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Die Kunst der Berechnung

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Die Weltmaschine

Die Weltmaschine

3 Die Kunst der Berechnung

Das 16. und 17. Jahrhundert sollte die entscheidende Epoche für die Astronomie werden. Quasi im Monatstakt machten Sterngucker neue Entdeckungen und verbreiteten sie mit Hilfe der noch jungen Druckerpresse. Damit vervielfältigte sich das astronomische Wissen über die Sternbewegungen. Durch das zusätzliche Datenmaterial gewannen die Mathematiker ganz andere Möglichkeiten zur Berechnung der Planetenbahnen. Das war auch dringend nötig, denn die Zeit war aus dem Takt geraten.

Der bekannteste Astronom des 16. Jahrhunderts: Christopher Clavius

Als Lichtgestalt der Astronomie galt im 16. Jahrhundert weder Kopernikus, noch Kepler oder gar Galilei, sondern der heute im breiten Kreisen vergessene Christopher Clavius. Er beeinflusste unser tägliches Leben nachhaltig. Ihm verdanken wir den immer noch gültigen Gregorianischen Kalender von 1582, nach dem heute die ganze Welt ihre Termine festlegt.

Clavius wurde 1538 in Bamberg geboren. Er war nicht nur hoch intelligent, sondern auch tief gläubig, eine Kombination, die ihn für eine Karriere bei den Jesuiten prädesti-

Porträt des Christoph Clavius im geistlichen Gewand. Er hält einen Zirkel in der Hand, das wichtigste Hilfsmittel für geometrische Berechnungen. Im Hintergrund weitere astronomische Messgeräte.

nierte. Kein anderer Orden liess seinen Schützlingen eine vergleichbare Ausbildung angedeihen: Clavius trat 1555 – also mit 17 Jahren – dem Orden bei. Schon ein Jahr später schickte man ihn an die berühmte Universität von Coimbra, wo damals der Mathematiker und Astronom Pedro Núñez lehrte. Núñez revolutionierte die Positionsbestimmung der Gestirne, so dass deren Stand wesentlich akkurater als zuvor dokumentiert werden konnte. Seine Innovationen waren von entscheidender Bedeutung für die Datenerfassung.

Fünf Jahre später wurde Clavius ans Collegio Romano in Rom berufen. Dort ernannte man ihn 1563 zum Professor für Mathematik – Mathematik nicht Astronomie! Aber wie wir bereits mehrfach betont haben, gehörte die Astronomie zu den mathematischen Wissenschaften. Deshalb zeichnete Clavius auch verantwortlich für die Reorganisation der päpstlichen Sternwarte.

Und das führt uns zu einer entscheidenden Frage: Warum besass der Papst überhaupt ein astronomisches Forschungszentrum? Schliesslich glauben wir doch alle zu

wissen, dass sich der Vatikan nicht für den astronomischen Fortschritt interessierte.

Auferstehung Christi. Isenheimer Altar von Matthias Grünewald. Colmar. Foto: KW.

Warum interessierte sich die Kirche für Astronomie?

Tatsächlich gehörte die Kirche zu den wichtigsten Förderern der Astronomie, und zwar aus einem einfachen Grund: Sie hatte ein Sonne-Mond-Kalender-Problem. Während sie den Jahreswechsel nach dem Julianischen – auf der Sonne basierenden – Kalender berechnete, fixierte sie das Datum für das Osterfest nach dem Mondkalender: Es fiel auf den Sonntag nach dem ersten Vollmond nach dem Frühjahrsäquinoktium, also nach dem Tag, an dem die Sonne im Frühjahr genauso lang über wie unter dem Horizont steht. Damit musste im voraus(!) berechnet werden, auf welchen Tag des kommenden Julianischen Jahres das Äquinoktium fallen würde. Dieses Datum musste man in den Mondkalender umrechnen, um den nächsten Sonntag als Ostertag zu benennen und davon ausgehend einen Teil des Kirchenjahres festzulegen.

Nun hat dummerweise das Sonnenjahr nicht 365, sondern 365,2422 Tage, eine ungerade Zahl, die der Julianische Kalender mit einem Schalttag alle vier Jahre ausgleicht. Trotzdem weicht das Julianische Jahr jedes Jahr um exakt 0,0078 Tage vom Sonnenjahr ab. Das summierte sich. 1235, als Sacrobosco einen Vorschlag für eine Kalenderreform machte, betrug dieser Zeitunterschied bereits ca. 10 Tage!

Das hätte in Rom niemanden kümmern müssen, hätte der Papst nicht als pontifex maximus den Anspruch erhoben, weltweit die Verantwortung für die Zeitrechnung zu tragen. Er hatte dieses Amt von seinen römischen Vorgängern geerbt, von denen der berühmteste pontifex maximus Julius Caesar die letzte Kalenderreform durchgeführt hatte. Vor allem in einer Zeit, in der überall Kritik am Papsttum laut wurde, war es eine sinnvolle PR-Massnahme, wenig-

stens diesen Missstand zu beseitigen. Die Mittel waren vorhanden: Der Papst leistete sich die besten Astronomen der Welt zur Berechnung des Osterdatums. Sie trugen den Ehrentitel Computisten. Christopher Clavius war einer von ihnen.

Warum die Kirche mit Kopernikus anfangs überhaupt kein Problem hatte

Und diesen Computisten lieferte Nikolaus Kopernikus mit seinem Buch De revolutionibus orbium coelestium (= Über die Umlaufbahnen der Himmelssphären) im Jahr 1543 eine neue Methode, wie sich die Umlaufbahnen der Planeten wesentlich einfacher vorherberechnen liessen. Wenn man davon ausging, dass die Erde um die Sonne kreiste, fielen auf einen Schlag all die lästigen Purzelbäume der Gestirne weg, die so schwierig vorherzusagen waren. Seine Zahlen und Methoden wurden deshalb sehr schnell

Seite aus dem Manuskript des Kopernikus, auf dem er ein Weltall konstruiert, bei dem die Erde sich um die Sonne

Titelblatt einer der zahlreichen Auflagen des Lehrbuchs von Christoph Clavius mit dem Titel In sphaeram Ionnis de Sacro Bosco commentarius. Unser Exemplar erschien 1596 in Venedig

akzeptiert. Weltanschauliche Probleme gab es keine, denn der Herausgeber der Schrift hatte vorsichtshalber eine anonyme Einführung vorausgeschickt, in der er festhielt, dass Kopernikus sein Buch als ein Gedankenspiel verstanden habe, als eine Hypothese, mit deren Hilfe sich alle Berechnungen leichter durchführen liessen. Kopernikus konnte dem nicht mehr widersprechen. Er starb am 24. Mai 1543 im heute polnischen Frauenburg. Wahrscheinlich hat er sein in Nürnberg gedrucktes Buch nie in Händen gehalten.

Das Lehrbuch des Clavius

So flossen also auch die Erkenntnisse des Nikolaus Kopernikus ein, als Christoph Clavius im Jahr 1570 sein epochales und grundlegendes Lehrbuch zur Astronomie publizierte. Dieses Lehrbuch, das Clavius bescheiden In sphaeram Ioannis de Sacro Bosco commentarius (= Kommentar zu den Sphaeren des Johannes von Sacrobosco) nannte, löste das Werk des Sacrobosco an allen Universitäten ab. Alle wichtigen Astronomen lernten ihr Handwerk fortan anhand des Buchs von Christopher Clavius. 2022 konnte das MoneyMuseum im Frankfurter Antiquariat Tresor am Römer ein Exemplar dieses neuen Lehrbuchs kaufen. Es handelt sich um eine Ausgabe von 1596. Das Buch des Clavius wurde nämlich schon zu seinen

Das neue Lehrbuch von Christoph Clavius war in der Theorie nur ein Kommentar zu Sacrobosco. Allerdings übertrafen die von Clavius verfassten Passagen die Länge des eigentlichen Textes um ein Vielfaches.

Lebzeiten ständig nachgedruckt: allein zwischen der Erstpublikation und dem Tod des Clavius sieben(!) Mal. Der Autor erweiterte und ergänzte jede einzelne Ausgabe, um auf dem neuesten Stand der Forschung zu bleiben. Er erwähnt zum Beispiel in einer der späteren Ausgaben die Beobachtungen, die Galilei mit seinem Fernrohr machte.

Wer also auf dem neuesten Stand der Forschung bleiben wollte, musste sich alle sieben Ausgaben des Clavius vom Buchmarkt kommen lassen! Bis 1618, also in den sechs Jahren nach dem Tod des grossen Astronomen, erfuhr das Werk neun weitere Auflagen!

Das stellt uns vor zwei Fragen: Warum explodierte das astronomische Wissen in der Zeit um 1600 derart, dass dieses grundlegende Werk ständig ergänzt werden musste? Und wieso schluckte der Buchmarkt derart viele Ausgaben? Um das zu erklären, müssen wir vier Faktoren in Rechnung stellen: 1. Die grosse Kalenderreform 2. Die Erwerbsmöglichkeiten für Astronomen 3. Die verbesserten Messmethoden 4. Die Erfindung des Fernrohrs

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