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KLEINE INSEL GANZ GROSS
Ventotene
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Kleine Insel ganz groß
Ventotene im Lazio gehört zu den kleinsten Inseln Italiens. Doch das Eiland hat eine Menge zu bieten: Hier stehen Geschichte und natürliche Schönheit auf engem Raum beisammen. Herrliche Farben und köstliche Düfte erfreuen den Besucher.
TEXT UND FOTOS JESPER STORGAARD JENSEN
TIPPS
Anreise
• Die Überfahrt von Formia nach Ventotene dauert mit der Fähre etwa 2 Stunden. Mit dem Hydrofoil (Tragflächenboot) dauert sie nur halb so lang. traghetti.com Wer dem Motto Less is More etwas abgewinnen kann, dürfte sich auf Ventotene wohlfühlen! Mit einer Fläche von nur 1,75 Quadratkilometern und 700 Einwohnern ist Ventotene eine der kleinsten und am wenigsten dicht besiedelten
Inseln Italiens. Ganz sicher aber ist sie einen Besuch wert.
Wegen der vielen Kontraste könnte man
Ventotene auch als recht apart bezeichnen: Die Insel ist urwüchsig, obwohl man fast überall auf Bebauung stößt – abgesehen vom nördlichsten
Punkt vielleicht. Allerorten fällt der Blick aufs Meer, und doch vermengt sich der
Duft der See nicht selten mit dem von Obstbäumen. Schon der Empfang im kleinen Hafen fällt wegen der vielen bunter Häuschen ausgesprochen warm aus. Rein geografisch ist Ventotene den im Golf von Neapel gelegenen Phlegräischen Inseln nahe, mit denen es denn auch einige Gemeinsamkeiten hat: die von schwarzem Sand geprägten Strände und die Felsen aus Tuffstein etwa. Dabei ist Ventotene fast flach, weshalb das Eiland an ein Floss erinnert, das im Meer treibt. Verwaltungstechnisch allerdings gehören die Inseln zu den vier Pontinischen Inseln.
Römische Geschichte
Wer nach Ventotene kommt, meint sofort Teil der römischen Geschichte zu werden.
Schon der Empfang im kleinen Hafen von Ventotene ist warm, nicht zuletzt dank der vielen bunten Häuschen
Ganz in der Nähe des Ankunftshafens befindet sich ein noch kleinerer Hafen, den die alten Römer vor mehr als 2000 Jahren angelegt haben. Die Liegeplätze, wo sie ihre Boote vertäuten, sind immer noch zu erkennen. Doch auch die Speicherbauten und die Ankerpfosten hier wurden ursprünglich von den Römern verwendet. Ganz in der Nähe haben sie im Tuffstein einen unterirdischen Fischteich angelegt. Hier konnten sie Salz- mit Süßwasser vermengen und auf diese Weise im Meer gefangenen Fisch für Konsum und Zucht einlagern. Wer vor einem kleinen Abenteuer nicht zurückschreckt, springt neben dem Leuchtturm von den Klippen ins Wasser. Von hier aus sind die Relikte des römischen Teichs zu erkennen. Von hier aus führt ein Weg über kleine Hügel zur Piazza della Chiesa, dem gemütlichen Zentrum des winzigen Inselstädtchen. Hier sollten Sie unbedingt die weithin bekannte Bibliothek Ultima Spiaggia (der „letzte Strand“) besuchen. Sie beherbergt unter anderem eine umfangreiche Sammlung von Literatur über das Meer und die italienischen Inseln. Nur einen Steinwurf entfernt befindet sich eine Attraktion, die man nicht versäumen darf: die Villa Giulia, die auf dem
Aufschlagseite: der kleine römische Hafen; eines der vielen Restaurants auf der Insel. Links: eine herrliche Aussicht aufs Meer. Unten: Auf Einkaufstour in den schmalen Gassen.
TIPPS
Attraktionen
• Das Gefängnis auf
Santo Stefano
Tickets sind bei Proloco Ventotene im Hafen Porto Nuovo erhältlich. Seit Juni 2022 können Gruppen von 30 Personen das Gefängnis besuchen.
• In einer Cantina Wein
verkosten und kaufen
Candidaterra Via Luigi Iacon, 58 candidaterra.it
• Tauchzentrum Ventotene ventotenediving.it
An der Küste gibt es jede Menge Orte, die zu einem beherzten Sprung von den Felsen ins Meer einladen
Kap von Punta Eolo thront. Hier hat sich einst Kaiser Augustus eine Ferienvilla errichten lassen. Später wurden Mitglieder der kaiserlichen Familie hierher verbannt. Die erste, die dieses Schicksal ereilte, war niemand geringeres als Giulia, ihres Zeichens Tochter von Augustus. Wer mag, kann die Ruinen der kaiserlichen Bauten heute im Rahmen einer Führung besichtigen - mit traumhaften Aussichten aufs Meer.
Paradis für Vogelkundler
Auch ein erfrischendes Bad muss sein. Hierfür locken auf Ventotene zwei Strände: die Cala Nave und die Cala Rossano mit ihrem feinen, schwarzen Sand. Die Cala Nave ist der bekanntere von beiden. Er ist von der Stadt aus zu Fuß erreichbar. Hier steht ein kleines Restaurant. Außerdem sind Sonnenschirme, Tretboote, Kanus und Liegestühle mieten. In der Hochsaison kann es voll werden, doch dem Charme tut das zum Glück keinen Abbruch. Die Cala Rossano derweil ist ein kleinerer Strand, der vom Porto Nuovo zu erreichen ist. Hier hat man einen guten Blick auf die ein- und auslaufenden Boote und Fähren. Rund um die Insel mit ihrer drei Kilometer langen Küstenlinie gibt es noch weitere Klippen wie beim Leuchtturm, die zu einem beherzten Sprung ins Wasser einladen.
TIPPS
Restaurants
• Ristorante (& Hotel)
Mezzatorre
Piazza Castello 5/6 mezzatorreventotene.com/ita/risto
• Ristorante Il Giardino
di Ventotene
Via Olivi 45 ilgiardinodiventotene.it
Übernachten
• B&B Le Parracine ventoteneleparracine.com
• Hotel Mezzatorre Piazza Castello 5/6 mezzatorreventotene.com Die Flora Ventotenes zieht unterdessen zahlreiche Vogelsorten an. Viele nutzen das Eiland als Rastplatz auf dem Weg nach Afrika. Aus diesem Grunde wurde 2006 ein ornithologisches Museum (Museo della Migrazione ed Osservatorio Ornitologico) eröffnet. Das Museum ist zugleich ein Zentrum für ornithologische Forschung. Die Mitarbeiter zählen und überwachen die Bestände der wilden Populationen und beobachten deren Wanderbewegungen mithilfe der Ringtechnik. Der Besuch des Museums (auch mit Führer) ist für Vogelkundler ein veritabler Höhepunkt. Um eine weitere historische Sehenswürdigkeit nicht links liegen zu lassen, müssen wir noch einmal zurück zu den alten Römern. Von der zentralen Piazza Castello führt ein Weg zur Cisterna di Villa Stefania, ein System von Wasserreservoirs, das die Römer angelegt haben. Sie haben diese Reservoirs gebaut, um die Wasserversorgung zu gewährleisten. Damals besaß das Eiland keine natürlichen Süßwasserquellen. Zu dem unterirdischen System gehört ein Reservoir, das später als Gefängnis verwendet wurde. Auch viele Jahre danach sind an den Mauern noch die Zeichnungen zu sehen, womit sich die Gefangenen einst dort verewigt haben. Das Fundament der EU
Dies allerdings war nicht der einzige Flecken in der Umgebung, der als Gefängnis diente. Gleich nebenan auf der Insel Santo Stefano liegt noch ein Weiteres. Das Eiland ist nur einen Kilometer von Ventotene entfernt und per Boot erreichbar. Es war der damalige König von Neapel, Ferdinando IV, der den Bau 1795 vollendet hat. Die Gefangenen der Zeit galten als „Systemfeinde“. Wegen ungesicherter Bauten war der Zutritt zur Insel lange verboten. Durch ein Restaurierungsprojekt ist der Besuch von Insel und Gefängnis nun wieder möglich. Ein örtlicher Kulturverein namens Proloco
An den Mauern der Verliese sind bis heute die Zeichnungen und Graffitis zu sehen, die Gefangenen von damals angefertigt haben.
Ventotene organisiert sogar Führungen, in deren Rahmen man die seltene Gelegenheit hat, die Orte zu besuchen. Recht überraschend besitzt Ventotene auch eine politische Seele. Unter dem faschistischen Regime wurden hier von 1941 bis 1943 zahlreiche Gegner Mussolinis eingesperrt, unter ihnen Sandro Pertini (der später von 1978 bis 1985 Präsident Italiens war), Luigi Longo, Converto dell’Aci, Pietro Secchia, Eugenio Colorini, Altiero Spinelli und Ernesto Rossi. Vor allem der Name Altiero Spinelli fällt häufig in Verbindung mit Ventotene. Er wurde hier 1941 gemeinsam mit dem antifaschistischen Politiker Ernesto Rossi eingesperrt, mit dem er das Manifest von Ventotene verfasst hat. Der ursprüngliche Titel des Dokuments lautete Für ein freies und einiges Europa. Das erklärte Ziel: die Einigung der europäischen Staaten. Das Manifest sollte als Gerüst für den Grundtext der EU von großer Bedeutung sein. So mancher behauptet gar, die EU sei auf Ventotene geboren worden. Ein guter Anlass, einen Toast auszusprechen: Vielleicht beim Winzer Candidaterra, wo Sie Wein verkosten und kaufen können. Ventotene mag geografisch klein sein, doch in kultureller und historischer Hinsicht ist es ganz schön groß. •
Vorige Seiten: Überall stößt man auf farbenfrohe Lokale; am großen Strand sind unter anderem Tretboote zu mieten. Links: Cala Nave, der bekannteste Strand. Unten: der Leuchtturm von Ventotene.