Toraja - Die Kunst des Lebens mit dem Tod

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Toraja

Die Kunst des Lebens mit dem Tod von Collin Key



Toraja - Die Kunst des Lebens mit dem Tod Das ist Gonna. Gonna ist ein Toraja-Mädchen und lebt in Tana Toraja, dem zentralen Hochland im Süden Sulawesis. Als ich so klein war wie Goona, hieß diese indonesische Insel noch Celebes und lag - aus unserer Sicht - am Ende der Welt. Keine Touristen verirrten sich in dieses tropische Reich, nur ein paar Ethnologen und Abenteurer hatten die Toraja besucht. Etwa die französische Weltreisende Élisabeth Sauvy, die 1934 ihren Reisebericht „Eine Frau unter Kopfjägern“ veröffentlichte. Sie alle berichteten von bizarren Riten und Totenkulten. Aber inzwischen wissen wir, dass die Welt rund ist und kein Ende hat. Gonna wird wie Kinder überall mit Smartphone und Internet aufwachsen. In der Schule wird sie Mathe-


matik und fremde Sprachen lernen. Gonna ist ein kleiner Wirbelwind voller Energie und Neugierde. Das Kind einer modernen Welt. Und doch ist ihre Heimat etwas ganz besonderes. Die Abenteurer von einst haben sich ihre Geschichten nicht gänzlich ausgedacht. Gonna lebt in einem Haus namens Maruang, dessen Giebel geformt sind wie die beiden Enden eines Büffelhorns. Die Toraja nennen diese Häuser tongkonan und halten sie in höchsten Ehren, denn es sind die Häuser der Ahnen. Das Umschlagbild zeigt Gonna unter den Dächern ihres heimischen tongkonan, gleichsam unter dem Schutz all ihrer Vorfahren. Auch wenn diese längst verstorben sind, so sind die Toten doch immer noch ganz nah und ein Teil des Lebens von Gonna und ihrer Familie. Von Ne‘ Yayu, dem Ältesten aus


Gonnas Familie, haben wir - mein Sohn Robert und ich - die Erlaubnis erhalten, für einige Zeit im tongkonan zu wohnen und Maruang als Basis für unsere Erkundungen der wundersamen Welt der Toraja zu nutzen. Oft wartet Gonna schon auf uns, wenn wir am späten Nachmittag von unseren Exkursionen nach Maruang zurückkehren. Freudig und aufgeregt empfängt sie uns, voller Erwartung auf die neuen Fotos, die ich heute mitgebracht habe. Gemeinsam setzen wir uns auf die Veranda unseres tongkonan und betrachten die Bilder. Zu jeder Szene weiß Gonna etwas zu erzählen, sie plappert ohne Pause - in einer Sprache, die ich leider noch nicht verstehe. Was das kleine Mädchen aber am meisten fasziniert, sind nicht die Landschaften, Dörfer und Menschen, sondern die Bilder der Friedhöfe, der Felsen- und Höhlengräber ihrer Ahnen. „tongkonan orang mati“ ruft sie - die Häuser der Toten. Särge, Schädel, Knochen - für Gonna hat dies offensichtlich alles keinen Schrecken. Immer wieder drängt sie mich, ihr diese Aufnahmen zu zeigen. Und so beginnen wir diese fotografische Reise im Reich der Toten.


Tongkonan Orang Mati Die Ahnen empfangen uns am Eingang der Begräbnisgrotte von Tampangallo als ein wilder Haufen von Knochen und Totenschädeln. Den Besucher, der hier unvorbereitet eintritt, mag wohl ein kalter Schauder befallen und die Erinnerung an Berichte von Kopfjagd und anderen grausigen Praktiken. Bestattet man so seine eigenen Toten? Oder nicht eher die Feinde? Aber es sind tatsächlich die eigenen Ahnen. Und wie sehr man sich ihnen immer noch verbunden fühlt, zeigen die Zigaretten, die verstreut zwischen den Knochen liegen. Es sind Gaben der Besucher, damit die Verstorbenen auch im Jenseits nicht auf den typischen aromatischen Nelkenduft indonesischer Kretek-Zigaretten verzichten müssen. Ursprünglich lagen die Toten einbalsamiert in Tropenholzsärgen. Aber wenn die Mumien nach vielen Jahren verwest sind, werden die restlichen Gebeine in der Höhle verteilt um neuen Platz für die zu schaffen, die noch kommen werden.…




Und dann treffen wir die Toten auch ganz persönlich: In einer Nische stehen sie und blicken mit runden und scheinbar staunenden Augen auf uns herab. Es sind die tautau, lebensgroße Holzfiguren der Verstorbenen. Unter ihnen - ein Franzose! Kurze Hose, Schnurbart, helle gescheitelte Haare - fehlt nur das Baguette. Oder täusche ich mich total? (2. Figur von rechts) Die amerikanische Ethnologin Kathleen Adams beschreibt in ihrem Buch (Art as Politics, 2006 University of Hawai‘i Press) ihre erste Begegnung mit den tau-tau in Begleitung zweier Jungs aus dem Dorf Ke‘te‘ Kesu‘: „Während Siu einen Knochen aufhob und ihn gedankenlos in seinen Händen drehte wies Lendu auf eine der Figuren... ‚Das ist Großmutter Ne‘ Lele. ... Sie tat uns leid, so in alte Lumpen gehüllt mit halb nackten Brüsten, drum hat Mama ihr einen Pullover übergezogen.“ Lendu stellte der Ethnologin noch viele weitere seiner längst verstorbenen Vorfahren mit Namen vor. Für ihn war der Besuch dieser Grotte eine Art Familientreffen, mit den (Ur-)Großeltern. Nach traditioneller Ansicht der Toraja beherbergen die tau-tau den Geist der Toten,


sie sind bombo dikita, sichtbare Seelen. Regelmäßig werden sie von ihren lebenden Verwandten besucht, man bringt ihnen Zigaretten und auch den ein oder anderen Geldschein, berichtet von den neuesten Ereignissen in der Familie. 95% der Toraja aber sind Christen, eine Folge der Mission durch die einstigen holländischen Kolonialherren. Die vorwiegend calvinistisch geprägte Kirche argwöhnt, es könne sich bei diesen Plauderein um ganz unchristlichen Aberglauben, ja Götzendienst handeln und so wurden die tau-tau verdammt. Priester weigerten sich Begräbnisse zu besuchen, wenn dort eine der Holzfiguren aufgestellt wurde. Die Toraja konterten, dass es dabei nicht um religiösen Glauben (aluk) gehe, sondern um eine alte Tradition (adat), die sie nicht aufgeben würden. Schließlich einigte man sich darauf, sie Statuen lediglich zur Erinnerungen an die Verstorbenen zu nutzen In einem auf Hundefleisch spezialisierten Lokal kommen wir mit einem einheimischen Priester ins Gespräch. Als Katholik hat er mit Statuen kein großes Problem, wohl aber mit den ausufernden Begräbnissen. „Die können eine Familie finanziell ruinieren und trotzdem halten die meisten daran fest. Meine Brüder und Schwestern sind eben äußerst dickköpfig.“ Eine Eigenschaft, denke ich, die zum Überleben der Toraja Kultur nicht unwesentlich beigetragen haben dürfte.



Einer der eindrucksvollsten Anblicke in Tana Toraja ist der Begräbnisfelsen von Lemo. Zahlreiche Grabkammern sind in den Stein gehauen, davor stehen still und in langen Reihen die tau-tau und blicken ins Tal hinab. An anderen Orten aber kamen die Ahnen hinter Gitter, eine Art postmortale Sicherungsverwahrung: Diebstahl ist zum Problem geworden, seit auch der Antiquitätenhandel den Wert der tau-tau entdeckt hat.



Das bizarrste Ritual der Toraja ist - jedenfalls aus unserer fremden Sicht - zweifellos ma‘nene‘, die Neueinkleidung der Toten und ihrer tau-tau. Hierfür werden die Gräber geöffnet und die mumifizierten Verstorbenen aus ihren Särgen geholt. Gemeinsam mit ihren noch lebenden Verwandten dürfen sie dann feiern, ein fröhliches Wiedersehen der Familien. Der Tod ist ein Teil des Lebens - hier gilt dies ganz konkret. In sauberen neuen Kleidern werden die Ahnen in ihr Grab zurückgelegt. Am folgenden Tag werden auch die tau-tau neu eingekleidet. Man sagte uns, in Londa werde ma‘nene‘ gefeiert, aber als wir eintreffen, ist der spektakuläre erste Tag schon vorbei. Ein Versehen oder Absicht, um dem Ansturm der Kameras zu entgehen - ich weiß es nicht. In der Regel sind Besucher und auch Touristen bei allen Festen willkommen. Die Journalistin Amanda Bennett hatte zur selben Zeit, im Herbst 2015, die Gelegenheit ein ma‘nene‘ zu besuchen. Ihren Bericht kann man in der online-Ausgabe von National Geographic nachlesen.



Das Kindergrab Für die Allerkleinsten haben die Toraja eine ganz eigene Art der Bestattung: im Stamm eines großen Baumes. Für die Toraja sind die Bereiche der Götter, der Menschen und der Geister ganz reale Räume in dieser Welt und keine abstrakten, transzendenten Orte wie Himmel und Hölle für moderne Christen. Im Osten ist das Reich der Götter, im Norden das der lebenden Menschen, im Westen sind die Toten und im Süden die unsichtbaren Geister. Bei seiner Geburt kommt der Mensch vom Osten in den Norden, wenn er stirbt, ist er im Westen und durch das Fest der Beerdigung geleiten seine Angehörigen ihn schließlich nach Süden. Stirbt ein Baby aber, bevor ihm Milchzähne gewachsen sind, so ist es noch gar nicht ganz im Norden angekommen und folglich schickt man es nicht auf die lange Reise in den Süden, sondern legt es in einen Baum, damit dieser es sanft zurückführe ins östliche Land der Götterwesen.



Die Beerdigung Sein Lieblingsbüffel wurde ihm zum Verhängnis. Irgendetwas musste das Tier irritiert haben. Ein Moment der Unachtsamkeit, eine plötzliche Bewegung und das spitze Horn des Tieres traf ihn tödlich. So erzählte es uns Lisa, unser Führer, der uns auf die Beerdigung begleitete, bei der – morbide Ironie der Geschichte – zahlreiche Wasserbüffeln nun ihrerseits das Leben verlieren würden. Drei Monate waren seit jenem Unfall vergangen, ein viertel Jahr, das der Tote zu Hause in seinem Bett verbrachte. Man hatte ihn mumifiziert um den Verwesungsprozess zu stoppen. Ansonsten aber behandelte man ihn wie einen Kranken, einen, der zwischen dem Norden und dem Westen steht, dem Bereichen des Lebens und des Todes. Daran ist nichts ungewöhnlich in Tana Toraja, manche Toten verweilen Jahre im Haus der Familie, bevor diese bereit zu einer Beerdigung ist, welche in der Rege zwischen drei und sieben Tage währt und enorme finanzielle Mittel erfordert. Es braucht Zeit, bis diese beschafft sind. Oft braucht es aber auch einfach Zeit um bereit zu sein,



den Verstorbenen auf seine weite Reise zu verabschieden. Und so liegt der Tote noch lange in seinem Bett, man bringt ihm Essen und Trinken, plaudert mit ihm, lässt ihn Teil haben am alltäglichen Leben der Familie. Wenn der Termin der Beerdigung aber schließlich gekommen ist, dann bahrt man den Leichnam vor dem heimischen tongkonan auf und richtet ein rauschendes Fest aus. Tagelang werden Gäste empfangen, wird gegessen, gesungen, getrauert und gefeiert. Nun ist der Verstorbene für alle sichtbar tatsächlich im Westen, dem Ort des Todes, angekommen und die Feier ist der Geleitzug, der ihn sicher von dort nach puya bringen soll, dem südlichen Reich der Geister und aller Wesen, die nicht von dieser Welt sind. Von dort mag er – so er denn wie die Mehrheit aller modernen Toraja die Religion der einstigen holländischen Kolonialherren angenommen hat – dann auch aufsteigen in einen christlichen Himmel.




Als erstes werden die Geschenke auf den Platz getragen: Schweine, an lange Bambusstäbe gefesselt. Noch leben sie und ahnen nichts Gutes, doch ihr angstvolles Quieken wird von der lautsprecherverstärkten Stimme des Zeremonienmeisters übertönt, der mit professioneller Dramatik die Ankunft der wichtigen Gäste vermeldet und detailliert deren Beitrag zur Feier aufzählt. Alles wird ordentlich in einem großen Buch vermerkt, damit die Trauerfamilie sich zu späterer Gelegenheit angemessen revanchieren kann. Beamte sind anwesend, um die nötigen Steuerpapiere auszufüllen. In langen Reihen betreten die geladenen Familien den Platz, fein herausgeputzt und angeführt von den wichtigsten Mitgliedern umrunden sie in würdevollen Schritten den Kreis der Schweine. Der Zug ist streng hierarchisch geordnet. Ganz am Schluss folgen die Arbeiter, wie man heute sagt. Früher, bevor die Regierung das Wort und die Sitte verbat, nannte man sie Sklaven. Die Gesellschaft der Toraja ist keineswegs egalitär, sondern in drei Stände - Adel, Freie und Arbeiter - unterteilt. Einige Männer haben sich in einer großen Runde formiert und stimmen einen klagenden Trauergesang an, der aber ebenfalls im dramatisierenden Gebrüll des Ansagers unterzugehen droht. Trauer und ausgelassene Fröhlichkeit gehen eine für uns ungewohnte Verbindung ein. Ein höchst lebendiger Jahrmarkt des Todes.




In Ermangelung eines Schweins oder gar eines Büffels überreichten wir eine Stange indonesischer Nelkenzigaretten als Gastgeschenk, woraufhin wir auf eines der den Platz umgebenden Bambuspodeste eingeladen wurden. Die dort versammelten Besucher rücken freundlich zusammen um uns Platz zu verschaffen. Gleich werden wir mit Tee, Bananenchips und Zigaretten bewirtet, Reis und in Bambusrohren gegartes Schweinefleisch wird folgen. Alle um uns herum sind vergnügt und freundlich und geben uns das Gefühl, hier wie jeder Gast willkommen zu sein. Man ermuntert uns sogar, uns in eine der förmlichen Prozessionen einzureihen und der trauernden Familie zu kondolieren. Die Toraja lieben ihre Beerdigungen.






Der Höhepunkt einer jeden Beerdigung ist das Opfer der Wasserbüffel. Die Hörner der geopferten Tiere werden später das heimische tongkonan zieren und zu dessen Ansehen und Würde beitragen. Das Dorf Bori ist berühmt für seine Steinkreise, die hier wohl bis ins 19. Jhrh. zur Erinnerung an große rituelle Ereignisse aufgestellt wurden. Zufällig trafen wir hier auf die Trauerfamilie einer Beerdigung und nach einem netten Gespräch und ein paar Portraitaufnahmen wurden wir für den nächsten Tag zum Büffelopfer eingeladen. Natürlich haben wir die obligatorische Stange Zigaretten dabei, als wir eintreffen, was sich jedoch als überflüssig erweist: Wie alle Touristen werden wir an eine Kasse geleitet, um unsere Eintrittskarten zu kaufen! Das heißt aber keineswegs, dass Touristen nicht willkommen wären auf Beerdigungen. Eine gelungene Feier erhöht ganz wesentlich das Prestige des tongkonan der Familie des Verstorbenen,


und gelungen ist ein Fest, wenn viele Gäste kommen, auch fremde Reisende. 1986 fand im Dorf Ke‘te‘ Kesu‘ die Beerdigung Ne‘ Dumas statt, einer weithin bekannten Autorität der Toraja. Zehntausende Menschen namen damals an den Feierlichkeiten teil, die sich über zehn Tage hinzogen. Auf dem 300 km entfernten Flughafen von Makassar verteilte das Tourismusministerium Flugblätter an Reisende, auf denen in mehreren Sprachen auf das „einmalig Ereignis“ hingewiesen wurde. Kathleen Adams hatte lange bei Ne‘ Duma gelebt und wurde als Tochter des Hauses angesehen. Anlässlich der BeNe‘ Dumas tau-tau in Ke‘te‘ Kesu‘


erdigung bat man sie, den fremden Gästen die kulturelle Bedeutung des Büffelopfers zu erklären, denn man war sich wohl bewusst, dass moderne Menschen Tieropfern meist mit Abscheu begegnen. Das Wort einer Anthropologin, so die Hoffnung, würde Gewicht haben und verhindern, dass man selbst als rückständig angesehen werde. Tatsächlich sind Wasserbüffel die absoluten Lieblingstiere aller Toraja. Sie werden gehegt und gepflegt und müssen keinerlei Feldarbeit verrichten. Der durchschnittliche Preis liegt bei 1.500 US Dollar, besondere Prachtexemplare werden zum Wert eines Luxusautos gehandelt. Allein die Tieropfer einer Beerdigung können ein Vermögen kosten. „Ihr gebt euer Geld für Reisen aus, wir sparen es für unsere Beerdigungen,“ sagte mir eine junge, gebildete Frau. Mit fast denselben Worten, so berichtet Adams, warb auch ihre Familie um Verständnis für den enormen finanziellen Aufwand für Ne‘ Dumas Begräbnis.



Das Büffelopfer ist eine blutige Angelegenheit. Die Tiere werden mit einem glatten Schnitt durch die Kehle getötet. Danach vergehen lange Sekunden, bevor das Tier schließlich begreift, was geschieht. Manche Büffel werden dann wütend und beginnen, sich mit all ihrer Kraft gegen das Schicksal aufzubäumen. Ein riskanter Moment für den Tierführer, aber auch für die sich dicht herandrängenden Zuschauer. Die werden sogar durch eine Durchsage auf Englisch vor der Gefahr gewarnt. Weder dies noch die Abscheu vor blutigen Tieropfern aber können verhindern, dass sich die Touristen nach vorne drängen und schubsen um das beste Foto zu erhaschen.


Tongkonan Das tongkonan ist weit mehr als ein Haus. Es ist der Kristallisationspunkt der sozialen Strukturen der Toraja Gesellschaft. Man definiert sich und seine Stellung über die Zugehörigkeit zu einem tongkonan. Eine tatsächliche Blutsverwandtschaft ist dafür nicht einmal zwingend nötig. Kathleen Adams, die Ethnologin, wurde während ihrer Forschungsaufenthalte in Ne‘ Dumas tongkonan in Ke‘te‘ Kesu‘ aufgenommen. Jahre später traf sie in Amerika einen Toraja. Die beiden versuchten zu klären, ob sie gemeinsame „familiäre“ Beziehungen hatten. Dabei, so berichtet sie, fielen keine Namen von Personen, sondern sie klärten


ausschließlich, mit welchen tongkonan sie verbunden waren. Das tongkonan steht auch im Mittelpunkt vieler Riten und Feste. Wie die Beerdigungen sind diese häufig mit hohem finanziellen und organisatiorischen Aufwand verbunden, die von allen nahen und fernen Angehörigen des tongkonan nur gemeinsam bewältigt werden können. Dieser Einsatz ist für die Zugehörigkeit mindestens so wichtig wie verwandtschaftliche Beziehungen.


Somit schafft das tongkonan eine Gemeinschaft unter den Menschen, und mehr noch: es verbindet die Lebenden mit ihren Toten. Denn jedes tongkonan hat eine eigene Ahnenreihe und die ältesten und angesehensten können diese zurückführen bis zu jener Zeit, als die ersten Toraja auf einer riesigen Leiter aus Stein vom Himmel herabstiegen um in den tropischen Bergwäldern Sulawesis zu siedeln. „Wir werden unsere Kultur nur dann nicht verlieren, wenn wir wissen, wer wir sind,“ sagte Lisa gleich auf unserer ersten Exkursion. Lisa lebt davon, den Touristen seine Welt zu erklären und es wird schnell deutlich, dass ihm dies ein sehr persönliches Anliegen ist. „Mindestens sechs Generationen zurück musst du alle Namen und Beziehungen kennen. Das war ein schweres Stück Arbeit für mich, aber nur so kannst du deine Identität bewahren, gerade heute, wo so vieles neu ist und sich alles ändert.“ Neu dürfte auch der Begriff „Identität“ sein, ein Lieblingsthema der ethnologischen Literatur. Dass Lisa ihn verwendet zeigt wohl, wie die Theorien der (zahlreichen) Ethnologen in Tana Toraja zurückwirken auf die Kultur, welche sie zu beschreiben versuchen. Ein typisches Toraja Dorf besteht aus zwei Häuserreihen mit einem freien Platz dazwischen. Die Reihe der tongkonan, deren Giebel stets nach Norden weisen, wird gespiegelt von den kleineren alang, den Reisscheunen.



Und ähnlich gilt dies auch für uns Touristen. Die Gesellschaft der Toraja ist feudal und gliedert sich in drei Stände: Adel, Freie und Arbeiter. Die großen Beerdigungen mit ihren Büffelopfern waren stets eine Sache des Adels und der Freien. Ebenso der Bau von tongkonan, wohingegen tau-tau ebenso wie die üppigen Ornamentverzierungen der Häuser dem Adel vorbehalten blieben. Für die touristische Vermarktung aber ist all dies „typisch Toraja“, was unter


anderem zur Folge hat, dass sich heutzutage wohl die meisten Toraja gleich welchen Standes mit diesen Symbolen identifizieren. Führt dies zu einem Bruch der Tradition, wird dadurch die Kultur zur Folklore verwässert? Kathleen Adams verneint dies. In ihrem Buch weist sie vielmehr darauf hin, dass die Offenheit für neue Einflüsse und der dynamische Umgang mit der Tradition es den Toraja gerade ermöglichen, ihre Kultur auch in modernen Zeiten zu bewahren und zu leben. Und nur so konnte das Christentum umarmt werden, ohne die Religion und Tradition der Ahnen zu verlieren. Ein besonders altes und prächtiges tongkonan. Die vielen Hörner stammen von Büffelopfern und erhöhen das Prestige des Hauses. Der Wandschmuck zeigt, dass es sich um eine adlige Familie handelt, deren Vorfahren wohl auch bei der Kopfjagd aktiv waren: Menschenschädel liegen aufgereiht auf dem Sims unterm Giebel.




Die Hochzeit Bei weitem nicht alles dreht sich bei den Toraja um den Tod und die Ahnen. Wir haben von einer anstehenden Hochzeit gehört und fahren auf gut Glück in das Dorf. Obwohl uns keiner kennt oder gar eingeladen hat, werden wir freundlich empfangen und dürfen uns unter die übrigen Gäste mischen. Unser obligatorisches Geschenk allerdings wurde mit einer Mischung aus Belustigung und Spott betrachtet: Zigaretten sind offensichtlich den Beerdigungen vorbehalten. Die Hochzeit ist zweifellos farbenprächtig, doch insgesamt recht formell, ja geradezu steif. Nichts von der turbulenten Stimmung der Beerdigungen. Dem Einzug des würdevoll gekleideten Brautpaars folgt eine kurze musikalische und tänzerische Einlage und dann werden endlose Reden gehalten. Zum Abschluss werden die Gäste bewirtet. Mich erinnert mein Bild des stehenden Brautpaars immer an Fotos - man möge mir verzeihen - vom jährlichen Kongress der chinesischen kommunistischen Partei.





Maruang Tongkonan Als Lisa, unser Führer der ersten Tage, seine Verwandten in Maruang fragt, ob wir für einige Zeit dort im tongkonan wohnen dürfen, ist die Meinung zunächst keineswegs einheitlich. Fremde im Haus der Ahnen? Schließlich ist es Ne‘ Yayu, der Älteste, der entscheidet, dass wir willkommen sind.


Wie auch viele andere tongkonan steht Maruang teilweise leer. Im unteren Bereich hinter der Veranda wohnt Novita mit ihrer Tochter Gonna. Die übrige Familie aber hat sich neue, komfortablere Häuser neben das alte Ahnenhaus gebaut, in denen es sich besser, moderner leben lässt. Wir können uns im oberen Stock des Tongkonan einrichten, dem traditionellen Wohnbereich: ein großer, zentraler Raum, an den sich zu jeder Seite eine kleine Kammer anschließt. Das schlichte Innere des Hauses steht in krassem Gegensatz zur reich verzierten Fassade. Niemand in Maruang spricht englisch, auch nicht Novita, die als Lehrerin für Japanisch an der örtlichen Schule arbeitet. Die einzige, die sich davon überhaupt nicht beeindrucken lässt, ist Gonna, die ungehemmt mit uns plappert. Schade, dass ich ihre Geschichten nicht aufschreiben kann.



Die Kinder beim Ballspiel. Ab in die Schule



Lisa im Plausch mit seinen Verwandten. Groร mutter rรถstet frischen Kaffee





Danke

an Ne‘ Yayu‘ und die Familie von Maruang Tongkonan


Toraja Die Kunst des Lebens mit dem Tod

copyright 2016 Collin Key


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