JOURNAL 2011 Kein unbeschriebenes Blatt Wenn Weiss sich wie ein roter Faden durch die Seiten dieses Heftes zieht.
Das Kindermuseum Creaviva im Zentrum Paul Klee, Bern, versteht sich als überregionales Kompetenzzentrum für praktische, erlebnisorientierte und interaktive Kunst- und Kulturvermittlung, ausgehend von Leben und Werk Paul Klees. Die Angebote des Creaviva richten sich an alle Menschen ab vier Jahren: insbesondere an Kinder und Jugendliche, Schulen aller Stufen, Menschen mit einer Behinderung, Teams aus Wirtschaft und Verwaltung sowie Erwachsene aller Altersgruppen. Ziel ist es, alle Besucherinnen und Besucher einzuladen, die eigene Kreativität aktiv zu entdecken und zu entwickeln und diese Erfahrungen für das Verstehen kultureller Produkte und Aussagen zu nutzen.
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011 ist im Zentrum Paul Klee das Jahr des Kindes. Für das Creaviva, das jedes Jahr als «Jahr des Kindes» feiert, wird dieser Fokus dennoch zum aussergewöhnlichen Ereignis. Und wir sind sicher, dass die damit verbundene Wertschätzung von Kindern den CreavivaStifter Maurice E. Müller besonders gefreut hätte. Kinder sind laut, bunt und wild. Unser Jahresjournal ausgerechnet im Kinderjahr mit dem Titel «weiss» zu versehen, wird diesem Umstand scheinbar nicht gerecht. Der Titel zum vorliegenden Heft betrifft jedoch nicht nur kleine Menschen, obwohl Assoziationen wie Reinheit, Unschuld und Freude gerade mit den ersten Lebensjahren zu tun haben. Wir wollen es als Herausforderung annehmen, im Kinderjahr von Verspieltheit, Farbigkeit und Kindlichkeit kleine und grosse Menschen die Möglichkeiten der Farbe Weiss erleben zu lassen. Wir wollen das scheinbare Nichts, die vermeintliche Leere, die unbunte Unendlichkeit erkunden. So werden wir erfahren und spüren, dass es die Stille braucht, um einen Ton zu hören. Und dass erst auf weissem Grund Worte, Zeichen und Farben ihre Kraft entfalten können. In unserem Journal blicken wir zurück auf aussergewöhnliche Momente im vergangenen Jahr und voraus auf die zahlreichen Angebote des Creaviva 2011. Zudem finden Sie Antworten auf immer wieder gestellte Fragen zum Kindermuseum und den Abdruck unseres in einem spannenden Prozess überarbeiteten Leitbilds. Ihnen allen wünschen wir in unserem «Jahr des Kindes» ein paar weisse, verschwiegene Inseln in einer wunderbar bunten, bewegten und bewegenden Welt. Ihr Urs Rietmann Leiter Creaviva
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Sinn und Zweck aller Angebote des Creaviva ist es, den Teilnehmenden neue Zugänge zur Kunst zu erschliessen und damit einen Beitrag zu leisten zum Entstehen von Urteils- und Kritikfähigkeit gegenüber der Kunst und der Welt. Angebote von hoher fachlicher und didaktischer Qualität richten sich auch an Besuchende, denen der Zugang zur Kunst bisher nicht leicht gefallen ist. Das Kindermuseum Creaviva bemüht sich aktiv darum, neue Interessierte für künstlerische Aktivitäten zu gewinnen. Die Qualität stellt das Kindermuseum Creaviva sicher durch die belegbare berufliche Qualifikation seines Personals sowie, im Sinne eines permanenten Auftrags an das Team, durch periodisches Hinterfragen und Erneuern seiner Angebote. Den systematisch eingeholten Rückmeldungen der Teilnehmenden und der Fachwelt kommt in diesen Prozessen eine grosse Bedeutung zu. Das Kindermuseum Creaviva ist ein eigenständiger, integrierter Bestandteil des Zentrum Paul Klee. In der Zusammenarbeit mit dem Zentrum Paul Klee beweist das Creaviva Partnerschaftlichkeit. Das Creaviva pflegt auch Kooperationen mit auswärtigen Institutionen. Zur Unternehmenskultur des Creaviva gehören Respekt und Achtung innerhalb des Teams und gegenüber den Besucherinnen und Besuchern, Verantwortung gegenüber der Umwelt sowie ein sorgfältiger Umgang mit der Infrastruktur und den für die Arbeit zur Verfügung stehenden Ressourcen. Die Realisierung des Kindermuseums Creaviva wurde ermöglicht dank dem kunstpädagogischen Engagement und der Grosszügigkeit von Prof. Dr. med. Maurice E. Müller und seiner Tochter Janine Aebi-Müller.
Im Gedenken an
Maurice E. Müller (28. März 1918 – 10. Mai 2009)
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ahrscheinlich hätte es ihn sehr gefreut, unser Jahresthema, ihn, den Gründer und Stifter des Creaviva: Maurice E. Müller. Und das nicht nur, weil Weiss als Farbe der Reinheit in der Medizin eine wichtige Rolle spielt. Weiss ist auch die Farbe der Unschuld und damit der Kinder, für die MEM das Creaviva in erster Linie einrichten liess. Zudem steht «Weiss» in einer anderen Bedeutung für «Wissen» und damit für eines der kostbarsten Güter, das zu teilen und weiterzugeben ihm, dem Wissenschafter, Forscher und Freund, ein grosses Anliegen war. Weiss steht schliesslich für Unsterblichkeit. Dass wir Menschen mit dieser Eigenschaft nicht gesegnet sind, mussten wir auch beim Abschied von MEM am 10. Mai 2009 erfahren. Umso mehr wird er in unserem Andenken weiterleben und dem Creaviva in dankbarer Erinnerung bleiben. Urs Rietmann Leiter Creaviva
Das Creaviva gilt als Kompetenzzentrum für praktische Kunstvermittlung. Was heisst das konkret?
Was im Creaviva passiert, hat mit Basteln wenig zu tun. Muss man schon etwas können, um sich bei euch wohl zu fühlen?
Das bedeutet, dass in den Creaviva-Ateliers in erster Linie mit den Händen gearbeitet wird. Unsere kleinen und grossen Gäste setzen sich in Workshops, in den offenen Ateliers und in unseren interaktiven Ausstellungen gestalterisch mit den unterschiedlichsten Facetten von Kunst auseinander. Der Ausgangspunkt ist die Begegnung mit den Originalen, mit Ideen und Techniken von Paul Klee. Diese Eindrücke bilden die Grundlage für das Entdecken des eigenen, persönlichen Ausdrucks. Kreativität braucht es nicht nur in der Kunst, in Forschung und Entwicklung. Kreativität braucht es auch in Beziehungen, im täglichen Zusammensein. Wer gestaltet, verändert die Welt.
Nein. Besuche im Creaviva sind alles andere als Prüfungen. Vielmehr sind es sinnliche Reisen in unbekannte Welten. Unsere Reiseführerinnen und -führer kennen Weg und Ziel. Als Reiseproviant wünschen wir uns Neugier und Phantasie. Das ist alles. Übrigens: Wir haben nichts gegen das Basteln, auch wenn, was wir tun, mit Basteln wenig zu tun hat. Was in unseren Ateliers gestalterisch geschieht, ist nicht besser, aber anders. Die Ergebnisse unserer Arbeit hängen sorgfältig gerahmt in unzähligen Kinderzimmern, in Bibliotheken von Gymnasien oder prominent und stolz in Empfangsräumen unterschiedlichster Unternehmen und Institutionen der ganzen Schweiz.
Richtet sich das Angebot im Kindermuseum Creaviva ausschliesslich an Kinder?
Was wünscht sich das Creaviva für das Jahr 2011?
Das ausdrückliche Anliegen von Creaviva-Gründer und -Stifter Maurice E. Müller war die Einrichtung eines «Kindermuseums». Der Stiftungsrat der Fondation du Musée des Enfants sieht deshalb keine Veranlassung, den Namen zu ändern. Dennoch arbeiten wir seit zwei Jahren intensiv an Angeboten für weitere Interessierte. Zu den Gästen im Creaviva gehören immer mehr auch Menschen mit Behinderungen und Teams aus Wirtschaft, Bildung und Verwaltung mit dem Fokus Teambildung. Zudem bieten wir in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Bern Kurse für Erwachsene an. Das Spektrum des Creaviva ist breit und reich. Es geht unverkennbar über den Fokus Kinder hinaus. Einzige Voraussetzungen für den Besuch in unseren Ateliers ist Offenheit und die Lust, sich und andere neu zu erleben.
2011 ist im Zentrum Paul Klee das «Jahr des Kindes». Wir wünschen uns und unseren Gästen deshalb Offenheit, Heiterkeit, Mut und Leidenschaft. Und das erhoffen wir uns gemeinsam mit all jenen Initiativen, die in der Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur eine entscheidende Qualität erkennen, die Welt zu verstehen und in dieser auf der Grundlage von Toleranz und Frieden mit anderen Menschen eine Heimat zu finden.
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Interaktive Ausstellungen Interaktive Installationen im frei zugänglichen Loft des Creaviva laden zu einer spielerischen Auseinandersetzung mit den grossen Themen der Kunst ein. Neue Ein- und Ansichten beflügeln die Phantasie und schlagen die Brücke zu den Ausstellungen im Zentrum Paul Klee. Die Vernissagen im 2011: 26. Januar 2011 «Welt erfinden», am 24. Mai 2011 zu «Klee trifft CoBrA. Ein Kind träumt sich.» und am 15. September zu «Eiapopeia. Das Kind im Klee.» (Änderungen vorbehalten)
Kreative Workshops In der sinnlich-praktischen Erfahrung mit Themen und Techniken Paul Klees erleben Gruppen jeglichen Alters den persönlichen Zugang zur Kunst. Individuell angepasste Workshops von zwei oder drei Stunden inkl. Führung in den Ausstellungen im Zentrum Paul Klee eignen sich besonders für Schulklassen und Teams aus Wirtschaft und Verwaltung. Die Arbeit in den Ateliers weitet den Blick auf die Welt. Zudem erinnern die Ergebnisse der Workshops nachhaltig an die gemeinsame Schaffenskraft.
Offenes Atelier
Wann? Di bis So, 10–17 Uhr Für wen? Alle Menschen ab 4 Jahren, Kinder bis 8 Jahre nur in Begleitung Erwachsener
Für wen? Gruppen jeglichen Alters
Wer seiner Gestaltungslust spontan eine kurzweilige Stunde gönnen möchte, findet im offenen Atelier dazu die ideale Gelegenheit. Dreimal täglich ausser montags wird unter professioneller Begleitung ein neues Monatsthema in Verbindung mit den Ausstellungen im Zentrum Paul Klee bearbeitet. Für Stammgäste gibt es das offene Atelier auch im Abo.
Preis? Schulklassen: CHF 250 – 500 Erwachsene: CHF 900 bis 1’800
Wann? Di bis So, 12–13 Uhr, 14 –15 Uhr und 16 –17 Uhr
Sprachen: deutsch, englisch, französisch, italienisch, spanisch
Für Wen? Alle Menschen ab 4 Jahren, Kinder bis 8 Jahre nur in Begleitung Erwachsener
Mehr dazu? www.creaviva-zpk.org/workshops
Preis? CHF 15 / Person; das Abo für 10 Eintritte kostet CHF 135
Wann? Di bis So, 9–17 Uhr, Sonderzeiten auf Anfrage möglich. Voranmeldung gerne mind. 4 Wochen vor dem gewünschten Termin.
Hinweis: Workshops im Creaviva gibt es auch als Angebot von SBB RailAway. 4
Mehr dazu: www.creaviva-zpk.org/atelier
Preis? Eintritt frei Mehr dazu: www.creaviva-zpk.org/interaktiv
Die Fünfliber-Werkstatt Am Sonntag können Familien im Crea viva kurzweilig erleben, wie Gestalten am schönsten ist: Hand in Hand kreieren Kinder mit Erwachsenen ein persönliches Werk. Jeden Monat wird ein neues Produkt mittels passendem Material und einer einfachen Anleitung vorgeschlagen. Der Besuch kostet einen Fünfliber pro Produkt (CHF 5, Kasse vor Ort), die Dauer des Aufenthaltes ist offen. Die Fünfliber-Werkstatt im Creaviva fördert die Phantasie und weitet damit den Blick auf die Welt. Wann? So, 10–16.30 Uhr Für wen? Für Gross- und Kleinfamilien ohne Voranmeldung Preis? 1 Fünfliber (CHF 5) pro Person jeglichen Alters Mehr dazu: www.creaviva-zpk.org/ fuenfliber-werkstatt
Kunst und Kuchen
creaTiV!
Schenken Sie sich oder Ihren Lieben eine bleibende Erinnerung an einen besonderen Tag. Feiern Sie kreativ und auf inspirierende Weise Geburtstage, Familienfeste und Jubiläen aller Art. Sie gestalten zusammen mit Freundinnen und Freunden Ihr unverwechselbares, persönliches Souvenir, und das Creaviva sorgt für Kunst und Kuchen. Wir haben viele Ideen bereit, lassen uns aber gerne auf persönliche Wünsche ein.
Interesse an Kunst, Animation, Video und Web? creaTiV! ist die Creaviva-Plattform für Jugendliche zwischen 13–18 Jahren, die ihre Ideen in animierte Bilder übersetzen wollen. Animationstechniken und Ansätze aus der Kunst bilden die Ausgangslage, um bekannte Sendeformate zu hinterfragen und in kreativer Weise weiter zu entwickeln. Mehr Infos dazu im Web oder per Mail. Wann? Ab Frühjahr 2011
Wann? Di bis So, 9–17 Uhr, Sonderzeiten auf Anfrage möglich
Für wen? Jugendliche zwischen 13–18 Jahren
Für wen? Wer zu feiern oder zu jubilieren hat
Das Kinderforum
Preis? Ab CHF 300 für Kinder, ab CHF 600 für Erwachsene jeweils inkl. Kuchen & Eintritte in die Ausstellung
Am Samstagvormittag treffen sich an Kunst interessierte Modi u Giele im CreavivaAtelier, um ihren gestalterischen Interessen freien Lauf zu lassen. Begleitet von erfahrenen Kunstvermittlerinnen erkunden die Kinder wilde Farben und brave Formen mit unterschiedlichen Gestaltungstechniken, um zeitgenössische Kunst aus dem eigenem Blickwinkel zu ent decken.
Mehr dazu: www.creaviva-zpk.org/feiern
Wann? Jeden Sa von 9.30–12 Uhr Für wen? Für Kinder von 6–12 Jahren
Interessiert? Melde Dich per Mail bei miriam.loertscher@zpk.org Mehr dazu: www.creaviva-zpk.org/creaTiV
Und ausserdem: MiniMuseum Scapa Ein einzigartiges Museum zu Ehren von Ted Scapas Leidenschaft, Humor und Kreativität im Loft des Kindermuseum Creaviva. Mehr dazu: www.creaviva-zpk.org/scapa
Kunst und Musik Durch die Verbindung von Klängen und Rhythmen, Farben und Bildern, Tanz und Bewegung können Kinder von 4 bis 10 Jahren Kunst und Musik sinnlich erleben. Mehr dazu: www.creaviva-zpk.org/musik
Spiralweg
Preis? CHF 150 für 6 Eintritte
Mit der interaktiven Entdeckungsmappe kann das Phänomen «Spirale» draussen rund ums Zentrum Paul Klee auf eigene Faust erkundet werden.
Mehr dazu: www.creaviva-zpk.org/kinderforum
Mehr dazu: www.creaviva-zpk.org/spiralweg 5
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Interaktive Führungen
Saper vedere – Sehen lernen
Eine interaktive Führung bietet Gruppen jeglichen Alters einen individuellen Zugang zur Bildbetrachtung. Im Gespräch und durch die gestalterische Auseinandersetzung lernen die Besucher und Besucherinnen die Kunst von Paul Klee auf spielerische und kreative Weise kennen. Je nach Interesse können mögliche Schwerpunkte der eineinhalbstündigen Führung im Voraus besprochen werden.
Die Begegnung mit dem Werk von Paul Klee und dem imposanten Bau von Renzo Piano zeigen: Beide Künstler sind von architektonischen Fragen fasziniert. Klee und Piano bilden den einzigartigen Rahmen, um sich im Creaviva über Grundfragen zu Raum, Licht, Farbe und Gestalt zu unterhalten. Im Zentrum steht dabei, zu entscheidenden Aspekten der Architektur in den Werkstätten praktisch-sinnliche Erfahrungen zu machen und neue Einsichten zu erlangen. Geleitet werden die Workshops zu Raum und Gestalt von Fachpersonen aus Architektur und Kunstvermittlung.
Wann? Di bis So, 10–17 Uhr, auf Voranmeldung Für Wen? Gruppen jeden Alters Preis? Für Schulklassen bis 18 Personen CHF 200 inkl. Eintritt in die Ausstellungen Für Erwachsene bis 18 Personen CHF 280 exkl. Eintritt in die Ausstellungen Mehr dazu: www.creaviva-zpk.org/fuehrung
Im Bild sein Eine Einführung für Lehrpersonen verbindet die Bildbetrachtung mit der eigenen Erfahrung im Atelier: Das massgeschneiderte Creaviva-Angebot für Unterrichtende und kunstinteressierte Personen umfasst die Vermittlung von kulturgeschichtlichen Zusammenhängen, den konkreten Bezug zu gestalterischen Grundfragen von Paul Klee und die persönliche Arbeit mit unterschiedlichen Materialien und Maltechniken im Atelier. Wann? Eine Woche nach Eröffnung einer Ausstellung und auf Anfrage Für wen? Mind. 6 Lehrpersonen Sek. I und II sowie Erwachsene ab 18 Jahren; mit Voranmeldung Preis? CHF 20 / Person, inkl. Eintritt und Dossier Mehr dazu: www.creaviva-zpk.org/schulen
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Wann? Di bis So, 9–17 Uhr, Sonderzeiten auf Anfrage möglich. Voranmeldung gerne bis 4 Wochen vor dem gewünschten Termin. Für wen? Klassen der Mittelstufe, Sek I und II, Lehrpersonen und Erwachsene Preis? Je nach Angebot Mehr dazu: www.creaviva-zpk.org/architektur
Die Ku n s t d e s Klee ohne Barrieren
Kunst Unternehmen Die gemeinsame Fertigung eines Kunstwerks fördert die Vorstellungskraft und Kommunikation im Team und bewirkt einen besonderen, emotionalen Erinnerungswert. Wo Menschen zusammenarbeiten und unterschiedliche Anliegen, Interessen und Charaktere aufeinander treffen, entsteht eine Dynamik, welche Prozesse und Entwicklungen fördern oder hemmen kann. Mit massgeschneiderten Angeboten vor dem Hintergrund individueller Erwartungen und Anliegen bietet sich für Unternehmen eine ideale Möglichkeit, sich kreativ mit der Kunst des Miteinanders zu beschäftigen. Wann? Di bis So, 9–17 Uhr, Sonderzeiten auf Anfrage möglich. Voranmeldung gerne bis 4 Wochen vor dem gewünschten Termin. Für wen? Geschäfts- und Konzernleitungen, Kader aus Wirtschaft und Verwaltung
Begleitet von einem Fachbeirat entwickelte das Creaviva Werkstätten für Menschen mit und ohne Behinderung. Die kreativen Workshops im Atelier werden mit einer Führung in den Ausstellungen kombiniert und eignen sich für Gruppen jeglichen Alters. Die Stiftung «Denk an mich», die MBF Foundation Triesen, das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen EBGB und die Stiftung für das behinderte Kind unterstützen das Projekt massgeblich und ermöglichen bei Bedarf eine Preisreduktion und die Unterstützung bei Transport- und Betreuungsengpässen. Wann? Di bis So, jeweils 9–17 Uhr, Sonderzeiten auf Anfrage möglich Für wen? Für Gruppen jeglichen Alters auf Voranmeldung Preis? Kinder und Jugendliche bis 20 Jahre: CHF 250–500 Erwachsene: ab CHF 550 Mehr dazu: www.creaviva-zpk.org/barrierefrei
In Bildern denken In Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen (Senioren-Universität Bern, Volkshochschule Bern, Lernwerk Bern») ermöglicht das Creaviva thematische Kurse für Erwachsene als sinnliches und intellektuelles Vergnügen. Ausgewählte Themen zu Kunst und Kultur rund um Paul Klee laden ein zu Gedankenspielen in der Ausstellung und verführen zur Gestaltungslust im Atelier. Wann? Diverse Daten für Kurse, Veranstaltungen und Kulturreisen Für wen? Erwachsene und Lehrpersonen
Preis? Auf Anfrage gemäss detaillierter Offerte
Preis? Je nach Angebot und Kombination
Mehr dazu und Referenzen: www.creaviva-zpk.org/unternehmen
Mehr dazu: www.creaviva-zpk.org/erwachsene 7
Weiss
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eiss. Eine Farbe. Oder doch nicht? Unbunt, nicht so, wie die andern. Eine unbunte Farbe. Wie Schwarz und alle Arten von Grau es auch sind. Aber ist das denn nicht ein Widerspruch? Liegt es nicht in der Natur einer Farbe, bunt zu sein? Wie Blau, Orange, Pink? Die Wissenschaft, welche diese Fragen untersucht, heisst Farbwissenschaft. Sie kann zeigen, dass Weiss trotz seines unbunten Wesens eine Farbe ist. Nun, wir merken, Weiss ist sehr schwer zu beschreiben. Wie würdest Du es versuchen?
Ganz schön knifflig, was? Weisses Licht ist eine Mischung aus blauem, rotem und grünem Licht, welches gleichzeitig auf Dein Auge trifft. Wenn Du aber genau diese Farben aus den Farbtuben drückst und mischst, erhältst Du Grau, Braun oder Schwarz. Weiss bleibt lediglich das unbemalte Blatt Papier. Aber jetzt haben wir uns schon wieder in der Wissenschaft verrannt. Eigentlich sollte Weiss doch noch anders umschrieben werden können, ohne auf Farbtheorien zurückgreifen zu müssen. Versuchen wir es einmal anders. Wir könnten beim Beschreiben von Weiss dort anfangen, wo uns diese schwer zu fassende, unbunte Farbe im Alltag begegnet: Weiss schmeckt wie Schnee, der frisch vom Himmel fällt; es ist wie die Milch, die sich schäumend ins Glas ergiesst. Weiss ist leicht wie Mehl, das beim Backen auf den Küchenboden fällt; es knittert wie Papier, bevor Du den Stift ansetzt; es blendet wie das Tageslicht, in das Du verschlafen blinzelst. Weiss ist leise wie die Wolken, die sich an einem schönen Sommertag am Horizont himmelhoch türmen. In diesem Heft kannst Du allerhand Varianten von Weiss entdecken. Weiss gibt es zum Lesen, zum Gestalten, zum Rätseln, ja sogar zum Hören gibt es Weiss. Also weite die Augen und spitze die Ohren: Wir nehmen Dich mit auf eine Entdeckungsreise, bei der das Fehlen von Farbe so viele Tore öffnet wie nie zuvor. Anna Schlaginhaufen Klee im Tagebuch 1910, [Paul Klee, Tagebücher 1898-1918, hg. v. der Paul-Klee-Stiftung, Kunstmuseum Bern, bearbeitet von Wolfgang Kersten, Stuttgart 1988 Nr. 871, S. 298]
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Dr Farbstift Paul Klee, Zeichen auf Felsen, 1938, 271, Kreide auf Papier auf Karton, 27 x 21,5 cm, Zentrum Paul Klee, Bern
E Farbstift het’s mal einisch gäh, wo geng isch einsam gsi. Im Etui göh all Farbe schnäll u stumm a ihm verbi. Är wär ja ansich scho ne nätte, we sie ne mal wahrgnoh hätte. Aber är isch bleich u wiss wie Schnee. Uf wisse Blätter het me ne nid gseh.
Vom Etui übre Tisch und über Stühel zum Blätter-Schaft, macht är das grosse Kaschte-Türi uf mit aller Kraft. Da flügt ihm grad das Blatt entgäge, das wo truurig dört isch gläge und rüeft ihm im Flug: «Häb tuusig Dank! Vil zlang bin ig scho gfange i däm Schrank!»
U wo am andre Morge alli Farbe si erwacht, gseh sie das schöne Kunstwärk wo die Zwöi ir Nacht hei gmacht. Und alli wärde ganz verläge und me ghört sie lislig säge: «Wäre mir doch numen o so wiss! Dass mir ke Schnee chöi male isch doch fies!»
Ig wet doch schöni Bilder mache wie di Andren o. Warum het mi bis itz no niemer us em Etui gnoh? Bi gfange u wart uf mi Retter, aber uf so wisse Blätter isch halt mit mir Zeichne zimlich schwär. Ach wenni doch chli farbefroher wär!
Das Blatt isch schwarz wie d Nacht u druf si d Farbe unsichtbar. Drum het o no ke Farbstift drufe zeichnet isch ja klar. Die Stifte wetzen ihri Spitze nur we me die schöni Skizze o no cha bestune hindedri, drum isch das schwarze Blatt geng einsam gsi.
Da hüpft dr wissi Stift zrügg über d Stühel u ufe Tisch. U seit de andre Farbe, dass e jedi wichtig isch: «Ja, ds Rot muess roti Rose Male, ds Gälb die gälbe Sunnestrahle, ds Gras isch grüen u d Strasse si chli grau. Für ds Meer u für e Himmel nimmt me ds Blau.»
U einisch i dr Nacht wo alli Farbe gschlafe hei, isch är no wach im Etui gläge still u ganz allei. U während uf ihm d Sorge laschte het är us em Blätter-Kaschte näbedrann es lisligs Brüele ghört. Da steit är uf u luegt wär brüelet dört.
Da hüpft dr wissi Stift zum schwarze Blatt u seit: «Mir tüe üs zäme u mir Zeichne u mir gäben üs vil Mühe. Was haltisch du vo zouberhafte, wunderschöne Schneelandschafte, wo dr wissi Mond ir Dunkelheit am nächtlich schwarze Stärnehimmel steit?»
U lue itz male sie es Bild mit Farb u Schwarz u Wiss. U jede malet wunderschön uf sini Art u Wiis. U lue itz male sie es Bild mit Farb u Schwarz u Wiss u jede malet wunderschön uf sini Art u Wiis.
Den Ton zum Lied findest du auf unserer Webseite: www.creaviva-zpk.org/creaviva-journal
Mischa Wyss ist ein Vertreter der neuen Mundart-Chanson-Generation. Er will die Tradition weiterführen und wieder aufleben lassen. In guter alter Manier, mit neuen Ideen.
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Ein Gespräch mit
Patrizia Zeppetella Myriam Weber und
(Gemälderestauratorin)
(Papierrestauratorin)
berichten über ihre Arbeit im Zentrum Paul Klee und über Klees Gebrauch der Farbe Weiss. Text: Anna Schlaginhaufen
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ir kümmern uns um die Konservierung der rund 4‘000 Werke von Paul Klee in unserem Haus. Der sorgfältige Umgang mit den Bildern ist die wichtigste Konservierungsmassnahme. Dabei übernehmen wir oft die Rolle der «Anwältinnen der Werke»: Wir empfehlen, ob, wie und unter welchen Umständen ein Werk ausgestellt, ausgeliehen oder in irgendeiner Weise manipuliert werden darf. Den Schluss entscheid fällen dann aber die Verantwortlichen der Museumsleitung. Paul Klee hat die Farbe Weiss in seinen Werken auf die verschiedensten Arten erzeugt. Ein wichtiger Aspekt dabei ist sicher das unbearbeitete Papierweiss, welches ausgespart und daher sichtbar bleibt, durchscheint oder gar der Träger einer linearen Zeichnung ist. Weiss hat bei Klee auch als Grundierung eine wichtige Funktion und Wirkung. In vielen Werken wurde zudem ganz einfach weisse Farbe als Malmittel eingesetzt. Obwohl Weiss in Klees Werken im Vergleich zu anderen Künstlern nicht sehr oft vertreten ist, so hat er sich doch mit dessen Wirkung sehr bewusst auseinandergesetzt. Neben den Zufällen und Gewohnheiten, die Klees Arbeiten prägen, hat er sich viele Gedanken zur Anwendung von Farben und Techniken gemacht. Je nach Wirkung, die er erzielen wollte, bediente er sich weisser Grundierungen, weisser Zwischenschichten – halbtransparent oder lichtundurchlässig – weisser Punkte, weisser Träger, oder weisser Sekundärträger. Das Weiss des Papiers hängt von dessen Beschaffenheit und Qualität ab. Klee benutzte traditionelle Zeichenpapiere, aber auch Konzeptpapier (Entwurfpapier) und Briefpapier sowie Zeitungs- und Packpapier. Durch Lichteinstrahlung und natürliche Alterung vergilbt Pa-
pier, insbesondere wenn es holzhaltig und daher nicht von bester Qualität ist. Durch diese Vergilbung werden die Brillanz der Farben und teilweise sogar der Farbton selbst verändert. Die Cellulose-Kette wird gespalten, das Papier wird brüchig und weniger flexibel. Sonnenlicht erzeugt die grössten Schäden. Aber auch Kunstlicht verändert das Papier, wie letztendlich jede Art sichtbaren Lichts. Den Vergilbungsprozess kann man nicht rückgängig machen. Durch Konservierung kann man ihn jedoch verlangsamen. Es ist wichtig, dass die Verhältnisse in der Ausstellung und im Depot, wo die Werke gelagert werden, stabil sind. Auch Schwankungen in der Luftfeuchtigkeit und der Temperatur schaden dem Papier und den anderen Materialien. Klee hat viel auf Zeitung gemalt, welche natürlich besonders anfällig ist. Zum Glück sind viele dieser Werke schon lange im stabilen Museumsklima konserviert. Die konservierungstechnischen Schwierigkeiten mit weissen Grundierungen aus Gips oder Kreide hängen vom Untergrundmaterial ab: Leinwand verhält sich anders als Gaze auf Holz. Durch die Bewegung des Holzes fallen die Gipspartikel wie Würfelchen aus der Gaze heraus. Gips auf Papier jedoch, eine Technik, die Klee häufig angewendet hat, verhält sich ein bisschen wie eine «Eierschale», welche leicht vom Untergrund absplittert. Eine weisse Fläche kann auch für den erfahrenen Künstler bedrohlich wirken. Vielleicht war das auch bei Klee der Fall. Jedenfalls kann man beobachten, dass die Rückseite seiner Gemälde oder Papiere oftmals bearbeitet ist. Eine bemalte Rückseite kann das Weiss des Papiers brechen, welches auf diese Weise einen zarten Farbton erhält. Manchmal hat er unvollendete Werke umgedreht und wiederverwendet. Oder er hat die Rückseite absichtlich grosszügig bemalt. Diese durchschimmernden Strukturen – Farbflächen oder Linien – haben Klees Schaffen wohl angeregt, wenn er sie in seine Bilder integrierte. So konnte er neue Farbtöne entwickeln, die durch Mischen gar nicht möglich sind. Dieses Spiel muss ihn sehr gereizt haben.
In seinen Gemälden hat sich Klee ausnehmend viel mit Schichtenmalerei und Lasuren auseinandergesetzt. Anstatt Weiss mit anderen Farben auf der Palette zu mischen, hat er Ausschnitte seiner Bilder inmitten des Arbeitsprozesses mit einer lasierenden oder deckenden Zwischenschicht weiss übermalt. In manchen Fällen liegen gar mehrere solcher Schichten übereinander. Methodisch hat er das Spiel mit Weiss bei Hinter glasbildern angewandt, bei denen er in die weisse Grundierung ritzte und diese dann von hinten bemalte. So scheinen farbige Linien oder schraffierte Flächen durch die weisse Oberfläche hindurch. Die weisse Farbe wird also entfernt, um den Hintergrund hervortreten zu lassen. Für Paul Klee war das jungfräuliche Weiss des Papiers nicht das Wichtigste. Viele Zeichnungen befinden sich auf Konzeptpapier, das teilweise gut erhalten ist. Einige Blätter aber sehen sehr gebraucht aus. Klee verwendete alles als Malgrund: Vom benutzten Packpapier bis hin zu fleckigen, zerknitterten Blättern. Dies hat ihn scheinbar nicht abgeschreckt. Im Gegenteil, die Schäden am Papier haben ihn eher inspiriert. Die Oberflächenstruktur verlieh dem Papier eine lebendige Tonalität. Durch die Punktklebung, eine seiner Techniken des Aufklebens von Papier auf einen Sekundärträger, konnten die Falten und Rümpfe beibehalten werden. Das war ganz im Sinne Klees, denn so kann sich das Licht an der weissen, knittrigen Oberfläche brechen. In früheren Jahren hatte Klee sogar eine Phase, in welcher er saubere Blätter mit einer stark verdünnten, bräunlich-grauen Aquarellschicht übermalte, um so dem Weiss des Papiers eine Schmutzschicht zu verpassen. Kategorisieren lässt sich Klee nicht. Denn in seiner Vielfalt und in seinem unermüdlichen Experimentieren konnte er alles: Aus einem weissen, sauberen Blatt Papier holte er etwas Kraftvolles heraus. Dreckige oder strukturierte Oberflächen integrierte er verspielt in seine Arbeiten. Und in Gemälden setzte er dank dem Schichtenprinzip lokal Akzente. Die verschiedenen Grundierungen und Maltechniken, die Klee angewendet hatte, gaben ihm Impulse, Neues zu schaffen.
Paul Klee, Flächen im Atelier, 1931, 40, Feder und Aquarell auf Papier auf Karton, 39/39,5 x 51/52,3 cm, Zentrum Paul Klee, Bern
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ZEIGE WEISS! Andreas Jahn Andreas Jahn ist Kunstvermittler im Zentrum Paul Klee, Bern, und im Museum Franz Gertsch, Burgdorf. Ausserdem begleitet er als Kulturreiseführer an ausgewählte Orte.
Paul Klee,Voranzeige, 1932, 55, Aquarell auf Papier, 63 x 47,8 cm, Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Livia Klee
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eiss ist, so viel zur Herkunft und Geschichte des Wortes, die Bezeichnung für den leuchtenden, hellen, dem Licht des anbrechenden Tages vergleichbaren Farbton. Darum ist Weiss eine glänzend vielschichtige Erscheinung. Wenn es tagt, kommt das einem Erwachen gleich. Wem das Licht aufgeht, dem ist etwas bewusst geworden. Ein Zuviel an Weiss wird gleissend, und was bleibt, ist nur Ahnung. Oder man bleibt geblendet und kann sich alles einbilden. Wer das Weisse sieht, nimmt zur Kenntnis, dass Weiss auch mehr sein kann als nur weiss, blass oder leer. Es handelt sich um eine Farbe, die man auch Nicht-Farbe nennt, weil sie unbunt erscheint. Wenn sich das Sonnenlicht bricht, erkennen wir, dass in diesem weissen Licht alle Farben vorhanden sind. Aber niemanden erstaunt es, wenn die Milch im Kaffee die schwarze Brühe aufhellt, nicht aber der Zucker darin. Also verursacht Weiss einmal alles und dann wieder nichts, eben weil es unterschiedlich bemerkenswerte Eigenschaften hat. Viele denken Weiss als Gegensatz zu Schwarz. Aber nicht allen bedeutet es nur Frieden und Heiterkeit. Weiss sind die Zähne im lachenden Mund ebenso wie die Knochen unter der Haut. Unter dem Schnee keimen bereits das Grasgrün und Blüten in Rot und Blau und Gelb. Für die weisse Haut im Sommer schämt man sich zuweilen. Die weisse Haut hat andere Rassen diskriminiert. Weiss kann bedenklich, nichtssagend und verheissungsvoll zugleich sein. Es ist überall und nirgends. Im Zug der Wolken, im Schaum von Wellen, in pulverisiertem Mineral, gebrochenen Eierschalen oder welkenden Blüten. Weisses Rauschen soll entstehen, wenn alles gleichzeitig ausgesprochen wird. Dem Weiss sind wir ausgeliefert, aber gerade damit weiss man sich zu schützen. Man streicht die Mauern weiss, damit die Hitze fernbleibt. Man bedeckt mit Kalk Kadaver, damit sich keine Seuchen verbreiten. Man grundiert eine Leinwand weiss oder nimmt ein weisses Blatt Papier, damit man von vorne beginnen kann. Paul Klee hat selten mit reinem Weiss begonnen. Das muss ihn irgendwie erschreckt haben. Weiss schätzt er nur an Materialien, die es mit Weiss aufnehmen können: Baumwolle zum Beispiel oder Gaze, deren Fasernetz eben schon ein Muster zeichnet. Hierauf möchte Klee experimentieren. Hat er dennoch ein weisses Blatt, so rhythmisiert er es mittels Knit-
tern oder Rissen. Oder er schmiert es mit lasierenden Farben ein, um mit solchen Flecken jene «Poesie des Schmutzes» zu beschwören, wie sie schon Leonardo da Vinci oder Marcel Duchamp angestimmt hatten, als sie das Zerbröseln eines Mauerverputzes oder den Feuchtbeschlag eines Fensters als anregend genug empfanden. In seiner VORANZEIGE 1932, 55 hat Paul Klee das reine Weiss stellenweise belassen. Unangetastet verströmt es so seine Wirkung. Es kommt die helle Naturfarbe des Papiers als blosse Leerstelle zum Vorschein. Dieses Negativ hinsichtlich dessen, wo der Künstler niemals gewesen ist, wird vom roten Umriss geradezu noch hervorgehoben. Verbotstafeln ähnlich mahnen uns die weissen Stellen. Betreten steht man vor solchen Schnipseln. Hinreissend bleibt der Umstand, dass uns solch Nichtiges ergreift. Es ist das blinde Flecken behauptende Weiss, das uns enttäuscht, und nicht etwa die Hellgrauzone des Bildes, woraus sich ein Gesicht hervortut. Weisse Flecken, als wären es Löcher, unbebaute Erde, unentdecktes Gebiet, Landkarte, Wüste. Als wäre über dem Kopf ein Sack, Topf, Gefäss. Ein Gedankengefäss. Ein Porträt des Sehvermögens könnte es sein, der Versuch, sie zu entdecken, die Anzeige, die Voranzeige. Wir schauen hin und wagen zu weissagen, weil dieses Gesicht zur Vision wird und die Kraft zur Einbildung verkörpert. Ein Kopf wird zum Schmelztiegel von Möglichkeiten. Seine Fratze schmunzelt aus zahlreichen Fetzen. Sturmgeister kichern Hintergedanken, weil es Schnittblumen mit Eisschollen treiben. Wer Wolken pumpt, weiss wovon die Rede ist, denn «sie ahmen den zungenschlag und das zungenzucken der wolkenpumpe nach», wie Hans Arp, ein Zeitgenosse Klees, in einem Gedicht feststellt. Jetzt kann man schaurig Lustiges mitlesen. Figuren der Auslassung nämlich, der Teilung, Drehung, Wiederholung. Rhetorische Figuren also und sezierendes, zierendes Artikulieren. Lauter Laute halt. Wer Ohren hat, gehorche Klees Strophen neuer Möglichkeiten: «Degen und Rach / dem Regen ein Dach / Stirm und Schurm / ein Schirm im Sturm // Schurm und Stirm / Rach und Degen / ein Dach im Regen / im Sturm ein Schirm.» Alles klar? Seien wir mutig uns einzugestehen, dass wir manches verstanden, aber nichts begriffen haben. Voran, man zeige weiss wer was auch immer.
an dieser Stelle
Lassen wir Paul Klee selbst zu Worte kommen.
Paul Klee äusserte sich in seinen Schriften höchst selten zur Art und Weise, wie er selbst das Weiss in seinen Arbeiten einsetzte. Als Klee die Hinterglasmalerei für sich entdeckte, machte er eine Ausnahme:
«Als Übergang zu einer mehr malerischen Auffassung kratze ich mit der Nadel in eine geschwärzte Glasscheibe. Eine Spielerei auf einem Porzellanteller brachte mich darauf. Das Mittel ist also nicht mehr der schwarze Strich, sondern der weisse. Die helle Energie auf nächtlichem Grund entspricht sehr schön dem Wort ‹es werde Licht›. So gleite ich sachte hinüber in die neue Welt der Tonalitäten». Klee im Tagebuch 1905 [Paul Klee, Tagebücher 1898-1918, hg. v. der Paul-Klee-Stiftung, Kunstmuseum Bern, bearbeitet von Wolfgang Kersten, Stuttgart 1988, Nr. 632, S. 211]
Paul Klee, m Vater, 1906, 23, Hinterglasmalerei, 31,8 x 29,3 cm, Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Livia Klee
««Ich I c h glaube, g l a u b e , ddass a s s nnun u n f für ü r mmich i c h wwieder ieder e i n e Zeit Z e i t neuer neuer P roduktionsfähigkeit eine Produktionsfähigkeit b eginnt, w e i l iich c h eein i n der d e r LLithographie ithographie beginnt, weil u n d üüberhaupt b e r h a u p t d den e n H Hochdrucken o c h d r u c k e n e n tentund ssprechendes p r e c h e n d e s V eVerfahren r f a h r e n g e fgefunden u n d e n h a b habe, e, d as m i r zur z u r vvorläufigen o r l ä u f i g e n O Orientierung rientierung das mir ü b e r ddie ie A u s d r u c k s f ä h i g k e i t d edesselben sselben über Ausdrucksfähigkeit d i e n t uund n d vviel i e l FFreude r e u d e mmacht, a c h t , wweil e i l i cich h mmir ir dient vviel i e l davon d a v o n vverspreche, e r s p r e c h e , v viel i e l mmehr e h r a lals s v ovon n d e r RRadierung a d i e r u n g ( (das d a s VVersprechen e r s p r e c h e n w i wird rd der vvielleicht i e l l e i c h t nnicht i c h t g gehalten). e h a l t e n ) . D Das a s P Prinzip rinzip iist s t folgendes: f o l g e n d e s : e es s g gilt i l t n nicht i c h t s cschwarz h w a r z a u auf f w e i s s zzu u aarbeiten, r b e i t e n , wwie i e ffrüher, r ü h e r , s osondern ndern weiss w e i s s aauf u f sschwarz, c h w a r z , d das a s h eheisst i s s t d adas s M iMittel ttel weiss iist s t nicht n i c h t mehr m e h r die d i e schwarze s c h w a r z e Linie, L i n i e ,sondern sondern d i e weisse w e i s s e LLinie i n i e (und ( u n d Fläche), F l ä c h e ) , statt s t a t t eines eines die w e i s s e n wwird i r d e ein i n sschwarzer c h w a r z e r G rGrund u n d a n anweissen ggewendet. e w e n d e t . EEs s i ist st m it W e i s s zzu u arbeiten arbeiten mit Weiss vviel i e l leichter, l e i c h t e r , wweil e i l ddie i e NNatur a t u r a auch u c h mmit it W e i s s aarbeitet, r b e i t e t , nnämlich ä m l i c h mmit i t i ihrem h r e m LLicht. icht. Weiss O h n e Licht L i c h t kein k e i n Eindruck E i n d r u c k iim m Auge, A u g e , also also Ohne aauch u c h kkeine e i n e BBilder. i l d e r . DDas a s DDunkle u n k l e a aber ber b l e i b t üübrig, b r i g , dda a w o ddas a s LLicht i c h t nnicht i c h t hhininbleibt wo k o m m t : Dunkelheiten D u n k e l h e i t e n s sind i n d ÜÜberreste. berreste. kommt: W e n n nnun u n ddie i e RRadierung a d i e r u n g mmit i t sschwarz chwarz Wenn aarbeitet, r b e i t e t , sso o iist s t ddas a s eeigentlich i g e n t l i c h e ein i n d der er N a t u r zzuwiderhandelndes u w i d e r h a n d e l n d e s V e rVerfahren, fahren, Natur m a n ffängt ä n g t dda a aan, n , wwo o ddie i e NNatur a t u r aaufgehört ufgehört man h a t . Daher D a h e r die d i e ungeheuren u n g e h e u r e n S Schwierigchwierighat. k e i t e n , ddaher a h e r aauch u c h d der e r e ieigene g e n e R eReiz iz keiten, iim m Arbeiten A r b e i t e n mit m i t der d e r schwarzen s c h w a r z e n L Linie. i n i e . Ich Ihabe c h h aes b e so e s gemacht: s o g e m a c heine t : e i Glasscheibe ne Glasscheibe sschwarz c h w a r z b bestrichen e s t r i c h e n ( m(mit i t T uTusche), s c h e ) , d dann ann aauf u f eein i n weisses w e i s s e s BBlatt l a t t g gelegt e l e g t u nund d m imit t eeiner iner N a d e l ddie i e TTusche u s c h e wweggeritzt, eggeritzt, Nadel w o b e i ddas as w e i s s e BBlatt l a t t d durchzuscheinen urchzuscheinen wobei weisse b e g i n n t . SSo o habe h a b e iich c h alles a l l e s HHelle elle beginnt. h erausgeholt, un d d adas s D uDunkle n k l e i s tist ü bübrig rig herausgeholt, und ggeblieben. e b l i e b e n . IIch c h hhab's a b ’ s aauch u c h a auf u f e einem inem P o r z e l l a n t e l l e r p r oprobiert.» biert.» Porzellanteller Brief an Lily Klee, 10. Mai 1905 [Paul Klee, Briefe an die Familie 1893–1940, hrsg. v. Felix Klee, Köln 1979, S. 502]
13
Sind es Gedankenfetzen, die sich in diesem Kopf formen? Sprachlosigkeit, die sich im Hirn festsetzt? Was auch immer sie darstellen mögen, Du kannst den leeren Sprechblasen Inhalt geben:
Male sie aus, beschreibe oder beklebe sie. Welche der untenstehenden Formen passen ins Bild «Voranzeige, 1922, 55»? Die Lösung findest Du auf Seite 31.
14
Finde die 10 Unterschiede Wer hätte gedacht, dass sich in Abwesenheit von Farbe so viele Fehler einschleichen können.
Findest Du die 10 Unterschiede? Die Auflösung findest Du auf Seite 31.
Paul Klee, wichtig, 1938, 460, Feder auf Papier auf Karton, 20,8 x 29,8 cm, Zentrum Paul Klee, Bern
15
Trenne die Doppelseite aus dem Heft und klebe die angegebenen Materialien in die beschrifteten Felder. 16
Zahnpasta
Kaugummi
Reis
WC-Papier
Brotkr체mel
Taschentuch
Eierschale
Zucker
Popcorn
weisse Schokolade
Watte
G채nsebl체mchen
Zeitungspapier
Joghurtbecher
Waschmittel
Weissleim
Styropor
Backpulver
weisse Schminke
Ich weiss was
17
Die Antworten findest Du auf Seite 31.
Finde heraus, was auf den Fotos abgebildet ist.
Mache es wie Paul Klee, finde verschiedene Formen und Figuren im Marmor und zeichne sie nach. 18
Im Restaurant meines Onkels, des dicksten Mannes der Schweiz,
standen Tische mit geschliffenen Marmorplatten, auf deren Oberfläche ein Gewirr von Versteinerungsquerschnitten zu sehn war.
Aus diesem Labyrinth von Linien
konnte man menschliche Grotesken herausfinden und mit Bleistift festhalten. Darauf war ich versessen, mein «Hang zum Bizarren» dokumentierte sich. Eine Erinnerung Klees an seine Kindheit im Alter von 9 Jahren. Klee im Tagebuch 1910, [Paul Klee, Tagebücher 1898–1918, hg. v. der Paul-Klee-Stiftung, Kunstmuseum Bern, bearbeitet von Wolfgang Kersten, Stuttgart 1988 Nr. 27, S. 19] Beispiel
19
Paul Klee , zum weissen tor, 1931, 42, Ölfarbe und Feder auf Papier auf Karton, 61,5 x 47 cm, Privatbesitz, USA
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Francesco Micieli, 1956 in S.Sofia d’Epiro (Italien) geboren, seit 1965 in der Schweiz. Lebt in Bern als freier Schriftsteller und Dozent. Liebt die Zeichnungen von Klee. Guy Krneta ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er schreibt Theaterstücke und Spoken-Word-Texte, u.a. anderem für Kinder. Krneta ist Mitglied der Autorengruppe «Bern ist überall» und der Theaterformation «Matterhorn Produktionen». Auf Radio DRS 1 erzählt er regelmässig «Morgengeschichten». Selma Schlaginhaufen; Kunstdilettantin mit Hang zum Spott und der Bereitschaft, sich eines Besseren belehren zu lassen. Nebenamtliche Philosophin und Germanistin, angehende Gymnasiallehrerin.
Wie die Schreibenden auf der nächsten Seite zeigen, gibt es Grossmuttertore, Türe wo eim gschyder mache, schneeweisse Tore und Tore, die zum Streit anstiften. Wie sieht Dein eigenes Tor aus?
Konrad Tobler, geb. 1956, ist freier Autor und Kulturjournalist in Bern. Aktuelle Publikation: «Gebrochene Heimat», ein Buch über den Bauboom und über den Aussenseiterkünstler Werner Schwarz.
Francesco Micieli
Guy Krneta
Selma Schlaginhaufen
Konrad Tobler
Die Türe zum weissen Tor
Gschyds Hus
Disput
Was ist hinter dem weissen Tor?
A
uch ich hatte ein «weisses Tor» wie Paul Klee. Mein weisses Tor war die Türe zur Wohnung meiner Grossmutter. Als ich noch in Italien lebte, musste ich jeden Tag einen Mittagsschlaf machen. «Am Morgen ein Rührei und am Mittag deinen Schlaf!», sagte meine Grossmutter. Sie hatte immer Recht, meine Grossmutter. Sie hatte auch Recht, wenn sie mit sanfter Stimme erklärte, ich müsse am Morgen wie ein Kaiser, am Mittag wie ein König und am Abend wie ein Bettler essen. Nur dass wir zu jeder Stunde wie ein Bettler assen. Denn uns fehlte das Geld. Meine Grossmutter unterschied die Aussagen nach wirksam und nicht wirksam und nicht nach wahr oder unwahr, wie der Priester in der Kirche. Ich glaubte damals, das sei so, weil sie nur noch einen Zahn hatte. Sie hatte einen Zahn, aber der war weiss wie Schnee. Sie wollte keine «dritten Zähne», die man in der Nacht ins Wasser legen kann, damit sie weiss werden. «Ich hab einen, ich hab meinen», sang sie. Wenn sie mit ihrem Zahn lachte, war ich geblendet. Alles, was mit meiner Grossmutter zu tun hatte, war von diesem weissen Licht durchdrungen, auch das Erwachen nach dem Mittagsschlaf. Wenn meine Grossmutter die Türe öffnete, drang zuerst das Weiss ihres Zahnes in mein Herz und danach das ganze Weiss des Sonnenlichtes, das in der Gasse sich bündelte und an der Tür stehen blieb, um danach durch Grossmutter zu fliessen und mich glücklich zu blenden. So stand ich jeden Mittag glücklich vor meinem strahlend weissen Tor, das die Türe zur Wohnung meiner Grossmutter war.
E
s git Türe, wo eim, we me düre geit, gschydr mache. U es git Türe, wo eim, we me düre geit, tümmr mache. U we me wüsst, weli Türen eim gschydr machen u weli tümmr, würd me nume dür die Türe gah, wo eim gschydr mache. U dür die Türe, wo eim tümmr mache, gieng me gschydr nid. Me würd gschydr u gschydr, mit jedere Türe. U wüsst geng gnaur, dür weli Türe me mues gah, für gschydr z wärde. Me wüsst aus übr di Türe, wo eim gschydr mache. Me gieng vo Türe zu Türen u wüsst bi jedere Türe, dass die eim, we me düre geit, gschydr macht. U wüsst bi jedere Türe, wo me düre gangen isch, dass die eim widr gschydr gmacht het. O we me vilech nid viu drvo würd merke. Däsch dänk typisch für ds Gschydrwärde, würd me vilech dänke, dass me nid viu drvo merkt. Dass es nume di Angere merke. So dass si chönnte säge, we si eim gseh: «Isch das es gschyds Hus. U wird de no geng gschydr u gschydr mit jeder Türe.» So dass me müesst dänke: Wi isch de das bi den Angerne? Dene, wo dür die Türe göh, wo eim tümmr mache? Was merke die drvo? Merke die öpis? Odr merke die o nüt? U isch das typisch o für ds Tümmrwärde, dass me säubr nüt drvo merkt, nume di Angere? U sich chönnt frage, wi itz das wäär, we me säubr mau dürne Türe gieng, wo eim tümmr macht. Öb me da öpis würd merke, wüu me säubr so gschyd isch. Öb’s di Angere würde merke. Odr öb die sowiso würde dänke, me wärd geng gschydr, glych dür was fürne Türe me göng. So dass me plötz lech müesst dänke, dass me das mau müesst mache. Usprobiere, wi’s wäär, dürne Türe z gah, wo eim tümmr macht. Öb me da öpis merkt. U hingrhäär wäär me vilech gschydr.
D
as soll ein Tor sein?! Der Bauingenieur beginnt zu schwitzen, dem Statiker wird übel. Der Fussballer kann nicht anders, als es zu verfehlen. Und weiss ist es auch nicht, das weisse Tor – höchstens schmierig gelb, schmutzig braun. Aber weiss?! Um Himmels willen, nein! Man könnte sich jetzt stundenlang darüber enervieren, wieso ein Künstler sich erfrechen darf, ein Bild mit einer absurden, nicht zutreffenden Beschreibung zu untertiteln und dafür auch noch beklatscht wird. Wieso sich ein Künstler nicht wie alle anderen an gewisse normative, zwischenmenschliche Sprachregelungen halten muss, nur als Tor zu bezeichnen, was auch ein Tor ist – wenn jeder so nachlässig wäre im sprachlichen Gebrauch, stellen Sie sich das mal vor! Ja, wo wären wir dann? Wie soll man da noch verstehen, wovon der andere spricht? Sie können das jetzt pingelig finden, unkultiviert, verdorben. Aber verstehen Sie denn nicht: Wenn das jeder tun würde?! Aber wir sind ja schliesslich keine Kunstbanausen, wir sind differenzierter. Wir verstehen ja ganz genau, dass dieses Bild nicht wirklich ein Tor darstellen will. Es geht doch viel mehr um eine metaphorische, philosophische Darstellung eines … eines … Hindurchgehens im Sinne der postmodernen Menschwerdung. Und wir begreifen, dass «Weiss» nicht immer weiss sein muss, sondern auch mal ein transzendentales Braun, ein symbolisches Grau sein kann. Dass Tor-Sein kein abgegrenzter Begriff ist, sondern ein dehnbarer, geradezu wie das Mensch-Sein ja auch. Denn was ist der Mensch? Was ist ein Tor? Brauchen wir Antworten darauf, klare Grenzen? Geht es nicht viel mehr um ein innerliches Erfühlen des Dargestellten? Jawohl, der aufmerksame Betrachter saugt die Symbiose von «Tor» und «Weiss» geradezu auf – und überträgt sie auf das Leben an sich: ein kantisches A Priori, ein platonisches Gleichnis, ein diskurstheoretischer Schwenker. Das verstehen wir ja schon. Ist doch ganz klar.
E
r ging und ging und ging. Ein Ziel hatte er nicht unbedingt. Er ging einfach. Hie und da traf er jemanden, und sie wechselten ein paar Worte. Was genau sie redeten, konnte niemand hören. Vielleicht auch fragte er einfach nach dem Weg, wobei das unwahrscheinlich ist, weil er ja nicht unbedingt ein Ziel hatte. So ging er weiter. Es begann zu schneien. Die Welt war ganz weiss. Er stapfte durch den Schnee. «Weiss», murmelte er nach einer langen Zeit, «weiss ist nicht weiss. Ich weiss, dass weiss nicht weiss ist und dass ich sonst nichts weiss.» Nicht einmal den Weg kannte er ja, und ein Ziel hatte er auch nicht. So ging er weiter. Durch den Schnee. Durch das Weiss. Er werweisste, wie man dem und jenem Weiss denn sagen könnte, wenn Weiss doch nicht weiss ist. Nichtweiss? Er wusste es nicht. Er konnte auch niemanden fragen, denn seit langem ging und ging er allein. Seit langem hatte er niemanden mehr getroffen. Eines Tages sah er im Schneegestöber, dass sein Weg nicht mehr weiter ging, zurückgehen mochte und konnte er nicht. Der lange Weg hatte ihn geschwächt. Er war todmüde. Er setzte sich hin. Er sah ein weisses Tor. War das jenes weisse Tor, von dem all jene gesprochen hatten, mit denen er ein paar Worte gewechselt hatte, als er ging und ging? Dort sollte er also eintreten? Weshalb, das wusste er nicht. Der Weg hatte ihn einfach vor das weisse Tor geführt. Das muss, sagte er sich, das Ziel gewesen sein, von dem ich nichts wusste. Aber er sah auch, dass er nie ganz zum weissen Tor gelangen könnte. Das weisse Tor war riesig, sicher zwanzig Meter hoch. Wozu diente es? Wohin führte es? Vor dem weissen, geschlossenen Tor erhoben sich im Zickzack Mauern, nicht so hoch wie das Tor, aber immerhin so hoch, dass er sie kaum würde überklettern können. So blieb er vor dem weissen Tor, setzte sich hin und wartete, ob da doch noch jemand käme, der das weisse Tor öffnen könnte. Das Tor ist verschlossen wie das Bild. Oder das Bild von Paul Klee ist verschlossen wie das Tor. Das macht neugierig. Man möchte doch wissen, was hinter dem Tor ist. Vielleicht ist es nach all dem Schnee eine Frühlingswiese? Vielleicht führt das Tor nirgendwo hin? Manchmal kann man nicht alle Türen öffnen. Das wusste auch Klee. Am Ende seines Lebens stellte er sich eine einfache Frage: «Sollte alles gewusst sein?» Und er beantwortete sie gleich selber: «Ach, ich glaube nein.» 21
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Manchmal geben Künstler ihren Bildern Titel, um dem Betrachter auf die Sprünge zu helfen, wenn der Bildinhalt ratlos macht. Oder sie locken ihn mit Wörtern auf falsche Fährten, um die Aussagekraft des Bildes zu vertuschen. Klee hat sich lustige Wort-und-Bild-Spiele erlaubt.
Ordne die vorgegebenen Titel Klees Bildern zu und erfinde die zwei fehlenden Titel selbst. Klees Namengebung und die vollständigen Legenden findest Du auf Seite 31.
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Titel Titel Tit e l ssuchen, uc h en, Tit e l ffinden inden
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Gabelungen im Viertact
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Pflanzlich-physiognomisch
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Austritt
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auf einem Blatt zu lesen
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Ausdrucks-Leier
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Über den bedeutungsvollen Umgang mit einer (Nicht-)Farbe
WEISS TREIBT’S BUNT Paul Klee, Empfindender Künstler, 1919, 72, Ölpause auf Papier auf Karton, 26,1 x 17,9 cm, Zentrum Paul Klee, Bern
Der folgende Aufsatz beruht auf einer subjektiven Auswahl der sogenannten Top Ten aus dem kulturellen Schaffen hinsichtlich eines Umgangs mit Weiss. Andreas Jahn
W
er Weiss sieht, weiss nicht, was er sieht. Würde dieser Text mit einem leeren d.h. weissen Blatt beginnen, würde man sich fragen, was das soll. Schreibt man aber über Weiss, ist es nicht mehr vorhanden, das weisse Blatt meine ich. Es wird eingeschwärzt. Einem Grundstück ähnlich wird es behandelt und bedacht. Unheimlich erscheint es aus der Distanz betrachtet, nämlich grau, diffus, kontaminiert. Zweifellos kennen wir sie alle, diese Situation vor dem leeren Blatt. Das ist eine Lebensaufgabe. Weiss ist Anfang und Ende. Was machen wir bloss? Wie fangen wir an? Wo führt das hin? Zu Paul Klee zum Beispiel. Seine künstlerische Vielseitigkeit als Zeichner, Maler, Dichter und Musiker wendet das leere Blatt hin zu einer Zeichnung, einem Gemälde oder Text, Schauspiel, Partitur und dergleichen. Vielleicht sind die besten seiner Arbeiten gerade jene, die das alles umfassen. Klee macht deutlich, dass man nicht beim ersten Eindruck verweilen möge. Das leere Blatt ist voller Möglichkeiten. Das Weiss ist Offenheit. Weites Land. Topographischer Plan. Klees Beschreibung einer kleinen Reise ins Land der besseren Erkenntnis (in seiner «Schöpferischen Konfession» von 1920) wiederholt, was den Künstlern immer schon klar war. Gestaltung ist Abenteuer und Entdeckungsfahrt. Als EMPFINDENDER KÜNSTLER 1919, 72 (Zentrum Paul Klee, Bern) sitzt er genauso vor dem aufgeschlagenen Arbeitsheft, bereit zum erfindungsreichen Vorstoss in graphische Bezirke, wie es ein barockes Gemälde von Sebastian Strosskopf noch weit sinnfälliger widerspiegelt. Im STILLEVEN MET BOEKEN, 1625 (Collectie Museum Boijmans van Beuningen, Rotterdam) bilden zwei geschlossene Bücher das «Lesepult» für ein aufgeschlagenes Skizzenheft des Künstlers. Auf der linken Seite dieses Skizzenheftes ist ein Feldbauer gezeichnet mit Stock und Spaten, bereit, sein Land bestellend zu vermessen. Sein hiesiges «Land» bildet das gegenüberliegende, noch leere Blatt des Heftes. Es muss offenbleiben, wohin das führt. Ein Fragezeichen dahingehend bildet auch jene weisse Kerze, die neben den Büchern und dem Skizzenheft steht. Der Docht züngelt noch Rauchschwaden, als hätte man gerade die Flamme ausgeblasen. Ein Lichtblick ist verlöscht, aber die zündende Idee ist geboren. Der Feldbauer steht vor seinem noch zu bestellenden Land wie der Kinobesucher vor der noch nicht belichteten Leinwand. Aber ein Film läuft schon im Kopf ab, Erwartungen sind es und Vorstellungen. Diese Situation kennen wir alle. Einen Film auf Foto festgehalten hat Hiroshi Sugimoto. Im menschenleeren Kinosaal von BYRD THEATRE, RICHMOND, 1993 (Virginia Museum of Fine Arts, Richmond) hat er einen den Betrachtern unbekannten Spielfilm während seiner ganzen Spiellänge abgelichtet. Erstaunlich ist, dass man auf seinem Gelatine-Abzug nur noch eine hellstrahlende Leinwand im abgedunkelten Raum erkennt. Der Filmstreifen selbst löst sich zum puren Lichtspiel auf. Weil die realen Kinobesucher fehlen, läuft der Film tatsächlich nur in den Köpfen der Fotobetrachter ab. Dort allein findet eine Vorstellung statt. Die wirkliche Projektion einer sich abspulenden Filmrolle wird bloss als Stillstand wahrgenommen. Man sieht nur noch das «weisse Rauschen» der Momentaufnahme einer Gleichzeitigkeit des Nacheinanders. Diese Synchronisation aller Filmsequenzen übertragen sich zur puren Überfülle an Information. Der Spielfilm wird zu einer blendenden Überbelichtungsgeschichte. Sugimotos Photographie hat den Film eingefroren, da läuft nichts mehr bis auf die Einbildungskraft und Erwartungshaltung der Betrachtenden. Sugimoto hat das weisse Blatt oder die Leinwand in ein neues Licht gerückt. Hier wird es Endpunkt und Wiederholung zugleich, wo es doch gewöhnlich eben den Spielbeginn bedeutet. Die weisse Fläche ist beispielsweise die grundierende Schicht des Malers. Wenn nun jedoch das Weiss ein Auftrag ist, der nicht Auftrag ist (Grundierung), sondern Auftrag wird (Aufforderung), dann resultiert hieraus ein erweitertes Kunstverständnis. Dann ist etwas zu bewältigen, das sich jenseits von purer Einfärbung, Mischung oder Aufhellung verstehen lässt. Als Kasimir Malewitsch das WEISSE QUADRAT IN WEISS «SUPREMATISTISCHE KOMPOSITION», 1918 (The Museum of Modern Art, New York) als Antwort auf sein Schwarzes Quadrat von 1914 schuf, wurde ein radikal konservativer Aufbruch in die moderne Kunst vollzogen. Radikal ist er, weil durch den Verzicht auf ein Motiv die pure Gestaltung zur Anschauung zu kommen scheint. Konservativ bleibt er, weil das Weiss und das Schwarz immer noch im Umfeld des dualistischen Weltbildes ausgeführt sind. Beides versteht Gedanken zu übertragen. Also darf die Materie des Weiss (und des Schwarz) nicht malerischer Anstrich sein, sondern wird zur Suprematie konzeptualisiert. Weiss gibt die gegenstandslose Welt wieder, wie Malewitsch sagt, und beschränkt sich nicht nur auf die irdische. Immanenz und Transzendenz werden hier neu verhandelnd bewahrt. Das ist eben konservativ. Radikal ist nur, dass dieser Gedankenweg und Arbeitsschritt nicht eine Art mystische Erfahrung vorbildet, sondern eine völlig zweckfreie, unbunte, reine, plastische Empfindung bestimmt. Nach Malewitsch ist die Welt wesentlich gegenstandslos, weil nichts, das ist, für etwas anderes steht als für sich selbst. Aber niemand weiss so recht, was konkret jeweils vorhanden liegt. Selbst wenn man etwas zu kennen vermeint, ist es doch immer wieder anders oder zumindest variiert. Man kann sich nur Vorstellungen davon machen. Aber je freier die Vorstellung von Vorstellungen ist, desto wirklicher wird alles. Wirklichkeit ist, keine Ahnung zu haben. Trotzdem will niemand Unbekanntes ertragen. Es ist kaum realistisch, sich nichts vorstellen zu können. Also kann Weiss Suprematie werden. Wäre Weiss nur Weiss geblieben, befände man sich nach wie vor beim weissen Quadrat auf weissem Hintergrund vor der blanken Tafel oder der leeren Leinwand (tabula rasa). Wer das Weiss suprematisiert, hat auf seine Art bloss die Angst und das Zögern vor dem Noch-nichts-vorhanden-Sein (horror vacui) überwunden und einen ersten Schritt in neue, noch unbekannte Gedankenwelten (terra incognita) gemacht. Aber dieses Vorgehen kann niemals rein und unschuldig sein. Eine weisse Weste hat nicht der, welcher gar nichts unternimmt. Das wissen Künstler und Denker am besten. Darum dürfte sich auch Rodney Graham unter Mitwirkung von Ann Demeulemeester ein WHITE SHIRT (FOR MALLARMÉ), SPRING 1993, 1992 (Van Abbemuseum, Eindhoven) massgeschneidert und in eine mit schwarzem Japanpapier eingefasste und mit schwarzem Samt ausgestattete Schachtel verpackt haben. Mit geöffnetem Deckel wurde dieses «Machwerk» 1992 in einem Schaufenster von Barneys New York präsentiert. Hier lag es «zum freien Erwerb» für aufmerksame Passanten, die «vermögend» und «ausreichend» genug sind, das unter dem baumwollenen Hemd zart hervorschimmernde schwarze Geviert eines Drucksatzes zu erkennen. Es handelt sich um ein Prosagedicht von Stéphane Mallarmé aus dem Jahr 1874, Le Démon de l’Analogie (Unheimliche Analogie), worin der erste Satz eine Frage ist: «Erklangen deinen Lippen schon einmal unbekannte Worte, unwillkommene Fetzen eines absurden Satzes?» Der Text selber gibt ein Beispiel hierauf und versinnbildlicht des Autoren Idee, wonach das reine Werk das sprechende Wegtreten des Dichters impliziere, der die Initiative den Wörtern überlässt. Alles wird Schweben. Andeutung, Anspielung nur, und vorbei ist jeglicher Anspruch auf eine Klarheit der Dinge oder Unverrückbarkeit von Bezügen. Vielleicht hat Rodney Graham seine Arbeit Mallarmé deshalb gewidmet, um als Konzeptkünstler einzugestehen, dass auch die Kunst in einer Literatur wurzelt, die den eigenen Erzählfaden zerrissen hat. Was bleibt, ist reine Poesie. Ausschweifende Machart und vorbehaltloses Tun. Buntes Treiben treiben lassend. Ahnungsloses witternd. Zusammenhangslose Verbindung eingehend. Oder wie soll man das umschreiben, wovon man keinen Begriff haben kann? Nehmen wir Cy Twombly. Dieser Künstler scheint einfach nur zu kritzeln und zu klecksern. Fast alle seine Arbeiten bestehen aus mehreren weissen Farbschichten, wo pastose Ölfarbspuren und mit Kohlenstift entworfene Zeichen, Zahlen und Worte einander überlagern, so auch die POEMS OF THE SEA, 1959 (Dia Center for the Arts, New York) als einer Folge von 24 Blättern. Wer auf dieser See (the sea) kreuzt, hat Spuren zu entdecken (to see), und das erst macht das Gedicht aus. Hier werden lettristisch anmutende Formen und zufällig hingespritzte Flecken weniger hingeschrieben als vielmehr gemalt, angestrichen, überstrichen und durchkreuzt. Solche «Worte» werden selber zum Sujet und beschreiben die «Lautmalerei» tosender Meere. Twombly kontert einer minimalistischen Formel, wonach man sehe, was man sehe, und bleibt überzeugt, dass man nur sieht, was man weiss. Und wenn man nun weiss, dass all diese Farben und Formen unter dem Titel der «Seegedichte» erscheinen, dann «liest» man bereits mit. Und schon wird das Brodeln sich überlagernder Farbschichten und die Gischt durcheinanderwirbelnder Graphismen ein Zitat von Hesiods Sage um die Geburt von Aphrodite aus den schäumenden Wellen (gr. aphros) beispielsweise. Oder in all dem graphischen Gekritzel und malerischen Beflecken scheinen plötzlich Fragen aufzutauchen in der Art, wie sie Heinrich Heine in den Nordsee-Gedichten überliefert: ein junger Mann steht am Meer und befragt die Wellen nach dem Rätsel des Lebens, aber diese murmeln nur «ihr ewges Gemurmel, es wehet der Wind, es fliehen die Wolken, es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt, und ein Narr wartet auf Antwort.» Reine Ansichten verfolgt hingegen Robert Ryman unter Anwendung der weissen Farbe. In Arbeiten wie UNTITLED, 1957 oder ACCORD, 1985 (Hallen für neue Kunst, Schaffhausen) erscheint immer wieder Weiss. Weiss ist das Hauptmedium des Künstlers und wird nur zuweilen noch mit wenigen Farben untermischt. Sein Weiss malt Ryman auf den verschiedensten Materialien, auf Leinwand, Baumwolle, Jute, Papier, Karton, Holz, Plexiglas, Alu, Stahl. Alles wird in Betracht gezogen, worauf das Weiss wirken kann. Das Weiss selber verkörpert wiederum die Strukturen der Malweise Rymans. Sein Weiss gibt die Acryl- oder Ölfarbe in all ihren Facetten wieder und reflektiert sie förmlich. Hier wirkt keine Monochromie und schon gar keine Theorie. Ryman ist weder expressiv abstrakt noch radikal minimalistisch oder mystisch ergriffen, er ist schlicht und ergreifend konkret immanent. Eigener Aussage zufolge beschränkt er sich nicht auf das Weissmalen, sondern möchte das Licht untersuchen (lassen) sowohl im Bildraum selbst als auch im Raum, wo das Bild sich befindet. Ryman ist auch kein Romantiker, und trotzdem üben seine Pinselstriche und Spachtelzüge auf der Malunterlage eine ähnliche Faszination aus, wie es eine von Wolkentürmen geprägte und mit Nebelschwaden durchzogene Landschaft tut. Auch die Naturbetrachtung ist ein Kunststück. Wir stehen mittendrin und distanzieren uns zugleich. Plötzlich macht sich ein Gefühl des Erhabenen und Sublimen breit. Wir sind überwältigt. Ein Schauder erfasst uns angesichts solch malerischen Dunstes. Sprachlos stehen wir davor und finden dennoch Worte, dieses Gefühl zu beschreiben. Wir befinden uns plötzlich im Bambushain und Kiefernwald chinesisch-japanischer Tuschmalerei. Die KIEFERN, um 1570 (Nationalmuseum, Tokio) von Tohaku Hasegawa sind nur angedeutet, im Nebel ragen sie empor und verteilen sich auf sechs Paneelen einer Wand aus Schiebetüren, wie man sie ursprünglich in zenbuddhistischen Klöstern vorfand. Wurzeln sind auszumachen und Wipfel, weit ausladende Zweige, und trotzdem scheint sich alles aufzulösen. Hier wird malerisch festgehalten, was sich doch nur ephemer zeigt. Mit wenigen Pinselstrichen huscht ein Moment vorbei. Das Bild verfährt nach dem präzisen Schema eines Haiku, dessen drei Verse mit siebzehn Silben den Ausschnitt eines Erlebnisses widerspiegeln und es trotzdem nicht preisgeben. Es heisst, ein gutes Haiku sei nicht gemacht, sondern geworden, gewachsen und gestaltet aus dem Fast-Nichts einer flüchtigen Wahrnehmung. Es ist nur eine Möglichkeit herauszufinden, ob «es stimmt», klingt und verklingt wie der flüchtige Augenblick. Die Darstellung des Fast-Nichts ist nicht ohne. Nichts ist nicht einfach Nichtsein, sondern vielmehr das Abhandensein. Nichts ist Leere, Stille. Zeigendes Verschweigen und aufrichtiges Versagen, weil man eben doch nichts festhalten kann bei aller Bemühung darum. Eigentlich ist alles nichts. Ein griechisches Paradox. Ein japanisches Koân. Eine musikalische Fermate. Die wohl schönste Partitur solchen Innewerdens stammt von John Cage und heisst 4’33’’ OR ANY INSTRUMENT OR COMBINATION OF INSTRUMENTS, 1952 (© Editions Peters No. 6777), wo in drei Sätzen unterschiedlicher Dauer insgesamt vier Minuten und dreiunddreissig Sekunden lang «nichts» geschieht. Aber gerade darin liegt das Werk begründet. Nichts geschieht, und trotzdem passiert etwas Besonderes im Rahmen der festgelegten Zeit. Es wird nicht gelauscht, sondern hinzugehört. «Tacet» fordert Cage vor jedem Einsatz: «es schweigt» bedeutet Stillung und Befriedigung im musikalischen Nichtstun, damit alles andere zur Aufführung kommt. Historisch liess Cage den Pianisten David Tudor vor dem bereitgestellten Instrument verharren, die Hände tatenlos über die Tastatur haltend. Faktisch liesse sich aber jeder Gegenstand instrumentalisieren, den man dann aber doch nicht gebraucht im üblichen Sinne. Einerlei, wie man vorgeht, immer wird eine akustische Transparenz gelichtet, und dem Nichts ist Fülle zurückgegeben. Das Nichts und die Leere lässt sich auch optisch darstellen. Bruce Nauman hat mit A CAST OF THE SPACE UNDER MY CHAIR, 1965-68 (Kröller-Müller Museum, Otterlo) die Negativform seines ausgewählten Objektes wiedergegeben und ausgestellt. Dieser Körper erscheint so fremd, dass zunächst niemand an das Positiv denkt. Und wenn man den Titel nun kennt, so hat man Mühe, dieses wirklich zu sehen, wenn man eben dieses Objekt nicht vor sich hat. Denn normalerweise sieht man eben den Stuhl und nicht seine Leerstelle darunter, deren Äusseres man sich nur schwer vorzustellen vermag. Eine Verblüffung ähnlicher und doch ganz anderer Art ermöglicht Pierre Soulages, indem er mit schwarzer Farbe das grelle Weiss des Lichtes sichtbar macht. Ein Werk wie PEINTURE, 324 X 362 CM (POLYPTYCHON H), 1986 (Galerie de France, Paris) ist bei aller Schwärze des Anstrichs niemals einfach nur schwarz. Die schwarze Malfläche entsteht durch verschiedene Verfahren. Einmal wird gepinselt, dann gerakelt oder gespachtelt. Es entstehen Striche, Ränder, Rillen, Zonen. Wer sich vor einem solchen Bild hin und herbewegt, entdeckt in solchen Modulationen des Auftrags die Möglichkeit einer jeweils neuen Ansicht. Das Schwarz luminesziert. So entstehen Momente, in denen man das Schwarz gar nicht mehr sehen kann, weil es sich durch die Lichtbrechung ins Gegenteil verkehrt. Hell leuchtet Schwarz. – «Schwarz» sind bekanntlich auch die Textfelder dieser Seiten geworden als einer Behauptung über Weiss. Der Text, dieses schwarze Buchstabenfeld, ist zur «Bleiwüste» geworden. Aber wer sich damit auseinandergesetzt hat, dem leuchtet vielleicht auch ein, weshalb jede Form von Beschreibung und Bezeichnung letztlich doch nur die Inversion des weissen Papiers bedeutet.
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er Weiss sieht, weiss nicht, was er sieht. Würde dieser Text mit einem leeren d.h. weissen Blatt beginnen, würde man sich fragen, was das soll. Schreibt man aber über Weiss, ist es nicht mehr vorhanden, das weisse Blatt meine ich. Es wird eingeschwärzt. Einem Grundstück ähnlich wird es behandelt und bedacht. Unheimlich erscheint es aus der Distanz betrachtet, nämlich grau, diffus, kontaminiert. Zweifellos kennen wir sie alle, diese Situation vor dem leeren Blatt. Das ist eine Lebensaufgabe. Weiss ist Anfang und Ende. Was machen wir bloss? Wie fangen wir an? Wo führt das hin? Zu Paul Klee zum Beispiel. Seine künstlerische Vielseitigkeit als Zeichner, Maler, Dichter und Musiker wendet das leere Blatt hin zu einer Zeichnung, einem Gemälde oder Text, Schauspiel, Partitur und dergleichen. Vielleicht sind die besten seiner Arbeiten gerade jene, die das alles umfassen. Klee macht deutlich, dass man nicht beim ersten Eindruck verweilen möge. Das leere Blatt ist voller Möglichkeiten. Das Weiss ist Offenheit. Weites Land. Topographischer Plan. Klees Beschreibung einer kleinen Reise ins Land der besseren Erkenntnis (in seiner «Schöpferischen Konfession» von 1920) wiederholt, was den Künstlern immer schon klar war. Gestaltung ist Abenteuer und Entdeckungsfahrt. Als EMPFINDENDER KÜNSTLER 1919, 72 (Zentrum Paul Klee, Bern) sitzt er genauso vor dem aufgeschlagenen Arbeitsheft, bereit zum erfindungsreichen Vorstoss in graphische Bezirke, wie es ein barockes Gemälde von Sebastian Strosskopf noch weit sinnfälliger widerspiegelt. Im STILLEVEN MET BOEKEN, 1625 (Collectie Museum Boijmans van Beuningen, Rotterdam) bilden zwei geschlossene Bücher das «Lesepult» für ein aufgeschlagenes Skizzenheft des Künstlers. Auf der linken Seite dieses Skizzenheftes ist ein Feldbauer gezeichnet mit Stock und Spaten, bereit, sein Land bestellend zu vermessen. Sein hiesiges «Land» bildet das gegenüberliegende, noch leere Blatt des Heftes. Es muss offenbleiben, wohin das führt. Ein Fragezeichen dahingehend bildet auch jene weisse Kerze, die neben den Büchern und dem Skizzenheft steht. Der Docht züngelt noch Rauchschwaden, als hätte man gerade die Flamme ausgeblasen. Ein Lichtblick ist verlöscht, aber die zündende Idee ist geboren. Der Feldbauer steht vor seinem noch zu bestellenden Land wie der Kinobesucher vor der noch nicht belichteten Leinwand. Aber ein Film läuft schon im Kopf ab, Erwartungen sind es und Vorstellungen. Diese Situation kennen wir alle. Einen Film auf Foto festgehalten hat Hiroshi Sugimoto. Im menschenleeren Kinosaal von
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BYRD THEATRE, RICHMOND, 1993 (Virginia Museum of Fine Arts, Richmond) hat er einen den Betrachtern unbekannten Spielfilm während seiner ganzen Spiellänge abgelichtet. Erstaunlich ist, dass man auf seinem Gelatine-Abzug nur noch eine hellstrahlende Leinwand im abgedunkelten Raum erkennt. Der Filmstreifen selbst löst sich zum puren Lichtspiel auf. Weil die realen Kinobesucher fehlen, läuft der Film tatsächlich nur in den Köpfen der Fotobetrachter ab. Dort allein findet eine Vorstellung statt. Die wirkliche Projektion einer sich abspulenden Filmrolle wird bloss als Stillstand wahrgenommen. Man sieht nur noch das «weisse Rauschen» der Momentaufnahme einer Gleichzeitigkeit des Nacheinanders. Diese Synchronisation aller Filmsequenzen übertragen sich zur puren Überfülle an Information. Der Spielfilm wird zu einer blendenden Überbelichtungsgeschichte. Sugimotos Photographie hat den Film eingefroren, da läuft nichts mehr bis auf die Einbildungskraft und Erwartungshaltung der Betrach ter. Sugimoto hat das weisse Blatt oder die Leinwand in ein neues Licht gerückt. Hier wird es Endpunkt und Wiederholung zugleich, wo es doch gewöhnlich eben den Spielbeginn bedeutet. Die weisse Fläche ist beispielsweise die grundierende Schicht des Malers. Wenn nun jedoch das Weiss ein Auftrag ist, der nicht Auftrag ist (Grundierung), sondern Auftrag wird (Aufforderung), dann resultiert hieraus ein erweitertes Kunstverständnis. Dann ist etwas zu bewältigen, das sich jenseits von purer Einfärbung, Mischung oder Aufhellung verstehen lässt. Als Kasimir Malewitsch das WEISSE QUADRAT IN WEISS «SUPREMATISTISCHE KOMPOSITION», 1918 (The Museum of Modern Art, New York) als Antwort auf sein Schwarzes Quadrat von 1914 schuf, wurde ein radikal konservativer Aufbruch in die moderne Kunst vollzogen. Radikal ist er, weil durch den Verzicht auf ein Motiv die pure Gestaltung zur Anschauung zu kommen scheint. Konservativ bleibt er, weil das Weiss und das Schwarz immer noch im Umfeld des dualistischen Weltbildes ausgeführt sind. Beides versteht Gedanken zu übertragen. Also darf die Materie des Weiss (und des Schwarz) nicht malerischer Anstrich sein, sondern wird zur Suprematie konzeptualisiert. Weiss gibt die gegenstandslose Welt wieder, wie Malewitsch sagt, und beschränkt sich nicht nur auf die irdische. Immanenz und Transzendenz werden hier neu verhandelnd bewahrt. Das ist eben konservativ. Radikal ist nur, dass dieser Gedankenweg und Arbeitsschritt nicht eine Art mystische Erfahrung vorbildet, sondern eine völlig zweckfreie, unbunte, reine, plastische
Empfindung bestimmt. Nach Malewitsch ist die Welt wesentlich gegenstandslos, weil nichts, das ist, für etwas anderes steht als für sich selbst. Aber niemand weiss so recht, was konkret jeweils vorhanden liegt. Selbst wenn man etwas zu kennen vermeint, ist es doch immer wieder anders oder zumindest variiert. Man kann sich nur Vorstellungen davon machen. Aber je freier die Vorstellung von Vorstellungen ist, desto wirklicher wird alles. Wirklichkeit ist, keine Ahnung zu haben. Trotzdem will niemand Unbekanntes ertragen. Es ist kaum realistisch, sich nichts vorstellen zu können. Also kann Weiss Suprematie werden. Wäre Weiss nur Weiss geblieben, befände man sich nach wie vor beim weissen Quadrat auf weissem Hintergrund vor der blanken Tafel oder der leeren Leinwand (tabula rasa). Wer das Weiss suprematisiert, hat auf seine Art bloss die Angst und das Zögern vor dem Noch-nichts-vorhanden-Sein (horror vacui) überwunden und einen ersten Schritt in neue, noch unbekannte Gedankenwelten (terra incognita) gemacht. Aber dieses Vorgehen kann niemals rein und unschuldig sein. Eine weisse Weste hat nicht der, welcher gar nichts unternimmt. Das wissen Künstler und Denker am besten. Darum dürfte sich auch Rodney Graham unter Mitwirkung von Ann Demeulemeester ein WHITE SHIRT (FOR MALLARMÉ), SPRING 1993, 1992 (Van Abbemuseum, Eindhoven) massgeschneidert und in eine mit schwarzem Japanpapier eingefasste und mit schwarzem Samt ausgestattete Schachtel verpackt haben. Mit geöffnetem Deckel wurde dieses «Machwerk» 1992 in einem Schaufenster von Barneys New York präsentiert. Hier lag es «zum freien Erwerb» für aufmerksame Passanten, die «vermögend» und «ausreichend» genug sind, das unter dem baumwollenen Hemd zart hervorschimmernde schwarze Geviert eines Drucksatzes zu erkennen. Es handelt sich um ein Prosagedicht von Stéphane Mallarmé aus dem Jahr 1874, Le Démon de l’Analogie (Unheimliche Analogie), worin der erste Satz eine Frage ist: «Erklangen deinen Lippen schon einmal unbekannte Worte, unwillkommene Fetzen eines absurden Satzes?» Der Text selber gibt ein Beispiel hierauf und versinnbildlicht des Autoren Idee, wonach das reine Werk das sprechende Wegtreten des Dichters impliziere, der die Initiative den Wörtern überlässt. Alles wird Schweben. Andeutung, Anspielung nur, und vorbei ist jeglicher Anspruch auf eine Klarheit der Dinge oder Unverrückbarkeit von Bezügen. Vielleicht hat Rodney Graham seine Arbeit Mallarmé deshalb gewidmet, um als Konzeptkünstler einzugestehen, dass auch die Kunst in einer Literatur wur-
zelt, die den eigenen Erzählfaden zerrissen hat. Was bleibt, ist reine Poesie. Ausschweifende Machart und vorbehaltloses Tun. Buntes Treiben treiben lassend. Ahnungsloses witternd. Zusammenhangslose Verbindung eingehend. Oder wie soll man das umschreiben, wovon man keinen Begriff haben kann? Nehmen wir Cy Twombly. Dieser Künstler scheint einfach nur zu kritzeln und zu klecksen. Fast alle seine Arbeiten bestehen aus mehreren weissen Farbschichten, wo pastose Ölfarbspuren und mit Kohlenstift entworfene Zeichen, Zahlen und Worte einander überlagern, so auch die POEMS OF THE SEA, 1959 (Dia Center for the Arts, New York) als einer Folge von 24 Blättern. Wer auf dieser See (the sea) kreuzt, hat Spuren zu entdecken (to see), und das erst macht das Gedicht aus. Hier werden lettristisch anmutende Formen und zufällig hingespritzte Flecken weniger hingeschrieben als vielmehr gemalt, angestrichen, überstrichen und durchkreuzt. Solche «Worte» werden selber zum Sujet und beschreiben die «Lautmalerei» tosender Meere. Twombly kontert einer minimalistischen Formel, wonach man sehe, was man sehe, und bleibt überzeugt, dass man nur sieht, was man weiss. Und wenn man nun weiss, dass all diese Farben und Formen unter dem Titel der «Seegedichte» erscheinen, dann «liest» man bereits mit. Und schon wird das Brodeln sich überlagernder Farbschichten und die Gischt durcheinanderwirbelnder Graphismen ein Zitat von Hesiods Sage um die Geburt von Aphrodite aus den schäumenden Wellen (gr. aphros) beispielsweise. Oder in all dem graphischen Gekritzel und malerischen Beflecken scheinen plötzlich Fragen aufzutauchen in der Art, wie sie Heinrich Heine in den Nordsee-Gedichten überliefert: Ein junger Mann steht am Meer und befragt die Wellen nach dem Rätsel des Lebens, aber diese murmeln nur «ihr ewges Gemurmel, es wehet der Wind, es fliehen die Wolken, es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt, und ein Narr wartet auf Antwort.» Reine Ansichten verfolgt hingegen Robert Ryman unter Anwendung der weissen Farbe. In Arbeiten wie UNTITLED, 1957 oder ACCORD, 1985 (Hallen für neue Kunst, Schaffhausen) erscheint immer wieder Weiss. Weiss ist das Hauptmedium des Künstlers und wird nur zuweilen noch mit wenigen Farben untermischt. Sein Weiss malt Ryman auf den verschiedensten Materialien, auf Leinwand, Baumwolle, Jute, Papier, Karton, Holz, Plexiglas, Alu, Stahl. Alles wird in Betracht gezogen, worauf das Weiss wirken kann. Das Weiss selber verkörpert wiederum die Strukturen der Malweise Rymans. Sein Weiss gibt die Acryl- oder Ölfar-
be in all ihren Facetten wieder und reflektiert sie förmlich. Hier wirkt keine Monochromie und schon gar keine Theorie. Ryman ist weder expressiv abstrakt noch radikal minimalistisch oder mystisch ergriffen, er ist schlicht und ergreifend konkret immanent. Eigener Aussage zufolge beschränkt er sich nicht auf das Weissmalen, sondern möchte das Licht untersuchen (lassen) sowohl im Bildraum selbst als auch im Raum, wo das Bild sich befindet. Ryman ist auch kein Romantiker, und trotzdem üben seine Pinselstriche und Spachtelzüge auf der Malunterlage eine ähnliche Faszination aus, wie es eine von Wolkentürmen geprägte und mit Nebelschwaden durchzogene Landschaft tut. Auch die Naturbetrachtung ist ein Kunststück. Wir stehen mittendrin und distanzieren uns zugleich. Plötzlich macht sich ein Gefühl des Erhabenen und Sublimen breit. Wir sind überwältigt. Ein Schauder erfasst uns angesichts solch malerischen Dunstes. Sprachlos stehen wir davor und finden dennoch Worte, dieses Gefühl zu beschreiben. Wir befinden uns plötzlich im Bambushain und Kiefernwald chinesisch-japanischer Tuschmalerei. Die KIEFERN, um 1570 (Nationalmuseum, Tokio) von Tohaku Hasegawa sind nur angedeutet, im Nebel ragen sie empor und verteilen sich auf sechs Paneelen einer Wand aus Schiebetüren, wie man sie ursprünglich in zenbuddhistischen Klöstern vorfand. Wurzeln sind auszumachen und Wipfel, weit ausladende Zweige, und trotzdem scheint sich alles aufzulösen. Hier wird malerisch festgehalten, was sich doch nur ephemer zeigt. Mit wenigen Pinselstrichen huscht ein Moment vorbei. Das Bild verfährt nach dem präzisen Schema eines Haiku, dessen drei Verse mit siebzehn Silben den Ausschnitt eines Erlebnisses widerspiegeln und es trotzdem nicht preisgeben. Es heisst, ein gutes Haiku sei nicht gemacht, sondern geworden, gewachsen und gestaltet aus dem Fast-Nichts einer flüchtigen Wahrnehmung. Es ist nur eine Möglichkeit herauszufinden, ob «es stimmt», klingt und verklingt wie der flüchtige Augenblick. Die Darstellung des Fast-Nichts ist nicht ohne. Nichts ist nicht einfach Nichtsein, sondern vielmehr das Abhandensein. Nichts ist Leere, Stille. Zeigendes Verschweigen und aufrichtiges Versagen, weil man eben doch nichts festhalten kann bei aller Bemühung darum. Eigentlich ist alles nichts. Ein griechisches Paradox. Ein japanisches Koân. Eine musikalische Fermate. Die wohl schönste Partitur solchen Innewerdens stammt von John Cage und heisst 4’33’’ OR ANY INSTRUMENT OR COMBINATION OF INSTRUMENTS, 1952 (© Editions Peters No. 6777), wo in drei Sätzen unterschied-
licher Dauer insgesamt vier Minuten und dreiunddreissig Sekunden lang «nichts» geschieht. Aber gerade darin liegt das Werk begründet. Nichts geschieht, und trotzdem passiert etwas Besonderes im Rahmen der festgelegten Zeit. Es wird nicht gelauscht, sondern hinzugehört. «Tacet» fordert Cage vor jedem Einsatz: «es schweigt» bedeutet Stillung und Befriedigung im musikalischen Nichtstun, damit alles andere zur Aufführung kommt. Historisch liess Cage den Pianisten David Tudor vor dem bereitgestellten Instrument verharren, die Hände tatenlos über die Tastatur haltend. Faktisch liesse sich aber jeder Gegenstand instrumentalisieren, den man dann aber doch nicht gebraucht im üblichen Sinne. Einerlei, wie man vorgeht, immer wird eine akustische Transparenz gelichtet, und dem Nichts ist Fülle zurückgegeben. Das Nichts und die Leere lässt sich auch optisch darstellen. Bruce Nauman hat mit A CAST OF THE SPACE UNDER MY CHAIR, 1965-68 (KröllerMüller Museum, Otterlo) die Negativform seines ausgewählten Objektes wiedergegeben und ausgestellt. Dieser Körper erscheint so fremd, dass zunächst niemand an das Positiv denkt. Und wenn man den Titel nun kennt, so hat man Mühe, dieses wirklich zu sehen, wenn man eben dieses Objekt nicht vor sich hat. Denn normalerweise sieht man eben den Stuhl und nicht seine Leerstelle darunter, deren Äusseres man sich nur schwer vorzustellen vermag. Eine Verblüffung ähnlicher und doch ganz anderer Art ermöglicht Pierre Soulages, indem er mit schwarzer Farbe das grelle Weiss des Lichtes sichtbar macht. Ein Werk wie PEINTURE, 324 X 362 CM (POLYPTYCHON H), 1986 (Galerie de France, Paris) ist bei aller Schwärze des Anstrichs niemals einfach nur schwarz. Die schwarze Malfläche entsteht durch verschiedene Verfahren. Einmal wird gepinselt, dann gerakelt oder gespachtelt. Es entstehen Striche, Ränder, Rillen, Zonen. Wer sich vor einem solchen Bild hin und herbewegt, entdeckt in solchen Modulationen des Auftrags die Möglichkeit einer jeweils neuen Ansicht. Das Schwarz luminesziert. So entstehen Momente, in denen man das Schwarz gar nicht mehr sehen kann, weil es sich durch die Lichtbrechung ins Gegenteil verkehrt. Hell leuchtet Schwarz. – «Schwarz» sind bekanntlich auch die Textfelder dieser Seiten geworden als einer Behauptung über Weiss. Der Text, dieses schwarze Buchstabenfeld, ist zur «Bleiwüste» geworden. Aber wer sich damit auseinandergesetzt hat, dem leuchtet vielleicht auch ein, weshalb jede Form von Beschreibung und Bezeichnung letztlich doch nur die Inversion des weissen Papiers bedeutet. 27
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30 Ein Bildbeispiel dazu findest Du auf Seite 31.
Hast Du gewusst, dass alle naturgegebenen Farben des Regenbogens zusammen Weiss ergeben?
Gib dem Regenbogen seine Form und seine Farben zur端ck.
Schnittlinie
Falte nach hinten
Falte nach vorne
Formen (S. 14)
10 Unterschiede (S. 15)
Finde heraus … (S. 17) Farbe Blumenkohl Handcreme Wolken Milch
Malschurz
Zucker
Haushaltspapier Haare
Abwaschmittel- schaum
Mayonnaise
Knoblauch
Birkenrinde
Schnee
Hemd
Mandelsplitter
Champignon
Kokosnuss- flocken
FrottéeHandtuch
weisse Farbstifte
Regenbogen (S. 30)
Auflösung Rätsel Titel suchen, Titel finden (S. 22/23) Paul Klee, Schloss, 1930, 217,
Paul Klee, Austritt, 1923, 73,
Paul Klee, Ausdrucks-Leier, 1935, 14,
Paul Klee, sieht zurück, 1939, 1187,
Paul Klee, Pflanzlich-physiognomisch, 1922, 230,
Kohle und Kleister auf Grundierung Kreide und Farbstift auf Papier auf Karton, auf Papier auf Karton, 30,4 / 30,7 x 23,5 cm, 27 x 17,9 cm,
Aquarell und Feder auf Papier auf Karton, 45,7 x 48,2 cm,
aquarellierte Lithographie 26,8 x 15,7 cm,
Kreide auf Papier auf Karton, 27,9 x 17,9 cm,
Kreide, Feder, Bleistift und Aquarell auf Papier auf Karton, 29,3 x 20,6 cm,
Bleistift auf Papier auf Karton, 19,3 x 16,4 cm,
Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Livia Klee
Standort unbekannt
Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Livia Klee
Zentrum Paul Klee, Bern
Privatbesitz Schweiz, Depositum im Zentrum Paul Klee, Bern
Paul Klee, Gabelungen im Viertact, 1937, 84,
Paul Klee, auf einem Blatt zu lesen, 1934, 159,
Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Livia Klee
Zentrum Paul Klee, Bern
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Redaktion
Anna Schlaginhaufen Projektleiterin Creaviva
Editorial
Urs Rietmann Leiter Creaviva
Beiträge Programmgestaltung Monument im Fruchtland 3 3000 Bern 31 creaviva@zpk.org www.creaviva.org +41 (0)31 359 01 61
Miriam Loertscher Leiterin Kommunikation Urs Rietmann Leiter Creaviva
Textbeiträge Andreas Jahn Wissenschaftlicher Mitarbeiter Creaviva, Germanist und Kulturvermittler www.anjan.ch Guy Krneta Schriftsteller für Theaterstücke und Spoken-Word-Texte Francesco Micieli Freier Schriftsteller und Dozent Anna Schlaginhaufen Projektleiterin Creaviva Selma Schlaginhaufen Philosophin und Germanistin Konrad Tobler Freier Autor und Kulturjournalist www.konradtobler.ch Mischa Wyss Vertreter der neuen Mundart-Chanson-Generation
Gestaltungsbeiträge Daniela Brugger Kunstvermittlerin, Praktikantin Creaviva Julia Schallberger Kunsthistorikerin, Praktikantin Creaviva
Bildrechte
Archiv Zentrum Paul Klee www.zpk.org
Fotos
Philippe Tarbouriech www.phitar.com Miriam Loertscher Leiterin Kommunikation
Gestaltung
Neidhart Grafik Hubert Neidhart www.neidhart-grafik.ch Dieses Journal wurde gedruckt auf die Papiersorte «Cocoon FSC, 100% Recycling», geliefert von Antalis.
Die folgenden Unternehmen und Institutionen unterstützen 2011 das Creaviva. Herzlichen Dank.