Sunflower Forschung

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© 2019 Herausgegeben von: Sunflower Foundation www.sunflower.ch info@sunflower.ch



Sunflower Forschung


Sunflower betreibt Forschung und unterstützt Personen und Institutionen, die in der Geldforschung Besonderes geleistet haben. Fokus liegt auf innovativen Antworten auf die Frage «was ist Geld?»; Antworten, welche die Sicht des Lesers verändert haben. Sunflower will zum Verständnis von Geld beitragen, indem sie Zusammenhänge zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Krisen und unserem Geldsystem aufzeigt. Als Plattform für interdisziplinäre Geldforschung unterstützt Sunflower Fachleute sowie Praktiker und vereinigt so unterschiedlichste Facetten.

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Unsere Themen


Unsere Forschungsbeiträge werden in den folgenden Gebieten vergeben; die Themen werden auf den folgenden Seiten näher beschrieben: 1 Wie gehen wir mit Risiken um? 2 Entstehung des modernen Geldes 3 Geld und Zeit 4 Eigentumsvorstellungen 5 Geld und Gesellschaft 6 Geld und Denkform 7 Über Geld hinaus 8 Experimente mit Blockchain

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Wie gehen wir mit Risiken um? «Augen auf!» sagen wir, wenn es gilt, genau hinzusehen. Doch unser wichtigstes Wahrnehmungsorgan im Alltag ist anfällig für optische Täuschungen aller Art. Was hat das mit Geld zu tun? Ganz einfach: Wenn wir in unserer Bank durch eine Hochglanzbroschüre blättern und die ansprechenden Grafiken überfliegen, bei denen die Gewinnlinien stets nach oben gehen, dann sollten wir uns daran erinnern, dass dies ein geschickter Manipulationsversuch ist, ein Köder für unsere optische Wahrnehmung. Auch der Berater, der uns versichert, seine hoch verzinsten Produkte seien «praktisch risikofrei», tritt uns nicht ohne Grund oft in feinstem italienischem Zwirn gegenüber. Solche Ansätze zielen darauf ab, dass wir – zum Vorteil anderer – Risiken eingehen, die nicht zu uns passen und die wir nicht richtig einschätzen können. Und dabei ist ein Großteil unserer Vermögen im Finanzmarkt angelegt. Zwei miteinander verknüpfte Faktoren erscheinen uns im Rahmen unserer Geldforschung daher zentral: Erstens das Thema «Risiken» und zweitens «Financial Literacy». Führen wir uns vor Augen, wie das Vermitteln von Anlageprodukten funktioniert: Ein Berater analysiert, welche Summen wir anlegen möchten, berücksichtigt verschiedene Faktoren wie unsere Risikobereitschaft oder die geplante Anlagedauer und schnürt uns ein Paket zurecht. All das geschieht vor dem Hintergrund seiner beruflichen Erfahrung. Die Situation ähnelt derjenigen eines Arztbesuchs. Der Halbgott in Weiß, der uns gegenübersitzt, fragt nach Symptomen und präsentiert uns seine 12


Diagnose inklusive Behandlungsplan – falls er uns nicht an einen Spezialisten überweist. Widerspruch ist unerwünscht und bleibt in der Regel auch aus. In beiden Fällen sitzen die Konsultierenden meist schicksalsergeben am Tisch und nicken die Entscheidungen ab. Dabei müssen wir uns klarmachen: Die Diagnose bzw. Risikoanalyse beruht auf dem Erfahrungshorizont des Arztes bzw. Anlageberaters. Unsere Aufgabe ist es, die Ergebnisse kritisch zu hinterfragen. Es geht schließlich um zentrale Themen in unserem Leben: unsere Gesundheit und unseren finanziellen Handlungsspielraum. Doch dazu müssen wir über ein entsprechendes Wissen verfügen. In der Medizin empfiehlt es sich meist nicht, aufgrund einer Internetrecherche dem Arzt zu widersprechen. Sicherer ist es, bei anderen Fachärzten eine Zweit- oder Drittmeinung einzuholen. Anders bei den Finanzen. Es gibt mittlerweile Möglichkeiten, im Internet fundierte Informationen einzuholen. Nie war es so einfach, sich ein solides Finanzgrundwissen zu erarbeiten wie heute. Im Englischen wurde für dieses Wissen und den selbstbestimmten Umgang mit der Finanzwelt der Begriff der «Financial Literacy» geprägt. Und diese ist unabdingbar, wenn wir beurteilen wollen, ob ein bestimmtes Produkt zu uns und unserer Risikobereitschaft passt. Nur so können wir Angebote auf ihre Plausibilität und Seriosität hinterfragen. Wenn wir nicht auf dem Hochglanzparkett der Marketingverführer ausrutschen wollen, dann müssen wir uns selbst zu «geldmächtigen» Menschen erziehen. Sunflower möchte daher mit Menschen zusammenarbeiten, die uns allen dabei helfen, «geldmächtig» zu werden. Darunter verstehen wir die Fähigkeit jedes Einzelnen, in seinem eigenen Leben zwei Dinge in Einklang miteinander zu bringen: unser Geld und unsere Risikobereitschaft. Wer die Instrumente der 13


Geldanlagen kennt, kann sie zu seinem Vorteil nutzen – und im besten Fall auch zum Vorteil der ganzen Gesellschaft. Wenn er vor diesem Hintergrund seinen eigenen Charakter gut einschätzen kann, dann wird er auch die zu ihm passende Anlagestrategie finden. Und statt auf den elegant gekleideten Berater wirft er regelmäßig einen Blick auf seine Depotinformationen.

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Entstehung des modernen Geldes «Es fehlt an Geld, nun gut, so schaff es denn», befiehlt der Kaiser dem Mephisto in Goethes Faust II. Er ahnt ja nicht, welche Geister er damit ruft! Mephisto schreitet zur Tat und wirft im wahren Sinn des Wortes die Gelddruckmaschine an. Doch die Deckung seines neuen Papiergeldes besitzt eine enorme Sprengkraft: Bislang trug das Gold, aus dem die Münzen geprägt wurden, den Materialwert in sich. Jetzt stehen hinter den Scheinen als «gewisses Pfand» alle noch ungehobenen und somit nur angenommenen Bodenschätze, auf die der Kaiser vorsorglich Anspruch erhebt. Der Herrscher selbst hält dies für Schwindel und wundert sich ganz offen, dass das Papiergeld überhaupt jemand akzeptiert. Doch sein gedrucktes Wort gilt und die Geldnöte des Reiches scheinen gebannt. Uns Aufgeklärten ist natürlich klar: Auf Dauer kann das nicht gutgehen. Und in der Tat, wenig später betreten die drei Gewaltigen die Bühne: Raufebold, Habebald und Haltefest, Sinnbilder für Gewalt, Gier und Geiz. Soweit die Literatur. In der Geschichte wurde Geld natürlich nicht einfach herbeigezaubert. Doch mit einem Aspekt lag Goethe gar nicht so falsch: In der frühen Neuzeit, etwa um 1600, ist tatsächlich das entstanden, was wir heute unter Geld verstehen. Im Mittelalter und allen vormodernen Gesellschaften – etwa im antiken Griechenland, in Rom und bei den Kelten – waren die Zahlungsmittel zwar Teilder Wirtschaft, aber sie waren eben nur ein Teil. Ihnen fehlte der allumfassende Charakter, den sie in der 15


Neuzeit einnahmen. Damals diente die Wirtschaft der Bereitstellung aller notwendigen Dinge, neben dem Kauf durch Geld tauschten die Menschen auch und produzierten vor allem möglichst viel selbst. Die moderne Wirtschaft hingegen kann nicht mehr genug Geld haben, wie schon der Kaiser im Faust klagt. In unseren modernen Gesellschaften definiert Geld nämlich den Wert von allem und ist einziger Faktor, über den die allgemeine Versorgung funktioniert. Wer kein Geld besitzt, ist faktisch von der gesellschaftlichen Teilhabe und in letzter Konsequenz dem Überleben ausgeschlossen. Das Geld fing an, sich aus sich heraus zu vermehren, als Kapital, das sich bisweilen unerklärlich und vermeintlich magisch reproduziert. Seit vierzig Jahren forscht der Schweizer Soziologe Aldo Haesler zu diesem Thema. Er hat bereits mehrere Monographien vorgelegt mit anregenden Ansätzen, die es sich zu verfolgen und zu vertiefen lohnt. Auch der Sprach- und Literaturwissenschaftler Eske Bockelmann hat ein Fenster aufgestoßen, das uns einen ganz anderen Blick auf die Thematik eröffnet. Er verbindet die Entstehung des heutigen Verständnisses von Takt und Rhythmus mit der veränderten Bedeutung und Rolle des Geldes in der Neuzeit. So selbstverständlich wir den Rhythmus eines Musikstückes mit seinem Takt gleichsetzen, bis 1600 empfanden die Menschen das noch völlig anders! Dieses Feld ist besonders aktuell und zentral, weil es nicht nur an der Frage kratzt, wie das kapitalistische Wirtschaften entstanden ist. Es ist damit auch Grundlage für andere Fragestellungen, denen die Sunflower Foundation nachgeht: Was macht diese Geldnutzung mit den Gesellschaften? Ja, mit den Menschen, mit jedem einzelnen von uns? 16


Faust wird zum Schluss erlöst, denn wie die Engel rufen: «Wer immer strebend sich bemüht, / Den können wir erlösen.» Doch in welche Richtung sollte dieses Streben bei der Geldwirtschaft gehen? Dies ist noch ein weites Forschungsfeld.

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Geld und Zeit «Zeit ist Geld!» So allgegenwärtig dieser Spruch, so falsch ist er. Im Umkehrschluss müsste Geld ja gleich Zeit sein. Nun kann man argumentieren, dass Geld gewissermaßen Zeit ist, die man in Arbeit investiert hat und als Geld ausgezahlt bekommen hat. Jeder Angestellte stellt da so seine eigene Rechnung auf, ob sein Arbeitsgeber die täglich am Arbeitsplatz verbrachte Zeit auch angemessen in Geld umrechnet. Soweit so gut. Aber: Wir können für Geld keine Lebenszeit kaufen und wir können Zeit nicht wie Geld für die Zukunft sparen. Besser als jede wissenschaftliche Analyse zeigt Michael Endes Buch «Momo», wie absurd die Vorstellung ist, Zeit anzusparen. Ich arbeite heute mehr und habe dafür morgen mehr Zeit. Natürlich können wir uns so ein Sabbatjahr «ersparen». Doch wer weiß schon, ob er das Rentenalter, für das er sich vielleicht abschuftet, überhaupt erleben wird. Von dieser zwanghaften Hoffnung der Menschen leben die grauen Herren in «Momo», die Agenten der «Zeitsparkasse». Dies alles ist nur möglich, weil Geld heute unsere gesamte Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben formt. Das war aber nicht immer so. Auch die Vorstellung, Rhythmus werde ausschließlich durch den Takt vorgegeben, erscheint uns heute völlig natürlich. Darüber müssen wir gar nicht mehr nachdenken. Doch der Literaturwissenschaftler Eske Bockelmann konnte zeigen, dass diese Dominanz des Taktes in derselben Epoche entstand wie unser «modernes» Geld, nämlich erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts. 18


Die Frage, welche Rolle wir dem Geld in unserer Welt zuweisen, lässt sich nicht lösen von der Frage, wie wir Zeit begreifen. Seit Einstein wissen wir, dass Zeit nicht absolut ist. Zeit ist relativ. Und haben wir erst den Absolutheitsanspruch an die Zeit aufgegeben, können wir auch entspannter mit anderen Zeitvorstellungen umgehen. Wieso muss Zeit «verfließen»? Das tut sie nur, solange wir sie als linearen Strom begreifen. Zyklische Vorstellungen, wie sie in Asien und bei vielen sogenannten Naturvölkern vorherrschen, denken in immer wiederkehrenden Kategorien: Ist ein Frühling vergangen, wird ein anderer kommen. Ist die Sonne untergegangen, wird sie wieder aufgehen. Die moderne Geldwirtschaft hat uns mit ihrem Optimierungs- und Wachstumswahn immer weiter von diesen Vorstellungen entfernt, die letztlich an unsere natürliche Umgebung gebunden sind. Nicht ohne Grund sind Achtsamkeit und Entschleunigung, Stressreduktion und Meditation im Mainstreambewusstsein angelangt. Die moderne Welt passt nicht wirklich zu dem Menschen, wie er sich evolutiv entwickelt hat. Ein afrikanisches Sprichwort lautet: «Europäer haben Uhren, Afrikaner haben Zeit.» Wenn wir die Rolex gegen Gelassenheit austauschen, merken wir, dass Zeit und Geld keine beliebig austauschbaren Güter sind. Zeit hat man nicht, man nimmt sie sich. Doch die Voraussetzung dafür, sich Zeit nehmen zu können, liegt in unserer Vorstellung von Geld und Wirtschaft.

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Eigentums-Vorstellungen «Besitzen Sie noch, oder teilen Sie schon?» könnte man in Anlehnung an den bekannten Werbespruch eines schwedischen Möbelhauses fragen. Zumindest in der Generation der Untervierzigjährigen ist Teilen das neue Haben: Carsharing, Musikstreaming, gemeinschaftliches Nutzen von Geräten. Möglich machen dies die modernen Kommunikationsformen. Start-ups spriessen aus dem Boden und nutzen diesen Lifestyle-Trend auch ökonomisch. An dem Punkt stellt sich die Frage, ob ein gewinnorientiertes Unternehmen wie das Privattaxigeschäft Uber oder das professionelle Übernachtungsangebot AirBnB noch wirklich etwas zu tun haben mit ressourcenschonendem Teilen – obwohl sie gerade das gerne für sich reklamieren. Auch das Streamen von Medienangeboten (Sharing) ist eigentlich etwas anderes: Schliesslich tauschen nicht Privatnutzer CDs oder Schallplatten, sondern jeder Einzelne zahlt für eine Datennutzung. Allerdings zeigt dies auch: Viele Menschen möchten weniger besitzen, Minimalismus ist angesagt, es geht nur noch um Nutzungsmöglichkeiten. Eine Studie der Wirtschaftsprüfergesellschaft Deloitte von 2015 prognostizierte, dass 55 Prozent der Schweizer im Jahr 2016 Angebote der Sharing Economy nutzen wollten. Ist also das Ende des Privateigentums gekommen, wie die Wirtschafts-Onlinezeitschrift Wallstreet Online provokant fragte? Der US-amerikanische Ökonom und Soziologe Jeremy Rifkin beispielsweise glaubt, dass kollaborative Gemeingüter in den nächsten Jahrzehnten einen Boom erleben werden und der 20


Kapitalismus bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts seine dominante Rolle verlieren wird. Wie begreifen wir Eigentum? Als Ausgangspunkt für Forschungen können wir Eigentum als ein Konzept ansehen, das kulturelle Werte bestimmt, soziale Beziehungen definiert und uns in der Welt verortet. Mithin haben Eigentumsvorstellungen eine zentrale Bedeutung für unser Leben und unsere Wirtschaftsordnung. Gleichzeitig sind sie nicht universell, sondern kulturell abhängig. Unsere vermeintlich selbstverständliche Idee des Privatbesitzes ist keineswegs alternativlos, nicht einmal in unserer eigenen Kultur. Nehmen wir das Beispiel von Grund und Boden. In der jüdisch-christlichen Tradition spricht Gott: «Grund und Boden darf nicht für immer verkauft werden, denn das Land ist mein, und ihr seid Fremdlinge und Beisassen bei mir.» (Lev. 25.23) Im Anschluss folgen genaue Regeln für die praktische Anwendung im alltäglichen Leben. Land ist nur zur Nutzung von Gott gegeben, aber kein menschliches Eigentum, über das er willkürlich und uneingeschränkt verfügen könnte. Überall auf der Welt gibt es bis heute ähnliche Vorstellungen. Kleinbauern bebauen und nutzen in zahlreichen Gegenden ihr Land gemeinsam. Für sie steht die «Lebensdienlichkeit» im Vordergrund. Tagtäglich kommt es daher zu Konflikten, wenn grosse Konzerne oder gar Staaten von diesen Kleinbauern oder anderen Gemeinschaften Land aufkaufen, die Menschen vertreiben und ihnen so die Möglichkeit nehmen, weiterhin in ihrem am Gemeinwohl orientierten Lebensstil zu existieren. Diese Fälle bieten ein grosses Potenzial für Forscher, unsere Eigentumsvorstellungen zu hinterfragen und mit anderen Lebensmodellen abzugleichen, die daraus entstehenden Konflikte zu 21


analysieren und zu beobachten, welchen Einfluss die Globalisierung auf unser Leben hat. Wird das Konzept der Sharing Economy unseren Umgang mit traditionell lebenden Gesellschaften verändern? Oder bleiben die grossen Global Players immun gegenßber solchen vermeintlich alternativ-linken Ideen?

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Geld und Gesellschaft Wenige Wochen nach seiner Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika im jahr 1928 stellte Herbert Hoover sein komplett neues Wirtschaftskonzept vor: Der Staat sollte durch Ausgaben gezielt die Nachfrage anregen und so allgemeinen Wohlstand herbeiführen. Wer meint, Literatur habe keinen Einfluss auf unser Leben, den belehrt dieser Fall eines Besseren. Denn angeregt wurde Hoovers Programm durch seine Lektüre des nur wenige Monate zuvor veröffentlichten Buches «Der Weg zum Überfluss. Grundlinien für den Wohlstand Aller». Während einer Bahnreise diskutiert eine Gruppe bunt gemischter Reisender wirtschaftliche Zusammenhänge, und ein kluger Geschäftsmann kommt zu dem Schluss, dass eine Politik wie sie Hoover praktizierte der Gesellschaft von grossem Nutzen wäre. Geld, Gesellschaft und Literatur. Das ist ein weites Feld, schliesslich sind Geld und Wirtschaft ein so zentrales Element des menschlichen Lebens, dass sich fast alles darum dreht. Der Wunsch nach mehr Geld ist ein omnipräsentes Thema in Romanen, Erzählungen oder Filmen. Doch anders als wissenschaftliche Abhandlungen können literarische Formen nicht nur zum konkreten Nachdenken über unser Wirtschaftssystem anregen, wie der oben zitierte und zugegeben sehr spezielle Fall zeigt. Literatur präsentiert sich vor allem als Prisma, in dem der einzelne Mensch in allen seinen Facetten gebrochen wird und seine Handlungen, seine Ängste, seine Triebe und seine Wünsche exemplarisch vor dem Hintergrund des Zeitgeists seiner Umwelt 23


ausgebreitet werden. Betrachten wir den jungen, erfolgreichen Gatsby in Scott Fitzgeralds «Der grosse Gatsby»: Er lebt in den Roaring Twenties in Saus und Braus in seinem Palast am Meer, wird von Männern wie Frauen angehimmelt und beneidet, steht stets im Mittelpunkt – und treibt gleichzeitig doch in seinem Leben dahin als einsames und unglückliches Wesen, dem wahrer Sinn und Erfüllung fehlen. Gatsby hatte vermeintlich alles, nämlich Geld. Was sind Menschen bereit für Geld zu tun? Vielleicht eine der faszinierendsten Ausgangsfragen, die zu ethischen Experimenten führt. «Skinvertisement» sorgte vor einigen Jahren für Aufsehen. Menschen lassen sich dafür bezahlen, durch dauerhafte Tattoos zu wandelnden Werbeträgern zu werden. Noch weiter treibt Dürrenmatt die Frage nach unserer Käuflichkeit in «Der Besuch der alten Dame»: Eine Milliarde bietet eine zurückgekehrte Milliardärin ihrer Heimatstadt an, wenn die Bürger einen der ihren töten. Die Sunflower Foundation präsentiert eine grosse Bibliothek mit ausgewählten Büchern, deren Figuren und Handlungen uns aufzeigen, wie Geld und unsere Wirtschaft auf uns Menschen wirken. Noch immer ist diese Frage bei weitem nicht ausreichend untersucht worden. Literaturwissenschaftlern, Soziologen, Ökonomen und anderen Experten bieten sich viele Möglichkeiten, gemeinsam die Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft und Individuum zu hinterfragen. Werke der Literatur und des Kinos füllen ethische Theorien mit Leben und überführen sie in unsere Welt. Wenn wir also hinterfragen möchten, wie wir Geld und Wirtschaft in Beziehung mit unserem Alltag setzen, welchen Wert wir Geld beimessen und 24


wie wir die Weichen im Umgang mit Finanzen und Besitz für künftige Generationen stellen wollen, dann führt kein Weg vorbei an der Auseinandersetzung mit künstlerischen Werken. Sie sind der Schlüssel zu einem wirklichen Verständnis des Menschen.

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Geld und Denkform Unser Denken prägt unser Sein. Wir kennen das alle: «Sieh das doch mal positiv!» Den Satz hören wir nicht gerne, wenn grad etwas schiefläuft. Aber andererseits hilft es, seine Probleme mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten, gewissermassen aus sich herauszutreten. Wenn wir mit positiven Gedanken an ein Problem herangehen, werden wir viel leichter eine Lösung finden. Das mag Küchenpsychologie sein, aber im Alltag erweist sich der Ansatz als durchaus nützlich. Die Kognitionswissenschaftlerin Lera Boroditsky ist der Auffassung, dass linguistische Konzepte, also mit welcher Sprache wir aufgewachsen sind und wie wir sprechen (und natürlich denken), unsere Art der Wahrnehmung prägen oder sogar determinieren. Dieser Ansatz ist mittlerweile bekannt als Linguistische Relativitätstheorie. Boroditsky fiel einmal auf, dass ein fünfjähriges Aborigines-Mädchen auf die Frage, wo Norden sei, instinktiv in die richtige Richtung wies. Nirgendwo sonst konnten Menschen das tun. Nach Boroditsky zeigt sich daran der Zusammenhang von sprachlicher Prägung und Sozialisation mit unserer Wahrnehmungs- und Handlungskompetenz. «Der Maier denkt immer nur ans Geld.» Kein ungewöhnlicher Satz in unserer Gesellschaft. Aber was meinen wir damit? Und was sagt das über uns alle aus? Zum einen meint dieser Satz etwas völlig anderes als «Der Maier denkt immer nur an Äpfel.» Denn damit wollen wir ausdrücken, dass unser fiktiver Herr Maier tatsächlich an konkrete Äpfel denkt, die er vielleicht gerne isst. Wenn Maier aber «nur ans Geld denkt», dann denkt er nicht an 26


bestimmte Geldscheine oder Scheckhefte. Maier denkt in Geldkategorien, er richtet sein Tun stets nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten aus und fragt: «Bringt es mir etwas ein, der alten Dame über die Strasse zu helfen?» Ein solches Preisschild heften wir an alles – an Dinge, Handlungen, ja sogar an Menschen. Doch noch weiter reicht das, was der Philologe und Linguist Eske Bockelmann mit dem Begriff «Denkform» zu fassen versucht: Geld prägt unser Handeln nicht nur im engen Sinn ökonomisch, sondern auch auf Gebieten, die gar nichts mit Geld zu tun haben. Geld ist nichts anderes als ein umrechenbarer Wert. Franken in Dollar umzurechnen oder eine bestimmte Arbeitsleistung in einen Stundenlohn, mag noch gehen. Doch dieses Umrechnen übertragen wir auf nichtmessbare Werte: Eine Versicherung berechnet einen Brandschaden in Geld. Doch wie lässt sich das verlorene Familienalbum aufrechnen? Der selbstgestrickte Pullover? Wie fühlen Sie sich heute (auf einer Skala von 1 bis 10)? Da müssen Sie wohl einen Mittelwert bilden für all die einzelnen Emotionen, die sich eigentlich gar nicht miteinander verrechnen lassen – und Sie weisen Ihren Gefühlen überhaupt vergleichbare Werte zu. Diese «bewertende» und vergleichende Denkform legt sich wie ein feines, klebriges Spinnennetz über unser Leben und unser Denken. Und damit sind wir wieder am Ausgangspunkt. Unser Denken prägt unser Sein. Wir alle denken notgedrungen immer wieder an Geld. Schliesslich müssen wir überleben. Aber seien wir ehrlich: Ein wenig von Herrn Maier steckt doch in uns allen. Immer wieder denken wir in dieser Kategorie des «Was habe ich davon?». Und an dem Punkt müssen wir weiterforschen! Was macht das Geld als Denkform mit uns allen? 27


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Über Geld hinaus Sie heissen EulachTaler in der Schweiz, Chiemgauer in Deutschland oder Blaufrank in Österreich. Gemeint ist das Regiogeld, ein komplementäres Bezahlsystem, das neben der offiziellen Landeswährung besteht und abgekoppelt ist von den grossen nationalen und internationalen Geldströmen. Doch die beschauliche Idylle trügt. Auch das Regiogeld ist in seinem Wert meist an das offizielle Landesgeld gekoppelt. Was tun, wenn die Landeswährung kriselt, wenn es zu einer Inflation kommt? Es gibt viele Versuche, alternativ zu bezahlen, zu wirtschaften, zu handeln. Man kann dem Geld seine Mängel austreiben, «gutes Geld»schaffen, etwa so wie beim Gemüse: regional, saisonal, bio, fair trade. Aber geht das wirklich? Bleibt Geld nicht immer Geld? Etwas weiter gehen die sogenannten Tauschkreise oder Tauschringe. Dort ist die Währung Zeit. Denn Lebenszeit ist für alle gleich. Ob ich eine Stunde lang die Wohnung putze oder eine Stunde lang an meinem Forschungsprojekt arbeite, jeweils ist eine Stunde Lebenszeit vergangen, «investiert» worden. Aber kann eine so komplexe Wirtschaft wie unsere heutige auf Zeittausch basieren? Vielleicht würden ein paar Reformen reichen? Seit Jahren geistert der Begriff «Finanztransaktionssteuer» immer wieder als vermeintliches Allheilmittel durch die Medien, aber auch Eingriffe beim Zinssystem sind denkbar. Doch akzeptiert das «Geldsystem» solche Eingriffe? Schliesslich widersprechen sie dem inneren Antrieb des Geldes im modernen Kapitalismus, 28


sich zu vermehren, optimiert zu werden, mehr Leistung zu erzeugen … Was sind praktikable Alternativen zu den Problemen des Kapitalismus, wie wir ihn kennen? Diese Frage treibt uns um und wir möchten weitere Ideen untersuchen, Forschungen unterstützen, alte Konzepte zusammenführen und neue Konzepte entwickeln. Ein alternatives Feld besteht darin, unser Wirtschaften vom individuellen Gewinnstreben zu lösen und zurückzukehren zu einem traditionellen Wirtschaftsverständnis, nämlich dem des Gemeinwohls oder des gemeinsamen Arbeitens. Früher besassen auch bei uns in Europa die Gemeinwesen Grund und Boden, der allen gehörte und der gemeinsam genutzt wurde, die Allmende. Heute kennen wir so etwas wie die Informationen und Bilddatenbank von Wikipedia, die unter einer Commons-Lizenz veröffentlicht werden. Commoning und Share Economy sind zentrale Schlagworte in diesem Zusammenhang: Objekte oder Dienste werden nicht mehr von jedem Einzelnen gekauft, sondern gemeinschaftlich genutzt. Wir müssen uns fragen: Ist ein Wirtschaften, das das Wohl aller Menschen verbessert, überhaupt mit Geld zu denken? Oder führen die Vorzüge des Geldes nicht sofort dazu, dass es sich nicht unterordnet, sondern ein Wirtschaftssystem komplett beherrscht? Führt ein radikaler Ansatz zu einer praktikablen Alternative? Oder die Kombination mehrerer weniger harter Ideen? Eines ist klar: Wir müssen unser System weiter hinterfragen – und auch die Alternativen. 29


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Experimente mit Blockchain Egal ob Sie bar bezahlen oder Ihr Gehalt überwiesen bekommen – hinter all diesen Transaktionen steht eine nationale Währung. Ihr Land garantiert dafür, dass Sie am Ende Ihren Geldschein aus dem Automaten ziehen können. Ganz anders kommt Bitcoin daher. Die Kryptowährung ist seit Jahren in aller Munde: Computer generieren durch das Abarbeiten von Rechenaufgaben Werte, die für Transaktionen verwendet werden. Das klingt sehr kompliziert und das ist es auch. Als Laie muss man sich vorstellen, dass es immer schwieriger wird, die passenden Rechenaufgaben zu finden, so dass der Gesamtwert langsamer steigt und die einzelne Einheit (Bitcoin) rarer wird und somit an Wert gewinnt. Bitcoins entfernen sich daher von wertstabilen Währungen und nähern sich eher spekulativen Aktien an. Kein empfehlenswerter Währungsersatz. Aus gutem Grund akzeptieren verschwindend wenige Geschäfte Bitcoins als Zahlungsmittel. Doch bei dieser Kritik verstellen wir uns den Blick auf das eigentlich Revolutionäre, nämlich die Technik, die im Hintergrund des Phänomens Bitcoin werkelt. In den 1990er Jahren entwickelten Sicherheitsexperten ein Verfahren, bei dem Datensätze miteinander verknüpft werden und sich so gegenseitig absichern. Denn sobald Sie einen Datensatz manipulieren, verändert das auch den Wert des vorherigen und damit den kompletten Datenbestand – und der Eingriff fliegt auf. Man kann sich diesen Datensatz als eine Kette von Datenblöcken vorstellen, daher der Name dieser Technik: Blockchain. 30


Machen wir einen Sprung ins Jahr 1941: Die Zuse Z3, der erste funktionsfähige Digitalrechner, füllt einen ganzen Raum und kann doch nur rechnen. Dieser schwerfällige Dinosaurier unter den Computern lässt sich kaum mit einem aktuellen Macbook Air vergleichen. Und dennoch, so sehr sich die DNA der beiden unterscheidet, ihre Grundbausteine sind dieselben: alles basiert auf Nullen und Einsen. Diese Technik hat die Welt revolutioniert, nicht das einzelne Gerät. Auch Bitcoins werden wohl nicht den Schweizer Franken oder den Dollar ablösen, vielleicht spricht in ein paar Jahren niemand mehr davon. Wer erinnert sich noch an all die sozialen Netzwerke, die in den letzten fünfzehn Jahren gegründet wurden und mittlerweile tot sind? Aber wer kann sich heute ein Leben ohne soziale Netzwerke noch vorstellen? Unser Leben wurde davon komplett überrollt! Bitcoin mag also sterben, die Blockchain ist eine Technik, die universell nutzbar ist. Diese Kryptotechnik verspricht einen hohen Sicherheitsstandard für dezentral organisierte Transaktionen. Warum der Zentralbank eines bestimmten Landes vertrauen, wenn die Banker dort politisch motivierte Vorgaben umsetzen müssen? Und natürlich sind auch die Profis in Nadelstreifen weder unfehlbar noch unbestechlich. Ganz anders käme eine Währung daher, die von zahllosen Individuen überall auf der Welt organisiert wird. Darüber hinaus verzeichnen die Blockchain-Register unerbittlich jede Änderung an der Blockchain und jeder kann sie einsehen. Diese Transparenz kennen wir sonst nur von Open-Source-Software oder gemeinschaftlichen Organisationen, nicht von traditionell eher zugeknöpften Zentralbankern. Und diese Transparenz schafft Vertrauen und Sicherheit. In unse31


rer globalisierten Welt mit all ihren Herausforderungen suchen die Menschen genau das. Blockchain könnte eine Tür aufstossen in eine neue Welt vertrauensvoller Transaktionen in zahllosen Bereichen. Vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren, aber das möchten wir erforschen und diskutieren, gemeinschaftlich und offen.

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Was ist Geld?


Die Welt hängt heute in einem geradezu unvorstellbaren Masse ab vom Geld. Leben und Überleben sind weltweit davon abhängig gemacht, ob jemand über Geld verfügt, über wieviel er davon verfügt und wieviel Geld überhaupt weltweit gemacht wird. Geld herrscht als eine gesamtgesellschaftliche und inzwischen globale Einrichtung. Die hier präsentierte Methodik gliedert die Frage «Was ist Geld?» in sieben Kategorien. In sieben Rubriken bewegen wir uns Schritt für Schritt von vertrauten Dingen hin zu weniger Vertrautem: Von den Münzen und anderen Erscheinungsformen, in denen Geld auftritt, über die Beziehungen, die es zwischen Menschen und den Dingen stiftet, bis hin zu Geld als Denkform. Wir bieten eine Orientierungshilfe über Geld, Informationen und Meinungen einzuordnen. Nicht Angst vor Veränderung wollen wir schüren, sondern mit einem breiten Panoptikum die Sicht auf Neues öffnen, im Hinblick auf Geld.

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Verzeichnis Geld:kritisch Text von Eske Bockelmann

Videos und Langtexte auf der Webseite moneymuseum.com:

snips.ly/geldtheorie

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Geld und Material Nahrung und kostbare Dinge werden über viele Jahrhunderte hinweg für Zahlungen verwendet, bevor sie auch zum Kaufen dienen. Erst mit der Neuzeit aber schlägt diese Verwendung um zu Geld im heutigen Sinn. Im selben Moment beginnt Geld sich von seinem Material zu lösen – bis es zuletzt zu blossen Bits geworden ist.

Archaische Zahlungsmittel Am Ursprung unseres Geldes liegt nicht der Tausch, sondern die archaische Zahlung: die Überreichung bestimmter Gegenstände zum Ausgleich einer Schuld oder zur Einlösung einer Verpflichtung. Je nach Gemeinschaft und Gelegenheit wurden viele unterschiedliche Dinge zu Zahlungen verwendet. Damit dienten sie jedoch nicht schon zu Geld, mit dem man etwas hätte kaufen können.

Münzen und Banknoten Gemeinwesen bestimmen als Norm für Zahlungen regelmässig eine besondere Art von Dingen, in denen alle übrigen Zahlungsmittel nach Wert bemessen werden. Besonders erfolgreich sind dabei Münzen: geprägte Edelmetallstücke in festgelegten Gewichtseinheiten. Erst solche normgebenden Zahlungsmittel finden auch Verwendung als Tauschmittel und insofern als Geld. In dieser Funktion lassen sich Münzen schon verhältnismässig früh durch entsprechende Papiere ersetzen.

Digitales Geld Wo das Wirtschaften einer Gesellschaft hauptsächlich auf dem 39


geldvermittelten Austausch von Waren beruht, muss Geldwert nicht mehr selbst in Gestalt von Dingen wie Münzen oder Banknoten auftreten. Ohne materielle Substanz hat er seine Existenzform idealerweise in blossen Daten, als digitales Geld. Bitcoins machen daraus den Ernstfall, dass sie allein per Computer auch geschöpft werden.

Geld und Zeit Geld, wie wir es kennen, ist ein historisch spätes Phänomen. Wo es aufkommt, wird der gesamte Lebensprozess einer Gesellschaft von ihm abhängig und unterwirft es den gesamten Zeitverlauf einem objektiven Zwang: dass Geld stets weiter als Geld fungieren und stets zu mehr Geld werden muss.

Genese des modernen Geldes Die frühen Formen von Geld waren während Jahrhunderten nachgeordneter Teil einer Versorgung, die hauptsächlich über Selbstversorgung oder über Verteilung durch die Mächtigen verlief. Das ändert sich erst im Lauf des 16. Jahrhunderts mit dem Entstehen der kapitalistischen Wirtschaft. In ihr hängt die gesamte Versorgung der Menschen notwendig von Geld ab.

Wachstum In einer Gesellschaft, in der die Menschen für ihr Auskommen zur Hauptsache auf Geld angewiesen sind, müssen sie für das, was sie tun oder herstellen, mehr Geld bekommen als sie dafür aufgewendet haben. Allein diese Notwendigkeit ergibt unausweichlich den Zwang, dass Geld im Zeitverlauf zu mehr Geld 40


werden muss. Geld, von dem eine Gesellschaft lebt, muss als Kapital fungieren.

Arm und Reich Mehr Geld, mehr Wohlstand für alle: ein trügerisches Versprechen. Der immense Druck, mit dem Geld zu Arbeitsteilung, aber auch Ausbeutung der Welt zwingt, mag im Durchschnitt zu gehobenem Wohlstand führen. Doch dem wirken nicht nur die Zerstörungen entgegen, mit denen diese Ausbeutung einhergeht, sondern vor allem auch die notwendig steigende Ungleichheit der Verteilung. Die Kapitalfunktion von Geld muss Gewinne dort konzentrieren, wo viel Kapital zum Einsatz kommt.

Geld und Macht Geld ist Macht: Es ist Verfügungsmacht über die Arbeit anderer. Doch damit diese Macht in jedem Geldschein, jeder Münze und in jeder auf einem Konto geführten Zahl auch anerkannt wird, braucht es dahinter noch eine andere Macht: Staaten, die ihr Gewaltmonopol zur Garantie des Geldes einsetzen.

Eigentum Eigentum bedeutet nicht grundsätzlich den Ausschluss der anderen. Es gibt einschliessende und ausschliessende Arten von Eigentum mit sehr unterschiedlichen Folgen für den Umgang der Menschen untereinander und mit der Natur. Unser Geld setzt ein Privateigentum voraus, das rigoros alle von allem ausschliesst, wofür sie kein Geld zahlen.

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Verfügungsgewalt Weltweit sind Menschen gezwungen, etwas zu verkaufen, um zu dem Geld zu kommen, das sie zum Leben brauchen. Was die meisten zu verkaufen haben, ist allein ihre Arbeitskraft und für sie wird nur gezahlt, sofern ihr Einsatz in der Produktion von Waren Gewinn abwirft. Mit dem Geld, das jemand für die so produzierten Waren zahlt, verfügt er also grundsätzlich über die Arbeit anderer.

Staat Keine Münze, keine Banknote, keine Zahl auf einem Konto kann jemanden dazu zwingen, sie als Geld zu verwenden. Es sind die Staaten, von denen dieser Zwang ausgeht und aufrecht erhalten wird: Sie geben Geld als Währung aus und schreiben die Verwendung von Geld gesetzlich vor. Sie selbst alimentieren sich über Geld und hängen davon ab, dass möglichst viel davon in ihrer jeweiligen Währung erwirtschaftet wird.

Geld und Beziehung Geld setzt die Menschen zueinander in Beziehung als Käufer und Verkäufer von Waren. Wo alles Wirtschaften über Geld bestimmt wird, prägt diese abstrakte Beziehung über Geld nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhang der Menschen, sondern auch ihre privaten Beziehungen, hinein bis ins Innerste.

Individuum Geld hat jeden als einzelnen Geldbesitzer zu seinem Bezugspunkt und setzt ihn zugleich in Bezug auf die anonyme Gesamtheit aller anderen Menschen als Geldbesitzer. Dieser abstrakte 42


Bezug formt in jedem eine eigene Instanz von «Ich» als einer gedachten Reinform seines Selbst. In diesem Sinn gibt es das Ich als psychologische Instanz erst seit der Neuzeit und unter der Herrschaft des Geldes.

Gesellschaft Jeder Mensch muss tun oder produzieren, wofür andere ihm Geld geben. Aber er tut es nicht für sie, weil er sie kennt, und sie tun es nicht für ihn, weil sie zu seiner Versorgung beitragen wollen. Vielmehr müssen alle je für sich damit zu Geld kommen. Eine auf solche Weise gestiftete Verbindung der Menschen ist keine Gemeinschaft, sondern abstrakte Gesellschaft: ein geldvermittelter Zusammenhang.

Die Welt als Umwelt Erst mit dem Aufkommen des neuzeitlichen, kapitalistischen Geldes wird die Welt zur Umwelt. Das auf sich selbst bezogene Geldsubjekt sieht sich als ein geschlossenes Innen umgeben von einem gesamten Aussen. Und in dieser Weise behandeln und misshandeln die Geldsubjekte die Welt notwendigerweise tatsächlich: als würden sie nicht zugleich selbst zu ihr gehören.

Geld als Denkform Geld prägt das Denken der Menschen, indem es sie regelmässig dazu zwingt, sich bewusst nach den Geldzwängen zu richten. Aber es fordert den Menschen auch unbewusst bestimmte Formen des Denkens ab. In der Neuzeit prägt es auf diese Weise nichts Geringeres als Naturwissenschaften und Philosophie. 43


Funktion Geld verlangt es einem jeden ab, Waren zugleich als das jeweilige Ding und als Geldwert zu denken, also rein quantitativ. Das zwingt zu einer Denkform, die sich zu Beginn der Neuzeit besonders deutlich in einer Revolution der Mathematik zeigt: in dem Aufkommen der mathematischen Funktion. Eine Funktion formuliert, egal welchen Inhalt, rein quantitativ in Variablenwerten.

Subjekt / Objekt Bedingt durch die geldvermittelte Gesellschaft entsteht die Vorstellung einer in Subjekt und Objekt gespaltenen Welt. Descartes ist zu Beginn des 17. Jahrhunderts der erste, der diese damals neue Vorstellung ausformuliert. Sie deutet die Welt aufgespalten in das Bestimmende, das Geld als Subjekt, und in das von ihm Bestimmte, die Ware als Objekt. Diese Aufspaltung hat im kapitalistischen Geld ihre Wirklichkeit und wird dem Denken zugleich zu einer geldkonformen Deutung der Welt.

Denkreflexe So wie wir mit Geld alles und jedes kaufen können, sehen und deuten wir alles und jedes auch in der Form, die es dabei durch Geld annimmt: als Wert unter Werten. In der Form rein quantitativer Werte denken wir auch dort, wo wir uns nicht unmittelbar mit Gelddingen beschäftigen, weil uns diese Denkform als solche zur Selbstverständlichkeit wird. Sie zeigt sich wirksam in unzähligen Anwendungen.

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Geld und Tausch Der Austausch, den Menschen pflegen und auf dem ihre Gemeinschaften ursprünglich beruhen, wird erst durch Geld zu einem Tauschhandel in der Form von Kaufen und Verkaufen. So dominiert zuletzt der Markt jeden Tausch. Unterhalb des Marktes jedoch dauern Formen des Austauschs über Gaben fort.

Gaben Weil Geld heute als Tauschmittel fungiert, wird allgemein der Tausch als sein Ursprung angesehen – zu Unrecht. In Gemeinschaften, die kein Geld im heutigen Sinn kennen, hat entscheidende Bedeutung die Überreichung von Gaben. Sie aber dient vornehmlich nicht dem Tausch, sondern hat im Zusammenhang mit anderen Verhaltensweisen den Sinn, eine grundsätzlich gegenseitige Verpflichtung der Menschen einzulösen und zu bekräftigen.

Kaufen Beim Kauf wechseln Geld und Ware jeweils aus dem Besitz des einen in den Besitz des anderen. Ist dieser Tausch vollzogen, so ist jede Verpflichtung zwischen den Beteiligten erfüllt und beendet. Der Kauf ersetzt das umfassende Verpflichtetsein der Menschen untereinander durch eine einzige Verpflichtung: einem anderen etwas mit Geld zu bezahlen. So ist der Kauf verpflichtende Liquidation und Liquidation der Verpflichtung in einem.

Markt Lange Zeit, bevor es zu «dem» Markt kommt, gab es nur lokale Märkte, die zeitlich und in ihrem Angebot an Waren streng be45


grenzt waren. Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts ergibt sich in Europa ein Markt im modernen Sinn mit einem zusammenhängenden Preisbildungsgefüge. Diese Einrichtung, die dann der Marktwirtschaft ihren Namen gibt, geht einher mit der Verwandlung von Geld zum universalen Tauschmittel.

Über Geld hinaus Wirtschaften ohne Geld – wie soll das gehen? Das wissen wir auch nicht. Aber darüber nachdenken wollen wir. Menschen tun Dinge, beschenken sich, teilen, was sie haben, helfen einander und tragen zum Gelingen von kleinen und grossen Unternehmungen bei – ohne Geld. Sie haben das früher getan, sie tun es heute. Und wie sieht die Zukunft aus?

«Gutes» Geld Die meisten Überlegungen, wie den Schwierigkeiten mit dem Geld beizukommen wäre, richten sich auf das Geld selbst: Sie wünschen es sich krisenfrei. Dementsprechend konstruieren sie in Gedanken ein Geld, das bestimmte Nachteile ablegen würde und auf seine Vorteile eingeschränkt wäre. Andere Ansätze praktizieren alternative Geldkreisläufe unterhalb des regierenden Weltgeldes, die in manchem bereits real von dessen Logik abweichen.

Commoning Die Bewegung der Commons setzt der über Geld vermittelten Versorgung eine gemeinsame Teilhabe an Tätigkeiten und grundlegenden Gegebenheiten wie dem Besitz entgegen. Im Kern der Bewegung ist angelegt, dass über das gewollte und gewünschte 46


Gemeinsame allein die Gemeinschaft entscheidet, ohne Bindung an die Zwänge, die mit dem Geld eingerichtet sind.

oikos, modern Wovon die Menschen leben und wie sie es verteilen, müsste grundsätzlich anders geleistet werden als vermittelt über Geld. Soll sich der hohe Grad an Arbeitsteiligkeit bewahren, ist eine Rückkehr zu älteren Formen der Subsistenz ausgeschlossen. Die unter dem Geldzwang extrem gesteigerte Fähigkeit der Menschen, besser und mit weniger Aufwand zu produzieren und das Produzierte genauer zu verteilen als je zuvor, wäre unbedingt zu nutzen – nur anders als mit Geld und seinen Zwängen etwa zu Wachstum und zu einer Produktionsweise, die die Welt zugrunde richtet.

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Die Welt hängt heute in einem geradezu unvorstellbaren Masse von Geld ab. Was bedeutet das? Die Sunflower Foundation stellt sich dieser Frage.

www.sunflower.ch


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