SASCHA JABALI-ADEH
Vom Tauschen und Schenken Ich sitze in der »Casa Isola«, am Fuße des Mirnocks, und blicke auf den See, als die ersten Sonnenstrahlen des Tages auf die Wasseroberfläche treffen und diesen Teil des Gegendtals erhellen. Liebe Menschen haben dort ein Gästezimmer im Dachgeschoss ihres Hauses gemütlich eingerichtet, damit ich mich hier zurückziehen und mich voll und ganz auf das Verfassen dieses Essays konzentrieren kann. Früher haben in diesem Zimmer Touristen übernachtet. Aus aller Welt kommen zahlende Gäste nach Feld am See, um in der Alpendorf-Idylle Urlaub zu machen. In diesem »Corona-Sommer« sollen es besonders viele sein – die zahlreichen Betten im Ort sind längst ausgebucht. Auf die Idee, mir für den Aufenthalt etwas zu berechnen, wären meine Freunde dennoch nicht gekommen. Aus unseren verschiedenen Gärten habe ich prall gefüllte Kisten mit einer Vielfalt an frischem Obst und Gemüse mitgebracht. Das Feld hat uns heuer reichlich damit beschenkt, und die Ernte schmeckt erfahrungsgemäß noch besser, wenn sie mit Freunden geteilt wird. Auch ich erwarte mir für das Mitgebrachte keine Gegenleistung. Es wird damit auch keine Schuld beglichen, weil ich hier schlafen, Strom und Wasser mit nutzen darf. Diese Schuld ist gar nicht erst entstanden. Wir stellen uns nichts in Rechnung und sind uns auch nichts schuldig – weder in Form von Geld, noch in Form irgendeiner anderen Gegenleistung.
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