DU - Manesse - Diogenes

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Du – Manesse – Diogenes Literatur vom Feinsten


DU – MANESSE – DIOGENES LITERATUR VOM FEINSTEN

Text: Ursula Kohler


INHALT

Du – zwei Buchstaben und eine Vision

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Manesse – Kostbare Weltliteratur

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Diogenes – Who’s who der Literatur

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«Du» Erstausgabe, März 1941


DU – ZWEI BUCHSTABEN UND EINE VISION «Du bist nicht allein! Du bist nicht für dich allein da. Du hast Verantwortungen und Aufgaben jenseits deiner persönlichen Neigungen und Abneigungen. Von allem redet unser Titel.»

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März 1941: Der Titel, von dem hier die Sprache ist, lautet schlicht und einfach: «Du». Wer darüber im ersten Vorwort spricht und hofft, dass die Botschaft hinter dem Titel vom Publikum aufgenommen wird, ist Arnold Kübler, Chefredaktor der neuen Zeitschrift. «Du ist ein Programm», schreibt der 52-Jährige. «Wir leben in einer Zeit grösster Umwälzungen und Verschiebungen. Es herrscht Eisgang in den Zuständen der Welt.» Die Zeitschrift wird mitten im Zweiten Weltkrieg lanciert – herausgegeben vom Medienunternehmen Conzett & Huber. Einen Zweck erfüllt das neue Kulturmagazin von Anfang an: Es soll die neu erstandene Tiefdruckmaschine zum Rotieren bringen und Werbung in eigener Sache machen. Dass diese moderne Maschine überhaupt vorhanden war, lag aber genau daran, dass das Unternehmen qualitativ hochstehende Produkte herstellen wollte, für die es diese technische Ausrüstung benötigte. Übrigens wurde das «Du» in seinen Anfangszeiten in den Büros, in denen dieser Text entstanden ist, hergestellt. Das ist kein Zufall. Jürg Conzett, Gründer des MoneyMuseums und der Sunflower Foundation, ist der Urenkel von Verena Conzett, die Conzett & Huber zu dem gemacht hatte, was es wurde. Vom armen Arbeitermädchen ist sie – durch Schicksalsschläge und eigene Kraft – zur erfolgreichen Verlegerin geworden. Vielleicht blättern wir deshalb besonders gerne in der Mai-Ausgabe des «Du», das unter dem Titel «Der schweizerische Arbeiter» 1943 erschienen ist. Da gibt es Töne, die aufhorchen lassen: «Dass unser jetziges kapitalistisches Wirtschaftssystem gut oder gerecht sei, werden gewiss die wenigsten behaupten.» Der Autor des Artikels, Th. Bovet, plädiert für eine «grundlegende Änderung des ganzen Systems». «Es geht um ein ganz neues Verhältnis des Menschen zu seinem Nächsten und zu den Dingen.» Wie hat es Chefredaktor Kübler zwei Monate zuvor 8


Der schweizerische Arbeiter

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Mai 1943 § SchweizeÄche Monatsschrift

«Du», Mai 1943


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«Du», Februar 1942


formuliert? «Du ist ein Programm.» Immer wieder wird das Grundthema aufgenommen, in einem Vorwort oder Artikel. Doch es war alles andere als selbstverständlich, dass die neue Zeitschrift letztlich den Titel «Du» trug. Im Gegenteil: Emil Schulthess, Hausgrafiker bei Conzett & Huber, erinnerte sich in einem Beitrag an die Anfangszeit der Zeitschrift. Küblers «Du» wurde von der Geschäftsleitung nicht goutiert. «Windstärke 13», «Tic-Tac», «Elan» oder «Profil» wurden als passable Titel vorgeschlagen. Doch Arnold Kübler blieb beim «Du», konnte den Grafiker überzeugen und mit dessen bildnerischer Unterstützung bald auch die Geschäftsleitung.

Mehr als ein Titel – ein Zukunftstraum Zu einer Zeit, in der die Bewegung der Menschen nicht zueinander, sondern voneinander wegging, nahm der Titel eine Vision auf. Eine Vision der kulturellen Öffnung und gesellschaftspolitischen Relevanz. «Thinking outside the box» könnte man heute nennen, was Arnold Kübler mit der neuen Zeitschrift anvisierte. Das «Du-Gebiet» sollte fotografisch und journalistisch aufbereitet werden. Wir können uns heute kaum vorstellen, wie revolutionär der Ansatz war – in einer Zeit, in der es schwierig war, Informationen ausserhalb der eigenen Box, in der «Du-Landschaft», zu erhalten. In einer Zeit auch, in der die Menschen sich mit einem distanzierten «Sie» begegneten. Ganz im Zeichen des Du ist eine Ausgabe im Jahr 1942 den Kindern gewidmet. «Aus einem Bild ist uns ein Heft geworden», schreibt Arnold Kübler im Vorwort. Beim Bild handelt es sich um Albert Ankers «Armensuppe in Ins». Die Zeitschrift appelliert an die Verantwortung jedes Einzelnen, die Kinder nicht im Stich zu lassen. An ein anderes Du ist die Novemberausgabe 1946 gerich11


tet: an die Frau. Das Heft soll die Rolle der Frauen im Leben der Gesellschaft und des Staates beleuchten. An die eigene Frau gewandt, schreibt Arnold Kübler, dass er es «sehr schön fände, an irgendeinem kommenden Sonntagmorgen nächstens den ersten Gang zum Stimmlokal an Deiner Seite zu tun». Dieser Sonntagmorgen lässt auf sich warten, Arnold Küblers Frau wird die Annahme des Frauenstimmrechts knapp 25 Jahre später leider nicht mehr erleben.

Journalisten am Werk Ein kleines Detail zeigt von Anbeginn an, dass hier Profis an der Arbeit sind. Das erste Titelbild, ein Porträt von Maria Magdalena Schulthess, hat drei Leser dazu veranlasst, Kritik anzubringen, die in einem Korrigendum im zweiten Heft mündet. Wie die Redaktion reagiert, ist ein Lehrstück journalistischen Handwerks. Zuerst wird ein kleiner Fehler berichtigt: Drei Wörter fehlten, weil die Mutter der Porträtierten nicht erwähnt wurde. Keine grosse Sache, das wird an jener Stelle ergänzt. Vermutlich aber hatte die Redaktion zu wenig Zeit für die Recherche und schrieb in der ersten Ausgabe, dass sich leider nicht feststellen liess, «von wessen Hand das hier gezeigte Porträt stammt». Doch nun kann die Redaktion «zu unserer Genugtuung unsern Lesern mitteilen, dass uns ein uns wohlgesinnter Leser, der ausgezeichnete Kunstkenner Dr. Walter Hugelshofer, zu wissen gab, das Porträt der Maria Magdalena Schulthess sei von Susette Hirzel gemalt worden, über welche Malerin wir gelegentlich in einem unserer spätern Hefte Näheres mitzuteilen gedenken». Um die Kritik noch vollständig zum Guten zu wenden, wird als Letztes ein Leser zurechtgewiesen, der sich darüber beklagt hatte, dass eine Ausländerin auf dem Titelblatt abgebildet sei: «Wir empfehlen dem jungen 12


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AG V. CONZETT & HUBER, ZÜRICH

«Du», April 1941


Manne, sich ein wenig unter den heutigen Schweizerinnen umzusehen. Er wird aus der Tatsache, dass unser Vaterland anmutige und liebwerte Frauen mit gutschweizerischem Stammbaum in grosser Zahl besitzt, schliessen dürfen, es habe auch vor hundert und mehr Jahren schon titelbildwürdige Schweizerinnen gegeben.» Herrlich, nur schon diesen kleinen Text in der zweiten Ausgabe des «Du» zu lesen. Die Zeitschrift konnte von Anfang an hervorragende Fotografen für sich gewinnen: Werner Bischof, Hans Staub, Henri CartierBresson … Es gab Stimmen, die später meinten, «Du» habe das Thema des Krieges nicht aufgenommen. Das «Du» als schön-geistige, qualitativ hochstehende Kulturzeitschrift. Stimmt das? Der Krieg war zwar nicht von seiner kriegerischen Seite, sehr wohl aber von der gesellschaftspolitischen Sichtweise her ein Thema. Im ersten Heft ist die Selbstversorgung in der Schweiz ein Thema. Im zweiten Heft wirft ein Bericht über den Besuch der Schweizerischen Handelsdelegation in Russland vom Februar 1941 einige Fragen auf. Das dritte Heft porträtiert berühmte Flüchtlinge wie die Kronprinzessin Marta von Norwegen, die nach den USA ausgewandert sind. «Die amerikanische Demokratie der USA kennt keine Unterschiede der Rasse, Nation, noch des Ranges und der Klasse. Diese Einstellung kommt jetzt auch den Familien exilierter Monarchen zugute.» Eine Aussage, die wohl damals wie heute geschönt ist.

Das «Du» im Verlauf der Jahre Arnold Kübler, der erste Chefredaktor, hat die Zeitschrift von 1941 bis 1957 geprägt. Ihm, dem erfahrenen Journalisten, hat Conzett 15


& Huber die Verantwortung übertragen. Die hauseigene «Zürcher Illustrierte», für die er zuvor tätig war, wurde an den Konkurrenten Ringier verkauft. 16 Jahre später, Arnold Kübler ist inzwischen 68 Jahr alt, ist der Abgang von Misstönen begleitet. Kübler fühlte sich fallen gelassen. Sein Nachfolger Manuel Gasser wird die Zeitschrift bis 1974 leiten und die Kunst, insbesondere die Fotografie, ins Zentrum stellen. Nach fünf Jahren unter Dominik Keller und acht Jahren mit Wolfhart Draeger wird Dieter Bachmann 1988 Chefredaktor. Zu diesem Zeitpunkt gehört das «Du» bereits zum «Tages-Anzeiger». Zusammen mit dem ganzen Unternehmen «Conzett & Huber» ist die Zeitschrift in neue Hände gelangt. Doch wie weiter mit der an Auflage verlierenden Zeitschrift? Seit 50 Jahren im Verkauf, ist die Blütezeit vorbei. Dieter Bachmann gelingt es, das «Du» total zu revidieren. Interessanterweise greift er auf die Anfangszeit zurück: Zwei Punkte sind dabei relevant: die thematischen Hefte und die Ausweitung von der bildenden Kunst auf den gesamten kulturellen Bereich. Sogar das ursprünglich übergrosse Format wird wieder eingeführt. Die Zeitschrift erlebt einen Aufschwung. Doch die Reise des «Du» geht weiter. Von der Tamedia gelangt der Titel an den Niggli Verlag in Sulgen, der ihn nach fünf Jahren wiederum an Oliver Prange weiterverkauft. In dessen Besitz befindet sich die Zeitschrift seit 2007 bis heute. Im MoneyMuseum Zürich sind Besucherinnen und Besucher herzlich eingeladen, in den «Du»-Zeitschriften zu blättern. Wer digital in der Zeitschrift lesen möchte, findet den gesamten Bestand ohne die ganz aktuellen Ausgaben auf www.e-periodica.ch. 16


Aber Achtung: So schnell kommt man vom «Du» nicht mehr los. Über sieben Jahrzehnte erzählte Geschichte und Kultur.

Fazit Die Zeitschrift mit dem gewagten Titel «Du» wird im Kriegsjahr 1941 von Conzett & Huber herausgegeben. Hinter dem Titel «Du» steht sowohl ein Programm wie eine Vision vor allem des Gründers Arnold Kübler. Die Zeitschrift «Du» hat mehrmals die Hände gewechselt, steht aber bis heute für eine Kulturzeitschrift mit Qualität.

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Aus der Manessischen Liederhandschrift


MANESSE – KOSTBARE WELTLITERATUR Sie sind klein von Gestalt, edel, vielleicht sogar in Leinen oder Leder gebunden. Wer eines davon in den Händen gehalten hat, wird sie sofort wiedererkennen. Die Rede ist von den erlesenen Büchern der Manesse Weltliteratur. Nicht nur die Verpackung ist schön, auch der Inhalt spricht von hoher Qualität. Die bekanntesten Vertreter der Weltliteratur finden sich zwischen den Buchdeckeln: Wolfgang Goethe, William Shakespeare, Fjodor Dostojewski, Jane Austen, Friedrich Nietzsche, Virginia Wolf …

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Den Auftakt zur Manesse-Reihe machte kein Shakespeare, sondern ein Weltklassiker, der auch der Kinderbuchwelt zugeordnet wird: «Moby-Dick». Der Autor Herman Melville hatte ursprünglich keinen Erfolg mit der umfangreichen Geschichte, die 1851 erstmals in drei Bänden erschien. Erst im 20. Jahrhundert wird der Roman wiederentdeckt. Die im Manesse Verlag 1944 erschienene Ausgabe ist die erste vollständige Übersetzung auf Deutsch. Sie umfasst 918 Seiten. Zu einem Jugendbuch wurde «Moby-Dick» später sicher nicht durch die philosophischen und wissenschaftlichen Exkurse, sondern durch das Verkürzen auf die Abenteuergeschichte rund um die Jagd auf den Pottwal Moby Dick. Neben diesem Werk steht ein ganz Grosser am Start des Verlags: «Goethe im Gespräch» heisst der Band der ersten Stunde. Mit 883 Seiten kommt er an Umfang fast an «Moby-Dick» heran. Gegründet wurde der Manesse Verlag im Jahr 1944. Walther Meier ist mit der Idee einer weltliterarischen Bibliothek an das Medienunternehmen Conzett & Huber herangetreten. Wer war Walther Meier? In Zürich studierte er Germanistik, Philosophie und Geschichte. Als Chefredaktor der «Neuen Schweizer Rundschau» rettete er die kriselnde Zeitschrift, die auch von Conzett & Huber herausgegeben wurde. Walther Meier war eine nach aussen gerichtete, redebegabte Persönlichkeit. Die Manesse Bibliothek entsprach seinem ausgeprägten Interesse an klassischer Weltliteratur. Sie war sein Lebenswerk. Zu den Besonderheiten der Manesse-Publikationen gehört eine ausführliche Einleitung zu jedem Werk. Sie erleichtert den Zugang zur klassischen Literatur. 20


Der Name des Verlags orientiert sich an der Manessischen Liederhandschrift aus dem Mittelalter, dem so genannten Codex Manesse. Entstanden ist die Manessische Liederhandschrift nach 1300. Die Sammlung mittelhochdeutscher Lied- und Spruchdichtung ist reich illustriert auf 426 beidseitig beschriebenen Pergamentblättern erhalten, wobei 140 leere Seiten darauf hinweisen, dass das Werk nicht abgeschlossen war. Mehrere Hände haben an diesem Meisterwerk geschrieben. Aber auch der Inhalt rührt von verschiedenen Dichtern her. Der Zürcher Patrizier Rüdiger Manesse und sein Sohn haben den Grossteil zur Sammlung beigetragen. Von daher kommt ihr Name. Eine bedeutende Rolle spielte auch Johannes Hadlaub, Ritter und Minnesänger aus Zürich. Viel Beachtung fanden die farbigen, ganzseitigen Miniaturen, die die Dichter abbilden. Das Buch – seine Pergamentblätter im Format von 35,5 mal 25 cm sind um einiges grösser als die Manesse-Bändchen – hat heute eine bewegte Geschichte hinter sich. Ein Wunder, dass es sich erhalten hat. Die Manessische Liederhandschrift musste bei Machtwechsel oder Kriegen gerettet werden, wechselte den Besitzer, tauchte sogar mal längere Zeit unter, wurde in Paris wieder gefunden, wo sie 230 Jahre verblieb. Ende des 19. Jahrhunderts konnte sie nach Heidelberg überführt werden, wo sie während der Weltkriege versteckt wurde. Heute wird sie in einem klimatisierten Tresor der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt und nur noch äusserst selten an Ausstellungen gezeigt. Von der Manessischen Liederhandschrift gibt’s übrigens im MoneyMuseum eine Faksimile von 1911.


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Bibliographische Information Wissenschaftliche Beschreibung Textedition (Lyrik des deutschen Mittelalters) Startseite des Bandes Weitere Informationen Bilderschließung in HeidICON Bibliographie Codex Manesse

Aus der Manessischen Liederhandschrift


Manessische Liederhandschrift, Manesse Verlag, Manessische Weltbibliothek – und was hat das alles mit dem MoneyMuseum zu tun? Jürg Conzett, Gründer des MoneyMuseums, stammt aus der Familie des Medienunternehmens Conzett & Huber. So ist ein schöner Bestand der Manesse-Bände in der Familie geblieben, der nun im MoneyMuseum einen Platz gefunden hat. Und wie ging es mit dem Manesse Verlag nach Walther Meier weiter? 1971 gab er die Leitung an Federico Hindermann weiter. 1983 trennte sich Conzett & Huber vom Manesse Verlag, der heute zur Verlagsgruppe Random House gehört. Der Slogan «Wenn lesen, dann erlesen» umschreibt den Verlag heute so gut, wie es immer schon gepasst hätte. Das Frühlingsprogramm 2017 wird von einer alten Bekannten der Manesse Weltbibliothek dominiert: Jane Austen. Zum 200. Todestag ist «Sense and Sensibility» – zu Deutsch «Vernunft und Gefühl» – neu übersetzt worden. Zufall oder nicht? Das MoneyMuseum befindet sich an der Hadlaubstrasse. Ritter Hadlaub hat seinerzeit einen bedeutenden Beitrag an die Manessische Handschrift beigetragen. So kreuzen sich die Wege über die Jahrhunderte hinweg.

Fazit Gegründet wurde der Manesse Verlag von Walther Meier und Conzett & Huber im Jahr 1944. Der Name, von der Manessischen Liederhandschrift inspiriert, ist Programm. Die Manesse-Bücher orientieren sich seit über 70 Jahren an der klassischen Weltliteratur.

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Daniel Keel und Rudolf C. Bettschart, Foto: Iren Monti


DIOGENES – WHO’S WHO DER LITERATUR Wissen Sie, was Hugo Loetscher, Friedrich Dürrenmatt oder Doris Dörrie gemeinsam ist? Sie alle wurden und werden bei Diogenes verlegt. In fünfzig Verlagsjahren sind 3347 Titel von gut 700 Autoren in einer Gesamtauflage von über 150 Millionen Exemplaren erschienen – dies schreibt Verleger Rudolf C. Bettschart in der Verlagschronik von 2003. Einige Titel werden inzwischen noch hinzugekommen sein. Jürg Conzett hatte die Gelegenheit, das persönliche Bucharchiv des ehemaligen Verlagsinhabers zu übernehmen und den Besucherinnen und Besuchern des MoneyMuseums zur Verfügung zu stellen.

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Doch wie fing alles an? 1952 wagte der 23-jährige «Gehilfe» bei Orell Füssli, wie Daniel Keel sich selbst nannte, mit einem einzigen Buch einen Verlag zu gründen: «Weil noch das Lämpchen glüht» von Ronald Searle. Ein Verlag für humoristische Bücher sollte es sein, im zweiten Jahr erscheinen sechs, 1954 acht Bücher, darunter Loriots «Auf den Hund gekommen». Der Verlag wächst, belletristische Bücher kommen hinzu. Buchhaltung und Budget stehen weniger auf dem Programm, bis Rudolf C. Bettschart, ein alter Freund, am selben Tag wie Daniel Keel geboren, die Buchhaltung übernimmt. Zur Vergangenheit gehört fortan die legendäre Buchhaltungs-Schuhschachtel unter dem Bett. Besser könnte die Aufgabenverteilung der Freunde nicht sein. 1961 steigt Bettschart vollständig in den Verlag ein. Es folgen spannende Jahre an der Rämistrasse 33, die angelsächsischen Autorinnen Carson McCullers und Patricia Highsmith oder deutschsprachige Autoren wie Alfred Andersch oder Urs Widmer stossen dazu. Mit dem Umzug 1970 an die Sprecherstrasse 8, wo sich der Verlag heute noch befindet, beginnt eine neue Ära. Nun entstehen die unverkennbaren Taschenbücher von Diogenes, detebe genannt. Bezahlt der Verlag beim Eintritt in den Taschenbuchmarkt noch Lehrgeld, werden die handlichen Bücher schon bald zum Fundament des Verlags. Nicht nur Zweitausgaben, sondern auch Neuerscheinungen starten als Taschenbuch, darunter die gelb-schwarzen Krimifolgen. 1985 hebt «Das Parfum» von Patrick Süskind den Verlag auf eine sichere Basis, mehr noch, im selben Jahr erlangt erstmals ein Sachbuch – «Geschichte der griechischen Philosophie» von Luciano De Crescenzo – einen Riesenerfolg. Der Verlag gehört spätes26


Oben: Daniel Keel, unten links: Rudolf C. Bettschart, unten rechts: Philipp Keel Foto: Iren Monti


ten von nun an zu den etablierten deutschsprachigen Literaturverlagen. Diogenes’ Autorinnen und Autoren lesen sich wie ein Who’s who der Literaturszene. Zur selben Zeit stösst Dürrenmatt endgültig als Autor hinzu. 2003 erscheint zum 50-jährigen Jubiläum des Verlags eine knapp 1000-seitige Chronik. Fast schwindlig wird es dem Leser, der Leserin ob der Vielfalt an Geschichten und Episoden, die auf diesen Seiten entfaltet werden. Ehrfürchtig staunt man ob der unermüdlichen Arbeit, die hinter den zahlreichen Werken steht: Wellen werfende Neuerscheinungen, Klassiker, Kinderbücher, Krimis, Taschenbücher, gebundene Werke, Gesamtausgaben usw.

Gibt es ein Geheimrezept für diesen Erfolg? Weshalb hat der Diogenes-Verlag – gestartet von einem jungen Buchhändler mit einem einzigen Buch – geschafft, woran so viele andere Verlage gescheitert sind? Die Antwort scheint in der Persönlichkeit Daniel Keels und seines Geschäftspartners und Freundes von Kindsbeinen an, Rudolf C. Bettschart, zu liegen. Ein Gespann, das ein Glücksfall ist. Daniel Keel antwortete einst auf die Frage, ob er wirklich nur Bücher verlege, die ihm gefallen: Soll ich etwa Bücher verlegen, die mir nicht gefallen? Da spricht ein Verleger, der Bücher liest und liebt – und dennoch auf die Frage, ob er gerne lese, antwortet: Eigentlich nicht. Vielleicht ist Daniel Keel gerade deswegen ein differenzierter und anspruchsvoller Leser geworden. Hat er das neue Manuskript eines Diogenes-Autors gelesen, ruft er diesen an. Immer. Das Telefon bestimmt seine Kontakte. Überdies ist er ein guter Gastgeber, lädt die Autoren in seinen Verlag oder zu sich 28


Diogenes Eine illustrierte Verlagschronik 1952 –2002

mit Bibliographie Aufgezeichnet von Daniel Kampa

Cover der Verlagschronik


nach Hause ein. Eine wesentliche Rolle spielt auch seine Frau, die Künstlerin Anna Keel – belesen und kommunikativ ist sie. Daniel Keel möchte Autoren und nicht Bücher verlegen. Das gelingt ihm. Wie oft hat er wohl zu einem Autor, wie Martin Suter es erlebt hat, gesagt: Ich werde mich stark machen für dieses Buch? Doris Dörrie wiederum war verblüfft, als ihr Daniel Keel ganz zu Beginn ihrer Zusammenarbeit sagte: Der Autor hat das letzte Wort. Da erstaunt es nicht, dass Autoren – auch ganz grosse unter ihnen – Vertrauen in ihren Verleger haben und ihn mitunter als Freund bezeichnen. Aber da fehlt noch jemand: Sein Freund Rudolf C. Bettschart. Als zwei Abenteurer bezeichnete Keel sie einmal. Grosszügig und risikofreudig soll der Geschäftsführer Bettschart im Gegensatz zum materiell vorsichtigen Keel gewesen sein. Und auch er – der gelernte Kaufmann – ist ein begeisterter Leser der verlagseigenen Bücher. Dreimal stand der Verlag vor der Pleite. Dass sie abgewendet werden können, daran hat Rudolf C. Bettschart entscheidenden Beitrag. Zu seinen Ideen gehören zum Beispiel die Sonderausgaben, von denen der Verlag Mitte der Siebzigerjahre lebt. Heute – nach dem Tod der beiden Geschäftspartner 2011 und 2015 – haben die Brüder Philipp Keel – als Verleger – und Jakob Keel – als Verwaltungsratspräsident – den Verlag übernommen. Patrick Süskind, Paulo Coelho, Patricia Highsmith, Donna Leon, Loriot, Carson McCullers, Toni Ungerer – Picken Sie sich eines ihrer Bücher heraus und lassen Sie sich von der Weltliteratur inspirieren. 30


Fazit 1952 gründet Daniel Keel, Buchhändler bei Orell Füssli, mit nur einem Buch den Diogenes Verlag. Zusammen mit seinem Jugendfreund Rudolf C. Bettschart baut er über die Jahre den renommierten Diogenes Verlag auf. Zahlreiche namhafte Autorinnen und Autoren werden heute beim Diogenes Verlag, der von der zweiten Generation übernommen worden ist, verlegt.

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