2 minute read
Abb. 2 Logo der Verantwortung ERDE
Charmazs (2006) konstruktive Auslegung der Grounded Theorie kommt der normativ nachhaltigen Ausrichtung der Transformations- und transformativen Wissenschaft (Blaikie, 2009) entgegen, da tiefgreifende Selbstreflexivität und Transparenz fest im Forschungsprozess verankert sind. So wird weder das normativ Performative einer Forschungsperspektive noch das eigene Involviert-Sein in den Analyseprozess negiert. Vielmehr unterstützt dieser Ansatz die stete Kontextualisierung der sich entwickelnden Bedeutungskonzepte (Blaikie, 2009) und erkennt somit die Konzeptualisierung der Realität durch mich als Forscherin als eine mögliche Sichtweise und damit als konstruiert an (Bryman, 2004) (siehe ausführlicher Abschnitt 5.6).
3.2 Forschungsfeld: Die Bewegung Verantwortung ERDE
Abb. 2: Logo der Verantwortung ERDE; Quelle: Webseite Verantwortung ERDE27
Die Verantwortung ERDE28
ist nach Eigendefinition eine Bewegung in Villach, Österreich, die die bestehenden Krisen zum Anlass nimmt, ihren Lebensraum und ihre Lebensbedingungen selbst zu gestalten:
„Wir haben erkannt, dass auf unserem Planeten so einiges schiefläuft, und das in allen Bereichen. Wir sehen nicht nur Herausforderungen im momentanen Wirtschaftssystem und im Lebensstil, der auf Kosten anderer geführt wird, sondern wir erkennen auch ökologische und menschliche Krisen“ (Webseite).
Um dies zu verändern, bedarf es für die Erdlinge einer Übernahme von Verantwortung für die eigene Lebensweise und entsprechende Strukturen, die diese ermöglichen:
„Wir tragen Verantwortung. Und wir tragen sie gerne. Diese Erde und alles Leben auf ihr ist kostbar und zu behüten. Denn wir sind ein Teil davon. Wir wollen an einer Welt mitwirken, die fair ist. Die lebenswert ist. Für die Menschen und die Natur. In der man sich auf Augenhöhe begegnet. Einer Welt, in der all das selbstverständlich ist“ (ERDE Blatt, 2021).
27 Siehe Webseite: https://www.verantwortung-erde.org/
Aus diesem Wunsch nach Veränderung ist 2015 eine dezentrale wirtschafts- und politkritische Bewegung entstanden. Diese hat das Potential und nicht das Versäumnis im Fokus: „Was wir uns wünschen, versuchen wir umzusetzen (…) indem wir mit unserem Denken und unseren Handlungen Schritte setzen, deren Richtung wir selbst bestimmen“ (ERDE Blatt, 2021, S.5). Übergeordnetes Ziel ist stets das Erreichen einer möglichst großen Unabhängigkeit von Strukturen, die auf Kosten anderer Menschen und der Natur etabliert wurden und sich daher ausbeuterisch gestalten. Dieses Bestreben setzen die Erdlinge auf vielfältige Weise und auf verschiedenen Ebenen um: Durch die Etablierung eines offenen Freiraums, die Bewirtschaftung eines auf Selbstversorgung ausgerichteten Gemeinschaftsgartens und das Vertretensein im Villacher Gemeinderat (siehe Abschnitt 3.2.3).
Die ERDE nimmt dabei bewusst keine konkretere (rechtliche) Form an. Dementsprechend gibt es keine Mitgliedschaften oder andere Voraussetzungsbedingungen, um partizipieren zu können
29
. Vielmehr ist das Sein und Wirken der Erdlinge in eine dezentrale und hierarchiefreie Organisationsform eingebettet.
3.2.1 Der Freiraum ERDE
Eine wichtige Rolle beim Etablieren alternativer Strukturen spielt für die Erdlinge das Schaffen von Freiräumen, in denen sich mit Gleichgesinnten getroffen und gemeinsam ausprobiert werden kann: „Ein großer Bereich des Wandels betrifft die Gestaltung von Lebensräumen – die Räume, in denen man gerne sein Leben verbringt, sich wohl fühlt und mit anderen Menschen in Beziehung treten kann. Bei der aktiven Gestaltung geht es darum, dass Orte der Begegnung und Plätze der Kommunikation entwickelt werden, wo Menschen zusammentreffen, wo Austausch stattfindet und neue Ideen entstehen können“ (Webseite).
29 Daher lässt sich auch nicht festmachen, wie viele Menschen genau Teil der Bewegung Verantwortung ERDE sind. Eine Befragte äußerte hierzu: „Man könnte jetzt vielleicht schätzen, dass in unserem engeren Kreis vielleicht 100 Menschen sind und in unseren weiteren Kreisen ein paar Hundert, aber das schätzt auch jeder anders, deswegen sind diese Schätzungen eh völlig egal eigentlich“ (M., S.15).