelle Praktiken? Schafft das Internet einen größeren Raum für kulturelle Gemeinsamkeiten? Oder hat es sogar genau den gegenteiligen Effekt und verstärkt das Bewusstsein für kulturelle Unterschiede? An dieser Stelle folgen Auszüge einiger Beiträge, die als Reaktion auf die Blogparade von FutureChallenges.org veröffentlicht wurden. ◊

DAS INTERNET ALS GLOBALER VERMITTLER? DIE ZEIT WIRD ES ZEIGEN ... Andrea Licata, Auszug aus http://about-sustainability. com/articles

Das Internet ist nur ein Medium unter vielen. Vor allem in Regionen, die noch keinen oder nur sehr begrenzten Zugang zum Internet haben, oder in denen der Internetzugang limitiert oder komplett verboten ist, sind Fernsehen, Zeitungen und das Radio weiterhin sehr wichtig und einflussreich. Darum halte ich es für fragwürdig, vom Internet als einem realen globalen Phänomen zu sprechen. Ob das Internet den interkulturellen Dialog wirklich beschleunigt, darauf gibt es – und das ist klar »kontextsensitiv« – sicher mehr als nur eine Antwort. Wäre es tatsächlich ein derart starker Katalysator wie oft behauptet, hätten etliche Probleme, denen wir uns heute – 20 Jahre nach dem Anbruch des Internetzeitalters – gegenübersehen, schon längst gelöst sein müssen. ◊

INTERNET: INTEGRITÄT UND DIE GRENZEN DER SPANISCHEN SPRACHE Juan Arellano Valdivia, Auszug aus http://arellanojuan. com/internet-integrity-and-borders-of-spanish/

Zuerst einige Fakten: Spanisch, beziehungsweise Castellano oder Kastilisch, ist heute mit 495 Millionen Sprechern die am zweithäufigsten gesprochene Sprache der Welt. Spanisch steht zudem im Internet auf dem dritten Rang und ist die am zweithäufigsten genutzte Sprache auf Twitter. […] Manche sind der Meinung, dass die Integrität der spanischen Sprache heute vor allem durch die massive Verbreitung von Anglizismen bedroht ist, ähnlich wie früher Gallizismen als Bedrohung wahrgenommen wurden. Anglizismen verbreiten sich heutzutage vor allem über das Fernsehen und das Internet. […] Das Radio, die Plattenindustrie, Kinofilme und das Fernsehen, alle trugen sie dazu bei, die Unterschiede zwischen den einzelnen Varianten der Sprache einzuebnen. Diejenigen Länder, die in diesen Bereichen einen hohen Produktionsausstoß hatten, gaben dabei zum Nachteil der anderen Nationen den Ton an; prominente Beispiele für ersteres sind vor allem Mexiko und Argentinien. Das hatte überraschende Konsequenzen: Fast alle Kinder der spanischsprachigen Länder Lateinamerikas benutzten auf einmal mexikanische Wörter und Redewendungen, weil fast alle mit Begeisterung die mexikanische Sitcom »El Chavo del ocho« (Der Junge aus dem achten) gesehen hatten. Manche Kritiker hielten das für ein Indiz von Kulturimperialismus. Prozesse der Modernisierung und Globalisierung nivellieren die regionalen Unterschiede der spanischen Sprache noch weiter, und das Internet spielt hierbei natürlich eine entscheidende Rolle. […] 15 / 72


Manche gehen so weit zu behaupten, das Internet selbst wäre eine Bedrohung für die Integrität der spanischen Sprache, aber das trifft es vielleicht nicht ganz. Sprachen sind stets in Entwicklung begriffen, und das Internet verstärkt diesen Prozess lediglich. […] Ich verstehe das Internet als mächtiges Instrument der Angleichung und Standardisierung von Sprache. Trotz der großen Kluft, die bezüglich der digitalen Teilhabe in unserem Teil der Welt immer noch besteht, wächst die Anzahl der Menschen, die das Internet nutzen, beständig, sei es über öffentliche Hotspots, von zuhause aus oder mit dem Smartphone. Über die Jahre wird dieser Prozess dahin führen, dass manche sprachlichen Differenzen verschwinden oder zumindest minimiert werden und dass andere Differenzen sich weiter verbreiten und schließlich selbst zur Norm werden. Das Risiko, dass das Spanische (ähnlich wie das Lateinische nach dem Zerfall des Römischen Weltreiches) in verschiedene Sprachen »zerfällt«, ist verschwindend gering. Das Internet bewahrt die Homogenität der spanischen Sprache und verwischt gleichzeitig die realen geografischen und kulturellen Grenzen zwischen allen Ländern, in denen Spanisch gesprochen wird. ◊

DIE KULTURELLE AUSWIRKUNG VON BLOGS: BEWUSSTSEIN, VERBUNDENHEIT, REFLEKTION Mathis Lohaus, Auszug aus http://irblog.eu/internet-andculture

Vor einigen Jahren sah ich mir einen TED-Talk von Clay Shirky an und las ein Buch von ihm, in dem er eine beeindruckende Vielzahl von Beispielen für den sozialen »Mehrwert« beschrieb, den das Internet erzeugt. Da ich von Anfang an keine Berührungsängste mit den neuen Technologien hatte und ein eifriger Nutzer und Konsument der sozialen Medien bin, konnte ich viele der von ihm beschriebenen positiven Erfahrungen selbst machen. Ein einheitlicher Effekt auf die »Kultur« ist für mich jedoch schwer auszumachen. Einerseits gibt es größenabhängige Effekte: Diejenigen, die die meiste Aufmerksamkeit auf sich ziehen, werden ausgiebig belohnt (siehe die OnlineDebatte auf dem Frage-Portal Quora: »Es gibt nur ein Google, okay, vielleicht sind es drei« [1]). Andererseits haben auch Nischenprodukte und soziale Gruppen im Internet eine Chance (siehe Chris Andersons The Long Tail [2]). Das Internet sorgt also dafür, dass man seinen obskursten Hobbys und Interessen nachgehen 16 / 72

kann, während es einen gleichzeitig über Justin Bieber auf dem Laufenden hält. […] Aber was hat das alles mit der Frage zu tun, ob das Internet die kulturellen Unterschiede zwischen uns immer mehr einebnet, oder ob es uns die Unterschiede erst bewusster macht? Wenn es um den Austausch von Informationen, Ideen und Normen geht, würde ich sagen, dass »seriöses und exaktes« Bloggen bereits auf einem hohen Level des Austausches abläuft. Für Akademiker ist es von großer Bedeutung, ihre Ideen zu publizieren, und Blogs sind dabei nur ein »Vertriebskanal« von vielen. Dennoch kann es durchaus sein, dass ich in einem Blog-Posting auf Informationen stoße, die es nicht in eines der gängigen akademischen Journale geschafft haben. Journalisten können durch Blogs auch ein Publikum jenseits der Abonnenten ihrer Printpublikation erreichen. Und ein Experiment wie das Wahl-Barometer FiveThirtyEight [3] konnte auch Menschen erreichen, die normalerweise nicht zu den Lesern der New York Times zählen. […] Akademisches Bloggen ist wohl ein besonders »offensichtliches« Beispiel für die positiven Effekte des Internets. Schließlich geht es hier um eine Gruppe von Menschen mit ähnlichen Ideen und Praktiken, die es gewöhnt ist, sich international auszutauschen, und aus diesem Austausch zudem hohen Nutzen ziehen kann. Allerdings bin ich auch vorsichtig optimistisch hinsichtlich der nicht-akademischen politischen Blogs, die ein breiteres Publikum ansprechen. Wann immer man sich mit Stimmen von außen, jenseits der eigenen gepflegten »Informationsblase« auseinandersetzen muss, ist das eine große Chance, neue Perspektiven kennenzulernen und zu verstehen. In dieser Hinsicht hat das Internet ein gewaltiges Potenzial. ◊ [1] http://jamesaltucher.quora.com/The-UltimateCheat-Sheet-For-Starting-And-Running-A-Business [2] http://wired.com/wired/archive/12.10/tail.html [3] http://fivethirtyeight.blogs.nytimes.com


In deinem Land nicht verfügbar Sebastian Haselbeck

Eine Auseinandersetzung zu den Grenzen im Internet und den Tendenzen weg von der Globalisierung. Der zunehmenden Globalisierung durch das und im Internet stehen schon seit Jahren vermehrt Tendenzen entgegen, die (leider) rückschrittliche Entwicklungen darstellen. Außerdem ist die Welt bei weitem nicht so zusammengewachsen und verbunden, wie es das globale Dorf verhieß. Zwei Arten von Grenzen in der globalen Informationsgesellschaft lassen sich feststellen: Die einen sind kulturell gewachsen oder selbst entstanden, die anderen sind von Hand gemacht oder absichtlich konstruiert. KULTURELLE UND NATÜRLICH ENTSTANDENE GRENZEN

Zu den eher natürlichen Grenzen gehören in der Regel kulturelle oder geographische Unterschiede. So wirken sich die eigenen Sprachkenntnisse und die sprachliche Nutzerumgebung einer Einzelperson direkt auf die maximale Menge an Informationsquellen aus, auf die sie Zugang hat. 25 Prozent aller Internetuser weltweit sind Chinesen, aber nur wenig über 5 Prozent der Webseiten-Inhalte sind in chinesischer Sprache. Zwar ist ein Großteil der am Markt dominierenden Internetangebote in Englisch, doch machen die Sprachen Englisch und Deutsch zusammen nicht einmal in etwa 40 Prozent des für uns einfach zugänglichen World Wide Webs aus. Hinzu kommen Unerreichbarkeiten auf Grund von Zeitzonen und Verbindungsgeschwindigkeiten. Grenzen entstehen auch durch unterschiedliche Kommunikationskulturen und durch Marktkonstellationen, die sich von Land zu Land unterscheiden. Vor allem jüngere Nutzer nehmen das Internet als eine kleine Auswahl von kommerziellen Online-Diensten wahr – jedoch sind in unterschiedlichen Ländern andere dieser Dienste dominant oder sogar Marktführer. Aus diesen Perspektiven handelt es sich also bei weitem nicht um einen gemeinsamen, grenzüberschreitenden Kulturraum im Netz. Hinzu kommen Angebote, die sich in sprachlicher, religiöser oder visueller Hinsicht an lokalen Nutzern und ihren Vorlieben orientieren und diese Inhalte letztendlich für Nutzer

anderer Kulturräume uninteressant werden lassen. Die Tatsache, dass sich viele Internetnutzer vornehmlich in ihren eigenen »Filterblasen« bewegen, verstärkt diesen Prozess noch weiter. Das Internet kann sowohl Menschen zusammenbringen, wie es auch eine Spaltung der globalen Gesellschaft herbeiführen kann. Fortschreitende Übersetzungstechnologien und steigende Bildungsniveaus können letzterem entgegenwirken, das Symptom aber wohl nicht vollends neutralisieren. KONSTRUIERTE GRENZEN

Widernatürliche Grenzen im Netz sind solche, die der Funktionslogik und dem Potenzial des Netzes völlig zuwiderlaufen, aber auf Grund rechtlicher oder politischer Umstände errichtet wurden. Dazu gehört beispielsweise die Anpassung von Suchergebnissen an lokales Recht, wie das Entfernen von nazistischen Inhalten bei Google in Deutschland oder die Sperrung von Glückspielseiten in Ländern oder Regionen, in denen sie illegal sind. Die Extremform solcher Zuschnitte sind politische Zensur oder Inhaltsfilterung, wie sie beispielsweise in China zum Alltag gehören. Genauso unterbinden vielfach Gesetze die freie Meinungsäußerung und werden in vielen autoritären Staaten zur Einschüchterung oder Zensur von Inhalten verwendet. In Vietnam wurden wenige Wochen vor Erscheinen dieser Publikation politische Weblogs quasi völlig verboten. [1] Der Iran arbeitet gar an einer eigenen nationalen Kommunikationsinfrastruktur. Aber auch passive Zensur führt zu eingeschränkter globaler Netzfreiheit. So ist die immer weiter ausufernde Totalüberwachung und Ausweitung von sogenannten Anti-Terror-Gesetzen auch in westlichen Demokratien Ursache für zunehmende Selbstzensur oder freiwilligen Verzicht auf wirtschaftliche oder politische Aktivität im Netz. Den meisten Internetnutzern sind jedoch das Urheber- und Lizenzrecht betreffende Grenzen im Internet bei weitem bekannter – und umso frustrierender. Im Bereich der Unterhaltungsindustrie, also bei TVSendern, Hollywood-Studios, Produktionsfirmen und Musikverlagen, dominieren nach wie vor alteingesessene Lizenzmodelle und Verwertungsketten. Diese sorgen dafür, dass Inhalte Land für Land vertrieben werden und Nutzer aus Land A nicht die online verfügbaren Inhalte aus Land B konsumieren können, auch wenn sie das gerne legal und für Geld tun würden. Diese Grenzen werden künstlich aufrechterhalten und führen bei den Urhebern 17 / 72


durch entstehende Piraterie oder entgangenen Umsatz zu Milliardenverlusten (die Industrie sagt wegen der Piraterie, die Kritiker sagen, die Piraterie entsteht eben wegen dieser Beschränkungen). Noch scheut die Industrie aber die mittelfristigen Kosten eines Sinneswandels. Umso absurder sind diese Sperren beispielsweise innerhalb der EU, einem der am stärksten integrierten Binnenmärkte der Welt. [2] Es gestaltet sich über europäische Grenzen hinweg sogar einfacher, physische Gegenstände vom anderen Ende der Welt postalisch zu bestellen, als ein elektronisches Unterhaltungsangebot aus dem Nachbarland zu nutzen. Eng damit verbunden sind Einschränkungen des Konsums von Produkten über das Internet, bei denen Jugendschutzverfahren und Gesetze eine Rolle spielen. So ist es in Deutschland auch Erwachsenen nicht möglich, auf manchen Online-Plattformen unzensierte Videospiele zu erstehen, da diese pauschal in Deutschland oft nur in modifizierter Version vermarktet werden dürfen. Sowohl bei lizenzrechtlichen als auch bei jugendschutztechnischen Grenzen dieser Art ist die Umgehung meist schwierig oder schlichtweg nicht möglich. Oftmals ist auch eine elektronische Überwindung von Zugangssperren keine Lösung (und untersagt), da am Ende »ausländische« Zahlungsmittel nicht akzeptiert werden – soweit man innerhalb der EU, und bei Kreditkarten, und mit Bankkonten in Euro, überhaupt von ausländisch sprechen kann. Ähnliches gilt bei elektronischen Dienstleistungen, beispielsweise in der Interaktion zwischen Bürger und Staat. So sind die digitalen Funktionen der meisten nationalen Ausweise, Gesundheitskarten oder Führerscheine international wertlos. Viele E-Government-Anwendungen sind nationale Alleingänge, was Informationsaustausch, Wirtschaftlichkeit und Mobilität einschränkt. Standardisierungsbestrebungen beispielsweise auf EUEbene kommen nur sehr langsam voran. Technische Inkompatibilitäten sind zwar meist nicht politischer Vorsatz, aber dennoch ein zu vermeidendes Versäumnis. Letztlich führt all dies zu Inselbildungen im Internet, da der Nutzer nur noch Ausschnitte des globalen Netzes oder verzerrte Formen dessen wahrnimmt, was einmal eine freie, grenzunabhängige Kommunikationsinfrastruktur war oder sein könnte. Viele dieser Einschränkungen sind den Bürgern oft gar nicht bewusst. So vermuten viele Nutzer in den westlichen Demokratien freien Internetzugang zu besitzen, obwohl dieser ebenso gefiltert, gedrosselt, überwacht oder aus diversen Gründen anderweitig eingeschränkt 18 / 72

»Letztlich führt all dies zu Inselbildungen im Internet, da der Nutzer nur noch Ausschnitte des globalen Netzes ... wahrnimmt ...« wird. Die Grenzen sind in ihren Einzelteilen oft subtil, obwohl sie in ihrer analogen Form in der »physischen Welt« längst nicht mehr existieren. Selbst eine oberflächliche Analyse zeigt diverse Gegentrends auf, die Grund zu Pessimismus bereiten. Während an manchen Stellen das Internet zum kulturellen Zusammenhalt und einfachen globalen Austausch beiträgt, gibt es zunehmend Entwicklungen, die sowohl dem technischen Grundverständnis des Netzes zuwiderlaufen als auch dessen Potenzial entgegenwirken. Es ist kein Trost, dass diese Intransparenz durch ihren schleichenden Charakter keinerlei Widerstand auslösen kann. Wer nicht weiß, dass er sich nur in »einem« von bis zu 192 »App Stores« bewegt, wird sich auch über fehlende Angebote nicht beschweren. ◊ [1] https://netzpolitik.org/2013/vietnam-neuesgesetz-zur-einschraenkung-der-meinungsfreiheitim-internet-ist-in-kraft-getreten [2] http://taylorwessing.com/download/article_ free.html


#Interview: Perspektiven – Schafft das Internet eine neue Kultur? Fortune Nwaiwu

Fortune Nwaiwu aus Nigeria, Master-Student in Sicherheits- und Risikomanagement an der Universität von Leicester, befragte Menschen aus unterschiedlichen Teilen der Welt zu den Auswirkungen des Internets und der Globalisierung auf die Kultur. »Schafft das Internet eine neue Kultur?« NEIN/ »Ich glaube, dass jede neue Technologie einen

Einfluss auf die ›Kultur‹ hat und dass Innovationen, die die Kommunikation betreffen (von der Buschtrommel über das geschriebene Wort bis hin zum Telegrafen und weiter) wahrscheinlich eher zu den ›Störfaktoren‹ zu rechnen sind. Das Internet (das ja eigentlich aus einer ganzen Serie von Innovationen besteht) ist nur die jüngste Wiederholung dieses Musters. Es gibt mit Sicherheit nicht die eine supranationale oder grenzenlose Kultur. Es gab immer schon Austausch über Landesgrenzen hinweg, und das Internet selbst hat genügend eigene Grenzen. Also lautet meine Antwort auf diese Frage: Nein.« Sebastian Huempfer arbeitet an dem Projekt The Free Speech Debate, einem Online-Debattenportal zum Thema Meinungsfreiheit. Mehr zum Projekt unter http://freespeechdebate.com.

JA/ »Mein Vater arbeitete für die Ölindustrie, also zogen wir während meiner Kindheit sehr oft um, im Schnitt etwa alle zwei Jahre. Obwohl das damals ziemlich hart für mich war, habe ich diesen Lebensstil als Erwachsener letztendlich zu schätzen gelernt. Ich kann kaum länger als drei Jahre an einem Ort bleiben, dann werde ich unruhig. Diesen nomadischen Lebensstil kann ich letztendlich nur pflegen, weil das Internet ihn mir ermöglicht. Momentan arbeite ich mit vier Mitgründern an einem Start-up-Unternehmen. Meine Kollegen stammen aus

Bolivien, China oder Deutschland, sie leben aber in Chicago, New York und Großbritannien. Unser Entwicklerteam lebt und arbeitet in Hongkong, und unsere Berater und Repräsentanten sind über den ganzen Globus verstreut. Zum ersten Mal überhaupt sind wir also anscheinend an einem Punkt angelangt, an dem Landesgrenzen nur noch symbolische Bedeutung haben. Heute ist das Hauptproblem für unser Team, gemeinsame zeitzonenübergreifende Meetings zu organisieren.« Diego Bejarano, spontanes Treffen auf dem World Business Dialogue an der Universität zu Köln, 2012.

JA/ »Ich kann mich erinnern, dass ich zu den ersten gehörte, die unter ihrem Klarnamen im Internet auftraten. Das hat mir Angst gemacht, nicht zuletzt, weil die Menschen, die mich damals umgaben, und vor allem die Medien immer wieder betonten, wie gefährlich das Internet sei. Ich habe trotzdem weitergemacht, vor allem, weil ich meine Identität als normale Bürgerin schützen wollte. Ich begriff, dass es Zeit braucht, die Konsistenz und Glaubwürdigkeit herzustellen, die es braucht, um über nationale Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Menschen haben sich schon seit jeher über ihre Landesgrenzen mit anderen Menschen ausgetauscht, sei es die Grenze eines mittelalterlichen Dorfes oder die der Supernationen von heute. Das Internet und all die neuen Kommunikationsmöglichkeiten haben diesen Prozess nur vereinfacht und beschleunigt. […] Wir bewegen uns also in Richtung eines supranationalen und grenzenlosen Raumes, aber nur in einigen Schichten/Gesellschaftsbereichen/Wirtschaftsbereichen, da dieses Phänomen mit etablierten Gemeinsamkeiten in Wechselwirkung steht und mit ihnen kollidiert. Und bevor es endgültig so weit ist, werden wir vielleicht eine Phase der verstärkten Restriktionen erleben, mit denen man versucht, den Geist wieder zurück in die Flasche zu zwingen. So wie wir mit dem Mobiltelefon andere erreichen, aber auch ›wegdrücken‹ können.« Hèlen Grives ist ein Mitglied der SOCAP Network Group, einer Event-Reihe, die Menschen aus aller Welt zum Thema »Marktwirtschaft mit sozialerem Antlitz« zusammenbringt. Mehr zum Projekt unter http://socialcapitalmarkets.net.

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NEIN/ »Meiner Meinung nach ist das Internet nicht

http://en.wikipedia.org/wiki/File:World_Passport_Cover.jpg; veröffentlicht unter Public Domain

dazu in der Lage, eine Kultur zu kreieren, jedenfalls nicht in der Weise, in der Kultur gemeinhin klassifiziert oder etabliert wird. Fasst man Kultur als soziales Konstrukt auf, kann das Internet als gesellschaftlichsoziales Konstrukt dann eine supranationale Kultur oder, sollten wir besser sagen, eine supranationale Verhaltensweise hervorbringen? Ich habe bei diesem Thema keine klaren Vorstellungen. Die Frage ist wohl, ob das Internet dazu in der Lage ist, die Basis für eine neue Kultur zu schaffen oder ob man bereits jetzt von einer Kultur des Internets oder einer Kultur der sozialen Medien sprechen kann. Vielleicht trifft letzteres wirklich bereits heute zu: Millionen Menschen weltweit haben die sozialen Medien bereits in ihr Leben integriert, das Teilen persönlicher Erlebnisse und auch von Wertanschauungen steht dabei im Mittelpunkt. Ist das allerdings bereits eine Art neuer Kultur? Und was ist mit diesem ›Raum‹, in dem sie sich abspielt? Kultur oder kulturelle Aktivitäten spielen sich traditionell stets zwischen Menschen in einem räumlich-geografischen Kontext ab. Gäbe es einen Ort für eine mögliche neue Kultur des Internets, so wäre dies wohl ein ›Nichtort‹, der keine Grenzen und somit auch keine eigene Identität kennt. Aber kann es Kultur geben ohne räumliche Identität und räumliche Zuweisung? Vielleicht ist das möglich, aber dieses Konstrukt wäre wohl zu abstrakt und körperlos, um noch im herkömmlichen Sinne als Kultur zu gelten.« Eduardo Oliveira schreibt momentan an seiner Doktorarbeit in Spatial Sciences an der Universität Groningen, Niederlande. In seiner Forschungsarbeit und seinen Publikationen beschäftigt er sich mit dem Thema Place Branding im Rahmen strategischer Raumplanung.

World Passport

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Mein Nachbar in Pakistan Mario Sorgalla

Das Internet schafft das Bewusstsein dafür, dass wir mit Menschen aus weit entfernten Ländern oft mehr gemeinsam haben als mit unseren Nachbarn nebenan. Erinnert ihr euch noch an studivz, meinvz und schülervz? Vor einigen Internet-Lichtjahren versammelte dieses auf den deutschsprachigen Raum fokussierte soziale Netzwerk viele Millionen Nutzer – mich eingeschlossen. Mir fehlte jedoch immer der internationale Rahmen, und so war der Weg zu Facebook für mich ein logischer Schritt. Hier konnte ich mich auch mit meinen Freunden und Bekannten aus anderen Staaten vernetzen. Nun möchte ich an dieser Stelle nicht der Versuchung erliegen, Facebook mit dem Internet gleichzusetzen. Ich möchte vielmehr verdeutlichen, welches Potenzial zur interkulturellen Kommunikation vom Internet ausgeht. Dabei ist dieses Potenzial nicht einmal annähernd ausgeschöpft, wenn das Internet lediglich als interstaatlicher Chat-Dienst fungieren würde. Dieses Magazin beispielsweise entstand unter tatkräftiger Mitwirkung einiger Autoren aus dem Ausland. Wir haben uns über Video-Chats ausgetauscht und Aufgaben besprochen, gemeinschaftlich an Texten über Google Docs gearbeitet und unsere Workshops in Berlin per Livestream übertragen. So haben die Autoren, die nicht vor Ort sein konnten, alles mitverfolgt. Auf diese Weise war es möglich, interkulturell und über Grenzen hinweg an Texten zu arbeiten, die sich mit der Frage beschäftigen, ob das Internet einer neuen Kultur den Weg bereitet, und zwar einer Kultur, die wir als supranational und grenzenlos bezeichnen können. Die Zusammensetzung und Arbeitsweise unserer Gruppe macht uns somit quasi befangen. Wie sollen wir da noch neutral bleiben? Ich kommuniziere sowohl beruflich als auch privat sehr häufig im internationalen Rahmen. Ein immer wiederkehrendes Muster ist dabei für mich der größte gemeinsame Nenner hinsichtlich Interessen, politischer Einstellungen oder charakterlicher Eigenschaften, den viele Menschen aus unterschiedli-

chen Staaten miteinander teilen. Dieser gemeinsame Nenner ergibt sich trotz kultureller Unterschiede, die sich nicht zuletzt aus verschiedenen Traditionen oder unterschiedlichen Sprachen ergeben. Die letztgenannten Kriterien verblassen jedoch, wenn man gemeinsame Werte, Interessen oder Eigenschaften teilt. Warum sollte ich mich einer Person näher fühlen, mit der ich die Sprache und das Geburtsland teile, während wir uns ansonsten wie zwei magnetische Pluspole zueinander verhalten? Ich glaube daher, dass das Internet im mindesten einen Raum und das Bewusstsein für eine supranationale Kultur schafft. Die grenzüberschreitende Kommunikation kann uns verdeutlichen, dass es in Brasilien, Pakistan oder Australien Menschen gibt, denen wir uns näher fühlen als unseren Nachbarn nebenan. ◊

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»The Only Good Nation is Imagination.«

Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit Bastian Koch, Sebastian Haselbeck, Mario Sorgalla, Fortune Nwaiwu, Markus Kirchschlager

Credit Street Art https://www.facebook.com/red.monsta

Die Idee des Internets als internationale Gemeinschaft entstand vor der Entwicklung entsprechender Technologien und ist noch lange nicht vollendet. Als der Kolumnist Thomas L. Friedman 2005 im gleichnamigen Buch euphorisch »The World is Flat« verkündete, waren viele der Effekte neuerer WebInnovationen noch in weiter Ferne. Seine Begeisterung für das Zusammenwachsen der internationalen Gemeinschaft begründete sich unter anderem noch auf der Gründung des Netscape-Browsers. Heute diskutieren wir über die Potenziale von neuen Technologien in der Entwicklungspolitik, haben enorm mächtige Smartphones in der Hosentasche und wissen gar nicht mehr, wer oder was Netscape war. Die unglaubliche Beschleunigung der technischen Entwicklung suggeriert ein immer näher zusammenwachsendes globales Mosaik von Menschen, Märkten, Sprachen und Strukturen. Gleichzeitig jedoch hat in vielen Bereichen längst ein Rückwärtstrend eingesetzt, und zum Beispiel zeigen die Enthüllungen um die globale Totalüberwachung des Netzes durch Geheimdienste, wie fragil diese offene und vernetzte Welt doch ist, und wie die Politik durch Desinteresse an Technologie die völlige Unterminierung von Recht und Demokratie nicht nur zugelassen, sondern noch gefördert hat. Die Verhandlungen um Freihandelsabkommen (ab Seite 24) zeigen außerdem, mit welchen inkompatiblen Weltbildern über Themen verhandelt wird, die das Internet, Netzkultur, Verbraucher und internationalen Zusammenhalt nachhaltig gefährden können. Während also die einen vom Globalisierungswunder Internet schwärmen, raufen sich die anderen vor Ärger die Haare aus, weil wieder einmal irgend ein Inhalt »in deinem Land nicht verfügbar« ist. ◊

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Was ist TTIP? Ökonomische Effekte eines transatlantischen Freihandelsabkommens

Veränderung des realen Pro-Kopf-Einkommens im Liberalisierungsszenario Angaben in Prozent

+6,1 bis +13,4

-9,5 bis -6,1

+3,1 bis +6,0

-6,0 bis -3,1

+0,1 bis +3,0

-3,0 bis 0

wegen fehlender Daten keine Berechnung möglich

Die Weltkarte der ifo-Studie mit den Veränderungen des langfristigen BIP je Einwohner in 126 Ländern.

Thieß Petersen Handelshemmnis / Politik / Regulierung

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Seit dem Sommer dieses Jahres verhandeln die EU und die USA über ein gemeinsames Freihandelsabkommen. Welche volkswirtschaftlichen Konsequenzen sind von diesem Abkommen zu erwarten?

Bei der geplanten »Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft« (auf Englisch: TTIP↗) geht es im Kern um die Beseitigung von Handelshemmnissen. Ökonomen versprechen sich davon intensivere Handelsbeziehungen zwischen den USA und der Europäischen Union. Sie erwarten auch, dass in den beteiligten Ländern das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung zunehmen. Was heißt das konkret? HANDELSHEMMNISSE: WAS IST DAMIT GEMEINT?

Beim Austausch von Gütern und Dienstleistungen zwischen verschiedenen Ländern gibt es zwei Arten von Handelsbarrieren: Zölle und sogenannte nichttarifäre Handelshemmnisse. Zölle fallen an, wenn die Käufer eines ausländischen Produkts eine Abgabe an den Staat leisten müssen. Nichttarifäre Handelshemmnisse sind hingegen spezielle Regelungen oder Vorschriften beim Import ausländischer Produkte. Beispiele dafür sind besondere Zulassungs- und Kontrollverfahren für Produkte aus dem Ausland und unterschiedliche technische Vorschriften. Konkret bedeutet das, dass ein europäischer PKW-Hersteller Automobile, die er in den USA verkaufen will, mit anderen Außenspiegeln und Stoßdämpfern als für den europäischen Markt ausstatten muss. Schließlich gehören zu den nichttarifären Handelshemmnissen auch Mengenbeschränkungen bei der Ein- und Ausfuhr. WAS BRINGT DER ABBAU VON HANDELSHEMMNISSEN?

Ein Zoll wirkt letztendlich wie eine Steuer. Der Wegfall eines Zolls reduziert daher den Preis, den der Verbraucher zahlen muss. Nichttarifäre Handelshemmnisse bedeuten für den Hersteller bürokratische Kosten oder zusätzliche Produktionskosten. Auch der Wegfall dieser Hemmnisse wirkt kostensenkend. Da die Zölle im Handel zwischen den USA und der EU bereits sehr niedrig sind – im Durchschnitt liegt die Belastung des transatlantischen Handels durch Importzölle bei 3,5 bis 4 Prozent –, spielt der Wegfall der

nichttarifären Handelshemmnisse eine viel größere Rolle. In der Spitze, also etwa bei chemischen Produkten und Kraftfahrzeugen, verursachen nichttarifäre Handelshemmnisse Kosten, die einem Zoll von 20 Prozent und mehr entsprechen. WER PROFITIERT VOM ABBAU DER HANDELSHEMMNISSE?

Von den niedrigeren Preisen profitieren die amerikanischen und europäischen Konsumenten, weil dadurch die Kaufkraft ihrer Einkommen steigt. Die Verbilligung der amerikanischen Waren in der EU beziehungsweise der europäischen Produkte in den USA führt zudem dazu, dass die Exporte zwischen den USA und der EU zunehmen. Davon profitieren die amerikanischen und europäischen Unternehmen, die diese Exportgüter herstellen. Auch die in diesen Unternehmen beschäftigten Personen profitieren, weil mit der größeren Produktion im Normalfall die Beschäftigung steigt. Das Bruttoinlandsprodukt↗ je Einwohner, das als wichtiger, wenn auch nicht idealer Indikator zur Messung des Wohlstands gilt, wird in den am Freihandelsabkommen beteiligten Ländern größer. UND WER VERLIERT?

Wenn der Handel zwischen den USA und der EU zunimmt, benötigen beide Regionen weniger Produkte von anderen Handelspartnern. Sowohl die USA als auch die EU-Mitgliedsstaaten importieren folglich weniger Produkte aus Asien, Afrika, Südamerika und den europäischen Ländern, die der EU nicht angehören. Für die betroffenen Volkswirtschaften bedeutet dies: weniger Exporte, eine geringere Produktion der heimischen Unternehmen, ein geringeres Beschäftigungsniveau und letztlich ein geringerer materieller Wohlstand.

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LOHNT SICH EIN FREIHANDELSABKOMMEN FÜR DIE

UND WAS BETRACHTEN ÖKONOMEN NICHT?

WELT ALS GANZES?

Ökonomen beschäftigen sich im Wesentlichen mit der Produktion von Gütern und Dienstleistungen sowie dem anschließenden Verkauf dieser Produkte auf Märkten. Es geht ihnen daher um wirtschaftliche Kerngrößen wie das Bruttoinlandsprodukt, die Beschäftigung beziehungsweise die Arbeitslosigkeit und die Löhne. Viele Aspekte, die in der aktuellen Diskussion um die TTIP-Verhandlungen eine große Rolle spielen, bleiben unberücksichtigt – allen voran Datenschutzfragen und die fehlende Transparenz der Verhandlungen. Das liegt nicht an einem generellen Desinteresse der Ökonomen, sondern an einer methodischen Beschränkung: Phänomene, die sich nicht mit einem Preisschild versehen lassen, können von Ökonomen nicht sinnvoll analysiert werden. ◊

Ob die Wohlstandgewinne vom Volumen her größer oder kleiner sind als die Wohlfahrtseinbußen der Verlierer eines Freihandelsabkommens, das lässt sich auf der Ebene der reinen Theorie nicht vorhersagen. Notwendig zur Beantwortung dieser Frage sind Simulationsrechnungen. Die Ergebnisse solcher Berechnungen können – je nach der Art der verwendeten Modelle und der zugrunde gelegten Annahmen – sehr unterschiedlich ausfallen. Gegenwärtig gibt es zwei relevante Studien zu den ökonomischen Effekten einer TTIP: eine Studie des Centre for Economic Policy Research für die Europäische Kommission vom März 2013 [1] und eine Studie des ifo Instituts für die Bertelsmann Stiftung vom Juni 2013 [2]. Basierend auf unterschiedlichen Modellen und Annahmen kommen beide zu unterschiedlichen Resultaten. Es besteht aber Einigkeit dahingehend, dass ein umfassendes transatlantisches Freihandelsabkommen das weltweite Bruttoinlandsprodukt wachsen lassen würde.

[1] Centre for Economic Policy Research: Reducing Transatlantic Barriers to Trade and Investment – An Economic Assessment, London 2013. [2] Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Die Transatlantische Han-

WIE SCHNELL WIRKT EIN TRANSATLANTISCHES FREI-

dels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) – Wem nutzt ein

HANDELSABKOMMEN?

transatlantisches Freihandelsabkommen? Teil 1: Makroökono-

Rasche Auswirkungen sind von einem umfassenden Freihandelsabkommen nicht zu erwarten. Das liegt zunächst einmal daran, dass sich die Verhandlungen über das Abkommen über einige Jahre hinziehen werden. Zollsenkungen würden dann unmittelbar nach Inkrafttreten des Abkommens eine preissenkende Wirkung haben. Der Abbau der nichttarifären Handelshemmnisse wirkt hingegen erst mit einer zeitlichen Verzögerung von mehreren Jahren. Wenn beispielsweise komplizierte Zulassungsverfahren für die Einfuhr elektronischer Geräte entfallen, nutzt dies einem Hersteller erst wieder bei der Entwicklung eines neuen Produkts. Grob geschätzt entwickelt ein umfassendes transatlantisches Freihandelsabkommen seine volle Wirkung erst nach zehn bis zwanzig Jahren.

mische Effekte, Gütersloh 2013.

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Bruttoinlandsprodukt, Wirtschaftswachstum und »Uneconomic Growth« Ein zentrales Ziel des anvisierten transatlantischen Freihandelsabkommens ist die Steigerung des materiellen Wohlstands der Menschen. Der traditionelle Indikator zur Messung dieses Wohlstands ist die in einer Gesellschaft zur Verfügung stehende Gütermenge, also das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP). Dieser Indikator ist jedoch mit zahlreichen Mängeln verbunden. So blendet das BIP sämtliche Aktivitäten, die nicht auf Märkten stattfinden – etwa die häusliche Betreuung von Kindern oder ein ehrenamtliches Engagement – aus. Außerökonomische Aspekte wie Gesundheit, Freizeit, Bildung und Umwelt werden ebenfalls nicht erfasst. Zudem gibt es eine Reihe von Komponenten, die das BIP zwar erhöhen, aber keine Steigerung des menschlichen Wohlergehens bewirken. Hierzu gehören unter anderem Ausgaben zur Beseitigung von Umwelt- oder Brandschäden sowie Reparaturmaßnahmen im Zuge von Naturkatastrophen. Schließlich werden auch Verteilungsfragen ausgeklammert, denn der Indikator »BIP je Einwohner« ist nur eine rechnerische Durchschnittsgröße, die über die tatsächliche Verteilung des Wohlstands innerhalb einer Gesellschaft nichts aussagt. Nicht nur Ökonomen sind sich daher einig, dass das BIP kein idealer Indikator für das menschliche Wohlergehen ist. Seit einigen Jahren arbeiten deshalb verschiedene Kommissionen und Initiativen an alternativen Maßen für den menschlichen Wohlstand. [1] Bei den meisten dieser Konzepte wird das reale BIP um weitere Indikatoren ergänzt. Von Wirtschaftswachstum wird gesprochen, wenn die Menge der produzierten und anschließend konsumierten Güter im Zeitablauf größer wird, wenn das BIP also wächst. Ein so verstandenes Wachstum gilt als erstrebenswert, weil es den materiellen Wohlstand

der Menschen erhöht, Arbeitsplätze schafft, Verteilungskonflikte entschärft und die Finanzierung von gesellschaftlichen Aufgaben erleichtert. Die Steigerung des Wirtschaftswachstums ist deshalb ein wichtiges Argument im Rahmen der laufenden TTIP-Verhandlungen. Wirtschaftswachstum schafft aber auch eine Vielzahl von Problemen wie Umweltverschmutzung, Erderwärmung und Klimawandel. In vielen entwickelten Industrienationen ist das Wirtschaftswachstum zudem gar nicht mehr mit einem Anstieg der Beschäftigung verbunden. Hier spricht man dann vom Phänomen des »jobless growth«. Sinnvoll ist ein Wachsen der Wirtschaft nur dann, wenn die damit verbundenen Vorteile größer sind als die Nachteile. Ob dies in hochentwickelten Industrienationen noch der Fall ist, wird zunehmend bezweifelt. Herman E. Daly, einer der führenden Vertreter der ökologischen Ökonomie, vertritt beispielsweise die These, dass die gegenwärtige Form des Wirtschaftswachstums zumindest in den Hochkonsum-Ländern mehr Kosten als Nutzen produziert und die Menschen daher »ärmer und nicht reicher macht« [2]. Er bezeichnet diese Form des Wachstums folgerichtig als »uneconomic growth«. [1] Ein Beispiel dafür ist der Bericht der Stiglitz-Sen-FitoussiKommission: http://www.stiglitz-sen-fitoussi.fr/ documents/rapport_anglais.pdf [2] Herman E. Daly: Steady-State-Ökonomie – Ein Wirtschaftssystem des langfristigen Gleichgewichts, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, Ausgabe 162-163, 2009, S. 40 (http://www. sozialoekonomie-online.de/ZfSO-162-163_Daly.pdf).

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In t zu er m na Th tio em na a le TT Bl IP og ge r

FutureChallenges.org ist ein weltweites Netzwerk von Bloggern, die über ihre Sichtweisen zu Themen der Globalisierung schreiben. Welche persönlichen Geschichten und Einschätzungen verbergen sich hinter den nüchternen ökonomischen Zahlen? Die folgenden (übersetzten) Texte geben einen Einblick in die Einschätzung der Menschen zu den anstehenden Freihandelsabkommen.

Unterzeichnung des amerikanischkanadischen Freihandelsabkommens am

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16. November 1953 in Washington, D.C.


Dragos C. Costache http://futurechallenges.org/local/ author/dccostache/

Wo der Freihandel versagt – die kulturelle Dimension von TTIP Als Europäer, Technikfreak und erklärter Fan des Freihandels bin ich grundsätzlich ein entschiedener Befürworter der geplanten Freihandelszone von EU und USA. Aber wie bei allen Übereinkünften dieser Größenordnung ergeben sich auch eine ganze Reihe von Problemen: Netzneutralitäts-Aktivisten warnen, dass TAFTA/TTIP für die US-amerikanische Wirtschaft nur eine weitere Hintertür öffnet, mithilfe derer man ACTA/SOPA-ähnliche Gesetze durchdrücken [1] könnte. Der Mangel an Transparenz und öffentlicher Kontrolle während der Verhandlungen hat zudem viele NGOs in Alarmbereitschaft versetzt. Vor allem ein Aspekt hat jedoch für besonders hitzige Diskussionen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten gesorgt, ein Aspekt, der meiner Meinung nach die Grenzen des Freihandels eindrucksvoll illustriert: die Kultur. Nun ist Kultur ein äußerst volatiles Konzept, eines, das nach allgemeiner Übereinstimmung von der starren Sprache des internationalen Handels kaum zu erfassen ist. Und dennoch hat die Kultur sich in einigen der bedeutendsten Verträge zum Zankapfel entwickelt. NAFTA – wohl das erfolgreichste Han-

Underwood & Underwood, lizensiert unter Public Domain.

erschienen online am 20.06.2013

delsabkommen der Geschichte – beinhaltet spezielle »Kulturklauseln«, die es dem kanadischen Staat erlauben, bestimmte Quoten und Zölle zu erzwingen, um kanadische Kulturprodukte zu schützen. Und einer der grundlegenden Texte der WTO, das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT), schlug »Kulturfreistellungsklauseln« vor, um es einzelnen Ländern zu ermöglichen, kulturelle Erzeugnisse anders zu behandeln als andere Güter. Streitet man sich heutzutage über »Kultur« und ihre wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist dies in den allermeisten Fällen ein Code für Musik und – in erster Linie – für das Kino. Idealerweise müsste das Freihandelsabkommen von den EU-Staaten ganz im Sinne des fairen Wettbewerbs fordern, dass sämtliche Subventionen für die Unterhaltungsindustrie gestrichen werden. In der Realität erscheint dies für die meisten Europäer nicht als akzeptable Lösung, denn ohne die nationalen Gelder und die Fördermittel aus EU-Töpfen würden es die meisten europäischen Filme gar nicht mehr in die Kinos schaffen. Der erst kürzlich verliehene MEDIA Prize [2] ist dabei nur ein kleiner Teil eines umfangreichen EU-Kino-Förderungssystems, das die Verbreitung europäischer Kulturerzeugnisse unterstützt – sogar die der »deprimierenden«, wie einer meiner liebsten rumänischen Intellektuellen es einmal augenzwinkernd ausdrückte, Filme also, die gegen die glitzernde Macht Hollywoods ansonsten völlig chancenlos wären. Die nationalen Subventionen spielen eine ebenso wichtige Rolle. Frankreich, berüchtigt für seine fanatische Unterstützung der heimischen Filmindustrie, ist eines der wenigen Länder weltweit, in dem englischsprachige Produktionen die Kinoprogramme noch nicht dominieren. [3] Andere europäische Länder wie Dänemark oder Deutschland erfreuen sich einer blühenden Filmindustrie, welche auf staatlicher Unterstützung und absurden »Abschreibungsgesetzen« fußt, die es Investoren unabhängig vom kommerziellen Erfolg (!) erlauben, sämtliche Film-Investitionen steuerlich geltend zu machen. Und dann ist da noch Rumänien. Rumänien ist nicht mit Frankreich oder Deutsch29 / 72


[1] https://techdirt.com/articles/20130207/ 08080221909/us-europe-move-to-tafta-yet-anotherchance-to-push-through-actasopa-style-ipmaximalism.shtml [2] http://ec.europa.eu/culture/media/index_en.htm [3] http://next.liberation.fr/cinema/2011/01/06 /2010-annee-tres-cinephile-en-france_705343

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Zur volkswirtschaftlichen Ökonomie gentechnisch veränderter Lebensmittel Rani Nguyen http://futurechallenges.org/local/author/ rani-nguyen erschienen online am 14.06.2013

Die Europäische Union hat bereits mehrere Handelsabkommen abgeschlossen [1] und führt momentan mit zentralen regionalen und globalen Wirtschaftsvertretern Gespräche über weitere Vertragsabschlüsse. Mit 14,3 Prozent des EU-Handelsvolumens sind die USA zum jetzigen Zeitpunkt der größte Handelspartner der EU. So erscheint die Etablierung des Freihandelsabkommens zwischen Europäischer Union und den USA nur logisch. Die Zölle zwischen den Handelspartnern sind relativ niedrig, im Durchschnitt nur etwa drei Prozent. Ein Freihandelsabkommen würde durch den verminderten bürokratischen Aufwand den Zugang zum US-Markt vereinfachen, die Exporteinkünfte würden dadurch noch weiter ansteigen. Deutschlands Exporterlöse sollen sich durch ein Freihandelsabkommen um geschätzte drei bis fünf Milliarden Euro erhöhen. [2] Die Konsumenten würden dabei von sinkenden Preisen und größerer Produktauswahl profitieren – auch bei Lebensmitteln. Aber gerade wenn es um Lebensmittel geht, gibt es enorme Differenzen zwischen EU und den USA. In den USA sind mittlerweile 90 Prozent aller Sojapflanzen und 85 Prozent aller Maispflanzen gentechnisch verändert. [3] US-amerikanische Produzenten unterliegen nicht einmal einer Kennzeichnungspflicht, die darüber Auskunft gibt, ob ihr Produkt Gentechnik enthält oder nicht. In Europa ist es bislang verboten, gentechnisch veränderte Lebewnsmittel anzubauen, aber europäische Landwirte und Lebensmittelproduzenten verfüttern importiertes gentechnisch verändertes Soja an ihr Nutzvieh und verarbeiten importierte gentechnisch veränderte Speisestärke. Lebensmittelerzeuger sind in der EU dazu verpflichtet, auf der Verpackung gentech-

Foto von Flickr-User Steven Depolo, veröffentlicht unter CC BY 2.0.

land vergleichbar, aber im europäischen Kinobetrieb konnte man sich dennoch einen Namen machen. Die rumänische Arthouse-Welle der letzten Jahre brachte Filme hervor, die oft so »gemütskrank« waren, dass sie sogar die Dänen damit in den Schatten stellten. Das tat dem Erfolg dieser Produktionen auf diversen Festivals von Cannes bis Berlin gleichwohl keinen Abbruch, sogar beim fernen Sundance Film Festival konnte man die Aufmerksamkeit des einen oder anderen Juroren oder Kritikers erregen. Und trotzdem spielen diese Filme meistens keinen Gewinn ein: Sogar Produktionen, die mit internationalen Preisen ausgezeichnet und – getragen von einer Woge des Patriotismus –, in den Medien bejubelt werden, enden oftmals als finanzielles Verlustgeschäft. So lastet die finanzielle Bürde auf »wohlmeinenden« Investoren, etwa den großen multinationalen Konzernen, die dünn gesät sind, und auf den schmalen Schultern des National Cinema Centre (NCC). Dieses vom Staat finanzierte Komitee verfügt in einem guten Jahr über ein Budget von etwa einer Million Euro. Nicht der Patriotismus aber motiviert das NCC dazu, die Zeche zu zahlen, es sind nationale Interessen. Filme, wie generell alle kulturellen »Produkte«, sind weit mehr als nur Güter auf dem freien Markt. Sie dienen auch als kulturelle Signifikanten, sie spiegeln alle Facetten ihres Herkunftslandes und fungieren als Kulturbotschafter im Ausland. Rumänien, ein Land mit miserablem Image im Ausland und bestenfalls ambivalentem Image bei der eigenen Bevölkerung, hat einen essenziellen Bedarf an Kinofilmen, Eurovision-Song-Contest-Auftritten und Tanzdarbietungen. Nur so kann man zuhause und im Ausland ein Rumänien repräsentieren, das nichts mit den wohlfeilen Klischees von bettelnden Sinti und Roma oder Sozialleistungsbetrügern zu tun hat. Ohne staatliche Förderung, unter den Bedingungen eines konsequent umgesetzten Freihandels, würde der rumänische Beitrag zum Kino sich wohl nach wie vor in Johnny Weissmüllers Auftritt als Tarzan erschöpfen. ◊


nisch veränderte Zutaten anzugeben, wie zum Beispiel Maisstärke. Die Mehrzahl der EU-Bürger – satte 61 Prozent! – lehnen gentechnisch veränderte Lebensmittel ab. Drei Viertel der Deutschen bevorzugen gentechnikfreie Lebensmittel und 72 Prozent der befragten Franzosen gaben an, es sei ihnen wichtig, Zugang zu gentechnikfreien Lebensmitteln zu haben. [4] Anhand einiger Beispiele werden die Unterschiede in der Agrarwirtschaft besonders klar: In den USA ist es gesetzlich erlaubt, Kühe mit Hormonen zu behandeln, um die Milchausbeute zu steigern; es ist erlaubt, Hähnchenfleisch mit Chlor zu desinfizieren und geklonte Tiere zu schlachten. All das ist in der EU verboten. Wie wird man mit diesen Themen umgehen, wenn es zu konkreten Verhandlungen kommt? Wer wird sich durchsetzen können? Im Moment deutet alles darauf hin, dass die EU ihre Widerstände Stück für Stück aufgeben wird. Erst kürzlich knickte man nach langwierigen Verhandlungen ein und erlaubte den Einsatz von Milchsäure zur Desinfektion von Schlachtfleisch – eine Forderung des US-amerikanischen Landwirtschaftsministeriums. Die US-amerikanische Lebensmittelindustrie und ihre Lobbyisten werden wahrscheinlich alles daran setzen, eine Gentechnik-Kennzeichnungspflicht in der EU zu verhindern – momentan hat die Verhinderung

einer solchen im Bundesstaat Kalifornien nach eigener Aussage »höchste Priorität«. Als die EU zwischen 1998 und 2004 ein vorläufiges Einfuhrverbot von gentechnisch verändertem Saatgut verhängte, beklagten sich die USA bei der WTO, der Vorwurf: Protektionismus. Es verärgert mich bereits, wenn Supermarktketten und Lieferanten die Herkunft ihrer Früchte und Gemüse nicht angeben. Es wäre eine echte Horrorvorstellung, wenn ich zukünftig nicht wüsste, ob die Lebensmittel, die ich verzehre, gentechnisch verändert sind oder nicht. Und mit dieser Meinung stehe ich in Europa sicher nicht alleine da. ◊ [1] http://ec.europa.eu/enterprise/policies/ international/facilitating-trade/free-trade/ index_en.htm [2] http://tagesschau.de/wirtschaft/faqfreihandelszone-eu-usa100.html [3] http://greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/ themen/gentechnik/20120515-Gen-Food-WasVerbraucher-beachten-sollten.pdf [4] http://ogmdangers.org/enjeu/politique/sondage.htm

85 Prozent aller in den USA angebauten Maispflanzen sind gentechnisch verändert.

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Freihandelsabkommen: Mit Vorsicht zu handhaben

Yassmin Abdel-Magied http://futurechallenges.org/local/ author/yassmin-am erschienen online am 05.07.2013

auf viel Kritik stößt, dennoch wird diese Kritik scheinbar als Bestandteil der momentanen globalen Ökonomie akzeptiert. [1] Betrachten wir einmal den Fall Australien. Die Bestimmungen des Freihandelsabkommens zwischen

Foto von »DigitaleGesellschaft«, veröffentlicht bei Wikimedia Commons unter der CC BY-SA 2.0 Lizenz.

Freihandelsabkommen sind eines von vielen Werkzeugen der Strukturpolitik, mit denen Regierungen ihre Ziele zu erreichen versuchen. Nun können Werkzeuge zum Guten oder zum Schlechten gebraucht werden. Im Fall TAFTA/TTIP wird das volle Potenzial

Freihandelsverträge werden nicht immer wohlwollend aufgenommen. Eine Anti-ACTA-Demonstration in Berlin am 2. November 2012.

des Werkzeugs sicher noch nicht ausgeschöpft. Freihandelsabkommen müssen mit gebührender Vorsicht gehandhabt werden, wenn sie die wirtschaftlichen Vorteile erbringen sollen, die man sich von ihnen verspricht. Lassen Sie mich erklären, warum. Einerseits ist der Freihandel ein Konzept, das überall auf der Welt 32 / 72

Australien und den USA (AUSFTA) hatten längst nicht die profitablen Auswirkungen, die australische Unternehmen sich erhofft hatten. Für die einflussreichen Schlüsselindustrien Zucker und Rindfleisch wurde der Zugang zu den US-Märkten nur geringfügig erleichtert. [2] Eine von der Australian Industry


Group im Jahr 2009 durchgeführte Befragung der heimischen Exportunternehmen ergab, dass weniger als die Hälfte der Unternehmen durch AUSFTA unmittelbare Vorteile für sich erkennen konnte. Über 80 Prozent der Befragten waren hingegen der Meinung, dass das neue Freihandelsabkommen kaum dazu geeignet sei, die Bedingungen zur Erschließung neuer Exportmärkte zu verbessern. Die Geschäftsführerin der Australian Industry Group, Heather Ridout, fasste es in einem Pressetext 2010 so zusammen: »Die Untersuchung hat gezeigt, dass Freihandelsabkommen alleine die Unternehmen nicht dazu motivieren, sich neue Märkte zu erschließen. Es profitieren vor allem Unternehmen, die bereits vorher in bestimmte Märkte exportiert haben.« In der New York Times hieß es: »... damit senden wir eine abschreckende Botschaft an den Rest der Welt. Sogar bei Vertragsabschlüssen mit verbündeten Nationen, die einen ähnlich hohen Lebensstandard haben wie die USA, zieht es die Regierung, vor allem auf Druck des Kongresses, vor, die heimische Zuckerlobby zu hätscheln, statt endlich auf diese unverzeihliche Form des Protektionismus zu verzichten. Nun werden sich wieder all diejenigen bestätigt sehen, die die Globalisierung schon immer für ein abgekartetes Spiel gehalten haben.« [3] Letztendlich muss man nüchtern feststellen, dass AUSFTA Australien weder besonders geschadet noch besonders genützt hat. Die vorhergesagte enorme Erhöhung des Handelsvolumens mit den Vereinigten Staaten ist ausgeblieben, die Ängste, die sich um den Schutz des geistigen Eigentums und PBS (das staatliche bezuschusste Medikamentensystem Australiens) drehten, haben sich allerdings auch nicht bewahrheitet. Eine fast neutrale Situation also. AUSFTA war eines der ersten bedeutenden Freihandelsabkommen, das Australien unterzeichnete. Es trat, begleitet von vielen Kontroversen, am 1. Januar 2005 in Kraft. Die damalige Regierung unter Premier Howard feierte das Abkommen, unterstützt vom Center of International Economics, als großen Erfolg. Das CIE versprach, dass das australische BIP↗ innerhalb eines Jahrzehnts um jährlich bis zu 6 Milliarden USD wachsen würde. [4] Es war das erste Abkommen dieser Art, und Australien hat bis heute sieben weitere Verträge mit Ländern wie Chile, Malaysia, Neuseeland, Singapur sowie Thailand und den ASEAN-Nationen abgeschlossen.

Könnte es sein, dass die politische Rolle, die Freihandelsabkommen spielen, wichtiger ist als alle anderen Erwägungen? Sind sie vielleicht nicht viel mehr als eine präzise Widerspiegelung der Tagespolitik? In einem Beitrag von meiner Kollegin, der FutureChallengesBloggerin Aylin Matle, werden die »wahren« Vorteile solcher Abkommen kritisch hinterfragt. Aylin ist der Meinung, dass Freihandelsabkommen zwar in erster Linie ein Instrument der Wirtschaftspolitik sind, aber gleichzeitig eine subtile, deswegen aber nicht weniger wichtige politische Dimension haben. [5] Andererseits gibt es jedoch Beispiele dafür, dass der Handel durchaus über die Politik triumphieren kann (und umgekehrt). [6] Vielleicht sollte man diese beiden Konzepte also nicht über einen Kamm scheren. Das Konzept des »Freihandels« ist für sich genommen nichts Schlechtes oder Negatives. Deswegen sollten wir uns weniger auf die Idee des Freihandels an sich, sondern vielmehr auf die Details seiner Umsetzung konzentrieren, um so zu mehr Fairness und wirtschaftlicher Effektivität zu kommen. Man sagt, der Teufel stecke oft im Detail, und für die konkrete Umsetzung des Freihandels trifft dies wohl in ganz besonderem Maße zu. Jede Regierung entscheidet, wie sie dieses immer gängiger werdende Werkzeug einsetzen will, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Welche Ziele das im Einzelfall sind, das erkennen wir erst, wenn wir uns den Teufel im Detail näher ansehen. ◊ [1] http://globalexchange.org/resources/FTAA/oppose [2] http://trade.gov/fta [3] http://nytimes.com/2004/02/14/opinion/atriumph-for-big-sugar.html [4] http://thecie.com.au/content/publications/ CIE-economic_analysis_ausfta.pdf [5] http://futurechallenges.org/local/the-actualmerit-of-free-trade-2 [6] http://futurechallenges.org/local/politicalfoes-trade-buddies-2

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TTIP und die Geschichte von der Miteinbeziehung der Öffentlichkeit: ein trans-

Marc Venhaus http://futurechallenges.org/local/ author/marc-venhaus erschienen online am 04.07.2013

atlantisches Märchen Es ist offiziell: Die Verhandlungen über TAFTA/TTIP haben begonnen, und das Ergebnis könnte innerhalb der nächsten zwei Jahre transatlantische Realität werden. Der extrem knapp bemessene Zeitrahmen dieses gemeinschaftlichen Unterfangens mag ambitioniert erscheinen. Aber sowohl die EU als auch die USA würden dieses weitreichende Abkommen lieber heute als morgen in Kraft treten lassen, um so das verheißungsvolle Versprechen von mehr Wohlstand und sozialer Sicherheit für mehr als 800 Millionen Menschen endlich einzulösen. Der Wunsch nach einer Intensivierung von Handel und Investitionen zwischen den beiden Wirtschaftsgiganten ist dabei nur eine Triebfeder: Auf beiden Seiten des Atlantiks braucht man dringend neue politische Symbole des Erfolgs und eine neue ideelle Basis im Sinne einer transatlantischen Wertegemeinschaft. Im Moment läuft Barack Obama Gefahr, als Präsident der gebrochenen Versprechen und unerfüllten Erwartungen in die Geschichte einzugehen. Nicht zuletzt deswegen ist er so erpicht darauf, TAFTA/TTIP – zusammen mit TPP – zu ratifizieren und so ein dauerhaftes politisches Erbe zu hinterlassen. [1] Zugleich steckt die EU in der wohl größten Legitimitätskrise ihrer Geschichte. Kein Wunder also, dass Brüssel den desillusionierten Bürgern Europas nun beweisen will, dass es nicht nur für ökonomischen und sozialen Fortschritt sorgen kann, sondern durchaus auch dazu in der Lage ist, gesamteuropäische Interessen erfolgreich im Ausland zu vertreten. Dennoch hat der durch das gemeinsame Ziel erzeugte neue Elan in den transatlantischen Beziehungen viele Beobachter überrascht. Bisher war man davon ausgegangen, dass die USA das Interesse an Europa verloren hatten und sich des unbequemen Kontinents auf lange Sicht entledigen würden, um sich wieder stärker auf Asien zu konzentrieren. [2] Aber all das scheint jetzt vergessen zu sein. Auf einmal blüht die transatlantische Freundschaft wieder auf, und mit TAFTA/TTIP zeichnet sich ein neues gemeinsames 34 / 72

Projekt am Horizont ab. Washington ging gegenüber Europa zur Charmeoffensive über, und Brüssel reagierte freundlich und schlug ein Treffen vor. Obamas kürzlicher Besuch beim G8-Gipfel in Enniskillen (UK) und seine kumpelhafte Rede [3] vor dem Brandenburger Tor in Berlin lieferten die passenden Bilder und bewiesen sogar, dass »gute Partner« sich um der Harmonie willen alles verzeihen können. Präzise gesagt bedeutet das: Kritik, speziell die am angelsächsischen Modell einer orwellschen Überwachungsmaschinerie in Form von PRISM und TEMPORA, werden im Hinblick auf die TAFTA/TTIP-Verhandlungen von den politischen Entscheidungsträgern marginalisiert und beiseite gewischt. Zugegebenermaßen haben die hitzigen Debatten über die Ausweitung der Spionageaktivitäten der USA auf Europa starke Reaktionen erzeugt, vor allem in Deutschland, wo man TAFTA/TTIP vergleichsweise kritisch gegenübersteht. Dennoch bleibt abzuwarten, ob die Europäer es sich wirklich leisten können, die Verhandlungen auf Eis zu legen. Wahrscheinlicher ist, dass man eine Strategie der Versöhnung fahren wird, um die vorübergehend erregte europäische Öffentlichkeit zu beruhigen. Weder David Cameron – der seine eigenen Leichen im Keller hat und den USA gefühlt ohnehin näher steht als der Europäischen Union – noch Angela Merkel – die kein außenpolitisches Porzellan zerschlagen will – werden es wagen, die TAFTA/TTIP-Verhandlungen zu sabotieren. Führende Politiker Europas haben sich mit EU-Bürokraten auf eine gemeinsame Haltung des entschlossenen Zögerns – wenn nicht des Schweigens – geeinigt, anstatt auftretende Probleme mit einer gemeinsamen Stimme anzugehen. Die Rückkehr zur traditionellen Vorstellung einer transatlantischen Wertegemeinschaft, die auf Individualismus, Freiheit und den Bürgerrechten fußt, untermauert diesen von Heuchelei geprägten Prozess noch zusätzlich. Dass ausgerechnet jetzt der gemeinsame alte Buhmann aus den glorreichen Zeiten


des transatlantischen Bündnisses ein überraschendes Comeback feiert, passt da gut ins Konzept: Russland wird nicht nur – und das völlig zurecht – für seine Defizite im Bereich der Menschenrechte und der Freiheit der Medien gerügt. Die unnachgiebige Haltung des Landes im Syrienkonflikt, sein Umgang mit dem eigenen Nuklearwaffenarsenal und nicht zuletzt die Unterstützung für Whistleblower Edward Snowden↗ haben Russland zum globalen Paria gemacht. Trotzdem ist die Geschichte von der transatlantischen Wertegemeinschaft mittlerweile nur noch ein Märchen, für das TAFTA/TTIP das Happy End liefern soll: Und wenn sie nicht gestorben sind ... Dieses ideelle Konstrukt hat keine wirkliche Substanz mehr, und die Diskrepanzen zwischen den behaupteten Gemeinsamkeiten (ökonomischer Erfolg, geteilte Werte, gemeinsame Feinde) und den zugrunde liegenden Fakten werden für immer mehr Menschen immer offensichtlicher. Besonders deutlich tritt dies bei zwei zentralen Problemen zutage, die – zumindest bisher – von den offiziellen Verhandlungsführern weitgehend ignoriert wurden. Ad 1) Einbeziehung der Öffentlichkeit: Die bilateralen (Vor-)Verhandlungen waren bisher eindeutig elitär geprägt. Die Entscheidungsträger haben sich keinerlei Mühe gemacht, die US-amerikanische oder europäische Bürgergesellschaft mit ihren vielen Stimmen in den Prozess einzubinden. Washington und Brüssel haben par ordre du mufti entschieden, dass ein gemeinsames (wirtschaftliches) Interesse ihrer Bevölkerungen an TAFTA/TTIP besteht. Dieses Interesse basiert mehr auf äußerst vagen und oft fehlerhaften ökonometrischen Berechnungen [4] (der magische Teil des Märchens) denn auf überzeugenden Argumenten. Ad 2) Bürgerrechte: Von gemeinsamen Werten zu sprechen, ist äußerst problematisch geworden, seit die flächendeckende Überwachungspraxis in den beiden Herzländern der (neo-)liberalen Demokratie offenbar wurde. Die Tatsache, dass die restlichen politischen Entscheidungsträger in Europa sich in diesem Fall mehr oder weniger bedeckt halten, macht es nicht besser: Im Gegenteil, das Misstrauen wird sowohl im eigenen Land als auch im Ausland dadurch noch verstärkt. Die Konsequenz ist nicht nur Irritation angesichts solcher Doppelmoral, sondern auch eine Schwächung der Verhandlungsposition gegenüber autoritär geführten Staaten wie Russland.

Das bevorstehende TAFTA/TTIP-Abkommen und seine Einbettung in eine wiederbelebte transatlantische Wertegemeinschaft kann folglich nur dann nachhaltig gelingen, wenn Europa und die USA eine befriedigende Lösung für die Defizite in puncto Einbindung der Öffentlichkeit und Wahrung der Bürgerrechte finden. Was daher im Moment am dringendsten benötigt wird, ist mehr Transparenz in den Verhandlungen. Es muss eine öffentliche Debatte geben, in der zentrale Bedenken und Einwände der betroffenen Bevölkerungen gehört und berücksichtigt werden. Dies wiederum wird viel Zeit und Mühe erfordern. Investiert man diese aber nicht, wird ein Happy End für das transatlantische Bündnis unerreichbar bleiben. ◊ [1] http://articles.washingtonpost.com/2012-12-05/ opinions/35638623_1_free-trade-free-tradeagreement-trans-atlantic-trade [2] http://library.fes.de/pdf-files/id/10058.pdf [3] http://spiegel.de/international/germany/freetrade-area-to-dominate-talks-between-obama-andmerkel-a-906467.html [4] http://nachdenkseiten.de/?p=17671

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– r e d i e e l a h c n s g t i En die S t r hö TTIP, Globalisierung und das Internet Das Internet und die Globalisierung beeinflussen sich gegenseitig und sind geradezu systemisch aufeinander angewiesen. Nach wie vor wird das in öffentlichen Diskussionen übersehen. Schließlich ist das Internet in Bezug auf Regulierungsfragen zugleich Gegenstand und Mittel der Globalisierung, wenn es um die Online-Erweiterung ehemals begrenzter Absatz-Märkte geht. Genauso ist es auch eine Möglichkeit, die Spielregeln der Globalisierung durch weiter reichende Formen der Partizipation über das Internet zu bestimmen. Leider wird dies in der aktuellen Debatte um das angedachte Freihandelsabkommen TAFTA/TTIP gänzlich übersehen. Ole Wintermann Globalisierung / Absatzmärkte / Internet-Partizipation

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WAS HABEN INTERNET UND GLOBALISIERUNG MITEINANDER ZU TUN?

Die Wechselwirkungen von Internet und Globalisierung sind bisher wenig verstanden. Das ist umso bedenklicher, als dass sie doch (teils unbewusst) die Entscheidungen in Politik und Wirtschaft sowohl beeinflussen, als auch von ihnen beeinflusst werden. So ermöglicht das Internet mittleren und kleineren Unternehmen das Erschließen von Absatzmärkten, die bisher außerhalb ihrer Reichweite lagen. Konsumenten in bisher entlegenen Regionen ist es möglich Produkte zu erwerben, die bisher nur außerhalb der eigenen Region verkauft wurden. Konsumenten und Produzenten finden via Internet in einer ehemals nicht vorstellbaren Weise und Effizienz zueinander – was letztlich beiden Seiten des Marktes nützt. Aufgrund der theoretisch höheren Transparenz des Marktes finden aber nicht nur Verkäufer und Abnehmer besser zueinander. Auch das Wissen über Produktions- und Arbeitsbedingungen lässt sich besser bereitstellen und anhand von preislichen Vergleichen eine sparsamere Verwendung der verfügbaren (und begrenzten) Ressourcen erreichen. So kann effizienter und umweltverträglicher produziert und zugleich im Idealfall die Kaufkraft der weniger wohlhabenden Konsumenten gesteigert werden. Soweit die Theorie. Dass Unternehmen nicht immer daran interessiert sind, Transparenz über die Herstellungsbedingungen und Zusammensetzungen ihrer Produkte herzustellen, zeigen viele Probleme bei der Umsetzung des Verbraucherschutzes. Das Internet kann aber zumindest in Zukunft die Stellung der Konsumenten gegenüber den Firmen deutlich stärken. Vormals vereinzelte von einem Unternehmen enttäuschte Kunden bekommen nun voneinander Kenntnis und treten gemeinsam für Verbraucherschutz gegenüber dem Unternehmen ein. So ist das etwa im Fall der Deutschen Bahn und der Deutschen Telekom geschehen. DAS INTERNET ERHÖHT DEN ERWARTUNGSDRUCK AUF DIE POLITIK

Dieselben Wechselwirkungen kann man auch auf dem politischen »Markt« erkennen. Die Leistungsfähigkeit der eigenen politischen Führung, sei es in Demokratien oder autoritären Regimen, wird sowohl innerstaatlich als auch im Verhältnis des Inlands zum Ausland zunehmend vergleichbar. Das steigert die Erwartungen an die Politik. Nationale oder regionale Grenzen werden gegenwärtig schon im Bereich der Netzpolitik – siehe

PRISM-Thematik – und zukünftig auch in anderen Politikbereichen irrelevant. Parteipolitisch gefärbte Ansichten in der innerstaatlichen Debatte erscheinen zunehmend anachronistisch und wenig einfallsreich, etwa wenn es um nationale Steuersysteme, AutobahnMaut oder Betreuungsgeld geht. Die internationalisierte gesellschaftliche Sphäre und die national ausgerichtete juristische, volkswirtschaftliche sowie politische Abgrenzung gegenüber dem Ausland driften zusehends auseinander. ANWENDUNGSFALL TAFTA/TTIP: ÖKONOMIE IST NICHT ALLES

In diesem Sinne sind die gerade begonnenen Verhandlungen zum geplanten TAFTA/TTIP-Abkommen mit großer Spannung und Erwartungshaltung verbunden, da sie sowohl ein Element des politischen wie auch des wirtschaftlichen Marktes sind. Die positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt aus Sicht der rein volkswirtschaftlichen Analysen sind nach den bisher vorliegenden Studien anscheinend eindeutig. [1] Es gibt aber neben der rein volkswirtschaftlichen Analyse noch weitere Aspekte, nach denen sich Verbraucher und Arbeitnehmer, und damit Wähler, für oder gegen TAFTA/TTIP positionieren. Verbraucherschutz, ein Mindestmaß an Beteiligung – eigentlich eine Selbstverständlichkeit in Demokratien – und die Sorge um die Garantie guter Arbeitsplatzbedingungen sind mögliche Konfliktpunkte, die zu ignorieren die Chancen drastisch vermindern würden, solch ein Abkommen umzusetzen. Das Übergehen dieser anderen Perspektiven auf TAFTA/TTIP aus Sorge vor einem Nicht-Gelingen der Verhandlungen wäre allenfalls ein kurzfristiger Sieg über die Kritiker des Abkommens. Auf Dauer ist keine Politik gegen die grundsätzlichen Werte der Bevölkerung möglich. Eine politische Akzeptanz dieser Sorgen und Ängste der Bevölkerung sollten Politik und Wirtschaftswissenschaft sehr ernst nehmen. Zu den Aspekten, die meinungsbildend und entscheidungsrelevant werden könnten, gehören das Zustandekommen des Abkommens (intransparent, nicht zeitgemäß), die Einstellungen beiderseits des Atlantiks zum Verbraucherschutz, die Haltung der Menschen in den Ländern, die TAFTA/TTIP nicht beitreten werden, der Umgang des Abkommens mit der transnationalen digitalen Lebenswelt und das Gerechtigkeitsempfinden in sozialen Fragen beiderseits des Atlantiks.

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Die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen sollten daher zum Anlass genommen werden, die strategische Bedeutung des Internets sowohl als Thema wie auch als Werkzeug zur Vorbereitung von TAFTA/ TTIP als einem der wichtigsten anstehenden global relevanten Handelsabkommen besser zu würdigen. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass der Freihandel nicht nach den Regeln und Vorstellungen der Konsumenten und Arbeitnehmer erreicht würde, sondern ausschließlich nach den Vorstellungen einiger weniger international agierender Unternehmen oder einzelner Staaten mit Hegemonialcharakter↗. Geht es

Foto von Flicker-User b.wu, veröffentlicht unter CC-BY-2.0-Lizenz.

vielleicht am Ende gar nicht um Freihandel, sondern »nur« um »managed trade« im Sinne einiger weniger großen Unternehmen? [2] Die anstehenden Verhandlungen zu TAFTA/TTIP sind hier von übergeordneter strategischer Bedeutung, da sie im Kern eben nicht nur ökonomische Kontexte betreffen. An einem geplanten TAFTA/ TTIP-Freihandelsabkommen werden die drängenden Herausforderungen unserer Gegenwart im Zusammenspiel des Internets im Sinne eines Werkzeugs, Gegenstands und Möglichkeitsraums mit Globalisierung, Open Government und globaler Ungleichheit verdeutlicht. Einige konkrete Beispiele sollen die Komplexität der Fragestellungen darlegen. So sind beispielsweise VISA und MASTERCARD eben nicht nur Dienstleister im Internet. Die Weigerung gegenüber den Kreditkartenkunden, deren Finanztransaktionen an WikiLeaks↗ sowie internationale VPN↗-Anbieter auszuführen, hat die Gefahr verdeutlicht, dass große Unternehmen die Entscheidungen der Konsumenten in intransparenter 38 / 72

und nicht hinzunehmender Weise beeinflussen. Wenn Konsumenten nicht mehr freie Konsum- und Dienstleistungsentscheidungen treffen können und von Firmen in ihren Entscheidungen ganz konkret bevormundet werden, ist das nicht nur ökonomisch suboptimal, sondern ganz einfach undemokratisch. [3] So entsprechen die Produktion von Gen-Mais, Chlor-Hühnchen und Hormon-Milch zwar den Unternehmensphilosophien von Agrarkonzernen wie Monsanto – sie entsprechen aber eventuell nicht den persönlichen Wertemustern der Konsumenten. Während über die »Reisefreiheit« von Produkten verhandelt wird, gilt dieselbe Reisefreiheit mitnichten für Menschen in den betreffenden Ländern des geplanten TAFTA/TTIP-Abkommens. Man fragt sich: Wieso besitzt Mais Reisefreiheit – Menschen hingegen nicht? Die Folgen von TAFTA/TTIP werden sich auf eine Milliarde Menschen direkt auswirken. Dennoch wurde bis heute in keiner Weise darüber nachgedacht, wie diese eine Milliarde Menschen beim Zustandekommen des Vertrags berücksichtigt werden kann. Warum werden diese eine Milliarde Menschen in keiner Weise direkt an den Verhandlungen partizipiert? Bürger und Konsumenten können bisher über das Internet relativ frei kommunizieren und erleben die digitale Globalisierung und die Transnationalität des Netzes selbst, indem sie sich in unterschiedlichen Sprachen ausdrücken können. Andererseits werden sie von der traditionellen Industrie durch das künstliche Verknappen, so geschehen bei Smartphones, und Regulierungen von Konsumgütermärkten und Dienstleistungen, etwa eingeschränkte Betriebserlaubnisse für Pkws, in der physischen Welt täglich eingeschränkt und bevormundet. Sollte sich der Bürger – oder aber die zivilgesellschaftlichen Institutionen – nicht dafür einsetzen, dass die virtuelle Freihandels-Logik in ihrer zu Ende gedachten Konsequenz auch auf die nach wie vor unvollständige Globalisierung der physischen Welt übertragen wird? Dabei kann es nicht darum gehen, eine Art Alibi-Beteiligung der Zivilgesellschaft im Rahmen zeitlich oder thematisch begrenzter Formate durchzuführen, wie das etwa bei Bürgerhaushalten der Fall ist. Konsumenten, Bürger wie auch kleine und mittlere Produzenten auf beiden Seiten des Atlantiks haben das moralische wie demokratische Recht, im Rahmen eines bereits in der Internet-Governance erprobten MultistakeholderAnsatzes↗ substanziell an den Verhandlungen beteiligt zu werden.


Verbraucherschutz, ein Mindestmaß an Beteiligung und die Sorge um die Garantie guter Arbeitsplatzbedingungen sind mögliche Konfliktpunkte, die zu ignorieren die Chancen drastisch vermindern würden, solch ein Abkommen umzusetzen. Wieso besitzt Mais Reisefreiheit – Menschen hingegen nicht? HANDLUNGSLEITENDE FRAGEN:

Was könnte TAFTA/TTIP in unserem Alltag und für die Menschen in Ländern, die nur mittelbar vom Abkommen betroffen wären, bedeuten? Wie könnte oder müsste sich TAFTA/TTIP im Kontext globaler Interdependenzen verhalten? Welche Auswirkungen könnte TAFTA/TTIP auf den Klimawandel und auf supranationale politische Konstrukte, wie die NATO oder die UN, haben? Gibt es ein alternatives globales Wachstumsparadigma zu einer rein quantitativen Wachstumsgläubigkeit? Anders gefragt: Verträgt sich der Freihandel mit Klima- und Ressourcenschutz? Kann angesichts stark unterschiedlicher Werte im Umgang mit Lebensmitteln und Arbeitsbedingungen überhaupt ein Konsens beiderseits des Atlantiks erreicht werden? Wie könnte eine Blaupause einer innovativen, zukunftsgerichteten Beteiligung der Bürger aussehen? Wie könnten Werte der Bürger konkret in die Entscheidungen der Verhandlungsführer eingehen? Müssten diese Verhandlungen nicht durch eine Art interkulturelle Mediation begleitet werden? Wie könnten die Verhandlungen um die Globalisierung der physischen Welt um die positiven Erfahrungen mit der digitalen Welt im Umfeld der Jugendkultur (Globalität der eigenen Jugendkultur, Überwindung traditioneller kultureller Grenzen) bereichert werden? Wie kann der Multistakeholder-Ansatz↗ der Internet-Governance auf die physische Welt übertragen werden?

DIE HERAUSFORDERUNG: SACHLICHE UND GLOBALE KOMPLEXITÄTEN

TAFTA/TTIP und der Themenbereich Internet/Globalisierung zeigen die Merkmale globalisierter Problemstellungen auf. Multikausalitäten, supranationale Problemstellungen, unklare Wechselwirkungen mit Drittländern und anderen Politikfeldern sowie die Notwendigkeit eines offenen Prozesses sind die Merkmale moderner politischer Herausforderungen. Daher müssen die Akteure des Prozesses andere Wege einschlagen. Den Herausforderungen muss mit einer Politik 2.0 begegnet werden! Verschlossene Türen, intransparente Prozesse und Geheimverhandlungen sind nicht mehr state of the art. Hiermit sind die politischen und wirtschaftlichen Entscheider angesprochen: Lassen Sie uns mit Offenheit gegenüber den Menschen den Weg in einen modernen Freihandel beschreiten, der sich Transparenz, Partizipation und die Gleichheit aller Menschen weltweit auf die Fahnen geschrieben hat. ◊ [1] http://cesifo-group.de/de/ifoHome/facts/Aktuelles-Stichwort/Topical-Terms-Archive/ Transatlantic-Free-Trade-Agreement [2] http://project-syndicate.org/commentary/ transatlantic-and-transpacific-free-tradetrouble-by-joseph-e--stiglitz [3] http://torrentfreak.com/paypal-cuts-off-pirate-bay-vpn-ipredator-freezes-assets-130724/ und https://netzpolitik.org/2013/mailpile-paypalsperrt-account-des-per-crowdfundingfinanzierten-maildienstes/

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Das Internet der Konsumenten TTIP muss die Verbraucherrechte auf ein sicheres und privates Internet schützen.

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Miguelángel Verde Garrido Edward Snowden / NSA / Privatsphäre / Verbraucherrechte / Konsumverhalten

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Die meisten Gesellschaften fußen heute auf sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen, die Individuen und Gruppierungen als Verbraucher kategorisieren, als Nutzer von Waren und Dienstleistungen. Verbraucher spielen eine wichtige Rolle in der Wirtschaft eines Landes, denn was Unternehmen produzieren, wird von diesen bezahlt – oder eben nicht. Und da Verbraucher auch Bürger sind, hat das wirtschaftliche Konsumverhalten einen großen Einfluss auf die Politik. Die Zufriedenheit von Verbrauchern und ihr anhaltender Konsum sind bedeutend für das Funktionieren der Wirtschaft eines Landes und seiner Politik. So bedeutend, dass Regierungen die Gesetze zum Verbraucherschutz auf einem hohem Niveau sicherstellen müssen. Diese Gesetze machen die Unternehmen für die Qualität ihrer Waren und Dienstleistungen, aber auch für die angewendeten Strategien, die deren Konsum absichern, verantwortlich. Zugleich artikulieren sie die Verbraucherrechte. Schon seit geraumer Zeit kann man nicht mehr davon sprechen, dass Verbraucher passiv konsumieren. Verbraucheraktivismus ist motiviert durch ethische und gesellschaftspolitische Standpunkte. Gefordert wird dabei alles Mögliche, von verbesserten Arbeitsbedingungen in der Produktion über die verpflichtende Kennzeichnung von Waren bis hin zur ethisch vertretbaren Behandlung von Nutztieren. Bei den Verhandlungen zu TAFTA/TTIP muss die Entwicklung von gemeinsamen Standards für Waren und Dienstleistungen eine zentrale Rolle spielen, damit Verbraucher und Volkswirtschaften geschützt sind. Heutzutage ist – aufgrund der Bedeutung von Informations-, Waren- und Dienstleistungsflüssen und Menschen für die globale Wirtschaft – die Entwicklung von Standards für Waren und Dienstleistungen im Zusammenhang mit Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) von höchster Bedeutung. Das globale System von miteinander verbundenen Computernetzwerken, das diesen steten Austausch ermöglicht, ist das Internet, das Milliarden von Menschen über unzählige IKT-Netzwerke und internetfähige Geräte verbindet.

Anfang Juli 2013 hat der Guardian den ersten einer ganzen Serie von Enthüllungsartikeln über die skandalöse Überwachungspolitik und -praxis der USA und anderer Länder veröffentlicht. [1] Damit wurde die Fragilität des Internets und folglich unserer globalen Vernetzung immer offensichtlicher. Der Name Edward Snowden↗ ist sowohl ein Synonym für einen heldenhaften Whistleblower als auch für einen Landesverräter – je nachdem, wen

man fragt. Er ist aber auch ein Synonym für die nicht mehr bestreitbare Tatsache, dass die Geheimdienste NSA (USA) und GCHQ (Vereinigtes Königreich) an einem beispiellosen Überwachungsskandal beteiligt sind. Daher rührt wohl auch der Fokus der EU auf die eigene Datenschutz-Gesetzgebung, die bei den Verhandlungen durchgeboxt werden soll. Ein Grund hierfür ist wahrscheinlich, dass deutsche Firmen Besorgnis geäußert haben, dass Wettbewerber aus den USA Industriespionage betreiben könnten. [2] Wichtiger hinsichtlich der Verbraucherrechte sind die jüngsten Enthüllungen über die Operationen der NSA, um den Großteil der OnlineVerschlüsselung – die digitale Kodierung von Information, um sicherzustellen, dass nur autorisierte Personen diese lesen können – dekodieren zu können. Verschlüsselung ist entscheidend für Internetnutzer, da sie die von ihnen via IKT versendeten Daten schützt: Handels- und Banksysteme, Betriebsgeheimnisse und Krankenakten, E-Mails, Websuchen und Telefongespräche. [3] Die britischen und amerikanischen Geheimdienste waren äußerst kreativ, um sich Zugang zu diesen Daten zu verschaffen: Eine Herangehensweise ist der Einsatz von Supercomputern, die die Verschlüsselung mittels Brute-Force-Methode knacken, dem systematischen Überprüfen jedes möglichen Verschlüsselungscodes, bis der richtige gefunden ist. Eine weitere Methode ist die enge Zusammenarbeit mit Technologieunternehmen und Internetdienstanbietern, den Internet Service Providers/ISPs↗, um Waren und Dienstleistungen mit geheimen Schwachstellen oder »Hintertüren« zu versehen. Am alarmierendsten allerdings ist die Tatsache, dass man offenbar keinerlei Bedenken hatte, sich heimlich die Kontrolle über internationale Verschlüsselungsstandards zu sichern, um das dann später auszunutzen. [4] Die NSA gibt pro Jahr mehr als 250 Millionen USD (circa 185 Millionen Euro) aus, um Waren und Dienstleistungen von Technologieunternehmen zu »unterwandern« und Strategien, Standards und Spezifizierungen für kommerzielle Verschlüsselung zu beeinflussen. Ein von amerikanischen Diensten entwickelter und somit ausbeutbarer Verschlüsselungsstandard wurde 2006 vom US-amerikanischen National Institute of Standards and Technology übernommen, später auch von der Internationalen Organisation für Normung (ISO). So wurde sichergestellt, dass die 163 Mitgliedsstaaten diesen Standard in ihren Märkten einführen. [5] Schwachstellen bei sicherheitsrelevanten Waren werden implementiert, Verschlüsselungsstandards unterwandert und kryptografische 41 / 72


Details über industrielle Beziehungen erlangt – stillschweigend. [6] Der Verbraucher soll keinerlei Kenntnis davon haben, wie Firmen dabei kollaborieren und/oder zur Kollaboration mit diesen Stellen gezwungen werden. Der SPIEGEL hat kürzlich darüber berichtet, dass die NSA Zugriff auf sensible Daten, wie Kontaktlisten, SMS-Datenverkehr oder GPS-Koordinaten, hat, und zwar bei so beliebten Smartphones wie dem iPhone, bei Blackberry-Geräten und solchen mit einem Android-Betriebssystem. [7] Die gesellschaftspolitischen Implikationen dieser Überwachungsstrategien und -praktiken mögen zu den Fragen unserer Zeit zählen, aber für den Verbraucher haben sie noch viel weiter reichende Konsequenzen: den kompletten Zusammenbruch des Vertrauens im Online-Bereich und ein noch höheres Risiko für Daten-Kompromittierungen. Bruce Schneider, Verschlüsselungs- und Sicherheitsexperte an der Harvard-Universität, erklärt, dass Kryptografie die Grundlage von Online-Sicherheit und -vertrauen bildet. Wenn die amerikanischen und britischen Geheimdienste diese unterminieren, bedrohen sie damit die Substanz des Internets und unser Vertrauen in dessen wirtschaftliche Nutzbarkeit. Christopher Soghoian, Senior Policy Advisor bei der amerikanischen Bürgerrechtsunion America Civil Liberties Union, argumentiert, dass Schwachstellen und Hintertüren jeden Nutzer eines Systems erhöhten Risiken der Daten-Kompromittierung aussetzen – also nicht nur die Nutzer, die konkret überwacht werden. [8] Es kann in keiner Weise gewährleistet werden, dass nicht Dritte diese Möglichkeiten für (andere) illegale Aktivitäten ausnutzen, wie zum Beispiel Bank- und Kreditkartenbetrug, Erpressung und Identitätsdiebstahl. Wenn Konsumenten ausgerechnet den Waren und Dienstleistungen nicht mehr trauen können, die eigentlich ihrer Sicherheit dienen sollen, dann stellt das einen Bruch der Verbraucherrechte dar, gleich welche Entschuldigungen eine Regierung mit Verweis auf die nationale Sicherheit vorbringen mag. Jetzt, da wir wissen, dass Microsoft mit der NSA zusammenarbeitet, so dass letztere die Verschlüsselung von Microsoft-Produkten umgehen kann, gibt es kaum Schutzmaßnahmen für Verbraucher in den USA, die das E-Mail-Programm Outlook und Chat-Dienste dieser Firma nutzen. [9] Für Verbraucher in der EU gibt es in diesem Fall sogar noch weniger Schutzmaßnahmen. Und wir sollten dabei nicht vergessen, dass Betrug, Fehldarstellung, Haftung und Schadenersatz klar im Geltungsbereich des Verbraucherschutzes liegen. 42 / 72

Selbst wenn man für einen Moment ausblendet, dass es bisher noch keine Beweise für die angebliche Bespitzelung von EU-Behörden durch die USA gibt [10], bleibt doch die Frage, wie die Europäische Union sich mit den USA zusammensetzen und Themen wie das Internet und andere IKT-Standards erörtern kann, ohne dabei eine Miene zu verziehen. Die Internet Association, eine Interessengruppe US-amerikanischer Technologiefirmen und ISPs, fordert ein, dass TAFTA/TTIP ihnen einen »einzigen globalen digitalen Informationsmarktplatz« ohne »Offline-Barrieren« liefert. [11] Wie ehrlich kann der Austausch innerhalb der transatlantischen Gemeinschaft bezüglich wirtschaftlicher Digitalität allerdings sein, wenn weithin genutzte Online-Sicherheitsprotokolle vom NSA aktiv ausgeschlachtet werden? Die Tatsache, dass die Verhandlungen weiterhin hinter verschlossenen Türen stattfinden, schadet der Transparenz, auf die man als Bürger und als Konsument ein Anrecht hat: Schließlich dienen Freihandelsabkommen – neben dem Wohl von Wirtschaftsunternehmen – vor allem dem Wohl der Verbraucher. TAFTA/TTIP hat das Potenzial, eine ganze Reihe von Vorteilen zu bieten: Einer der wichtigsten wäre, einen starken transatlantischen Verbraucher-Aktivismus im Bereich Information zu etablieren. Evgeny Morozov schreibt über die gesellschaftspolitischen Implikationen von Technologie. Er bringt es auf den Punkt, wenn er uns daran erinnert, dass meist unsere Konsumgewohnheiten der Grund dafür sind, dass persönliche Daten in die Hände von Unternehmen gelangen. [12] Eine Internet-Weisheit besagt, dass kostenlose Dienstleistungen bedeuten, dass der Nutzer nicht mehr Kunde ist, sondern durch die Preisgabe seiner Daten selbst zum Produkt wird. Verbraucher-Aktivismus muss im Falle von Informationskonsum folglich ebenfalls ethische Standards anwenden – ähnlich der Motivation von deutschen Verbrauchern, die den Abbau der Atomenergie einfordern oder US-Konsumenten, welche auf die Ausweitung von fair gehandelten Produkten dringen. Gleich auf welcher Seite des Atlantik sie sich befinden, Konsumenten tragen Verantwortung zur Selbstverantwortung und dafür, sich als interessierte Verbrauchergruppen zu organisieren, damit sie ihren Belangen eine Stimme geben können. Die Möglichkeit, Respekt für ihren verantwortlichen Konsum einzuholen, könnte näher liegen als gedacht. Genau wie der Weg, den informierte Verbraucher letztes Jahr gegangen sind, als sie europäische Regierungen mit ihren


Schwachstellen bei sicherheitsrelevanten Waren werden implementiert, Verschlüsselungsstandards unterwandert und kryptografische Details über industrielle Beziehungen erlangt – stillschweigend. Der Verbraucher soll keinerlei Kenntnis davon haben, wie Firmen dabei kollaborieren und/oder zur Kollaboration mit diesen Stellen gezwungen werden.

[3] Perlroth, N., Larson, J. und Shane, S.: »N.S.A. able to foil basic safeguards of privacy on Web«, New York Times: http:// nytimes.com/2013/09/06/us/nsa-foils-muchinternet-encryption.html?pagewanted=all, Stand: 5. September 2013 [4] Ball, J., Borger, J. und Greenwald, G.: »How US and UK spy agencies defeat Internet privacy and security«, The Guardian: http://theguardian.com/world/2013/ sep/05/nsagchq-encryption-codes-security, Stand: 5. September 2013 [5] Larson, J., Perlroth, N. und Shane, S.: »The NSA’s secret campaign to crack, undermine Internet security«, ProPublica: http://propublica.org/article/the-nsas-secretcampaign-to-crack-undermine-internet-encryption, Stand: 5. September 2013 [6] Perlroth, N., Larson, J. und Shane, S.: a.a.O. [7] »Privacy scandal: NSA can spy on smart phone data«, Der Spiegel: http://spiegel.de/international/world/ privacy-scandal-nsa-can-spy-on-smart-phone-dataa-920971.html, Stand: 9. September 2013 [8] Perlroth, N., Larson, J. und Shane, S.: a.a.O. [9] Devaney, T.: ebd. [10] Poitras, L., Rosenbach, M. und Stark, H.: »Codename

Stimmen als Bürger und Konsumenten beeinflusst und die EU dazu gebracht haben, das Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen (ACTA) abzulehnen. Wie Edward Snowden sagt: Das schlimmste Szenario, was diese Enthüllungen betrifft, wäre, dass sich trotz ihrer nichts ändert. Nur komplett apathische und träge Verbraucher könnten es dazu kommen lassen, das Gleiches für TAFTA/TTIP gilt. ◊

‚Apalachee’: How America spies on Europe and the UN«, Der Spiegel: http://spiegel.de/international/world/ secret-nsa-documents-show-how-the-us-spies-oneurope- and-the-un-a-918625.html, Stand: 26. August 2013 [11] Chester, J.: »US could exploit trade deal to expand spying«, Deutsche Welle: http://dw.de/us-could-exploit-tradedeal-to-expand-spying/a-17013629, Stand: 12. August 2013

[1] Greenwald, G.: »NSA collecting phone records of millions of Verizon customers daily«, The Guardian: http://theguardi-

[12] Morozov, E.: »Information consumerism: The price of

an.com/world/2013/jun/06/nsa-phone-records-

hypocrisy«, Frankfurter Allgemeine Zeitung: http://faz.net/

verizon-court-order, Stand: 6. Juli 2013

aktuell/feuilleton/debatten/ueberwachung/information-consumerism-the-price-of-

[2] Devaney, T.: »NSA scandal weakens U.S. in EU trade

hypocrisy-12292374. html, Stand: 24. Juli 2013

talks, matches China on data theft fears«, The Washington Times: http://washingtontimes.com/news/2013/ aug/8/nsa-scandal-weakens-us-in-eu-tradetalks/?page=all#pagebreak, Stand: 8. August 2013

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TTIP & Menschenrechte Wie nehmen globale und regionale Handelsabkommen und Freihandelszonen, wie TTIP/ TAFTA, Einfluss auf die Menschenrechte und insbesondere auf die Teilhabe der Bevölkerung und indirekt betroffene Interessenvertreter? Ein Interview mit Ante Wessels, Analyst beim Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur e. V. (FFII).

Der FFII (www.ffii.org) ist ein globales Netzwerk von Verbänden, die es sich zum Ziel gemacht haben, über freie und wettbewerbsfähige Softwaremärkte, echte und offene Standards und Patentwesen mit niedrigeren Wettbewerbshürden zu informieren. Die Beiträge des FFII haben die Ablehnung der EU-Richtlinie zur Softwarepatentierung im Juli 2005 ermöglicht, in enger Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament und vielen Partnern aus Industrie und Zivilgesellschaft. Das News-Portal CNET hat den FFII für seine Arbeit mit dem Preis für »Herausragender Beitrag im Bereich Softwareentwicklung« ausgezeichnet. Der FFII verteidigt weiterhin unser Recht auf einen freien und wettbewerbsfähigen Softwaremarkt und auf Informationsfreiheit.

Interview: Isabel Gahren Privatsphäre / ISDS

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Ante Wessels, nach den Handelsabkommen im Rahmen von TAFTA/TTIP befürchten wir, dass Menschenrechte, etwa Meinungsfreiheit, Datenschutz und Datensicherheit, bei den Verhandlungen keine Rolle spielen. Wir möchten zuerst wissen: Welche Konsequenzen haben Freihandelsabkommen wie das geplante TAFTA/TTIP? Bei Handelsabkommen geht es nicht nur darum, Handelszölle zu senken. Sie zielen auch darauf ab, gesetzliche Rahmenbedingungen zu nivellieren, weil unterschiedliche Bestimmungen den Handel hemmen. Wenn die EU mit einem kleineren Land verhandelt, versucht sie, dem Verhandlungspartner eigene Gesetze aufzuoktroyieren. Das kann weitreichende Konsequenzen für die Entwicklungsmöglichkeiten des kleinen Partners haben. Viele Menschen können ihre Jobs verlieren, während in anderen Bereichen die Beschäftigung steigt. In anderen Ländern versucht die EU, die Durchsetzung von Gesetzen zum Schutz des geistigen Eigentums zu forcieren, was den Zugang zu medizinischer Versorgung, Wissen und Kultur erschwert und die Möglichkeiten für Start-up-Unternehmen in den Bereichen Innovation und Wettbewerb beschneidet. Verhandlungen mit den USA gestalten sich anders, denn die USA sind mindestens so mächtig wie die EU. Für die EU ist es schwieriger, einen Weg aus der Wirtschaftskrise zu finden, das stärkt die Position der USA. Es könnte sein, dass die USA die europäischen Standards beim Schutz von Arbeitern, Verbrauchern und der Umwelt auszuhöhlen versucht. Was könnten diese möglichen Vereinbarungen für die Menschenrechte bedeuten? In den Präambeln von Handelsabkommen findet man Garantien bezüglich der Menschenrechte, aber Präambeln sind rechtlich nicht bindend. Da Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, wird erst nach deren Abschluss klar, inwiefern Menschenrechte betroffen sein könnten. Der Druck, solch ein Abkommen zu ratifizieren (»Es wird Arbeitsplätze schaffen!«), kann sehr hoch sein. Eine negative Konsequenz für die Menschenrechte wird in den meisten Fällen nicht ausreichen, um die Ratifizierung eines Abkommens zu kippen. Während die Verhandlungen laufen, müssen sich zivilgesellschaftliche Gruppen mit den Informationen begnügen, die zufällig durchsickern. Das ist alles andere als befriedigend.

Die Tragweite von Verhandlungen, die den Handel betreffen, ist üblicherweise ziemlich umfassend. Diverse Menschenrechte können davon betroffen sein. Viele Handelsabkommen schränken den Zugang zu medizinischer Versorgung ein, also das Recht auf Gesundheit. Das Recht auf Privatsphäre würde vom geplanten TAFTA/TTIP bedroht, denn Firmen aus der USA wünschen sich einen schwächeren Datenschutz in der EU. Es ist nicht klar, ob Datenschutz Bestandteil von TAFTA/TTIP sein wird. Aber selbst wenn Datenschutz bei den handelspolitischen Verhandlungen keine Rolle spielt, könnte in diesem Punkt Druck auf die EU ausgeübt werden. Gegen das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) wurde massiv mobil gemacht. Letztes Jahr hat es das Europäische Parlament abgelehnt. Es gibt also gute Gründe, über den Schutz geistigen Eigentums nicht bei TAFTA/TTIP zu verhandeln. Aber die EU will geografische Angaben, etwa bei Produkten wie Parmaschinken oder Champagner, stärker schützen. Dafür könnten die USA beispielsweise eine stärkere Durchsetzung des Urheberrechts einfordern, womit wir wieder vor der Problematik von ACTA stünden und den Problemen zu den Themen Meinungsfreiheit, Privatsphäre und Zugang zu Wissen und Kultur. [1] Ein besonders gefährlicher Aspekt von handelspolitischen Verhandlungen, auch bei TAFTA/TTIP, sind Schlichtungen zwischen Investoren und Staaten (Investor-to-State Dispute Settlement (ISDS)). Diese geben multinationalen Konzernen das Recht, Staaten vor Sondergerichten zu verklagen, wenn Gesetzesänderungen deren Profite stärker beschneiden als erwartet. ISDS ist also für multinationale Konzerne ein Instrument, um Richtlinien in den Bereichen Umwelt, Gesundheit und Privatsphäre und die Reform des Urheberrechts und der Patentgesetzgebung anzufechten. Multinationale Konzerne sind nicht an das lokale Gerichtssystem gebunden. ISDS-Fälle werden von Sondergerichten entschieden, die aus drei Investmentanwälten bestehen. Diese Sondergerichte stehen sowohl außerhalb des lokalen Gerichtssystems als auch über diesem. Die Sondergerichte können Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs kippen. Schon eine kleine Gemeinschaft von Schiedsgerichten verfügt über enorme Macht. Schiedsgerichte teilen Werte und 45 / 72


Interessen, sie sind eine elitäre Lobbygruppe. Menschenrechte interessieren sie nicht. Es wird nicht ausreichen, wenn man dem ISDS-System mit Sicherheitsklauseln beizukommen versucht. Eine mächtige elitäre Lobbygruppe kann diese immer irgendwie umschiffen. Die einzige Lösung ist der Ausschluss, das Verbot von ISDS bei EUHandelsabkommen. [2]

»Schon eine kleine Gemeinschaft von Schiedsgerichten verfügt über enorme Macht. Schiedsgerichte teilen Werte und Interessen, sie sind eine elitäre Lobbygruppe. Menschenrechte interessieren sie nicht.« Ante Wessels über das ISDS (Investor-to-State Dispute Settlement).

In welcher Weise könnte sich TAFTA/TTIP nicht nur auf die Freihandelszone auswirken, sondern auch auf andere Länder? Die EU und die USA werden versuchen, einen eigenen »Maßstab« zu etablieren, eine Vorlage also, die sie auch bei anderen Handelsabkommen anwenden können, und die später dann als Grundlage für multilaterale Abkommen dient, beispielsweise für WTO-Abkommen.

Wie beeinflusst (digitale) Globalisierung Menschenrechte offline und online? Globalisierungseffekte machen sich bei Unternehmen schneller bemerkbar als bei politischen Institutionen und Prozessen – ganz abgesehen davon, ob wir wirklich wollen können, dass politische Institutionen »globalisieren«. Das stärkt die Position von multinationalen Konzernen gegenüber Staaten. Letztlich dürften Staaten immer weniger fähig sein, Menschenrechte zu schützen. Die USA ergreifen extraterritoriale Maßnahmen, um ihre Interessen wahrzunehmen. Ungesetzliche Maßnahmen und privatisierte Maßnahmen. Richard O’Dwyer ist ein britischer Bürger, der nicht gegen britisches Recht verstoßen hat. Trotzdem muss er die Auslieferung an die USA fürchten und dort vor Gericht gestellt zu werden – wegen Hyperlinks. Viele US-amerikanische Internetfirmen operieren auf globaler Ebene und wenden US-amerikanisches Recht auch außerhalb der Landesgrenzen an, auf EU-Firmen und -Bürger. So können sie dem Wettbewerb und den Bürgern in der EU schaden. Weil die Gesetzgebung im

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Bereich geistigen Eigentums so komplex ist, sind innovative Unternehmen oft gezwungen, in einer gesetzlichen Grauzone zu operieren. Das macht EU-Firmen und ihre Kunden verwundbar für »fremde«, extraterritoriale Maßnahmen. Die Europäische Menschenrechtskonvention und die EU-Grundrechtecharta schützen EU-Firmen und -Bürger nicht gegen solche extraterritorialen Maßnahmen. Wie kann jeder Bürger auf demokratische Weise an den Verhandlungen über TAFTA/TTIP teilhaben? Legitimität, Ausgewogenheit und Qualität sind bei Bestimmungen wesentliche Aspekte. Der Vertrag über die Europäische Union (EUV) bietet uns Orientierungshilfe, wie man Legitimität, Ausgewogenheit und Qualität erreichen kann. Artikel 1 des EUV bezeichnet Offenheit als untrennbar mit der EU verbundenes Charakteristikum: »Entschlossen, den Prozess der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas, in der die Entscheidungen entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip möglichst bürgernah getroffen werden, weiterzuführen.« Artikel 1 des EUV impliziert, dass die Union nicht den Weg hin zur Vertraulichkeit wählen kann, wenn es einen Weg gibt, der zur Offenheit führt. Offene Verhandlungen führen immer zu besseren Ergebnissen als solche hinter verschlossenen Türen. Handelspolitische Verhandlungen sollten allgemein offener und bürgernaher ablaufen. Zuallererst ist ein auf vielfache Weise verbesserter Zugang zu Dokumenten vonnöten. Außerdem verletzen geheime handelspolitische Verhandlungen mit den USA das Menschenrecht auf Partizipation, das der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte gesetzlich verankert hat. [4] Ante Wessels, vielen Dank für diese interessanten und nützlichen Einsichten. ◊ [1] http://citizen.org/IP-out-of-TAFTA [2] http://acta.ffii.org/?p=1942 [3] http://corporateeurope.org/trade/2013/09/ european-commission-preparing-eu-us-trade-talks119-meetings-industry-lobbyists [4] http://acta.ffii.org/?p=1922

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Internet und Nachhaltigkeit Man kann zweifeln, dass internationale und insbesondere interkontinentale Handelsabkommen nachhaltig sind. Kann das Internet hierbei für Ausgleich sorgen? Internet, Globalisierung und Nachhaltigkeit, das sind drei spannende Themen unserer derzeitigen Welt, die zahlreiche Interpretationen zulassen und uns diverse Perspektiven anbieten, welche wiederum verschiedene Szenarien eröffnen. Der Autor dieses Artikels wird als Beobachter der internationalen Politik und der so genannten »Sustainability Transitions« (Nachhaltigkeitstransitionen) versuchen, realistisch zu bleiben und diese Schlüsselbegriffe einfach und auf sicherem Boden zu kombinieren, indem er einige relevante Fakten und mögliche Entwicklungen skizziert. Es geht nicht um eine vollständige Analyse dieser komplexen Problemfelder oder das Liefern von DER einen These. Globalisierung ist ein Prozess, der bis zum heutigen Tage bereits sehr weit fortgeschritten ist. Dasselbe gilt für damit in Zusammenhang stehende Wirtschaftsprojekte wie TAFTA/TTIP, ein Abkommen, das in sehr naher Zukunft eine Freihandelszone zwischen den USA und der EU schaffen will. Obwohl Globalisierung bereits heute eine eigene Geschichtsschreibung hat, können wir sie doch als ein relativ neues Phänomen betrachten, insbesondere, wenn wir sie als umfassende Integration der Weltwirtschaft verhandeln. Trotzdem entwickelt sie sich rasant und erhält so auch immer größere Bedeutung.

Wenn wir das als gegeben erachten, landen wir schnell bei der folgenden provokanten Frage: Ist der Globalisierungsprozess als solcher eine nachhaltige und dauerhafte Form wirtschaftlicher Entwicklung? Wird er – anders formuliert – kommenden Generationen eine Welt und eine Umwelt bieten, die lebenswert ist? Oder, nochmal anders: Werden wir Globalisierung und ihre Dynamiken mittel- und langfristig immer noch im Zusammenhang mit beschleunigter Ausweitung der globalen Wirtschaft diskutieren? Diese Fragen sind alles andere als leicht zu beantworten, wenn wir mitbedenken, dass sich die Menschheit – derzeit sind es über sieben Milliarden Menschen – zum ersten Mal damit beschäftigen muss (oder eben nicht beschäftigen muss), dass es vom Menschen verursachte destruktive Veränderungen gibt: fortschreitende Umweltzerstörung, den Klimawandel und eine lange Liste von »alten«, aber immer noch ungelösten Problemen, die damit zusammenhängen. Die Verknappung von natürlichen Rohstoffen, die Abnahme der Biodiversität, die Luftverschmutzung oder der Mangel an sauberem Wasser, all das kann ernste Konsequenzen hinsichtlich der menschlichen Sicherheit haben und sollte deshalb mit entsprechender Aufmerksamkeit bedacht werden. Andrea Licata Rohstoffe / Umwelt

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Ist der Globalisierungsprozess als solcher eine nachhaltige und dauerhafte Form wirtschaftlicher Entwicklung? Der Problemkomplex des wirtschaftlichen Globalisierungsprozesses, insbesondere der globale Markt und das globale System der Produktion und dessen Umwelteinflüsse, das sind die Hauptgründe für diese globalen Risiken. Wenn wirtschaftlicher Wettbewerb weiterhin nachhaltige Zusammenarbeit hemmt – beispielsweise beim Klimawandel – könnte das die Tür öffnen für ein neues philosophisches und historisches Paradigma, für eine neue Weltanschauung. Wenn die Menschheit Klima und Ökosystem des Planeten »unabsichtlich« verändern, natürliche Rohstoffe verknappen und die Luft verschmutzen konnte, können wir dann sicher sein, dass interkontinentaler Handel, der all dies weiter vorantreibt, die richtige Wahl für die Zukunft ist? Tatsächlich gibt es kein einziges Unternehmen, keine Regierung oder Universität, die sich des Themas Nachhaltigkeit nicht angenommen hätte. Wenn man aber einfach mal durch ein beliebiges Geschäft schlendert, kann man sich schon fragen, ob es wirklich nachhaltig ist, Produkte des täglichen Bedarfs, die von einem anderen Kontinent stammen, zu verkaufen, oder ob eine lokale Produktion nicht weit nachhaltiger wäre. Produktion und Handel auf globaler Ebene verbrauchen transportbedingt mehr Energie, belasten die Umwelt und sogar die lokale Wirtschaft stärker. Letzteres sollte man nicht unterschätzen, besonders in Zeiten wirtschaftlicher Krisen. Um zum entscheidenden Punkt zu kommen: Was ist die wissenschaftliche Grundlage für das Konzept globalen Handels? Ist es erwiesen, dass der Planet standhalten wird – und, falls ja, wie lange – hinsichtlich dieser »neuen« Idee eines globalen Markt- und Produktionssystems, das auf Delokalisierung und globaler Ausweitung von Fertigung und interkontinentalem Transport der meisten Waren – sogar Waren des täglichen Bedarfs – fußt? Ist ein Arbeitssystem, das Arbeitskräfte von Land zu Land oder sogar von Kontinent 50 / 72

zu Kontinent ziehen lässt, für die Umwelt, aber auch für die Arbeitskräfte nachhaltig? Und, um den letzten der drei Schlüsselbegriffe mit einzubeziehen: Passen die Idee »Internet« und diese wahnwitzige Logik überhaupt zusammen? Ich muss zugeben, dass ich skeptisch bin hinsichtlich der Nachhaltigkeit dieses interkontinentalen Handelsund Produktionsmodells, mit all seinen Konsequenzen und Kosten, besonders im digitalen Zeitalter. Wir sprechen bereits seit den 1970er Jahren über die Grenzen des Wachstums, wie beim Club of Rome geschehen, die in direktem Zusammenhang mit den Grenzen unseres Planeten stehen. Globaler Handel hat eine eigene Geschichte: Marco Polo erreichte Asien bereits im 13. Jahrhundert. Der entscheidende Unterschied ist allerdings, dass die Grundlage der gesamten Wirtschaft damals lokal und nicht global war. Globaler Handel war die Ausnahme, nicht die Regel. Heute lautet die Frage: Werden Produktion und Handel auf lokaler Ebene die Ausnahme und globaler Handel die Regel? Und wie geht das zusammen mit den Errungenschaften des digitalen Zeitalters? Die den heutigen Entwicklungen innewohnenden Widersprüche sind stark und offensichtlich. Trotz der Tatsache, dass es das Internet, Videokonferenz-Systeme und interkontinentale Kommunikation gibt, steigt die Zahl von transnationalen Geschäftstreffen und sogar Konferenzen zum Klimawandel unaufhörlich. Was ist mit der ursprünglichen Idee des Internets, es Menschen zu ermöglichen, von zuhause aus zu arbeiten, auf einfache Weise von Kontinent zu Kontinent zu kommunizieren und sich digital miteinander zu vernetzen statt offline? Was könnten denn die praktischen Vorteile des Internets sein, wenn nicht das Einsparen von Ressourcen, die jetzt beispielsweise für Interkontinentalflüge verschwendet werden? Warum nicht die Vorteile des Internets nutzen, um auf wirtschaftlicher und umweltbezogener Ebene »Kosten« einzusparen? Wenn wir das täten, würden die Aspekte »Internet«, »Globalisierung« und »Nachhaltigkeit« beginnen zusammenzuwirken, nicht gegeneinander. Wenn nicht, dann ... ◊


TTIP was bleibt offen? Größer, weiter, schneller. Globale Wirtschaft ohne Grenzen – zumindest zwischen den USA und Europa. TAFTA/TTIP soll die USA und Europa zur Wirtschafts-NATO der Welt machen. Nur, wer braucht das wirklich? Sind alle menschlichen Sorgen beseitigt, wenn die Wirtschaft immer ungebremster im globalen Wettbewerb in China produzieren lässt? Es ist Zeit für Kritik am globalen Lied »Wirtschaft, Wirtschaft unser ein und alles«. Es ist Zeit, auch soziale Fragen stärker in den Vordergrund zu rücken. Solche Abkommen dürfen nicht nur unter wirtschaftlichen Aspekten verhandelt werden, sondern sollten auch in der vollen Komplexität sozialer und ökologischer Systeme bearbeitet werden.

Oliver Strixner Wettbewerb/ Wirtschaft / Kontrolle

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Für wen machen die das eigentlich? Wie viel ist bei diesen bürokratischen Organisationsgebilden eigentlich noch im gesunden Interesse für die Menschen? Wie viele Menschen arbeiten für einen Hungerlohn, damit andere sich das nächste Smartphone kaufen können? Ist die Administrationsebene von Staaten und Konzernen so weit weg von den realen Lebensbedingungen der Menschen, oder interessiert es sie nicht? Ist das kurzfristige Ziel »Wir müssen Geld machen« wichtiger als gesundheitsfördernde Faktoren wie reine Luft oder eine intakte Natur, die uns mit allem versorgt, was wir zum Leben brauchen? Was für ein zwischenmenschliches Umfeld brauchen wir, um uns wohl und geborgen zu fühlen in einer globalen Gemeinschaft von Menschen? Welche globalen Probleme lösen TAFTA/TTIP wirklich? Oder geht es gar nicht mehr darum? Sind wir schon in einem selbstzerstörerischen System gefangen, das nur versucht den Status Quo aufrecht zu erhalten? Sind das die treibenden Motive: Wer erklimmt in der Liga die Wirtschaftsmeisterschaft, beziehungsweise wie schütteln wir stärker werdende Mannschaften ab? Alles scheint sich nur um Geld zu drehen, mit welchem Preis das erreicht wird, ist scheinbar egal, Hauptsache unterm Strich steht ein »+«. Politiker träumen immer noch davon, dass die Prognosen von Ökonomen alle Probleme lösen. Wirtschaftswachstum ist der Motor – und der brummt. Alles andere zählt nicht, denn die statistischen Durchschnittswerte sind umwerfend. Nur dumm, das dies in die »Mittelwertfalle« [1] führt: Wenn ein Konzern 21 Milliarden Euro Gewinne macht und 100.000 Unternehmen 200.000 Euro Verluste machen, ist das in der Summe immer noch ein Plus von 1 Millarde Euro – allerdings nur noch bei einem Unternehmen. Das sind im Durchschnitt bei allen Unternehmen ein Gewinn von circa 10.000 Euro (arithmetischer Mittelwert). Es wird nicht genau geprüft, wo und wie das Geld konkret bei wem ankommt. Besser wäre es, sich über Systemmodelle und Systemsimulationen leiten zu lassen und diese Daten dann bitte als Open Data zu veröffentlichen. Dass dieser Motor eigentlich gar nicht mehr läuft, sondern nur vom globalem Lohndumping getragen wird, und sein Sound – der dumpfe Brummton der Wirtschaft – vielleicht nur von der Soundanlage einer stets positiven Berichterstattung kommt, bekommen die Entscheider in den Hierarchien gar nicht mehr mit. Befinden sich die wichtigen Entscheider schon 52 / 72

über den Wolken und haben eine vernebelte Sicht auf die Welt? Sind sie so weit von der Realität weg, dass sie ihren Blick auf eine kumulierte Zahl fixieren, das Plus vor dem Wirtschaftswachstum? Sind die Schäden durch wirtschaftliches Handeln nur ein Problem, das die Bürger der Welt aus eigener Tasche bezahlen sollen? Welche Themen werden immer wieder politisch verschoben, anstatt sie entschlossen anzupacken? Hier eine Auswahl: Umweltkatastrophen verursachen Milliardenschäden [2], doch wirksame Klimaabkommen scheitern regelmäßig am Veto Amerikas. Es gibt keine Veränderung im weltweiten Raubbau an der Natur. Aus wirtschaftlichen Gründen müssen wir anscheinend den Planeten zerstören? Die Finanzkrise wurde durch Missmanagement in Banken und der Immobilienbranche verursacht. Eine Bank wie die amerikanische Lehman Brothers stürzt und zieht alle mit – oder zumindest diejenigen, die unübersichtlich riskante Finanzpapiere lieben. Es waren anscheinend sehr viele. Zum Glück können wir unseriösen Geschäftemachern mit Steuergeldern unter die Arme greifen. Jetzt brauchen wir erst recht mehr Wachstum, oder? Atomenergie ist superbillig für die Stromgewinnung, nur gibt es keine Lösung für den Müll und keine Lösung für radioaktive Strahlung im Fall eines Unfalls. Gut, dass meine Wohnung weit weg von Tschernobyl und Fukushima ist. Weiter so! Jede Veränderung bedeutet eine ökonomische Kostensteigerung und ist schlecht für das Wirtschaftswachstum. Schließlich wollen wir Erster bleiben. Klar, wird schon gut gehen. Bedeutet das Internet grenzenlose Kommunikationsfreiheit, oder ist es ein Kontrollinstrument von Wirtschaft und Regierungen? Wer die Kontrolle hat und zuerst die Information bekommt, hat den Vorteil. Jeder Webnutzer wird »getrackt« (verfolgt, wenn du das im echten Leben machst, heißt das »stalken«), psychologisch in ein Käuferprofil gesteckt und an die Wirtschaft verkauft. Das ist gut fürs Wachstum, und du bekommst es gar nicht mit. Zur Sicherheit, dass du kein Terrorist bist, überwachen wir alles, was du digital machst, und dies dank amerikanischer IT-Konzerne. Ist alles gut fürs Wachstum, oder? Armut, Arbeitslosigkeit, demografischer Wandel (neudeutsch für: kein Platz für Kinder). Ach, lassen wir das lieber.


Von Flickr-User Eleoth, veröffentlicht unter CC-BY-2.0-Lizenz.

Macht das nicht stutzig? Also was passiert, wenn ich meine Euro verliere? Wenn ich einen Euro ins Gras werfe, ist er weg und verrottet. Also für immer weg? Wenn ich ihn in die Wirtschaft trage, ist er für mich auch weg, aber er wandert weiter. Ein anderer hat jetzt meinen Euro, und ich ein Bier. Ja, aber wenn der Euro jetzt an Wert verliert? Dann will die Wirtschaft zwei Euro von mir, und ich bekomme vielleicht nur noch ein kleines Bier, siehe die neue EU-Verordnung zu Packungsgrößen [3]. Moment mal, ich stehe am Ende der Kette, und wem kann ich jetzt einfach den doppelten Preis berechnen? Das Einkommen wird meist reduziert, es ist Wirtschaftskrise. Aber Politiker erhöhen sich trotzdem die Diäten, Vorstände verdienen immer noch Millionen. Nur der am Ende der Kette hat verloren. Es geht immer um Geld, aber warum wird der Geldfluss nicht nachvollziehbar dargestellt? Und wofür steht Geld heute noch? Geld folgt immer einer Handlung und ist als neutrales Tauschmittel gedacht.

Und Geld geht nicht verloren, sondern fließt im Austausch für etwas zu jemand anderem. Wer hat eigentlich das ganze Geld aus der Finanzkrise in Europa und in Amerika bekommen? Warum wird bei politischen Veranstaltungen wie TAFTA/TTIP nicht von Anfang an klar gemacht, für welche Zielgruppe diese Erleichterungen gemacht werden? Wer profitiert am Ende von den Ergebnissen tatsächlich, und wie soll das Geld dann tatsächlich von oben nach unten fließen? Welche Vorstellungen haben Politiker, wie das Geld am Ende tatsächlich beim Bürger ankommt? Vor allem: Bei welcher gesellschaftlichen Schicht kommt nichts an? All diese Fragen sehe ich bei TAFTA/TTIP nicht gestellt. Zum anderen frage ich mich, mit welchem Selbstverständnis nehmen Politiker diese Aufgabenpaket an und lassen andere bereitwillig liegen? Sind die politischen Gremien eigentlich noch im Sinne von Bürgerbeteiligung legitimiert, in unserem Namen Vereinbarungen auszuhandeln? ◊

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Wird TTIP das neue ACTA? Auf netzpolitischen OnlinePlattformen befürchten User bereits, das TAFTA/TTIP Abkommen könnte zu einem zweiten ACTA werden. Ist das gerechtfertigt?

Seit dem 8. Juli 2013 verhandeln USA und EU offiziell über das Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP)- Abkommen, um eine Freihandelszone (Transatlantic Free Trade Area – TAFTA) zwischen den Vertragspartnern zu schaffen und den Austausch von Waren und Dienstleistungen zu vereinfachen. Das Abkommen wird, so heißt es von offizieller Seite, mehr Jobs und mehr Wohlstand schaffen. So weit, so gut. Die Frage ist allerdings, ob der Abbau von sogenannten nichttarifären Handelshemmnissen↗ auch den Abbau von guten Arbeitsbedingungen, Datenschutzbestimmungen und Einschnitte in Bürger- und Menschenrechte bedeutet. Doch bereits vor Verhandlungsbeginn sind daher die ersten Bedenken aufgetaucht: Inhalte des Abkommen selbst und sein nicht-öffentlicher Verhandlungsmodus könnten TAFTA/TTIP zu einer Art »Super-ACTA« werden lassen. Zur Erinnerung, die Ratifikation des umstrittenen Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) war 2012 vom EU-Parlament in Folge massiver Proteste gestoppt worden. Neben dem intransparenten Modus der jahrelangen Verhandlungen hatten Bürgerrechtler, Wissenschaftler und Netzaktivisten vor allem das in ACTA enthaltene so genannte »Internetkapitel« kritisiert. Die dort beschriebenen Maßnahmen zum Schutz des geistigen Eigentums wurden als potenzielles Einfallstor für die Beschneidung der bürgerlichen

Katharina Kahmann Abkommen / Freiheitsrechte / Leak

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Wenn wichtige Dokumente nicht veröffentlicht und nicht alle Informationen zugänglich gemacht werden, wenn der Inhalt der Verhandlungen nicht kommuniziert wird und nicht transparent gemacht wird, wer eigentlich welche Vorschläge eingebracht hat – wie fruchtbar kann ein solcher Dialog dann wohl sein? Freiheitsrechte im Internet angesehen. Ersten Massendemonstrationen gegen ACTA in Polen im Januar 2012 folgten neben einem breiten medialen Interesse an der Thematik bald Proteste ähnlicher Größenordnung in anderen EU-Staaten. Das Scheitern von ACTA kann als zivilgesellschaftlicher Erfolg gesehen werden. Für diejenigen, die sich in jahrelangen Verhandlungen um den Erfolg des Abkommens bemüht hatten, war es schlicht ein Debakel. Vielleicht, um TAFTA/TTIP in zumindest dieser Hinsicht nicht zu einem »Super-ACTA« werden zu lassen, versucht die Europäische Kommission die Verhandlungen dieses Mal scheinbar transparenter zu gestalten – wie vom Parlament gefordert. [1] So wurden die Verhandlungen öffentlich angekündigt, zeitnah vor Beginn wurde ein Informationsblatt zum Abkommen, sowie eines zur Transparenz in der Verhandlung von Handelsabkommen veröffentlicht und eine FrageAntwort-Seite erstellt. Zudem fand bereits wenige Tage nach der ersten Verhandlungsrunde das erste von mehreren, in regulären Abständen geplante Multistakeholder-Treffen statt. [2] Verschiedene Interessensgruppen sollen also zumindest scheinbar miteinbezogen werden und die Kommission den Dialog mit der Zivilgesellschaft suchen. Also ähnlich wie schon bei ACTA, zu dem zwischen 2008 und 2011 insgesamt vier Konferenzen für Interessensgruppen von der Kommission abgehalten worden waren. Das Problem an Veranstaltungen dieser Art ist, dass kaum über die Inhalte eines Abkommens diskutiert werden kann, wenn diese gar nicht bekannt sind. Wenn wichtige Dokumente nicht veröffentlicht und nicht alle Informationen zugänglich gemacht werden, wenn der Inhalt der Verhandlungen nicht kommuniziert wird und nicht transparent gemacht wird, wer eigentlich welche Vorschläge eingebracht hat – wie fruchtbar kann ein solcher Dialog dann wohl sein? Damit haben diese Treffen einen Alibi-Charakter. Sie bieten keine hinreichenden Maßnahmen, um der umfassenden Ein-

flussnahme von Lobbyisten auf die Verhandlungen etwas entgegenzusetzen. Ein Interessensausgleich oder ein Gleichgewicht zwischen der vom Abkommen letztlich betroffenen Bevölkerung und den ökonomischen Interessen von Großkonzernen kann so nicht erreicht werden. Wie wenig zielführend diese Taktiken der Geheimhaltung und des Ausschlusses sind, zeigte sich bereits bei ACTA: Früher oder später tauchen geheime Dokumente als sogenanntes Leak↗ im auf. Schlussendlich nützt es auch niemandem, die Einwände der eigenen Bürger zu ignorieren. Die Bevölkerung ist weder machtlos, noch sieht sie tatenlos zu, wenn ihre Bedenken und Interessen ignoriert werden. Schon am ersten Tag der Verhandlungen veröffentlichte die netzaktivistische Plattform La Quadrature du Net ein geleaktes EU-Dokument zusammen mit einem Aufruf zur Mobilisierung gegen das Abkommen. [3] Wie erfolgreich die Mobilisierung gegen ein Handelsabkommen verlaufen kann, hat sich am Beispiel von ACTA gezeigt. Die Verhandlungen haben gerade erst begonnen. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Mal zivilgesellschaftliche Einwände von der EU-Kommission ernstgenommen und sowohl im Vertragstext als auch in der Gestaltung des Verhandlungsmodus berücksichtigt werden. ◊ [1] European Parliament resolution on EU trade and investment negotiations with the United States of America (2013/2558(RSP) http://europarl.europa.eu/sides/getDoc. do?type=MOTION&reference=B7-2013-0187&language=EN [2] Ad hoc meeting - Update on the Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) - First Negotiation Round http://trade.ec.europa.eu/civilsoc/meetdetails. cfm?meet=11411#parts [3] La Quadrature du Net: Trans-Atlantic Trade Talks Bound to Harm Freedoms Online http://www.laquadrature.net/ en/trans-atlantic-trade-talks-bound-to-harmfreedoms-online

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Vertrauen aufbauen So kommt man sich näher: Dieser Leitfaden für global agierende Handelspartner stellt konkrete Handlungsempfehlungen für eine erfolgreiche Realisierung von internationalen Wirtschaftsprojekten vor. Das Vertrauen in jemanden ist ein universell wichtiger, ja zeitloser Faktor, um unser Verhalten sinnvoll untereinander abzustimmen und Handlungen als vorhersehbar einordnen zu können. Das gilt nicht nur bei Freundes- oder Liebesbeziehungen, sondern im generellen Lebens- und Arbeitsalltag sowie natürlich auch bei Wirtschaftsprojekten zwischen Handelspartnern. Das geplante transatlantische Freihandelsabkommen (TAFTA) ist von vielfältigen globalen und lokalen Wirtschafts- und Finanzinteressen geprägt, die von kulturell sehr unterschiedlichen Handelspartnern verfolgt werden. Deshalb ist die wechselseitig wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit ein zentrales Erfolgskriterium für beide Handelspartner. Doch was beeinflusst dieses Vertrauen, und wie kann man es aktiv aufbauen?

DIE RAHMENBEDINGUNGEN

Wirtschaftsprojekte sind in der modernen Industrieund Wissensgesellschaft nicht nur von hochkomplexen nationalen sowie internationalen Rahmenbedingungen umgeben; darunter fallen Industriestandards, Konsumenten- und Bürgerrechte, Verbandsinteressen und Datenschutzrichtlinien. Sie werden auch von den technischen Möglichkeiten der digitalen Kommunikation, etwa neuen Kollaborationsformen wie Wikis↗ oder Crowdfunding↗, geprägt. Durch die scheinbar grenzenlose Vielfalt denkbarer Optionen, die Schnelligkeit der Informationsübermittlung im Internet und die damit verbundene mühelose Überwindung traditioneller geografischer Grenzen stehen Wirtschaft, Politik, Kultur und Gesellschaft vor der enormen Herausforderung, die bestehende globale Komplexität und Unsicherheit zu reduzieren, um wirtschaftlichen beziehungsweise volkswirtschaftlichen Wachstumsprozessen eine reale Chance geben zu können. EMPFEHLUNGEN ZUM HANDELN

Vor den skizzierten Rahmenbedingungen einer hochgradig individualisierten, ausdifferenzierten Zivil- und Marktgesellschaft, die aus unkalkulierbaren Unsicherheiten besteht, kann Vertrauen im Idealfall ein integrativer Faktor zur Reduzierung von Unübersichtlichkeit sein. Sie kann eine gewisse Sicherheit und Stabilität er-

Branko Woischwill Handelspartner / Interaktion / Globalisierung

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zeugen, die wirtschaftliche Projekte positiv beeinflusst. Dieser anspruchsvollen, aber auch lösbaren Aufgabe gilt es sich zu stellen, denn eine Atmosphäre des Misstrauens würde ökonomisches Wachstum, die Entstehung neuer Arbeitsplätze oder innovativer erfolgreicher Geschäftsmodelle massiv behindern oder gar unmöglich machen. Weltweit gilt im Kleinen wie im Großen die Erkenntnis: Handelsfragen sind Vertrauensfragen. Jedoch, welche konkreten Empfehlungen kann man

geben, damit zwischen Handelspartnern Vertrauen beziehungsweise eine Vertrauenskultur oder Vertrauenspraxis entsteht, also Aktivitäten erfolgreich antizipiert und untereinander abgestimmt werden können? ◊ Literaturempfehlungen Martin Endress: Vertrauen. Transcript, Bielefeld, 2002. Martin Hartmann: Die Praxis des Vertrauens. Suhrkamp, Berlin, 2011.

WIE VERTRAUEN ZWISCHEN HANDELSPARTNERN ENTSTEHT. FÜNF HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN.

VERTRAUEN ALS CHANCE

So kann zwischen zukünftigen globalen Handelspartnern Vertrauen aufgebaut werden:

Wenn Verhandlungen nur von kategorischem Misstrauen geprägt sind, so lassen sich Enttäuschungen durch Starrheit, Kontrolle oder Verzögerung nahezu vermeiden. Gleichzeitig aber vergibt man die Chance für ungeahnte Entwicklungen, Innovationen und ökonomische Erfolge. Ohne Mut, Entschlossenheit beziehungsweise riskante Vorleistungen sind wirtschaftliche Entwicklungen undenkbar.

ZUHÖREN KÖNNEN

Auch wenn beide Seiten, also zunächst sich fremde ökonomische Akteure, die gleiche Sprache sprechen: Sprachliche Missverständnisse – weil die gemeinsame Sprache nicht die Muttersprache ist – und generelle Fehleinschätzungen entstehen oftmals durch vorschnelle Interpretationen, die dann jedoch wenig mit der realen Ausgangssituation zu tun haben. Von daher gilt es mit der notwendigen Empathie möglichst unvoreingenommen geduldig zuzuhören und sich aktiv um ein bestmögliches Verständnis, etwa durch Nachfragen, zu bemühen: Was meint mein Handelspartner wirklich? Welche Hintergründe und Ziele sind mit den Botschaften verbunden?

WECHSELSEITIGE INTERAKTION

Auch wenn beide Seiten, also zunächst sich fremde ökonomische Akteure, die gleiche Sprache sprechen: Sprachliche Missverständnisse – weil die gemeinsame Sprache nicht die Muttersprache ist – und generelle Fehleinschätzungen entstehen oftmals durch vorschnelle Interpretationen, die dann jedoch wenig mit der realen Ausgangssituation zu tun haben. Von daher gilt es mit der notwendigen Empathie möglichst unvoreingenommen, geduldig zuzuhören und sich aktiv um ein bestmögliches Verständnis, etwa durch Nachfragen, zu bemühen: Was meint mein Handelspartner wirklich? Welche Hintergründe und Ziele sind mit den Botschaften verbunden?

NICHT BLIND VERTRAUEN

Gleichzeitig sollten sich die Handelspartner auch nicht blind vertrauen. Wer ständig allen Versprechungen ohne jegliche Rückfragen glaubt, der steuert verantwortungslos in Richtung Schiffbruch. Es gilt, Vereinbarungen genau zu hinterfragen, Entwicklungsschritte zu beobachten und zu dokumentieren sowie Teilergebnisse zu sichten. Quasi als Mittelweg zwischen blindem, bedingungslosem Vertrauen und totaler Kontrolle sollten wirtschaftliche Projekte – vom Anfang bis zur Realisierung – ausgewogen und angemessen begleitet werden.

VERTRAUEN ALS PROZESS

Fehler, Fehlentwicklungen, Enttäuschungen – sie alle gehören zum Wirtschaftsalltag dazu und sind unvermeidbar. Wichtig ist, dass Vertrauensprojekte als längerfristige Prozesse verstanden werden. Anfänglich dünnes Vertrauen muss sich zu gewachsenem Vertrauen entwickeln können, und es gilt deshalb, zwischenzeitliche Irritationen und Probleme gemeinsam zu lösen. Wenn hierbei beide Seiten an einem Strang ziehen, dann kann dadurch das Vertrauen ineinander sogar wachsen.

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»IP-out-of-TTIP« ist der falsche Ansatz Der technologische Fortschritt ermöglicht heute Dinge, die vor wenigen Jahren noch Zukunftsmusik waren, und stellt staatliche und wirtschaftliche Akteure vor Probleme, auf die neue Antworten gefunden werden müssen. Internationale Verhandlungen und Abkommen können dazu beitragen, solche Antworten zu finden und umzusetzen. Doch dazu müssen sich zunächst die Parteien am Verhandlungstisch treffen, verstehen und für gemeinsame Lösungen offen sein.

Jens Wiechers Technologischer Fortschrit / Lobbyismus / Digital Natives

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In Folge der internationalen Finanzkrise, der EuroKrise und den Schwierigkeiten bei der europäischen Integration mag man geneigt sein, das Ende der abendländischen politischen und wirtschaftlichen Hegemonie auszurufen. Doch weder heute noch in den nächsten Jahren lässt sich die Welt ohne den wirtschaftlichen Block des »Westens« – im Kern die Vereinigten Staaten von Amerika und die Europäische Union – denken. Gemeinsam tragen sie fünfzig Prozent des Bruttoweltprodukts und ein Drittel des weltweiten Handels. Diese enge Zusammenarbeit ist kein Zufall: Die amerikanische Idee hat sich in der Vergangenheit aus den Idealen der in Europa begonnenen Aufklärung gespeist und, nachdem zwei Weltkriege Europa erschüttert hatten, war es die USA, die mit ihren Hilfen den Wiederaufbau katalysierte. Der stetige technologische Fortschritt der letzten Jahrzehnte hat die bereits vorher bestehende kulturelle Konvergenz, insbesondere durch die Reduzierung von kommunikativen und technischen Barrieren, weiter beschleunigt und führt mehr und mehr zu einer kulturellen und sozialen Angleichung und Entwicklung. Es gibt Facetten dieser Entwicklung, welche man, je nach politischer Sichtweise, durchaus als negativ ansehen mag: Globale Ketten und Anbieter wie McDonalds, Starbucks, Sony, Microsoft und Google prägen das internationale Bild insbesondere in der westlichen Welt. Darüber hinaus sind sie omnipräsente Begleiter und verdrängen – unabhängig vom Land, in dem man sich gerade befindet – möglicherweise lokale und regionale Anbieter mit ihrer globalen Marktmacht. Douglas Adams formulierte diese Beobachtung 1989 in »Last Chance to See« (deutsch: »Die Letzten ihrer Art«): »David Attenborough has said that Bali is the most beautiful place in the world, but he must have been there longer than we were, and seen different bits, because most of what we saw […] was awful. It was just the tourist area, i.e., that part of Bali which has been made almost

exactly the same as everywhere else in the world for the sake of people who have come all this way to see Bali.« [1] Man kann diese Entwicklung aber natürlich auch positiver betrachten: Individuelle Trends können sich heute innerhalb weniger Stunden über Ländergrenzen hinweg verbreiten und haben einen profunden Einfluss. So kann etwa ein kleines Softwareunternehmen aus Deutschland mit einer großartigen Idee, zumindest theoretisch, mit Unternehmen wie Microsoft oder Google direkt konkurrieren. Wissen, welches früher nur mit großem Recherche-Aufwand zur Verfügung stand, ist heute mit wenigen Mausklicks im Browser am Rechner verfügbar. Internationale Abkommen über Handel und Standardisierung sind die Faktoren, welche die Schaffung dieses, durch das Internet digitalisierten, soziokulturellen Schmelztiegels in der Vergangenheit erst ermöglicht haben. Ohne Einigkeit über die Gestaltung und Struktur des Austauschs von Waren und Informationen, ohne den Abbau von Zöllen↗ und den Auf bau international kompatibler Netzwerke wären weder das Internet von heute noch der heutige Wohlstand in der westlichen Welt denkbar. Doch in aktuellen Abkommen geht es vielfach nicht mehr hauptsächlich um die Beseitigung von Zöllen oder die Schaffung abstrakter Standards, sondern um die Harmonisierung von tiefergreifenden und demokratisch gewachsenen und legitimierten regulatorischen Differenzen zwischen Nationen. Wenn man von Frankreichs ausgeprägtem Kulturprotektionismus absieht, ist es in Europa seltener geworden, dass ausländische Produkte qua ihrer Herstellung im Ausland diskriminiert werden: Wir nutzen wie selbstverständlich Dienste und Produkte der Firmen Google und Microsoft aus den USA, Elektronik von Sony aus Japan, Samsung aus Korea oder Designed by Apple in California, Made in China.

Das, was für die Politik »Neuland« ist, ist für die Digital Natives »Heimat«, und somit wird der Versuch der Regulation, insbesondere wenn er an der Alltagsrealität der Jungen vorbeigeht, als Invasion wahrgenommen.

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Die Forderungen der Schöpfer geistigen Eigentums, der Verwerter und der Nutzer müssen in ein neues, an den technologischen Realitäten orientiertes Gleichgewicht gebracht werden, welches weder Schöpfer enteignet, noch Nutzer unbotmäßig gängelt.

Das größte Hemmnis des internationalen Handels zwischen den USA und der EU sind heute historisch und gesellschaftlich entstandene und durch demokratische Prozesse legitimierte politische Prioritäten. Obgleich es von herausragender Bedeutung für die Verbesserung der Zusammenarbeit ist, diese Bereiche zu harmonisieren, ist offensichtlich, dass dies nur gelingen kann, wenn die Politik den Mut hat sich einzugestehen, dass diese Anpassungen nur über viele Jahre und mit vorsichtiger und transparenter Beteiligung der Interessensvertreter geschehen kann. Es erfordert politische Courage und eine über Legislaturperioden hinausgehende Entschlossenheit sowie die enge Zusammenarbeit mit Interessenvertretern, um gemeinsam bisherige Muster zu überdenken und neue Grundsätze zu schaffen. Doch die Bedingungen dafür sind alles andere als ideal. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Handlungsfähigkeit und die Einflussmöglichkeiten und Kompetenz der nationalen und internationalen Politik wird durch Skandale wie das durch Edward Snowden↗ bekannt gewordene skrupellose Vorge-

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hen der National Security Agency (NSA) bedroht und kann Skepsis gegenüber einer stärkeren internationalen Kooperation und Harmonisierung fördern. Hinzu kommt, dass das Internet, da sprach die Bundeskanzlerin nicht nur für sich selbst, sondern für viele in Politik und Gesellschaft, »Neuland« ist. [2] Die mit dem Internet im Speziellen und dem immer rapideren technologischen Fortschritt im Allgemeinen einhergehenden Veränderungen überfordern klassische politische Prozesse und die auf zeitintensive Verhandlung und Konsensfindung hin organisierte Demokratie und ihre Institutionen. Sie drohen damit, die Führungsrolle der Politik zu kompromittieren und sie der ministerialen Technokratie einerseits sowie den Partikularinteressen von Großunternehmen und Lobbyverbänden andererseits auszusetzen. Das wäre jedoch fatal, da es den Glauben an die Möglichkeit von Kompromissen in der Bevölkerung, aus der sich letzten Endes die politische Legitimation ergibt, diesseits wie jenseits des Atlantiks erschüttern könnte. Doch Angela Merkels »Neuland« ist nicht nur mit Bezug auf die Herausforderungen im Prozess der politischen Entscheidungsfindung ein treffender Begriff, vielmehr deutet es auf ein elementares Verständnisproblem hin, welches eine Facette des Digital Divide↗ zwischen den Generationen betrifft. Die Digital Natives↗ nutzen das Internet und die ihnen darüber gebotenen Möglichkeiten permanent zur Ausgestaltung und Aktualisierung ihrer Persönlichkeit und messen ihrem Online-Leben einen großen Wert zu. Dagegen ist es im Alltag vieler Menschen, insbesondere auch einer älteren Generationen, welcher viele heutige Politiker angehören, ein Werkzeug neben anderen. Sie haben es in ihren Habitus integriert, aber dieser wurde nicht von Kindesbeinen an durch die Möglichkeiten des Internets geformt.


Betrachtet man die Entwicklungen der letzten Jahre von dieser Warte, so wird offensichtlich, dass sich der intensive Widerstand vieler Digital Natives gegen politische Eingriffe in die »Natur« des Internets [3] aus diesem Blickwinkelkonflikt speist: Das, was für die Politik »Neuland« ist, ist für die Digital Natives »Heimat«, und somit wird der Versuch der Regulation, insbesondere wenn er an der Alltagsrealität der Jungen vorbeigeht, als Invasion wahrgenommen. Eine Invasion, die für jene, die mit dem Internet aufgewachsen sind, eben nicht nur die Verwendungsmöglichkeiten eines Werkzeuges einschränken könnte, sondern mithin ihr ganz persönliches Selbstkonzept und ihre Identität bedroht. Eine neue Basis für die digitale Gesellschaft ist dringend notwendig, doch zeichnet nicht nur die Politik oder die Wirtschaft dafür verantwortlich, dass diese bisher nicht geschaffen werden konnte. Es steht in der Netzgesellschaft außer Zweifel, dass eine internationale Harmonisierung dringend geboten ist. Aber auch die Verbände, Gruppen und Parteien, welche für sich in Anspruch nehmen, für die Digital Natives zu sprechen, müssen sich hinterfragen: Bereits kurz nach Bekanntwerden der Vorgespräche zu TAFTA/ TTIP machten eine Reihe globalisierungskritischer NGOs und Vereinigungen von Netzaktivisten mit der Forderung »IP out of TAFTA« [4] (deutsch: »Geistiges Eigentum raus aus TAFTA«) Schlagzeilen. Das ist der falsche Ansatz: Es ist keine Alternative den bestehenden internationalen rechtlichen Flickenteppich beizubehalten, denn gerade Urheberrechte und geistiges Eigentum sind in der heutigen Welt wichtige Wirtschaftsfaktoren. Die Forderungen der Schöpfer geistigen Eigentums, der Verwerter und der Nutzer müssen in ein neues, an den technologischen Realitäten orientiertes Gleichgewicht gebracht werden, welches weder Schöpfer enteignet noch Nutzer unbotmäßig gängelt. Solche Lösungen können nur am Verhandlungstisch gefunden werden und um dort ernst genommen zu werden, muss man Schnittstellen schaffen, Dogmen ziehen lassen und sich pragmatischen und für alle Parteien gangbaren Wegen gegenüber offen zeigen. Wenn dies geschieht, nicht nur mit Bezug auf geistiges Eigentum, sondern auch andere kontroverse Themen wie genetisch modifizierte Nahrungsmittel und Medikamentenzulassung, dann kann ein transatlantisches Handelsabkommen neue Grundlagen schaf-

fen, innovative und diversifizierte Start-ups, etablierte Unternehmen und Bürger wieder auf eine Augenhöhe bringen und einen pragmatischen Dialog fördern. Dann kann es Signalwirkung für weitere Abkommen zwischen Staaten haben und die Rolle der westlichen Welt nicht nur als bisherige industrielle Hegemonialmacht, sondern als Hort der Verständigung und des Ausgleichs zwischen Wirtschaft und Ethik etablieren. Bleibt dies aus, so ist zu erwarten, dass kompromissloser Protest einerseits und schnittstellenreicher und eingespielter Lobbyismus andererseits die heute bereits angelegten Konflikte verfestigen, ohne Lösungen verhandelbar zu machen. Das ist eine mögliche, im Moment sogar erschreckend wahrscheinliche Zukunft, welche es, so pathetisch dies klingt, im Interesse aller zu verhindern gilt. Sie bedroht die Chance auf eine gerechtere, tolerantere und wohlhabendere Welt von morgen, die durch technischen Fortschritt einerseits und eine internationale, öffentliche, inklusive und transparente Verständigung über dessen Handhabung und den Handel mit seinen Früchten andererseits enger zusammenwächst. ◊ [1] Adams, Douglas N. und Carwardine, Mark (1990): Last Chance to See (London: Ballantine Books, 1992), Seite 16. [2] Angela Merkel bezeichnete bei einer Pressekonferenz während des Besuchs von US-Präsident Barack Obama in Berlin vom 18.06.2013 das Internet als »Neuland«. [3] International sind hier zuvorderst die Proteste gegen das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) und den Stop Online Piracy Act (SOPA) zu nennen, national die Proteste gegen Vorratsdatenspeicherung sowie das Zugangserschwerungsgesetz. [4] Public Citizen (2013): Winners of ACTA and SOPA Battles Call for Exclusion of ›Intellectual Property‹ From EU-U.S. Trade Talks. Pressemitteilung, 18. März 2013. Online unter: http:// www.citizen.org/pressroom/pressroomredirect. cfm?ID=3840

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oder vom Versuch, die richtigen Fragen zu stellen

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Stefanie Klein Mitbestimmung / EU-Bürger / globale Wirtschaftsordnung

Wer sich zumindest ein bisschen für globale Wirtschaft interessiert, für den gibt es derzeit ein neues Abenteuer zu bestehen: die Suche nach Informationen zum geplanten Freihandelsabkommen mit den USA. Ein Selbstversuch im Online-Chat mit dem offiziellen Informationsdienst Europe Direct.

Wenn man Douglas Adams und seinem Roman »Per Anhalter durch die Galaxis« (London 1979) glaubt, dann ist die Erde in Wahrheit ein Supercomputer, der dazu dient, die Frage nach dem Sinn des Lebens, dem Universum und dem ganzen Rest zu finden. Die Antwort liegt bereits vor, sie lautet: 42. Theoretisch könnte man sich nun also zurücklehnen und warten, bis die Frage gefunden ist. Wer jedoch ein wenig Angst hat, dass vielleicht nicht mehr genug Zeit ist, weil der Planet vorher kollabiert, sollte sich mit dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und der USA beschäftigen. Denn es könnte die Konfiguration des Supercomputers ziemlich beeinflussen.

Es ist nicht das erste Freihandelsabkommen, das die EU-Kommission beschließen will. Es liegt beispielsweise bereits eines mit Südkorea vor. Der wirtschaftliche Schulterschluss zwischen der EU und den Vereinigten Staaten hat jedoch einen anderen Stellenwert, und das Ergebnis wird nicht nur das wirtschaftspolitische Gleichgewicht, sondern auch den Alltag der Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks und auch auf anderen Kontinenten verändern. Das sollte jeden etwas angehen, denn ganz sicher ist die 42 nicht die Antwort auf die folgenden Fragen: Sind wir in Europa bereits so weit, dass alle Mitgliedstaaten eine gemeinsame Vision für die Zukunft haben? Gibt es eine europäische Zivilgesellschaft? Weiß die EU-Kommission eigentlich, was die Bürger bewegt, welches Wirtschaftssystem sie sich für die Zukunft wünschen und was ihnen in einer europäischen Gesellschaft wichtig ist? Auf der Basis welcher Werte und Interessen werden die Verhandlungen eigentlich geführt, und inwieweit stimmen diese mit den Vorstellungen der Europäer überein? Da wir in Europa seit Immanuel Kant an eine gewisse Aufgeklärtheit glauben, wage ich einen Selbstversuch: mich aus meiner (vielleicht) selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien, um ein mündiger EU-Bürger zu werden. In einer Welt der grenzenlosen, globalen Kommunikation sollte dies ja ein Leichtes sein. Denkt man. Leider sind auch die Webseiten der EU eine Art kryptischer Supercomputer, und ich erhalte Antworten, die nicht zu meinen Fragen passen. Ich lerne, wie Handelsabkommens-Verhandlungen geführt werden, welche Meinung namhafte Unternehmen und Branchenverbände vertreten. Aber wie sich ein solches Abkommen ganz real auswirken könnte, und wie ich mich in den Prozesse einbringen kann, erfahre ich nicht. Und auch die angebotenen Partizipationstools wie die Europäische Bürgerinitiative [1], laufende 63 / 72


Offensichtlich handelt es sich beim geplanten Freihandelsabkommen derzeit noch um ein ebenfalls von Douglas Adams beschriebenes Problem: Es ist durch ein »Problem-anderer-Leute-Feld« getarnt, was den Verhandelnden offensichtlich sehr entgegenkommt. Konsultationen oder eine Beschwerde an den Europäischen Bürgerbeauftragten eignen sich nicht für mein Anliegen. Die aussagekräftigsten Informationen finde ich, sobald ich mich von den Webseiten der EU wegbewege. Als nächstes suche ich den direkten Dialog und starte einen Online-Chat mit dem offiziellen Informationsdienst Europe Direct. Man teilt mir die Auftragsnummer 786534 zu (die sich leider nicht so substanziell anfühlt wie die 42), und ich erhalte Weblinks zu weiteren Dokumenten. Ich frage, ob denn geplant sei, die Bürger stärker an dem Verhandlungsprozess um das Freihandelsabkommen zu beteiligen. Darauf die Rückfrage »Was meinen Sie damit?«. Ich fange an, es selbst nicht mehr zu wissen. Vielleicht ist es einfach zuviel verlangt, als EU-Bürger mitbestimmen zu wollen. Als ich im Anschluss wieder einmal bei der nie besetzten Auskunftsstelle der Europäischen Kommission in Deutschland anrufe und über das Klingeln meditiere, beginne ich zu träumen. Ich träume davon, dass ich weiß, wer, wann, was mit welchen Interessen verhandelt. Ich träume von einer MyFreihandelsabkommen-App, die mir anhand praxisnaher Beispiele aus dem Alltag die möglichen Konsequenzen eines solchen Abkommens darlegt. Am Frühstückstisch kann ich beispielsweise sehen, welche Regularien es für Milchprodukte in Europa und in

den USA gibt. Ich sehe nicht nur, welcher wirtschaftliche Mehrwert voraussichtlich durch den Abbau von sogenannten nichttarifären Handelshemmnissen↗ zu erwarten ist, sondern auch, welche ökologischen und sozialen Konsequenzen einzelne Entscheidungen haben könnten. Bei Themen, die mir wichtig sind, kann ich digital bereits vor den Verhandlungen meine Stimme abgeben und meine Meinung kundtun, und ich erfahre, wie sich die Bürger in der EU und der USA dazu geäußert haben. Über eine interaktive Weltkarte kann ich sehen, was das Abkommen für die Menschen in anderen Teilen der Welt bedeutet. Ich kann Mandate an EU-Parlamentarier vergeben, die meine Positionen während der Verhandlungen vertreten. Das würde dann wiederum auch dazu führen, dass das Abkommen eine Chance hat, angenommen zu werden, und die ganze Arbeit nicht umsonst war. Irgendwann geht der Übermut vollends mit mir durch, und ich träume davon, wie der Dialog zu einem Freihandelsabkommen zu einer Chance wird, in Europa – und vielleicht sogar global – stärker zueinander zu finden. Einer Chance, um zu verstehen, was die Menschen in diesem heterogenen Wirtschaftsraum miteinander verbindet, welche Werte sie teilen und wo die Meinungen auseinander gehen. Wie die Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur ein Stück Identität und Weltbürgertum stiften würde. Und wie wir vielleicht ganz am Ende sogar die passende Frage zur Antwort 42 finden. Doch da holt mich das monotone Tuten in der Leitung zurück. Offensichtlich handelt es sich beim geplanten Freihandelsabkommen derzeit noch um ein ebenfalls von Douglas Adams beschriebenes Problem: Es ist durch ein »Problem-anderer-Leute-Feld« getarnt, was den Verhandelnden offensichtlich sehr entgegenkommt. Natürlich hätten sie die Pflicht, die Bürger zu informieren und transparent zu kommunizieren. Dass sie es nicht tun, hat kaum Konsequenzen, weil offenbar jeder denkt, es wäre nicht sein Problem. Noch ist aber Zeit, sich einzumischen, Fragen zu stellen und nachzubohren. Auf offiziellem Wege und drum herum. Denn wenn die Erde tatsächlich ein Supercomputer ist, der die Frage nach dem Sinn des Lebens, dem Universum und dem ganzen Rest finden kann, macht es Sinn, dafür zu sorgen, dass die Ausgangskonfiguration stimmt. ◊ [1] http://ec.europa.eu/citizens-initiative/ public/?lg=de

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Überwachen und Strafen im Internet

Jeremy Bentham: »Plan of the Panopticon«, veröffentlicht unter Public Domain

Wenn es um Überwachung geht, geht es immer auch um Diskurs, Wissen und Macht. Und wer passt besser zu dieser Thematik als der französische Philosoph Michel Foucault. Ein Gedankengang.

Katharina Kahmann Liberalismus / Überwachung / Foucault

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Von User Haeferl, veröffentlicht unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported

Was wir über die Welt wissen, wie wir sie wahrnehmen, was als valide Betrachtungsweise gilt und welche Argumente innerhalb einer Diskussion zulässig sind, ist geprägt durch die Machtverhältnisse innerhalb von Diskursen. Ein Diskurs ist dem französischen Philosophen Michel Foucault zufolge nicht bloß eine Reihe sprachlicher Äußerungen, sondern ein »sprachlich produzierter Sinnzusammenhang, der eine bestimmte Vorstellung forciert, die wiederum bestimmte Machtstrukturen und Interessen gleichzeitig zur Grundlage hat und erzeugt« [1]. Vieles, was wir als wissenschaftlich bewiesen akzeptieren, ist durch Diskurse konstruiert. Es gibt nach Foucault kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert. Besonders in seiner »Geschichte der Sexualität. Sexualität und Wahrheit« setzt Foucault sich mit der Implementierung von Machtbeziehungen durch Wissen, und umgekehrt der Generierung von Wissen durch Macht, auseinander. Dabei generiert die Macht jenes Wissen, welches für ihren Erhalt förderlich ist. Umgekehrt rechtfertigt das so produzierte Wissen den Fortbestand der Macht. Es besteht also ein Macht-Wissen-Komplex, eine äußerst enge Verknüpfung. Diskurse bilden demnach systematisch die Gegenstände, von denen sie sprechen, und konstruieren somit Wirklichkeit. Setzt sich ein bestimmtes Narrativ, also eine bestimmte Betrachtungsweise oder ein Deutungsmuster durch, wird es zum hegemonialen Narrativ. Nach Maßgabe dieses Narrativs werden auch Wissensbestände klassifiziert. Der Neoliberalismus, so die österreichische Politikwissenschaftlerin Eva Kreisky, kann als das bestimmende Narrativ beziehungsweise die bestimmende Ideologie der Gegenwart angesehen werden. [2] Die sich momentan vollziehende Globalisierung ist unstrittig vom neoliberalen Kapitalismus geprägt. Ein Aphorismus des Journalisten Andreas Egert behauptet, (Neo-)Liberalismus sei eine dogmatische Form des Nihilismus. Das ist natürlich selbst eine ideologische Aussage und schon deshalb bestreitbar. Zu oft werden Kapitalismus und Neoliberalismus als Schimpfwörter verwendet. Wenn jedoch Lebensqualität, Freiheit, Nachhaltigkeit und Menschenrechte zugunsten wirtschaftlicher Interessen zurückgestellt werden, dann wird es tatsächlich problematisch. In seiner Inaugurationsrede für das Collège de France sprach Foucault davon, wie Diskurse begrenzt, Bestimmtes als unaussprechbar klassifiziert wird. Hier

handelt es sich um Strategien zur Diskursverknappung, um den Status quo in Frage stellende Reden zu verhindern. Möglichkeiten, Diskurse zu begrenzen, bestehen unter anderem in der Begrenzung der potenziellen Foren für freie Meinungsäußerung, etwa durch Kontrolle, direkte oder indirekte Zensur. Weitere Möglichkeiten bestehen darin, die hinter einer unangenehmen Aussage stehenden Personen oder Sichtweisen zu diskreditieren. Eine Maßnahme wird als Notwendigkeit und die eigene Lösung als alternativlos präsentiert. Wird das Internet zur Überwachung und somit zu Disziplinierung eingesetzt, dann verwandelt es sich zu einer Art Postpanoptikum. [3] Allein die vermutete Omnipräsenz der Überwachung kann bereits zu einer Selbstkontrolle führen, so wie einst im von Foucault zur Veranschaulichung der Disziplinargesellschaft beschriebenen Panoptikum↗.


Stop-ACTA-Demonstration in Wien am 11. Februar 2012.

Die Disziplinargesellschaft, deren Entstehung Foucault als notwendig für die Kontrollformen der Moderne im 18. Jahrhundert beschreibt, könnte sich auch in der Postmoderne wiederfinden. Auch das Postpanoptikum würde der Normalisierung, Beobachtung und Disziplinierung dienen – nicht nur des Körpers. Vielmehr besteht durch Online-Überwachung auch die Möglichkeit, tief in die Privatsphäre, das Denken, die sozialen Kontakte und die Interessen einer Person einzutauchen. Was in der Industriegesellschaft mit dem Schutz stofflicher Güter begründet werden konnte, könnte man in die Informationsgesellschaft übertragen – mit dem Schutz von geistigem Eigentum. Maßnahmen, die ursprünglich eingeführt wurden, um geistiges Eigentum vor Diebstahl oder die Bevölkerung vor Terroranschlägen zu schützen, können allerdings immer auch zur Überwachung der Bevölkerung und zur Zensur, also zur Einschränkung unangenehmer Diskurse, genutzt werden. Das Internet als Datenraum ist für sich genommen zunächst einmal ohne jede Ideologie. Es ist offenbar ein Katalysator der neoliberalen Globalisierung. Es ist aber auch ein Raum für Gegenöffentlichkeit, Subkultur und Diskurse, die nicht dem neoliberalen Paradigma folgen. Es ist ein Ort der digitalen Kommunikation, an dem eine andere Art der Globalisierung gedacht und gestaltet werden kann. Es ist ein Ort, an dem der Sturz von Diktatoren vorangetrieben werden kann und genauso Dissidenten überwacht und mundtot gemacht werden können. Es ist der Ort, an dem all das gleichzeitig stattfindet, während ich mir ein paar neue Turnschuhe bestelle und du diesen Artikel liest. ◊ [1] zitiert nach Wikipedia: Diskurs http://de.wikipedia. org/wiki/Diskurs, Stand: 9. September 2013 [2] Kreisky, Eva: Ver- und Neuformungen des politischen und kulturellen Systems. Zur maskulinen Ethik des Neoliberalismus. In: Kurswechsel, Zeitschrift für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Initiativen. (4/2001), S.38-50. [3] Baumann, Zygmunt (2000): Liquid Modernity. Cambridge: Polity Press.

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Lorena

JAUME-PALASÍ @lopalasi

Markus A. Kirchschlager hat Politikwissenschaft, interkulturelle Wirtschaftskommunikation und Deutsch als Fremdsprache (M. A.) an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Freien Universität Berlin studiert. Sein Forschungsinteresse liegt in den Bereichen friedliche Konfliktlösung und internationale Mediation. Markus arbeitete in Südamerika für ein Entwicklungshilfeprojekt, an der UANL in Monterrey (Mexiko) Deutsch und veröffentlichte mehrere Beiträge zu Themen internationaler Politik. Mit dem Internet ist er auch aus unternehmerischer Perspektive vertraut: nebenberuflich in leitender Funktion für da internationales Online-Stellenportal hotellerie-jobs.com. Er beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern die zunehmende Vernetzung der Weltgesellschaft durch das Internet zu Konflikten und/oder zu ihrer Lösung beitragen kann.

KAHMANN

Katharina

HASELBECK @rebastion

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Katharina Kahmann hat Politikwissenschaft und Publizistik an der Universität Wien und der University of Western Australia studiert. 2012 hat sie im Rahmen eines Praktikums beim österreichischen Datenschutzportal unwatched.org an der Organisation des Kongresses Daten, Netz & Politik 2012 (DNP12) mitgewirkt und journalistische Artikel zu netzpolitischen Themen geschrieben. Ihre Masterarbeit rekonstruiert unter dem Titel »Die ACTA-Kontroverse. Eine diskursanalytische Betrachtung« die Mobilisierung der Protestbewegung gegen ACTA und deren Einfluss auf die Entscheidung des EU-Parlamentes zur Ablehnung des Abkommens.

KIRCHSCHLAGER @extraverbal

(HADI) ALIJLA @Abdalhadihadi

Sebastian

Sebastian Haselbeck kam 2010 als Fellow zum CoLab und ist seit 2012 Geschäftsführer des Collaboratory e.V. Neben seiner netzpolitischen Tätigkeit, in deren Rahmen er sich stark im Themenbereich Open Government (u. a. Government 2.0 Netzwerk Deutschland, AK Open Government Partnership Deutschland) engagiert, arbeitet er im Business Development bei der lingohub GmbH und baut in seiner Freizeit Online-Communities zum Thema Film. Sebastian hat Politikwissenschaft und Amerikanistik studiert und dann ein Master-Studium an der Willy Brandt School of Public Policy (Uni Erfurt) absolviert.

Lorena Jaume-Palasí, Politikwissenschaftlerin, ist Dozentin am Lehrstuhl für Philosophie IV der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Sie promoviert zum Thema Moralverhandlungen in internationalen Beziehungen bei Prof. Julian Nida-Rümelin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Konflikte und neue Technologien in internationalen Governance-Strukturen sowie Strategien kollektiver Akteure und kollektiver Rationalität. Seit 2010 führt sie den Arbeitskreis neue Technologien und Governance am Munich Center of Governance.

Markus A.

Abdalhadi Isabel

Isabel Gahren war die Projektleiterin der 5. Initiative des Collaboratory. Sie hat gemeinsam mit Linda Walter das Projekt Irrepressible Voices ins Leben gerufen. Seit 2006 arbeitet sie als freie Journalistin und Autorin für Print, Online und Rundfunk. Ihrem Studium der Literaturwissenschaft, Politikwissenschaft und Ethnologie in Hamburg folgten 2004 ein Master in Barcelona in Visueller Anthropologie sowie mehrere Monate in Lateinamerika als Regisseurin von Dokumentarfilmen und Reportagen. Ihre Freizeit widmet sie der Chefredaktion des englischsprachigen Kunstmagazins JPEOPLE sowie ihrer Leidenschaft Film.

GAHREN @IrrVoi

Abdalhadi (Hadi) Alijla ist professioneller Blogger und Essayist. Neben seiner Tätigkeit als Doktorand an der Universität Mailand koordiniert er Forschung am Institute for Middle Eastern Studies Canada. Abdalhadi hat einen Masterabschluss in Public Policy and Governance von der Zeppelin Universität Friedrichshafen und einen Bachelor in Engineering and Information Management. Er war außerdem Freiwilliger bei United Volunteers in Bonn und hat dort politische Forschung betrieben. Abdalhadi ist Fellow des Soliya Netzwerks für Dialog und Junior-Wissenschaftler des 3. Alternativen Nobel-Preises des Right Livelihood College. Außerdem ist er DAAD-Stipendiat für Public Policy and Good Governance.


KOCH @bastiankbx

Marc

VENHAUS @mvenhaus

Marc Venhaus ist Doktorand an der Graduate School of Global Politics der Freien Universität Berlin und der Fudan University Shanghai, wo er zu sich verschiebenden Machtverhältnissen und globalen Finanzmärkten forscht. Er hat einen Magister-Abschluss in Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Neuere und Neueste Geschichte von der WWU Münster sowie einen Masterabschluss in Internationaler Politischer Ökonomie von der University of York. Zahlreiche Auslandserfahrungen - u.a. als Assistent Attaché an der Deutschen Ständigen Vertretung bei den Vereinten Nationen (UNO) in New York und als Delegierter beim Harvard Project for Asian and International Relations (HPAIR) - komplettieren seine globale Ausrichtung. Darüber hinaus ist Marc zertifizierter Kommunikationsmanager (com+plus Academy) und ausgebildeter Kaufmann im Groß- und Außenhandel (IHK-geprüft).

LACHENMAYER @JanLachenmayer

Jan Lachenmayer hat an der Universität Stuttgart Politik- und Wirtschaftswissenschaften studiert. Im Anschluss arbeitete er bei einem Berliner Think Tank, begleitete internationale Forschungsprojekte und beriet Großkonzerne aus dem Automobil-, Energie- und Transportsektor und Nicht-Regierungsorganisationen in Fragen von Weiterentwicklung, Veränderungsmanagement und Zukunftsgestaltung. Heute ist er für die Bereichsleitung von xaidialoge verantwortlich und beschäftigt sich mit der Gestaltung von Politik, Demokratie und Gesellschaft. Er ist außerdem Dozent an der SRH Hochschule Berlin im Studiengang Bachelor Kommunikationsmanagement.

Jan

Bastian

Bastian Koch ist seit Ende 2005 selbstständig und gründete 2007 die [ *] keksbox - marketingagentur, die sich als eine der ersten Adressen mit ausgeprägter Online- und Social-Media-Expertise etabliert hat. Der Unternehmer, Konzeptioner und Marketingprofi Bastian Koch setzt in der Entwicklung seiner Firma und der Umsetzung von Projekten vor allem auf die Kraft der digitalen Globalisierung. Sein Wissen und seine Erfahrungen gibt der Autor des Bestsellers »Social Media – Wie Sie mit Twitter, Facebook und Co. Ihren Kunden näher kommen« regelmäßig weiter, in redaktionellen Beiträgen unter anderem auf twittwoch.de sowie in Workshops und Vorträgen. Bastian Koch hat das Fußballspielen via Twitter erfunden, ist Herausgeber einer der erfolgreichsten iPad-Apps (The Diary), Mitbegründer von Twittwoch und des in diesem Jahr initiierten Social Media Dinners. Des weiteren betreut er die sozialen Kanäle von Institutionen wie der Fête de la Musique in Berlin und engagierte sich nachhaltig für das Bestehen des GRIPS-Theaters.

KLEIN reponsive-pr.de

Stefanie

Stefanie Klein hat in Berlin Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität und Electronic Business an der Universität der Künste studiert. Bereits während des Studiums arbeitete sie als Redakteurin und Konzepterin in der digitalen politischen Kommunikation und setzte sich mit E-Government und E-Democracy auseinander. In den vergangenen drei Jahren kommunizierte sie Themen und Projekte der Entwicklungszusammenarbeit für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), unter anderem in einem Programm, das nachhaltiges Wirtschaften (CSR, Social Business etc.) deutscher Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern fördert. Momentan ist sie als Freiberuflerin mit einem umfassenden PR-Portfolio tätig.

Die

Autoren

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Fortune

NWAIWU @aquafortiss SCHMIDTMANN @160grad

Ruben Schmidtmann ist gebürtiger Berliner, mag urbane Räume und denkt über die Arbeitswelt von morgen nach. Passend dazu ist er Geschäftsführer vom betahaus Hamburg, einem Coworking-Space in St. Pauli. In den letzten Jahren hat er Medienwirtschaft in Ilmenau und International Business in Tallinn studiert. 2004 hat er die Veranstaltungsfirma Lautwerfer in Berlin mitgegründet und in den Jahren danach als Projektmanager für kleine und größere Firmen wie AirBnB gearbeitet. Durch viele Projekte zieht sich immer wieder das Thema, wie das Internet und die dadurch entstandenen Möglichkeiten die Gesellschaft verändern.

Mario Sorgalla arbeitet freiberuflich als Online Community und Social Media Manager, unter anderem für das internationale Bloggernetzwerk FutureChallenges.org. Auf seinem Blog Beyond Borders schreibt er über Themen, die sich mit den die Auswirkungen des Internets auf Politik und Gesellschaft beschäftigen. Als ehrenamtlicher Autor und Übersetzer ist Mario im internationalen Bloggernetzwerk Global Voices Online engagiert. Er organisiert außerdem die Social Media Sprechstunde Köln, die sich an Kölnerinnen und Kölner richtet, die Rat im Umgang mit sozialen Medien suchen. An der Universität Bonn hat er Politische Wissenschaft, Neuere Geschichte und Medienwissenschaft studiert.

Mario

Ruben

LICATAS @AndreaLicata75

Fortune Nwaiwu studiert derzeit Security and Risk Management an der University of Leicester. Er ist außerdem Mitglied des African ICT for Development Research Network. Fortune arbeitet als IT Administrative Officer und Researcher bei der Nigerian Economic Summit. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf Informationsund Kommunikationstechnologien für Entwicklungsfragen im subsaharischen Afrika. Er ist außerdem Mitgründer des Social Entrepreneur Clubs, Gründer des Social Ecosystem Labs und Mitglied der Harambe Entrepreneur Alliance.

SORGALLA @mariosorg

Andrea

MÖNIKES @jmoenikes

Jan Mönikes ist Partner von Schalast & Partner Rechtsanwälte in Berlin und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Themen des Internet-, Medien- und Telekommunikationsrechts. Davor war er einige Jahre in leitenden Positionen bei Unternehmen wie der Versatel Deutschland, AOL und IBM beschäftigt, zuvor neun Jahre als parlamentarischer Mitarbeiter beim Deutschen Bundestag. Heute ist er neben seiner Anwaltstätigkeit unter anderem Justiziar mehrerer Verbände und Vizepräsident des deutschen Chapter der Internetsociety ISOC.de. Er unterrichtet als Dozent für Fragen der Ethik und des Medienrechts an der Quadriga Hochschule Berlin und des Informationstechnologierechts an der BTU Cottbus.

Jan

Andrea Licatas' PhD in »Transborder Policies« vom International University Institute for European Studies (IUIES) sowie sein Studium der internationalen Zusammenarbeit bilden eine gute Basis für die Mitarbeit in diesem Projekt. Als ausgewiesener Experte für die Soziologie der internationalen Beziehungen ist er als Gastredner auf zahlreichen Konferenzen, die von Universitäten, Instituten und Nichtregierungsorganisationen in Europa, Nordamerika und Japan ausgerichtet wurden, aufgetreten. Er hat in Italien, Österreich, Deutschland, Frankreich, Belgien und Slowenien studiert und gearbeitet, zuletzt unter anderem als Associated Researcher am Käte Hamburger Kolleg / Centre for Global Cooperation Research der Universität DuisburgEssen im Rahmen eines Forschungsprojektes »Successful Cases of Global Cooperation«. Sein Forschungsinteresse gilt einer nachhaltigen Nutzung des Internets.

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Jens

WIECHERS @jwiechers

Ole

WINTERMANN @olewin

VERDE STRIXNER ostrixner.de

Ole Wintermann baut zurzeit für die Bertelsmann Stiftung die Plattform FutureChallenges.org auf. Er befasst sich mit der Frage, wie globale Interdependenzen erkannt, erfasst und dargestellt werden können und bloggt unter globaler-wandel. eu zu Fragen des Internets, der globalen Veränderungen und der gesellschaftlichen Implikationen. In den letzten Jahren hat er sich bei der Bertelsmann Stiftung auf die Demographie fokussiert. Im letzten Jahrtausend hat Ole sich beim Bundesvorstand der Gewerkschaften ver.di und DAG mit wirtschafts- und sozialpolitischen Grundsatzfragen befasst. Er ist Doktor der Philosophie und diplomierter Sozialökonom und hat in Kiel, Göteborg, Greifswald und Frankfurt/Oder studiert und Lehraufträge übernommen. Dipl.-Kommunikationswirt Branko Woischwill beschäftigt sich mit dem Thema Vertrauenskommunikation im Rahmen seines aktuellen Promotionsprojekts im Bereich Soziologie an der Freien Universität Berlin. Hierzu hat er auch zwei wissenschaftliche Weblogs, in deutscher und englischer Sprache, erstellt. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der FU Berlin thematisiert er in seinen Lehrveranstaltungen verschiedene Aspekte der Vertrauenskommunikation.

WOISCHWILL @vertkomm

PETERSEN @Thiessp

Oliver

Oliver Strixner ist selbstständiger Informatiker (FH), Mediator und Mobbingberater. Sein Erfahrungsschatz umfasst die Praxis in Branchen der Industrie, ITK-Consulting und sozialen Einrichtungen. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Systementwicklung (Organisation und Technik), in der Transformation von Informationen in Wissen und Daten und der Gestaltung moderner Organisationsstrukturen für ein »stressfreies« Miteinander. Ferner untersucht er die Zusammenhänge zwischen Kommunikation, Konflikten und Krankheiten.

Jens Wiechers hat zunächst während seiner regulären Schulzeit an der Universität Köln Informatik, Physik und Philosophie studiert und fand danach ein Zuhause an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Dort studierte er, mit Auslandsaufenthalten an der Harvard University in den USA und dem Center for Public Policy in Tschechien, Kommunikations-, Wirtschafts- und Politikwissenschaften; für seine anstehende Promotion erhofft er sich durch Forschung zum menschlichen Entscheidungsverhalten einen Beitrag zu besserem Verbraucherschutz zu leisten. Er gründete während des Studiums eine Web2Print-Firma und eine wissenschaftliche Beratungsfirma; er arbeitet zurzeit als freiberuflicher Berater und Entwickler für Unternehmen, Vereine und Communities aus dem Bildungsbereich und der Computerspielentwicklung und -Modifikation und ist ehrenamtlich im Vorstand eines Vereins zur Begabtenförderung tätig.

Branko

Thieß

Dr. Thieß Petersen ist seit 2004 bei der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh, zurzeit als Senior Expert im Programm »Nachhaltig Wirtschaften«, sowie nebenberuflich seit 2010 als Lehrbeauftragter an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder für Markt- und Preistheorie sowie Außenwirtschaftstheorie tätig. Aktuelle Arbeitsschwerpunkte sind Ursachen und Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrisen, Chancen und Risiken der Globalisierung sowie makroökonomische Aspekte der europäischen Staatsschulden- und Euro-Krise. Der Diplom-Volkswirt hat Volkswirtschaftslehre in Paderborn und Kiel studiert. Er promovierte am Institut für Theoretische Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel 1996.

GARRIDO @M_Verde

Miguelángel

Miguelángel Verde Garrido ist Doktorand an der Graduate School of Global Politics der Freien Universität Berlin, wo er die politischen und ökonomischen Dynamiken von Staaten, Konzernen und der Zivilgesellschaft hinsichtlich Informations- und Kommunikationstechnologie untersucht. Er hat einen Bachelorabschluss in Philosophie von der Universidad Católica Andrés Bello in Venezuela und einen Masterabschluss in Politikwissenschaft und Politischer Philosophie von der Kyoto University in Japan. In Berlin hat Miguel als Associate Researcher bei OpenOil gearbeitet und hat die NGO Berlin Forum on Global Politics mitbegründet.

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IMPRESSUM V. i. S. d. P.: Sebastian Haselbeck, Ole Wintermann, Marc Venhaus Eine Publikation des Internet und Gesellschaft Collaboratory e.V. in Kooperation mit FutureChallenges.org, einem Projekt der Bertelsmann Stiftung. Sie entstand aus Beiträgen der Expertinnen und Experten der 9. Initiative »Globalisierung und Internet« unter der Projektleitung von Marc Venhaus.

Erschienen bei newthinking communications GmbH Schönhauser Allee 6/7, 10119 Berlin Telefon: +49 30 9210 596 Fax: +49 30 692033 799 Mail: info@newthinking.de Twitter: @newthinking www.newthinking.de

Ust-IdNr. DE 248 480 558 Internet und Gesellschaft Collaboratory e.V.: Sebastian Haselbeck – kontakt@collaboratory.de Mehr Informationen unter www.collaboratory.de Kontakt FutureChallenges.org Ole Wintermann – mail@futurechallenges.org Mehr Informationen unter www.futurechallenges.org Projektassistenz: Miguelángel Verde Garrido, Mona vom Endt

Geschäftsführung: Andreas Gebhard Projektmanagement: Susanne Eiswirt Druck: brandung3 kommunikation, Müggelseedamm 70, 12587 Berlin Vertrieb Bahnhofsbuchhandel und Kiosk: carnivora Verlagsservice GmbH & Co. KG Gneisenaustraße 33, 10961 Berlin carnivora-verlagsservice.de

Textchefin/Chefin vom Dienst: Verena Dauerer Schlußredakteur: Manuel Bonik Übersetzung: Julian Born Design, Layout, Artdirektion: Lukas Oppermann, www.vea.re

Bis auf die Autorenfotos, und soweit nicht anders angegeben, veröffentlichen die Verfasserinnen und Verfasser dieses Magazins unter der Creative-Commons-Lizenz BY 3.0 DE. Details unter: http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/

Diese Lizenz erlaubt jegliche Art der Nachnutzung, Bearbeitung und Umgestaltung unter der Bedingung, dass als Quelle die von den Verfasserinnen und Verfassern festgelegte Zuschreibung angegeben wird. ISBN: 978-3-944622-01-9

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Das Internet und Gesellschaft Collaboratory bringt Expertinnen und Experten aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft sowie Politik und Verwaltung zusammen, um gemeinsam zum offenen Diskurs um gesellschaftspolitische Veränderungsprozesse rund um das Internet beizutragen. Das Collaboratory wurde 2010 von Google Deutschland als unabhängige »Community of Practice« angestoßen und ist seit Dezember 2012 ein gemeinnütziger Verein. Mehr Informationen zu Partnern, Finanzierung, Aktivitäten, Personen und dem Verein erhalten Sie unter www.collaboratory.de. FutureChallenges.org ist ein internationales Blogger-Projekt der Bertelsmann Stiftung. Unser Anliegen ist, dass sich die Globalisierung nicht allein in der ökonomischen Analyse erschöpft. Stattdessen wollen wir auch die persönlichen Sichtweisen der Menschen weltweit betrachten. Auf unserer Plattform haben Menschen die Möglichkeit, ihren ganz persönlichen und auch emotionalen Blick auf die Folgen der Globalisierung zu formulieren. Das vorliegende Ergebnis der Kooperation von FutureChallenges.org mit dem Collaboratory verbindet am Beispiel des EU-US-Freihandelsabkommen TAFTA/TTIP ökonomische Dimensionen mit politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Aspekten der Globalisierung.


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