Lothar Märkl - Der Finanzfaust

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LOTHAR MÄRKL

DER FINANZFAUST Geleitwort von Armin Peter

CONZETT VERLAG BEI OESCH


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GELEITWORT Das Internet-Projekt, das die Phantasie der Öffentlichkeit im Herzogtum Sachsen, Weimar und Eisenach, Ende des 18. Jahrhunderts bewegte, hiess: Ilmenau. Hier, im Bergwerk von Ilmenau, lagen die ungehobenen Schätze, die Goethe zum Nutzen seines kleinen Landes bergen wollte: Kupfer und Silber, grosse Hoffnungen, die mit dem Wohlfahrtstraum der merkantilistischen und frühkapitalistischen Wirtschaftssysteme verbunden waren. Der oberste Bergkommissar und Finanzminister Goethe gibt seinem Herzog Ratschläge, wie er seine »Unternehmungen, Bauten und Anlagen« fördern könne. Er ist Finanz- und Anlageberater zugleich. Goethe ist aber auch ein brillanter Experte in Sachen Investor Relations. Es gilt, für die Ilmenauer Bergwerks-Aktiengesellschaft, die sogenannte »Gewerkschaft«, ein Kapital von 20 000 Talern aufzubringen, das heisst: 1000 Kuxe oder Aktien im Nominalwert von 20 Talern bei den Anlegern zu plazieren. Das Vorhaben gelingt: Der Hof und der Adel zeichnen weniger, aber vorwiegend bürgerliche Kreise und vor allem die Pensionsfonds dieser Zeit sind mit von der Partie, so die Hildesheimer Witwenkasse. Doch vor allem im »Ausland« ist der Zeichnungserfolg grösser ist als im heimatlichen Herzogtum. Goethe wirbt persönlich in der Weimarer Gesellschaft mit Erfolg für die Plazierung der Kuxe, zum Beispiel bei seinem Dichterkollegen Wieland. Den Zeichnungsprospekt entwickelt Goethe selbst. In einer grossartigen Rede zur Eröffnung des Ilmenauer Bergwerks am 24. Februar 1784, auf den Tag genau heute vor 216 Jahren, begleitet vom rudimentären PR-Instrument des »Trompeten- und Paukenschalls« promotet er das Projekt. In einer Rede voll dichterischer Kraft sagt Goethe den Erstzeichnern, warum sie

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ein nicht unbeträchtliches Risikokapital (venture capital) mit hochspekulativem Charakter aufbringen sollten. Sein Investitionsprojekt mit dem Titel »Bewegung und Nahrung« soll »nähren, schützen und erziehen«. Er hegt dabei die begründete Erwartung, die »unangetasteten Reichtümer zu ernten«. In einem späteren Vorstandsbericht vor der Hauptversammlung, dem »Gewerkentag«, verspricht er, unter dem Schutz der Gesetze eine »grosse, wichtige, kostspielige und in manchem Sinn gefährliche Anstalt ordnungs- und planmässig zu behandeln und die dazu bestimmten Summen treu zu verwenden«. Darf Lothar Märkl einen Finanzfaust schreiben? Im Licht der Ilmenauer Erlebnisse Goethes kann daran keiner zweifeln. Auch nicht im Lichte jenes »zweideutigen Metalls, das öfter zum Bösen als zum Guten angewendet wird«. Zur »Ehre und zum Nutzen der Menschheit« soll das gefördert werden. Lothar Märkl hat in seinem Finanzfaust – in seinem Versuch, die Finanzwissenschaft zu poetisieren (Novalis) – moderne Figuren in die alte Legende von Georg oder Johannes Faust von 1587 eingefügt. An Frau von Stein hat Goethe geschrieben: »Sie wissen, wie symbolisch mein Dasein ist.« Lothar Märkl hat in seinen Figuren neue Symbole für unsere Zeit geschaffen. In seinem Werk ist der »Johann Wolfgang«, der Tätige, ein Akteur. So glänzend und überzeugend Goethes Ilmenauer Rede war, so irritierend wirkte eine plötzliche Hemmung, ein Stocken in der Rede auf das erwartungsvolle Publikum, die den obersten Schatzgräber – »allein der Vortrag macht des Redners Glück« – bei seinem Vortrag überfiel. Minutenlang, so berichten Eckermann und andere, habe Goethe starr und schweigend auf seine Hörer geblickt. Hatte er, der Rhetor von hoher Gewalt, den Fa-

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den verloren? Er hatte doch den auswendig gelernten Text in der Tasche. Was hatte den Manager gestört oder bewegt? Um diese Frage spinnen sich Legenden. Der Psychoanalytiker K. R. Eissler hat in seiner grossen Goethe-Studie eine Antwort gefunden. Sie hat viel mit Lothar Märkls Neudichtung der Faust-Sage zu tun. Die »ungewöhnliche Verwirrung« während Goethes Vortrag, diese unerklärliche »Fehlhandlung«, sei auf eine Vision zurückzuführen, die Goethe plötzlich überfallen habe. Goethe hatte plötzlich seinen Faust vor Augen gesehen. Der Ilmenauer Schacht hiess »Neuer Johannes«. Die Idee war in ihm aufgeblitzt, Faust finde seine Seligkeit schliesslich in der Schaffung des gesellschaftlich Guten und nicht in den »sinnlichen Freuden«, deren Übermass Mephisto ihm verheissen hatte. Die Stockungspause in einer wichtigen Rede war die schöpferische Pause der Konzeption. An die Plazierung seiner Ilmenauer Aktien und an gute Argumente für den shareholder value denkend, schiesst Goethe der Gedanke durch den Kopf: die Faust-Wette. Was ist das Anlage- und Börsengeschehen tatsächlich anderes als eine Wette auf Erfolg, Glück, und Erfüllung? Lothar Märkl, der Banker und Börsenmann unserer Zeit, hat uns die Faust-Wette mit den Worten und Begriffen unserer heutigen Zeit vor Augen geführt. Er hat den bekannten Motiven des 16. und des 19. Jahrhunderts die neuen überraschenden des Jahres 2000 hinzugefügt und die Sage um inspirierende Stories und Plots der Gegenwart bereichert. Das industrielle Wachstum, das Goethes alterndem Faust vorschwebte, hat neue Gesetze, Felder und Ausdrucksformen gefunden. Der moderne Faust weiss mit der Informationstechnologie umzugehen. In seinem World Wide Web wird er, assistiert von einem emanzipiert-professionellen Gretchen, immer wie-

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der auf seinen Mephisto treffen, auch auf den Dr. Nekro, mit dem Lothar Märkl eine Figur neuer zerstörerischer Potenz geschaffen hat. Fausts Abenteuer kann vor unserem Auge neu beginnen. Wir alle ahnen, dass wir mit ihm zusammen auf der Bühne unserer Zukunft stehen. »Rechenschaft und Auskunft« wollte Goethe seinen Ilmenauer Aktionären geben, auf die »kritischen Punkte des Unternehmens«, die es ja in Hülle und Fülle gab, wollte er ehrlich hinweisen. Lothar Märkl hat das in seiner Zeitdiagnostik auch getan. Im Rückblick auf sein Ilmenauer Projekt widmet Goethe einem Mitstreiter ein Gedicht, darin die Verse: Ein Licht zu suchen, das den Geist entzündet, war ein gemeinsam köstliches Betrachten.

Hamburg, den 24. Februar 2000

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Armin Peter


INHALTSVERZEICHNIS Geleitwort 7 Vorspiel 13 Prolog im Himmel 17 Der Albtraum und der Wunschtraum im Faustschen Studierzimmer 31 Faust im Kaminzimmer 43 Osterspaziergang 55 Der Faustsche Zyklenkalender 65 Abendlicher Presseball auf dem Venusberg 71 Die Nacht der Erkenntnisse 87 Das Monster 97 Besuch bei Mephisto 105 Das Netz 119 Die Geschichte einer Ehe 125 Im Computerkeller 133 Die Liebe 143 Der Wettausgang 147 Epilog im Himmel 153 Nachwort 159

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VORSPIEL auf der Bühne im Jahre 2000 (zum Drama, das im Zyklus von 1989 bis 2050 spielt) JOHANN WOLFGANG


JOHANN WOLFGANG

Heute ist der Globus voll erschlossen, In Zeit und Raum. Dem Faust im Menschen ist dies entsprossen: Der uralte Menschentraum, Die Welt vernetzt und globalisiert. Weltoffen Börsen und Finanzen, voll computerisiert, Hier ist unser FAUST sehr irritiert. Seine Sinne sind elektrisiert. Er spürt in seinem Innern den grossen Bruch In der Geschichte Tagebuch. Die Menschheit schaffte die grosse Wende: Überwand des Krieges ew’gen Fluch, Machte Not und Pein Ein Ende. (vor einem Bild von FAUST stehend, sinniert er) Was Du denkst und was Du fühlst, Was Du hörst und was Du siehst, Was Du schmeckst und was Du riechst, Dein Morgen in Dein Heute fliesst. Dein Gestern wird Vergangenheit, Der Erinnerung werte-volle Beute, Festgeschrieben Dir im Heute. Nicht alles verfällt der Vergessenheit; Über den Tag hinaus fliegt Dein Gedanke in die Zeit, Das Besondre malt des Lebens buntes Kleid: Hinein in die Zukunft des fernen Sehnens, Der Hoffnung Zittern fliesst durch Adern und Venen. FAUST, Du kannst nur werden, wenn Du weisst: Ich kann nur sein, wenn ich weiss, wer ich bin.

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Die Geschichte gibt den wahren Sinn. Auf ihrem Hochaltar Wird Dir die Zukunft offenbar. Geh über die Brücke der Zeit; Deine Zukunft fliesst aus Deiner Vergangenheit. Willst Du die Zukunft nicht dem Zufall überlassen, Musst Du sie heute schon mit beiden Händen fassen! Was Du wirklich willst! Zu gestalten, was Du in Dir fühlst, Zu vollenden, was Du willst! Weise Seher und Propheten waren stets bestrebt, Zu erforschen ferner Tage Zukunftsbahn. Das ist gut, doch haben nur Orakeln nachgelebt, Den Tempeln, Priestern, Delphi und dem Nostradam Leider viele, Dareius, und so manches Volk. Mit mehr Infos würde nicht so falsch entschieden, Über Krieg, Frieden und Erfolg. Verantwortung ist doch beim Volk geblieben! Merke: Gurus, Gaukler und Ganoven sind im Handumdrehen In allen Zeiten Dir zu Stelle, Deiner Zukunft die Entscheidung abzunehmen, Schick sie weg, sie sind nicht der Weisheit richt’ge Quelle! Voll neuer Kraft besiegt der Faust im heutigen Politgeflechte, Unter Akzeptanz der Menschenrechte, Mit INFORMATION Und KOMMUNIKATION Der Erde Not und Pein, Die Zukunft wird wieder voller Zukunft sein!

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PROLOG IM HIMMEL (November 1989) PERSONEN

Der Herr Johann Wolfgang Mephisto (November 1989, nach dem Fall der »Berliner Mauer«, unterhalten sich die drei über die aktuelle politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation.)


DER HERR

Die Sphäre klingt in schöner Harmonie, Die Pole schmelzen, die Zeit wird Energie! Was das Reich des Bösen einst besessen, Riesenkräfte werden frei, nicht zu messen; Der Freiheit Fesseln sind zerbrochen! Tyrannen werden nicht mehr unterjochen, Freiheit und Logos regiern unterm Himmelszelt. Der Kalte Krieg ist tot, der Friede, Der grosse Sohn der Liebe, Gewann den Kampf um diese schöne Neue Welt. JOHANN WOLFGANG

Alle Deine hohen Werke Sind herrlich wie am ersten Tag. MEPHISTO

Verzeih, ich kann nicht grosse Worte machen, Mein Pathos brächte Euch gewiss zum Lachen, Von Sonn’ und Welten weiss ich nichts zu sagen, Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen. So gut’s auch ihnen gehen mag, Voll Stress ist jeder Tag. Tiere dürfen Leben instinktiv erleben, Dies ist den Menschen nicht gegeben. Diese Unschuld haben sie mit dem Paradies verloren. Ihr Verstand hat ihre Schuld geboren, Er lässt sie wissen, wir müssen sterben; Kein Tier, kein ander Leben weiss davon auf Erden! DER HERR

Hast Du mir weiter nichts zu sagen?

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Kommst Du nur immer anzuklagen? Ist auf der Erde ewig Dir nichts recht? Du Negativist, für Dich ist alles schlecht. Dein Fenster ist besetzt mit Neid und Hass, Kannst nicht mehr sehen diese schöne Welt, Schlag die Scheibe ein, und Du wirst mit Augenmass Besinnen Dich, dass nur die Liebe uns erhält. JOHANN WOLFGANG

Ich weiss, dass nicht alles schön ist, gut und wahr, Doch nicht alles ist hässlich, bös und schlecht. Lang ist der Weg, der aus der Hölle führt, fürwahr, Manch Geblendeter sieht spät der Weisheit Licht. MEPHISTO

Wir kennen Dich und Deine Worte, Johann Wolfgang, Bei uns gehst Du nicht auf Kundenfang. Die Muhme und die Schlange, meine Schwestern, Meinen, das sei wieder mal der Schnee von gestern. JOHANN WOLFGANG

Sieh es positiv, sieh es, wie es ist, Der Schnee von gestern ist das Wasser von heute. Sieh, dass Du beides nützt, Doppelt ist dann Deine Freude. Des Wechsels Reichtum ist der grösste Schatz. Wer das nicht sieht, hat im Himmel keinen Platz. MEPHISTO

Johann Wolfgang, was hat sich denn verändert Auf der Erden Müh’ und Hast, Seit Du im Himmel, überreich bebändert, Ruhmbekleckert Platz genommen hast;

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Achtzehnzweiunddreissig hat die Industrie begonnen, In Schienen und Fabriken neu zu investieren. Unternehmer haben Konzeptionen ausgesonnen, Gründer begannen Markt und Technik zu kapieren: Wie sich die Menschen dann mit grossem Fleiss Ersparen des schweren Pfluges heissen Schweiss. Die Produktivität ist explodiert, Und der geile Unternehmer stiert Allein auf den Gewinn, Hat mit Teilen nichts im Sinn. Er will für sich allein den schnellen Taler Ein Ekel für die Welt, der eitle Prahler! JOHANN WOLFGANG

Doch seither ist entstanden ein reales Kapital, Die Gründerjahre wurden zum Fanal: Menschen, Maschinen und Motoren Lärmen eifrig, heizen, schmelzen, krachen. Die Gründerjahre übertreffen alles über alle Massen. Unternehmer schaffen produktive Sachen. Die Menschen sind motiviert in allen Venen, Ihr Geist ist beseelt von Faustens Zukunftssehnen. Vertraut geworden mit edler Energie, Nutzen sie das Rad, den Dampf, die Schiene, Die Elektrik, Elektronik, die Chemie, Vernetzen ihr Wissen, fleissig wie die Biene, Produzieren immer besser, immer mehr, Mit weniger Arbeit, weniger Energie; Verblüffen die Zauderer, Hadrer, die Nekrophilie, Wohlstand schafft des Geistes ungestillt Begehr! Der Faust im Menschen hat dies vorangetrieben, Der Mensch im Faust ist auf dem Bett geblieben!

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Mephisto, früher liess ich Dich die Wette fast gewinnen. Die Geschichte zeigt mit klaren Sinnen, Der Menschen Forscherdrang hat viel geschaffen Und wird auch in Zukunft nicht erschlaffen! MEPHISTO

Du verkennst: dieser Tanz ums Goldne Kalb, Um Mammon, um Maschinen und Moneten, Ist wie die Menschheit doch so alt. Die Kanonen, Gewehre und Raketen, Zeigen Dir, Du Menschenfreund, Dein Weg ist falsch, so vermagst Du nichts zu schaffen. Der Planet ist zugedreckt, die Wälder ausgebäumt, Das machen nicht einmal die Affen! Wo wir heute stehen und was die Menschen sind, Ist gottlob – mag komisch klingen – mein Teufelswerk! Bewiesen hab’ ich Euch, die Menschen sind halt nur Gesind, Der Mensch der Riese, die Natur der Zwerg. Der Mensch ist nicht das Genie unter den Tieren, Kriecht bald auf allen vieren. JOHANN WOLFGANG

Wo Du recht hast, hast Du recht! Ein kluger Teufel macht manches mehr als recht. Die Tiere und die Natur haben ein viel bessres Gedächtnis, Oh, gäben sie dies den Menschen doch als Vermächtnis! Abgeschöpft die Rente der Natur, Von Luft, Wasser und dem Wald, Haben Unternehmer nur, Solange sie konnten mit des Monopols Gewalt. Doch alsbald begann der Markt zu funktionieren,

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Er allein zwingt alle, wer raubt, der zahlt. Der Markt macht die Menschen wieder klug, Denn keiner ist so klug wie alle. Vorbei ist der Monopole Spuk, Vorbei der Wirtschaft Abseitsfalle. MEPHISTO

Gut und schön, nein, besser schlecht und recht, Was soll’s, ich bin doch nur der Teufelsknecht. Was soll ich lamentieren, Wenn Menschen dann vor Hunger frieren. Wenn die meisten auf der Welt in Armut leben, Wenn Äquators Völker frühen Tod erleben. Euer Christentum hat doch verpflichtend übernommen, Wir lassen keinen Menschen mehr verkommen. Gedacht habt Ihr an ein System, ein »Soziales«, Heisst: Wenn Du kannst, so zahl es! Auch hier hast getäuscht Du Dich. Das Ich und das Mich, Das Mir und das Mein, Regiern die Welt allein. Der Mensch sagt Ganz unverzagt: »Der einzige, der denkt an mich, Ist leider niemand ausser ich.« Das Christentum hat sich ins Gegenteil verkehrt, Soziales als gestohlne Rente gar entehrt. JOHANN WOLFGANG

Ich weiss, Zynismus ist Deine grosse Stärke, Du machst Menschen damit immer kleiner. Negativ sind Deine Werke, Die Nadelstiche tückisch, immer feiner.

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Doch für uns bist Du nicht bedrohlich, Gib nicht auf, Mephisto, wir brauchen Dich, Fast bist Du ein Engel in Satansgestalt. Hast Flügel, auch wenn Dein Bocksfuss knallt. Du weisst, die Menschen heben manchmal ab vom Boden, Frönen leerer Form und schalen Moden. Des Menschen Geist, so munter er auch ist, Produziert mitunter auch mal Mist. Wir brauchen Deinen Teufelsgeist, Besonders, wenn er Mephisto heisst. MEPHISTO

Schön, vom Dichterfürsten dies zu hörn, Wenn ich nicht der Teufel wär’, Ew’gen Kompromiss würd’ ich Euch schwörn. Doch kann nicht sein, was ist nicht mein Begehr, Ich mag das nicht, ich will das nicht. Ich bin und bleib’ der Bösewicht. Edle Wort’ und gute Sachen, Die könnt Ihr mit mir nicht machen! JOHANN WOLFGANG

Du bist der Geist des ewig Bösen, Du bist der Geist des Ruinösen. Aber doch nur in Krisen Wächst neue Kraft für neue Riesen. Du bist allein die Kraft, Die immer neue Pole schafft, Dass Gut und Böse Sich gegenseitig endlich doch erlöse.

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MEPHISTO

Alle meinen, der Himmel sei so angenehm, Das Essen, Trinken gut, der Sessel so bequem. Das Gegenteil, der Himmel ist ein einziges Problem: Scheisse, das stete Gedudel von Harmonie. Der Himmel ist voller Langweile und Lethargie. Der Himmel glaubt, er sei der Hof des Friedens. Nein, nur der Friedhof ist der Hof des Friedens, Der Himmel ist nur der Friedhof unsrer Lieben! Im Himmel ist’s so ruhig wie nirgends, Tote Hose, die perfekte Impotenz. Nicht Harmonie bewirkt den Fortschritt, Disharmonie macht die Menschen fit! JOHANN WOLFGANG

Zurück, Du ew’ger Geist des Widerspruchs, Mann des Ziegen- und des Bocksgeruchs, Du bist der Geist, der stets verneint, Das Schlechte mit dem Bösen eint, Das Böse will, versehentlich das Gute schafft, Vom Bösen bist Du ungewollt die gute Kraft. Seit meinem Tode entstand ein realer Kapitalstock allemal, Ein produktives Riesenkapital. Gewachsen, geschöpft, geschaffen und gestampft, Physik, Pharmazie, Chemie knallt und dampft. Und alles, was Logistik heisst: Dies Kapital bringt Zins und Geld, Wächst zu neuem Kapital heran, Immer reicher wird die Geldeswelt. Deshalb ist jetzt die Börse dran!

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Nach meinem Tod ward der Markt des Kapitals geboren, Zu finanzieren Dampf, Rad und all die Produktionsfaktoren: Schiene, Strasse, Telefon und Energie, Wachstum entstand, Wohlfahrt wie noch nie. Ein Markt von Kapital, von Geld und von Finanzen, Faszinierend, effizient und speditiv, Schnell überwindet er sicher alle Grenzen; Geld und Kapital war vorher recht gefährdet, spekulativ, Schwierig, langsam zu transportieren, Räuber und Zöllner trachteten es zu okkupieren; Solltest Du einmal es verlieren, Konntest weder bei Versicherung oder Teufel reklamieren. Heute ist der Weg des Geldes schnell Und bis zu einem gewissen Grad auch hell. Dies, deucht mich, ist wunderbar beschaffen. Der Faust im Menschen hat dies geschaffen, Denn gehört Dir ein Kapital des Realen, Nutzst Du den Markt des Nominalen Zu leiten und zu lenken Nach den zu kriegenden Percenten. Der Zins, der Preis fürs Geld, wird’s schon richten, Den Ausgleich von Interessen und Gewichten. Drum muss der Finanzfaust jetzt geschrieben werden: Das Spiel von Geld, Gold und Gnomen, Von Gauklern und von Reichtumsbergen, Im Zentrum unsrer europäischen Kultur, Zwischen Frankfurt, Weimar, im goldnen Zürich nur, Der Metropole vom grossen Kapital, Da gibt es keine andre Wahl.

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MEPHISTO

Auch dem Finanzfaust der heut’gen Tage, Das ist überhaupt keine Frage, Werd’ ich’s mit Höllenfeuer zeigen, Börse und Finanzen sind ein wahrer Teufelsreigen. DER HERR

Doch dieses Mal, mein feur’ger Freund, Wirst Du die Wette nicht gewinnen! Der Faust von heut ist weder Knecht der Lust noch Dein Feind. Im Markt ist Toleranz vereint, Toleranz in allen Sinnen. MEPHISTO

Ha, den Faustus der Finanzen, den lass’ ich zuerst Durch die Höll der Hausse gehen. Er wird leiden, er wird klagen, Er wird vor Gier nach mehr Gewinn verzagen; Er wird lachen, tanzen, singen, Auf der Kuppe des Vulkans sein Haus anbringen. Er wird mir, dem Teufel, seine Seele noch verpfänden, Dann greif’ ich zu, pack’ ihn am Beutel und den Lenden. Dann lass’ ich ihn den Himmel vieler Baissen sehn. Endlich wird er die Börse wohl verstehn. Faust werd mir seine Seele lombardieren; Die werd’ ich gleich exekutieren. Denn in der Baisse war die Beleihung viel zu hoch! So bring’ ich ihn unters Teufelsjoch! JOHANN WOLFGANG

Nichts von alledem wirst Du tun, In drei Teufels Namen lass die Zangen ruhn; Jeder Zyklus hat sein Gesetz und seine Wiederkehr,

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Das sei auch Dir, Du Teufel, eine Lehr! Der Atem der Geschichte ist mal kurz, mal lang, Die Übertreibung ist Dein Satanswerk, Begierde korrigiert sich selbst, da ist mir nicht bang. Ein Tal ist nur, wo auch ein Berg. MEPHISTO

Doch, Herr, mit dem allergrössten Respekt, Auch Dir, Johann Wolfgang, es liebt sich, was sich neckt. Biet’ Euch eine neue Wette an, Ein wirklich guter Plan: Wenn Faust als Spekulant sich hat ausgelebt Oder gar nach festen Wechselkursen strebt. Wenn Faust für Investitionen nach dem Staate fleht, Wenn Faust Gewehre sät, Wenn die Inflation erblüht, Wenn die Welt in Korruption und Subvention verglüht, Wenn die Börse im Kasino mit Derivaten spielt, Wenn die Börse sinnlos die Welt mit Liquidität überspült, Wenn müdes Geld gilt mehr als tätiger Verstand, Dann soll das blöde Geld versickern auf ewig im Wüstensand! Dann sei’s um diese Welt geschehn, Dann hab’ ich den Sieg gesehen, Dann ist der Globus mein. Die Globalisierung soll dann des Teufels sein! JOHANN WOLFGANG

Das sei mein Wille, Der Finanzfaust wird geschrieben von einem Poeten In Europas Mitte: In Zürich, als wär’s von Goethen!

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Der Globus ist heut voll erschlossen, Zeit, Raum, Materie sind nicht mehr verschlossen. Vernetzt sind Information und Kommunikation, Sie sind die Grundlagen friedlicher Globalisation. Ganz in meinem Sinn, Ein Weg, bis er gebaut, hat viele Meister, Fünfzehnsiebenachtzig rief Faust erstmals die Teufelsgeister, Erhoffte sich viel geist’gen Gewinn. Zu meiner Zeit gab’s auch viel Magie. Das Wissen um Natur und Geld, viel Alchimie, Doch, dass wir nichts können wissen, Das hat Sokrates gelehrt. Unser Faust kennt der Bescheidenheit Prämissen, Obwohl sich Wissen explosiv vermehrt. DER HERR

So geh denn hin, Mephisto, Und zwicke Deinen Gegner, den Faustus der Finanzen, Keinen Wettsieg wirst Du Dir abstauben! Harmonie und Wohlstand herrschen heut im Ganzen, Der Fortschritt des Denkens wird’s nicht erlauben, Erziehung und Ratio, Technologie und Interactio, Der Logos, endlich haben wir’s vollbracht: Die Macht der Sprache macht die Sprache zur Macht!

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DER ALBTRAUM UND DER WUNSCHTRAUM IM FAUSTSCHEN STUDIERZIMMER (Dezember 1992) PERSONEN

Faust Mephisto Die Fee Stimmen im Himmel (Faust hat einen Albtraum: Er muss den Wechsel, den er in der Jugend wegen Kursverlusten an der Börse unterschreiben musste, einlösen. Dieser Albtraum ist genauso unrealistisch wie sein Wunschtraum vom tausendjährigen Sparbuch.)


FAUST

Habe nun, ach!, Philosophie, Juristerei und Medizin, Und leider auch Ökonomie An der bedeutendsten Akademie Durchaus studiert, mit heissem Bemühn. Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor; Heisse Broker, Doktor, Direktor gar Und ziehe schon so manches Jahr Herauf, herab und quer und krumm, Meine Kunden an der Nase rum – Und sehe, dass wir nichts wissen können! Das will mir schier das Herz verbrennen. Zwar bin ich gescheiter als all die Laffen, Die an der Börse Sekt nur saufen und Zigarren paffen; Mich plagen keine Pleiten, keine Zweifel, Fürcht’ mich weder vor Zins noch Teufel – Kann analysieren, bilanzieren, Japanische Banken sanieren, Mafiakonten ruinieren, Aufsichtsbeamte korrumpieren, Kann definieren, abstrahieren, Infos manipulieren und Bilanzen gut frisieren. In Ost und West ist klar, Marx und Keynes sind beide nicht mehr wahr. Doch hab’ ich weder Gut noch Geld, Noch Ehr’ und Herrlichkeit der Welt, Es möchte kein Hund so länger leben! Drum bin ich der Spekulation ergeben. Dass ich erkenne, was die Welt Im Innersten zusammenhält.

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Du, Geist der Finanzen, bist mir nah und näher, Schon fühl’ ich meine Kräfte höher. Mein Herz ist richtig angefressen. Bin auf Calls und Puts versessen. Aktien sind schnell geworden. Volatilitäten sind im Überborden, Liquiditäten fliessen in enge Kanäle, Misperformances treiben lange Pfähle In das Fleisch der Spekulation. Gefährlich ist jede Transaktion, Doch will ich’s immer wieder wagen, Dich, grosser Geist der Finanzen, anzufragen, Wie ich die Märkte kann immer neu besiegen, Wie ich noch mehr Macht und Geld kann kriegen. Dir, Geist der Finanzen, Dir gehör’ ich jetzt im Ganzen: Mein ganzes Ich ist zu Dir hingelaufen. Mit Dir will ich die letzte Hypothek versaufen. MEPHISTO

(tritt hervor und legt einen fälligen Wechsel vor) Grau, teurer Freund, ist alle Theorie Und grün des Lebens goldener Baum. Man sieht doch, wo und wie Man kommt zu schnellem Geld im Traum. Das dachtet Ihr in jungen Jahren, Doch wart Ihr Euch der Tollheit nicht bewusst, Schmerzlich müsst Ihr nun erfahren Zu zahlen für des grossen Spieles höchste Lust. Ihr habt erfahren, die Börse ist ein gar gefährlich Ding. Nicht jeder, der gegeben hat sein ganzes Wissen, Erhält den Zins und den Gewinn.

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Schmerzlich musstet Ihr vermissen, Was andern zugeflossen im Spiel der Spekulation, Deine Intention Wurde Perversion! Bist wieder, Faust, was Du warst, Bevor Du Dich nach Geld verzehrtest; Für Timpetu und Homo ludens ist hier kein Platz; Der Markt des Kapitals ist kompliziert und recht facettig; Euer ganzes Wissen ist nicht einmal der halbe Schatz, Macht Euch die Finger doch nicht dreckig! Die Börse ist für Euch nicht der richt’ge Platz. FAUST

O je, wollt Ihr wohl den Wechsel inkassieren? Wollt meine Zukunft diskontieren, Mein abgezinstes Leben ruinieren? Was andern dann der Zins beschert, Ist heute meine Schuld, ein barer Wert. Nur Bares Ist Wahres! Nie hab’ ich nach Gut und Geld gestrebt. Geld ist nur Mittel, nicht der Zweck, Zwar hab’ ich der Lust am Spiel gelebt, Doch die Lust und auch das Spiel sind weg. Ich wünscht’, der Wechsel fährt zur Hölle! Für bares Geld bin ich nicht die richt’ge Quelle, Den Zaster werdt Ihr nicht erjagen. Drum sollt’s auch nicht beklagen! Euer Pergament, mit Zinseszins hochdekoriert – Finanziell mich ruiniert;

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Bin am Lehrstuhl hoch geehrt, Doch mein Beutel dann zum Hades fährt. Die Börse bleibt für mich und für Dich und für uns alle Und in jedem Falle Ein Buch mit sieben Siegeln. Wie mein Buch, in dem die Zeiten sich bespiegeln. Im Grunde ist’s der Menschheit eigner Geist, Den man den Geist der Zeiten heisst. (Eine Fee im Négligé tritt ein und überreicht ein tausendjähriges Sparbüchlein) Mit Zins und Zinseszinsen, welch himmlisches Brevier. Wer sind Sie, meine schöne Fee? FEE

Ich bin die Fee, die vor tausend Jahren Begonnen hat zu sparen. Zins und Zinseszinsen wachsen auf zu Barem! Das dacht’ ich in den tausend Jahren! Das Sparbuch vertraut’ ich den Notaren Mit den schwarzen Talaren. Sie sagten mir in vielen Seminaren, Das Geld wüchse in den Bankformularen, Die sie sich ausgedacht in all den Jahren. Ich bin ein guter Sparer und glaub’ den Kommentaren, Nimm mein Büchlein, ich hoff’, ich war nicht zu unerfahren! FAUST

Welch göttlich Glück gilt gewaltig mir. Dass ich jetzt im Négligé Auch mal tausend Jahre Zinsen seh’!

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Kann ich auf Bergeshöhen wieder kalkulieren? Mich stürzen in den Barwert der Zeit, Kann endlich auch ich die Zukunft diskontieren? In die Zinslandschaft, welch Glückseligkeit. In meinem Innern will ich geniessen, Was der ganzen Menschheit zugeteilt. Ich will das Kapital mit Geld begiessen, Das Geld soll ins Kapital rückfliessen. Ich würde meine Schulden nominal fixieren, Kann höchstens eine Deflation riskieren. Die gab’s zwar hie und da, Doch was würd’ dann aus Europa, Ohne Inflation und deficit spending, Ohne Staatsschulden und big lending? Die Finanzierung über die Inflation, Ein teuflisch Instrument mit Tradition. Vergessen kann ich dann den Zins, Ist nur ein Promill des Gewinns. So hab’ ich die ganze Zukunft schon im Heute; Die Zeit ist mir geschenkt, ist meine Beute. MEPHISTO

Aber tausend Jahre Sparerglück Sind nicht möglich. Dein Sparbuch ist ein museumsreifer Feentrick. Dein Sparbuch ist mehr als kläglich! Du meinst, tausend Jahre Zins sei’n ein himmlisch Instrument, Man bekommt es, wenn man nur genug lang pennt. Du wärst dann der Chef von »G-Sieben« Oder was davon noch wär’ geblieben.

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Entscheidend ist der Währung Wahl! Hier sitzt im Fleisch der Pfahl. Ist die Währung nicht stabil, Bleibt vom ganzen Zins nicht viel! Reitet die Inflation diese Währung dann im Trab, Geht’s mit der Wirtschaft schnell bergab. Kommt die Inflation ins Galoppieren, Wird die Währung mehr als den Zins verlieren. Dann setz alles auf die Immobilie, Hast in jedem Frühling Wertzuwachsgefühle. FAUST

Was seh’ ich da für Möglichkeiten, Steuern sparen ohne viel Befindlichkeiten. Gekleidet in Flanell, Schreibe ich ab mein zinsträchtiges Bordell, Partizipiere finanziell Und sexuell An Models und am Abschreibungsmodell. Für die Steuer bin ich fein heraus: Ich bin nicht mehr der Heinrich, ich bin der schlaue Klaus! MEPHISTO

Du hast abgeschrieben mit dem Steuergesuch. Schreib es in Dein Tagebuch, Brenne morgen den Renditefluch In Dein Hungertuch!

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FAUST

Nicht so hart, Mephisto, es gibt noch Möglichkeiten, Möglichkeiten mit Verschwiegenheiten: Ha, welche Wonne bringt der Augenblick Für alle meine Sinne, Ich sehe jungfräulich unbesteuert Sparerglück Aus Deutschlands Kassen fliessen in die Eurorinne, Grand Duchesse du Luxembourg, An den Schaltern hängt der deutschen Banken Konterfei Mit »Société anonyme« als Zusatz nur; Kapital und Zins sind da noch steuerfrei. MEPHISTO

Doch wie lang noch spielt der Tod der Steuer seinen Reigen? Ist das wirklich diskret und effizient? Heut noch lacht der Bürger, Noch der Steuerteufel pennt. FAUST

Nur eines möcht’ ich nicht sein – Ein dummer Kerl, der spekuliert, Er wäre ein Tier auf dürrer Heide, Von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt, Und ringsumher liegt schöne grüne Weide. Wirkliche Zukunft braucht keine Spekulation, Wirkliche Zukunft braucht auch keine Subvention. Jede Subvention Treibt doch auch die Inflation, Je länger wir uns sonnen im Schulden-Sonnenschein, Desto brauner wird die Zukunft sein!

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Keine Währung währt genügend lange, Selbst dem Teufel wird dann angst und bange, Er ist wie jeder dran, Auch hier fängt alles mit der Arbeit an. MEPHISTO

Börsen sind doch für Dich ein Buch mit sieben Siegeln, Bist gestresst mit den Finanzvehikeln. Willst Du der Börse auf den Grund nun gehen, Einmal richtig in die Börsenküche sehen, Dann siehst Du, die Börse ist ein Hexeneinmaleins, Gewürze brauchst Du zwei nur und sonst keins: Gewinne und der Zins, Nur die beiden sind’s. In Speis und Trank vermischen die Gerüche Sich in der brodelnden Hexenküche; Die ganze Zukunft hast Du hier im Heute, Doch glauben tun’s Dir nicht die Leute. Die Börse steht nimmer still, Weil der eine hat, der andre will, Wer das verstanden hat und dann zur Börse ging, Der wird Timing-King. Und jetzt wird’s diabolisch: Die Börse ist wie nackter Sex, Nur das richt’ge Timing will die geile Hex, Das Warum, das Weil, das Wieso, Das Was, das Wie und das Wo Sind doch sowieso Nur für schlechte Journalisten Ein »Gehalt«-voller Zeitvertreib. Sie sind gut bezahlt und hochgeehrt, Ihr Rat ist immer gut begründet, meist verkehrt.

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Es muss so sein, weil es so sein muss, Datenillusionen, Zeilen, Konjunktiv im Überfluss, Füllen Akten und Dossiers im Überdruss. Der Teufel tanzt planmässig, Die Journalisten sind saumässig. Doch sie erfüllen ihren Zweck, Kümmern sich einen Dreck, Was wirklich diese Welt bewegt, Die Finanzen drückt und hebt; Geboren aus der Schweineschar Werden Zyklen wahr, Mal zuviel und mal zuwenig, Mal zu fett und mal zu sehnig; Und die Konjunkturen gehen rauf und runter, Zyklenraster werden immer bunter, Krisen, Katastrophen und Konkurse, Keiner weiss es, nur die Aktienkurse Crashen, krachen, korrigieren, Und die Journalisten schmieren, Was, warum und wie’s geschah Und warum’s denn vorher keiner sah. Doch ihr Urteil bleibt gefragt, Hat zwar immer dann versagt, Doch Umsatz hat’s gebracht, Ich, der Profitteufel, hab’ ja so gelacht. Es wandert dann die Datenillusion In die Mühl’ der Revision. Falsch waren alle Previsionen, Doch gut die Brokerkommissionen; Man tastet sich heran,

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Die »Wahrheit« ist bestimmt nicht dran. Ich kenne keinen Mann, Ich kenne keine Frau, Ich kenne keinen, der das kann; Keiner kennt die Wahrheit ganz genau, Keiner kann sie wissen, Doch Dummheit ist ein gutes Ruhekissen. Bestätigt Dich in hohlem Wahn. Glücklich, wer noch hoffen kann, Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen. CHOR DER ENGEL

(aus dem Himmel tönend) Die Arbeit mit dem Kapital ist eine hohe Kunst, Wer die beherrscht, dem schenkt die Fee den Zins und ihre Gunst.

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FAUST IM KAMINZIMMER (Dezember 1993) PERSONEN

Faust Mephisto (Faust sitzt in seinem Kaminzimmer; das Feuer brennt, er hält ein halbausgetrunkenes Glas Rotwein in der Hand. Mephisto hört ihn deklamieren und tritt ein: die Wette, die Zyklen und die Börse im Dialog.)


FAUST

Zwei Seelen wohnen, ach!, in meiner Brust, Die eine hält, in derber Lebenslust, Sich an die Welt mit klammernden Organen. Die andre hebt im Sinne meiner Ahnen Mich vom Heute weg zu neuem buntem Leben. Mit Entbehren und täglich quälend Streben, Im Verzicht auf heut’ge Lust Schaff’ ich morgen den Ertrag; Bin des Sparens heute mir bewusst, Morgen wird’s ein bessrer Tag. Der Consum heute macht mich satt und schläfrig, Ist der Tod des Strebens und von Dingen; Consum macht böse und gefrässig, Nimmer wird Grosses dann gelingen: Erst faul und dann unmässig. Investition dagegen, der Verzicht im Heute, Der Ertrag von Morgen, Gewinngeläute, Ist die Geburt von Dingen und vom Streben; Klassisch, wie zwei Prinzipe im Kampfe leben: Das C und das I, Die Zeit dazwischen ist pure Energie. Der Sarg ist oben zu, die Wiege offen, Geschlossen für den Tod, offen für das Leben. Der Menschen Leben und Streben lässt uns hoffen, Dass Consum und Investition, das C und das I, Bleiben für immer in spannungsvoller Harmonie. (Mephisto tritt ein und hört Faust deklamieren) Werd’ ich mich beruhigt je dem Consum ergeben, Sollt’ ich allein Genuss für mich erstreben, So sei es gleich um mich getan!

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Wäre Beute Dir da unten, Du Satan! Sollt’ ein Teufel schmeichelnd mich belügen, Dass ich mir selbst gefallen mag, Sollt’ er mich mit Genuss betrügen – Das wär’ für mich der letzte Tag! Die Uhr mag stehen, Die Zeiger fallen, Dann sei’s um mich geschehen! So eine Wett würd’ ich sogar dem Teufel bieten! MEPHISTO

Hab’ ich doch den Braten gut gerochen, Kommt da nicht ein Mensch in seiner Lust gekrochen? In diese Wett könnt’ ich mich teuflisch schnell verlieben. So könnt’ ich Faustens Seele kriegen! FAUST

Woher kommst Du, was willst Du in Deiner Hast? Was willst Du, armer Teufel, denn schon geben? Ward eines Menschen Geist in seinem hohen Streben Von Deinesgleichen je erfasst? Du kannst doch einem Menschen nicht das Wasser reichen. Dein dummes Ego macht mich ärgerlich! Dein Wetteinsatz wär’ keine Straf für Dich, Das wäre keine Wette unter Gleichen, Komm, lass uns das Wörtchen »Wette« streichen! Ich will keine Wett, die ich an Dich verlier’, Ich will auch keinen Pakt mit Dir Wie der alte Faust, mein Ahn, der im 16. Jahrhundert lebte, Der mit Dir dasselbe Ziel erstrebte. Dein Ziel ist ohnehin, Mit negativem Sinn

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Die Menschen plagen und zu zwicken, Herabzuziehn die Ethik und die Sitten. Das alles will ich nicht in meinem Leben, Zu »Fehlen« ist’s, was angst mir macht, Die Angst, den Punkt verfehlen, Der meine Lebensmitte ist, die Angst, die Sturm entfacht, Ach, wär’ ich wirklich, wär’ ich wahr und könnte wählen. Der Apfel hoch im Baume der Erkenntnis. Der Baum verzweigt in Böse und in Gut. Triebe zu Sünde und Mut. Der Apfelbaum im Paradies. Der Baum verzweigt in Böse und in Gut. Ist Sünde denn Erkenntnis? Der Apfelbaum im Paradies. Bedeutet die Erkenntnis, zum Umdenken viel Mut. Ist Sünde denn Erkenntnis? Nur, wenn Tugend fortgetrieben in trüber Flut, Bedeutet die Erkenntnis, zum Umdenken viel Mut. In Frage stellen der Geschichte Verständnis. Nur, wenn Tugend fortgetrieben in trüber Flut. Denken ist Licht in Finsternis, In Frage stellen der Geschichte Verständnis, Wahrheit wider Lügenbrut. Denken ist Licht in Finsternis, Fragen voll heiliger Wut, Wahrheit wider Lügenbrut. Pole: Höllen wider Paradiese?

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MEPHISTO

Fragen voll heiliger Wut, Du, Faust, der Erkenntnis Riese? Pole: Höllen wider Paradiese? Zwei Seelen treiben um Dein Blut. Polarität Dein Statut. Träge Sünde auf dem Ruhekissen. Faul strebend mit fleissigem Gewissen. Wahrheit finden in des Lebens Glut. Träge Sünde auf dem Ruhekissen, Fleissiger und strebender Mut. Wahrheit finden in des Lebens Glut, Sind Deine, sind Fausts Prämissen. FAUST

Fleissige Tat und strebender Mut. Mir bewusst, nichts zu wissen Sind meine Prämissen. Sokrates tät’ allen Menschen gut. Sich bewusst, nichts zu wissen, Nichts sei absolut, Sokrates tät’ allen Menschen gut. Sich nicht über andere stellen müssen! Nichts sei absolut, So die Zehn Gebot: Sich nicht über andere stellen müssen. Der Apfel im Baum von Erkenntnissen.

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MEPHISTO

So schaff’ allein ich die Polarität, Die Ihr Sünde nennt, Dies ist mein eigentlich Element. Du siehst, ich bin ein Teil von jener Kraft, Die stets das Böse will und stets das Gute schafft. Ich bin der Geist, der stets verneint. Ich bin der Teil des Teils, das anfangs alles war, Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar. FAUST (sinnierend)

Das Licht, das Licht – es werde Licht! Und es ward Licht – der Tag. Doch die Finsternis allein ist Sünde nicht! Tag und Nacht sind ohne Frag Ein himmlisches Geschenk: Mit der Zeit geboren, Mit der Zeit verloren, Bin der Zeit stets eingedenk. (Mephisto schenkt sich ein Glas Rotwein ein, Faust dreht sich weg, geht einige Schritte zur Seite, hebt sein Glas gegen das Licht) Ist dies Glas halb voll oder halb leer? Der Pessimist sieht’s schon leer, der Optimist noch voll! Was wäre, wenn die Zeit nicht wär’? Emotionen würden triumphieren in Dur und Moll! Mit der Zeit füllt sich das Glas, Erst halb voll gefüllt für uns beide; Mit der Zeit leert sich das Glas, zu unsrer beider Spass, Erst halb leer, dann ganz geleert bis zur Neige.

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Du siehst, allein die Zeit ist objektiv; Hier wird Wirklichkeit zur Wahrheit! Du siehst jetzt klar und tief: Nur die Zeit bringt der Geschichte Klarheit! Drum halt ich den Prozess von Füllen und von Leeren Im Gleichgewicht von Leistung und Begehren. MEPHISTO

Schon glüh’ ich von dem roten Wein, Wein ist wohl ein besondrer Saft, Doch der Wein voll Sonnenschein Gibt Kopf und Lenden neue Kraft. Lass unsren Bund mit rotem Wein besiegeln! Mit Wein, der Dir die Wahrheit schafft. (Sie trinken die Gläser leer; Mephisto dreht sich weg und spricht zum Zuschauer) Im leeren Glas kann selbst der Teufel sich bespiegeln. FAUST

Doch keine Angst, dass ich dies Bündnis breche! Das, was ich heute Dir verspreche: Wenn Du in dreissig Jahren je erreichst, Dass Du Dich in mein Denken schleichst, Dass ich mich über andre stelle, Dass ich meine, ich wär’ die Weisheitsquelle, Dass ich werd’ zum Heute sagen: Verweile doch! Du bist so schön! In träger Sünde möchte ich heut vergehen! Dann magst Du mich in Fesseln schlagen, Dann will ich gern zugrunde gehen!

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Dann magst Du Deine Freude haben! Dann hast Du ein volles Recht, Dann mach’ ich Dir’s recht, Dann bin ich für Dich der Knecht! MEPHISTO

Du willst die Lust, nur nicht dafür zahlen; Mit Lust geniessen, doch die Sucht hat ihre Qualen! Den Teufel prellen, der Teufel ein Betrogner? Faust will doch nicht die Zeche prellen wie ein Verlogner! Bündnis, Wette oder Teufels Pakt, Mir ist gleich, wie es ist verpackt, Wer sich dem Teufel hat verschrieben, Ist nicht im bürgerlichen Recht geblieben. Wenn Du heute dies nicht fühlst in Kopf und Lenden, Deine Seele wirst Du mir verpfänden. Mein Sieg ist mir sicher heute schon im Ganzen, Bei Ethik, Eros und Finanzen. FAUST

Na gut, den Vertrag sollst Du jetzt haben, Wenn ich in dreissig Jahren nicht unverzeihlich hab’ gesündigt, Wenn Du nicht erfolgreich meine Ethik hast entmündigt. Mit Niveau werd’ ich mich am Leben laben. So lange und erst recht danach Liegen Deine bösen Stacheln brach: Die Stacheln von Anmassung, Kälte, Hochmut und Hass, Dein Neid um das Ebenbild Gottes im Menschen. Nur Demut, Wärme und Liebe sind dann der Dinge Mass Nach dem Ende Deiner diabolischen Turbulenzen!

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MEPHISTO

Top, die Wette gilt! (Zum Zuschauer gewandt) Pfui Teufel, Was soll der juristische Blödsinn von Pakt, Vertrag oder Wette, das Ist mir scheissegal, es geht hier um Macht und nichts anderes! Ich schaff’ ihm Frauen, Lust und Geld, Ich schaff’ ihm Macht. Das wäre doch gelacht, Wenn seine Seele mir nicht verfällt. FAUST

Ich werde nie und nimmer des Teufels sein! (Handschlag zur Besiegelung der Wette) DER HERR

(Stimmen aus dem Himmel) Faust in seinem dunklen Drange Ist sich des rechten Weges wohl bewusst. MEPHISTO

Dreissig Jahre, dann ist mein Zyklus voll, Sieh doch, die Magie der Zahl, Sie blüht und wuchert toll, Blumen gleich in kräft’ger Erde! Dreissig Jahre dien’ ich Dir nun allemal! Kann ich doch sehr zufrieden sein, Hab’ gesetzt einen neuen Meilenstein:

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Gott existiert nur durch mich, Durch mich wird gut erst gut. Durch mich wird das Paradies erst möglich, Erst durch meine Höllenfeuerglut.

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OSTERSPAZIERGANG (Ostern 1994) PERSONEN

Faust Famulus Sorgengram (Ostern 1994 ist der Wendepunkt der Konjunktur zum Besseren: Nach einer langen Rezession unterhalten sich Faust und sein Assistent Ăźber Konjunktur, Inflation und den Umgang mit dem Gelde.)


FAUST

Von Sorgen befreit sind Völker und Mächte Durch der Konjunktur holden belebenden Blick; Für die Zukunft grünet Hoffnungsglück; Die böse Rezession, die Wirtschaftsschwäche, Zog sich in weite Ferne zurück. Von dorther sendet sie, fliehend nur, Böse Drohungen schrecklicher Wiederkehr, Zu stören der Wirtschaft blühende Flur; Doch Prosperität duldet kein Weh und Ach, Überall reget sich Bildung und Streben, Die Konjunktur will alles mit Farben beleben. Die Menschen haben es satt mit dem steten Geklag’, Jeder sonnt sich heut so gern, Grosse Freude ist auf aller Welt, nah und fern. Zufrieden jauchzet gross und klein: Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein! FAMULUS SORGENGRAM

Mein lieber Doktor, ich sage Dir: Begrenzen müssen wir das Ich, fördern sehr das Wir! Denn es bedarf der Beeilung Zu mässigen Ansprüche von Menschen und Gruppen, Zu häufig waren die Kämpfe der Verteilung: Rohstoffe und Öl wollten zuviel von reichen Sozialprodukten, Abwertung sollte schnellen Nutzen bringen, Die Löhne waren ohn’ Produktivität gestiegen, Die Notenbank allein sollt’ das Lied von Leistung singen. Mit der Inflation des Wollens Kam die Deflation des Sollens. Der Egozentrik waren keine Grenzen mehr gesetzt, Hat ein Bürger ein Weh, ein Ach, eine Beschwerde,

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Der Staat hat der Gesetze Ansprüch so vernetzt, Dass er für alles zahlt auf dieser Erde. Jedoch dies kann nicht funktionieren, Alles, was nicht klappt, dem Staate aufzubürden. Allein die Lust und den Gewinn privatisieren, Das muss der Produktivität den Hals zuschnüren! Rufen manche Leute, wir haben zuviel Staat, Die Steuern sind zu hoch, speziell für mich! Aufgegangen ist doch ihre eigene Saat, Der Staat wurde krank und siech. FAUST

Auch mit den Politikern ward man sehr verdrossen, Sie konnten keinem recht es machen, Wieviel Wahlgeschenke sie auch ausgegossen, Sie machten Streit und dumme Sachen. Was konnten, was sollten sie noch politisieren, Blieb ihnen nur das Intrigieren! Lass gut es sein, wir haben’s so gewollt! Verträge und Verbände lassen keinen Raum zum Spielen, NATO , Euro, WTO , EU und ECU , Nur einige Beispiele von den vielen, Heute ist Politik eine grosse Müh’. Kein Spielraum für Politiker-Egosiege, Politik zu machen ist fast nicht mehr möglich. Das ist gut, wir brauchen keine Kriege. Politiker brachten Leid unsäglich, Nenn es, wie Du willst und wie es ist, Politik ist heut ein grosser Mist.

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Nenn den Politiker einen Bürokraten, Das will ich Dir raten! Sind doch die Werte unsrer Postmoderne, Politik, Demokratie und Markt, Nichts anderes als Primanerschwärme, Heut im Dschungel von Technokraten eingesargt! FAMULUS SORGENGRAM

Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren Ist ehrenvoll und ist Gewinn, Fasst Ihr doch diese Eisen analytisch an; Man weiss schnell, wo ist man wirklich dran. FAUST

Das ist nicht alles, grauer Freund, Viel schlimmer ist, dass die Bevölk’rung schäumt, Stöhnt, ächzt und jammert unter der Konfiskation. Raub ist nicht so schlimm wie Steuerexplosion. Stell Dir das doch bildlich vor: Die öffentliche Hand ist in der Klemme, Feige ist die Politikermemme, Sie kann nicht zahlen, was verschuldet sie zuvor. Jagt sie fort, und eine neue Generation Macht eine Amnestie Und eine Konversion Und schafft eine neue, starke Demokratie. Du siehst, so manche böse Pleite Hätt’ eben auch ihre gute Seite! FAMULUS SORGENGRAM

Das klingt nicht gut, tönt nach Revolution, Kannst Du mir sagen, was sollen wir heute tun?

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Kannst Du mir etwas zum Markte sagen, Auf den wir täglich die eigene Haut nur tragen? Der Arbeitsmarkt ist in trauriger Verfassung, Wieder bringt die braune Soss’ uns aus der Fassung. Besser haben’s Güter und Dienste, Sind ohne Grenzen wie noch nie, Die Zöllner sind verschwunden, was machen die? Dies ist äusserst segensreich Für alle Völker gleich; Allein, erzähle mir vom Markte der Finanzen, Dem jüngsten und dem schnellsten, Dass ich erfass im Ganzen: Was die Welt der Arbeit, des Realen Und der Finanznominalien im Innersten zusammenhält. Vor allem übers Geld wüsst’ ich gerne mehr, Geld interessiert doch alle sehr. FAUST

Heute ist Geld immer verzinst Wie ein enges Familiengespinst. Zeugt Geld Kapital, Agio und Zins, Natürlicher Teil des Kapitalgewinns. Das war nicht immer so: Das kanonische Zinsverbot Ist erst seit zwei Jahrhundert tot. Seit Anlagen, Häuser, Maschinen, Erfindungen, Produktives, reales Kapital Zinsen bot. Weggefallen ist die ethische Bindung, Dass Leih und Pacht Plünd’rung sind und Entehrung Konsumtiver Kreditgewährung.

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Schon bei Goethe steht geschrieben: Nur Früchtetragendes ist wahr geblieben. Zins ist der Preis für Kapital auf Zeit, Das ist das Gesetz des Marktes der Finanzen. Wichtig ist, dass Kapital auch sicher bleibt, Kapital wächst mit der Zeit zu riesenhaftem Ganzen; Die Frage, die Bonität: Nicht jede Tollität Hat die Seriosität, Zu erfüllen auch die Maturität. Geld ist, was gilt, Anspruch auf andrer Wert; Geld ist, was zählt, Für sich neutral und unbeschwert. FAMULUS SORGENGRAM

Nur der falsche Umgang macht das Geld erst schlecht, Geld erweckt oft schlimme Triebe: Macht über Menschen, und zu Unrecht Verkehrt Geld in Hass die vorher reine Liebe. Geld besitzt bestechende Eigenschaften, Geld macht hungrig, weitet den Magen. Auch die Kirche hat manche Liegenschaften Zu Unrecht recht gut vertragen, Hat ganze Länder aufgefressen, Und sich dabei nie übergessen. FAUST

Erst fiel der Geldeswert, Dann fiel der Wert des Menschen hinterdrein.

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Die Tugend und die Ethik waren plötzlich umgekehrt. Zu Wasser wurde edler Wein. Erst durch Dich, Teufel, wird das Geld schlecht: Der Staat zerstört sein Geld, damit die eigne Illusion. Der Teufel erschuf Korruption, Subvention und Inflation, Damit war der Wert des Geldes ungerecht. Triebe treiben dann Morbides, Geld in schlechten Händen gerät zur tödlichen Gefahr. Der Solidus war anfangs Solides, Doch teuflisch bös die spätre Inflation dann war. Inflation ist der Geldmenge Überhang, Der Leistung konträrer Grabgesang. Was gestern gut noch war, ist heute nicht mehr fein. Die Leistung, die gestern noch in Ehren stand, Soll heute nichts mehr sein? Der mit Arbeit menschenwerte Werte fand, Wird heut als dumm verpönt, Wird, wenn nicht rausgeworfen, schlecht entlöhnt. Nominalien werden hochgetrieben, Gaukler haben hohe Konjunktur und Hasardeure, Bunte Vögel sind beim »Überfliegen« Zu hoch gekommen, zu nah der Sonnen, eben Amateure. Die viele Luft in den Ballon der Inflation geblasen, Wie Sozialisten, die die Welt in drei gleiche Hälften verteilt. Die Luft und auch das Geld sind dünn geworden, rasen. Gott hat dieses nicht gewollt, als er an dieser Welt gefeilt. Dem Soziomagier entglitt die Anspruchsinflation. Er, der die klare Rechnung nie geliebt, Was er angerichtet und versiebt,

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Erlebt nicht mehr das Chaos und die Destruktion. Er kann Bestelltes nicht bezahlen. »Verantwortung« heisst das grosse Wort. Wer steht noch dafür ein, nach soviel Malen? Der Politmagier ist auf einmal und für immer fort! FAMULUS SORGENGRAM

Eh’ man sich versah, War der Führer weg und nicht mehr da. Die Suppe ausgelöffelt haben dann die armen Schweine, Jeder für sich, jeder auch die seine. Hätten sie nicht soviel Politik gemacht, Hätten sie uns nicht um Arbeitsplätz’ gebracht, Müssten heut nicht viel politisieren, Um künstlich Arbeitsplätz’ zu produzieren. FAUST

Verantwortung zu übernehmen und auch zu tragen, Mancher hat sich da gewaltig überschätzt. Verantwortung braucht viel Hirn und gute Nerven dann im Magen. Die Bank der Bankrotteure ist leider gut besetzt. Ist zerborsten erst die Illusion, Das Chaos ordnet dann die Welt, Wie Schnee in der Sonne schmilzt das schlechte Geld, Der Kommunismus zahlt nicht zurück die Unrechtsprovision. Doch ein Ende mit Schrecken ist besser als umgekehrt: Dem Gefängnis falscher Illusion entronnen, Verlassen Völker das Reich des Bösen nicht unversehrt, Ausgezehrt, angeschlagen, frei, doch unbesonnen.

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Die Freiheit ist für sie nun grenzenlos, Die alten Grenzen sind sie los, Doch in neuer Freiheit sind sie ganz verloren, Schlimmer dran als neugeboren, Denn ein Baby hat den Schutz tradierter Werte. Befreite Völker lernen ungeteilte Freiheit, Nur ein bisschen davon gibt es nicht, Auch Schwangerschaft zur Hälfte nicht, Die volle Wucht der Freiheit diese Menschen trifft, die Wahrheit.

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DER FAUSTSCHE ZYKLENKALENDER

PERSONEN

Faust Mephisto (Zyklus bedeutet wiederkehrendes Phänomen. Der Zyklus bestimmt unser Leben, unsere Geschichte, besonders unsere Wirtschaft.)


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FAUST

Dreissig Jahre ist die Distanz einer Generation Vom Vater bis zum Sohn. Das Denken grundsätzlich sich gewandelt: Junge Leute haben mit neuen Ideen angebandelt. Was der Vater noch gesollt, Hat längst der Enkel nicht gewollt. Die Turnschuhgeneration Bricht mit der Tradition. Dieser Zyklus, ein Faszinosum, Er schreibt der Geschichte Rigorosum. MEPHISTO

Dreissig, zwei mal fünfzehn, Harmonie und Totalität, Tag und Nacht, die klassische Periodizität, Auch Ebbe und Flut, unbestritten, Doch ich mag den Zyklus nicht, hab’ immer unter ihm gelitten. Diese Regeln, diese Superordnung, Ist nichts als Verantwortung. Ich liebe Chaos, Ich liebe das Gespensterschloss. »Berechenbar« zu sein ist nicht mein Ding, Ist für uns Teufel ein Widerling; Bin auch aufs Tageslicht nicht erpicht, Den hellen Tag mag ich nicht. Ich bin mit meinen Teufelsstunden Nur an die Nacht gebunden. FAUST

Damit ist sechzig Jahre des Zyklus Wiederkehr, Alle sechzig Jahr der Zinsen Spitze von jeher.

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Achtzehnhundert60, Neunzehnhundert20, Neunzehnhundert80 Trieb der Zyklus die Zinsen auf die Spitze. Es schwelt; das Feuer entfacht sich. Überall spüre ich die Hitze, Bei Rohstoff, Energie und Inflation, Historisch nachgewiesen diese Relation. Sechzig Jahr in Repetition, Zweimal die Distanz einer Generation! Zweimal geändert das Denken in Stabilität und Inflation. Hilfreich und spannend ist dies Zyklenraster, Das Denken in Leistung – und das Denken im Zaster. Inzwischen der Menschen Leben hat sich recht verlängert! Nicht vierundzwanzig, sondern dreissig Jahre ist eine Generation! Alles hat sich stark verändert, Haben viel gelernt, die Tochter und der Sohn. Des Denkens Zyklus ist heut dreissig Jahre, Alte Ideen landen auf der Totenbahre. Der Mensch ist sechs Jahre lang ein kleines Kind, Ist auch noch ein Kind bis zwölf, Bis sie achtzehn sind, sie am Lernen sind, Bedürfen noch der Eltern Hilf’. Dann die zarten Triebe der Adoleszenz Formen sich in Kopf und Lenden zur Potenz. Mit dreissig sind sie endlich reif zum Denken und zum Zeugen, Zu gestalten ihre eigne Neue Schöne Welt. Sie solln sich nicht dem Alten beugen! Beim Denken sei alles in Frage gestellt!

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Die Zukunft kommt und geht, Im Zyklus kehrt alles wieder. Nur die Geschichte bleibt und steht, Die Geschichte singt der Zyklen Lieder.

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ABENDLICHER PRESSEBALL AUF DEM VENUSBERG (Dezember 1995) Motto: Ball der nackten Wahrheit PERSONEN

Mayer-Alpha Mayer-Vornedran, Pressepräsident Mayer-Blech Mayer-Negativ Mayer-Omega Faust Margherita Mephistopheles Dr. phil. Nekro (Die Rede des Pressepräsidenten am Podium, anschliessend dummes Cocktailgeschwätz, aus dem sich im Verlauf der Party eine erotische Begegnung ergibt.)


MAYER-VORNEDRAN

(hält die Eröffnungsrede) Kommt Freunde, heute laden wir Euch ein Zu Tanz, Büffet und edlem Wein. Die Presse soll vom Besten Euch gewähren, Nur vom Besten sollt Ihr heut verzehren! Tolle Damen, edle Herren! Oh, wie stimmt’s versöhnlich, Dass Ihr gekommen seid persönlich. Doch dummes Zeug red’ ich daher, Ihr wisst, das fällt mir gar nicht schwer; Zu unsrem Ball der nackten Wahrheit Bedarf’s nicht der Wörter, nein: der Worte zur bessren Klarheit: Die Presse hat die Wahrheit nicht gepachtet, Bei uns wird auf die Gier geachtet; Was der Leser kompensieren will und muss, Den Trieben dienen wir im Überfluss, Zu befriedigen des Lesers Krimilust Und den impotenten Sexesfrust. Was er nicht selbst befried’gen kann, Schaut er in unseren Spalten an. Mit Umschreibung wird die Wahrheit umgeschrieben, Dem Lügenteufel haben wir uns ganz verschrieben. Die Wahrheit wäre viel zu einfach, Mit der Wahrheit könnten wir nicht so viele Seiten füllen, Wär’ höchstens eine Zeil am Tag, Die Zeitung, nichts zum Lesen, nichts zum Knüllen; Die Wahrheit ist zu einfach, zu einfältig, Es lebe die Lüge, kompliziert und vielfältig. Wir wissen, wer was bei wem, wann und wo gelogen,

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Wer mit wem, wann, wie oft und wie lang betrogen. Sex and Crime, die Tricks sind doch die alten, Mit schwarzem Druck zu füllen unsre Spalten. Eine satte Lüge ist der beste Knüller, Ein prima, geiler Spaltenfüller. Zuerst hast Du viel Lamenti, Am nächsten Tag verdienst Du am Dementi. Kurz, mit Lügen ist immer etwas los, Möglichst bunt das Bild und scharf die Soss. Am besten ist der ganze Busen bloss, Auch ein rosiger Po, gemalt als Aprikose; Nein, sagt der Leser, was für Sitten, sind die lose. Besonders gern gelesen ist die Kriminalität, Von Mord und Raffia, Sodom, Camorra und der Mafia. Man geniesst die perfekte Perfidität, Und steigert sich hinein, wie gut man selber sei. Es ist doch ein verlogner Brei! Doch gerade in politischen Dingen Kann man nicht die Wahrheit bringen: Dass die USA mit dem Ölpreis die Welt regiern, Dass die Russen nicht wolln die Satelliten verliern, Dass die Leitwährung andern zum Leide gereicht, Dass die Inflation die Moral aufweicht, Dass Konfiskation Leistung missbraucht. Dass der Papst viel neue Kunden braucht! Das darf man nicht schreiben, Das hat strikt zu unterbleiben, Dass Verhütung dafür schädlich, Die Kirche bucht’s unter redlich!

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Jeder Staat hat eine Armee, Die eigne oder eine fremde, Ent-rüstung bringt uns um. Si vis pacem, para bellum! Unsre Presse ist leider die Dienerin morbider Triebe, Exakt das Gegenteil von Wahrheit und von Liebe. Unsre Presse lebt von Events: Unfall, Tod, Krankheit, Krieg und Dekadenz. Wäre unsre Presse nicht begehrlich, Wäre unsre Presse frei, sie ist nicht ehrlich! DR. NEKRO

(tritt als Koreferent auf) Wie wir jetzt alle sehen, Wir müssen die reine Wahrheit in eine dumme Lüge drehen! Es heisst, Du musst immer die Wahrheit sagen, Aber, Du musst nicht immer die Wahrheit sagen. Allein die Wahrheit ist redlich, Die Wahrheit allein ist schädlich. Mundus vult decipi, Die Welt will betrogen sein, Wahrheit ist Pipi, Das ist meine Welt, die Welt ist mein! Oh, glaubt mir, Ihr Dogmatiker, Zugemauerte Fanatiker: Die Erde ist rund, Das Volk ist bunt, Will nur das eine hören, Will sich mit Sex und Crime betören; Ich werde beides Euch, Ihr geilen Ärsche, jetzt bescheren.

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(Beim anschliessenden Cocktailempfang unterhalten sich einige Herren, Politiker, Journalisten, Manager, schöne Damen) MAYER-NEGATIV

Nun, das musste endlich einmal gesagt werden. Ich meine, es sollte mal allen bewusst werden, die Politik hat einfach gar nichts verstanden; so einfach ist das ja alles nicht: ob Sozialist oder Pazifist, Kanzler, König oder Kaiser und schon gar die abgetretene Opposition. MAYER-BLECH

Apropos Pazifist, wir müssen da schon unterscheiden: Pazifist zu sein kann nur für mich da drinnen, also ganz persönlich für mich gelten! Aber, wenn von draussen Menschen nach Waffen zur Selbstverteidigung telefonieren, dann müssen wir schon real denken und denen beistehen, zum Beispiel mit Nichtangriffspakten! Sie sehen, die Politiker sind doch nur das Spiegelbild der Wähler. Der Politiker lebt nach dem Motto: Wie kann ich wissen, was ich sage, bevor ich es nicht gehört habe! MEPHISTO

(im Hintergrund) Mit Schuldenprogression Und Steuerinflation Hat Politik sich in den Stand versetzt, Zu finanzieren Alle Begierden. Politiker sind nur teure Zierden. Die Bürger sind total verhext, Steuerkommissäre sind perplex. Voll unnötig hoher Spesen

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Ist der Politiker Gewese gewesen. Der brave Bürger ist kriminalisiert, Ist gänzlich paralysiert. Da lacht der Überstaat: Meine beste Teufelssaat! MAYER-ALPHA

Heute vormittag noch rief mich der Wirtschaftsminister an, Professor Bessermann; Sie wissen, er holt sich manchen Rat bei mir als altem Praktiker, »Lieber Mayer-Alpha«, sagte er, »Sie sind mir genau der Richtige für mein Diaboloprojekt. Ihre Hilfe ist mir wert und teuer, gemeinsam bringen wir das in trockene Tücher.« MAYER-OMEGA

So, Sie sind mit dem Wirtschaftsminister bekannt. Bei uns auf der Strasse wohnt auch jemand aus der Politik, der stellvertretende Vorsitzende der Kreispartei, aber persönlich kenn’ ich ihn gar nicht. MAYER-NEGATIV

Solche Krisen! Und überhaupt, noch nie hat es soviel Kriege gegeben, und die Kriminalität war noch nie so hoch. Das Fernsehn ist schuld daran. Früher war alles besser: Politiker machten noch Politik, Unternehmer führten ihre Unternehmen erfolgreich, wie Siemens, Daimler und Krupp, um nur einige Namen zu nennen, Künstler machten noch Kunst und Sportler noch Sport. Heute machen doch alle alles. MAYER-BLECH

Gestatten Sie vielmal, dass ich mir erlaube hinzuzufügen, ohne weitschweifig sein zu wollen, aber es gehört schliesslich zum

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Thema: Der Schrecken der Zukunft wird eines Tages auch zur guten alten Zeit. MAYER-OMEGA

Wenn man sich umsieht hier: lauter Prominenz! Die meisten kennt man vom Fernsehn. Wenn ich das Karl-Georg und Erich erzähle! Wissen Sie, mit Karl-Georg und Erich spiele ich immer Skat. Und Karl-Georg ist auch ein bisschen prominent, er ist Vorsitzender in unserem Ruderclub. MAYER-ALPHA

(stöhnt) Ach, diese vielen Ämter! Mir sind doch in den letzten Monaten wieder drei Aufsichtsratsmandate angeboten worden, zudem die Position eines Generalmusikdirektors, wo ich doch gar kein Instrument spielen kann. Aber, das wird mir allmählich zuviel, ich habe den höchstdotierten Posten akzeptiert, doch ohne neue, hochqualifizierte Mitarbeiter geht es nicht mehr, und schliesslich muss man den jungen Leuten doch auch eine Chance geben! MAYER-NEGATIV

Diese Leute, die nie Zeit haben, bringen doch am wenigsten. MAYER-BLECH

Apropos Kunst, auch das sollte nicht ungesagt bleiben: Die »digital art« ist ganz gross im Kommen. In der heutigen Zeit der Mediakratie bringt sie auch ganz besonders interessante Aspekte: der Mensch – Maschinen – Schnittstellen. Beachtenswert ist hier bei dieser Kunstrichtung die Bearbeitung der Unterseite der Oberfläche.

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MAYER-ALPHA

Der berühmteste Vertreter dieser Richtung ist zweifellos Alexej Scholsternak. Ich lernte ihn persönlich letzte Woche in New York auf der Vernissage seiner ersten grossen Ausstellung im Westen kennen. Ich muss sagen, beeindruckend intelligentes Interface. Das Künstlervölkchen im Osten hat von den Systemkomponenten des Kommunismus sehr profitiert und uns im Westen ein neues Zeitfenster gegeben. Eine neue Qualität in der Zeitdimension! MAYER-NEGATIV

Nein, nein, nein! So einfach geht das nicht! Im Kommunismus gehörte doch allen alles, so lange, bis niemanden nichts gehörte! MAYER-OMEGA

Meine Frau hat mir letztes Jahr zu Weihnachten auch zwei Bilder geschenkt von einem Künstler aus unserem Ort. Der malt verschiedene Motive meiner Heimatstadt: die Dorfkirche, den Marktplatz mit Brunnen, schön naturgetreu! Da weiss man doch, wo man hingehört. MAYER-BLECH

Ich möchte wagen zu behaupten, auch wenn es mutig, ja verwegen klingen mag, dass der Feedback-Effekt der »digital art« im Osten zu dem bekannten Systemabsturz geführt hat, der dann dominosystemisch nicht nur die Politik, die Sexualität, Öl und Gas und auch den Alkohol zum Zusammenbruch gebracht hat. Dabei haben die Russen überhaupt kein Alkoholproblem, sie haben wirklich genug Wodka; alles nur westliche Propaganda!

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MAYER-ALPHA

Ich mach’ mir allerdings grosse Sorgen, wenn ich die Parameter der Wirtschaftsentwicklung meiner totalen Systemanalyse unterziehe. Der »time lag« kommt schon wieder mit einer Zeitverzögerung, so dass wir die Durchführung der Anstrengungen, die unter dem Titel »Besondere Bemühungen zur Konsumbelebung« laufen, in der ursprünglichen Form nicht werden darstellen können. MAYER-NEGATIV

Nicht einverstanden! Konsum ist doch nichts anderes als Adventszauber, Silvesterknallerei, Karnevalspass, Kirmesgaudi und Muttertagsprellerei. MAYER-BLECH

Ich glaube nicht, und das muss man mit aller Klarheit sehen und auch aussprechen, dass sich das vergangene Jahr in diesem Jahr wiederholt. In der Tat müssen wir den veränderten Faktoren Kostenermittlung und Erlösmehrung im Utility-Multiprogramm Rechnung tragen, um die Dinge auch weiterhin fest im Griff und damit in der Hand zu behalten. Das ist meiner Meinung nach der richtige Schritt in die richtige Richtung. Man kann abschliessend nur sagen, es ist viel zu tun, fangen Sie schon mal an! MAYER-OMEGA

Haben Sie schon das riesige Büffet gesehen? Was meine Frau dazu sagen würde, sie isst so gerne fein! Aber wenn wir jetzt da nicht hingehen, ist vom Hummer und Kaviar nichts mehr da. (Auf der anderen Seite der Bühne, an der Bar, spielt sich eine Szene mehr privater Natur ab, die Teilnehmer sind Maggie Margherita, Heinrich Faust und Mephi Mephisto)

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FAUST

Oh,Teufel, sieh dort diese Frau, Bin ich noch bei Sinnen? Seh’ ich sie so an, genau, Möchte ich fort mit ihr, sogleich von hinnen. Ihr Mund so sinnlich voll, Ihre Augen nach dem Du sich sehnend, Ihr Körper elastisch, begehrend liebestoll, Aphroditen gleich, nach Ares sich verzehrend. Ist’s Fantasy, Ecstasy oder Utopie? Mit Deiner Hilfe, Mephi, schaff’ ich sie! Teufel, wie die Zeiten sich doch ändern, Erkennst Du an den transparenten Blusen und den Bändern. Als Dein Ahn bei Goethe wohl dozierte, Das arme Gretchen sich noch reichlich zierte: »Und fasset sie wohl um die schlanke Hüfte frei, Zu sehn, wie fest geschnürt sie sei.« Heut seh’ ich keine Schnüre, nicht von hinten noch der Seite, Auch vorn ist alles transparent, Frei schwebend bebt die Natur recht vehement; o. k., Mephi, ich geb’ der Fruchtbarkeit Geleite. (Er geht auf Margherita zu und spricht sie an) Mein schönes Fräulein, darf ich’s wagen, Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen? MARGHERITA

Bin zwar kein Fräulein, doch recht schön, Möchte nicht ohn’ Geleit nach Hause gehn.

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Was zögert Ihr noch lange, Mir war schon angst und bange, Dass kein armer Teufel sich erdreistet Und ein kühnes, kluges Wort sich leistet. Ich fürchtet’, Eros bleibt heut unerlöst, Die Bänder an den Strümpfen ungelöst. FAUST

Ich hoffe, Deine Sehnsucht wird gestillt, Mit Dir, der Liebe reines Ebenbild. Doch so komm, mein lieber Schatz, Dies ist für unsre Liebe nicht der richt’ge Platz! MARGHERITA

Lass strebend von hier uns wegbemühn, Dass Mann und Frau sich lieben auf der Liebe Bühn’; Zwei Menschen, der Liebe allergrösste Zahl, Je grösser die Zahl, desto grösser der Menschheit Sühn’. FAUST

Klug Deine Psyche und Deiner Rede Sinn, Zu Dir, zu Dir zieht mich alles hin. Ich will Dich, will alles an Dir. Ich mag Dich und mag wieder alles an mir. Ich verzehre mich, Ich begehre Dich! Doppelt ist unser Glück, wenn wir es teilen, Doppelt unsre Lust, wenn wir langsam uns beeilen. Vom Pfeile Cupidos bin ich schwer getroffen, Voll ins Schwarze ging der Schuss.

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MARGHERITA

Hast noch viele Pfeile, will ich hoffen! Ich ersehne Pfeile und den Liebeskuss! Hab’ ich geliebt, ich bin wie neugeboren, Ich fühl’ beider Glück in allen meinen Poren! MEPHISTO

(im Hintergrund) Offenbar, Sex hat seine Schuld verloren, War für Goethe noch die Gretchenfrage: Wie hältst Du’s mit der Religion? Besser heut der Menschen Lebenslage: Religion ist nicht mehr identisch mit Absolution. Die Moral von Kirche und von Staat War eine üble Saat, Unberechtigt angetreten, zu kontrollieren Freud und Lust, Jesus Christus hat davon nichts gewusst. FAUST

Du schönstes Bild von einem Weibe! Ist’s möglich, dass ein Weib so schön? Muss ich an diesem hingestreckten Leibe Den Inbegriff von allen Himmeln sehn? Liebe verschenkt sich selbst, Liebe gehorcht keiner Macht, Kein Urteil über Liebe ist angebracht, Wenn mein Ich in Deinem Du verschmelzt. Deine Schönheit ist der Wahrheit Lichterglanz, Deine Augen sind Deiner lieben Seele Spiegel,

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Deinen wilden, goldnen Körper will ich ganz. Streichend streicheln mit meinem Liebessiegel, Margherita öffne Dich der Liebe, Zu schenken der Liebe edelste Triebe! MARGHERITA

Du willst mich, Ich will Dich. Liebe ist apart, Des Himmels schönstes Geschenk der Gegenwart. Wie Musik muss Liebe immer neu erklingen! Der Liebe Lied musst stets aufs neue singen! Bei mir ist für Dich nichts tabu. Meine Liebe ist mein lebendigstes Ich mit Deinem Du. Meine Liebe ist die höchste Gegenwart. Liebe ist das leidenschaftlichste Präsent, Des Himmels schönstes Geschenk! Unsre Liebe wird noch reifen wie edler Wein, Unsere Liebe wird voller Zukunft sein! (Margherita und Faust verlassen die Bühne, um der süssen Ruhe zu pflegen) MEPHISTO

(lacht hämisch) Na, hab’ ich das nicht meisterhaft gemacht, Werd’ auch nicht vom grossen Meister oben ausgelacht. Mit der rosaroten Brille der Liebe Streu’ ich am besten Sand ins menschliche Getriebe!

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Gott verlieh Adam ein Hirn und einen Zauberstab, Doch der Zauberstab zieht das Hirn ins Grab. Die glauben noch an der Liebe Wunder. Wartet nur, morgen schon kriegt Ihr vom Teufel Zunder!

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DIE NACHT DER ERKENNTNISSE PERSONEN

Heinrich Margherita La Luna Mephi Aphrodite Ares (Faust und Margherita sind in Liebe zueinander entbrannt; ihre reine Liebe gibt ihnen die Hoffnung, dass ihr gemeinsames Leben, ihre Zukunft voller Zukunft ist. Schon einmal hat der Teufel – in der Schöpfungsgeschichte in Gestalt der Schlange, heute in Gestalt des Mephisto – versucht, in die Liebesbeziehung einzugreifen. Auch hier will Mephisto die Liebe stören, indem er infam ein Beispiel aus dem Zusammenhang reisst und zitiert: die Affäre von Aphrodite und Ares.)


STIMME AUS DEM HINTERGRUND

Wie romantisch steigt die runde Scheibe Des roten Mondes mit voller Glut heran. MARGHERITA

Luna leuchtet launig auf Deinem bronznen Leibe. Deine Frau bin ich jetzt und Du mein Mann. Liebster, wie sind wir unbedingt, wie sind wir unbedacht! Welcher Tag ist heute, Wieviel Uhr ist es, … diese Nacht? Nicht, dass es mir wichtig deute! Unsre Zeit steht still, Und ich will Zeitlos lieben, Zeitlos leben! HEINRICH

Auch mir fehlt die Übersicht, Ich weiss das Heute nicht, Für Zeit hab’ ich jedes Gefühl verloren. Ich bin wie neugeboren, Ich fühl’ und weiss, Du bist mein süsses Kind, Ewig wir ein Herz und eine Seele sind. MARGHERITA

Du machst mich ganz verrückt, Noch nie hat ein Mann mich so beglückt, Du mit Deinem delirium ludens, Dio mio, coeli dispens!

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Für Liebe ist das grösste Hindernis Die Moral, sie ist ein Ärgernis: Man sollte leben, wie zu leben Das Leben keinen Spass mehr macht. Denn ist das Leben einst vergeben, Wirst Du auf der Bahre ausgelacht. Diese Moral will ich nicht achten, Will in Dir das Feuer der Liebe entfachen. Unsinn ist, nach dieser Moral zu streben, Sich verweigern, wenn die Liebe lacht. Liebster, fang nicht an aufzuhören! Auch ich werd’ nicht aufhören, immer wieder anzufangen. Die menschliche Natur Ist eben Liebe pur. HEINRICH

Stimmt, mein Engel, vielleicht hast Du recht! Manches bei der Moral ist falsch und schlecht. Geht es um Eros und um Psyche, geht es um das Lieben, Bezwingt die Moral die Liebe mit allen Siegen. MARGHERITA

Wir überwinden Moral mit Fantasie, Die Erotik ist die charmanteste Magie. HEINRICH

Ja, die Liebe ist der Liebe Verkörperung. Lebensursprung. MARGHERITA

Unser Bett ist der Ursprung neuen Lebens, Der Ort des Schenkens und des Gebens,

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Ein Duett des Gebens und Nehmens. Mein Leben im Bett ist voll des Lebens. Du hast mich in Leib und Seele erogenisiert, Die Liebe ist es, die mir mein Leben garantiert. HEINRICH

Da sagt man noch, das Bett sei aller Laster Anfang, Des Abendlandes Untergang! In Wirklichkeit ist der Schreibtisch der Ort von Missetaten. Rassisten wie Hitler planten hier ungeraten Kriege und wirkliche Laster! An den Schreibtischen sitzen Täter und Fantaster, Satte Organisationen und faule Bürokraten. Lausanne und Brüssel Füttern ihren eignen Rüssel! MARGHERITA

Lass die böse Welt jetzt draussen, Lass die Probleme vor und aussen! Sei nicht traurig, Für immer hast Du jetzt mich, Und ich hab’ Dich! Ich bin glücklich. (Mephi tritt ein) MEPHI

Eure rosarote Brille bringt uns nicht weiter, Ich sage Euch: Macht etwas aus Eurem Leben! Ich hol’ Euch von der Liebesleiter, Was ist mit Eurem Streben?

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(hihihi) Margherita, bevor Dein Liebestraum Deinen Lebensraum Voll in die Irre führt, Bevor nichts als Sex Dir den Kopf verdreht. Ich sage Dir, verfehle nicht Deinen Lebenstraum! Denn der besteht nur dann und wann Aus einem Mann! MARGHERITA

Lass die Faxen, Mich zu belehren! Du willst die Welt von oben nur nach unten kehren. Meine grosse Liebe wirst Du nicht anknacksen. Du bist als Mensch zu dumm, Hast als Schwein zu kleine Ohren. Du warst als Intrigant geboren, Für eine gute Tat hast Du keinen Mumm! Des Teufels ist der Wandel Deiner Sinne! Ich glaube gar, ich spinne! Ich fühl’, Du bist der Teufel gar, Oh, wie blöd ich war, Dass ich nicht erkannt, Dass ich war wie gebannt, Ich nicht gerochen, nicht gehört und nicht gesehen, Was mit meiner Liebe war geschehen. (zur Seite gewandt, Heinrich ansehend) Nur weil der Teufel Dich verhext, Hab’ ich Dich mit Sex versext, Kann Liebe Sünde sein? Bin ich mit meiner Liebe jetzt allein?

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MEPHISTO

Ja, Du bist allein und fehl am Platz, Erinnerst Dich noch an die Hatz, Die Aphrodite einst passierte, Als sie Ares sich dressierte. Als sie sich nicht genierte Und Ares mit ihrem Sex verwirrte. Ich erzähl’ Dir jetzt Wie es kam und wie es ging, Wie Aphrodite dann zu guter Letzt Im goldnen Maschendraht der Liebe sich verfing: Aphroditens Gemahl, Hephaistos, der tücht’ge Schmied, Hatte Kunde von der Untreu seiner Süssen, Die sich selbst verriet. Dafür sollt’ sie büssen! Plante heillos Unheil dem liebend Pärchen: Wollte mitten in den heissen Küssen Den Skandal und beenden die Liebesspielchen. Also, Hephaistos ging zum Schein nach Lemnos, Nachdem er ein güldnes Netz hat installiert, virtuos, Rund um die Pfosten seines Ehebettes Wallend, voll flexibel, mühelos, Vor allen Göttern zu demonstrieren die Schande des Duettes: Schon eilt Ares zum Haus des berühmten Hephaistos, Ersehnte endlose Lust in seiner Geliebten Schoss, Voll Begehr nach der göttlichen Aphrodite. Vorbereitet mit Kaviar und Sekt für Sex in der Suite. Drückte die Hände seiner Geliebten, Die vor Lust heftig bebten.

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Komm aufs Lager, der süssen Liebe zu dienen, Tief uns und alles durchdringen; Hephaistos ist dienstlich in der Ferne, Wahrscheinlich wieder in seiner Lemnos-Taverne. Die beiden gingen tatenvoll zu Bett, Machten sich’s gemütlich und recht nett, Haben manchen Gipfel voller Lust erklommen, Das Paradies ist öfters mal vorbeigekommen, Sekt und Sex machten das Bild bald verschwommen. Als dann die Stund des Schlummers war willkommen, Hephaistos güldne Fesseln senkten sich herab, Als wär’ es ein perfektes Porno-Liebesgrab. Eng geknüpft und eng vernetzt Das Kunstwerk, das Hephaistos sich ersann, Dass er mit feinen Fäden gefangensetzt Aphrodite und Ares in ihrem Liebeswahn. Gerade wie feinstes Spinnengewebe; Die Liebenden konnten nichts sehen. Fiel das Netz über das Bettgeschehen. Wie eine Falle im Schweben. Hephaistos kunstvolle Fesseln wallten um sie herum, Perfekt gefangen in Hephaistos Technikum. Kein Glied konnten sie mehr heben, Kein Glied mehr bewegen. Hephaistos hat die Götter angerufen, Herabzusteigen von des Olymps hohen Stufen, Zu urteilen über das Treiben der beiden, Die im Gefängnis des güld’nen Netzes mussten leiden.

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Hephaistos wollte Ares nicht nur strafen, Weil er mit seiner Frau geschlafen. Vor allem sollt’ Ares die Brautgeschenk ersetzen, Die er dem Vater Aphroditens einst erbrachte. Dies entschieden dann die Götter nach Gesetzen, Und Ares zog in neue Kriege, wo er fette Beute machte. Ein Lachen entstand, den Göttern sei’s geklagt! Nach Moral hat keiner je gefragt. Solches sang Homer, der ruhmvolle Sänger. HEINRICH

Dein Beispiel ist schief, Es riecht nach Kirchenmief. Ich bin weder ein Kriegsgott, Der Ehen zerstört ohne Not, Noch ist Maggie eine Schlampe, Die Männer lockt auf ihres Bettes Kante, Die wie Aphrodite den Gatten hörnt, Die die Männer antörnt. MEPHISTO

Ist ja lieb (huaa) und nett, Ich seh’ ein, wichtig ist das Bett; Doch dies kann uns Teufel nicht genügen, Ihr Menschen müsst Euch da schon fügen: Genug der Liebespossen und des Geschwätz’! Ich will wissen, wie und jetzt Ihr Euch vorstellt, uns zu nähren? (zum Publikum gewandt)

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Leben kann man nicht von Visionen. Das sind doch nur Illusionen. Davon kann man nichts abbeissen. Visionen sind nur gut, um andre zu bescheissen. Denn Liebe ist nur ein Aphrodisiakum, Denn Liebe ist nur ein Narkosidiakum!

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DAS MONSTER PERSONEN

Dr. phil. Nekro Faust Mephisto (Faust hat eine unangenehme Auseinandersetzung mit seinem Chef, Herrn Dr. phil. Nekro. Dieses völlig enthemmte Monster hält nichts von ethischen oder sittlichen Normen und erzeugt Intoleranz, Rassismus und Nekrophilie. Mephisto ist dies gar nicht recht, weil er sittliche Normen braucht, denn er könnte sonst seine Opfer auch nicht zur Übertretung dieser Normen verführen. Ohne Grenzen gibt es keine Grenzübertritte. Er würde seine Existenz verlieren. Kirche und Staat schaffen Normen: Wer die Normen verletzt, ist des Teufels.)


DR. NEKRO

Kann ich mich denn nie auf Sie verlassen, Kaum dienstlich auf dem Presseball, gleich fangen Sie an zu bumsen. Es ist wirklich nicht zu fassen, Machen Spesen, wollen mich behumsen. Dr. Faust, strengen Sie sich endlich an, Dass Ihr Kopf endlich mehr verdient, als Ihr Schwanz ausgeben kann! Und jetzt zur Sache: Glauben Sie, ich mache Da noch länger mit. Sie sind ein Füllsel, sind ein Defizit! Sie machen Verluste, die ich nicht mag, Sie verderben mir den Tag! Machen Sie doch nur, was ich Ihnen sag’: Machen Sie endlich an der Börse sicheren Gewinn, Und eins sag’ ich Ihnen, lassen Sie die Finger von dieser Stripperin! Schliesslich bin ich hier der Finanzpräsident. Nur meine Macht ist existent; Hier rede nur ich, Sie sind für mich da, was immer ich auch tu’! Die andern hören zu. Sie konzentrieren sich auf mich! FAUST

Aber das geht doch nicht, Herr Präsident! Viele Gesetze, Regeln sind der Börse inhärent. Man kann nicht einfach machen, was man will. Sonst läutet an der Börse der Alarm, recht schrill! DR. NEKRO

Mit meiner Macht bin ich alle Grenzen los; Kann mir’s leisten, ich bin hemmungslos,

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Ich bin nicht Teil dieser Proletensoss’. Steh’ über dem Salärgesindel, Scheissen sich vor Angst in ihre Direktorenwindel! Die haben nie den Mut zu einer grossen Tat, Wie allein ich sie kann und mag. Faust, mein Auftrag an Sie jetzt lautet: Sie manipulieren nun die Börse! Was bisher logisch, wird jetzt perverse. Was bisher hiess: Kaufet, heisst: Verkaufet! Was hiess: Verkaufet, ist: Kaufet. Wer nichts hatte, ist es schuldig, Wer nichts wollte, hat den Doppelkick. Der Fixer ist bei Gott beliebt, Weil er nichts hat und dennoch gibt. Die Börse, der wirren Irren bunter Garten, Mit Spiegeln obendrein, der Hölle schönste Chaosarten! FAUST

Erstens, das geht nicht so herum, Und zweitens frag’ ich Sie: Warum? DR. NEKRO

Die Börse soll krepieren! Die ganze Welt soll alles Geld verlieren! Verlieren nur an mich! Das System an sich ist jetzt schon siech. FAUST

Wenn Kauf und Verkauf ist verwechselt, Hat schnell ein Storno das zurückgedrechselt! Alles ist, wie’s gestern war, Jeder hat wieder seine War’.

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DR. NEKRO

Dafür hab’ ich Sie, Sie Börsenprofessor. Sie machen die Storni mit dem Zufallsgenerator! Mal hier, mal da, Mancher hat die War’, Mancher ist am Suchen, Alle sind am Fluchen, Keiner weiss Bescheid, Und so web’ ich der Verwirrung Flickenkleid. So gerät so manche Buchung Zur dämonischen Heimsuchung. Hat der Generator einmal zugeschlagen, Weiss keiner mehr, was sich hat zugetragen; Wer was hat und wem was fehlt, Jeder vor dem andern es verhehlt. Denn die Folgen wär’n nicht absehbar, Diebstahl wär’ nicht wahr, Eigentum wär’ Plunder, Vermögen Zunder, Ehre, Ethik gäb’s nicht mehr In dem totalen Wertverzehr. Könnt’s auch nicht mehr geben, Vorbei wär’s mit den elenden Buchhalterleben. Meine Zeit wär’ dann gekommen: Mein Freund, sei nicht beklommen, Die Welt wär’ unser, endlich, Und das wär’ nur zu verständlich. Dann hätten wir’s geschafft, Allein mit unsrer Chaoskraft Zu desorganisieren Der Menschen ekelhaftes Budgetieren und Normalisieren.

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FAUST

Das könnte gehen, Keiner kann mehr sehen, Wo seine Reichtumsberge sind verbucht. Allein die Tat ist mehr als kriminell, sie ist verrucht! DR. NEKRO

Ich will, dass viele sterben, auch an Suizid, Wo Infos fehlen, ist das Erbe ungeklärt. Dann ist die ganze Welt verkehrt, Die ganze Welt wird perfid. Recht und Ordnung obsolet, Vermögen sind im Wind verweht. Meine Macht wird sich nicht schrecken lassen: Vernichte Menschen, morde meuchlings Massen. Kain tötet Abel, In des Alten Testamentes zweiter Fabel. Eva will Erkenntnis, will sein wie Gott, Verliert das ewige Leben und das Paradies bei dem Komplott. Auch im Neuen Testament Blickt Jesus Christus in ein Todesfirmament. Das alte Rom raubt die Sabinerinnen, Die Kirche verbrennt Hexen, angeklagt als Sünderinnen. Nimm Dir nur mit Macht, was Dir fehlt, Meuchle Cäsar, Meuchle die Judenschar, Morde Maria Stuart, Erschlage jeden Widerpart, Vernichte alle, die im Wege, Die Dir kommen ins Gehege! Weg mit andrer Religion und Klassen!

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Vor allem raub das Gold von bleichen Leichen andrer Rassen! MEPHISTO

(o je, o je, o je) Dies schmerzt unsäglich, Sogar der Teufel wird hier kläglich. Merkt Faust nicht das perfide Spiel, Das das Monster mit ihm treibt. Hemmungslos, ich krieg’ zuviel: Dem Mensch ja keine Würde bleibt. FAUST

Sie sind ein Monster. Gegen Sie ist Mephisto nur ein gefallener Engel! DR. NEKRO

Ich mache Sie zum zweiten Mann in diesem Staate, Sie werden haben, was Ihr Herz begehrt. Sie werden singen meine Lieder, Ihre Moritate. (vom Sie zum vertraulichen Du übergehend) Ich schenk Dir Margherita und viele Frauen mehr. Du bekommst von mir mehr als von Luzifer. FAUST

Ich weiss nicht so recht, Es ist nicht gut, des Monsters Knecht zu sein. Ich weiss nicht so recht. Ich gehe mal zum Schein Auf die Bedingung ein. Ja, ich überleg’ es mir Und sage die Entscheidung morgen Dir.

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DR. NEKRO

Nein, nein, Du gibst heute noch klein bei. Was soll denn dies Geschwätz, Du seist entscheidungsfrei. Du bist ein von Dir selbst Erpresster. Du meinst immer noch, Du seist der Professoren Bester. Du bist ein blutleerer Theoretiker, Ein idiotischer Häretiker! Du hast meine Gunst Dir jetzt verwirkt, Sage ja, oder die ganze Sache stirbt! FAUST

Nein, ich sage nein und abermals nein, Was Du, Monster, da geplant, ist weniger als fein. Das ist ethisch mehr als nur gemein, Ist mehr als eine Gaunerei, Ist eine Riesensauerei! MEPHISTO

(tobt wie verrückt, brüllt vor Wut, ist ausser sich) Dieses Monster macht mich überflüssig. Nicht zu glauben, nur Dreck, ein kalter Hund, überhaupt kein Feuer! Diese Spottgeburt, dieser Nekro ist ein Ungeheuer! Der ist ein Unmensch, der keine Regeln akzeptiert. Er ist selbst dem Teufel sehr suspekt, Alle Menschlichkeit ist ihm entrückt. Als Teufel tu’ ich gerne meine Pflicht, Doch auf diesen nekrophilen Scheisskerl bin ich wahrlich nicht erpicht. Für mich ist er kein Kunde! Er ist der Menschheit eiternde Wunde! Der darf sich unsrer Welt nicht zugesellen, Nekro wird die Welt zerstören … und selbst den Teufel prellen!

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BESUCH BEI MEPHISTO (in der Maske eines Bankiers) PERSONEN

Mephisto (Bankier) Einige Finanzanalysten: Ephebe Junior Senior Seniorissimo (Mephisto über Finanzanalyse und Gold: über die Geschichte vom Gold, dessen Vor- und Nachteile, über Göttliches und Dämonisches dieses atavistischen Mediums und warum Gold demonetisiert wurde und wer oder was regiert die Welt!)


(Mehrere Finanzanalysten: Seniorissimo, Senior, Ephebe melden sich in Ehrfurcht beim Bankier; direktoriales Büro) MEPHISTO

Der Menschen täglich Nahrung sind Prognosen. (zur Seite gewandt) Aus Angst machen sie sich sonst voll die Hosen. Doch die Kenntnis der Prämissen Ist bei so manchem zu vermissen. Und so sind ihre Prognosen Wenig brauchbar, nicht mal für Postgnosen! EPHEBE

Aber die Leute müssen budgetieren, Investieren, projizieren, extrapolieren! MEPHISTO

Analyse ist ein gut bezahlter Fetisch, Ihr seid jung, seid Ihr genügend optimistisch? Keine Superlative, das wär’ zu wenig Wissen; Für jeden Negativist ein Leckerbissen; Pessimismus allein wäre blanke Bürokratie, Wäre gar mangelnde Fantasie! Allen Kunden zu genügen ist nicht zu regeln, Schwierig zwischen Scylla und Charybdis durchzusegeln, Ihr könnt nicht everybody’s darling sein! Vor Euch liegt ein langer Weg voll Pein. Sagt mir, was wählt Ihr für eine Fakultät?

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EPHEBE

Will den Kunden etwas Rechtes raten: Gewinne ja, Verluste nein, eher zu früh, nie zu spät! MEPHISTO

Ein wahrlich hoher Anspruch, Du wirst sehen, Du formuliertest den Analystenfluch! Mein Freund, ich rat’ Euch drum: Zuerst Collegium analyticum; Da wird Euch der Geist wohldressiert, In viele Worte füglich eingeschnürt. Ihr lernt relativieren, Ihr lernt abstrahieren, Konzentrieren, fokussieren, Argumentieren, experimentieren, Ausprobieren, archivieren, Integrieren, interpretieren, Extrapolieren und organisieren, Entwirren und kombinieren, Aber auch irren und kapitulieren, Und lamentieren und resignieren: Dies nennen Banker schlicht »Analysieren«. (zur Seite gewandt, der Ephebe hört nicht alles) Markt und Geist, Ob sich das nicht beisst? Der Markt ist stark, ist nichts als Natur; Sind Analysten da auf richt’ger Spur? War Natur je von einem Geist gefasst?

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Zu oft wird Natur vom Geist gehasst! Was Ihr nicht fasst, das fehlt Euch ganz und gar, Was Ihr nicht rechnet, glaubt Ihr, sei nicht wahr, Was Ihr nicht wägt, hat für Euch kein Gewicht, Wer den Euro nicht schätzt, meint, es gibt ihn nicht. Was Ihr nicht kapiert in Eurer Analystenschar, Das fehlt Euch ganz und gar. Oh, wie gut wären doch die Analysten, Wenn sie manches besser wüssten. Tag und Nacht müssen sie sich quälen, Weil ihnen die Begriffe fehlen. Ein neues Wort stellt zur rechten Zeit sich ein. Mit Worten lässt sich herrlich streiten, Mit Worten eine Analyse aufbereiten, An Worte lässt sich trefflich glauben, Von einem Wort kein Jota rauben. Und so sitzen die meisten doch von ihnen Auf immer komplizierteren Modellruinen. EPHEBE

Kann Euch eben nicht ganz verstehen, Es hörte sich doch voll Zweifel an; Werden da nicht viele Kunden gehen? Sind die Kunden nicht recht arm dann dran? MEPHISTO

Das wird nächstens schon bessergehen, Wenn Ihr lernt, alles zu reduzieren Und gehörig klassifizieren Und trotzdem viel Papier produzieren. Ihr habt dann viele Teile in der Hand. Fehlt, leider!, nur das geist’ge Band.

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EPHEBE

Ich denke, ich werde vieles schreiben, Etwas Richt’ges wird schon bleiben, Denn, was der Kunde schwarz auf weiss besitzt, Kann er getrost nach Hause tragen. Ob es ihm etwas nützt, Muss er sich dann selber fragen! MEPHISTO

Spass beiseite: Wenn Ihr Euch nur selbst vertraut, Vertrauen Euch die anderen Seelen. JUNIOR

Sehr geehrter Herr Bankier, gehen wir medias in res: Was halten Sie von Geld und Gold? Geld ist der Grund für Kriege! Nur mit Geld gibt’s Siege! MEPHISTO

Nein, Kriege sind zwar finanziert vom Geld, Aber kein Krieg ging um Geld. Kriege wollen Umverteilung alter Welt. Geld kann nie das Kriegsziel sein, Das Geld druckt der Kriegsherr für sich ganz allein. SENIOR

Geld ist Anspruch auf des Reichtums Quellen: Auf Arbeit, Brot und Energie; Per Gesetz geregelt; bis Rebellen Ändern das Recht nach Art von Rififi.

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SENIORISSIMO

War damals Gold nicht auch Geld? Die Spanier haben es um sechzehnhundert uns bewiesen, Kauften auf damit die ganze Welt. Wenn zuviel vom Geld in der Welt, Das Geld nichts mehr zählt. Die Kriege um Gold sind erwiesen: Blut floss in den Sand, das Gold schuf Krisen. Kolumbus fand Gold im Boden von Amerika, Spanien hatte Gold, hatte Geld für hundert Jahr’. Gold war damals das Metageld, Zu zahlen in der ganzen Welt. Der Goldpreis war gelöst von anderen Werten, Deshalb die Menschen sich nach ihm verzehrten. CHOR IM HINTERGRUND

Schaff Gold, Dann bin ich Dir hold! MEPHISTO

Gold hat immer schon den Menschen Spass gemacht, Gut zum Sammeln und zum Horten, Zu zahlen mit Denaren, Münzen und den Sorten. Hat auch oft Fluch gebracht. SENIORISSIMO

Warum hat Gold seine Bedeutung als Währung verloren? Papiergeld, virtuelles und Wir-Geld waren geboren, Endlich kamen Wirtschaft und Geld ins Gleichgewicht, Dieses Wirtschaftswachstum machte Gold zum Leichtgewicht!

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Gold ist nicht mal Kapital auf Zeit, Drum bringt’s auch keinen Zinsertrag. Der Wert von Gold war und wird nie Vergangenheit, Gold ist Sicherheit hinaus über heute und den Tag. SENIOR

Gold an sich ist unfruchtbar, Doch der Glaube dran, atavistisch Tausende von Jahr’, Macht den Wert von Gold erst wunderbar, Kaum zu glauben, diese Glaubensschar! SENIORISSIMO

Gold hat Vorteile als das einzig schuldenfreie Aktivum! Niemand schuldet Dir Dein Eigentum. Willst Du etwas Geld anlegen, Musst Du immer Deinen Schuldner pflegen, Musst wissen, was er tut und was er lässt, Ob er nicht betrügt oder das Berichten mal vergisst. Doch mit Gold bist Du diese Sorge los, Gold ist jedes Schuldners bloss. Die höchste Stufe Deiner Sicherheit erreichst, Wenn Du auf Gold ausweichst. JUNIOR

Da müssen Ertrag und Risiko das pure Nichts wohl sein, Damit hat Gold und Wachstum nichts gemein. Gut, solang man keine Währung damit steuert. Jahrhunderte von Wachstum wurden da verfeuert. MEPHISTO

Hah, der Teufel liebt Gold, Gold hat schliesslich Midas umgebracht,

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Der zuletzt und alles, auch sein Brot, zu Gold gemacht. Die Gier der Menschen ist mir hold. Midas konnte all die Schätze nicht besitzen, Vor Reichtum fing er an zu schwitzen, Er verhungert’ in der Fülle, Das Glück ward ihm zur Grille. Am Golde hängt’s, Nach dem Golde drängt’s, Die Welt ist in Gold vernarrt; Hoch lebe der Goldstandard! Könnt’ ich diesen endlich wieder etablieren, Stören all die die blöden Währungskonvergenzen, Ich würd’ die Welt regieren, Vernichten all die dummen Friedenskonferenzen Mit Gold und diesem Atavismus. Für das Wachstum wär’ es dann der Todeskuss. Ich wäre endlich wieder frei für neue Kriege, Frei für der Hölle neue Siege, Frei zum Kampf um Fort Knox, Frei für Marihuana und für Koks. Mit Emotion und Dummheit, Mit Gold und Eitelkeit, Ihr sollt es alle hören, Würd’ ich die Welt regieren. Ein Monster könnt’ sie sogar zerstören! JUNIOR

Bis gestern war Gold noch Geld: Das bisschen Gold war viel zuwenig Geld, Zu zahlen starkes Wachstum in der Welt.

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Drum findet nun am Ende des Jahrtausends Das Gold den Tod als Zahlungsinstrument. SENIORISSIMO

Gold war Herrschaft, Kolonial auszusaugen Blut. Wenn Ihr seid nicht genügend wehrhaft, Fällt über Euch die räuberische Feuersglut. JUNIOR

»Geschichte« ist die Geschichte von Kriegen, Von Königen, Fürsten und von Mächtigen, »Geschichte« ist die Geschichte von Siegen, Zu etablieren die Macht in den Palästen, den prächtigen, Zu usurpieren mit Krieg die reichen Rohstoffquellen, Frauen, Früchte, Pfründe rauben wilde Gesellen, Menschen zu versklaven zum Lohn von Null. Bauen Grenzen, Mauern, verlangen Zoll. SENIORISSIMO

Gold war Macht, wollte Herrschaft über Denken, Doch die Macht des Goldes der Macht des Denkens unterliegt. Gefahr wird nur in Gefahr besiegt, Den klugen Starken wird das Schicksal reich beschenken! Der Schwache weiss kein Argument, Zu kämpfen um des Sieges harten Lohn; Der Schwache wird nichts hinterlassen in seinem Testament, Er schafft nicht Liebe, nicht Frieden, deren Sohn. Wer in dummer Schwäche bleibt zufrieden, Wer sich »ent-rüstet«, hat nie Frieden.

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MEPHISTO

Immer schneller dreht sich diese bunte Welt, Immer kürzer wird der Grossmacht Dauer. Die, die früher tausend oder hundert Jahre zählt, Bricht heute weg nach vierzig Jahren, schau die »Mauer«! Die Weltmacht schützt zwar auch die Kleinen, Jedoch sie lebt recht gut davon und auch damit. Mit falschen Devisen saugt man aus die Seinen Und schreibt sich auf sein Konto den Kredit. SENIORISSIMO

Du sagst es selbst, der Kredit, Er wird fällig, wenn er faul geworden, Kreditiert bleibt er nur im Falle des Erfolgs. Nur der Erfolg der Weltmacht ist die Garantie des Stolz’. MEPHISTO

Die Sumerer und die Amerikaner, Die Griechen und die Mexikaner, Die Ägypter und die Venezianer, Die Römer und die Spanier, Die Briten und die Genueser, Die Habsburger und die Perser, Sie alle haben ihre Macht als Grossmacht ausgeübt, Basierten auf Erfolg und Überzeugung. Keine Skrupel haben je das Bild getrübt, Wer die Macht hat, hat das Recht – auch mit Beugung. Gemeinsam im Glauben, Geschäften und an den Gewehren Wird die Weltmacht die Kleinen auszehren. Fehlt dann allmählich mehr und mehr der Glaube, Weg ist der Kredit.

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Die Gläubiger drehn zu die Schraube, In den Büchern bleibt das Debit. Dann fällt auch die geistige Doktrin; Die Weltmacht wird insolvent, Am Ende ist es jeder Weltmacht so geschehn. Jeder kluge Laie hat dies schon vorausgesehn. Was macht Ihr nun, Ihr edlen Herrn? Der Tag der Pleite ist nicht fern! Wer beherrscht denn nun die Welt? Der Satan giesst aus den Kübel voller Spott. Ist’s der Herr oder gar Gott? Ist es Gut und Geld? Nein, das Unrecht heut beherrscht die Welt! Die Macht, sich Macht zu leihen, zählt! Kranke Hirne bauen Schlösser nur aus Luft, Die Hypothek darauf ist bald im Nichts verpufft! SENIORISSIMO

So ist das nicht wahr, Jede böse Pleite Hat auch ihre gute Seite! Weil es immer schon so war. Deshalb ich bin ziemlich optimistisch, Die Menschheit heute ist ganz munter und ganz frisch. Sie erreicht mit Technik und grosser Präzision Exponentiell verbesserte Kommunikation. Die hohle Macht von Grossnationen ist verschwunden; In Bündnissen haben die Menschen sich gefunden. Überwunden ist der Chauvinismus, der hundert Jahre lachte, Überwunden der Nationalismus, der Krieg und Not nur brachte. Nur das »Daheim« gibt die guten Werte und die Region,

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Der Mensch wurzelt in seiner Tradition. »Gnothi seauton«, erkenne Dich selbst! »Mäden agan«, aber nichts im Übermass! Back to the roots, zurück zum Daheim! Du bist ein Mensch, erkenne Dein Sein!

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DAS NETZ Ein Wunder der Natur PERSONEN

Faust Margherita (Faust bewundert an einem sonnigen, frĂźhen Morgen ein Spinnennetz. Er erkennt das Wunder der Natur und begreift die Metapher: In zunehmendem Masse haben Netzkonstrukte unsere Welt organisiert: im Strassen- und im Transportwesen, im Informations- und im Kommunikationsbereich, in allen Gebieten des Computers und damit auch in der elektronischen BĂśrse.)


FAUST

Ein Spinnennetz, Ein Spinnennetz, Wunder der Natur, Welch wunderbares Naturgesetz! Dieses Netz ist ein ewiges Naturprodukt, Dieses Netz ist ein herrliches Konstrukt, Von einer Spinne fein gewoben. Lasst mich die Natur als Vorbild loben: Dies Netz, von der Natur gesponnen, Unser Schöpfer hat es klug ersonnen. Das Netz ist ästhetisch schön, Horizontale und Vertikale sind perfekt zu sehn. Punkte und Linien glänzen in frischem Tau, Zeigen des Schöpfers geometrische Meisterschau. Der frische Morgenwind Zeigt, wie elastisch des Netzes Teile sind. Im jungen Sonnenschein Glitzert der Tau transparent wie ein Edelstein. MARGHERITA

Das Netz der fleissigen Spinne Hab’ ich im Sinne, Wenn man auf des Menschen Netze schaut, Wie er sich Strassen-, Telefon- und Bündnisnetze baut. Festgehalten in der Verankerung, Lebt das Netz von Spannung und von Sicherung. Bietet dem System in allen Punkten Schutz: Ist Netz für alle und von grösstem Nutz!

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Alleine wären Atome nie geboren, Ohne Netze wären sie verloren. Ist ein Teil des Netzes je verletzt, Ist es schnell gebessert und ersetzt. So macht der Zusammenhalt den Schwachen stark, Macht auch den einzelnen autark. FAUST

Das gilt nur im Netz, wenn Du achtest auf die Regeln, Du kannst Dich nicht im Netz rumflegeln. Musst die Kriterien beachten, Musst nach Konvergenz trachten: Wie kommt man ins Netz hinein, Wie verdichtet sich das Netz recht fein. Willst Du im Netz Geselligkeit, Gibst viel auf von Deiner Eigenheit! Achte vor allem des Netzes Gesetz! Und auch das Gesetz ist ein Netz! MARGHERITA

Schliesslich will jeder ins Netz hinein, Hofft, da drinnen lebt sich’s fein. Ist ganz legitim, Im Netz ist’s intim. Man ist unter sich, Umarmt sich inniglich, Gleich unter Gleichen: Delegiert Probleme, kann ausweichen, Probleme haben Haken, Ösen, Alleine nicht zu lösen. Globale Ratio bringt neuen Schwung,

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Das Netz bringt allen Teilen Besserung. Hast entdeckt ein höheres Geheimnis, Göttin »Netz« in aller Finsternis! Lass es uns schnell nutzen gleich! Noch ist es ein Fremdbereich. Wir wollen Geld verdienen, Wollen nutzen die wichtigen Punkte und Linien. Im Nervenzentrum des Netzes Nützen aus zentral die Schwäche des Gesetzes. Schalten in Paris die Ampeln Für drei Minuten alle nur auf Grün: Nein, dieser Plan erscheint selbst mir zu kühn. Es ist nicht klug, die Ampeln zu verstellen! Das Netz der Strassen, des Wassers und der Schienen Kommt nicht in Frage, da ist nichts zu verdienen. Ich bin doch eine alte Börsenhexe, Kenne alle Tricks und Kurskomplexe, Weiss mit Computer umzugehen, Weiss auch ein Storno umzudrehen. Wie wär’s, wenn ich mich setze In eins der perfekten Computernetze? Drum schnell ans Werk, Ich plaziere gleich den Viruszwerg. Dies ist ein teuflisch guter Plan, Wenn wir zulange warten, ist unsre Chance vertan.

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DIE GESCHICHTE EINER EHE PERSONEN

Margherita Faust Dr. Nekro (Margherita und Faust sind bereits seit einigen Jahren verheiratet. Durch den Zusammenbruch einer japanischen Bank haben sie jedoch ihr gesamtes Vermรถgen verloren. Faust hat sich habilitiert in Finanzรถkonomie, Margherita hat promoviert und ist heute eine erfolgreiche Bรถrsenbrokerin. Jedoch, Brot ist schwer zu verdienen, und so ersehnt Margherita sich endlich sichere Bรถrsengewinne, um Faust und sich wieder ein Luxusleben finanzieren zu kรถnnen.)


MARGHERITA

Es war einmal eine glückliche Ehe. Ich hatte einen reichen Mann, war seine verwöhnte Frau. Wie so manches, ach, geschehe, Plötzlich war ich bettelarm, bin eine arme Sau. Ich brauchte Zeit, daran zu knabbern; Es nützte nichts, mit Freunden rumzusabbern. Es war nun eben so, Das Geld verschwand in des Lebens grossem Klo. Doch das Spiel macht mir noch immer grosse Freude, Handle mit allem, was sich bewegt im Börsengebäude. Ich seh’ im Spiel den Partner meines Lebens, Denn vergebens Wird immer sein Die ewige Pein: Die Suche nach dem Lebenssinn; Für Mann und Frau der Spleen, Nikotin und Adrenalin, Ein Kick muss sein. Nie hätt’ ich geglaubt, dass ich beweine All unser Geld, die schönen grossen Scheine! Doch damit ist jetzt endlich Schluss, Ich will nicht mehr, Will wieder des Lebens Versöhnungskuss. Sonst wär’ die Zukunft der Hoffnung leer! Auch die Suche nach der Zyklenebene Kann nun endlich unterbleiben: Mögen andere die Analysen schreiben! Mögen andere singen den Gesang der Sirene!

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Hab’ promoviert und kann als Broker unterschreiben; Bin Chef im Büro und auch zu Haus. Ja, ich will mehr, ich bin unzufrieden: Eine Fülle von ungestillten Trieben Ist in mir geblieben. Da ist der Durst nach Sex, Der macht mich total perplex. Doch noch viel schlimmer Ist der Dolce vita Glimmer: Lifestyle, o my Honey, Dafür braucht man sehr viel Money. Ich will und ich muss die Märkte besiegen; Ich muss Berge von Geld überfliegen. Drum arbeit’ ich als Broker gar Schon viel zu viele Jahr Unter der Börse Zyklenfluch. Mein Kleid ohne Farben, grau das Tuch, Was bleibt mir sonst zu tragen? Auf die täglich ewiggleichen Fragen Stets neue Antwort, grosses Unbehagen. Ich verdien’ grad mal mein Brot, Die Kunden ihre Torten! Bei mir ist nichts im Lot, Wenn meine Kunden Reichtum horten. Nein, nein, ich will da raus! Und wenn ich mit dem Teufel gar paktiere. Auch ich will leben wie in Saus und Braus, Selbst wenn ich betrüge, manipuliere Und die Konten variiere.

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DR. NEKRO

Da komm’ ich grade wie gerufen, Zu eilen über des Geldpalastes Marmorstufen, Zu sehen, wer sitzt am sausenden Computer der Zeit, Zu weben meines Vermögens neues Kleid. Du, Maggie, bist doch Brokerin, Hast viel mit Geld zu tun. Bist ein grosser Tycoon. Denkst Tag und Nacht in Deinem Sinn Nur an Mammon und Gewinn. Da muss auch für Dich und mich die Münze klingen, Muss für uns sehr viel Geld rausspringen! MARGHERITA

Du bist ein Monstrum, schlimmer als ein böser Teufel. Hast keine Bildung und doch immer einen vollen Beutel. Hast nichts gelernt, als Leute zu belügen Und sie um ihr Vermögen zu betrügen. Du selber kannst nichts schaffen. Nicht einmal das Nichts. Du bist dümmer als die Affen, Bist ein Habe- und ein Taugenichts! FAUST

So höre doch, mein Chef hat so unrecht nicht! Gewinne machen ist unsre Pflicht. Ich sah die Börse bisher theoretisch, Los, macht das Börsenspiel zum güldnen Fetisch!

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DR. NEKRO

Sieh dann zu, dass unser Konto kräftig profitier’ Von der Hammelherde dummer Gier. Zu ziehen schöne Aktiengewinne Aus des Börsencomputers Fixroutine. Du nutzt wie ein Fischer die Gezeiten im Morgenrot. Gewinnst bei Ebbe und bei Flut, Erntest auf der Börsenglut. Der Wechsel ist das einzig Stetige, Die Chance nur für Mutige. Du hast die Chance zu messen der Kräfte Auf und Ab, Zu bestimmen die Punkte der Wende, Von Aktien die Geburt und das Grab, Zu kennen das Momentum vom Anfang und Ende. Du misst die Kraft, die hinter der Bewegung steckt, Du regulierst den Investmentgrad, Du kennst die Weite, die im Schwunge angelegt, Du nutzt das immerwährende Auf und Ab. Hör, Maggie, nicht auf diese Leute, Diese quatschende und schreibende Meute, Die sagen, es sei doch nur Papperlapapp, Diese Theorie vom steten Auf und Ab. Die Börse hätte ihre eigne Epidermik, Die Börse segelte auf ihrer eignen Thermik. Drum sei oben oben, Viel zu hoch da droben. Drum sei unten unten, Viel zu tief da drunten. Die Aktienkurse hochgepuscht in höchste Sphären; Niemand kann erklären, Kein P/E, kein Momentum, nicht der RSI,

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Wie das kam und wie Das weitergeht, Und jeder fleht: Lasst im Ballon die viele Luft, Dass sie nicht implodiere und verpufft. MARGHERITA

Ich soll jetzt für Euch die Kohlen Aus dem Börsenfeuer holen. Mit so mageren Ideen Von Zyklen und von Geisterwehen Soll ich Euch Geld verdienen. Dass ich nicht lache, Die Börse ist nicht so Nebensache, In die man einfach investiert Und dann gierig auf Gewinne stiert. Die Börse braucht viel Ruhe und Gelassenheit, Den edlen Investor hat’s nie gereut. Finanzmärkte sind auf der ganzen Welt. Auf den Börsen lebt und stirbt das grosse Geld. Früh riechen sie den Hauch von Wachstum und von Konjunktur, Diskontieren im voraus die Gewinne, Anfällig auch für manche scharfe Korrektur. Den Fluss von Kapital im besten Sinne Lenkt nur der Markt der Finanzen, das sind wir alle; Aller Dirigismus wäre eine Mausefalle. Kurz, wie stellt Ihr Euch das vor: Ihr könnt den effizienten Markt doch nicht besiegen! So denkt heute nur ein Tor. Eure alte Technik kann Euch das nicht biegen.

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DR. NEKRO

Du musst verstehen! Aus eins mach zehn, Und zwei lass gehen, Und drei mach gleich, So bist Du reich. Alles, was ist mehr als drei Ist vier! Aus fünf und sechs, So sagt die Hex, Mach sieben und acht, So ist’s vollbracht: Und neun ist eins, Und zehn ist keins. Das ist das Hexeneinmaleins. Das Millenium Wird zum Panoptikum! MARGHERITA

Wo Du recht hast, hast Du recht, Der Gedanke an sich ist nicht schlecht: Wie kann man, ohne sich zu irren, Die Börsennetze pervertieren? Um daraus sichere Gewinne schlagen, Drum brauch’ ich von Dir der Netztricks Unterlagen. Und wenn ich in des Teufels Küche komm’, Ich will das wissen, bin schliesslich ein armer Ökonom. (Mephisto kommt herein, missbilligt die monströsen Pläne und schimpft: »Die wird sich noch wundern, was in des Teufels Küche für Teufelsbraten auf sie warten.«)

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IM COMPUTERKELLER PERSONEN

Faust Margherita Dr. Nekro Mephisto (In einem alten Kellergewölbe – tief unter dem Brokerhaus – lagern die Computer der nächsten Generation. Sie sollen in zwei Tagen in der Firma installiert werden. Sie sind noch nicht angeschlossen und damit im Missbrauchsfalle nicht identifizierbar. Dr. Nekro hat dies Margherita verraten und verführt sie zu kriminellen Aktionen mit schlimmen Folgen.)


DR. NEKRO

Ich muss Dich nun vor allen Dingen Auf lukrativre Ideen bringen, Damit Du siehst, wie leicht sich’s leben lässt Auf dem reichen Geldpodest. Du musst den neuralgischen Punkt des Börsennetzes finden, Musst mit schnellem Griff ergründen, Hurtig die Ziele manipulieren, Jetzt die Schwungweite studieren, Das Momentum neu definieren, Die implizite Volatilität optimieren, Vor allem die Initials variieren, Dann gibst Du noch die Nummer Deines Kontos von morgen ein, Du wirst sehen, das Geld kommt von allein, Während Du liegst im Schlummer, Wächst Dein Konto mit dem Datum von morgen, Vorbei wären alle Sorgen, Vorbei wär’ all Dein Kummer! MARGHERITA

Ach, wenn heute doch schon morgen wär’, Mein Herz ist wie Blei so schwer. Ich find’ meine Ruh nimmermehr. DR. NEKRO

Ich weiss, was Signora Margherita fehlt. Für Margherita ist es nicht die Zeit, die zählt. Für Dich ist Geld nur Macht! Zu bezahlen all Deine ersehnte Luxuspracht. Endlich ist Geld also Macht über andere, ihre Zeit. Geld ist, was Dir fehlt, und das schon eine Ewigkeit.

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Ich allein weiss mit Frauen und der Macht umzugehen. Ich allein weiss Wahrheit in Lüge und Lüge in Wahrheit umzudrehen. Mich interessieren nur Zaster, Zeit, Frauen und Macht. Zaster ist alles, Denn im Falle eines Falles Kaufe ich die Moral, habe damit schlichtweg alles. Den Zaster schaff’ ich mit meiner Genialität, Böse Zungen nennen’s Kriminalität. Wer die Macht hat, hat das Recht. Auch dieser Anspruch steht mir gar nicht schlecht. Das ist’s, um dessen Du, Mäggie, mich beneidest, Um dessen Du Dich jetzt entkleidest. Die Moral der Frauen zu brechen, Die Frauen mit Geld zu bestechen, Das ist meine höchste Lust. Komm endlich her, her an meine Brust! Nur ich bin ich, Ich liebe nur mich. Liebst auch Du mich? Ich bin unersetzlich, Ich bin unersättlich! Komm, Signora, setz Dich auf meinen Schoss, Mach endlich Deine Brüste bloss. Was ein wunderbarer Busen Sich versteckt in blöden Hüllen und öden Blusen. Doch besser ein Busen in Blusen Als Blusen ohne Busen! (hahahah) Doch jetzt wehr Dich nicht so erbärmlich, Dein Mund ist doch sonst recht hemdsärmlich!

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MARGHERITA

Weh, die Geister, die ich rief, ich werd’ sie nimmer los. Komm, lieber Teufel, sag ihm, das sei eine Sünde, Wie wär’s, wenn ich mich mit Dir verbünde? Ich will nicht auf Nekros Schoss. MEPHISTO

(hämisch lachend zur Seite gewandt) So krieg’ ich beide auf einen Streich, So krieg’ ich beides zugleich. (Mephisto tritt ab) (Dr. Nekro wird aggressiv, Margherita in die Arme nehmend) DR. NEKRO

Doch ich denke jetzt, lass uns leben nur der Lust, Immer Arbeit bringt nur Frust! Lass endlich mich bei Dir jetzt rein, Endlich sollst Du jetzt die Meine sein! Lass die Hüllen fallen, Lass mich tief in Deiner Fülle lallen! (Sie gibt sich ihm tatsächlich hin, aber nur, weil sie ihm im Bett den Computertrick abzuschwatzen hofft. Beide gehen engumschlungen weg, treten in den Hintergrund, man hört Stöhnen) MEPHISTO

(tritt ein und sinniert:) Ob sie ihm den Trick abschwatzen kann? Ist ja doch mit einem Mal noch nicht getan. Dieses Monster wird bestimmt ein Dauerabonnent,

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Dass das arme Gör doch ewig mit ihm pennt. Daran geht dann ihre Ehe noch kaputt, Schlimmer noch, ihre Ehre geht in Asche und in Schutt. Wenn das der gute Faust jemals erfährt, Er den Himmel zur Hölle kehrt. (Margherita auf dem direktorialen Sofa des Dr. Nekro) MARGHERITA

Nekro, jetzt hast Du mich auf den Punkt gebracht, Jetzt hast Du mir unendlich Lust gemacht. (heftiges Atmen) Oh, oh, wie gut das tut! Oh, wie ist das in mir gut. Du bist ein heisser Liebessturm, Ich liebe Deinen Monsterwurm. Ich verliebe mich in diesen Meisterfick, Hey, gib mir jetzt den Computertrick! DR. NEKRO

Mein Schatz, Du bist ein Ferrari, Bist viel besser als Mata Hari. Ich muss mich über mich beklagen, Bisher war ich nur ein Volkswagen. Ich weiss genau, wie’s um Dich steht: Dir zittern noch die Kniee, Du bist noch völlig aufgedreht. Und schon plant Dein Kopf die nächste Orgie. Sitzen willst Du am elektronischen Computer der Zeit, Und weben willst Du des Verbrechens lebendigstes Kleid!

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MARGHERITA

Ja, Chef, so ist es! Du kannst mich haben, wann immer Du willst. Doch bevor Du wieder mit mir spielst, Gib mir den Schlüssel zum Computertrick, Dann mach’ ich Dir noch einen wilden Ritt. DR. NEKRO

Also, dann rat’ ich Dir: Fang an mit Computer vier! Schalt ihn quer zum Host in der Zentrale, Und hau den Code von morgen rein! Lass ja Deinen Absender verstecket sein, Schalte runter von der Zentrale die Basics in Deine Filiale. Jetzt hast Du alles für Dich allein, Musst nur noch die Initials manipulieren fein: Lass fallen M ins N, das N ins O, Mach es schnell ebenso! Das M ins N, Aus eins mach zehn! Das N ins O, Dann sind wir beide froh. Denn das M steht für Margherite, Meine Aphrodite. Das N für mich, für Nekro, Und Onassis ist das O, das A und O. Dein Schuldenkonto wird saldiert mit Nekro, Nekro wird saldiert mit Onassis Und Onassis mit dem P, P heisst poor, Denn Onassis ist jetzt very poor, Und gleich Sind wir beide reich.

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MARGHERITA

Das ist endlich der digitale Computertrick. Bei mir macht’s nach dem genialen Fick Jetzt im Kopf den dualen Klick. Lass uns beides wiederholen, Du grässlich Monster, bin Dir immer anbefohlen. (Faust hat bereits einige Zeit das Treiben und die ehebrecherische Verhaltensweise seiner Ehefrau Margherita mit angesehen und tritt nun mit Mephisto in den Vordergrund) FAUST

Die Liebe ist ein teures Gut, Geh sparsam, Gretchen, damit um! Ob, was ich gesehn, Ob, was ist geschehn, Ob ich muss tolerieren, Ob ich muss akzeptieren, Ob ich kann’s ignorieren? Nein, ich kann’s nicht akzeptieren! (Faust holt eine kleine silberne Pistole heraus und schiesst zweimal auf Margherita, die zu Boden fällt) DR. NEKRO

Hab’ ich doch meine Freude dran. Geld oder Liebe waren nicht vertan. Liebe und Geld Sich zueinander gesellt.

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FAUST

Nein, nein, Du monströse Kreatur, Du bist die Perversion von der Natur! Mit Deinem Tod wird die Welt nicht ärmer, Ohne Deine Eiseskälte werden die Herzen wärmer! Mit Deinem Tod wird die Welt nichts verlieren, Ab dann hören Menschen auf zu vegetieren. Ab dann wird die Freiheit triumphieren. Du hast ja keine Seele, bist ein Ungeheuer, Dich will nicht mal das Höllenfeuer! (Mephisto reicht ihm eine andere schwere Pistole, führt ihm die Hand, Faust erschiesst Dr. Nekro)

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DIE LIEBE PERSONEN

Margherita Faust (Die Ãœberraschung!)


MARGHERITA

Wie … ich lebe? Wie, lebe ich? FAUST

Ja … Du lebst! Solang Du lebst, Du auch fehlst. Ich hab’ Dir nichts zu verzeihn, Nichts berechtigt mich zum Nein, Ein Grössrer hat mit Liebe Dir verziehn im vorhinein. Wer bin ich denn, Dich zu richten Mit kleinen Massen und falschen Gewichten. In meiner Pistole war nur eine Platzpatrone, Dem Monster zur Befriedigung und zum Hohne! Das Netz, in das Du fielst, Du der Liebe starke Fäden fühlst, Ist gesponnen aus der Dankbarkeit Unsrer gemeinsamen Vergangenheit.

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DER WETTAUSGANG (Dezember 2023) PERSONEN

Faust Mephisto Chor (Faust und Mephisto treffen sich wieder im Kaminzimmer. Mephisto wird Ăźber den Ausgang der Wette belehrt.)


MEPHISTO

Die Wett’ ist ein Geschäft, Wer gewinnt, dem geht’s nicht schlecht. Die Wett’ ist ein Gefecht, Beides nichts für bürgerliches Recht. Kommst Du sie dann einzuklagen, Musst gar nicht nach dem Richter fragen. Die Wett’ erhöht, mehrt nicht mal das Ergebnis, Die Wett’ ist nur ein Umverteilungserlebnis. Was der eine kriegt, wird dem andern fehlen, Die Wette ist nur ehrenvolles Stehlen. Wir Teufel haben drum die Wett’ erfunden, Totzuschlagen der Menschen ungenutzte Stunden. Auch Sozialisten haben diese ungestillte Neigung. Sie nennen’s gerechte Umverteilung. Wetten ist gar teuflisch schön, Selbst Börsianer können das verstehen! (hihi, hi, hi) Sind Futures und Derivate erst im Computer drin, Schwindet der Verstand und jeder Sinn; Und so gehen viele Derivate Plötzlich steile Abwärtspfade. Oh, was sind die Menschen blöd, Machen Recht und Ordnung obsolet. Mein Faust hat unterschrieben, So sind wir verblieben, Neunzehndreiundneunzig für dreissig Jahr. Heut wird offenbar: Ich konnt’ finden Mindest tausend Sünden:

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Nach dem Kirchenkatalog, Der ihm so manches Schöne ja verbot. Er hat gefehlt, tat Papst und Kirche gar blamieren, Kriecht vor mir er jetzt auf allen vieren! Das macht uns Teufeln heute grossen Spass Wie einst den Päpsten ihr Ablass. Ist’s doch mein Geschäft! Eselsschrei und Hundgekläff, Teufelsschwanz und Rattenzahn Balzen wie der Auerhahn! Doch jetzt gebt alle acht! Ich bin vor Gott zum Wettkönig gemacht! CHOR IM HIMMEL

Mephisto wird vom eignen Echo ausgelacht! FAUST

Teufel, Du hast Deine Wette auf Formularen aufgebaut. Peinlich genau führst Du mein Sündenregister, Berge von Akten sind zur Anklage aufgestaut. Doch Dein Ansatz ist falsch, Du blöder Philister! CHOR IM HIMMEL

Es irrt der Mensch, solang er strebt! Solang er auf der Erde lebt. Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange Ist sich des rechten Weges wohl bewusst. FAUST

Das Schönste in meinem Leben ist mein Sündenregister! Mir sind meine Sünden im Gedächtnis wohl geblieben. Jedoch Du hast die falschen Sachen aufgeschrieben!

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CHOR IM HIMMEL

Es lebt das Gute, Wahre, Schöne! MEPHISTO

Alles, was ich nach Teufelsrecht verhöhne! CHOR IM HIMMEL

Faust hat gesündigt, Faust war nie entmündigt Nach Deinem Sündenkatalog. Du missbrauchst die Kirche und ihr Verbot. Faust hat nie gefehlt, Das ist, was nur zählt! Was Faust auf Erden hat bewirkt In dreissig vollen Jahren Hat Deinen negativen Geist verwirrt. Niemals wirst Du Liebe je erfahren. Was Richt’ges er vollbracht, Was Gutes, Schönes er gemacht: Das zählt und nicht die sündigen Fehler. Die sind nur was für tumbe Teufel und blöde Erbsenzähler. (Mephisto verschwindet mit wütendem Gebrüll und schwefligem Gestank unter dem Hohngelächter der anderen)

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EPILOG IM HIMMEL (Dezember 2050) PERSONEN

Der Herr Johann Wolfgang Faust Mephisto


MEPHISTO

Und wieder vollendet ein grosser Zyklus seine Bahn. Die Zinsen sind hoch, der Ölpreis explodiert, Wirtschaft und Finanzen sind verfahrn. Wieder der kleine Mann, der verliert! JOHANN WOLFGANG

Wie alle sechzig Jahre viel Geld und nichts dahinter! Schlingpflanzen gleich wuchern Schulden über tätigem Fleiss, Ohne den nichts geht, beim Arbeiter und beim Erfinder. Die letzten fünfzehn Jahre, jeder weiss, Die Verwaltung hat die Wirtschaft aufgefressen, Menschen denken in Inflation und sind spekulierend Auf schnellen Gewinn versessen, Dabei die Menschlichkeit verlierend. DER HERR

Der Zyklus kommt, der Zyklus geht, Der Atem der Geschichte weht Stets über unsrer Erde! Geburt und Grab, Wieg’ und Sarg, Sterbe! Werde! MEPHISTO

Ihr edlen Herren in Eurer übergrossen Güte, Habt Ihr noch immer nicht vermocht, Den Mensch und die Gedankenflüge, Die perfide ausgekocht, Zu konzentrieren nur auf Freundschaft und auf Liebe? Der Mensch denkt und meint, Er selbst sei des Menschen grösster Feind!

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JOHANN WOLFGANG

Hier, mein Freund, ich sage Dir, Bitte glaube mir! Der Feind an sich ist böse nicht, Nur losgelöst sein Eigenbild, Dem Realen fremd geworden ist der Bösewicht; Taumelt von sich zu sich ganz wild, Verliebt wie Narziss nur im »Wollen sein« sein wollen, Gibt sich im Spiegel selbst den Kuss, Und alle andern sollen Als Befehl und als ein Muss Lieben wie er selbst sein falsches Eigenbild! Der, der sich in Eigenliebe hat verloren, Der, der sich selber liebt wie keinen, Der, der sich selbst als Phantom geboren, Hat in seiner Liebe keinen Konkurrenten, keinen! Identifiziert durch Feinde die eigene Person, Unfähig der Tugend, Realität und der Kritik, Lebt und lacht mit lautem Hohn Im Gefängnis nekrophiler Illusion. Definiert sich durch immer neue Feinde. Isoliert sich mehr und mehr in der Gemeinde. Feindschaft, unfähig zu lieben und zu leben, Feindschaft, unfruchtbar und nur Frust, Feindschaft nimmt alles, kann nichts geben, Kein Genuss, kein’ Freud’ noch Lust. FAUST

Freundschaft dagegen definiert sich durch das Du, Dessen Werte wachsen auf realer Erde, Im Freundesauge erkennet Ihr im Nu:

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Ihr seht nur liebenswerte Werte. Anders könnt Ihr nicht mehr leben, Bald wird’s auf Erden zehn Milliarden Menschen geben! Denn das Leben wird immer länger; Der Planet ist voller Greise und wird immer enger! Macht Euch nicht die Erde untertan, Sonst ist Eure letzte Chance bald vertan! Liebt die Erde wie Euch selbst! Lieb Dich, wenn Du auch manchmal fehlst! Und lieb den andern wie Dich selbst! Wer nicht gelernt hat zu erwerben, Was er geschenkt bekam von der Natur, Wer nicht erworben, was von Vätern war zu erben, Verliert auf Dauer alles nur. Und das ist der Weisheit letzter Schluss: Nur der verdient sich Zukunft und die Zeit, Der täglich sie aufs neu erobern muss. Denn ist die Zeit einmal geschwunden, Kannst nicht Dir zurückkaufen diese Zeit, Die Du verfehlst, sie ist und bleibt verschwunden, Was Du nicht hast gelebt, nenn’ ich verlorene Vergangenheit. Dein Gestern ist vergangen, Dein Morgen Dich jetzt führe! Deine Zukunft ergibt sich aus Deiner Vergangenheit, Geh über die Brücke der Zeit, Die Zukunft wird Dir offenbar; Du weisst, Du kannst nur werden, wenn Du weisst: Ich kann nur sein, wenn ich weiss, was ich bin: Die Geschichte gibt den tiefsten Sinn! Wie ein langer Teppich, aufgerollt vor Deiner Türe, Liegt die Zukunft Dir zu Füssen;

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Lass sie rollen, Weg zugleich und Ziel, Bleib dem Wege treu wie Wasser in den Flüssen, Den ernsten Sinn des Lebens verstehst Du dann in diesem Spiel! Du weisst, Du kannst nur werden, was Du wirklich willst, Welchen Gott Du in Dir fühlst! Und für die Zukunft sei Dir stets bewusst: Die Zeit wird neu verteilt an jedem Morgen Gerecht an alle Menschen gleich. Was Du draus machst, Glück und Sorgen, Trägst in Dir selbst, bist drinnen arm und reich. Wer Ohren hat zu hören und Hände hat zu geben, Der Bosheit abgeschworen und die Zung im Zaum, Voller Freude wirst Du Deine Zeit erleben, Träume nicht Dein Leben, Lebe Deinen Traum!

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NACHWORT FAUST ist heute lebendiger denn je! Die Faustsage ist um 1570

in Wittenberg entstanden. Der Urheber blieb unbekannt, doch wurde das erste Faustbuch von Johann Spies im Jahre 1587 in Frankfurt am Main veröffentlicht. Schon kurze Zeit danach hat die Sage Eingang gefunden in die englische, französische und italienische Literatur und sogar in die Musikliteratur Europas. Die Gelehrtentragödie des Doktor Faustus ist die Geschichte des Scheiterns des wahrheits- und erkenntnissuchenden Menschen im sokratischen Sinne; sie ist eine menschliche Tragödie, sie ist aber nicht die Geschichte der Tragödie der Menschheit. Erst die Erkenntnistragödie eines einzelnen bringt die ganze Menschheit voran. Vieles versucht Faust zu erforschen, besonders die Naturwissenschaften reizen ihn, er unternimmt Flugversuche, bereist ganz Europa, aber er stösst immer wieder an die Grenzen: Nur Magie kann helfen! Faust weiss viel, aber gerade weil er vieles weiss, erkennt er die Begrenztheit seines Wissens: Er erkennt, dass er nichts weiss. In sokratischer Bescheidenheit verzweifelt Faust. Der »Gelehrte« Faust versucht – besessen von unersättlichem Forschungsdrang – sein Wissen stets neu zu vertiefen und zu erweitern. Diesen trockenen Gelehrten Faust reizt aber auch die andere Seite des Lebens, das Hedonistische, der Luxus, die Lust und das pralle Leben. Er bekennt: »Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust.« Und so kommt der Teufel in seine Welt. In der ursprünglichen Fassung der Faustsage des 16. Jahrhunderts schliessen Faust und Mephisto einen Vertrag miteinander, einen Pakt: Mephisto verspricht Faust sowohl in den drängenden Fragen der Zeit, den Natur- und Geisteswissen-

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schaften, Erkenntnisse zu liefern, als auch für ausreichend Genüsse für sein leibliches Wohl zu sorgen, wozu auch die Erfüllung sexueller Wünsche gehört. Im Gegenzug verspricht Faust dem Teufel seine Seele nach seinem leiblichen Tode. (In der Finanzwelt von heute würde dies als Barbezug von heutigem Wohlleben und gleichzeitigem Terminverkauf der Seele im Todesfalle bezeichnet werden.) Die Erfüllung dieses Paktes liegt im Interesse beider Vertragsparteien. Insofern wird der Pakt von und für beide Seiten schliesslich zufriedenstellend erfüllt. In der Faustbearbeitung von Johann Wolfgang von Goethe im 18. Jahrhundert steht nicht mehr der im beidseitigen Interesse liegende Pakt im Vordergrund. Denn Faust und Mephisto wählen eine andere Vertragsart: die Wette. Im Gegensatz zum historischen Pakt von 1587 bedeutet diese Wette ein entgegengesetztes Interesse der beiden Vertragsparteien. Der Gewinn des einen ist der Verlust des andern und umgekehrt. Faust und Mephisto wetten um die Seele von Faust. Mephisto verschafft ihm eine neue Jugend und verspricht ihm irdische Freuden. Sollte er es erreichen, dass Fausts unentwegter Wissensdrang in Schwelgerei und Müssiggang versiegt, so hätte Mephisto die Wette und damit Fausts Seele gewonnen. Mephisto verliert schliesslich die Wette nach vierundzwanzig Jahren, weil die göttliche Gnade Faust erlöst hat. In meinem Finanzfaust des ausklingenden 20. Jahrhunderts weiss Faust und wissen die Menschen, dass sie für ihre und ihrer Kinder Zukunft selbst verantwortlich sind. Sie wissen um die zwei Seelen in ihrer Brust und haben daher Angst, sich über andere zu stellen und damit zu fehlen. Sie haben auch Angst, gegen das Sokratische Bescheidenheitsgebot zu verstossen, und sie haben Angst, auf dem Faulbett des süssen Lebens zu verderben und die Arbeit und das Forschen, das Investieren und das Wagen zu vernachlässigen.

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Die zutiefst verwurzelte Angst des modernen Faust, in diesen drei elementaren Prinzipien zu fehlen und damit von seinen gleichsam universalen Normen abzuweichen, bedeutet für ihn, »des Teufels zu sein«. Schliesslich glaubt der Teufel nach dreissig Jahren, der Wettsieger zu sein, da er fleissig einen Katalog sogenannter Sünden von Faust zusammengetragen hat, muss dann jedoch feststellen, dass er die alles entscheidende Wahrheit – das Metagebot, nämlich die Liebe – übersehen hat. Das Faustthema ist immer dann besonders aktuell, wenn sich die Geschichte und die Zeiten im Umbruch befinden. Ursprünglich entstand die inzwischen über vierhundert Jahre alte Faustsage in einer Zeit des religiösen Umbruchs. Sie ist gewachsen auf dem Boden der Reformation. Das neu erwachte Wissen um die persönliche Individualität erweckte alte Ideale aus der griechischen Kultur zu neuem Leben. Im Gegensatz zu der bis dahin gültigen Überzeugung, dass alles im Dogma geregelt sei und dass das theozentrierte Weltbild allein richtig sei, also alles in der absoluten Gottbezogenheit gesichert sei, entwickelte sich in der Renaissance das anthropozentrierte Weltbild. Dieses bedeutete eine diesseitige, der Welt zugewandte Orientierung, die den Menschen Rechte, aber auch Pflichten auferlegt. Damit waren die Zeiten des käuflichen Ablasses vorbei. Die Reformatoren des 16. Jahrhunderts schafften den religiösen Umbruch. Auch Goethe schuf seinen Faust in einer Zeit des geschichtlichen Umbruchs: Eine gewaltige Bevölkerungsexplosion fand in Europa statt, die Französische Revolution, die Napoleonischen Kriege, erste Milizarmeen, die Erneuerung von Rechtsund Fiskalordnungen. Im Zuge dessen wurden wenig später die Nationalstaaten in Europa geschaffen, die die neuentstandenen Massengesellschaften organisiert und geordnet haben. Goethe hat der Gelehrtentragödie Faust die Gretchentragö-

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die hinzugefügt. Angeregt durch das tragische Schicksal einer jungen Frau, die wegen einer nicht ehelich legitimierten Schwangerschaft ihr Kind tötete und im Kerker starb, prangerte Goethe damit gesellschaftliche Notstände und insbesondere auch die Unterordnung von Frauen an. Genial verwob er das Schicksal des zu neuer Jugend gelangten Faust mit dem Schicksal Gretchens: die Liebe zur Magie in dem Gelehrtendrama mit der Magie der Liebe des Gretchendramas. Die Faustsage ist somit einerseits zeitgenössisch, aber andererseits wegen der zutage tretenden Grundstruktur ebenso überzeitlich. Auch heute befinden wir uns wieder in einer Zeit des Umbruchs. Die reale Wirtschaft und damit der Kapitalstock wachsen weltweit zu gewaltiger Grösse. Das Finanzvermögen in der Welt steigt in unvorstellbare Grössenordnungen. Die Finanzmärkte stehen vor neuen grossen Herausforderungen und befinden sich in rasendem Tempo auf der Suche nach neuen Gleichgewichten. Die Menschheit ist in die Epoche der Hochgeschwindigkeit, der »real time«, eingetreten. Viele neue Aufgaben sind zu bewältigen in den Bereichen der Elektronik, im Rechtswesen, in der Ethik, der Ökonomie, der Ökologie und vor allem in den interdisziplinären Wissenschaften. Unser Finanzfaust steht mit beiden Beinen fest im Leben, aber der Boden schwankt heftig. Täglich gibt es neue, andere Antworten auf die ewig gleichen Fragen. Deshalb erkennt der Finanzfaust, dass er nichts weiss! Und selbst dieses Wissen ist unsicher! Er wird sich jedoch nicht aufs Faulbett legen, und er wird auch keinen Trost in neuem Aberglauben suchen. Er wird nicht jammern, er wird nicht klagen, wird nicht vor Gier verzagen, und, vor allem, er will sich nicht über andere stellen! Im Bewusstsein seines zeitbemessenen Glücks auf dieser Erde sucht Finanzfaust Erkenntnis und Liebe.

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Gleichsam diskontiert er mit einem hohem Risikozins Körper und Geist in die Gegenwart. In seinem Innersten will er schon heute das Morgen geniessen, und so jagt er von Begierde zu Genuss, und im Genuss verschmachtet er nach Begierde. Der heutige Faust hat den Dämon im Innern seiner Seele gebändigt, er beherrscht ihn, er wehrt sich gegen die Verletzung des Weisheits- und des Liebesgebots. Er will nicht durch andere »ver-rückt« werden. Er will nicht durch den Teufel gezwungen werden, Dinge zu tun, die er nicht tun will. Die Angst vor der Unfreiheit, die von obsoleten Normen ausgeht, wird dazu führen, dass Faust diese Normen sprengt, ohne dass dies Sünde wäre! Und der Teufel spielt in dieser Welt immer wieder seine verführerische Rolle. Nicht immer war das seine Rolle. Im Alten wie im Neuen Testament bedeutet der Teufel Tod und Verderben. Dort ist er nicht der Repräsentant des Bösen, sondern des Todes und des Schattens, er steht für die Nacht. Ganz anders der Teufel in der Reformation: Der Mensch hat jetzt seine Handlungen selbst zu verantworten, und der Teufel wird zum Ventil für alle Fehler und Misserfolge. Erst seither spielt der Teufel seine verführerische Rolle. Er braucht Gesetze, Grenzen und Gespenster, um Faust zu Übertretungen zu verführen. Aber davor, nämlich vor der Übertretung überholter Normen – vor der Sünde, wie es alte Autoritäten definieren –, hat Faust keine Angst. Mephisto setzt alles daran, um Faust zur Abweichung von diesen Normen zu verführen. Es sieht zuweilen aus wie Sünde, ist aber Fortschritt: Der Teufel will das Böse und schafft schliesslich das Gute. Im Chaos der Normenzerstörung entstehen neue Welten, neue Ordnungen. Alles fliesst. Es entstehen auch neue Werte, Normen und Sensibilitäten: Rassismus und Sexismus wird getrotzt, die Erde wird als brüchiger, aber fruchtbarer Boden allen Lebens erkannt. Dabei verzehrt Faust sich in seiner Sucht nach Entgrenzung.

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Eine ganz andere Rolle spielt Dr. phil. Nekro. Diese Figur habe ich dem Faustdrama hinzugefügt, um den Wirkungsbereich des Teufels deutlich abzugrenzen. Dr. Nekro anerkennt für seine Person überhaupt keine Regeln, keine Gesetze und keine Normen. Im Gegensatz zu Mephisto schafft er lebensfeindliche Ergebnisse: Er will nicht den Krieg, er will Tote; er will nicht das Stehlen, er will Armut; er will nicht die Vertreibung, er will Genozid; er will bewusst Rechtsunsicherheit schaffen. Die Macht über Menschen genügt ihm nicht, er will deren totale Ohnmacht. Seine Lebenseinstellung ist im Gegensatz zum biophilen Faust absolut nekrophil und monströs. Nekro hat der Geschichte immer wieder seinen grausigen Stempel aufgedrückt. Anders als der Teufel ist er ein Monster. Dr. Nekro hat keine Seele. Aus diesem Grunde handelt er verantwortungslos. Er ist damit für den Teufel nicht nur kein Kunde, Mephisto akzeptiert ihn nicht und veranlasst schlussendlich seine Vernichtung. In einer Welt ohne Normen hätte der Teufel keine Existenzberechtigung. Dr. phil. Nekro schafft immer das negative Endergebnis, weil er den totalen Krieg um seiner kranken Ideen willen anstrebt. Er schürt Rassismus; vernichtet Rechte und raubt jede Hoffnung. »Ver-rückt« im Hirn, jenseits aller Ethik, will Nekro Untergang, totale Zerstörung. Sein Ego verträgt keine Kompromisse, nur sein absolutistisches Ego erklärt die Unbedingtheit seiner Existenz oder seiner Nonexistenz, seiner Vernichtung. Mephisto dagegen anerkennt die Notwendigkeit von Normen, Gesetzen und Regeln, er möchte sie nur übertreten wissen, vielleicht auch für einen guten Zweck. Es gäbe keine Sünde, wenn es keine Normen gäbe! Nero, Hitler, Stalin, Eichmann und viele andere, die die Geschichte noch brandmarken wird, beweisen, dass immer wieder ein Nekro unter uns lebt und immer wieder von neuem seine menschenverachtenden, zynischen Ziele anstreben wird.

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Die Zahl der handelnden Personen im Finanzfaust ist bewusst klein gehalten. Auch der eng umgrenzte Raum und eine symmetrische Struktur sollen eine Metaebene erkennen lassen, auf der grundsätzliche Linien hervortreten sollen: das Weisheitsgebot, die Zehn Gebote, das Forschungs- und Investitionsgebot und das »summum bonum« der Menschheit: DIE LIEBE.

Zürich, im Februar 2000

Lothar Märkl


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