Vortrags- und Diskussionszyklus «Überschuldete Staaten: Was folgt auf den Pumpkapitalismus?»
Wege aus der Schuldenfalle: Einist Plädoyer für faire Regeln «Der keynesianische Endpunkt erreicht» Schlussbericht zu Peter Siegenthalers Vortrag 27. Februar2012 2013 Beat Kappelers Vortrag vomvom 12. September
Übermässige das EingeJohn MaynardVerschuldung Keynes darf alsbzw. jener Ökonom hen ungedeckter Verpflichtungen beraubt angesehen werden, der mit seinem VorPolitik, Wirtschaft Gesellschaft ihres schlag des «deficit und spending» der Politik Handlungsspielraums. sie leistet dafür dem die wissenschaftliche Und Legitimation «moral hazard»hemmungslos – der Verführung zu noch gab, beinahe Ausgaben zu mehr – Vorschub. Nur einfatätigenFahrlässigkeit und Schulden anzuhäufen. Dass che, faire Regeln, die– von der Endpunkt dieses notaallen beneBeteiligten falsch verund Betroffenen nicht nur nun verstanden, standenen – Keynesianismus erreicht sondern eingehalten werden können, sei, war auch die zentrale These des Referats vermögen die gegenwärtige Situation zu von Beat Kappeler. überwinden, zeigte sich Peter Siegenthaler überzeugt. In seinem Hauptwerk «The General Theory of Employment, Interest and Money» Drei Bereiche illustrieren, so Wirtschaftsder Referent, von 1936 empfahl Keynes, die Schuldenfalle, in der wir stecken, bekrisen durch staatliche Interventionen sonders drastisch: die Staatsverschulzu überbrücken. Als Massnahmen schlug dung, die Sozialwerke und das «Too der big er gezielte Zinssenkungen seitens to fail»-Problem. UndBeschäftigungsproalle drei Bereiche Zentralbank sowie leiden unter dem «moral hazard», was die gramme – das sogenannte «deficit spenProbleme verschärft. Allerding» – vor.zusätzlich Keynes versprach sich davon dings steht Einkommen «die Staatsschuldenkrise in zusätzliches und damit einen der Verursachung derweit Schuldenfalle höheren Konsum. So die Theoriegar in nicht etwa zuvorderst, widerspiegelt aller Kürze bzw. Verkürzung, wie sie aber von all anderen Fehlentwicklungen», der die Politik bereitwillig aufgenommen stellt Siegenthaler gleich zunicht, Beginn klar. wurde. Wer wünscht sich AusgaSie gleichsam exemplarisch für um die bensteht erhöhen zu können, ohne sich finanzpolitische Dynamik, oder die das in den entsprechende Einnahmen Abletzten in diekümmern falsche Richtragen Jahrzehnten der Schuldenlast zu tung wies: Schuldner nicht damüssen – und das durchmüssen die Wissenschaft mit rechnen,Infür Verpflichtungen legitimiert? derihre Tat war die Wachsgeradezustehen; Sparer werden mit Zintumsförderung während der gesamten sen, die unter der Nachkriegszeit das Inflation bewährteliegen, Mittel kalt der enteignet; undselbst die Notenbanken werden, Politik, um kleine Krisen und indem sie Geld drucken, Wachstumsschwächen zu notgedrungen überbrücken. zum gescheiterten Fis«Seit Hilfsmittel dem für dieeiner Zeitgenossen verblüfkalpolitik, womit ihren eigentlichen fenden Erfolg der sie Kennedy-AdministraAuftrag aus eine den Augen und sich, tion 1963, leichteverlieren Wachstumsdelle was auf Dauer noch gefährlicher ist, ihrer mit Steuersenkungen zu bekämpfen und Unabhängigkeit berauben. auch höhere Steuereinnahmen zu erzieSiegenthaler weist einmal mehr len,Peter gilt die für die Weltwirtschaftskrise darauf hin, Lehre dass die Staatsverschuldung entwickelte John Maynard Keynes‘ inzwischen nur ein Phänomen der als etabliertenicht Wirtschaftspolitik», so Kapersten peler. Welt geworden ist, sondern auch erstmals in Friedenszeiten derartige Ein Zauberwort dieser Politik ist der Dimensionen erreicht hat.Überzeugung, Die Gründe «Multiplikator», d. h. die hierfür erster LinieFranken, in den jeder alsliegen Defizitinaufgewendete Staatshaushalten selbst, also strukEuro, Dollar werde einsind Vielfaches im tureller – und sieüber sinddie erst dann KreislaufNatur erzeugen und Steuern auf Konjunktur- und Beschäftigungspro-
Laut Siegenthaler die die Staatsverschuldung in der Verursachung derdann Schuldenfalle nicht zuvorBeat Peter Kappeler zeigte auf,steht warum keynesianische Wirtschaftstheorie auch kein taugliches Mittel derst, aber alle finanzpolitischen Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte. gegenwiederspiegelt die Überschuldungskrise wäre, wenn sie von der Politik vollständig umgesetzt würde und nicht wie bisher bloss zur Hälfte.
gramme die Unterstützung der darauf diesowie Ausgabe spielend abtragen. Banken Finanzkrise zuKappelerswährend Skepsis der gegenüber diesem rückzuführen. Der tief: Umfang derhaben VerMultiplikator sitzt Erstens schuldung lässt kaum sich etwa mit den AnAnkurbelungen solche Multiplikastrengungen unternomtoren, ausser illustrieren, deren Dosisdie wird dauernd men müssten, auf eine erhöht.werden Zweitens wird nieum antizyklisch Schuldenquote 60 Prozent BIP, gehandelt, d. h.von in guten Zeiten des gespart, dem ursprünglichen Maastricht-Wert, weshalb sich die Verschuldung treppenzu kommen: Gemäss Berechnungen des artig nach oben entwickelt – Frankreich IWF müssten Staatshaushalte derBudInhat seit 1975, die Italien seit 1960 nur dustrieländer derart umgebaut werden, getdefizite erzeugt. Drittens müssten, dass nicht mehr ein Defizit, wennsie esbis den2020 Multiplikator wirklich gäbe, sondern einen verheerende Überschuss Auswirkunvon über Sparprogramme 6 Prozent BIP erwirtschaften und gen haben: des auf Wachstum, Investitionen diesen Wert noch weitere zehn Jahre und Steuereinnahmen. halten. Mandieser braucht kein Prophet zu Gerade letzte Punkt macht sein, um weshalb zu wissen, dassvon dies deutlich, Keynes derschlicht Politik unmöglich ist. angewendet wird. Nähme nur zur Hälfte Esseine gilt vielmehr, den Staatshaushalt man Theorie nämlich ernst, dürfte über Konjunkturzyklus hinweg man einen in schlechten Zeiten nicht einausgeglichen halten. Als taugliches fach nur mehrzuGeld ausgeben, sondern Mittel hat sich schweizerische müsstedazu umgekehrt in die guten Zeiten auch Schuldenbremse, die 2001 reduzieren. in Anlehsparen, also Staatsausgaben nung kantonale Vorbilder der BunDieseran «andere» Keynes – oderin der «ganze desverfassung verankert wurde, erwie-
sen. Sie istwie ein man Instrument mit einfachen, Keynes», korrekterweise sagen fairen So erstaunt es wenig, dass muss –Regeln. wäre also ein weit anspruchsdieses Instrument auch der EU Schule volleres Programm. Es inentspräche der macht. Siegenthaler würdigt deren Staschweizerischen Schuldenbremse, die bilitätspakt auch deshalb, weil die Schulder Politik auferlegt, Mehrausgaben über denbremse – im Gegensatzdurch zum Maasteinen Konjunkturzyklus Mehrricht-Vertrag nichtanderweitige einfach von Brüssel einnahmen –oder Ausgavorgegeben wird, in den natiobenkürzungen zusondern kompensieren. Übernalen der Mitgliedstaaten haupt Verfassungen geht vergessen, dass Keynes seine festgeschrieben werden muss. Dennoch «Theory» unter dem Eindruck der Great bleibt seine der Zuversicht gedämpft, denn Depression, grossen Wirtschaftskrise selbst die EU Bussen verfasst verhängen in den wenn USA der 1930er-Jahre, hat und kann, – einerSanktionen Krise, in derdurchsetzen die Arbeitslosigkeit «entscheidend bleibtstieg die und drohende Abvon 9 auf 25 Prozent die Durchstrafung einer um Regelverletzung durch die schnittslöhne 60 Prozent fielen. eigenen Es gibtWählerinnen für Kappelerund nochWähler». weitere Diese aberdie blieben dass eine Gründe, gegenden eineBeweis, keynesianische harte belohnt bisher PolitikFinanzpolitik sprechen. Nicht nurwird, verpuffen mehrheitlich schuldig.Volkswirtschaften Anstösse in offenen präsentierte sich im im Einmal Ausland,mehr sie wirken auch meist zu Gegensatz die schweizerische Fispät – ganzdazu abgesehen davon, dass man nanzpolitik, die föderalankurbeln und direktdenur bereits Bestehendes kann, mokratisch legitimiert wird, als ideal. was wiederum den Strukturwandel beAllerdings ist die Implementierung hindert. Ausserdem bleiben aucheiner die solchen Politik weit schwieriger als die
«Nur einfache und faire Regeln, die es schaffen, die Grösse der Banken zu reduzieren, können diese wieder dem Risiko des Marktes aussetzen und der Rechtsordnung unterstellen.» Der Referent
Adaptation der Schuldenbremse auf die EU und ihre Mitgliedstaaten. Ein Problem, das die Staatsverschuldung deutlich akzentuiert, ist die Alterung der Bevölkerung. Der IWF beziffert die Mehrkosten aus der Demografie auf das Zehnfache der öffentlichen Kosten für die Finanzkrise. Auch hier plädiert Siegenthaler für einfache, faire Regeln – konkret: eine Schuldenbremse für die AHV, die die Politik zu Reformen verpflichtet, sobald das Finanzierungsproblem ein bestimmtes Mass erreicht. Als letzte und dringlichste Herausforderung verweist Peter Siegenthaler auf das «Too big to fail»-Problem, das sich durch die mit der Krise einhergehende Konsolidierung im Sektor sogar noch akzentuiert hat. «Als Geisel systemrelevanter Finanzinstitute sind die öffentlichen Haushalte mit Risiken konfrontiert, die nicht mit einer Fiskalregel à la Schuldenbremse gemeistert werden können.» Zwar sind gemäss Siegenthaler die Lösungsvorschläge in der Schweiz, die inzwischen Eingang in Gesetz und Verordnung fanden und mit den Empfehlungen des Financial Stability Board übereinstimmen, korrekt gewählt. Die Verschärfung der Eigenmittel- und Liquiditätsvorschriften wie auch die Verbesserung bzw. Schaffung eines möglichst international koordinierten Abwicklungs- und Liquidationsverfahrens für systemrelevante Banken setzen den Hebel richtig an. Hingegen sieht er gerade im risikobasierten Ansatz, der letztlich auf bankinternen Risikoberechnungen beruht, ein Problem – zumal sich die Risikodichte gemäss den Berechnungen der Banken in den letzten zehn Jahren verringert haben soll ... Die grösste Gefahr aber liegt für Peter Siegenthaler in der Art, wie rechtswidriges Verhalten geahndet wird. Die meisten Verfahren, in denen Banken wegen Fehlverhalten angeklagt sind, enden mit
einem Vergleich. Für Siegenthaler mündet damit das Problem des «Too big to fail» in ein «Too big to prosecute» – ganz einfach, weil eine Verurteilung das Ende der Bank bedeutete und damit das System gefährdete. «Systemrelevante Banken sind damit nicht nur vor dem wirtschaftlichen Scheitern, sondern auch vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt. Ein für unser Wirtschaftssystem und unsere Rechtsordnung schier unerträgliches Phänomen.» Nur einfache und faire Regeln, die es schaffen, die Grösse der Banken zu reduzieren, können diese wieder dem Risiko des Marktes aussetzen und der Rechtsordnung unterstellen. In der Diskussion wird noch einmal deutlich, wie sehr die Finanzmärkte als politischer Akteur ins Zentrum getreten sind und damit wie kaum jemand die meist kurzfristigen politischen Entscheide beeinflussen und langfristige Weichenstellungen erschweren. Dennoch schwingt auch in den Ausführungen Siegenthalers vorsichtiger Optimismus mit – oder vielleicht einfach auch helvetischer Realismus, wonach Probleme nicht ewig ungelöst bleiben können. Immerhin hat die Krise das Bewusstsein für die Probleme geschärft und den Druck auf die Problemlösung erhöht – eine Situation, die auch die Voraussetzung für die Einführung der schweizerischen Schuldenbremse war. Dr. Katja Gentinetta Gesprächsleiterin MoneyForum
Peter Siegenthaler, geb. 1948, lic. rer. pol., schloss 1973 sein Studium an der Universität Bern als Ökonom ab. Von Mitte 2000 bis Mitte 2010 amtete er als Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV), in deren Dienst er 1982 getreten war. Er ist heute u. a. Mitglied der Verwaltungsräte der SBB und der Berner Kantonalbank und unterrichtet als Dozent an der Universität Bern.
Programmvorschau Mittwoch, 22. Mai 2013 Monika Bütler: Sozialversicherungen: Stabilisatoren oder Krisenverstärker in einer überschuldeten Welt? Dienstag, 1. Oktober 2013 Roger de Weck: Die Zukunft des Kapitalismus Ort: Bärengasse 20, 8001 Zürich Zeit: 18 – 20.30 Uhr (inkl. Apéro riche)
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