Das einleitende Kapitel «Basiswissen Geld» behandelt drei Fragen:! 1. Wofür wird Geld in unserer Gesellschaft benutzt?! 2. Welche Eigenschaften muss ein Gegenstand haben, um als Geld benutzt werden zu können? Mit einer vertiefenden Übung.! 3. Warum hat der Staat ein Interesse, das umlaufende Geld zu kontrollieren?!
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Um den Einstieg zu erleichtern kann ein Assoziationsspiel eingesetzt werden. Dabei sollen sich die Teilnehmenden eine Situation vorstellen, die für sie mit Geld in Verbindung steht. Die Aufforderung kann wie folgt eingeleitet werden:! Denk an Geld. Stell dir deinen Geldbeutel vor – einen Franken, einen 10 FrankenSchein, einen 100 Franken-Schein. Was für ein Gefühl ist es, Geld in der Hand zu halten? Was möchtest du damit tun, was solltest du tun? Welche Bilder kommen dir in den Sinn, wenn du dein Geld in der Hand hältst? Welches Bild gefällt dir am besten, welches am wenigsten? Such dir das Bild aus, das am besten zu deiner Vorstellung von Geld passt. Versuche, es in einem Wort oder einem kurzen Satz zusammenzufassen; notiere das Wort, den Satz auf einem Papier.! Die Bilder werden in der Runde vorgestellt und pro Bild ein Stichwort auf eine Tafel geschrieben. Die Tafel ist in zwei Felder eingeteilt, über denen ein «+» für ein positives bzw. ein «-» für ein negatives Gefühl steht. Je nachdem, ob mit dem Bild ein angenehmes oder unangenehmes Gefühl mitschwingt, wird das Stichwort in das entsprechende Feld eingetragen. Danach ist eine Bestandsaufnahme möglich, ob für die Teilnehmenden Geld mit positiven oder negativen Empfindungen verbunden ist.!
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Folgende Fragen können in der Gruppe diskutiert werden: ! Welche Verbindung haben die von den Teilnehmenden vorgestellten Situationen zu Geld? Sind die Assoziationen angenehm, oder eher bedrohlich? Was sagen die Bilder über Geldvorstellungen aus? ! Die Diskussion soll in kurzen Statements münden, was Geld für die Einzelnen bedeutet. Diese Sätze sollten festgehalten werden, um die Teilnehmenden am Schluss der Veranstaltung noch einmal mit ihren Aussagen zu konfrontieren und zu untersuchen, in wie weit sich die Vorstellung von Geld während der Veranstaltung verändert hat.! Ersetzt werden kann dieses Assoziationsspiel durch einen zeitlich nicht so aufwändigen Einstieg, bei dem einfach gesammelt wird, welche Begriffe die Teilnehmenden mit «Geld» in Verbindung bringen. Diese sollten von dem Leiter, der Leiterin kommentarlos in positiv und negativ eingeteilt und an eine Tafel geschrieben werden. Diese Tafel wird erst zum Ende der Veranstaltung wieder hervorgeholt, um anhand der anfänglichen Begriffe zu diskutieren, ob sich die Vorstellungen der Teilnehmenden verändert haben.!
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1. Wof端r wird Geld in unserer Gesellschaft benutzt?! Geld hat vier wesentliche Funktionen. Es ist ein! - Tauschmittel! - Massstab! - Thesaurierungsobjekt (Wertaufbewahrungsmittel)! - S端hnemittel!
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Tauschmittel! Als wichtigster Zweck des Geldes wird häufig seine Funktion als Tauschmittel betont. Diese Funktion resultiert aus der räumlichen und zeitlichen Diskrepanz zwischen dem Kauf und dem Verkauf von Gütern im Zuge der zunehmenden Arbeitsteilung: Seit der Entwicklung des Geldes braucht man nicht länger Gut gegen Gut zu tauschen, zum Beispiel Vieh gegen Getreide, sondern kann das Gut in das allgemein anerkannte Tauschmittel Geld umwandeln. Dieses Geld kann dann auf anderen Märkten wieder als Tauschmittel eingesetzt werden.! Durch Geld wird also der unmittelbare Tauschhandel, Ware gegen Ware, unnötig. Damit entfällt das grösste Problem des Tauschhandels, nämlich den passenden Tauschpartner zu finden, der exakt die gesuchte Ware bietet und die gebotene Ware sucht. Indem nicht mehr Ware gegen Ware getauscht werden muss, sondern ein Zwischenobjekt eingeschoben wird, das alle begehren, wird der Handel wesentlich erleichtert.!
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Massstab! Geld ist ein Massstab, durch den völlig unterschiedliche Waren und Dienstleistungen in einen Zusammenhang gesetzt werden. Was zum Beispiel haben ein Telefongespräch von Zürich nach Basel, ein belegtes Brot und ein Friseurbesuch gemeinsam? Ganz einfach, der «Wert» aller drei Leistungen lässt sich genau in Geld messen. Wobei hiermit schon eine entscheidende Gefahr des Geldes angesprochen wird – «Wert» hat in vielen Sprachen gleichzeitig einen moralischen Unterton. Aber ist der «Wert» der Arbeitsstunde eines Computerspezialisten so viel höher als der «Wert» der Arbeitsstunde eines Fabrikarbeiters? Darf ein Flug von Basel nach Berlin weniger kosten als die gleiche Strecke mit der Eisenbahn? Ist es sozial vertretbar, den Wert eines Menschen und seiner Arbeitskraft auf die Frage des Preises zu reduzieren? ! Oscar Wilde sagte einmal, der zynische Mensch kenne von allem den Preis und von nichts den Wert. Tatsächlich barg und birgt die Eigenschaft des Geldes, Massstab zu sein, grosse Gefahren in sich.!
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Thesaurierungsobjekt! Geld ist ein Thesaurierungsobjekt, also ein Gegenstand, in dem man erbrachte Leistungen lagern kann. Nichts anderes bedeutet es zu sparen: Damit lagern wir den Verdienst, den wir f端r geleistete Arbeit erhalten haben.!
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Sühnemittel! Geld dient dazu, Dinge, die sich nicht wieder gut machen lassen, auszugleichen. Diese Funktion des Geldes mag uns heute unwichtig erscheinen. Tatsächlich aber ist sie die älteste, wesentlich älter als eine Funktion als Tauschmittel oder Thesaurierungsobjekt. ! Der früheste Beleg, den wir überhaupt für eine Art «Geld» haben, stammt aus dem Gesetzeskatalog, den der König von Eshnunna im nördlichen Mesopotamien zu Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. veröffentlichen liess. Dort wird z. B. festgelegt, dass das Abbeissen einer Nase mit einer Strafe von einer Mina (ca. ein halbes Kilo) Silber gesühnt werden soll.! Auch das Wergeld, also das Geld, das nach germanischem Recht als Sühnegeld für die Tötung eines anderen bezahlt werden musste, gehört in diesen Zusammenhang. Das althochdeutsche Wort «gelt», das seit dem Frühmittelalter um 800 n. Chr. benutzt wurde, stand für das, womit man beglich, was der einzelne den Göttern oder seinem Herrn bzw. seinem Stamm schuldete (vergleiche «entgelten»).! Noch heute benutzen wir Geld, um nicht wieder gut zu Machendes auszugleichen. Das beginnt bei den 80 Franken, die in der Strassenbahn für Schwarzfahren gezahlt werden, und endet bei den Entschädigungen, die Unfallverursacher ihren Opfern oder deren Hinterbliebenen bezahlen.!
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2. Welche Eigenschaften muss ein Gegenstand haben, um als Geld benutzt werden zu können?! Ein Gegenstand verfügt im besten Falle über fünf Eigenschaften, damit er seine Aufgabe, als Geld zu dienen optimal erfüllen kann. Er muss! - allgemein begehrt! - haltbar! - leicht transportierbar! - leicht teilbar! - in gleich bleibender Menge vorhanden! sein.! Nicht nur die Münze und die Banknote können als Geld eingesetzt werden. In der Vergangenheit haben sich viele Gegenstände in zum Teil eng umgrenzten Gemeinschaften als Geld durchgesetzt. Einige eigneten sich für diese Funktion besser, andere schlechter. Dies hing damit zusammen, in wie weit sie die oben genannten Eigenschaften besassen.!
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Allgemein begehrt:! Ein Gegenstand, der als Geld dienen soll, muss allgemein begehrt sein. Nur was jeder haben will, kann in einem Tauschhandel die Funktion von Geld 端bernehmen.!
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Haltbar:! Geld muss haltbar und keinem nat체rlichen Verfall ausgeliefert sein, sonst kann es die dritte Aufgabe von Geld nicht erf체llen, n채mlich als Thesaurierungsobjekt zu dienen.!
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Leicht transportierbar:! Geld muss leicht zu transportieren sein. Damit l채sst sich seine Funktion als Tauschmittel bewerkstelligen. Ausserdem ist ein kleiner Gegenstand von grossem Wert besser als Thesaurierungsobjekt geeignet als ein grosser Gegenstand von kleinem Wert.!
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Leicht teilbar:! Geld muss sich leicht in kleinere Einheiten aufteilen lassen, um auch im Alltag zur Bezahlung von kleinen Beträgen eingesetzt werden zu kÜnnen.!
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In gleich bleibender Menge vorhanden:! Sobald grössere Mengen eines Gegenstandes vorhanden sind als auf dem Markt verlangt werden, sinkt der Preis. Genauso geht es mit jedem Ding, das als Geld dienen soll. Die Nachfrage ändert sich, je nachdem ob zu viel oder zu wenig da ist. Nur wenn das Verhältnis von umlaufendem Geld zur Nachfrage nach Geld einigermassen konstant bleibt, kann ein Gegenstand optimal als Geld funktionieren.! Die Menge unserer umlaufenden Münzen und Banknoten kontrollieren heute die Nationalbanken, um einer Inflation bzw. einer Deflation entgegenzuwirken.!
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Die Menschen haben in der Vergangenheit viele Dinge als Geld benutzt. Einige davon eigneten sich für diesen Zweck so gut, dass sie weite Verbreitung fanden. Andere eigneten sich nur bedingt und blieben deshalb auf einen engen kulturellen Umkreis beschränkt. Diese Übung ist vordergründig dazu gedacht, die fünf Eigenschaften des Geldes zu vertiefen. Ihr tieferer Sinn besteht darin, die Teilnehmenden dafür zu sensibilisieren, dass in anderen Kulturen andere Geldformen existierten und dass Geld in anderen kulturellen Zusammenhängen andere Funktionen erfüllen kann.! Jeder gezeigte Gegenstand ist von den Teilnehmenden zunächst anhand der fünf Eigenschaften zu überprüfen, in wie weit er sich als Geld eignet. Es folgen einige historische Anmerkungen zu seiner tatsächlichen Verwendung.!
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Federgeld der Ndende!
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allgemein begehrt – bei den Ndende ja! haltbar – ja! leicht transportierbar – nein! gleich bleibende Menge – ja! leicht teilbar – nein!
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Federgeld diente in der Südsee, genauer gesagt auf der Hauptinsel Ndende der SantaCruz-Inseln, als Brautpreis. Es hatte ferner eine Funktion im Handelsaustausch zwischen den Bewohnern der Hauptinsel und den Bewohnern der vorgelagerten Riffs. Die Riff-Insulaner verkauften für Federgeld Frauen und Schildkröten, während die Bewohner von Ndende Kanus oder Schweine lieferten.! Um eine Rolle dieses Federgeldes herstellen zu können, brauchte ein geschickter Handwerker über fünfzigtausend winziger roter Kopf- und Brustfedern eines Nektarvogels, weisse Taubenfedern, Baumharz und Rindenbastschnüre, sowie etwa 700 Arbeitsstunden.!
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Orchideen!
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allgemein begehrt – ja! haltbar – nein! leicht transportierbar – nein! gleich bleibende Menge – nein! leicht teilbar – nein!
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Auch wenn Orchideen schön und allgemein begehrt sind, als Geld eignen sie sich nicht. Sie erfüllen wegen ihrer mangelnden Haltbarkeit nicht die Eigenschaften, die ein Thesaurierungsobjekt zur Aufbewahrung eines Wertes unbedingt erfüllen muss. Ausserdem sind die Blumen nicht in einer ständig gleich bleibenden Menge vorhanden – es ist jedem unbenommen, sie in beliebigen Mengen zu züchten. Und einfach zu transportieren sind Orchideen ebenfalls nicht.!
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Diamant!
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allgemein begehrt – ja! haltbar – ja! leicht transportierbar – ja! gleich bleibende Menge – ja! leicht teilbar – nein!
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Diamanten, so möchte man meinen, müssten das ideale Geld darstellen. Sie sind haltbar, allgemein begehrt, man kann auf kleinstem Raum grosse Werte transportieren und es gibt sie nur in kleinster Menge. Trotzdem eignet sich ein Diamant nicht, um als tägliches Zahlungsmittel zu dienen: es ist schwierig, mit ihm kleinere Rechnungen zu begleichen. Das lässt ihn als Geldform ausscheiden, auch wenn er sich als Thesaurierungsobjekt seit Jahrtausenden bewährt hat.!
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Kaurischnecke!
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allgemein begehrt – ja! haltbar – ja! leicht transportierbar – ja! gleich bleibende Menge – zunächst ja, zur Zeit des problemlosen Transports nein! leicht teilbar – ja, sobald die einzelne Kaurischnecke relativ wertlos wurde!
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Die Kaurischnecke war Jahrhunderte lang die härteste Konkurrentin unserer westlichen Münze. Bereits im 2. Jahrtausend v. Chr. wurden Kaurischnecken in China als Geld benutzt – wir wissen, dass man um 1100 v. Chr. für ein paar Schnecken einen Sklaven bekam, für 10 Schnecken sogar eine ganze Familie. Bis ins Jahr 1578 n. Chr. zahlte man in China mit Kauris und Marco Polo überliefert, dass er selbst gesehen habe, wie vier Kauris als Äquivalent zu einer Münze im Wert von einem Cash umliefen.! Nicht nur in China wurde mit Kauris bezahlt, auch im restlichen Asien, in Afrika und in der Südsee verbreitete sich die Kaurischnecke als Zahlungsmittel. Im Lauf des 17./18. Jahrhunderts kam es allerdings zu einer Inflation. Gewiefte Händler kauften Kaurischnecken in Gebieten auf, in denen sie billig zu haben waren, und importierten sie in kauriarme Gebiete. So kostete 1624 in Kamerun ein Sklave noch 60 bis 70 Kauris, während man anderthalb Jahrhunderte später in Westafrika bereits 160‘000 Kauris für einen Sklaven zahlen musste. Im 19. Jahrhundert war die Kauri in Afrika zu Kleingeld abgesunken, das man neben europäischem Silbergeld verwendete. 1850 kostete im Sudan eine Handvoll Bohnen 1 Kauri, 8 Kauris zahlte man für ein Ei, 100 für eine Legehenne und 3‘200 für einen Maria-Theresien-Taler.!
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Zigaretten!
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allgemein begehrt – ja! haltbar – ja! leicht transportierbar – ja! gleich bleibende Menge – ja! leicht teilbar – ja!
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Zigaretten können in einer Rauchergesellschaft problemlos als Währung benutzt werden. Eine Zigarettenwährung gab es in Deutschland während der letzten Jahre des 2. Weltkriegs und bis zur Währungsreform (1948). ! Zigaretten dämpfen Hunger. Deshalb begann ein grosser Teil der deutschen Bevölkerung während der Hungerjahre des Krieges zu rauchen. Das monatliche Kontingent, das z. B. 1945 jedem Deutschen zugeteilt wurde, bestand aus 40 Zigaretten – viel zu wenig für starke Raucher. So wurden Zigaretten zu einer begehrten Mangelware. Das ebnete den Weg für die Zigarette als Tauschmittel, das auf dem Schwarzmarkt das wertlose Geld ersetzte.! Einige Preise in «Zigarettenwährung» ! 1,5 kg Brot oder Brotmarken: 10 Zigaretten! 1 Huhn: 30 Zigaretten! 100-150 g Fleisch oder Fleischmarken: 10 Zigaretten! 1 Bettbezug: 125 Zigaretten! 75 g Butter oder Buttermarken: 10 Zigaretten! 15 g Bohnenkaffee: 10 Zigaretten! 25 g Tee: 10 Zigaretten! 250 g Zucker oder Zuckermarken: 10 Zigaretten! 1 Gans: 250 Zigaretten!
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Yap-Stein!
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allgemein begehrt – auf Yap ja! haltbar – ja! leicht transportierbar – nein! gleich bleibende Menge – ja! leicht teilbar – nein!
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Die Bewohner der Insel Yap sind steinreich, im wahrsten Sinne des Wortes. Bei ihnen werden Geldsteine verwendet, die bis zu 15 Tonnen wiegen können. Der Stein selbst kommt nicht auf der Insel vor, sondern muss von der 400 km entfernten Inselgruppe Palau herbeigebracht werden. Mit einem Auslegerboot benötigt man für die Reise im günstigsten Fall 5 Tage.!
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Um 1900 gab es auf der Insel Yap 16‘000 solcher Geldsteine. Sie standen vor den Häusern der Bewohner der Insel. Die grossen Steine waren selten im Privatbesitz, sie gehörten einem ganzen Dorf und waren an einem für alle sichtbaren Platz aufgestellt.! Nur Männer bezahlten mit diesem Steingeld. Man konnte damit ein Stück Land kaufen, ein seetüchtiges Boot oder – für einen kleineren Stein – ein gut gemästetes Schwein. Im Kriegsfall konnte man sich sogar mittels eines geschichtsträchtigen Steins die Hilfe eines neutralen Dorfes sichern.! Beim Steingeld galt: Je grösser der Reichtum, über den einer verfügte, je mehr Geldsteine er also besass, desto höhere Preise hatte er zu bezahlen. Dies war ein anderes Geldkonzept als in Europa: Während bei uns derjenige als clever gilt, der billig kauft, ist ein wohlhabender Mann auf Yap stolz darauf, wenn alle seinen Reichtum kennen und deshalb einen höheren Preis von ihm fordern.! Übrigens: auf Yap gab es auch Frauengeld. Das waren kleine Stücke einer bestimmten Muschelschale, für die man Dinge des Alltags kaufen konnte wie Kokosnüsse, Zigaretten oder Streichhölzer.!
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Bei den ersten Münzen war der reale Wert an Edelmetall identisch mit dem Nominalwert (Nennwert). Doch gegen Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. entdeckten die ptolemäischen Könige, dass der Nominalwert einer Münze nicht mit ihrem realen Wert identisch sein muss, um in einem geschlossenen Gebiet als Tauschmittel zu funktionieren. Dadurch stieg der Prägeschatz, der Unterschied zwischen Nominalwert und Produktionskosten. Durch die Verwendung von billigen Materialien anstelle von Edelmetall konnte der Prägeschatz fast unbeschränkt erhöht werden. ! Im 19. Jahrhundert setzte sich die Banknote durch: Ein von einer Bank ausgegebener Geldschein, der durch eine Teildeckung mit Edelmetall abgesichert war. ! Mit der Aufgabe der Edelmetalldeckung in den 1970er-Jahren wurde unser Geld zu einer «Fiat-Währung», einer Währung, deren Gültigkeit allein auf gesetzlichem Beschluss und allgemeiner Konvention beruht.!
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Die ersten Münzen waren aus Edelmetall, hatten also neben ihrer Funktion als Geld zusätzlich einen hohen Metallwert. Deshalb spielte es eigentlich keine Rolle, wer eine Münze herstellte – ob Privatleute, Könige oder Tempelpriester. Geld aus Edelmetall konnte überall umlaufen, da es ja nicht «nur» Geld war, sondern gleichzeitig eine begehrte Handelsware.! Trotzdem behielten sich bald nach der «Erfindung» der Münze die verschiedenen griechischen Stadtstaaten vor zu entscheiden, welches Geld auf ihrem Markt benutzt werden musste, um die Ware zu taxieren. Deshalb benutzte man für die Münze das griechische Wort «nomisma», das nicht nur eine allgemein verbreitete Sitte bezeichnete, sondern auch das in einer Stadt gesetzliche Mass. Ein gemeinsames Mass zu haben, galt als wichtige Voraussetzung für eine gemeinsame Identität.! Doch nur wenige Städte prägten selbst. Münzen herzustellen war teuer und mit grossem technischem Aufwand verbunden. Münzen wurden deshalb lediglich aus Prestigegründen produziert oder wenn – im Falle eines Krieges oder eines Tempelbaus – grosse Projekte aus öffentlichen Mitteln bestritten werden mussten.! Abbildung: Verschiedene griechische Münzen aus Elektron, 600-550 v. Chr.!
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Nur wenige antike Völker, zum Beispiel die Bürger Athens oder die makedonischen Stämme, verfügten über eigene Silberbergwerke. Sie exportierten ihr Metall in Form von Münzen. Alle anderen Städte besorgten sich ihr Silber für die Münzprägung, indem sie die von fremden Städten hergestellten Stücke zum Silberwert kauften und einschmolzen.! Abbildung: Stadt Athen, Tetradrachme aus Silber, Mitte 5. Jahrhundert v. Chr.!
37!
Unter Schlagschatz versteht man den Unterschied zwischen den Entstehungskosten einer Münze – also den Kosten für die Materialbeschaffung und die Produktion – und ihrem Nominalwert (Nennwert). Ptolemaios I. war der erste Herrscher, der den Nominalwert der in seinem Gebiet umlaufenden Münzen deutlich über seinen Produktionskosten ansetzte. Das gelang nur deshalb, weil er mit Ägypten ein Gebiet beherrschte, das nur wenige Häfen besass und ringsum von Wüste umgeben war. Solche Grenzen waren leicht zu überwachen. So zwang Ptolemaios alle Händler, in Ägypten mit ägyptischen Münzen zu zahlen. Jeder, der mit dem reichen Land Handel treiben wollte, musste also sein Geld an der Grenze umtauschen. ! Dabei machte der ägyptische König einen guten Gewinn. Denn seine Münzen waren wesentlich leichter, bestanden also aus weniger Silber als die seiner Nachbarn – getauscht aber wurden sie im Verhältnis 1:1. Damit erhöhte sich der Gewinn für die Staatskasse. Dieses Vorgehen fand bald Nachahmer (Näheres dazu in Kapitel 2: Kleine Geldgeschichte).! Abbildung: Königreich Ägypten, Ptolemaios I. Soter (305-283 v. Chr.), Tetradrachme aus Silber!
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Der Schlagschatz wurde zu einer begehrten Einnahmequelle für Obrigkeiten. Alle Regierungen haben seither versucht, den Geldumlauf auf ihrem Staatsgebiet zu kontrollieren. Das Fälschen von Münzen wurde zu einem hoch bestraften Majestätsverbrechen. Die Herrscher wollten das Recht, ihre Untertanen mit minderwertigem Geld auszubeuten, sich selbst vorbehalten.! Immer wieder wurden Kriege und Finanzengpässe durch die Ausgabe von «schlechtem» Geld finanziert. Unter schlechtem Geld verstehen wir Geld, dessen Nennwert (Nominalwert) den Materialwert (intrinsischer Wert), bei Weitem überschreitet – dies zu einer Zeit, in welcher die Verbraucher noch erwarteten, dass der intrinsische Wert ihres Geldes mit dem Nominalwert in einem als vernünftig empfundenen Verhältnis stand. ! Abbildung: Kaiser Maximilian I. (1508-1519) kontrolliert eine kaiserliche Münzstätte, Bild aus der Autobiographie Maximilians I., Weisskunig.!
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In Krisenzeiten wurde von Regierungen immer wieder schlechtes Geld ausgegeben. Hinter diesem «Notgeld» stand das Versprechen, es wieder in «gute» Währung umzutauschen, sobald die Notlage vorbei wäre.! Während des Achtzigjährigen Kriegs der Niederländischen Provinzen gegen Spanien (1568-1648) wurden in den belagerten Städten Notmünzen ausgegeben, um einen regulären Zahlungsverkehr aufrecht zu erhalten. Diese Notmünzen wurden aus minderwertigen Materialien wie Papier, Leder oder Blei hergestellt. Die Ausgabestellen versprachen, die Notmünzen in normalen Zeiten wieder gegen werthaltiges Geld umzutauschen.! Abbildung: Stadt Leiden unter spanischer Belagerung, 28 Stuiver aus Papier (Notgeld), 1574!
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Häufig war der Staat nicht in der Lage, seine Notmünzen wieder durch gutes Geld zu ersetzen. Das geschah zum Beispiel in Schweden zu Beginn des 18. Jahrhunderts unter dem Finanzminister Görtz.! Georg Heinrich von Görtz, schwedischer Finanzminister, hatte die Kriege Karls XII. von Schweden gegen Peter I. von Russland durch die Ausgabe der so genannten Görtz’schen Nottalern finanziert. Diese Taler bestanden nicht wie üblich aus Silber, sondern aus Kupfer. Man hoffte, diese Notmünzen nach einem schwedischen Sieg mit Hilfe stattlicher russischer Reparationszahlungen wieder gegen gute Taler austauschen zu können. Doch Karl XII. hatte sich verschätzt. Er unterlag dem russischen Zaren. So konnte die Regierung auch nach seinem Tod die Notmünzen nicht einwechseln, was ihren Erfinder Görtz das Leben kostete, obwohl er auf Befehl seines Königs gehandelt hatte. Die Nachfolgerin Karls XII. liess Minister Görtz als Sündebock hängen.! Abbildung: Königreich Schweden, Karl XII. (1697-1718), Taler aus Kupfer (Nottaler) 1718!
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Den ersten Versuch, in Europa Papiergeld in grossen Mengen als reguläres Zahlungsmittel in Umlauf zu setzen, wagte man in Frankreich. Dort hatte der Finanzexperte John Law (Bild, *1671, † 1729) mit Unterstützung des Königs eine Privatbank gegründet, die seit 1715 Papiergeld ausgab. Die Deckung, also das Versprechen, Papiergeld gegen Geld aus Edelmetall einlösen zu können, erfolgte nicht mehr allein über Edelmetallvorräte, sondern über eine Kombination aus Edelmetall und Grundvermögen mit den dazugehörigen Ertragsaussichten. Das Grundvermögen bestand aus Anteilen an der Mississippi-Kompanie, einer Aktiengesellschaft, welche die Ausbeutung der französischen Kolonien in Amerika zum Inhalt hatte. Der Run auf diese Aktien führte zur ersten Hausse der Börsengeschichte, leider aber auch zum ersten Börsenkrach. Mit dem schwindenden Vertrauen in die Mississippi-Gesellschaft fielen die Aktienkurse. Dies bewirkte gleichzeitig den Vertrauensverlust in die Papiergeldwährung, so dass es in Frankreich zu einer Inflation von erschreckendem Ausmass kam.!
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Erst im 19. Jahrhundert war dem Papiergeld ein dauerhafter Erfolg erschienen. Damals stellten Privatbanken ihren Kunden Banknoten zur Verfügung, damit diese grössere Summen in bar transferieren konnten. Dabei diente der gute Ruf, den eine Bank genoss, als Garantie dafür, dass der Geldschein jederzeit gegen Goldmünzen eingetauscht werden könne. Tatsächlich hielten sich die damaligen Banken zu diesem Zweck in den Tresoren grössere Goldmengen, auf die sie bei Bedarf zurückgreifen konnten.! Um eine staatliche Kontrolle über die Ausgabe von Papiergeld zu erlangen, wurde in den meisten europäischen Ländern gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Notenbank gegründet, der die Regierungen das Monopol reservierten, Banknoten auszugeben. Dies ging einher mit der Bemühung, alle fremden Münzen und Scheine aus dem Geldverkehr im eigenen Land auszuschliessen, was in der Schweiz erst 1927 durchgesetzt wurde.! Abbildung: Caisse d‘Escompte de Genève, Banknote zu 10 Franken 1856!
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Zunächst galt die Vorstellung, dass jede Notenbank einen Teil des Werts der ausgegebenen Scheine in Gold als Reserve zur Verfügung haben müsse. Diese Auffassung wurde 1944 mit der Währungskonferenz von Bretton Woods aufgegeben. Damals wurde der Dollar zur internationalen Leitwährung gemacht. Die USA verpflichtete sich, 25 Prozent ihrer ausgegebenen Geldscheine mit Gold zu decken. Jede ausländische Nationalbank, die ihre eigene Währung durch eine Dollarreserve deckte, erhielt die Zusicherung, dass diese Dollarnoten jederzeit gegen Gold aus Fort Knox umgetauscht werden könnten; der Preis für eine Unze Gold wurde auf 35 Dollars fixiert.! Schon damals gab es Gegner der Theorie, dass die Währung eines Landes an den Besitz von Gold gebunden sein müsse. Anhänger der Freigeldlehre argumentierten, dass die wirtschaftliche Aktivität wichtiger sei. Um die Wirtschaft am Laufen zu halten, müsse der Staat einfach genug Geld zur Verfügung stellen. «Gold wirft man nicht nach Mutungen und Schürfungen. Aber Schindleringe, die alle Jahre röter werden, die gibt man schon lieber her für ein unsicheres Geschäft», so Silvio Gesell in seiner «Natürlichen Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld».! Tatsächlich schienen die Kritiker der Golddeckung in den 60er-Jahren recht zu bekommen. Auf dem freien Markt stieg der Goldpreis an, während die US-Regierung weiterhin verpflichtet war, ihre Banknoten zu 35 Dollar pro Unze Gold zurückzunehmen.! Abbildung: Vereinigte Staaten von Amerika, Banknote zu 1 Dollar 1995!
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Auch der Silberpreis stieg weit über das bisher Gewohnte. Dies betraf vor allem die Schweiz, denn das Schweizer Kleingeld – 50 Rappen, 1- und 2-Franken – hatten als weltweit letzte Nominale einen Silbergehalt, der dem Nominalwert entsprach. Dieses enge Verhältnis zwischen Nominal- und Materialwert musste 1968 aufgegeben werden, um der Kleingeldknappheit entgegenzuwirken, die dadurch entstand, dass ein grosser Teil der Münzen von Privatunternehmern eingeschmolzen wurde und viele Menschen begannen, die silberhaltigen Stücke zu horten. Seit 1968 bestehen auch die Schweizerischen Münzen aus unedlem Metall (Näheres dazu siehe Kap. 2 Kleine Geldgeschichte). ! Die USA gab die Golddeckung des Dollars erst 1971 auf, weil die in Fort Knox gelagerten Goldbarren in keinem Verhältnis mehr zu den tatsächlich umlaufenden Dollarnoten standen – eine Einlösung der Dollarnoten also nicht mehr möglich war.! So sind also seit 1971 weltweit alle Währungen «Fiat-Währungen», also Währungen, die lediglich durch ein staatliches Gesetz als gültiges Geldmittel definiert sind. Eine Fiat-Währung besitzt keinerlei Deckung. Ihre Gültigkeit verdankt sie nichts als einer Konvention aller Angehörigen eines Staates, sie als gültig anzuerkennen.! Abbildung: Schweizerische Eidgenossenschaft, 1 Franken 1875 aus Silber, 1 Franken 1968 aus Kupfer-Nickel!
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