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Ist da noch jemand?

7 Ist da noch jemand?

Wenn im Weltall dieselben Gesetze gelten wie auf unserer Erde, dann ist die Erde nicht mehr einmalig. Es könnte viele weitere Erden geben, und das impliziert die Frage, wie es mit der Einmaligkeit des Menschen steht. Und wenn es weitere Erden gibt, kann man sie erobern?

Ein Ding der Unmöglichkeit

Jahrhundertelang war allein der Gedanke, die knapp 400 000 Kilometer zum Mond zu fliegen, der Inbegriff von Unmöglichkeit. So ist die erste Beschreibung einer Reise zum Mond

Ein Blick mit Weltraumteleskop Hubble auf den Tarantelnebel: Ob irgendwo da draussen intelligentes Leben existiert? Urheber: NASA, ESA, ESO, D. Lennon and E. Sabbi (ESA/STScI), J. Anderson, S. E. de Mink, R. van der Marel, T. Sohn, and N. Walborn (STScI), N. Bastian (Excellence Cluster, Munich), L. Bedin (INAF, Padua), E. Bressert (ESO), P. Crowther (Sheffield), A. de Koter (Amsterdam), C. Evans (UKATC/ STFC, Edinburgh), A. Herrero (IAC, Tenerife), N. Langer (AifA, Bonn), I. Platais (JHU) and H. Sana (Amsterdam).

Das Titelblatt von Keplers Traum, herausgegeben 1634, einige Jahre nach seinem Tod, von seinem Sohn Ludwig Kepler auch keine ernst gemeinte Science-Fiction, sondern nichts anderes als ein guter Witz. Der erfolgreiche Unterhaltungsautor Lukian von Samosata schrieb im 2. Jahrhundert n. Chr. eine Satire auf die damalige Form der Geschichtsschreibung: Zu seiner Zeit mischten nämlich Lokalhistoriker nur zu gerne gut bezeugte historische Ereignisse mit Mythen und Legenden. Und genau dies führt Lukian von Samosata in seiner Wahren Geschichte vor – so nämlich lautete in Übersetzung der Titel seiner Satire, in der ein paar abenteuerlustige Helden durch die Welt und den Weltraum vagabundieren.

Wenn Lukians Werk als erster Science-Fiction Roman präsentiert wird, ist das modernes Denken. Lukian wollte keine Science-Fiction schreiben. Für ihn stellte eine Reise zum Mond schlicht die allerhöchste Form der Unmöglichkeit dar, gleichzusetzen mit einer Reise auf die Insel der Seligen oder durch den Bauch eines Wals.

Das macht Lukian typisch für die menschliche Vorstellungswelt bis weit hinein in die frühe Neuzeit. Sonne, Mond und Sterne waren Teil der göttlichen Sphäre, die kein lebender Mensch bereisen konnte.

Wenn die Sterne nicht göttlich sind, kann der Mensch sie erreichen

Dies änderte sich mit Johannes Kepler, der mit seinem Bild vom Sonnensystem die Erde zu einem Planeten wie andere auch machte. Keplers Vorstellungen kannten keinen Unterschied zwischen irdischer und göttlicher Sphäre. Und wer wusste es schon? Sonne, Mond und Sterne mochten genauso besiedelt sein wie die Erde. Damit stellte sich Kepler die Frage, ob man wohl zum Mond gelangen könne, und wie dort die Lebensbedingungen seien.

Kepler dachte als Wissenschaftler. Er formulierte wohlüberlegte Thesen. So war er überzeugt, dass das Fehlen von Luft und die extreme Kälte zwischen den Planeten das

wesentliche Hindernis für eine Reise zum Mond darstellten. Als brillanter Mathematiker sagte er bereits voraus, dass es zwischen Erde und Mond einen Punkt geben müsse, an dem sich die Anziehungskräfte der beiden Planeten die Waage hielten, so dass ein Körper dort bis in alle Unendlichkeit schweben würde. Die Lebensbedingungen auf dem Mond knüpfte Kepler daran, ob es sich um die erdab- oder erdzugewandte Seite handle. Er glaubte, die beiden müssten unterschiedlichen Licht- und Klimaverhältnissen unterworfen sein.

Natürlich hätte Johannes Kepler diese Überlegungen in seiner Epoche nicht als wissenschaftliches Traktat veröffentlichen können. Schliesslich galt selbst der Heliozentrismus lediglich als Hypothese. Nie hätte die Kirche Spekulationen über ausserirdisches Leben erlaubt.

Deshalb erschienen Keplers Thesen nicht als wissenschaftliches Buch, und schon gar nicht zu seinen Lebzeiten. Erst sein Sohn Ludwig, der sich zu gerne als Poet etabliert hätte, veröffentlichte das väterliche Manuskript, allerdings nicht als wissenschaftliches Buch, sondern als komplizierten Roman, in dem die eigentliche Geschichte in mehrere Rahmenhandlungen eingebettet war. Keplers Traum konnte niemand verurteilen, auch wenn er noch so viele nicht akzeptierte Wahrheiten enthielt.

John Wilkins dachte Keplers Ideen weiter. Sein Buch über eine Reise zum Mond erschien vier Jahre nach Keplers Traum, also 1638. Hier eine deutsche Ausgabe von 1713.

Wo es Welten gibt, muss man sie erobern

Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation fand Keplers Traum kaum ein Echo. Ganz anders in England, in jener Nation, in der man sich daran gewöhnt zu haben schien, dass selbst Undenkbares zur Realität wurde. Denken wir daran, was sich alles in England zwischen 1575 und 1625 veränderte: 1580 kehrte Sir Francis Drake von seiner Weltumrundung zurück und brachte erbeutete Schätze im Wert von rund 600.000 Pfund Sterling heim. Das entsprach dem zweieinhalbfachen jährlichen Steueraufkommen des gan-

zen Landes, eine unglaubliche Summe. 1588 besiegte das kleine England die unbesiegbare Armada des mächtigen Spaniens, in dessen Reich die Sonne nie unterging. Und 1625 liess das Parlament den englischen König köpfen und beendete so eine Institution, die mehr als ein halbes Jahrtausend lang England beherrscht hatte. Kurz: Alles schien einem Engländer dieser Epoche möglich. Was war schon eine Reise zum Mond im Vergleich mit dem Ende des Königtums? Wenn man neue Kontinente, die noch kein Europäer gesehen hatte, entdecken und erobern konnte, wieso sollte der Mond unerreichbar bleiben, den doch jeder mit blossem Auge sah? War es nicht Pflicht jedes loyalen Engländers, alles in Bewegung zu setzen, um den Mond zu erobern und so den anderen Mächten zuvorzukommen?

John Wilkins war 26 Jahre jung, als er Keplers Ideen weiterführte. Er hatte 1634 sein Studium in Oxford mit dem Magister abgeschlossen und danach Astronomie studiert. 1637 wurde er zum Vikar geweiht, doch das änderte nichts an seinem Interesse für die Naturwissenschaften. Wilkins veröffentlichte 1638 The Discovery of a World in the Moone. Nur zwei Jahre später erschien eine erweiterte Überarbeitung seines Werks mit dem Titel A Discourse Concerning the New Planet. Darin behauptete Wilkins, einen Beweis erbringen zu können, dass die Erde nichts anderes sei als ein Stern und dass auf dem Mond Menschen leben würden. Wilkins wurde nicht nur von Kopernikus angeregt, sondern auch von The Man in the Moone, einem sehr erfolgreichen, aber völlig fiktiven Werk, das Bischof Francis Godwin – ebenfalls ein Oxford-Absolvent – in den späten 1620er Jahren verfasst hatte, und das, bevor es 1638 in Druck ging, in Oxford sicher als Handschrift greifbar war.

John Wilkins wollte keine Fiktion schreiben. Er sah sich als Wissenschaftler und vertrat die Ansicht, dass es nicht schwer sein könne, die Erdanziehung zu überwinden, da diese sich nur etwa 20 Meilen in die Luft erstrecke. Für die Reise entwarf er eine Art geflügelter Kutsche, angetrieben

Titelkupfer der deutschen Ausgabe von John Wilkins, erschienen 1713 in Leipzig.

von einem Uhrwerk mit Federn, die mit Hilfe von Schiesspulver ins All geschossen werden sollte. Übrigens, Vorräte auf diese Reise mitzunehmen, hielt John Wilkins für unnötig, da der Magen im Weltall stets voll bleibe. Er glaubte, dass die Nahrung auf Erden durch die Schwerkraft durch den Körper gepresst und damit der Bauch leer werde. Im Vakuum bleibe der Bauch angenehm gefüllt. (Dass Nahrung noch einen anderen Zweck haben könnte, als den Bauch zu füllen, kam Wilkins nicht in den Sinn.)

Dass eine Reise zum Mond durchaus machtpolitische Motive haben könnte, darauf deutet auch der Titelkupfer unseres Buchs von 1713 an. Auf ihm sehen wir oben die Sonne, die in Form des Sonnengottes Apollon ihr Szepter schwingt. Direkt unter ihm steht ein König, vielleicht August der Starke von Sachsen, König von Polen. Schliesslich gehörte der Verlagsort Leipzig zu seinem Herrschaftsbereich. Ikonographisch könnte der Adler zu Füssen des Herrschers auf August hinweisen, dessen Königreich Polen den Adler

Titelbild der deutschen Übersetzung zu Jules Vernes drittem Roman: Von der Erde zum Mond.

im Wappen führte. Ein weiteres Indiz ist der Heraklesknoten, mit dem der Königsmantel zusammengehalten wird. August der Starke inszenierte sich zu gerne als Herakles.

Und dieser König führt an seiner Hand eine Gestalt, die vielleicht für den vom Christentum beherrschten Planeten Erde steht. Immerhin hält sie in der Linken den bekreuzten Reichsapfel. Wartet Selene, die uralte Mondgöttin, die ihre Hand auf einen realistisch wiedergegebenen Mond stützt, darauf, dass der König sie genauso führt wie die Erde? Selene scheint August und die Erde jedenfalls erwartungsvoll anzublicken.

Dass all dies nicht friedlich vor sich gehen wird, darauf deutet Mars hin, der über Selene sein Schwert entblösst hat. Zu Linken steht Saturn-Chronos, der Gott der Zeit. Er wird bezeugen, ob es gelingen wird, sich den Mond und seine Bewohner zu unterwerfen.

Science Fiction

Satire, wissenschaftliche Arbeiten, das alles ist noch keine Science Fiction im modernen Sinne. Dieses Genre wurde geformt von Jules Verne, den man dafür bezahlte, einem breiten Publikum die Naturwissenschaften (Science) näher zu bringen, indem er sie in packende Geschichten (Fiction) einbettete. Seine Romane erschienen in Fortsetzungen, abgedruckt in populären Magazinen. Ende des Jahres gab es – übrigens hervorragend als Weihnachtsgeschenk geeignet – noch einmal den ganzen Roman in Buchform. Jules Verne war brillant. Er recherchierte akribisch und sah so tatsächlich manche Entwicklung voraus, so zum Beispiel wenn er in seinem Roman De la Terre à la Lune den Abschuss der Rakete nach Florida verlegt, wo die NASA tatsächlich ihre Abschussrampe hat.

Jules Vernes Roman über eine Reise zum Mond erschien 1865 und spiegelte die damalige Gegenwart. So sind die gelangweilten Ingenieure Baltimores seine Helden, die nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs nichts mehr zu tun haben. Sie kommen auf die Idee, eine gigantische Kanone zu bauen, um ein bemanntes Geschoss bis zum Mond zu schiessen. Doch alle Mühen und Investitionen sind umsonst: Der Roman endet damit, dass die Rakete den Mond verfehlt. Erst fünf Jahre später folgte die Auflösung: Jules Verne publizierte 1870 Autour de la Lune (= Reise um den Mond). In diesem Roman bringt er seine Helden wieder auf die Erde zurück, ohne dass sie den Mond betreten haben.

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