crescendo 1/2016, Standard-Ausgabe 29/01/2016

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Ausgabe 01/2016 Februar – März 2016

www.crescendo.de

Neue Musik Komponist Moritz Eggert mit dem Versuch einer Definition

Hélène Grimaud Wie sie mit ihrem neuen Album die Welt verbessern möchte

Istanbul Dirigent Sascha Goetzel über die Ereignisse am Bosporus

Khatia Buniatishvili

„Ich habe mir als kleines Mädchen schon Liebe und Weltfrieden gewünscht“

B47837 Jahrgang 19 / 01_2016

Kurt Weill Fest Dessau

26. Februar bis 13. März 2016 KRENEK, WEILL & DIE MODERNE Ernst Kovacic, Nils Landgren, Nina Hagen, Cornelia Froboess, Ensemble Modern, Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz u.v.a.



p r o l o g

Willkommen in der Moderne

Fotos Titel: Gavin Evans; Fotomontage Roßdeutscher & Bartel GbR; Kupferstich Georg Philipp Telemann, Archiv Zentrum für Telemann-Pflege und -Forschung

winf r i e d han u s chik Herausgeber

Liebe Leser, kurz nach Weihnachten des vergangenen Jahres erreichte uns die Nachricht vom Tod des großen Komponisten und Dirigenten Pierre Boulez. Erst vor Kurzem widmeten wir ihm eine ausführliche Hommage an­lässlich seines neunzigsten Geburtstags, die Sie auf ­crescendo.de nachlesen können. Bereits weit vor Weihnachten hatten wir die Neue Musik als Schwerpunktthema definiert. Sie war Boulez’ Lebensinhalt und natürlich ist der Komponist auch Teil des zehnseitigen Dossiers, das wir über diese „moderne Musik-­Epoche“ in unserem Premium-Magazin publizieren. Aber auch in dieser Ausgabe können Sie den Artikel des ­renommierten zeitgenössischen Komponisten Moritz Eggert zu diesem Thema nachlesen. Eggert versucht zu erklären, was sich selbst mancher Klassikexperte nicht zu fragen traut: Was genau verstehen wir heute unter dem Begriff Neue Musik? Seine ebenso klugen wie unterhaltsamen ­Einschätzungen zur Lage der Musiknation finden Sie übrigens auch regelmäßig in seiner Kolumne „Eggert kommentiert“ auf crescendo.de. Und am 31. Januar um

17.40 Uhr können Sie den Komponisten im TV sehen – im Vierteiler „Epochen der Musikgeschichte“, die unser Kolumnist Axel Brüggemann zusammen mit Lena Kupatz für ARTE produziert hat. Musik­kritiker Wolfgang Schreiber urteilt in der Süddeutschen Zeitung überschwänglich: „Rasant, gescheit, großzügig, großartig.“ Und er hat Recht! Alle Folgen finden Sie übrigens auch in der ARTE-Mediathek. Nach diesem Ritt durch die vergangenen vierhundert Jahre richten wir den Blick in der aktuellen Ausgabe wieder in die Gegenwart: Neben Gesprächen mit Stars wie Hélène Grimaud, Khatia Buniatishvili oder auch Simone Kermes stellen wir unter anderem die Frage: „Wie viel neue Medien braucht die klassische Musik?“ Das Konzerthaus Dortmund stürmte vor Kurzem voran und forderte sein Publikum auf, direkt aus dem Konzert zu ­twittern, zu liken und zu posten. Braucht’s das wirklich? Axel Brüggemann findet: definitiv nein! Seinen Kommentar dazu lesen Sie auf Seite 44. Doch sehen Sie, liebe Leser, das auch so? Ganz entspannt mit Kant: Sollen die doch machen, was sie wollen, solange sie mein persönliches Musikerlebnis nicht stören? Oder gehören Sie zu den progressiven Entstaubern, die erst die Hörsäle vom Mief befreit, dann die Kleiderordnung in der Oper unterlaufen haben und Traditionen prinzipiell für reaktionär ­halten? Schreiben Sie mir, ich bin gespannt auf Ihre Meinung! Herzlichst,

Ihr Winfried Hanuschik

Ihre Abo-CD? In der Premium-Ausgabe dieser Zeitschrift finden Sie an dieser Stelle die crescendo Abo-CD – eine exklusive Leistung unseres crescendo Premium-Abonnements. Darauf hören Sie die Musik zu den Artikeln, die im Heft rot gekennzeichnet sind. Eine Inspiration für Ihre Ohren! Mittlerweile ist bereits die 58. CD in dieser Premium-Edition erschienen. Haben wir Sie neugierig gemacht? Dann testen Sie crescendo Premium! Die erste Ausgabe schicken wir Ihnen kostenlos. Dazu die crescendo Abo-CD. Ganz ohne Kaufverpflichtung. Bestellen Sie per Telefon: +49-(0)89-85853 548, auf www.crescendo.de/abo. Info auf Seite 49.

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Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz

ORCHESTER DES JAHRES

C 5213

ALAGOANA PHOTOPTOSIS SINFONIE IN EINEM SATZ STILLE UND

UMKEHR DEUTSCHE STAATSPHILHA RMONIE KARL-HEINZ STEFFERHEINLAND-PFALZ NS

modern times

LUIGI DALLAPIC COLA C 5213

C 5214

LUIGI DALL

APICCOLA

WERS TWO ANS NS WITH TURNA QUESTIOMUSICA NOT TRA THREE HES PICCOLA I PER ORC HESTRA DUE PEZZ PER ORC TRA ONI VARIAZI PER ORCHES PARTITA -PFALZ

DEUTSCHE

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50 Alexander Shelley Daniel Hope traf sich mit dem neuen Shooting Star unter den Dirigenten in Ottawa

08 Khatia ­Buniatishvili crescendo sprach mit der ­Pianistin über ihr neues Album „Kaleidoscope“

17 Back to Vinyl Karajans legendäre Aufnahmen der neun Beethoven-Sinfonien von 1963 gibt es wieder als LP

STandards

Künstler

hören & Sehen

08.... k hatia Buniatishvili Ein Interview über Coldplay, Äußerlichkeiten – und ihre neue CD 10..... Jan Lisiecki Der Kanadier erklärt uns seine Faszination für Schumann 12..... Simone Kermes Die Sopranistin spricht im Interview über ihr neues Projekt 14..... Hélène Grimaud Die Pianistin befasst sich auf ihrem neuen Album mit dem Element Wasser 16..... Pierre Boulez Ein Nachruf auf einen der wichtigsten Komponisten der Moderne

17..... DIE WICHTIGSTEN EMPFEHLUNGEN DER REDAKTION 18..... Attilas Auswahl Die Best-of-Liste umfasst Energie- und Wärmeschübe für die kalte Jahreszeit 26.... Dinorah Varsi Das Label Genuin veröffentlicht das ­pianistische Vermächtnis ­­ der großen Virtuosin

03 .... Prolog Der Herausgeber stellt die Ausgabe vor 06 .... Ouvertüre Ein Anruf bei ... Oliver Wurm Die Playlist von... Anna Vinnitskaya 24..... Impressum 30.... R ätsel des Klassischen Alltags 44.... Kommentar Axel Brüggemann über Handys im Konzertsaal 50.... Hope triffT ... den Dirigenten Alexander Shelley Exklusiv nur in crescendo Premium Ensemble Mit unseren Autoren hinter den Kulissen Blickfang Fromental Halévys La Juive in Mannheim Personalien Zum Tod von ­­ Kurt Masur und Stella Doufexis

4 Alle Konzerte unter www.staatsphilharmonie.de

Exklusiv nur in crescendo Premium Ein Kaffee mit ... Andreas Englisch Benjamin Appl In England ein Star, in seiner deutschen Heimat ein Geheimtipp MiloŠ Der Gitarrist auf den Spuren der Beatles

Exklusiv nur in crescendo Premium Unerhörtes & Neu Entdecktes Christoph Schlüren über Henri Dutilleux Akustik Audi arbeitet seit Neuestem mit der High-End-Schmiede Bang & Olufsen zusammen

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Fotos: privat; Gavin Evans; Siegfried Lauterwasser / DG;

Sie ist das Sinfonieorchester einer ganzen Region. Sie ist der Klangbotschafter für RheinlandPfalz und die erweiterte Metropolregion Rhein-Neckar. Unter der Leitung von Karl-Heinz Steffens begeistert die Deutsche Staatsphilharmonie in ihren Konzerten die Musikfreunde vor Ort und mit ihren gefeierten Aufnahmen weltweit. Dabeisein BER ND ALOIS ZIMMERM ANN kann jeder – Live und zu Hause!

P r o g r amm


36 Kurt Weill fest Klassik, Jazz – und Nina Hagen. Damit wartet das Festival in diesem Jahr auf

40 Neue musik Komponist Moritz Eggert ­ über die Moderne und wie wir sie definieren

46 reise istanbul Ein Wiener Dirigent hat in der türkischen Hauptstadt seine zweite Heimat gefunden

erleben

gesellschaft

Lebensart

31..... DIE WICHTIGSTEN TERMINE UND VERANSTALTUNGEN des Winters 36 .... K urt Weill Fest Dessau Die Bauhaus-Stadt beglückt auch diesmal Tausende Besucher mit Stars aus Klassik und Jazz 38 .... M agdeburger Telemann-Tage Die 23. Ausgabe des Festivals steht unter dem Motto „Telemann und das Konzert“

40.... Neue Musik Komponist Moritz Eggert versucht, die Moderne musikhistorisch einzuordnen... 43 .... Wohin? ...und erklärt uns die wichtigsten Festivals für Neue Musik

46 .... Reise: Istanbul Die Stadt aus der Sicht von Sascha Goetzel, Chefdirigent des Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra 48.... WEinkolumne Dirigent John Axelrod sieht viele Ähnlichkeiten zwischen Neuer Musik und modernen Weinen

Exklusiv für Abonnenten

Fotos: Jim Rakete; Harald Hoffmann

Hören Sie die Musik zu ­ nseren Texten auf der u ­crescendo Abo-CD – exklusiv für Abonnenten. Infos auf den Seiten 3 & 49

Exklusiv nur in crescendo Premium Peter Ruzicka & Jörg Widmann Zwei Komponistengenerationen, zwei Interviews: Die Neue Musik hat sich verändert One Day in Life Daniel Libeskind und die Frankfurter Oper proben ein grenzensprengendes Kulturprojekt Woher kommt eigentlich ... die Idee, Musik in Epochen zu teilen?

Exklusiv nur in crescendo Premium Produkte In Opern- und Konzerthäusern macht sich der „Athleisure“-Trend breit

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o u v e r t ü r e

Der Elphi-Nachbar

und bin rund tausend Mal an der Baustelcrescendo: Herr Wurm, haben Sie auch le vorbeigejoggt. Ich rufe bei jeder Runde gelesen, dass die Elbphilharmonie nun am ein fröhliches „Wir schaffen das“ hinauf in 11. Januar 2017 eröffnet werden soll? die gläserne Fassade. Neulich war tatsächIch habe vor einem Jahr auch lich zum ersten Mal innen alles beleuchtet. gelesen, dass die Stadt 2024 die OlymGanz ehrlich: Das war schon ein Gänsepischen Spiele ausrichtet. Sagen wir es hautmoment. mal so: Mit Prognosen der Verantwortlichen bin ich in Hamburg etwas vorWann haben Sie das erste Mal daran sichtig. Ich warte lieber auf den Abend, gezweifelt, dass das Bauwerk etwas an dem ich den Paukenschlag aus dem verspätet fertig werden könnte? Orchestergraben vernehme. Ach, große Dinge brauchen ihre Zeit. Und es braucht Leute, die solche GroßprojekAngeblich soll Thomas Hengelbrock das te durchziehen. Am Kölner Dom haben Eröffnungskonzert dirigieren … sie 632 Jahre gebaut. Und hätte man die Wer soll das sein? Bevölkerung von Paris über den Bau des Der Chef-Dirigent des Hamburger SinEiffelturms abstimmen lassen: Der stünde fonieorchesters, der erste Mann am Pult. doch bis heute nicht. Vielleicht kennen Sie seine Frau, die Schauspielerin Johanna Wokalek … Was war das skurrilste Erlebnis in den vergangenen sieben Jahren? Ja, von ihr habe ich mal ein Interview gelesen, da sagte sie, dass sie es spießig findet, Als ich eines Morgens – wie jeden Morgen Oliver Wurm wohnt am Kaiserkai, 67 wenn die Leute kritisieren, dass ihr Mann – über die Mahatma-Gandhi-Brücke ins Meter von der Elbphilharmonie entfernt 17 Jahre älter sei als sie. Da ich inzwischen Büro fahren wollte, war sie weg. Komplett. auch 45 und noch ledig bin, macht mir die Frau durchaus Mut. Es hatte wohl eine längere Diskussion dazu gegeben, aber ich hatSie sind also nicht wegen der Elbphilharmonie in die neue te das nicht mitbekommen, weil ich irgendwo unterwegs gewesen war. Gut, dass ich nicht so verschlafen war – sonst wäre ich samt Hafenstadt gezogen? Ich gehörte zur ersten Baugemeinschaft am Kaiserkai, also der Fiat 500 direkt in die Elbe gebrettert. Straße, die direkt auf die Elbphilharmonie zuläuft. Als wir aus- Welchen Stargast würden Sie sich für die Eröffnung wünschen? baggerten, war die Elbphilharmonie noch ein alter Kaispeicher Ganz ehrlich? Mich. Ich finde, ich hätte das verdient. Falls also mit Konzerthaus-Vision. Ich war aber schon vom ersten Architek- noch jemand eine Karte über hat: Ich komme mit – gerne auch mit ten-Wurf ein glühender Fan. In den vergangenen Jahren habe ich einer 17 Jahre älteren Frau. sicher mit jedem zweiten Handwerker dort einen Kaffee getrunken Wir kümmern uns drum.

1. J. S. Bach: Goldberg-Variationen (Evgeni Koroliov)

Ich kann diese Musik ewig hören. Mein Vorbild.

Playlist Welche Werke hört Anna Vinnitskaya privat? Und vor allem, warum?

2. J. S. Bach: Matthäus-Passion (Philippe Herreweghe, Helmuth Rilling ...)

Am liebsten live. Mindestens einmal im Jahr. 3. Rachmaninow: Die Toteninsel op. 29

Als Kind war ich absolut fasziniert von dieser Musik. Der 5/8tel-Takt, diese ungeheure visuelle Kraft ... 4. Ravel: Miroirs (Walter Gieseking)

Anna Vinnitskayas neues Album „Brahms“ erscheint im März

Gieseking gelingt es unvergleichlich, die Idee des Komponisten zu realisieren, finde ich. Für mich persönlich der beste Interpret impressionistischer Musik. 5. Brahms: Trios (Beaux Arts Trio)

Pressler ist so ein fantastischer Musiker. Diese Musik spricht mein Herz an.

Teures Papier: Die Schauspielmusik König Stephan gehört zu den eher unbekannteren Werken Beethovens. Ende letzten Jahres jedoch war für einen Käufer das Manuskript 100.000 Dollar wert und er ersteigerte die Beethoven-Handschrift. +++ Ärgerliche Erben: Die Inszenierung von Poulencs Dialogues des Carmélites von 2010 an der Bayerischen Staatsoper gefiel – fast – jedem. Die Erben waren nicht zufrieden mit der Schlussszene, empfinden sie als verfälscht, gar entstellt. Um die Wiederaufnahme der Inszenierung zu verhindern oder zumindest zu zensieren, scheuen die Erben auch nicht den Gang vors Gericht. +++ Venezolanische Walzerseligkeit: Die Wiener Philharmoniker haben bereits den Dirigenten für ihr nächstes Neujahrskonzert bestimmt: Gustavo Dudamel.

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Foto: privat

Ein Anruf bei … Oliver Wurm, der seit sieben Jahren neben der Elbphilharmonie in Hamburg wohnt und (sehnlichst) darauf wartet, dass die Kräne und Bagger nun endlich verschwinden.


AKTUELLE

NEUHEITEN BEI SONY CLASSICAL

WIENER PHILHARMONIKER MARISS JANSONS NEUJAHRSKONZERT 2016 Dieses glanzvolle und mit interessantem Repertoire gespickte Neujahrskonzert wurde von der Presse als eines der besten aller Zeiten hochgelobt. Die limitierte Erstauflage enthält einen Essay zum 75-jährigen Jubiläum des Konzerts.

NIKOLAUS HARNONCOURT BEETHOVEN SINFONIEN NR. 4 & 5 Die letzte Aufnahme des legendären Dirigenten und seines Concentus Musicus Wien ist eine hochinteressante Neudeutung der beiden berühmten Sinfonien Beethovens. www.harnoncourt.info

www.wienerphilharmoniker.at

MARTIN FRÖST ROOTS Der herausragende schwedische Klarinettist Martin Fröst reist mit dem Royal Stockholm Philharmonic Orchestra und einem Kinderchor durch 2000 Jahre Musikgeschichte: mit Werken von Hildegard von Bingen, Telemann, Brahms und Bartók, mit Volksmusik, Klezmer u.a. www.martinfrost.se

TEODOR CURRENTZIS PATRICIA KOPATCHINSKAJA TSCHAIKOWSKY & STRAWINSKY „Ein himmlisches Duo“, urteilte die Presse nach den Konzerten. Für die erste gemeinsame Aufnahme haben sich Teodor Currentzis, MusicAeterna und Patricia Kopatchinskaja Tschaikowskys berühmtes Violinkonzert ausgesucht, reizvoll kombiniert mit Musik von Strawinsky.

TEODOR CURRENTZIS HENRY PURCELL: THE INDIAN QUEEN

KHATIA BUNIATISHVILI KALEIDOSCOPE Auf ihrem neuen Album spielt Khatia Buniatishvili Mussorgskys Bilder einer Ausstellung, drei Stücke aus Petruschka von Strawinsky sowie La Valse von Ravel. www.khatiabuniatishvili.com

SIMONE KERMES LOVE Simone Kermes und La Magnifica Comunità präsentieren Liebeslieder aus Barock und Renaissance von Komponisten wie Monteverdi, Purcell, Merula oder Dowland, welche die ganze Vielfalt der Liebe spiegeln, von Leidenschaft bis Drama.

Eine der spektakulärsten OpernNeuinszenierungen der letzten Jahre: Purcells unvollendete Oper The Indian Queen unter der musikalischen Leitung von Teodor Currentzis und der Regie von Peter Sellars. Die bildgewaltige Mischung aus Musik, Theater, Tanz und Literatur begeisterte Kritiker in aller Welt. Erhältlich auf DVD & Blu-ray www.teodor-currentzis.com

www.simone-kermes.de

www.sonymusicclassical.de

www.facebook.com/sonyclassical


k ü n s tl e r

Zartherbe Tastenfee Die georgische Pianistin Khatia Buniatishvili über ihre Begegnung mit Coldplay, aus der ein Lied ihres neuen Albums entstand – und die Wichtigkeit ihres Äußeren, das gar nicht so wichtig scheint. vo n K at h e r i n a K n e e s

W

enn man Khatia Buniatishvili begegnet, dann ist es ein bisschen so, als würde man im echten Leben plötzlich einer Märchenfigur gegenüber treten. Die georgische Pianistin gehört zu den Menschen, die mit ihrer ungeheuren Präsenz sofort ihre Umwelt völlig für sich einnehmen. Im Telefoninterview aus ihrer Wahlheimat Paris konzentriert sich die Aufmerksamkeit jedoch völlig auf Khatia Buniatishvilis dunkle Stimme, die ein wenig herb und zurückhaltend ans Ohr dringt und statt mädchenhafter Süße vor allem eine herzhafte Liebe zur Musik transportiert.

Jeden Tag erleben wir so viele verschiedene Emotionen. Und auch ganz am Ende, beim Tod, kann man sich leicht fühlen. Das wollte ich mit diesem Bild des Kaleidoskops zum Ausdruck bringen. Sie leben ja in Paris. Haben die Terroranschläge im November etwas für Sie verändert? Nach den Ereignissen war die Stadt wie im Eis eingefroren. Ich war selbst auch da und habe mehrere Tage wie im Eis gelebt. Die Realität sieht gerade wirklich schlecht aus. Es gibt so viel Aggression, Gewalt und Armut in der Welt. Aber sollen wir deshalb pessimistisch sein? Das finde ich nicht. Wenn wir Pessimisten bleiben oder werden, kann man nichts ändern. Und dabei kann das doch eigentlich jeder tun. Ich sehe diese Verantwortung ganz rational mit dem Kopf und crescendo: Frau Buniatishvili, Sie spielen auf dem aktuellen gleichzeitig auch mit dem Herzen. Album ein Stück der Band Coldplay. Wären Sie selbst auch Glauben Sie, dass man die Welt mit Musik ein bisschen heilen gerne manchmal ein Popstar? Khatia Buniatishvili: Nein, eher nicht. (lacht) Ich bin vollkommen in kann? Ich finde, besonders erfolgreiche Menschen, der klassischen Musik zu Hause. Dabei Künstler und Musiker haben die Verantfinde ich eigentlich gar nicht, dass man in wortung, etwas zu tun, um die Welt zuminder Musik Definitionen braucht. Es gibt Khatia Buniatishvili Live dest ein paar Minuten im Konzert zu veränkeine Grenzen, Musik ist Musik und hat 25.02. Berlin dern. In meiner Heimat Georgien haben wir einen universellen Zauber. Trotzdem fühle Berliner Philharmonie – Recital einen Baum, den wir „Baum der Wünsche“ ich mich der klassischen Musik besonders 26.02. Stuttgart nennen. Dort können Kinder ihre Wünsche nah. Schon als Kind habe ich jeden, wirklich Liederhalle – Recital für die Zukunft hinterlassen. Ich habe mir jeden Abend, vor dem Schlafen zusammen 28.02. Rheinfelden (CH) dort schon als kleines Mädchen Weltfrieden mit meiner Schwester eine Kassette mit dem Klassiksterne Rheinfelden – und Liebe gewünscht. Jetzt gebe ich regelLacrimosa aus Mozarts Requiem gehört. Wir mit Gvantsa Buniatishvili mäßig Benefizkonzerte mit meiner Schweswaren total verrückt danach. Außerdem 03.03. Wien (A) ter Gvantsa für Mädchenbildungsprojekte wollte ich schon immer Klavier spielen. Mit Musikverein – mit Renaud Capuçon in Mali, Nepal und Niger. Das ist mir sehr drei saß ich zum ersten Mal am Instrument, wichtig. Gvantsa und ich spielen schon seit dann habe ich Noten gelernt und mit sechs habe ich mein erstes Konzert gespielt. Danach wollte ich nie wieder wir klein sind zusammen Konzerte und da ist ganz viel gegenseitiges Vertrauen – ich glaube, das kann man auch im Publikum spüren. aufhören. Wir sind wie Luft und Erde, ergänzen uns perfekt. Wie kam es denn zu der Zusammenarbeit mit Coldplay? Ich kannte die Songs der Band natürlich schon vorher. Dann hat Sie sind eine auffallend schöne Frau, auch in der Presse wird oft Chris Martin mich zufällig in einem Konzert gehört und mich ihr Aussehen erwähnt. Wie wichtig ist Ihnen die Optik? gefragt, ob ich Lust hätte, bei seinem neuen Album mitzumachen. Ganz ehrlich? Ich finde mich nicht besonders schön. Ich selbst finde Crossover mag ich eigentlich nicht sehr, aber das, was draus gewor- mich eigentlich viel begabter als schön. Und ich weiß, wie viel Arbeit den ist, ist echt toll. Ich habe zu Chris Martins Musik improvisiert, es dahinter steckt. (lacht) Die sexistischen Phrasen sind manchmal war, als würden sich zwei Welten zu einem Universum verbinden. ziemlich verletzend – und auch ungerecht. Denn es gibt sogar viel Ach, wenn es mich berührt, ist es eigentlich egal, was für Musik es ist. Maskulines an mir. (lacht) Meine Wahrnehmung der Welt ist eher maskulin, glaube ich. Ich koche nicht, ich bin eher ein Kopfmensch. Ihr viertes Solo-Album heißt „Kaleidoscope“, genauso wie der Außerdem ist mein Spiel sehr stark und kraftvoll. Wenn man sehr Coldplay-Titel. War das ein Zufall? Es war völlig verrückt. Zeitgleich haben wir uns an verschiedenen weiblich aussieht, heißt es noch lange nicht, dass es auch andere SeiOrten auf der Welt mit dieser Idee auseinandergesetzt und das dann ten gibt. Viele vergessen das und wollen gerne eine Schublade finerst gemerkt, als wir uns getroffen haben. Ich glaube an solche inne- den, in die sie einen schieben können. Ich werde meine weibliche ren Verbindungen. Früher habe ich immer gedacht, alles ist nur Seite jedenfalls nicht verstecken, damit nichts mehr über mein Aussehen geschrieben wird. Das fände ich total Zufall und hat nichts zu bedeuten. Das sehe ich jetzt ein bisschen schwach. Man muss ja vor allem an sich selbst alle anders. Für meine eigenen Alben ist mir vor allem ein gutes Konseine verschiedenen Seiten akzeptieren. Das ist zept für das Programm sehr wichtig. Hinter der Idee von „Kaleidomir sehr wichtig. Als Frau und als Künstlerin. ■ scope“ steckte der Wunsch, mit jeder Emotion der Musik einen anderen Blick auf die Welt zu bekommen. Die meisten Stücke haben Khatia Buniatishvili: „Kaleidoscope“ (Sony) tragische Themen, aber manche Farben darin sind trotzdem positiv. 8

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Foto: Gavin Evans

Pianistin Buniatishvili: „Die sexistischen Phrasen sind manchmal ziemlich verletzend – und auch ungerecht“

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k ü n s tl e r

„Li-schätz-ki“ Man soll ihn nicht Wunderkind nennen, aber passen würde der Begriff für Jan Lisiecki, dessen Weg von Calgary zur Carnegie Hall im Schnelldurchgang verlief. Jetzt wagte er sich an Robert Schumann und verriet, warum ihn der Komponist fasziniert.

crescendo: Als ich Ihren ersten TV-Auftritt – da waren Sie vierzehn – im Internet zum ersten Mal ansah, da poppten mindestens drei Warnmeldungen mit der Drohung auf: Vorsicht! Ihr Computer ist gefährdet! Jan Lisiecki: Hoffentlich hat Ihr Computer mich überlebt! Ich habe nicht damit gerechnet, dass auch Hacker sich für Pianisten interessieren. Zu Beginn meiner Laufbahn habe ich viele meiner Auftritte auf YouTube gestellt, weil ich wollte, dass mich die Menschen, die mich engagieren, auch irgendwo hören können. Etwa 119.000 Einträge haben Sie heute auf Google, fast so viele wie Ihr Kollege Rudolf Buchbinder, der allerdings dreieinhalb Mal so alt ist wie Sie. Na ja, ich glaube nicht, dass dies ein Zeichen meiner Beliebtheit und schon gar nicht meiner Begabung ist. In Buchbinders Jugend gab es eben noch kein Internet. Die vier Millionen Einträge von Lang Lang haben Sie noch nicht, aber Ihre Laufbahn verläuft sehr rasant. An mir lag es jedenfalls nicht, dass ich so schnell gewachsen bin! (lacht) Schätzungsweise ein Meter neunzig? Meine wahre Größe sage ich Ihnen jetzt aber nicht! Mit neun der erste Auftritt mit Orchester, mit fünfzehn ein Konzert vor Königin Elisabeth II. und 100.000 Menschen auf dem Parliament Hill in Ottawa. Von Calgary zur Carnegie Hall sozusagen … Ja, auch wenn man es mir nicht glaubt, ich bin kein Wunderkind. 10

Ich hasse das Wort sogar, weil es den Anschein weckt, man müsse nichts tun, es würde einem alles in den Schoß fallen. So ist es nicht. Ich bin froh, dass ich begabt bin. Aber ich arbeite hart. Und ich bin nie gepusht worden. „Ich fühle mich wie ein Kind, aber mit alter Seele“, sagten Sie in einem Interview … Ja, das ist immer noch so. Wie ein Kind, das sehr neugierig ist auf die vielen Werke, die es noch kennenlernen wird und möchte. Musik gibt einem so viel an Freiheit. Es mag sein, dass ich da etwas anders ticke als meine Altersgenossen. Auch Mathematik interessierte Sie sehr. Jetzt weniger, weil man doch aus der Übung kommt. Man muss bei so einer Wissenschaft dranbleiben, Tag für Tag. Ähnlich ist es bei der Kunst. Irgendwann erschien mir Mathematik allerdings nur noch als ein Schwarz und Weiß mit ein bisschen Grau dazwischen. Mittlerweile habe ich in der Musik die Millionen von Farben gefunden, die ich suchte. Kein Musiker spielt je auf die gleiche Weise, andernfalls könnte man zur Karikatur seiner selbst werden. Das Graue sind die letzten Geheimnisse der Mathematik, aber die Musik bringt immer wieder neue Farben. Das ist ja eine der großen Schönheiten der Musik: dass sie immer Raum gibt für neue Deutungen. Wie spricht man eigentlich Ihren Namen richtig aus? Zum Mitschreiben: Li-schätz-ki. Meine Familie kommt aus Polen. 1988 siedelten meine Eltern nach Kanada aus, es gab eine wirtschaftliche Krise, sie wurden nicht verfolgt. Mein Vater war www.crescendo.de

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Foto: Ben Wolf

v o n T e r e s a P i e s ch a c ó n R a p h a e l


CHLOE MUN 1. Preis 2015

Lisiecki live 21.02. München Prinzregententheater

INTERNATIONALER KLAVIERWETTBEWERB FERRUCCIO BUSONI

22.02. Düsseldorf Tonhalle 23.02. Hamburg Laeiszhalle 25.02. Wuppertal Historische Stadthalle 26.02. Braunschweig Stadthalle 27.02. Hannover Großer NDR-Sendesaal 28.02. Osnabrück Stadthalle 29.02. Berlin Konzerthaus

zunächst in Kalifornien, holte dann meine Mutter nach. Ich spreche polnisch mit meinen Eltern. Deutsche, Schweizer, Dänen, Polen leben in Kanada. Es ist ja ein junges Land, das erst 1867 gegründet wurde und auf eine kurze Geschichte von vielleicht drei bis vier Generationen zurückblickt. Gleichzeitig ist es ein Land, in dem es zwei Amtssprachen gibt. Ja. Französisch und Englisch. Aufgewachsen bin ich im englischsprachigen Calgary, im Westen von Kanada. In jedem Fall aber lernt man beide Sprachen. Gibt es unterschiedliche Traditionen? Das habe ich nicht so intensiv empfunden beziehungsweise: Es wirkt sich nicht auf mich aus. Ich esse alles sehr gerne – mit Ausnahme asiatischer Heuschrecken. Keine Heuschrecke, dafür aber eine Fliege aus Taft tragen Sie gerne bei Ihren Auftritten … … und farblich unterschiedliche Socken. Ja. Ich habe halt ein paar Spleens. Man muss sich selbst und alles nicht immer so ernst nehmen. Ich tue es jedenfalls nicht. Hatte Robert Schumann eigentlich auch Spleens? Das weiß ich nicht. In jedem Fall war er anders als andere. Von Felix Draeseke stammt das böse Wort, Schumann habe „als Genie begonnen und als Talent geendet“. Das ist unfair. Er hatte so viel Fantasie. Mag sein, dass diese Fantasie ihn manchmal verschlang und er Sachen machte, die niemand verstand. Aber gerade weil er so sensibel war. Ich habe viele seiner Essays gelesen. Er war so ein intelligenter und interessanter Mann. Man erfährt sehr viel über Musik. Und doch schien Schumann nicht immer zu wissen, wo er hingehörte. „Was ich eigentlich bin“, schreibt er als junger Mann in sein Tagebuch, „ob ich ein Dichter bin – denn werden kann man es nie –, soll die Nachwelt entscheiden“. Das sieht jeder anders. Vielleicht ist Schumann tatsächlich der poetischste aller Komponisten. Und auch die Dichtung hatte einen sehr großen Einfluss auf sein Werk. Das Virtuosentum seiner Zeit interessierte ihn nicht so. Sein Klavierkonzert, das ich jetzt eingespielt habe, nannte Liszt sogar „Konzert ohne Klavier“, weil das Ensemble und der Solist das gleiche Gewicht bekommen. Doch wer war Schumann wirklich? ­ Der Komponist der Romantik schlechthin? ­Er selbst schien sich zeit seines Lebens hinter zahllosen Gesichtern selbst zu suchen. Was Sie da ansprechen, ist sehr interessant. Auch für mich personifiziert Schumann die deutsche Romantik. Ein Mann, der sehr viele Kämpfe ausgefochten hat, mit Menschen, mit Situationen, besonders aber mit sich und seinen Dämonen. Diese Impulsivität auch seiner Gefühle, seiner Gedanken, die sich nicht in ein Paket schnüren ließen, merkt man seiner Musik sehr an. Aber auch die Zartheit, die Liebe, die er für seine Frau Clara empfand. Ein so spannender Komponist! Und so kompliziert und schwierig! ■

“Ich habe in ihr eine musikalische Natürlichkeit entdeckt, von der ich nicht geglaubt hätte, dass es sie noch gibt.” JÖRG DEMUS Management: concerts@concorsobusoni.it

Nächste Ausgabe: 61. Internationaler Klavierwettbewerb

FERRUCCIO BUSONI

Bolzano – Bozen, Italien · 2016 – 2017

Vorauswahlen

26.08. – 02.09.2016 Anmeldefrist

01.05.2016

NEUES E TOIR REPER NEUE E TERMIN

Finale 22.08. – 01.09.2017

Jan Lisiecki: „Schumann“, Orchestra dell’ Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Antonio Pappano (DG) 11

A partner of

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k ü n s tl e r

Amore! Für ihr Projekt „Love“ entstaubte Simone Kermes zahlreiche Liebeslieder und verlieh ihnen neuen Glanz. v o n M a x i m i l i a n Th e i s s

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Teilweise war’s schon schwierig in der Notenbeschaffung. In einer Berliner Bibliothek habe ich etwa eine Folia von Luis de Briçeño entdeckt, einem spanischen Komponisten, der die Gitarre in Frankreich etabliert hat. Zwar kam sie nicht auf die CD drauf, aber ich werde sie ganz bestimmt im Konzert präsentieren. Bei diesen Noten gab es lediglich einen Text mit ein paar Notizen für die Gitarrenbegleitung. Generell mussten viele Stücke erst einmal bearbeitet werden. Wobei man als Künstler bei Alter Musik immer am Scheideweg steht: Interpretiert man die Werke historisch korrekt oder doch lieber ästhetisch optimiert? Ich stand auch an diesem Scheideweg. Ganz am Anfang des Projekts haben wir beispielsweise darüber diskutiert, ob wir auch ein modernes Saxofon hinzunehmen. Am Ende wurde die Idee jedoch verworfen und wir haben uns für den Zink entschieden – der klingt vielleicht großartig! Bislang war ich ja kein großer Fan des Instruments, aber der Musiker, der auf der Aufnahme zu hören ist, hat einfach gespielt wie ein Gott. In solchen Fällen suche ich dann doch die Nähe zum ursprünglichen Klang, schließlich sollte „Love“ auch kein CrossoverAlbum werden. Die Arrangements wahren also noch immer den ursprünglichen Charakter der jeweiligen Komposition. Andererseits habe ich so meine Probleme mit dem puristischen Anspruch, den die rein historische Aufführungspraxis verfolgt, schließlich leben wir im Hier und Jetzt. Außerdem ist es mir wichtig, dass ich als Künstlerin auch meine eigene Persönlichkeit einbringe. Letztendlich zählt für mich also schon die Notentreue. Viel wichtiger ist aber nach wie vor die Interpretation. Der Blick auf die Liebe ändert sich ja im Laufe eines Menschenlebens. Haben Sie das Album in der richtigen Phase Ihres Lebens aufgenommen? Absolut. Zusammen mit dem Alliage Quintett habe ich das Konzertprogramm Je ne regrette rien, benannt nach dem Chanson von Edith Piaf, kreiert. Das hatte zur Folge, dass man mich ständig gefragt hat, ob ich denn wirklich nichts bereuen würde. Also wenn ich in der Liebe Wege eingeschlagen habe, die nicht so klug oder glücklich waren, dann habe ich eigentlich immer dazu gestanden. Ja, das Album habe ich zur rechten Zeit in Angriff genommen. Und nein, ich bereue wirklich nichts! ■ Foto: Sandra Ludewig

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ibt man bei Google „Simone Kermes“ und „schrill“ ein, stößt man auf eine große Anzahl von Artikeln. Man könnte fast meinen, die Sopranistin sei wirklich schrill. Doch während des Interviews zeigt sich, dass Kermes vor allem ein sehr nachdenklicher, sensibler Charakter ist. Auf ihrer aktuellen, schlicht „Love“ genannten CD verzichtet sie auf jegliches Liedgut, das an der emotionalen Oberfläche bleibt. Stattdessen hat sie ein Album konzipiert, das die Facetten der Liebe ausleuchtet – und das alles mit Kompositionen aus längst vergangenen Jahrhunderten. Frau Kermes, ein ganzes Jahr lang arbeiteten Sie an Ihrem neuen Projekt. Eine Herzenssache? Klar ist das ein Thema, bei dem man als Sängerin seine eigenen, ganz privaten Erfahrungen einbringen kann. Letztlich ist „Love“ meine eigene Geschichte, vielleicht sogar mein Leben. Liebe hat ja so viele Facetten. Sie beginnt mit dem ersten Kennenlernen, wächst zur heißen Liebe heran und führt oft zu Eifersucht, Wahnsinn und Tod. Das passiert ja nicht nur in der Oper, sondern auch im echten Leben. Sie haben also den objektiven Blick auf die Liebe gar nicht erst gesucht? Der ist natürlich ebenso wichtig! Ich habe beispielsweise einen Philosophen kontaktiert, der auch einen Text zum Booklet beigesteuert hat über die Liebe aus philosophischer Sicht. Auch mit einem Herzspezialisten habe ich gesprochen und mir die Liebe aus medizinischer Sicht erklären lassen. Das Herz ist ja schließlich unser Liebesorgan. Schlug das Herz der Liebe zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert eigentlich anders? Die Lieder auf Ihrem Album stammen ja allesamt aus dieser Zeitspanne. Überhaupt nicht – diese Musik ist brandaktuell! Nehmen wir Barbara Strozzis Che si può fare? – das ist fast schon ein Popsong. Bevor der Barock kam, war die Epoche wunderbar klar und in die Tiefe gehend, ganz ohne Schnickschnack und Schnörkel und doch voller Herzschmerz. Es hat schon seinen Grund, warum sie auch das „Goldene Zeitalter“ genannt wird. Wir haben übrigens auf der CD auch einen tunesischen Musiker im Ensemble. Er spielt die Viola d’amore mit Anklängen an die arabische Musik, der man sich in dieser Zeit zugewandt hat. Da hört man plötzlich einen Sound, bei dem man sich erst einmal fragt, was das denn soll – völlig neuartig eben. Mussten Sie bei Ihrer Suche nach geeigneten Kompositionen arg weit in die Tiefen der Bibliotheksarchive hinabsteigen?

Simone Kermes: „Love“, La Magnifica Comunità, Enrico Casazza (Sony) www.crescendo.de

Februar – März 2016


02.04.–30.04.16 internationales musikfestival

IERN AG! E F R I W TST R U B E 20. G

Avi Avital I Rebekka Bakken I Lisa Batiashvili I Uri Caine I Gautier Capuçon I Deutsche Kammerphil harmonie Bremen I Fauré Quartett I Johannes Fischer I David Fray I Sol Gabetta Gallicantus I Martin Grubinger I Marc-André Hamelin I Thomas Hampson I Håkan Hardenberger Paavo Järvi I Ewa Kupiec I Igor Levit I Sabine Meyer I Gabriela Montero I Daniel Müller-Schott Alina Pogostkina I Thomas Quasthoff I Fazıl Say I Andreas Scholl I Herbert Schuch I Andreas Staier Swedish Chamber Orchestra I Tonhalle-Orchester Zürich I Klaus Florian Vogt I Arcadi Volodos Jörg Widmann I Tianwa Yang I u. v. m.

Bestellen Sie kostenlos unser Programm unter Tel 06221 - 584 00 12 oder www.heidelberger-fruehling.de

Gründungspartner:


k ü n s tl e r

Wasserwerk Pianistin Hélène Grimaud schuf zusammen mit Multitalent Nitin Sawhney ein neues Album, das sich auf lyrische Weise mit dem wichtigsten Rohstoff der Erde auseinandersetzt. v o n C h r i s t o p h Sch l ü r e n

Pianistin Hélène Grimaud: „Ich liebe es, dass das Leben mir etwas Unerwartetes zuspielt, während ich ganz andere Pläne hatte.“

Foto: Mat Hennek

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ür das Populärmusik-Magazin Deccan Chronicle vom 29. Dezember 2015 ist das Ranking der Klassikkünstler eindeutig: Hélène Grimaud gehört in diesen Zeiten zu den „Top Four der klassischen Pianisten“, außerdem weist das Magazin darauf hin, dass Nitin Sawhney ihr neues Album produziert. Und auch hier gilt: The more it sells, the better it is. Außer Zweifel steht, dass sich für das Projekt „Water“ mit Sawhney und Grimaud zwei Seelenverwandte aufeinander eingelassen haben. Doch bleiben wir zunächst bei Hélène Grimaud: 1969 in Aixen-Provence geboren und aufgewachsen, hat sie sich in Frankreich nie so richtig heimisch gefühlt: Mit überwiegend jüdischen Vorfahren aus Deutschland, Italien und Nordafrika wollte sie stets der Enge der Grande Nation entkommen und war seit ihrer Kindheit rebellisch und eigensinnig veranlagt. Sie brach das Studium am Pariser Conservatoire ab, als sie sich in ihrer Entfaltung behindert fühlte. Auch brauchte sie keinen großen Wettbewerbserfolg, um Karriere zu machen. Stattdessen übte sie ihr CD-Debütprogramm mit schwersten Kalibern von Rachmaninow innerhalb von drei Wochen ein und überraschte die musikalische Welt als blutjunge Exklusivkünstlerin des bis in die Neunzigerjahre omnipräsenten japanischen Labels Denon. Daniel Barenboim lud sie als Solistin zum Orchestre de Paris ein, und nach dem Crash von Denon wechselte sie zu Barenboims damaligem Stammlabel Teldec. Als Teldec von Warner geschluckt wurde, nahm die Deutsche Grammophon die mittlerweile weltbekannte Künstlerin mit offenen Armen auf, und man hat ihr seither freie Hand bei der Gestaltung ihrer teils

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sehr extravaganten Albumprogramme gelassen. Der kommerzielle Erfolg hat diese Freizügigkeit bestätigt, und Hélène Grimaud ist heute eine der wenigen Instrumentalisten, deren Name außerhalb von Fachkreisen einem breiten Publikum geläufig ist, was natürlich auch mit ihrer bekannten Passion für Wölfe, ihrer literarischen Eloquenz und ihrem attraktiven Erscheinungsbild zu tun hat. Nitin Sawhney stammt aus Rochester, etwas außerhalb von London. Er ist ein Sohn indischer Einwanderer und hat früh Erfahrungen mit Diskriminierung und Ausgrenzung gemacht, den weißen Rassismus sozusagen „von der Pike auf“ kennengelernt. Auch er durfte sich nicht heimisch fühlen, was in ihm den unwiderstehlichen Antrieb hervorrief, als Musiker keinerlei Begrenzungen zu akzeptieren und alle Stilmittel, die die heutige Welt bereithält, in wechselseitiger Durchdringung zum Einsatz zu bringen. Als ausgezeichneter Pianist und herausragender Gitarrist hat er nicht nur Meisterschaft im Spiel der komplexen Raga-Musik der Heimat seiner Eltern erreicht, sondern dank seiner immensen Begabung ein globales Spektrum musikalischer Kultur erobert, das er unentwegt erweitert. Sawhney ist in Flamenco, bei Bach und Debussy, in Jazz und Funk ebenso zu Hause wie in allen Stilrichtungen der Pop- und Rockmusik bis hin zum Punk, als Komponist von Filmmusik und Videogame-Soundtracks ist er nicht weniger bekannt – sogar als revolutionärer DJ, Produzent oder Coach. Er hat mit Paul McCartney, David Gilmour, Shakira, Sting und Anoushka Shankar zusammengearbeitet, und es war nur eine Frage der Zeit, wann er erstmals mit einem bekannten klassischen Musiker hervortreten würde. Sawhney www.crescendo.de

Februar – März 2016


Produzent Nitin Sawhney

Foto: Justin Sutcliffe

lehnt den Terminus „Weltmusik“ als rassis„Water“ wurde von Hélène Grimaud an tische Verniedlichung ab, es sei denn, man mehreren Abenden in der Wade Thompson bezeichnete alle Musik als Weltmusik. Drill Hall in der Park Avenue Armory, New Was nun Hélène Grimaud und Nitin York, im Rahmen einer gigantischen WasSawhney auf der biografischen Ebene eint, serspiegel-Installation von Douglas Gordon ist die Tatsache, dass sie beide früh in der live eingespielt. Der gesamte Fußboden der Musik eine Zuflucht gefunden haben, die sie Halle wurde geflutet, und inmitten des Wasdie schmerzhaften Erfahrungen der äußeren sers, von diesem komplett umschlossen, Welt überwinden ließ. Auf der ideellen Ebene ist die Übereinstim- stand der Flügel. Hélène Grimaud betont, dass dieses Projekt übermung der beiden Künstler so offenkundig, dass ihr Zusammen- raschend auf sie zukam: „Ich liebe es, dass das Leben mir etwas treffen nicht als Zufall abgetan werden kann: Beide sind überzeugt, Unerwartetes zuspielt, während ich ganz andere Pläne hatte.“ In dass es eine höhere Intelligenz hinter den Erscheinungen der sicht- ihren Programmen setzt sie meist nicht auf historische oder theound messbaren Welt gibt, eine göttliche Intelligenz, die von den retische Kontexte, sondern auf die „intuitive Kombination“. Als sie einander bekriegenden Religionen nicht für den heutigen Men- das Programm für „Water“ aussuchte, beschäftigte sie sich „mit 40 schen geeint werden kann. Wenn schon religiös, dann müsste es bis 50 Stücken, die das Thema Wasser behandeln, um mich dann eine panreligiöse Naturreligion sein, die zugleich aufgeklärt ist primär für Musik zu entscheiden, die imaginativ mit der Thematik und den Naturwissenschaften ein ethisches Fundament gibt. Und umgeht und weniger konkret erzählerisch“. Natürlich ist Wasser als Musiker besteht weder für Sawhney noch für Grimaud der hier in all seinen Aggregatzuständen gemeint, also auch als Dampf, geringste Zweifel, dass sie die Musik nicht „machen“, sondern sich Nebel, Schnee oder Eis. Dass alles Gefrorene letztlich auf der Strelediglich als Medien zur Verfücke blieb, mag dem Klimawandel gung stellen, damit geschehen geschuldet sein … weder Für Sawhney noch für kann, was bereits vorgeformt Hélène Grimaud hat neun ist. Exemplarisch hierfür steht höchst unterschiedliche Stücke ­Grimaud besteht der geringste die auf Michelangelo zurückgeausgesucht, die in einem Zeit­Zweifel, dass sie die Musik nicht hende Aussage des Bildhauers, raum von 115 Jahren entstanden: er mache nicht die Skulptur, von Liszts opulent geschilderten ­„machen“, sondern sich lediglich als sondern schlage nur das weg, Wasserspielen der Villa d’Este im Medien zur Verfügung stellen was nicht dazugehört. Lazio (1877) bis zu Toru TakeSawhney hat sich intensiv mitsus letztem Klavierwerk, dem mit Philosophie und Mathemaverdämmernden Rain Tree tik auseinandergesetzt und insbesondere anhand der Begegnung Sketch II im Gedenken an den verstorbenen Kollegen Olivier Mesvon Tagore und Einstein studiert, wie Musik in ihrer ursprüngli- siaen (1992). Eröffnet wird das Programm von Luciano Berios chen Funktion in das Weltgeschehen eingebettet ist. Und Hélène herrlich ver­fließendem Wasserklavier von 1965, einem wohlklinGrimaud hat vor allem durch ihr Leben mit den Wölfen, das im gend nach innen gewandten Nocturne mit offenem Ende. Eine Äußeren zur Gründung des Wolf Conservation Center im US- Barcarolle von Fauré steht fürs diesseitig Musikantische, in Ravels Bundesstaat New York führte, zu einem neuen Begreifen von Jeux d’eau „lacht der Flussgott, weil ihn das Wasser kitzelt“, Isaac empathischer Ganzheitlichkeit gefunden, zu Verbundenheit mit Albéniz’ Hommage an die andalusische Küstenstadt Almería künder Natur und Respekt für alles Lebendige, was sie durchaus als det nicht ohne stürmische Aufwallung von mediterranem Leben zentrale Botschaft ihres Künstlertums begreift. So eint auch beide und führt übers Mittelmeer zu Liszts römischer BrunnenbeschwöKünstler die Sorge über die unverminderte Ausbeutung des Plane- rung. Doch dann entrücken die Klänge von den weltlichen Freuten und den drohenden Kollaps des Ökosystems sowie die Fortset- den: Der erste Satz aus Janáčeks Im Nebel ist suchend, fragend, und zung der kolonialen Kriegsführung und die damit verbundene den Abschluss bildet die berühmte Versunkene Kathedrale von blinde Wachstumsideologie. Der Mensch muss dazu erwachen, Claude Debussy, die auf der bretonischen Legende von der versundiese Welt zu schützen – vor seiner eigenen Gier, Angst und Igno- kenen Stadt Ys beruht, eines Mahnmals an die menschliche Hybranz, vor den zerstörerischen Automatismen seiner Spezies. ris, das dank des Spiels der Gezeiten für kurze Augenblicke sicht„Water“, das erste gemeinsame Projekt von Grimaud und bar wird, um wieder von der Allgewalt des Meeres überflutet zu Sawhney, bezieht sich auf lyrische Weise auf das Lebenselixier werden. Das Besondere an diesem Programm ist nun die Art, wie Wasser, um welches mittlerweile in aller Welt ein Kampf entbrannt Nitin Sawhney diese neun Stücke in seinen acht Transitions verist. Wasserknappheit, Trinkwassermonopol, das sind Entwicklun- bindet. Er schafft nicht nur so ideale wie überraschende Übergen, von denen wir in Europa bislang nur theoretisch betroffen gänge, sondern öffnet neue Perspektiven, und es kommt zu einer sind, die jedoch der Welt in den nächsten Jahren noch dramatische Begegnung der Welten, die weder Verschmelzung noch KontrasSzenarien bescheren werden. Ohne Wasser kein Leben, das ist tierung ist, sondern ganz einfach Entgrenzung und gegenseitige unzweifelhaft. Auch in der Musik, wenn wir die Aussage des überRespektbezeugung vor der Natur des Anderen. ragenden schwedischen Sinfonikers Anders Eliasson ernst neh■ men: „Musik muss immer fließen, Stillstand bedeutet den Tod. Sie Hélène Grimaud: „Water“ (DG) ist wie Wasser, setzt sich aus drei Molekülen zusammen, und wenn Am 26. und 27. März 2016 spielt Grimaud im Wiener Musikverein man eines wegnimmt, wird sie ihres Lebens beraubt: H2O – Melodie, Harmonie und Rhythmus.“ 15


p e r s onali e n

Nachruf auf einen der wichtigsten Komponisten der Moderne

P i er r e Bo u le z Schließlich war sich auch der Idealist und vermeintlich In den Nachrufen über Pierre Boulez war viel von seinem Provokations-Potenzial zu lesen. Vom Testosteron, das so gut in rigorose Künstler stets darüber bewusst, dass ein Gegenwartsunsere laute Zeit passt. Klar, das „Spiegel“-Zitat von den Opern- komponist am besten gehört wird, wenn er sich selbst auf dem häusern, die er in die Luft sprengen wollte, durfte nicht fehlen, Boulevard der Eitelkeiten hörbar macht. Und so ist er dann ja und nicht seine Skandal-Dirigate in Bayreuth: zunächst mit dem auch Staatskünstler geworden, ja, Weltkünstler: 26 Grammys, so herrlich unweihevollen und rasanten Parsifal, mit dem „Jahr- Großes Verdienstkreuz mit Stern, Österreichisches Ehrenzeihundertring“, dann, 38 Jahre später, als Soundtrack-Geber zu chen, Kyoto-Preis und japanischer Praemium Imperiale. Wäre das alles auch ohne Opernhaus-ZerChristoph Schlingensiefs germanistör-Interviews passiert? scher Afrika-Expedition und desJa! Denn Boulez’ Musik war sen „Hasifal“. Sicherlich, es fand genial. In den Nachrufen wurde sie auch die Würdigung von Boulez’ nur selten beschrieben. Vielleicht, Lebenswerk Aufmerksamkeit, des weil sie uns noch zu nahe ist? Weil Pariser IRCAM, diesem riesigen uns Boulez als provokanter Mahner Komplex für Neue Musik. Aber greifbarer wird denn als Meister des dann wurde es in vielen Nachrufen klingenden Verschwindens der eigeschon still. Mehr war da nicht? Nur nen Ideale? „Wissen Sie“, sagte er einein bisschen Theaterdonner? mal, „die Musik hat es schwerer als Natürlich konnte Boulez auch ein Bild. Sie muss geduldiger sein. Sie leise. Wer ihn proben sah, mit der hat den Nachteil, dass sie sich nicht Staatskapelle in Berlin etwa, oder so schnell erschließt wie ein Bild. mit dem Lucerne Festival OrchesMan kann sie nur wahrnehmen, tra, der lernte einen stillen Meister wenn sie erklingt. Es ist nötig, sie kennen, der nicht viele Worte öfter zu hören.“ Und Hand aufs Herz: brauchte, dessen Logik irgendwann Wie oft haben wir die Musik von und irgendwo ganz selbstverständPierre Boulez denn wirklich gehört? lich die Grenze zur Emotion aufAuch sie trägt laute Titel, Hamlöste. Und vielleicht war das in seimer ohne Meister etwa. Aber die nen Kompositionen auch so: Sie Lautstärke war für ihn höchstens ein sind viel innerlicher, viel verzweigEine ausführliche Hommage an Pierre Boulez Mittel der Blendung, im Herzen war ter, viel verschlungener als all das können Sie auf crescendo.de nachlesen. Boulez immer ein Dialektiker. In Tamtam, das in den letzten Wochen Wahrheit funktioniert seine Musik um ihn gemacht wurde. Der Tod von Pierre Boulez ist ja nicht nur der Tod irgend- wie seine öffentliche Polemik: Was gestern noch Gesetz war, eines großen Musikers. Es ist auch das Ende einer musikhistori- musste er morgen selber wieder einreißen. So vehement, wie schen Brücke in jene Zeit, in der er sozialisiert wurde, in die Boulez nach dem Zweiten Weltkrieg das Dogma der ZwölftonEnd-Zeit der ganz großen Titanen, in die Fünfzigerjahre, als musik postulierte, so vehement bekannte er später, dass ihn die jene Komponisten, die wir heute als „klassisch“ bezeichnen, Regel ebenso diszipliniert wie eingeschränkt hätte. Gegen keine noch als Neutöner galten: Schostakowitsch, Schönberg oder andere Musik wütete er so sehr wie gegen seine eigenen PionierWerke. Von Structures 1a sagte er einmal, dass diese Komposition Strawinsky. Gerade an Letzterem hat Boulez sich gerieben und ihn in nicht total, sondern totalitär gewesen sei. Überhaupt hat Boulez einem Essay noch zu Lebzeiten für tot erklärt. Später hatte er große Teile seines Frühwerkes zurückgezogen, bearbeitet und neu diese Aussage längst revidiert, natürlich war Strawinsky für aufgelegt. Sein ganzes Schaffen ist work in progress, ein ständiger Boulez zeitlebens ein Held. Aber jetzt, mit dem Tod des Jünge- Wandel, eine dauernde Bewegung – bis in die Unendlichkeit. Aber wie soll man sein Werk zusammenfassen? Vielleicht ren, ist der Ältere dann vielleicht doch noch eine Generation weiter von uns weggerückt – mit Pierre Boulez ist eben auch genau so: Boulez hat die Musik als Steinbruch begriffen – die eines der letzten leibhaftigen Bindeglieder in jene Musik gestor- Kompositionen anderer ebenso wie die seinen. Nichts war ihm heilig. Auch nicht sein Genie. Selbstverständlich hat er sich bei ben, die wir heute „modern“ nennen. Klar, wir haben Boulez für seine Provokationen geliebt, John Cage bedient und bei Leonard Bernstein, aber eben auch und dennoch: Irgendwie fiel es auch schwer, ihm den rauen Kerl bei Beethoven und Bach. Musik war für ihn immer Moment. abzunehmen, den er in der Öffentlichkeit so gern spielte. Den, Kein Moment im Jetzt. Sondern die Hörbarmachung des über den sein Lehrer Messiaen stöhnte, dass er einem „bei zukünftigen Augenblickes während der Dauer eines Konzertes. lebendigem Leibe gehäuteten Löwen“ gleiche, den, der seinen „Eine Tugend des Gegenwartskomponisten ist das Urvertrauen Lehrer René Leibowitz mit den Worten „Vous êtes merde!“ in die Zukunft“, sagte er mir einmal, „deshalb ist mein Leben beschimpfte. Der laute Boulez war immer auch der zerbrechli- auch meinen inneren Überzeugungen gewidmet und folgt keinen Moden.“ che Boulez, der Affront immer in tiefer Liebe begründet. Axel Brüggemann

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Foto: Harald Hoffmann / DG

1925 – 2016


hören & sehen •

Die besten CDs, DVDs & Vinylplatten des Monats von Oper über Jazz bis Tanz Attila Csampais Auswahl (Seite 18) Die (späte) Entdeckung der Dinorah Varsi (Seite 26)

Vinyl Karajans legendärer BeethovenZyklus von 1963 auf Vinyl

„Seid umschlungen, Millionen ...“

Der Vinyl-Virus hat jetzt auch die großen Labels erreicht: 26 Jahre nach dem Tod ihres Hausgottes H. v. K. hat Universal jetzt einen der größten Schätze des DG-Archivs in der alten Originalversion auf acht 180 Gramm schweren, tadellos gepressten LPs wiederveröffentlicht, in einer auf nur 600 Kassetten limitierten Sonder­ edition: Karajans erster Stereo-Zyklus der Sinfonien ­Beethovens genießt nicht nur bei Vinyl-Freaks Kultstatus, sondern ist eine der stärksten und authentischsten Manifestationen seines dramatisch aufgeheizten, glanzvollen Musizierstils und ein typisches Dokument des damals in Berlin von ihm kultivierten „Karajan-Sounds“, der stereofone Räumlichkeit mit druckvollem, festlich-opulentem Orchesterklang kombinierte. Nach über fünfzig Jahren (und den Erfahrungen des „Originalklangs“) klingen diese frühen HiFiDokumente noch immer erstaunlich frisch und aufgeladen, wenngleich Karajans titanisch-überhitzte Lesart gelegentlich etwas zu üppig und überladen wirkt: Es ist ein einzigartiger Rausch der Gefühle, der Farben, der bedeutungsvollen Gesten, der sogartig an einem vorbeizieht und auf den erlösenden Schlusschor der Neunten zusteuert: Hier wird vom ersten Takt an die ganze Menschheit angesprochen. AC

Beethoven: „Neun Symphonien“, ­­ Berliner Philharmoniker, Herbert von Karajan (DG)

Foto: Siegfried Lauterwasser / DG

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Die Empfehlungen von Attila Csampai

Leidenschaft & Intensität ... prägen Attila Csampais Auswahl im Wintermonat Februar. Diese Energieschübe wärmen die Seele und spenden neue Lebenskraft.

Beethoven: Symphony NO. 5 & 7 Pittsburgh Symphony Orchestra, Manfred Honeck (Reference Recordings)

zerte Bachs vorgenommen und mit dem britischen Barockensemble Arcangelo nicht nur die beiden populären Originalwerke in a-Moll und E-Dur, sondern auch die drei nach Cembalokonzerten rekonstruierten Konzerte im radikalhistorischen Klangbild wiederbelebt, was ihre stilistische Bandbreite und ihre musikalische Intelligenz nur eindringlich untermauert: Dabei entpuppt sich die brillante Virtuosin hier als perfekte Teamplayerin, die es offenbar genießt, sich mit den exzellenten Solisten der vierzehnköpfigen Truppe in lebendige, impulsreiche, agogisch atmende Dialoge auf Augenhöhe einzulassen, das gemeinsame lustvolle „Konzertieren“ in den Vordergrund zu rücken und so kollektive Unterhaltung auf höchstem Niveau zu bieten. Gleichwohl versteht sie es in den langsamen Sätzen ebenso souverän, ihre Solokantilenen in vibratoloser Schlichtheit und Anmut fließen und so deren spirituelle Kraft ganz aus der Musik heraus entstehen zu lassen. Eine großartige, wandlungsfähige, charismatische Künstlerin auf dem Weg zum Weltruhm.

Vor Kurzem erst haben Martin Haselböck und sein Orchester Wiener Akademie drei Beethoven-Sinfonien fulminant wiederbelebt, da fährt sein Landsmann Manfred Honeck im fernen Pittsburgh noch schwerere Beethoven-Geschütze auf: Der vormalige Bratscher der Wiener Philharmoniker übernahm das USTraditionsorchester 2008 als elfter Musikdirektor und formte es in kurzer Zeit zu einem Weltklasse-Klangkörper mit eigenem Klangprofil: Die jetzt in einem Mehrkanal-Mitschnitt veröffentlichte Live-Aufführung der Fünften Beethovens setzt diesen neuen, geballten, ungemein lebendigen Ansatz Honecks sehr engagiert und punktgenau um. Schon die symbolisch drohende und in Zeitlupe herausgeknallte Vorstellung des berühmten Klopfmotivs zu Beginn der Sinfonie unterstreicht Honecks theatralisch-trotzige Lesart: als wolle er das überhitzte Pathos früherer Generationen mit der rhythmischen Verve und der schroffen Kontur der „HistoMendelssohn: SONATAS & SONGS Friedrich Kleinhapl, Andreas Woyke, risten“ zu einem neuen, spannungsreichen und energiegeladenen (Ars Produktion) Beethoven-Stil verschmelzen, der den revolutionären Charakter dieses Werks wieder in den Mittelpunkt rückt. In der vom RhythTrack 5 auf der crescendo Abo-CD: „Allegretto scherzando“ aus: „Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 2 D-Dur op. 58“ mus dominierten, tänzerisch-ausgelassenen Siebten ist dieser drohende Gestus zwar abgemildert, aber auch hier entfacht Honeck Die neue SACD des österreichischen Cellisten einen unaufhaltsamen, sogartig auf das Finale zusteuernden Drive, Friedrich Kleinhapl zieren Werke Mendelsder die ganze Sinfonie als eine Art Siegesfeier über Napoleon und sohns, und er hat es sich nicht nehmen lassen, im Booklet ein engaeben als kollektives Ereignis von politischen Ausmaßen deutet: giertes Plädoyer für den noch immer unterschätzten Komponisten Diese Musik hat auch zweihundert Jahre nach ihrer Niederschrift abzulegen. Auf seinem unglaublich voluminösen, dunkel-kerninichts von ihrer brennenden Aktualität eingebüßt. gen Guadagnini-Cello unternimmt er eine leidenschaftlich wogende, vor innerer Glut berstende Wiederbelebung der beiden Cellosonaten in B-Dur und D-Dur und hebt sie so auf eine Stufe mit Bach: Violin concertos Alina Ibragimova, Arcangelo, Jonathan Cohen den größten Werken der Celloliteratur. Kleinhapl und sein Kla(hyperion) vierpartner Andreas Woyke sind eben besessene „BekenntnismuSchon im vergangenen Jahr sorgte Alina Ibra- siker“, denen es in erster Linie um Wahrheit und Herzensintensität gimova für Aufsehen, als sie die sechs sau­ geht, nicht unbedingt um Schönheit und Eleganz: So öffnen sie schweren Solosonaten von Eugène Ysaÿe mit hier die wirklichen Tiefendimensionen dieser Musik und lassen angsteinflößender Bravour einspielte: Jetzt hat alle alten Lügen über Mendelssohn in sich zusammenbrechen. sich die dreißigjährige, in London lebende Russin die Violinkon- Kleinhapls kraftvoll-herber, ungeschminkter Ton verleiht auch 18

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den ausgewählten Liedern ohne Worte einen ganz eigenwilligen baritonalen Charakter. Auch die hyperpräsente, haptisch-greifbare Mehr­kanal-Klangbühne trägt entscheidend bei zur stellenweise überfallartigen Wirkung einer Aufnahme, die die innere Glut und Schönheit von Mendelssohns Musik viel intensiver erleben lässt als so viele auf domestizierten Wohllaut ausgerichtete Produktionen: eine Lehrstunde für starke Gemüter.

sich die dreißigjährige Moskauerin Rachmaninows späte „Fortsetzung“ dieser bahnbrechenden Charakterstücke vorgenommen, nämlich seine Études-Tableaux op. 33 und op. 39, und wieder überrascht sie durch ihre enorme technische Souveränität. Sie durchmisst die hochvirtuose Materie mit einer Mühelosigkeit und einer lyrischen Stringenz, die dem überquellenden Figurenwerk Rachmaninows klare und sprechende Kontur verleihen: So findet sie eine ungemein suggestive, geradezu verführerische Balance zwischen atmosphärischen Farbenspielen und scharf Saint-Saëns: piano concertos No. 2 & 5 Louis Schwizgebel, BBC Symphony Orchestra, heraustretenden Profilen und trifft so genau den manischen, zwiFabien Gabel, Martyn Brabbins (Aparte) schen Traumverlorenheit und Dämonie pendelnden Charakter dieser zumeist abgründigen Miniaturen: Das ist tiefschwarze Track 10 auf der crescendo Abo-CD: „Molto allegro“ aus: „Klavierkonzert Nr. 5 F-Dur op. 103 ‚Ägyptisches Konzert‘“ Romantik und doch durchflutet von Sehnsucht und HerzensDer 27-jährige Genfer Pianist Louis Schwizge- wärme. bel hatte zuletzt schon in zwei Beethoven-Konzerten neue Wegmarken gesetzt, jetzt kann man sein brillantes, Mahler: Symphony No. 1 „Titan“ Utah Symphony, Thierry Fischer von großer Intensität und Leidenschaft geprägtes Spiel auch im (Reference Recordings) bekannten g-Moll-Konzert (Nr. 2) sowie im kaum gespielten Ägyptischen Konzert (Nr. 5) von Camille Saint-Saëns erleben: Ich kann Die 1940 gegründete Utah Symphony zählt zu mich nicht entsinnen, das exzellente, auch formal sehr eigenwilden US-Orchestern mit großer Mahler-Tradilige Zweite Klavierkonzert, das Saint-Saëns 1868 in siebzehn Tagen tion: Bereits in den Sechzigerjahren produniederschrieb, jemals so dramatisch aufgeladen, so pyrotechnisch zierte Maurice Abravanel in Salt Lake City brillant, so elektrisierend virtuos gehört zu haben wie in diesem den ersten Gesamtzyklus der Sinfonien und machte das OrchesBBC-Livemitschnitt von 2014, den der junge Franzose Fabien ter weltbekannt. Mittlerweile gibt es allein von der Ersten mehr Gabel ähnlich packend dirigierte. Im Fünften, von orientalischer als dreihundert Einspielungen, und dennoch setzte Chefdirigent Ornamentik geprägten Konzert, das 1896 entstand, versucht Thierry Fischer dieses populäre Opus zum 75. Jubiläum aufs ProSchwizgebel, die immense Vielfalt musikalischer Ideen und den gramm: Der audiophile Mehrkanal-Mitschnitt vermittelt einexotischen Klangzauber spannungsreich in Fluss halten: auch dies dringlich die besondere Mahler-Affinität des Orchesters, das dieein starkes Plädoyer in knackiger Stereo-Qualität. ses bilderreiche Werk mit knackiger Prägnanz als ein Manifest jugendlichen Überschwangs und frischer Aufbruchsstimmung Liszt: Harmonies poétiques et religieuses wiederbelebt, sodass die bodenständigen Aspekte und Idiome – Michael Korstick (cpo) wie Walzer, Ländler, Naturlaute und Höllenlärm – geschärft in den Vordergrund rücken, weitab von aller perfektionistischen Track 11 auf der crescendo Abo-CD: „Hymne de l’entfant à son réveil“ aus: „Harmonies poétiques et religieuses“ Glätte. Und Fischer veranstaltet ein Konzert holzschnittartiger Fast zwanzig Jahre lang, von 1834 bis 1853, Konturen und klar gezeichneter Profile, die Mahlers kakanische arbeitete Franz Liszt an seinem Klavierzyklus Impressionen als klar umrissene Momentaufnahmen seiner Harmonies poétiques et religieuses nach Gedich- Lebenswirklichkeit, seiner Weltsicht erscheinen lassen. Diese ten des französischen Romantikers Alphonse de Lamartine, mit Sinfonie steht auf festem Boden. dem er sich seelenverwandt fühlte. Gleichwohl beziehen sich nur sechs der zehn tief spirituellen Kompositionen direkt auf Verse The Beatles 1 / The Beatles 1+ (Apple) Lamartines, dreimal vertonte er lateinische Gebetstexte, um den religiösen Charakter des Zyklus zu verstärken, und das bekannWenn ich hier, zu guter Letzt, ein Album von teste Stück, Funérailles, ist gar eine aktuelle Klage über die gescheiden Beatles empfehle, dann deshalb, weil sie terte Ungarn-Revolution von 1849. Kein anderes Werk bietet eine längst zu „Klassikern“ avanciert sind und zu solche Synthese seiner drei Lebenssphären Musik, Dichtung und den größten Songschreibern des 20. JahrhunReligion. Der deutsche Pianist Michael Korstick, der zuletzt Aufsederts zählen: Eine im Jahr 2000 unter dem hen erregte durch seine schroffen, rebellischen Beethoven-Auf- Titel „Beatles 1“ veröffentlichte Kompilation ihrer 27 in den USA nahmen, hat jetzt den kompletten Zyklus in einer geradezu modell- und in Großbritannien gelisteten Nummer-eins-Hits ist jetzt von haften Interpretation vorgelegt, die hier die andere, „romantische“ Giles Martin, dem Sohn des legendären Beatles-Produzenten, Seite seiner Virtuosität und vor allem seinen Sinn für wechselnde von den alten Analog-Bändern im 24bit-Format komplett neu Klangfarben und melodische Linien enthüllt und so einen fast abgemischt und remastered worden, was nicht nur der alten CDneunzigminütigen Spannungsbogen zieht über zehn innere Mono- Version, sondern auch dem offiziellen EMI-Remastering (von loge der Besinnung, des Glaubens und existenzieller Gedanken. 2009) gegenüber einen deutlichen Zugewinn an Prägnanz, PräDer radikale Aufklärer Korstick verwandelt sich hier in einen ech- senz und haptischer Nähe bereithält: Die Stimmen sind klarer ten Mystiker und Klangmagier. durchgezeichnet, Pauls Bass ist knackiger und Ringos Off-Beats härter – bei den meisten Stücken also ein ganz neues BeatlesErlebnis. Fast noch interessanter für den Fan sind aber die 27 OriRachmaninoff: Études-Tableaux ginalvideos, die man von jedem einzelnen Nummer-eins-Hit aufComplete Zlata Chochieva (Piano Classics) gestöbert und mit ebenfalls neu gemixtem 5.1-Surround-Sound Vor etwa anderthalb Jahren veröffentlichte die unterlegt hat: Sie belegen, dass die Beatles auch zu den Pionieren russische Pianistin Zlata Chochieva eine hoch- des Musik-Clips zählen. In einer Luxusedition „1+“ gibt es diese musikalische, wunderbar fließende, dramati- Videos in Bluray-Qualität, dazu weitere 23 Clips von anderen sche Interpretation der beiden Etüdenzyklen Erfolgstiteln oder Alternativ-Versionen – also insgesamt eine zweiChopins, wurde von der Fachkritik aber kaum beachtet. Jetzt hat stündige absolut elektrisierende Zeitreise in die verrückten Sixties. 19


h ö r e n & s e h e n

Orchester

Martin Fröst

Haus der Musik

Foto: Mats Bäcker

Der schwedische Klarinettist Martin Fröst liebt Herausforderungen. Und eine solche ist das Programm seiner neuen CD allemal: Nicht nur, weil er Klarinette spielt und gleichzeitig seine Mitmusiker vom Royal Stockholm Philharmonic Orchstra dirigiert, sondern auch, weil er mutig und mühelos Genre- und zeitliche Grenzen genussvoll überschreitet. „Roots“ erforscht die Ursprünge der Musik und beginnt bei ihren frühesten Wurzeln, den gregorianischen Gesängen, bei Hildegard von Bingen und Telemann. Über Brahms und Schumann führen die Spuren zum Tango Nuevo Piazzollas und zum Klezmer. Überhaupt spielt die Volksmusik jedweder Couleur und Epoche eine tragende Rolle. Die Zusammenstellung gleicht einem Haus, in dem man von Raum zu Raum schlendert, verschiedene Facetten betrachtet und staunt. Der Architekt dieses Hauses hat hiermit ein wahres Gesamtkunstwerk geschaffen. Dabei erklingt Martin Frösts Klarinette gewohnt brillant. HÄ

Martin Fröst: „Roots“, Royal Stockholm Philharmonic Orchestra (Sony)

Eliane Reyes

Verstörende Idylle

Aus der Zeit gerückt

Diese Musik setzt unweigerlich das Kopfkino in Gang. In ihrer zweiten Sinfonie „Bohinj“ begibt sich die österreichische Komponistin Johanna Doderer in ein malerisches Seengebiet in Slowenien. Die weit ausschwingenden Klangwogen, die an Filmmusik erinnern, steigern sich schon bald zu martialischen Trommelwirbeln. Denn in dieser Naturidylle bekämpften sich im Ersten Weltkrieg Österreicher und Italiener an der Isonzofront. Mit berührender Intensität singt die Sopranistin Anne Schwanewilms von der „unheimlichen Stille“ einer Landschaft, in der Tausende Soldaten starben. Der russische Geiger Yury Revich, Young Artist of the Year 2015, gestaltet souverän den eindringlichen Solopart in Doderers Violinkonzert Nr. 2, das auf dem einstündigen Stück In Breath of Time für Geige und Tanz basiert. Es spielt die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter Leitung der französischen Dirigentin Ariane Matiakh. CK

Benjamin Godard war ein Wunderkind. Am Klavier und mit der Violine wusste er früh das Publikum zu begeistern. Bereits mit zehn Jahren wurde er am Pariser Conservatoire angenommen, um Komposition bei Henri Reber und Violine beim legendären Henri Vieuxtemps zu studieren. Und auch als in Frankreich bereits das Wagner-Fieber ausgebrochen war, komponierte er mit unaufhaltsamem Schaffensdrang. Acht Opern, drei Sinfonien, etliche Lieder, Klavierstücke und Kammermusikwerke umfasst das Repertoire des Komponisten, der gerade einmal 45 Jahre alt wurde, bevor er an Tuberkulose verstarb. Als jüdischer Künstler hielt Godard wenig von Richard Wagner und vermied den Einfluss von dessen beliebter Musik. Lieber knüpfte er an die romantischen Traditionen von Schumann, Mendelssohn oder Chopin an. Gerade der Einfluss des Letztgenannten macht sich immer wieder deutlich bemerkbar. Nach seinem Tod verdrängten jedoch moderner orientierte Komponisten wie Ravel und Debussy die Werke des zweifellos begnadeten Franzosen von den Konzertprogrammen. Einfühlsam und mit großer Klarheit interpretiert die Belgierin Eliane Reyes eine große Auswahl seiner lyrischen Klavierstücke und zeigt die Genialität eines zu schnell vergessenen Künstlers. SK

Johanna Doderer: „Symphony No. 2, ­Violin Concerto No. 2“, Anne Schwanewilms, Yury Revich, Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, Ariane Matiakh (Capriccio) 20

Solo

Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz

B. Godard: „Piano Works“, Eliane Reyes (Grand Piano)

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Februar – März 2016


h ö r e n & s e h e n vom künstlerischen Leiter der Erfolgsshows " Flying Bach" und " Breakin' Mozart" Ch r i s t o p h H a ge l p r ä s ent ie rt

Peter Kofler

Foto: Walter Glück

Kein Ein-Mann-Orchester

Solo

Organisten haben ein Problem: Den Fokus der Aufmerksamkeit müssen sie stets mit einem Begleitpartner teilen – ihrem Musikinstrument. In diesem Sinne also in aller gebotenen Kürze: Erbaut wurde die Orgel der Münchner Michaelskirche, die auf dieser vorzüglichen CD erklingt, in den Achtziger­ jahren des letzten Jahrhunderts und wurde vor fünf Jahren vom Hause Rieger reorganisiert und erweitert. Seitdem reizt Peter Kofler, der Organist der Jesuitenkirche, die klangliche Farbpracht des Instruments immer wieder voll aus. Auf dem Album „Transkriptionen“ vereint der 36-Jährige Orchesterwerke von Franz Liszt, Gabriel Fauré, Claude Debussy und Maurice Ravel, von vier Komponisten also, die besonders mit Klangfarben arbeiteten. Die kristallisiert Kofler mit ansteckender Detailverliebtheit heraus, ohne dabei dem Klangideal der sinfonischen Werke hinterherzuhecheln. Wäre ja auch viel zu schade, die Orgel zur Orchesterimitatorin zu degradieren. Zumal sie ja für viele – fast – so wichtig ist wie der Organist. MT

Peter Kofler: „Transkriptionen – Werke von Debussy, Fauré, Liszt & Ravel“ (Querstand) Track 8 auf der crescendo Abo-CD: „Clair de lune“ von Claude Debussy

MuSiK – TANZ WA H N S i N N Das neue aufregende Breakdance– Spektakel aus Berlin tanz und choreographie: khaled cha abi

Moritz Eggert

Elektrisierende Rhythmen Als Komponist sorgt Moritz Eggert immer wieder für Aufsehen. Er schrieb ein Fußballoratorium, vertonte die Nutzungsbedingungen von Google und schockierte das Publikum der Salzburger Festspiele mit einer provokanten Mozart-Collage. In seiner Einspielung der vielschichtigen Klavierwerke von Marcus Antonius Wesselmann zeigt er sich auch als versierter Pianist. Wesselmann geht häufig von einfachem Grundmaterial aus, das sich im Verlauf seiner Kompositionen zu wiederholen scheint. Dieser erste Eindruck täuscht jedoch, denn die vermeintlichen Wiederholungen sind Ergebnis akribischer Analysen und Experimente, bei denen musikalische Strukturen zerlegt und neu zusammengesetzt werden. Die energisch vorgetragenen Stücke mit ihren permanenten Rhythmuswechseln machen jeden Zuhörer sofort hellwach und können selbst eingefleischten Morgenmuffeln den Start in den Tag erleichtern. CK

M. A. Wesselmann: „piano works“, Moritz Eggert (Neos)

2 6 /0 5 / 2 0 1 6 2 7/ 0 5 / 2 0 1 6 2 8 /0 5 / 2 0 1 6 31/05/2016 01/06/2016 0 2 /0 6 / 2 0 1 6 0 6 /0 6 / 2 0 1 6 0 7/0 6 / 2 0 1 6 12/06/2016 13/06/2016

Dresden Berlin Berlin München Stuttgart Hamburg Genf Zürich Bamberg Bremen

A lt e r S c h l a c h t h o f Huxley's Huxley's Circus Krone K K L - B e e t h ov e n sa a l Laeiszhalle Théâtre du Léman Kongresshaus Konze rthalle Glocke

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h ö r e n & s e h e n

Chor Konzert

Chor und Symphonieorchester des BR

Antje Weithaas

Ohne Pomp

Auf Augenhöhe

Dvořáks Stabat Mater ist gezeichnet von Schicksalsschlägen: In der Zeit, als der Komponist an der Vertonung des Mittelaltergedichts arbeitete, verstarben alle seine drei Kinder. Den Schmerz der Mutter Gottes über ihren gekreuzigten Sohn musste er sich nicht ausmalen – er erlebte ihn selbst. 1880 feierte das Werk denn auch einen überbordenden Erfolg bei der Uraufführung und wurde quasi über Nacht ins Standardrepertoire der Kirchenmusik aufgenommen. Doch es muss auch adäquat interpretiert werden, woran viele Künstler immer wieder scheitern: Innig soll das Stabat Mater sein, und das mit einem gigantischen Aufgebot an Chor- und Orchestermusikern. Dieser Balanceakt ist Mariss Jansons mit dem Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und den glänzenden Solisten Erin Wall (Sopran), Mihoko Fujimura (Mezzosopran), Christian Elsner (Tenor) und Liang Li (Bass) eindrucksvoll gelungen. MT

Brahms’ Violinkonzert entstand in einer Zeit, als man allmählich vom Virtuosentum abkehrte. Was dem Komponisten nach der Uraufführung reichlich Gegenwind einbrachte: Der Geigenpart wartet mit immensen technischen Schwierigkeiten auf, muss sich aber gleichzeitig in die sinfonische Schwere des Werks einfügen, bisweilen gar unterordnen. „Gegen die Violine“ und nicht „für“ sie hätte Brahms geschrieben, äußerte sich der Dirigent Hans von Bülow dazu. Antje Weithaas beweist nun das Gegenteil, indem sie zum Ursprungsgedanken der Gattung „Konzert“ zurückkehrt: Es entsteht ein Dialog zwischen Soloinstrument und Orchester auf Augenhöhe. Gleichwertiger Partner ist die Camerata Bern, die mit ihrer verhältnismäßig kleinen Besetzung eine bei diesem Werk selten gehörte intime Stimmung erzeugt. Die tritt auch in der großartigen Streichorchester-Bearbeitung des 2. Streichquintetts von Brahms hervor, die ebenfalls Eingang in die CD gefunden hat. MT

Antonín Dvořák: „Stabat mater“, Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Mariss Jansons (BRKlassik) Track 14 auf der crescendo Abo-CD: „Virgo virginum praeclara. Largo“ aus: „Stabat Mater op. 58“

J. Brahms: „Violinconcert“, Antje Weithaas, Camerata Bern (Avi) Track 7 auf der crescendo AboCD: „Adagio“ aus: „Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77“

Ivry Gitlis

Persönlich

Wann immer es um große Geiger geht, wird früher oder später der Name Ivry Gitlis fallen. Sein Spiel wird als entfesselt und ungebändigt beschrieben, und als Pädagoge soll er von philosophischen Gesprächen bis hin zu deftigen Anekdoten für alles zu haben sein. Mit fünf Jahren begann er mit dem Violinspiel, mit zehn erhielt er ein Stipendium in Paris, um bei drei der bedeutendsten Violinisten der damaligen Zeit zu studieren: Carl Flesch, ­Jacques Thibaud und George Enescu. Schnell entwickelte sich Gitlis selbst zu einem renommierten Solisten, der bereits mit seiner ersten Schallplatte, dem Violinkonzert von Alban Berg, großartige Erfolge verbuchen konnte. Er gründete Festivals, kümmerte sich um den musikalischen Nachwuchs, gab Konzerte in Krankenhäusern und Gefängnissen. Nein, auf etwas festlegen kann man ihn nicht, diesen inzwischen 94-jährigen Ausnahmekünstler, der mit Yehudi Menuhin und Daniel Barenboim spielte, aber auch mit den Rolling Stones oder mit Martha Argerich auf den Straßen von Paris. Dieses Album vereint einige seiner berühmtesten Interpretationen. Jedem Werk macht Gitlis dabei ein mutiges Geschenk: ein großes Stück seiner schillernden Persönlichkeit. SK

Ivry Gitlis: „Violin Concertos Recital“, Radio-Sinfonieorchester und Sinfonieorchester des SWR, Orchester des Nationaltheaters Mannheim (SWR Music)

No.01 Klassische Einzeigeruhr mit Handaufzugswerk

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Orchester

Philharmonisches Orchester ­A ltenburg-Gera

Aus der ­Vergessenheit geholt Die Geschichte des Verführers Don Juan ist vielfach erzählt, in Mozarts Oper bekam Don Giovanni, der „bestrafte Wüstling“, sein musikalisches Gesicht. Motive dieses Meisterwerks entlieh der 1882 geborene Komponist Walter Braunfels und ließ sie in sieben Variationen in spätromantischer Tradition aufleben. Dennoch ist der Variationszyklus keine einfache Verarbeitung Mozartscher Musik. Vielmehr eröffnet er einen neuen Blick auf den Mythos und zeigt die viel zu lange in Vergessenheit gezwungene Kunst ihres Komponisten: Braunfels war lange Zeit einer der meistgespielten Opernkomponisten Deutschlands und der erste Direktor der Kölner Musikhochschule. Als „Halbjude“ verlor er jedoch in der NS-Zeit sämtliche Posten. Er erhielt Aufführungsverbot, der Name „Braunfels“ verschwand aus den Programmheften. Dem wirkt nun das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera entgegen und präsentiert unter Markus L. Frank eine Aufnahme, die aufhorchen lässt. SK

Walter Braunfels: „Don Juan“, Philharmonisches Orchester ­Altenburg-Gera, Markus L. Frank (Capriccio)

Nederlands Dans Theater

Sanft und glutvoll

Tanz

Fesselnd in seiner Dynamik und emotionalen Kraft – gleich ein großer Wurf war 1983 Jardí Tancat des 26-jährigen Spaniers Nacho Duato, zu der Zeit noch Mitglied in Jiří Kyliáns Nederlands Dans Theater (NDT). Einen unmittelbaren Zugang zu dem künftigen Choreografen und Ballettchef – seit 2014 leitet er das Staatsballett Berlin – bietet Jellie Dekkers Dokumention anlässlich eines NDT-Gastspiels 1986 in Madrid. Duatos Interview-Aussagen, (Proben-)Sequenzen mit ihm als charismatischem Tänzer, als Einstudierer seines Erstlings und sein Abstecher in das südöstliche Aragonien verdeutlichen Intention und künstlerischen Atem dieses „geschlossenen Gartens“: Drei Paare, in einem von Kylián geprägten Stil hochmusikalisch hineinfließend in Maria del Mar Bonets wehmütige katalanische Volksweisen, sind eine fest zusammenhaltende bäuerliche Gemeinschaft: Ihre Liebe zu ihrem Land, Säen und Ernten, der karge Boden, die Hitze des Mittags – hier wird das alles zu sanft-glutvollem Tanz. GRA

Nederlands Dans Theater: „Nacho Duato and the Nederlands Dans Theater – Jardí Tancat“ (Arthaus Musik)

Ballet de l’Opéra de Paris

Tanz im Regen

Zehn Tänzer des Balletts der Pariser Oper, exquisit auch hier im zeitgenössischen Genre, stürmen durch einen hohen, halbrunden „Regen“Fransenvorhang, bilden Reihen, sondern sich ab zu Soli, Duetten, Quartetten, die drei Männer auch mehrmals zu Trios, die spielerisch zwischen Sprüngen, Drehungen und Bodenfiguren wechseln. Anne Teresa de Keersmaekers Rain – 2001 für ihre belgische Compagnie Rosas kreiert, 2011 von Paris übernommen, 2014 gefilmt – ist eine durch ihre komplizierten Raumwege hoch spannende kaleidoskopische Choreografie, die in ihren fantasievoll variierten, mühelos aus den Gelenken schwingenden Bewegungen auf Steve Reichs Music For Eighteen Musicians (hervorragend interpretiert vom Ensemble Ictus und Synergy Vocals) federleicht dahintanzt. Hier treten Tanz und ständig veränderte RhythmusKlang-Muster in einen sich selbst durchgehend heiter anfeuernden Dialog, der die – auch mathematisch – harte Kompositionsarbeit dieser beiden großen Minimalkünstler als Ausdruck einer sich lustvoll auslebenden jungen urbanen Gesellschaft erscheinen lässt. GRA

Anne Teresa de Keersmaekers: „Rain“, Ballett de l’Opéra de Paris, Anne Teresa de Keersmaeker, Steve Reich (BelAir)

fe st i va l p a qu e s . c o m tel: +33 4 42 91 69 69

ANNE-SOPHIE MUTTER, HÉLÈNE GRIMAUD, MARIINSKY ORCHESTER, THOMAS HAMPSON, RENAUD CAPUÇON, SOL GABETTA, DANIIL TRIFONOV, 23 BUDAPEST FESTIVAL ORCHESTRA, PINCHAS ZUKERMAN, YO-YO MA…

CRÉDIT MUTUEL-CIC-GRUPPE G R Ü N D U N G S PA R T N E R

vivacitas.fr - © Lena Knutli

DER BESONDERE MUSIKALISCHE TERMIN IM HERZEN DER PROVENCE


h ö r e n & s e h e n

Impressum Verlag Port Media GmbH, Rindermarkt 6, 80331 München Telefon: +49-(0)89-741509-0, Fax: -11 info@crescendo.de, www.crescendo.de Port Media ist Mitglied im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger und im AKS Arbeitskreis Kultursponsoring

Herausgeber Winfried Hanuschik | hanuschik@crescendo.de

Verlagsleitung Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de

Chefredakteur Robert Kittel (RK, verantwortlich)

Art director Stefan Steitz

Redaktion Maximilian Theiss (MT)

schlussREdaktion Maike Zürcher

Kolumnisten John Axelrod, Axel Brüggemann, Attila Csampai (AC), Daniel Hope, Christoph Schlüren, Stefan Sell

Jazz

Erik Truffaz

Irgendwo in Afrika Warum sind es besonders oft Trompeter, die neugierig in ferne Klangwelten pusten? Antworten finden sich in deren Werk, von Jon Hassels Fourth-World-Imaginationen über Nils Petter-Molvaers elektro-folkloristisches Khmer bis zu Ibrahim Maaloufs diversen Arabesken und natürlich Miles Davis’ Weltmusikalien von Sketches of Spain bis Amandla. Aktuell zeigt der schweizerische Franzose Erik Truffaz mit „Doni Doni“, wie wunderbar sich Jazz und afrikanische Melodien, elektronische Sounds und akustische Traditionen verweben lassen. Gemeinsam mit seinem Quartett und Gästen wie der Sängerin Rokia Traoré aus Mali entsteht hier ein fliegender Klangteppich, bei dem sich Klänge erhebend entspannen und wie Muster offenbaren, getragen von den Stimmen der Sängerin und des Trompeters. Mal romantisch zerstreut oder schmeichelnd, dann wieder rhythmisch durchtrieben, entwickeln Truffaz und seine Mitmusiker eine moderne Musik, die dem Begriff „Fusion“ neues Leben gibt. GB

Erik Truffaz: „Doni Doni“ (Parlophone)

Mitarbeiter dieser Ausgabe

Frank Woeste

Götz Bühler (GB), Moritz Eggert, Malve Gradinger (GRA), Sascha Goetzel, Ute Elena Hamm (UH), Ilona Hanning (IH), Julia Hartel, Klaus Härtel (HÄ), Sina Kleinedler (SK), Katherina Knees (KK), Corina Kolbe (CK), Dagmar Leischow, Uschka Pittroff, Teresa Pieschacón Raphael (TPR), Angelika Rahm (AR), Ruth Reif, Dorothea Walchshäusl, Holger Wemhoff

Eleganter Eklektizismus

Projektleitung plus regional Liselotte Richter-Lux | richter-lux@crescendo.de

Verlagsrepräsentanten Tonträger: Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de Kulturbetriebe: L. Richter-Lux | richter-lux@crescendo.de Hifi & Marke: Heinz Mannsdorff | mannsdorff@crescendo.de Verlage: Hanspeter Reiter | reiter@crescendo.de

Auftragsmanagement Michaela Bendomir | bendomir@portmedia.de

Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 19 vom 10.09.2015

Druck Westermann Druck, Georg-Westermann-Allee 66, 38104 Braunschweig

Vertrieb Axel Springer Vertriebsservice GmbH, Süderstr. 77, 20097 Hamburg www.as-vertriebsservice.de

Erscheinungsweise crescendo ist im Zeitschriftenhandel, bei Opern- und Konzert­häusern, im Kartenvorkauf und im Hifi- und Tonträgerhandel erhältlich. Copyright für alle Bei­träge bei Port Media GmbH. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht unbedingt die der Redaktion wieder. Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird keine Gewähr übernommen.

Abonnement Das crescendo premium-Abo umfasst sieben Ausgaben, inklusive­„crescendo Festspiel-Guide“ und zusätzlich sechs exklusive heftbegleitende Premium-CDs und kostet 49,90 EUR pro Jahr inkl. MwSt. und Versand (Stand: 1.1.2012). Versand ins europ. Ausland: zzgl. EUR 3,- je Ausgabe Bank-/Portospesen. Zahlung per Rechnung: zzgl. EUR 5,Bearbeitungsgebühr. Kündigung: nach Ablauf des ersten Bezugsjahres, jederzeit fristlos. Abo-Service crescendo, Postfach 13 63, 82034 Deisenhofen Telefon: +49-89-8585-3548, Fax: -362452, abo@crescendo.de Verbreitete Auflage: 69.005 (lt. IVW-Meldung 3/2015) ISSN: 1436-5529 geprüfte Auflage

(Teil-)Beilagen/Beihefter: Schubertiade Schwarzenberg Goethe-Theater Bad Lauchstädt

Das nächste crescendo erscheint Am 11.03.2016

Die „Rhapsody“ im Titel klingt nach Eklektizismus, nur eben nicht nach dem deutschen, also fahrigen Verständnis, sondern der Vielseitigkeit, die Amerikaner mit dem Begriff assoziieren. Der in Hannover geborene und seit gut zwanzig Jahren in Paris lebende Pianist und Keyboarder Frank Woeste verkleinert den Begriff mit dem vorgesetzten „Pocket“ zusätzlich ins Westentaschenformat. Doch schon beim oberflächlichen Hinhören offenbart sich hier etwas eher Großformatiges, das eben nicht beliebig zwischen Stilen springt, sondern elegant Spannung aufbaut und Erleichterung verschafft, die dunklen Synthiebässe mit wasserklaren FenderRhodes-Läufen konterkariert, ganz natürlich von afrikanischen Gesängen über moderne Beat-Strukturen zu repetitiven Melodiesträngen mäandert, dazwischen die Trompete von Ibrahim Maalouf oder die Stimme von Youn Sun Nah, sonst Woestes Arbeitgeber, gekonnt in Szene setzt. In Melancholia gipfelt das im Zusammenspiel mit Geige und Cello zu einem filmreifen Finale. Musik für grenzenlose Gedankentänze. GB

Frank Woeste: „Pocket Rhapsody“ (Act) Brad Mehldau

Solo mit Publikum „Liebe ist kein Solo. Liebe ist ein Duett. Schwindet sie beim einen, verstummt das Lied“, dichtete Adelbert von Chamisso. Der amerikanische Pianist Brad Mehldau, bekennend „germanophil“, untermauert diese Erkenntnis nun mit einem umfangreichen Soloalbum auf ähnlich poetische Weise. Ursprünglich als 8-LP-Box angelegt, erscheinen die gut dreihundert Minuten Livemusik nun auch auf zehn CDs. Immer wieder betont der 45-Jährige in seinen ausführlichen Notizen dazu, wie wichtig, ja, unabdingbar das Publikum für diese Aufnahmen ist. „Ich glaube Musikern nicht, die behaupten, nicht für das Publikum zu spielen, oder zumindest finde ich, dass sie nicht klar denken“, schreibt Mehldau an einer Stelle und meint direkt danach: „Das Publikum ist alles für einen Musiker.“ Diese Wertschätzung für den Zuhörer transportiert sich auch über die Konserve. Gekonnt gesetzte Fehlfarben (Bittersweet Symphony/Waterloo Sunset), überbordende Romantik (Intermezzo in e-Moll von Brahms) oder faszinierende Bop-Blüten (Coltrane, Timmons und immer wieder Monk) präsentieren Brad Mehldau als einen der individuellsten Interpreten an seinem Instrument. GB

Brad Mehldau: „10 Years Solo Live“ (Nonesuch) 24

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Februar – März 2016


Lied

Holger Falk

Le Concert Spirituel

Absolut der Rede wert

Männergesang unerwünscht

Erik Satie ist nicht unbedingt für seine Lieder bekannt. Schade eigentlich, wie der Bariton Holger Falk und sein Klavierbegleiter Steffen Schleiermacher beweisen. Auf ihrem neuen Album lassen sie sämtliche Mélodies und Chansons aus Saties Feder erklingen. Das emotionale Spektrum der Kompositionen spiegelt das bewegte Leben des französischen Komponisten zwischen Konzertsaal und Nachtclub wider und reicht von beinahe bestürzender Ernsthaftigkeit über schillernde Zärtlichkeit bis hin zu plakativer Komik und boshafter Ironie. So wird das Programm zum originellen Spielplatz für Holger Falk, der als stimmliches Chamäleon die Chance nutzt und sich in Saties Klängen mit allen Höhen und Tiefen des Ausdrucks im allerbesten Sinne austobt – Seite an Seite mit seinem Klavierpartner, der den kontrastreichen Stücken an den Tasten mit viel Fingerspitzengefühl den letzten Schliff gibt. KK

Seit der Gründung im Jahr 1987 spüren Hervé Niquet und sein Ensemble Le Concert Spirituel immer wieder das Neuartige im Alten auf. Das jüngste Album macht da keine Ausnahme. Diesmal richtet sich das Augenmerk auf Kompositionen für gleiche Stimmen mit dem ­Gloria RV 589 und dem Magnificat RV 610A von Antonio Vivaldi, gesungen von einem Frauenchor mit je zwei Sopran- und Mezzosopran­ stimmen. Das Ergebnis sind zwei hochgradig theatrale Chorwerke, die man eher auf der Bühne eines barocken Opernhauses verorten würde als in einer Kirche. Jedoch eliminiert Le Concert Spirituel mit seinem schlanken, durchsichtigen Klang jedwede Süffigkeit und Süffisanz, die dem Operesken meist innewohnt, und kreiert stattdessen eine feierliche, sakrale Grundstimmung. Erstaunlich ist auch, mit welcher fast schon nonchalanten Leichtigkeit Chor und Orchester dem streckenweise hochvirtuosen Charakter der Werke begegnen. MT

Erik Satie: „Mélodies et Chansons“, Holger Falk, Steffen ­Schleiermacher (MDG) Track 9 auf der crescendo Abo-CD: „Tendrement“

Alte Musik

Vivaldi: „Gloria, Magnificat“, Le Concert Spirituel, Hervé Niquet (Alpha) Track 12 auf der crescendo Abo-CD: „Et Misericordia“ aus: „Magnivicat RV 610A“ Dorothee Mields, L’Orfeo Barockorchester

Schönheit des Seufzens und Klagens

Foto: Annelies van der Vegt

„In sich selber muss man finden Perlen der Zufriedenheit“ – so heißt es in der Arie Meine Seele ist vergnügt aus Bachs Leipziger Kantate BWV 204. Dorothee Mields hat diese Perlen der Zufriedenheit hoffentlich auch bei sich gefunden, denn dazu hat sie allen Grund: Ihre Art, Bach zu singen, macht Freude! Zusammen mit dem erfahrenen L’Orfeo Barockorchester findet sie gute Tempi, gestaltet die Rezitative packend, weiß die Affekte ausdrucksvoll darzustellen – sehr berührend etwa die Arie Stumme Seufzer, stille Klagen im Duett mit der Oboistin – und hat eine wunderbare klare Aussprache. Man versteht jede Silbe, was heutzutage bei vielen jungen Sängerinnen und Sängern nicht selbstverständlich ist. Wer also die passende Musik für die Passionszeit sucht, liegt mit dieser Bach-CD garantiert richtig! IH

J. S. Bach: „Kantaten für Solo-Sopran“, Dorothee Mields, L’Orfeo Barockorchester, Michi Gaigg (Carus) Track 13 auf der crescendo Abo-CD: „Mein Herze schwimmt im Blut, BWV 199“ IV. „Tief gebückt und ­voller Reue“

Die Taschenphilharmonie

Das musizierende ­Klassenzimmer

Thomas Quasthoff, SWR Big Band, Dresdner Philharmonie

Kinder

Über 300.000 verkaufte Tonträger, drei Konzertreihen pro Saison, ein Preis der Deutschen Schallplattenkritik und jetzt auch noch ein eigenes Label. Womit sich normalerweise die Schwergewichte der Orchesterlandschaft schmücken, ist die Ausbeute eines Ensembles, das halb so groß ist wie eine Schulklasse und vornehmlich Kinder als Zielgruppe hat: die Taschenphilharmonie aus München. Mit Mozarts Eine kleine Nachtmusik ist die „Edition taschenphilharmonie“ gestartet. Launig präsentiert Peter Stangel, Gründer und Leiter des Orchesters, den Kindern einen zerstreuten, aber genialischen Mozart, der seine liebe Not mit Obrigkeiten hat. Den Erwachsenen wiederum bietet die Taschenphilharmonie eine schlanke, durchsichtige, im Klangbild geradezu neuartige Interpretation des Werks. Und wer weiß: Vielleicht wagt sich ja eines der Kinder an Mahlers oder Beethovens Siebte ran. Die sind nämlich auch kürzlich im Label erschienen. MT lten onnent er ha ) Als neuer Ab (siehe S. 49 Sie Ma hler s 7.

W. A. Mozart: „Eine kleine Nachtmusik“, Die Taschenphilharmonie (Edition taschenphilharmonie)

Komponist auf Rollschuhen Kaum ist die Geschichte vorbei, fängt sie eigentlich erst an: Endlich hat Ira sein Klavier bekommen, ein Geschenk, das nicht ohne Folgen bleiben sollte – besonders für den kleinen Bruder George. Dieser träumerische Knabe ist die Hauptfigur der Erzählung, liebt seine Rollschuhe über alles und hat ein ziemlich arrogantes Geigenwunderkind zum Freund. Georges vermeintlich infantiles und unerreichbares Lebensziel: die Musik für Amerika zu schreiben. Dass George Gershwin – um ihn geht es in der Erzählung – mit seiner Rhapsody in Blue ebendies erreichte, ist die Pointe, die man bereits vorher kennt. Thomas Quasthoff erzählt so lebendig wie klangschön die Geschichte, die die Minderjährigen für die Musik und die Erwachsenen für den ganz und gar unmusikalischen Karrierestart des Immigrantensohns begeistert. Dazu liefern die SWR Big Band und die Dresdner Philharmonie unter der Leitung von Wayne Marshall Auszüge aus der Rhapsody in Blue in kindgerechten Häppchen. Auf dass die jungen Hörer später nicht nur das vollendete Werk hören, sondern auch das eigentliche Ende der Geschichte erfahren wollen. MT

G. Gershwin: „Rhapsody in Blue“, Thomas Quasthoff, SWR Big Band, Dresdner Philharmonie, Wayne Marshall (Helbling Verlag) 25


h ö r e n & s e h e n

Ein echter Diamant Das Label Genuin ehrt Dinorah Varsi mit einer Edition ihres klingenden Vermächtnisses. vo n at t i l a c s a m pa i

Q

ualität setzt sich nicht immer durch. Schon zu Lebzeiten war die 2013 in Berlin verstorbene Dinorah Varsi nur einem überschaubaren Kreis von Klavierexperten ein Begriff, obwohl sie zu den herausragenden Interpreten ihres Instruments im 20. Jahrhundert zählte: Dabei war die 1939 in Montevideo geborene Pianistin eine Magierin des ausgehörten, nuancierten Klangs und entfachte auf dem Steinway eine orchestrale Polyfonie und einen Farbenreichtum, der ganz von innen kam und völlig frei war von jeglicher Sentimentalität und virtuoser Attitüde. Vielleicht waren diese besonderen Charakteristika nicht die passenden Waffen, um sich in jenen wilden Sixties, als sie die europäische Bühne betrat, gegen die sich damals formierende Virtuosengeneration durchzusetzen. Ihr Chopin-Spiel war überirdisch und näher dran an dessen innerem Kosmos als die meisten anderen gefeierten Tastensportler und Pyromanen, doch erreichte sie damit nur die wirklich Musikalischen, während selbst Großkritiker sich über ihre Technik oder über ihre Agogik, andere über ihre unsentimentale Klarheit mokierten. Dinorah Varsi war von Kindesbeinen an mit dem Klavier verwachsen. Mit vier Jahren tritt sie öffentlich auf, als Fünfzehnjährige spielt sie „Rach II“ im Rundfunk von Montevideo, bleibt aber bis zum Ende ihres Studiums in Uruguay, ehe sie in Paris ihre Ausbildung fortsetzt. Durch Géza Anda, ihren letzten Lehrer, erhält sie dann ihre entscheidenden künstlerischen Impulse. Nach mehreren Wettbewerbserfolgen nimmt Philips sie unter Vertrag und macht sie weltbekannt. Doch bereits Mitte der Siebziger zieht sie sich vom Konzertleben zurück und arbeitet in der Schweiz, ihrem neuen Domizil, an ihrem „großen Thema“: dem Klang. Als Varsi in den Achtzigern aufs Podium zurückkehrt, ist sie zur WeltklasseInterpretin gereift, doch der Weltruhm scheint dahin. Sie produziert fortan bei kleineren Labels oder im Rundfunk eine Reihe hochwertiger Studioaufnahmen mit Werken Chopins, Schumanns, Beethovens und Brahms’ und entpuppt sich in Konzerten auch als herausragende Bach- und Mozart-Interpretin. Von 1990 bis 1996 lehrt sie an der Karlsruher Musikhochschule und bezieht eine Zweitwohnung in Berlin. Eine JapanTournee 2004 und letzte CD-Aufnahmen 2008 beenden eine Karriere, die zum größten Teil im Schatten des großen Ruhms stattfand, in der zweiten Lebenshälfte aber von enormer künstlerischer Kraft und Kontinuität geprägt war: Dinorah Varsi blieb zeitlebens eine geheimnisvolle und scheue Einzelgängerin und eine unbestechliche Wahrheitssucherin, die jeder Note, die sie spielte, Sinn, Charakter 26

und Leben verlieh. Kein Wunder, dass die Callas zu ihren Vorbildern zählte. Man kann den Leuten von Genuin nur danken, dass sie jetzt die Kunst Dinorah Varsis dem Dunkel des Vergessens entrissen und in einem bewundernswerten Kraftakt praktisch das gesamte von ihr erhaltene Material in einer aufwendigen Komplettedition zusammengetragen haben: 35 CDs mit größtenteils unveröffentlichten Aufnahmen aus sechs Jahrzehnten sowie fünf Video-DVDs mit Konzertmitschnitten, Filmporträts, einem Meisterkurs und Interviews enthält die „Legacy“-Edition, dazu ein 112 Seiten starkes Begleitbuch mit Originalbeiträgen verschiedener Autoren und Selbstzeugnissen der Künstlerin, die ein umfassendes Bild ihrer Persönlichkeit zeichnen. Ich selbst muss gestehen, dass auch ich sie nur bruchstückhaft in Erinnerung hatte, und jetzt kaum fassen konnte, welche Schätze mir da entgangen waren: Die 34 Audio-CDs sind klug unterteilt in 13 Live- und 21 Studio-Alben und dann weiter geordnet nach Solound Konzertprogrammen. Bei den Live-Recitals dominieren naturgemäß Mischprogramme, wobei sie stilistische Kontraste liebte und etwa in einem Konzert in Schwetzingen Mozart mit Brahms, Bartók und Chopin kombinierte: Dabei spielte sie Mozarts h-Moll-Adagio gleich zu Beginn mit einer Hingabe und einer erschütternden Schlichtheit, dass man es für den Höhepunkt des Abends halten musste. Das klang nach einer Synthese aus Andas Magie und Guldas Klarheit: Sie suchte und fand bei jedem Komponisten „ihren“ charakteristischen Ton. Zu den Höhepunkten ihrer jetzt wiederentdeckten Studioaktivitäten zählen die in den späten Achtzigerjahren entstandenen Rundfunkproduktionen der wichtigen Zyklen Frédéric Chopins, wobei sie mit den Mazurken, den Nocturnes, den Impromptus und auch den drei Sonaten zeitlose Referenzmarken setzte, die auch nach dreißig Jahren nichts eingebüßt haben von ihrer Klangschönheit, ihrer fließenden Prägnanz, ihrer orchestralen Poly­fonie. Aber auch ihr Beethoven, ihr Schumann, ihr Brahms eröffnen ganz neue Einblicke in das reiche, immer organisch pulsierende Innenleben der Werke. Am meisten fasziniert sie durch die Subtilität, die Differenzierungskunst, den sinnlichen Zauber ihres Anschlags, der eine intime Beziehung zu ihrem Instrument verrät: Kaum ein anderer kannte so dessen Seele. ■ Dinorah Varsi: „Legacy“, Klaviermusik und Konzerte von 28 Komponisten in Live- und Studioaufnahmen 1945–2004 (Genuin) Track 2 & 3 & 4 auf der crescendo Abo-CD: „Mazurka Nr. 1 H-Dur op. 63“, „Mazurka Nr. 2 f-Moll op. 63“ und „Mazurka Nr. 3 cis-Moll op. 63“ von Frédéric Chopin www.crescendo.de

Februar – März 2016

Fotos: Privat Archiv Dinorah Varsi

Klaviervirtuosin Dinorah Varsi bei einem Konzert in Washington 1961: „instinktiv und sinnlich“


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h ö r e n & s e h e n

Filmmusik

Hagen Quartett

Im stillen ­Kämmerchen

Star Wars

Die Macht der Geigen

Wer die neue Star-Wars-Filmusik einlegt, ohne zuvor den Film ­gesehen zu haben, wird nicht überrascht: Die Streich- und Blasinstrument-Sequenzen für dramatische Szenen überwiegen auch bei diesem jetzt schon epischen Werk. Komponist John Williams, der auch schon die Filmmusik zu Indiana Jones, Schindlers Liste oder Jurassic Park schrieb, hält sich stark an die Vorgaben Hollywoods, jeder Szene durch „aufgeblasenen“ Orchesterklang die nötige Dramatik zu verleihen. Kinder dürften ohnehin erst durch diese Form von Filmmusik Alpträume bekommen. rk

Das Konzerterlebnis auf der Bühne ist flüchtig, die Magie geschieht im Moment und kein Abend gleicht dem anderen. Das wird jeder Profimusiker bestätigen. Das Hagen Quartett hat sich im Anschluss an eine ausgedehnte Tour mit Mozarts Streichquartetten im Herbst 2014 in den Bremer Sendesaal zurückgezogen, um mit KV 387 und KV 458 in aller Ruhe die Essenz von zwei der sechs sogenannten Haydn-Quartette festzuhalten. Fast bekommt man den Eindruck, die vier Streicher haben Mozarts Musik für sich selbst eingespielt, so innig zelebriert ist jeder Ton in dieser neuen Aufnahme. Die wurde auf Instrumenten eingespielt, die einst Niccolò Paganini höchstpersönlich gehört haben. So paart sich die musikalische Intensität des Hagen Quartetts mit dem warmen Schönklang der historischen Instrumente, um Mozarts elaborierte Quartettkunst formvollendet zum Ausdruck zu bringen. KK

Hagen Quartett: „Mozart“ (Myrios Classics) Track 6 auf der crescendo Abo-CD: ­„Menuetto. Moderato“ aus: „Streichquartett B-Dur KV 458 ‚Jagdquartett‘“

John Williams: „Star Wars – The Force Awakens“ (Universal)

Arnold Werner-Jensen

Kammermusik

Buch

Patrick Wibart / Trio Aenea

Zurückhaltend virtuos Man hat sie bereits in Berlioz’ Symphonie fantastique, in Wagners Holländer oder in Mendelssohns Sommernachtstraum gehört. Aber hat man sie auch bewusst wahrgenommen? Patrick Wibart gibt nun Nachhilfeunterricht und stellt sie vor: die Ophikleide – Blechblasinstrument, äußerlich dem Fagott ähnlich, im 19. Jahrhundert erfunden und erstaunlich virtuos zu handhaben für ihr tiefes Register. Wibart und das Trio Aenea haben aus der Unmenge an (heute weitgehend vergessenen) Kompositionen für Ophikleide zielsicher die Perlen herausgefischt. Der Albumtitel „The Virtuoso Ophicleide“ ist dabei so korrekt wie irreführend. Klar, die tieftönenden Melodiegirlanden sind von atemberaubender Schnelligkeit, jedoch bemüht Wibart bei aller kammermusikalischer Virtuosität nicht den Effekt. Stattdessen dringt er gleich zum Kern der Werke vor, die allesamt aus dem vorletzten Jahrhundert stammen. Zurückhaltendes Virtuosentum – das gibt es in etwa so häufig wie die Ophikleide auf Konzertbühnen. Vielleicht ändert dieses Album das ja. MT

„The Virtuoso Ophicleide“, Patrick Wibart, Trio Aenea ­(Ricercar) Track 1 auf der crescendo AboCD: „Teutatès. Fantaisie mystique pour cornet et ophicléide“ von Albert Corbin

Helmuth Lohner

Berliner Philharmoniker

Wo Wikipedia nicht mithalten kann

Kleine Kunstwerke für die große Kunst

Frohes Neues!

Was nützt ein Nachschlagewerk über deutsche Orchester, das spätestens nach der dritten Vertragsunterzeichnung eines neuen Dirigenten veraltet ist, nicht mal ein Drittel der deutschen Orchesterlandschaft abdeckt und dazu noch fünfzig Euro teurer ist als der Besuch der ständig aktualisierten, kostenlosen Wikipedia? Ganz einfach: sehr viel! Während genannte Online-Enzyklopädie die schnelle Info zum Mitreden in der Konzertpause liefert, geht Autor Arnold Werner-Jensen ins Grundsätzliche, stellt bei jedem seiner Einträge die vergangenen Errungenschaften in Verbindung mit den heutigen Befindlichkeiten der Klangkörper – und geizt nicht mit Details. Es ist damit zugleich ein Kompendium deutscher Aufführungshistorie und kristallisiert die Einzigartigkeit jedes Orchesters heraus. Liest man den aufwendig gestalteten Band von vorne bis hinten durch, ergibt sich obendrein ein detailreiches Gesamtbild der deutschen Orchesterlandschaft – mehr noch: der deutschen Orchestergeschichte. MT

„Ich bin nicht wichtig genug und ich will mich auch nicht wichtig nehmen.“ Mit diesem Argument lehnte es Helmuth Lohner zeitlebens ab, seine Autobiografie zu schreiben. Der Anfang des Zitats war ein Irrtum und der zweite Teil charakteristisch für den scheuen, rastlosen, an sich und seiner Kunst zweifelnden Menschen, der in dem großen, gefeierten Schauspieler und anerkannten Regisseur steckte. So könnte ein Fazit der Lektüre der gerade erschienen ersten Biografie lauten. Sie beleuchtet die gut sechzigjährige Karriere und das gehütete Privatleben des im Juni 2015 Verstorbenen, fügt Erinnerungen von Kollegen sowie bemerkenswerte Rollenfotos ein und würzt mit einer ordentlichen Portion Wiener Klatsch. Ein besonderer Schatz verbirgt sich darin auch: Helmuth Lohners Lernmethode, die Rollenbücher. Mit seinen Zeichnungen oder Collagen und der handschriftlichen Abschrift seiner Rolle entstanden kleine Kunstwerke! AR

A. Werner-Jensen: „Die großen deutschen ­Orchester“ (Laaber Verlag) 28

Eva Maria Klinger: „Nie am Ziel. Helmuth Lohner. Die Biografie“ (Amalthea)

Film

Wenn man alle diesjährigen Neujahrskonzerte der Welt hintereinander spielen würde, wäre man vermutlich irgendwann im Hochsommer fertig. Für praktisch jeden Klangkörper ist der feierliche Einstand zu Jahresbeginn eine Pflichtübung, bei der man sich gerne von der musikalischen Schokoladenseite zeigt und kräftig die multimediale Werbetrommel rührt. Spätes­ tens ab dem Dreikönigstag sind dann die CDRegale in den Musikgeschäften voller Aufzeichnungen der Neujahrskonzerte. Doch warum bringen die Berliner Philharmoniker zu Beginn von 2016 eine DVD auf den Markt, die das Neujahrskonzert von 2014 beinhaltet? So berechtigt die Frage ist, so schnell ist sie auch beantwortet: weil es eine Sternstunde des deutschen Konzertlebens war. Simon Rattle, Menahem Pressler und die Philharmoniker zeigen sich auf der Höhe ihres Schaffens und liefern ein herrlich kunterbuntes Programm mit Gassenhauern der Klassik, deren Interpretation fast schon Referenz-Charakter hat. Eine DVD, die man durchaus auch an einem Sommertag ansehen kann. MT

„New Year’s Eve Concert 2014“, Menahem Pressler, Berliner Philharmoniker, Simon Rattle (EuroArts) www.crescendo.de

Februar – März 2016


„Läuft bei mir.“

David Garrett „Timeless“ I Brahms & Bruch Violin Concertos I Das Album – jetzt überall

Jetzt einschalten Filmmusik I Klassik-Hits I New Classics I Lounge klassikradio.de


r ä t s e l

&

ca r toon

Gewinnspiel Was verbirgt sich hinter diesem Text? Dieses ständige Gerede! Kaum bin ich auf Touren gekommen, muss wieder irgendjemand dazwischen­ kalauern und bekommt dafür auch noch Szenenapplaus. Dankbar muss ich obendrein sein, schließlich stehen und standen die meisten Redner auf der A-Liste der Humorprominenz. Das Schlimmste ist, dass derjenige, der mich in einem pittoresken österreichischen Dorf erschuf, zu keiner Zeit mit mir in Verbindung stehen wollte. Und jetzt? Bin ich sein berühmtestes Kind, bildlich gesprochen. Dafür weiß der Großteil der Nachwelt nicht mal mehr, wie man den Namen meines Schöpfers überhaupt ausspricht. Übrigens bin ich auch geistreich, würde sogar so weit gehen, mich als intelligent und auch ein wenig sozialkritisch zu bezeichnen. Mit Charme entlarve ich etwa die Marotten von Komponisten wie Jacques Offenbach, Hector Berlioz oder Gioacchino Rossini. Interessiert aber keinen. Ach, würde der große Fabeldichter Aesop doch noch leben! Der wäre von mir begeistert, denn auch ich halte den Menschen einen Spiegel vor, indem ich mir Entsprechungen aus der Tierwelt

ausdenke. Bei mir ist halt der majestätische Löwe genauso menschlich, wie es die gackernden Hühner sind. Vielleicht wüsste Aesop aber auch zu schätzen, wie phänomenal ich tierische Laute imitieren kann. Die Kinder jedenfalls lieben mich dafür (und die Erwachsenen wollen’s meist nicht zugeben …). Manche behaupten gar, ich wäre für die Kleinen eine Art Einstiegsdroge in die Musik. Vielleicht ist auch das der Grund für meine grenzenüberschreitende Bekanntheit, denn kaum stehe ich auf den Spielplänen, strömen auch schon die Leute herbei. Manchmal frage ich mich allerdings, warum man fast ausschließlich zur närrischen Zeit an mich herantritt. Wahrscheinlich liegt’s an meinem Namen. Ich kann die Leute aber auch mit meiner Schönheit verzaubern. Soll ich Ihnen zum Beispiel mal den Schwan vormachen? Oder mein Aquarium zeigen? Diese zwei Nummern liebt übrigens auch die Filmwelt. Man kann sie zum Beispiel im Disney-Film Die Schöne und das Biest oder in Terrence Malicks Klassiker In der Glut des Südens hören.

rätsel lösen und NEUE MUSIK gewinnen! Was ist hier gesucht? Wenn ­Sie die Antwort kennen, dann schreiben Sie Ihre Lösung unter dem Stichwort „Alltags-Rätsel“ an die crescendo-­Redaktion, Rindermarkt 6, 80331 München oder per E-Mail an ­redaktion@crescendo.de. Unter den richtigen ­Einsendungen verlosen­wir die Reihe „modern times*“ von Naxos. Einsendeschluss: 25.02.2016. Der Gewinner unseres letzten Alltags-Rätsels ist Ulrich Will. Die Lösung war John Cages Organ. *Karl-Heinz Steffens und die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz widmen sich in ihrer inzwischen auf vier Teile angewachsenen und bereits viel beachteten Reihe „modern times“ den eher wenig beachteten Orchesterwerken moderner Komponisten. Der Erfolg des Projekts gibt ihnen recht, denn im letzten Jahr wurde die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz mit einem ECHO Klassik für die erste CD der Reihe ausgezeichnet.

Cartoon von Benedikt Kobel (Ensemble-Mitglied der Wiener Staatsoper) – staatsoperblog.at

„Neue Musik“ war zu jeder Zeit NEU! 30

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Februar – März 2016


Erleben Die wichtigsten Termine und Veranstaltungen im Februar und März im Überblick. Das Kurt Weill Fest in der Bauhausstadt Dessau (Seite 36). Die 23. Magdeburger Telemann-Festtage (Seite 38).

11. März, Dresden, Operettenball

Tanz der Bananen

Foto: Lucien Walery

Tempo, Rhythmus und überbordende Lebensfreude bestimmten die Zwanzigerjahre in Berlin. Negro-Bands aus den USA gastierten am Ku’damm, und Josephine Baker, die „ebenholzfarbene Venus“ mit dem Bananen-Bikini, gab ihr sensationelles Deutschland-Debüt. Mitglieder des Chors, des Balletts und das Orchester der Staatsoperette Dresden nehmen die Besucher des 22. Operettenballs mit auf eine musikalische Zeitreise in die „Goldenen Zwanziger“. Es erklingen Operettenmelodien von Emmerich Kálmán und Ralph Benatzky sowie Rumba, Tango und Foxtrott aus den Operetten von Eduard Künneke. Der Tradition folgend, bittet das Johann-Strauss-Orchester der Staatsoperette auch zum Tanz. Zu vorgerückter Stunde erwartet die Gäste eine musikalisch-kabarettistische Überraschung. Denn das Kabarett mit seinem frech-fröhlichen Ton gelangte damals „bei uns um die Gedächtniskirche rum“ zu voller Blüte. Dresden, Hotel Taschenbergpalais Kempinski, 11.3., www.staatsoperette-dresden.de

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e r l e b e n

Februar / März 2016

Die wichtigsten Veranstaltungen auf einen Blick Ihr persönlicher Navigator für Premieren, Konzerte und Festivals

16.01. Dresden Semperoper Cavalleria rusticana / ­Pagliacci / Mascagni / Leoncavallo 30.01. Hannover Staatsoper Die Macht des Schicksals / G. Verdi 30.01. Halle Oper Adriana Lecouvreur / F. Cilea 30.01. Essen Aalto Musiktheater Faust / C. Gounod 30.01. Chemnitz Theater Werther / J. Massenet 30.01. Cottbus Staatstheater Entführung aus dem Serail / W. A. Mozart 31.01. München Nationaltheater South Pole / M. Srnka 31.01. Frankfurt Opernhaus Stiffelio / G. Verdi 31.01. Bonn Theater Jérusalem / G. Verdi 04.02. München Cuvilliéstheater Das Lächeln einer Sommernacht / S. Sondheim 05.02. Biel (CH) Palace La Traviata / G. Verdi 06.02. Weimar Deutsches Nationaltheater Der Freischütz / C. M. v. Weber 06.02. Bern (CH) Stadttheater Un ballo in maschera / G. Verdi 06.02. Giessen Stadttheater Die weiße Dame / F.-A. Boieldieu 06.02. Pforzheim Theater Heroes / G. Markowitz, D. Bowie 07.02. Aachen Theater Tannhäuser / R. Wagner 12.02. Solothurn (CH) Stadttheater La Traviata / G. Verdi 13.02. Nürnberg Staatstheater Kiss me, Kate / C. Porter 13.02. Düsseldorf Opernhaus Don Carlos / G. Verdi 13.02. Kaiserslautern Pfalztheater Romeo und Julia / J. Sutherland, S. Prokofjew 14.02. Berlin Staatsoper im Schiller Theater Herrumbre / Alcalde, Caballero, Darling

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22. März, St. Christoph am Arlberg

Musik in den Alpen

Rudolf Buchbinder

Foto: Marco Borggreve

Premieren

Er liebt Fußball und ist auch selbst als Amateurkicker aktiv. Skirennen schaut er sich dagegen lieber in Fernsehübertragungen an. Dennoch sagte er zu, in das 1.800 Meter hoch gelegene Wintersportgebiet in St. Christoph am Arlberg zu kommen. Im höchs­ ten Konzertsaal der Alpen gibt der berühmte und weltweit gefeierte Pianist Rudolf Buchbinder ein Solokonzert. Hotelier Florian Werner hatte 2011 die Vision, das arlberg1800 RESORT mit einem Kulturareal zu bereichern. Er ist Inhaber des seit sechshundert Jahren bestehenden Hotels auf dem Pass. 2015 wurde die zu zwei Dritteln unterirdisch angelegte Contemporary Art & Concert Hall vollendet. Im Eröffnungskonzert spielte die junge Pianistin Claire Huangci. Es liege ihm sehr am Herzen, der nächsten Generation die Plattform zu bieten aufzutreten, betont Werner und kündigt die Auflage von Artist-in-Residence-Programmen an. Was Publikum und Künstler an dem Konzertsaal mit den sanft gewölbten hellen Eichenholzwänden schätzen, ist neben der hervorragenden Akustik die Intimität. Der Saal fasst knapp zweihundert Plätze, sodass Künstler und Publikum einander sehr nahe sind. Wer also den Buchbinder einmal in einem „Privatkonzert“ erleben möchte, der begibt sich die alte Passstraße hinauf auf den Arlberg. Geboten bekommt man nicht nur ein unvergessliches Konzerterlebnis, sondern auch einen atemberaubenden Blick auf romantische Berge und Täler. St. Christoph, Contemporary Art & Concert Hall, 22.3., www.arlberg1800.at

18.02. Frankfurt Opernhaus Oberto conte di San Bonifacio / G. Verdi 19.02. Berlin Deutsche Oper Die Sache Makropulos / L. Janácek 19.02. Braunschweig Staatstheater Ein Deutsches Requiem / J. Brahms 19.02. Wien (A) Theater an der Wien Otello / G. Rossini 19.02. Wiesbaden Hessisches Staatstheater Madama Butterfly / G.Puccini 20.02. Baden (A) Stadttheater Can-Can / C. Porter 20.02. Erfurt Theater Die Heimkehr des Odysseus / C. Monteverdi 25.02. Graz (A) Oper Schneewittchen / W. Mitterer nach E. Humperdinck 25.02. Duisburg Theater Ariadne auf Naxos / R. Strauss 25.02. München Reithalle Hair / G. MacDermot 25.02. Ulm Theater Schwanensee / P.I. Tschaikowsky 26.02. Koblenz Kulturfabrik Verklärte Nacht‍ / A. Schönberg 27.02. Erfurt Theater Orpheus und Eurydike / C. W. Gluck 27.02. Mannheim Nationaltheater Der Spieler / S. Prokofjew 27.02. Koblenz Theater L‘elisir d‘amore / G. Donizetti 27.02. Augsburg Theater Die Csárdásfürstin / E. Kálmán 28.02. Darmstadt Staatstheater Rigoletto / G. Verdi 28.02. Dessau Anhaltisches Theater Der Diktator-Der Zar läßt sich photographieren / Krenek, Weill 29.02. Berlin Deutsche Oper I Capuleti e I Montecchi / V. Bellini 05.03. Lüneburg Theater Cavalleria Rusticana / Der Bajazzo / Mascagni, Leoncavallo 06.03. München Nationaltheater Un ballo in maschera / G. Verdi 06.03. Coburg Landestheater Rosenkavalier / R. Strauss 06.03. Hamburg Staatsoper

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Februar – März 2016


4. März

München Münchner Motettenchor

Festival Neue Musik Stuttgart 4. – 7. Februar 2016 Musiktheater, Konzerte, Performances Musik der Jahrhunderte mdjstuttgart.de / eclat.org

28. Februar bis 6. März

Augsburg Brechtfestival Im Sommer des Kriegsjahres 1943 befindet sich Bertolt Brecht im Exil in Santa Monica. Mit großer Besorgnis verfolgt er das Geschehen in Deutschland und sinnt über seine Heimkehr in jenes Land nach, das er einige Jahre zuvor verlassen hat. Seine Ängste und Zweifel bringt er in dem Gedicht „Rückkehr“ zu Papier: „Die Vaterstadt, wie empfängt sie mich wohl?“ Joachim A. Lang, der künstlerische Leiter des Brechtfestivals Augsburg, wählt diese bange Frage aus dem Gedicht als Festivalmotto. Den Schwerpunkt des Programms bilden das Verhältnis Brechts zu Deutschland sowie sein Leben und Werk nach der Rückkehr aus dem Exil. Unerwarteter Gast des Festivals ist die Pop-Band Element of Crime, die mehrere Versio­ nen von Brecht-Weill-Titeln in ihrem Repertoire hat und ihre Tour­ saison in Augsburg beginnt. Augsburg, verschiedene Spielorte, 28.2. bis 6.3., www.brechtfestival.de

13. Februar

KINOSAISON 2016

THE ROYAL OPERA

BORIS GODUNOV MODEST MUSSORGSKY

21. MÄRZ 2016 THE ROYAL BALLET

GISELLE MARIUS PETIPA

6. APRIL 2016 THE ROYAL OPERA

Inkl. 1 Glas

LUCIA DI LAMMERMOOR GAETANO DONIZETTI

25. APRIL 2016

für jeden Gast!

www.rohkino.de

Foto: (©ROH/Will Pearson, 2008)

Fotos: Münchner Motettenchor; Charlotte Goltermann; Rainer Hersch; Harald Hoffmann / DG; Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz; Dirk Mathesius; Veranstalter; Pascal Buenning; Nicolas Priso; Anna Victoria Tyshayeva

„Leben – Tod – Auferstehung“ – unter diesem Leitmotiv widmet sich der Münchner Motettenchor Vokalstücken von Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn Bartholdy, Heinrich Schütz und Max Reger. Der Chor, der 1960 aus einer Gruppe musikbegeisterter Studenten hervorging, verfügt heute über neunzig Mitglieder. Sein Repertoire erstreckt sich von A-cappella-Musik bis zu großen sinfonischen Chorwerken und reicht von alter Literatur bis zu Kompositionen des 21. Jahrhunderts, die der Chor zur Uraufführung bringt. Anders formuliert: Was immer für Chor komponiert wurde und wird, kommt für das Ensemble in Frage In der liturgisch gestalteten Reihe „Motette in Matthäus“ bietet er unter der Leitung von Chorleiter Benedikt Haag jeden Freitag bei freiem Eintritt A-capella-Musik. München, St. Matthäuskirche, 4.3., www.muenchner-motettenchor.de

München Catalina Pires Musik bestimmt ihr Leben von klein auf. Catalina Pires begann mit sieben Jahren, Geige zu lernen. Zwei Jahre später kam die Gitarre hinzu. Mittlerweile hat die zwölfjährige Gymnasiastin mehrere internationale Wettbewerbe gewonnen. Mit Stücken der zeitgenössischen Gitarristen Leo Brouwer und Jorge Morel sowie Kompositionen von Bach und Paganini, der für sie das große musikalische Vorbild ist, stellt sie sich in einem Solokonzert dem Münchner Publikum vor. Als Duo-Partner fungiert ihr Lehrer Walter Abt. Auch die spanische Laute Vihuela bringt sie mit einer barocken Komposition von Silvius Leopold Weiss zum Einsatz. München, Kleiner Konzertsaal im Gasteig, 13.2., www.gasteig.de

24. Februar

Berlin Die falsche Gärtnerin Christoph Hagel ist überglücklich, wie begeistert die Verbindung von Oper und Museum vom Publikum angenommen wird. Seit Jahren inszeniert und dirigiert er mit großem Erfolg im Bode-Museum auf der Berliner Museumsinsel Opern. Für seine neue Produktion wählt er Mozarts Karnevals­oper Die falsche Gärtnerin, die der Komponist als Neunzehnjähriger verfasste. Es handelt sich dabei um eine turbulente Komödie, in der keine Person wirklich die ist,

Das Royal Opera House live auf der großen Kinoleinwand Jetzt Lieblingsplätze sichern! Mehr Infos zu allen Terminen und Tickets unter: www.UCI-KINOWELT.de oder über die UCI Apps

2015 2016 EINZIGES MÜNCHNER KONZERT 2015/2016

27.02.16

Samstag, 20 Uhr Philharmonie

JEWGENIJ KISSIN

Mozart Sonate C-dur KV 330 Beethoven Sonate f-moll op. 57 »Appassionata« Brahms Drei Intermezzi op. 117 Albéniz Granada, Cadiz, Córdoba, Larregla Viva Navarra! Karten € 104/86/69/52/38/25

www.winderstein.de Telefon 089 38 38 46 20

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e r l e b e n

3. März, Ludwigshafen

Liza Ferschtman

Foto: Marco Borggreve

Attitüde unerwünscht

Liza Ferschtmans große Liebe gehört der Kammermusik. Da könne man alle Register seines Könnens ziehen, alle Farben auskosten und gemeinsam mit den Partnern Geschichten erzählen. Die junge holländische Geigerin ist ein gern gesehener Gast auf vielen Musikfestivals. Einer russischen Musiker­familie entstammend, fühlt sie sich jener russischen Schule zugehörig, die das Ideal des umfassend gebildeten Künstlers vertritt. Es ist ihr sehr wichtig, über den Tellerrand hinauszublicken und die Musik eingebettet in andere Aspekte zu begreifen. Auch strebt sie danach, eine aufrichtige Musikerin zu sein, der beim Spielen keine Attitüde, sondern allein die Musik wichtig ist. In diesem Bewusstsein beschreitet sie den schmalen Grat der Interpretation zwischen der Aussage des Komponisten und der eigenen Erzählung. Bei ihrem Gastspiel mit dem Concertgebouw Kammerorchester, der 1987 ins Leben gerufenen Kammerformation des Königlichen Concertgebouw Amsterdam, spielt sie ein Programm aus Kompositionen von Leoš Janáček, Antonín Dvořák, Felix Mendelssohn Bartholdy und Astor Piazzolla. Dessen nach dem Vorbild Vivaldis gestaltetes Konzert Die vier Jahreszeiten in Buenos Aires bringt sie in einer von dem russischen Komponisten Leonid Desyatnikov erstellten Streicherfassung zur Aufführung. Ludwigshafen, BASF-Feierabendhaus, 3.3., www.basf.de/kultur

Guillaume Tell / G. Rossini 11.03. Hof Theater Hänsel und Gretel / E. Humperdinck 12.03. Nürnberg Staatstheater Aus einem Totenhaus / L. Janáček 12.03. Luzern (CH) Theater Norma / V. Bellini 12.03. Plauen / Zwickau Vogtland Theater Plauen Ritter Blaubart / J. Offenbach

27. Februar

München räsonanz – ­Stifterkonzert „Um die moderne Musik in ihrer Kompliziertheit und Schönheit zu verstehen, müssen wir sie hören“, betonte Michael Krüger, Vorsitzender des Stiftungsrates der Ernst von Siemens Musikstiftung. Gelegenheit dazu gibt die neue Konzertreihe räsonanz, die die Stiftung mit dem Lucerne Festival und der musica viva des Bayerischen Rundfunks initiierte. Begonnen wird die Reihe im Münchner Prinzregententheater mit Kompositionen von Pierre Boulez (Foto),

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Mariss Jansons 29.01.2016 München, Philharmonie 30.01.2016 München, Philharmonie 11.02.2016 München, Philharmonie 12.02.2016 München, Philharmonie 10.03.2016 München, Philharmonie 11.03.2016 München, Philharmonie 13.03.2016 Wien (A), Musikverein 14.03.2016 Wien (A), Musikverein

Künstler

Simone Kermes

Benjamin Appl

Peter Kofler

28.01.2016 Neuss, Zeughaus 31.01.2016 Berne Konzertkirche Warfleth 06.02.2016 Dortmund, Konzerthaus

Cecilia Bartoli 06.03.2016 Zürich (CH), Opernhaus 09.03.2016 Zürich (CH), Opernhaus 12.03.2016 Zürich (CH), Opernhaus

Khatia BuniatisHvili 25.02.2016 Berlin, Philharmonie 26.02.2016 Stuttgart, Liederhalle 28.02.2016 Rheinfelden (CH), Musiksaal

Camerata Bern 24.02.2016 Bern (CH), Konservatorium

Die Taschenphilharmonie 21.02.2016 München, Allerheiligen Hofkirche 03.03.2016 München, Gasteig Kleiner Konzertsaal 06.03.2016 München, Allerheiligen Hofkirche

05.02.2016 Bonn, Artihmeum

Michi Gaigg

L’Orfeo Barockorchester 28.02.2016 Köln, Flora

SWR Big Band

28.02.2016 Köln, Flora

Helene Grimaud

Martin Grubinger 07.02.2016 Baden-Baden, Festspielhaus

04.03.2016 Filderstadt, Filharmonie 05.03.2016 Karlsruhe, Staatstheater

Anna Vinnitskaya 31.01.2016 Münster, Friedenskapelle 09.03.2016 Polling, Bibliothekssaal 10.03.2016 München, Herkulessaal

Antje Weithaas

Hagen Quartett 29.01.2016 Innsbruck (A), Landeskonservatorium 30.01.2016 München, Prinzregententheater 31.01.2016 Salzburg (A), Mozarteum 01.02.2016 Berlin, Philharmonie 03.02.2016 Rougemont (CH), Romanische Kirche 17.03.2016 Wien (A), Konzerthaus

02.03.2016 Luzern (CH),KKL 03.03.2016 Luzern (CH),KKL

21.02.2016 München, Prinzregententheater 22.02.2016 Düsseldorf, Tonhalle 23.02.2016 Hamburg, Laeiszhalle 25.02.2016 Wuppertal, Stadthalle 26.02.2016 Braunschweig, Stadthalle 27.02.2016 Hannover, NDR-Sendesaal 28.02.2016 Osnabrück, Stadthalle 29.02.2016 Berlin, Konzerthaus 01.03.2016 Zürich (CH), Tonhalle

27.01.2016 Leipzig, Gewandhaus 05.02.2016 Bonn, Artihmeum 09.03.2016 Leipzig, Gewandhaus 11.03.2016 Cottbus, Staatstheater

Holger Falk

Alina Ibragimova

Jan Liesiecki

Steffen Schleiermacher

20.02.2016 Lübeck, Essigfabrik 23.03.2016 Heilbronn, Harmonie

12.03.2016 Frankfurt, Alte Oper 13.03.2016 Magdeburg, Johanniskirche

30.01.2016 Dachau, Kirche Maria Himmelfahrt 03.03.2016 München, Jesuitenkirche St. Michael

13.02.2016 Bochum, Christuskirche 24.02.2016 Nürnberg, Nationalmuseum 28.02.2016 Fischbach, Kirche 16.03.2016 Wien (A), Musikverein

Moritz Eggert

Daniel Hope

04.03.2016 Bremen, Glocke 05.03.2016 Schloss Elmau

Dorothee Mields

26.03.2016 Wien (A), Musikverein 27.03.2016 Wien (A), Musikverein

die sie zu sein vorgibt, und in der am Ende doch drei glückliche Paare zusammenfinden. Ein junges, internationales Sängerensemble stürzt sich mit Spielfreude und Sangeslust in das Verwirrspiel. Kommentierend und korrigierend greift der Berliner Pantomime und visuelle Artist Elias Elastisch in das Geschehen ein. Berlin, Bode-Museum, 24.2. (Premiere) bis 22.5., www.falsche-gaertnerin-im-bode.de

14.03.2016 Bern (CH), Konservatorium 15.03.2016 München, BR Studio

30.01.2016 Saanen (CH), Kirche 13.03.2016, Bern, Zentrum Paul Klee

Jörg Widmann 28.01.2016 Frankfurt, Alte Oper 31.01.2016 Stuttgart, Liederhalle 01.02.2016 Erlangen, Heinrich Lades Halle 08. bis 14.02.2016 Schaffhausen (CH) 19.02.2016 Hof, Freiheitshalle 21.02.2016 Berlin, Konzerthaus 28.02.2016 Berlin, Philharmonie 03.03.2016 Bamberg, Konzertund Kongresshalle 06.03.2016 Aschaffenburg, Stadttheater 07.03.2016 Berlin, Konzerthaus 08.03.2016 Hamburg, Laeiszhalle

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Februar – März 2016


György Ligeti, Georg Friedrich Haas und George Benjamin. Von dem 1960 in London geborenen Komponisten, der am Pariser Konservatorium bei Olivier Messiaen studierte, gibt es das Orchesterstück Ringed by the Flat Horizon zu hören. Die dramatische Fotografie eines Gewitters über der Wüste von New Mexico und ein Auszug aus T. S. Eliots Das wüste Land hätten ihn, so George Benjamin, zu diesem Stück inspiriert. Musikalisch wolle er darstellen, wie eine Landschaft von einem gewaltigen Gewitter verwüstet werde. München, Prinzregententheater, 27.2., www.br-musica-viva.de/veranstaltungen

14. Februar 2016 Liebe schwärmt auf allen Wegen

19. Februar

Fotos: Münchner Motettenchor; Charlotte Goltermann; Rainer Hersch; Harald Hoffmann / DG; Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz; Dirk Mathesius; Veranstalter; Pascal Buenning; Nicolas Priso; Anna Victoria Tyshayeva

Berlin Die Sache ­Makropulos

Christiane Karg (Sopran) Ann Murray (Mezzosopran) Malcolm Martineau (Klavier)

„Wenn die Zuschauer das Stück nach der Aufführung neu verstanden haben“, formuliert Regisseur David Hermann sein künstlerisches Credo. An der Deutschen Oper Berlin setzt er mit seinem Ausstatter Christof Hetzer Leoš Janáčeks Oper Die Sache Makropulos in Szene. „Es hat mich gepackt, das Entsetzliche, die Gefühlsverfassung eines Menschen, mit dem es niemals ein Ende haben wird, das bare Unglück“, schrieb Janáček nach der Lektüre von Karel Čapeks irreal-mystischem Libretto. Mit Evelyn Herlitzius als Emilia Marty stellt sich Hermann der Frage nach dem Traum menschlicher Unsterblichkeit. Gespielt wird nicht Max Brods deutsche Übertragung, sondern das tschechische Original mit Untertiteln, was klanglich eine große Bereicherung bedeutet. Berlin, Deutsche Oper, 19. (Premiere), 25. und 28.2. sowie 27. und 30.4., www.deutscheoperberlin.de

26. Juni 2016 Zwiegesang Klarinette & Stimme

Christiane Karg (Sopran) Sabine Meyer (Klarinette)

6. August 2016 Nachtgedanken - Nymphenreigen

Clara Andrada de la Calle (Flöte) Jens Wawrczeck (Rezitation)

www.kunstklang-feuchtwangen.de

14. März

München Simone Rubino, Sergey ­ ikhaylenko, Richard Putz und M ­Christian Benning Am Anfang stand die Idee, das Ideal des klassischen Quartettspiels mit einem PercussionEnsemble zu verwirklichen. Alle vier Musiker sollten gleichwertige Aufgaben erfüllen und die Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten von Percussion-Instrumenten zeigen. Erfolgreich umgesetzt haben diese Idee vier Percussionisten aus der Schule von Peter Sadlo: Simone Rubino, der überragende ­Gewinner des ARD-Musikwettbewerbs 2014, Sergey Mikhaylenko, Richard Putz und Christian Benning. Aus einer Komposition von Roberto Bocca entlehnten sie sich den Namen Esegesi. Gleich das erste Konzert wurde zu einem Triumph. Bei ihrem Auftritt in München spielen sie Kompositionen von Iannis Xenakis, John Cage, Steve Reich, ­A lexej Gerassimez, Casey Cangelosi, und Drum-Guru Arnie Lang. München, Herkulessaal, 14.3., www.winderstein.de

22.

25. März bis 3. April 2016

BAYREUTHER OSTERFESTIVAL MIT

Eröffnungskonzert, Matineen, Symphoniekonzert, Orgelkonzert, Jazz & Latin

Ostersonntag, 27. März, 20 Uhr

SYMPHONIE KONZERT Ordenskirche St. Georgen

WEITERE INFORMATIONEN UNTER www.osterfestival.de Tickets bei den örtlichen Vorverkaufsstellen und online unter www.eventim.de

BAYREUTHER OSTERFESTIVAL

14. Februar

Mainz Meisterkonzert Bei ihrem vierten Meisterkonzert widmet sich die Deutsche Staatsphilharmonie RheinlandPfalz unter ihrem Chefdirigenten Karl-Heinz Steffens zwei Werken, deren Komponisten diese nie auf dem Podium erlebten. Franz Schuberts rätselhafte Siebte Sinfonie, die er unvollendet ließ oder vielleicht als abgeschlossen ansah, lagerte bei einem Studienfreund in Graz, ehe sie 37 Jahre nach Schuberts Tod zum ersten Mal erklang. Und Gustav Mahler starb ein halbes Jahr vor der Premiere seiner Sinfonie in Gesängen, wie er das nach Gedichten chinesischer Lyriker des 8. Jahrhunderts komponierte Lied von der Erde nannte. Mainz, Rheingoldhalle, 14.2., www.mainzer-meisterkonzerte.de

BAYREUTHER OSTERFESTIVAL

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e r l e b e n

Die Mischung von U- und E-Musik ist eine Besonderheit des Kurt Weill Fests: Sowohl Ernst Kovacic als auch Nils Landgren treten auf ...

Farbenvielfalt für die Klassische Moderne Die Bauhausstadt Dessau beglückt mit ihrem wunderbaren Kurt Weill Fest Jahr für Jahr Tausende Besucher mit unterschiedlichster Musik. von Julia Hartel

Natürlich kennt jeder Frank Sinatra, und sicher kennen viele auch onale Beachtung. Zu seiner 24. Ausgabe vom 26. Februar bis 13. seine samtweiche Interpretation von Speak low when you speak März werden, wie in den letzten Jahren, rund 16.000 Besucher an love. Dass ein Deutscher, Kurt Weill nämlich, der Komponist die- den verschiedenen Spielstätten in Dessau, Wörlitz, Wittenberg, ses gefälligen Musicalsongs war, dürfte hingegen weniger bekannt Halle und Magdeburg erwartet. Eher als „Kulturfest“ denn als Klassikfestival verstehe sich die sein. Der 1900 in Dessau geborene, aus einer jüdischen Familie stammende Künstler – als Star der „Goldenen Zwanziger“ wenig Reihe, erläutert Intendant Prof. Michael Kaufmann. Das aus rund später von den Nazis vertrieben – wird auf Anhieb vielleicht eher sechzig Veranstaltungen bestehende Programm sei bewusst genre­ übergreifend angelegt – Freunde sinfonischer Musik können hier mit Brecht und der Dreigroschenoper in Verbindung gebracht. Sein Andenken zu erhalten und ihn und sein Werk noch ebenso auf ihre Kosten kommen wie Verehrer von Nina Hagen oder Jazz-Liebhaber, denn „die Aufhebung trennender bekannter zu machen, gehört seit jeher zu den Kurt Weill Fest Gräben zwischen ‚U‘- und ‚E‘-Musik“ sei „eines Zielen der Dessauer Kurt-Weill-Gesellschaft Dessau der Hauptanliegen des Festes“. Durch die Zusame. V.; 1993 rief sie in der Bauhausstadt das Kurt 26. Februar bis 13. März menarbeit mit tollen Partnern sei es „zu einer Weill Fest ins Leben. Das von zahlreichen Informationen & Kartenservice: Marke des Landes Sachsen-Anhalt“ für die renommierten Musikern und Ensembles Telefon: +49 (0)341-1499 09 00 www.kurt-weill-fest.de klassische Moderne geworden. gestaltete Festival genießt inzwischen überregi36

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Februar – März 2016


Fotos: Lukasz Rajchert; Steven Haberland; Jim Rakete; Marco Borggreeve; Marco Ehrhardt; Volker Beushausen

... und auch Frank Strobel, Nina Hagen, Julia Hülsmann und Ariane Matiakh

Wie das diesjährige Motto „Krenek, Weill & Die Moderne“ verrät, wird dieses Jahr die „Begegnung“ Weills mit seinem Zeitgenossen Ernst Krenek im Zentrum stehen, der im Musikleben der Weimarer Republik ebenfalls eine bedeutende Rolle spielte und dessen Todestag sich 2016 zum 25. Mal jährt. Die Anregung, sich im Rahmen des Kurt Weill Fests mit diesen beiden Persönlichkeiten und den in ihrem Leben und Wirken erkennbaren Parallelen zu beschäftigen, lieferte Prof. Dr. Matthias Henke. Dieser wirkt sowohl im künstlerisch-wissenschaftlichen Beirat der in Krems/ Niederösterreich angesiedelten Ernst Krenek Institut Privatstiftung als auch im wissenschaftlichen Beirat der Kurt-Weill-Gesellschaft. Auf zahlreichen Ebenen lassen sich, abgesehen von dem gemeinsamen Geburtsjahr 1900, Verbindungen zwischen Weill, Krenek und Dessau ausmachen: Zum einen wurde auf Initiative des am Dessauer Hoftheater tätigen Dirigenten Franz von Hoesslin im Januar 1925 das 1. Violinkonzert von Ernst Krenek in Dessau uraufgeführt, und zwar sogar noch vor der dortigen deutschen Erstaufführung des Violinkonzertes von Kurt Weill im Herbst 1925. Des Weiteren nahmen beide prägenden Einfluss auf die Entwicklung des deutschen Musiktheaters. Und nicht zuletzt mussten beide vor den Nationalsozialisten fliehen – Krenek 1938, Weill bereits 1933, sodass er dem Kollegen in Amerika später hilfreich zur Seite stehen konnte. Einer der vielleicht stärksten verbindenden Aspekte besteht jedoch in dem beiden Komponisten eigenen Interesse an gesellschaftlichen und politischen Fragen. Sehr deutlich wird dies unter anderem in den Einaktern Der Diktator, op. 49 (Krenek) und Der Zar lässt sich photographieren, op. 21 (Weill), die beim Kurt Weill

Fest in Kooperation mit dem Anhaltischen Theater Dessau zur Aufführung gebracht werden (28.2. und 5.3.). Beide Stücke drehen sich, obwohl sie im Detail höchst unterschiedlich gestaltet sind, um absolutistische Herrscher und die Thematik eines möglichen Attentats auf sie – eine eindeutige Bezugnahme auf die damaligen politischen Entwicklungen in Europa. „Weill und Krenek haben uns als Persönlichkeiten ihrer Zeit viel davon zu erzählen, wie man als aufrechter Mensch durchs Leben gehen kann, ohne sich korrumpieren zu lassen oder irgendwelchen Zeitströmungen nachzuhängen“, findet Michael Kaufmann. Auch Weills Broadway-Stücke sind keine Beispiele für L’art pour l’art: „Weill geht es letztlich immer um die Problematik des Verhältnisses zwischen Individuum und Gesellschaft und um die Frage, wie lebensfähig wir sind, wenn wir einander nicht respektieren und leben lassen.“ Als Artist in Residence wurde für dieses Jahr erstmalig ein Violinist, Ernst Kovacic, zum Kurt Weill Fest eingeladen. Kovacic, international gefragter Solist und Dirigent, ist Vorstandsvorsitzender der Ernst Krenek Institut Privatstiftung. Er wird unter anderem die Violinkonzerte von Krenek und Weill spielen und als StehGeiger mit dem Salonorchester LUMAKA (bestehend aus Akademisten der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz) Musik von Kreisler, Krenek, Weill und HK Gruber präsentieren. Die Staatsphilharmonie, jüngst mit dem ECHO Klassik „Orchester des Jahres“ ausgezeichnet, wird außerdem am Eröffnungswochenende mit sinfonischen Werken (26.2.) sowie mit einem Filmmusikprogramm (27.2.) zu erleben sein; auch das Ensemble Modern ist wieder mit drei Konzerten vertreten. Mit Nils Landgren steht beim Kurt Weill Fest einmal mehr einer der derzeit erfolgreichsten europäischen Jazzmusiker auf der Bühne. n 37


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Opera Fuoco aus Paris (internationale Opernproduktion Damon in Kooperation mit dem Theater Magdeburg)

Berührung mit der ­V ergangenheit Die 23. Magdeburger Telemann-Festtage stehen dieses Jahr unter dem Motto „Telemann und das Konzert“. von Corina Kolbe

Wo früher Kanoniker speisten, erklingt heute Musik. Die lang gezo- Hope, das mit dem ECHO Klassik prämierte Ensemble NeoBarock, gene gotische Halle mit ihrem eindrucksvollen Kreuzrippenge- die Cembalistin Christine Schornsheim, die Berliner Barocksolisten wölbe, das ehemalige Refektorium im Magdeburger Dom, ist eine oder Hans-Christoph Rademann mit der Gächinger Kantorei und der historischen Spielstätten der 1962 begründeten Telemann-Fest- dem Dresdner Barockorchester. Die international gefragte Blockflötistin Dorothee Oberlinger tage. Mit vielschichtig gestalteten Programmen erinnert Magdeburg seit 1990 im regelmäßigen Zweijahresturnus an den großen Barock- führt mit ihrem Ensemble 1700 im ehemaligen Speisesaal der Domkomponisten Georg Philipp Telemann, der 1681 in der Stadt gebo- geistlichen Telemanns Suite a-Moll auf, ein Paradestück für ihr Instrument. Auf dem Programm stehen außerdem das Konzert für ren wurde. Auch 2016 findet das zehntägige Festival wieder rund um sei- Viola sowie verschiedene Doppelkonzerte, in denen die Blockflöte nen Geburtstag am 14. März statt. Unter dem Thema „Telemann in einen Dialog mit Fagott oder Traversflöte tritt. Damit niemand und das Konzert“ wird er vom 11. bis 20. März nicht nur als einfalls- frieren muss, wird der „Remter“, also das Refektorium, wegen seiner relativ geringen Höhe von Oktober bis Mai als reicher Komponist, sondern auch als wegwei23. Magdeburger „Winterkirche“ genutzt. Der imposante Dom, das sender Konzertveranstalter seiner Zeit präsenTelemann-Festtage älteste gotische Bauwerk Deutschlands mit tiert. Das Spektrum reicht von Kammermusik 11. bis 20. März einem 32 Meter hohen Innenraum, kann nämbis hin zu groß besetzten Instrumentalwerken Informationen & Kartenservice: lich nicht beheizt werden. und Vokalkompositionen. Beteiligen werden Telefon: +49-(0)341-14 99 07 58 Eröffnet wird das Festival im Opernhaus, sich bekannte Künstler, etwa der Geiger Daniel www.telemann.org 38

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Februar – März 2016


Fotos: Harald Hoffmann; Holger Schneider; Karin Engels; Astrid Ackermann; Sven Chichovic; Foto links: Meredith Mullins

Von oben Mitte im Uhrzeigersinn: Daniel Hope, Hans-Christoph Rademann, das Ensemble NeoBarock, Christine Schornsheim, Michael Schneider

wo die Magdeburgische Philharmonie unter Leitung des Flötisten und Dirigenten Michael Schneider neben dem Concerto F-Dur für Blockflöte, Streicher und Basso Continuo TVWV51:F1 eine Ouvertürensuite, ein Divertimento und, gemeinsam mit der Sopranistin Ana Maria Labin, die Ino-Kantate aufführt. Zum Auftakt der Festtage ehrt die Stadt außerdem den weltbekannten Bariton Klaus Mertens mit dem Telemann-Preis. Die Auszeichnung ging in früheren Jahren unter anderem an den Trompeter Ludwig Güttler, den Musikwissenschaftler Martin Ruhnke sowie an die auf die historische Aufführungspraxis spezialisierten Dirigenten Nikolaus Harnoncourt und René Jacobs. In einem Konzert mit dem Leipziger Barockorchester und ­Instrumentalsolisten wie dem Cembalisten Ludger Rémy interpretiert Mertens Lieder, Oden, Opernarien, Ausschnitte aus dem Passions­oratorium Der Tod Jesu und die Kantate In einem Tal, umringt von hohen Eichen. Mit dieser Auswahl will Mertens möglichst viele Facetten des Komponisten zeigen. „Schon als junger Sänger faszinierten mich die Vielseitigkeit der Kompositionen Telemanns und damit verbunden die hohen stimmlich-technischen Ansprüche, all dies stets, ohne den Tiefgang zu verlieren“, sagt der Sänger. „Nach wie vor gibt es viele Schätze zu heben. Im Grunde entdecke ich dabei jedes Mal Überraschendes. Etwa in einer klein besetzten Solo-Kantate wie Ich will den Kreuzweg gerne gehen ebenso wie in groß besetzten Werken wie seiner Donner-Ode oder beispielsweise seiner Passionsmusik Der Tod Jesu.“ Zu den Höhepunkten des diesjährigen Festivals gehört sicherlich die satirische Oper Damon, die in Magdeburg zuletzt vor zwanzig Jahren aufgeführt wurde. Das Alte-Musik-Ensemble Opera Fuoco hatte bereits bei den Telemann-Festtagen 2010 mit Orpheus für Furore gesorgt. Nun kehren die Franzosen unter Leitung von David Stern an die Elbe zurück. Im Mittelpunkt der Oper steht der liebestolle Satyr Damon, der Nymphen und Schäferinnen nachstellt

und von Telemann als „neu-modischer Liebhaber“ aufs Korn genommen wird. Als „sensationelle Werkentdeckungen“ kündigen die Festtage die Welturaufführung von 12 Fantasien für die Viola da gamba an. Erst im März 2015 entdeckte der sächsische Cellist und Gambist Thomas Fritzsch in einem Privatarchiv ein vollständiges Druck­ exemplar aus dem Jahr 1735, das im Verlag des Komponisten erschienen war. „Wenn sich aus dem spektakulären Fund erstmals seit nahezu dreihundert Jahren wieder Töne formen, gleicht dies einer Berührung mit der Vergangenheit“, erklärt der Musiker, der im März auch seine CD-Einspielung des Werkes vorstellen wird. Viele historische Gebäude Magdeburgs sind im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt oder zerstört worden. Das Kloster Unser Lieben Frauen, eine der wichtigsten romanischen Anlagen in Deutschland, konnte aber ebenso wie der Dom nach dem Krieg ­restauriert werden. Seit 1977 dient die ehemalige Klosterkirche als Konzertsaal, in dem nun zum zweiten Mal in der Geschichte der Festtage Telemanns Passionsoratorium Seliges Erwägen von 1722 erklingen wird. Dieses Werk wurde insbesondere in Hamburg populär, wo der Komponist zum Musikdirektor der fünf Hauptkirchen und zum künstlerischen Leiter der Oper am Gänsemarkt aufgestiegen war. In Magdeburg wird die Leidensgeschichte Jesu vom Freiburger Barockorchester unter Leitung von Gottfried von der Goltz mit namhaften Solisten aufgeführt. Die vielgelobte Sopranistin Anna Lucia Richter verkörpert die allegorischen Figuren Glaube und Andacht. Auch das Publikum von morgen wird nicht vergessen. Magdeburger Grundschüler wirken an einem Education-Projekt unter der Leitung des Musikpädagogen Felix Koch mit. Im Programm ­„Philipps Reise“ begeben sich die Kinder gemeinsam mit Tänzern und dem Barockensemble Neumeyer Consort auf eine musikalische Weltumrundung. n 39


Anders als bei vielen modernen Komponisten sind die handschriftlichen Partituren von Wolfgang Rihm (siehe Bild) erstaunlich gut lesbar

Neu!

Neue oder auch Moderne Musik gibt es zwar schon seit Einführung der Zwölftontechnik, doch was man genau darunter versteht, können die wenigsten erklären. crescendo-Kolumnist und Komponist Moritz Eggert wagt einen Versuch.

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Februar – März 2016


g e s e ll s chaft

E

Komponist Moritz Eggert (50)

gibt es bis heute Streit darüber, wer die sogenannte „Zwölfine häufige Frage auf Partys lautet: „Was ton-Methode“ erfand – vielleicht war es auch der heute vollmachen Sie beruflich?“ Meine Antwort: „Ich kommen unbekannte J. M. Hauer. Sie lag als Idee in der Luft und komponiere Neue Musik.“ Da man beim Hören kündigte sich schon kompositorisch in Stücken des späten 19. Groß- und Kleinbuchstaben nicht unterscheiden kann, kommt dann meistens: „Neue Musik? Also keine Jahrhunderts an. Durch das Abzählen von allen zwölf Noten der chromatischen Tonleiter ermöglichte sie den Komponisten, sich fast Klassik, sondern Popmusik?“ Auf Partys will man ganz bestimmt keinen langen Erklärungs- vollständig auf Gesten und Agogik sowie eine immer komplexer monolog hören. Aber hier erkläre ich Ihnen gerne, was Sie schon werdende Polyfonie zu konzentrieren. Die Musikgeschichte kennt viele solcher „Umstürze“, Schönimmer über Neue Musik (mit großem „N“!) wissen wollten, aber sich nie zu fragen trauten (da man Sie sonst vielleicht für einen berg sah sich also in einer großen Tradition. Wie bei jedem Umbruch stieß er auf Bewunderung wie auch harsche Kritik. Diese „neue“ Banausen hielte). Wir Menschen des 21. Jahrhunderts sind es gewohnt, Musik in Musik war zuerst einmal eines: sehr schwer und unhandlich für die alle möglichen Genres einzuordnen, damit wir sie besser bei ausübenden Musiker, die nun nicht mehr auf die lange geübten Spotify oder Amazon finden und im Hintergrund dudeln lassen Tonleitern und Arpeggien des Altrepertoires zurückgreifen konnkönnen. „Klassische Musik“ ist hierbei das vielleicht problema- ten. So verwundert es nicht, dass in dem von Schönberg 1918 tischste Genre von allen, denn es beinhaltet viel zu viel, das eigent- begründeten „Verein für musikalische Privataufführungen“ zuerst einmal vor allem lange geprobt und einstudiert wurde, bevor man lich gar nicht zueinander passt. Wir müssen uns klarmachen, dass Menschen früherer Epo- Stücke wie den für damalige Ohren unerhörten Pierrot Lunaire vor chen genauso viele Musikstile kannten wie wir heute, nur operierten erlesenem Publikum vorführte. In der Trias mit seinen Schülern Berg und Webern manifessie nicht mit so vielen Begriffen. Viel wichtiger war nämlich, an welchem Ort die Musik stattfand und zu welchem Anlass sie kompo- tierten sich in Schönbergs „Neuer Wiener Schule“ weitere Ansätze, niert war. Es gab höfische Musik, weltliche Musik, sakrale Musik. die in den Folgejahren prägend sein sollten: der architektonischAll dies wurde mehr oder weniger für den Moment geschrieben. Es mathematische (Webern) und der emotional-intuitive (Berg), all galt als exzentrisch, sich mit „alter“ Musik zu beschäftigen (so wie dies unter der Anleitung des eher praktisch musikantisch orientierMozart am Ende seines Lebens mit Bach), und erst mit der Roman- ten Schönberg. Es gab aber ganz gewiss nicht nur die Neue Wiener Schule als tik und dem Aufkommen des Bürgertums begann sich so etwas wie ein erweitertes historisches Musikbewusstsein durchzusetzen, das Umbruch. Die mechanistisch-futuristische Richtung (Antheil, Mossolow) fand vor allem in Osteuropa großes Echo und war minbis heute unser Verständnis von „klassischer Musik“ prägt. Schon vorher hatten sich in der Zeit, die wir heute die eigent- destens genauso radikal und dissonant. Andere wichtige musikaliliche „Klassik“ nennen, musikalische Formen wie die Sinfonie sche Impulse kamen wiederum aus der Einbindung von Sprache oder Sonate herauskristallisiert, die die Musik zunehmend zu und regionaler volksmusikalischer Tradition (Bartók, Janáček) oder einer dramatischen Kunst machten. Aus dieser Zeit stammt auch der Beschäftigung mit Popularmusik wie Jazz und Music Hall (Groupe des Six, Satie) sowie das bis heute gängigste Bild gänzlich außereuropäischer des Komponisten als „gequälDen theoretischen Unterbau liefert ein Musik (Ravel, Debussy). Mantes Genie“. Noch wichtiger che Komponisten – wie Strawird die Idee des „Sturm und weiterer Flüchtling des Dritten Reiches: winsky oder Hindemith – verDrang“: Der Komponist betritt der Philosoph Theodor W. Adorno einten sogar mehrere solcher heroisch unbekannte Gefilde Ansätze auf einmal. Neue des Klangs, in denen UngeMusik ist also definitiv nicht heuerliches zu entdecken ist. Am besten verstand dies Richard Wagner, der diesem Komplex nur „Zwölfton-Musik“ (die es in dieser Form auch schon lange nicht noch den Aspekt des schon zu Lebzeiten betriebenen eigenen Per- mehr gibt), sie ist vielgestaltig, divergent und farbenreich, frech und aufregend. sonenkultes hinzufügte. Mitten in diese äußerst lebendige musikalische Welt platzen Ich muss so weit in die Vergangenheit ausholen, um klarzumachen, wie sich die Situation in der Musik um 1900 darstellte: Nach nun zwei der größten Menschheitskatastrophen: An den grausamen gut 150 Jahren „Klassik“ hatte diese Musik des Bürgertums in vieler- Fronten des Ersten Weltkriegs enden die Träume einer ganzen lei Hinsicht ihre Grenzen erreicht. Die sogenannte „Tonalität“ (ein Künstlergeneration. Und gerade als die Kunst sich erholte, beganbis heute diffuser und meist falsch verwendeter Begriff) war durch nen gleich mehrere Diktaturen, das Bild Europas zu verändern und immer raffinierter gewordene Harmonik an einen Punkt gekom- steuerten auf einen neuen, zweiten Weltkrieg zu. Hierbei wird die Wirkung auf die sich gerade entwickelnde men, an dem es nicht mehr weiterzugehen schien. Dass frühe Komponisten wie Monteverdi oder Tallis diese Grenzen auf ihre jeweils neue Musiksprache oft unterschätzt. Gerade in dem Moment, als ganz individuelle Weise Hunderte Jahre früher schon einmal über- sich die spannendsten neuen Ideen einer größeren Zuhörerschar schritten hatten, hatten die meisten in diesem Moment schon wie- hätten erschließen können, kommt das Verbot der „entarteten Kunst“. Schönberg und viele andere müssen fliehen oder werden der vergessen. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung war der Komponist unterdrückt (Hartmann) und ermordet (Ullmann). Jahrzehntelang Arnold Schönberg nicht der einzige, der so empfand. Tatsächlich erklingt in großen Teilen Europas quasi gar keine neuartige Musik 41


g e s e ll s chaft

Gestalter der Neuen Musik

mehr, die staatskonforme Kunst unter Hitler oder Stalin muss macht von öffentlich-rechtlichen Anstalten und staatlich gefördermassentauglich und „national“ sein. Das betrifft natürlich nicht nur ten Musikfestivals. Auch wenn Stockhausen sich in den Sechzigerjahdie Entwürfe der Neuen Wiener Schule, sondern auch Komponisten, ren mit den Beatles fotografieren lässt und Komponisten wie Berio die dem als „Negermusik“ diffamierten Jazz nahestehen, der gerade oder Bernd Alois Zimmermann sich auf hohem Niveau mit Popularmusik beschäftigen, täuscht dies dennoch nicht darüber hinweg, dass zu dieser Zeit in den freien Ländern seine große Blütezeit erlebt. Viele Komponisten fliehen in die USA. Manche von ihnen man zunehmend unter sich ist, mit einer gehörigen Portion Trotz. Damit einher geht ein neues Selbstverständnis der Komponisbedienen und prägen den dort gefragten populären Stil virtuos wie ein Kurt Weill, andere tun sich mit der Massentauglichkeit schwerer, ten, die sich nun als Pioniere und Forscher begreifen. Aber auch die wie Hanns Eisler. Symptomatisch ist hier wieder Schönberg, der in Haltung ist wichtig, aus der heraus Musik komponiert wird; diese Amerika eine sehr erfolgreiche akademische Tätigkeit begann, die kann politisch sein wie bei Henze oder auch ästhetisch-ideologisch bis heute in den Music Departments aller amerikanischen Universi- wie bei Boulez, man fühlt sich bestimmten Gruppen zugehörig, die täten nachhallt. Die „schwierige“ Neue Musik – deren Flucht in die jeweils die führende Rolle in der Musik der Zukunft spielen wollen. In den Achtzigerjahren beruhigen sich langsam die „Grabeninnere Emigration sich schon angekündigt hatte – wird nun gänzlich zu einer „Wissenschaft“, zu einer Art Geheimkunst für gebildete kämpfe“ und es beginnt eine Periode der zunehmenden Unsicherheit, aber auch größeren Offenheit. Es schlägt die große Stunde der Studenten, zu „kompliziert“ für den Normalbürger. Den theoretischen Unterbau liefert ein weiterer Flüchtling des Komponistinnen, Namen wie Sofia Gubaidulina oder Adriana Dritten Reiches: der Philosoph Theodor W. Adorno. Durch seine Hölzsky brechen in die bisher chauvinistisch geprägte Männerdozahlreichen theoretischen Schriften setzt sich immer mehr der mäne ein und erhöhen erfolgreich die Vielfalt des musikalischen Begriff der „Neuen Musik“ mit großem „N“ durch, der schon 1919 Ausdrucks. Auch viele vormalige Außenseitermusiken werden nun vom Musikkritiker Paul Bekkers eingeführt worden war. Adorno neu entdeckt, wie zum Beispiel das stille und eigenwillige Werk prägt wortgewaltig wie kein anderer auch das Selbstbild der Neuen eines Wilhelm Killmayers. Gleichzeitigt verändert sich durch das Musik nach dem Ende des Dritten Reiches und der Rückkehr vieler Internet die Medienlandschaft radikal und die Rundfunkstationen verlieren an Bedeutung. Komponisten nach Europa, der Zeit der Womit wir beim Jetzt angekommen 1946 gegründeten „Darmstädter FerienIm Ausland überlebte die sind, einer Zeit, in der viele jüngere Komkurse“. Die von ihm als gut befundene ponisten den Begriff „Neue Musik“ als Musik legitimiert sich auch aus ihrer Neue Musik vor allem in untauglich empfinden und sich mit der Unterdrücktheit in der Nazi-Zeit, was Universitäten, war ­also Außenseiterrolle nicht mehr abspeisen eine Neudefinition des Schönheitsbewollen. Das Publikum wird wieder als griffs fordert. Schön ist nun, was vorher dort einer exklusiven wichtiges Gegenüber wahrgenommen und als hässlich gebrandmarkt wurde. Man ­Bevölkerungsschicht in der Diskussion geht es zunehmend verweigert sich bewusst dem Wohlklang zugänglich darum, was moderne Musik genau erreiund damit auch interessanten Strömunchen will und wie sie es am besten tun gen der Popmusik, die der Klassik nahekann. Damit einher geht ein neues stehen, wie zum Beispiel dem englischen „Progressive Rock“. Neue Komponisten dieser Zeit tendieren fast Bewusstsein für die Wichtigkeit von Musikpädagogik zum Verausschließlich entweder zum Marxismus (Nono) oder zur Esoterik ständnis des Neuen und Unbekannten. Man erkennt, dass es lohnend ist, sich für den Freiraum einzusetzen, den anspruchsvolle, (Messiaen). Es kristallisieren sich erste „Platzhirsche“ heraus (Stockhau- aber eben auch unabhängige Musik in einer modernen Gesellschaft sen, Boulez) und im Geheimen zieht sogar die CIA ihre Fäden, die haben kann, Musik, die kein kommerzieller Mainstream ist und sich mit ihrem Congress of Cultural Freedom den Kalten Krieg auch nicht mehr von Ideologien vereinnahmen lassen will. Neue Musik kann nun im besten Sinne „ortlos“ („atopisch“) mittels Kunstförderung führt, sicherlich eine der skurrilsten Fußnoten der Musikgeschichte. Das Publikum – das die letzten zwanzig bis und damit außerordentlich und höchst eigenwillig sein. Sie stellt dreißig Jahre musikalischer Entwicklung aufgrund der europäischen einen spannenden Kosmos aus Möglichkeiten dar, der andere Wege Krisen kaum mitbekommen hat, da deren Protagonisten im akade- kennt als die bisher beschrittenen. Insofern hat die Musik wieder mischen Ausland weilten – nimmt die Neue Musik zunehmend als zur spielerischen Intuition zurückgefunden, die neue Klänge vor schwierig und unverständlich wahr, da ihm zum Teil entscheidende allem deswegen sucht, weil man nur dann der ebenso außerordentBausteine zum Verständnis fehlen, die es in den turbulenten Jahr- lichen Vielfalt unseres Lebens gerecht werden kann. Diese Musik ist zehnten davor nicht hörend erleben konnte. Im Ausland wiederum vielleicht nicht mehr „Neue Musik“ mit großem „N“ und Ausdruck überlebte die Neue Musik vor allem in Universitäten, war also dort einer auch als Last empfundenen historischen Verantwortung, aber von vornherein nur einer exklusiven Bevölkerungsschicht zugänglich. sie ist mehr denn je auf der Suche. Und mit einer Suche fangen eigentlich immer die schönsten Vor allem in Deutschland beginnt nun eine bisher nie gekannte finanzielle Förderung Neuer Musik, die sie zunehmend abhängig Geschichten an. n 42

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Februar – März 2016

Fotos: Arnold Schönberg Center, Wien; Dmitri N. Smirnov; Harald Hoffmann / DG

Während Arnold Schönberg (1874 – 1951) als Mitbegründer der Neuen Musik gilt, erhielt Sofia Gubaidulina (geb. 1931 in Russland) erst sehr spät die nötige Anerkennung als Komponistin


Wo? Auch die Neue Musik hat ihre eigenen Festivals und Konzertreihen. Hier sind die wichtigsten Veranstaltungen – und ein Preis, der aber jedem Leser bekannt sein dürfte. von Moritz Eggert

Musica Viva München Konzertreihe | Weltweit größte und bedeutendste Konzertreihe mit Neuer Musik für Orchester. Gegründet 1945 von Karl Amadeus hartmann und seit 1948 beim Bayerischen rundfunk untergebracht. www.br-musica-viva.de

Biennale für Musiktheater München 28.05. - 09.06. | Durch die Initiative von Hans Werner Henze im Jahr 1988 zum Leben erweckt, gehört die Münchner Biennale für Musiktheater zu den wichtigsten Festivals für zeitgenössisches Musiktheater. www.muenchenerbiennale.de

Dialoge Salzburg 30.11. - 04.12. | 2006 gegründet, geht es hier um die Begegnung moderner Musik mit dem Werk Mozarts. Veranstalter ist die Stiftung Mozarteum. www.mozarteum.at

Eclat Stuttgart 04.02. - 07.02. | Hans-Peter Jahn gründete 1980 die „Tage für Neue Musik Stuttgart“ und betrieb es fast im Alleingang, bis es im Jahr 1993 in ECLAT umgetauft wurde und die Ausrichtung hin zu interdisziplinären Konzertformen bekam. www.eclat.org

N och m e h r F e s tival s Tage für Neue Kammermusik Witten 22.04.-24.04 | Ein Wochenende lang stellt das Festival dicht gedrängt ­international beachtete Uraufführungen vor.

Acht Brücken Köln 30.04. - 10.05. | Das noch recht junge, jährlich stattfindende Musikfestival stellt heuer seine sechste Ausgabe unter das Motto „Musik und Glaube“.

Ultima Oslo (NOR) 08.09. - 17.09. | Als erstes Festival seiner Art in Nordeuropa lädt es zu einer Reise durch die Stadt ein, da es an den verschiedensten Orten ausgetragen wird.

Klangspuren Schwaz (AT) 08.09. - 25.09. | Das Festival, das jährlich im September stattfindet, ist seit ­­ 21 Jahren die wichtigste Plattform der zeitgenössischen Musik in Tirol.

Warschauer Herbst Warschau (PL) September 2016 | 1956 gegründet, gehört der Warschauer Herbst zu ­ den altehrwürdigen Traditionsfestivals für zeitgenössische Musik.

musica StraSSburg (FRA) Herbst 2016 | Ausdrücklich Neue-Musik-fernes Publikum soll hier einen Anreiz finden, sich für Kompositionen aus dem 20. und 21. Jahrhundert zu öffnen.

Modern Times Ludwigshafen / Mannheim Herbst 2016 | Die Reihe „Modern Times“ der Staatsphilharmonie RheinlandPfalz lenkt den Blick auf den Menschen des 20. und 21. Jahrhunderts.

Musica nova Helsinki (FIN) Februar 2017 | Die Biennale ist bekannt dafür, stets Bezüge zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen herzustellen.

Adevantgarde München Frühjahr 2017 | Die Biennale gibt jenen Komponisten Neuer Musik eine Plattform, die nicht auf den etablierten Festivals vertreten sind.

cresc... Frankfurt am Main 2017 | Im Fokus der Biennale stehen neben Uraufführungen auch Schlüsselwerke des 20. und 21. Jahrhunderts.

darmstädter ferienkurse 29.07. - 14.08. | Von Wolfgang Steinecke bereits 1946 gegründet, waren die zweijährlichen Ferienkurse lange Zeit die wichtigste Anlaufstelle für ­ Komponisten Neuer Musik. www.internationales-musikinstitut.de

Donaueschinger Musiktage 14.10 - 16..10. | Schon 1921 führte man bei den Donaueschinger Musiktagen das auf, was man „zeitgenössische Tonkunst“ nannte. Heute ist es ein Haupttreff der „Szene“ mit wenigen Konzerten, aber großen Besetzungen. www.swr.de/donaueschingen Foto: Martin Sigmund.

Maerzmusik Berlin 11.03. - 20.03. | Ursprünglich im Jahr 1976 als „Musik-Biennale Berlin“ in Ost-Berlin gegründet, war das Festival zuerst fest in der Hand des Ostdeutschen Komponistenverbandes. Heute: orientiert es sich erfolgreich in Richtung interdisziplinärer Formen. www.berlinerfestspiele.de

Preisverleihung 02.05.2016

Ernst-von-Siemens-Musikpreis Ein Großteil des Engagements der Ernst von Siemens Musikstiftung findet ja im Verborgenen statt – wenn zum Beispiel ein großes Festival wie Donaueschingen vor dem Untergang gerettet werden muss. Aber sie will ja fördern – und zwar weltweit. Zahllose Kompositionsaufträge werden jedes Jahr mit Stiftungsgeldern finanziert, Festivals und Konzertreihen unterstützt. Hinzu kommt einmal im Jahr das Großevent der Szene: die Vergabe des Ernst-von-Siemens-Musikpreises in München, eine der wichtigsten Auszeichnungen des internationalen Musiklebens. Dessen Erhalt ist quasi der Ritterschlag, den Komponisten wie Musiker sich erträumen, auch, weil der Gewinner die Summe von 250.000 Euro erhält. 43


G e s e ll s chaft

Der Axel-Brüggemann-Kommentar

Handy aus, verdammt! Erwachsene Damen filmen Künstler aus dem Besuchersessel, in Dortmund animiert der Veranstalter dazu, wähend der Aufführung zu twittern. Ist das modern oder der Untergang der Hochkultur? Der größte Fehler, den Public Relations machen kann, ist es, einen Markenkern für den schnellen Effekt der Aufmerksamkeit auszuhöhlen. Das gilt natürlich auch für die Klassik. Ihr Markenkern ist – frei nach Walter Benjamin – die Sammlung. Oder, wie Peter Sloterdijk einst auf die Frage, wo wir uns befinden, wenn wir Musik hören, antwortete: im Klang, vom Klang umzingelt – ohne Gegenüber, ganz in der Musik, ganz bei uns, ohne Grenze. Den Marketingstrategen der Dortmunder Philharmoniker scheint all das ziemlich wumpe zu sein. Sie haben herausgefunden, dass heute mehr Menschen vom Internet umgeben sind als von der Musik. Und weil sie so unglaublich – wie heißt das im PR-Jargon? – visionär sind, haben sie nun Twitter-Plätze für Blogger und Internet-Junkies im Konzerthaus eingerichtet und geben dem Publikum die Möglichkeit, seine Meinung und das passende Selfie bereits während des Konzertes in die Welt zu ballern. Für alle Nerds, für die Klassik Neuland ist, liefern die Dortmunder gleich noch einen Internet-Knigge: Bildschirmbeleuchtung reduzieren und für Posts den Hashtag #doklassik verwenden. Dann kann das konzerthauseigene WLAN glühen. In Marketingkreisen gilt Dortmund als Vorreiter, denn das kulturelle Live-Blogging ist gerade so hip wie ein Vollbart im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Ich bin kein Social-Media-Muffel, im Gegenteil. Ich bin privat und für crescendo bei Twitter und auf Facebook. Und, klaro: Es geht immer auch um die Musik. Aber ich 44

bin der festen Überzeugung, dass diejenigen, die Mobiltelefone als individuelle LiveNachrichtendienste im Konzerthaus eta­ blieren wollen, nicht nur nix von Klassik verstehen, sondern auch nicht von den Mechanismen der sozialen Netzwerke. In ihrer endlosen Angst, ewig gestrig zu sein, tappen ausgerechnet die Klassikleute besonders gern in die Neuland-Fettnäpf­ chen. Der grundlegende Irrtum ist, dass Marketingstrategien vom Pop nicht für die Klassik gelten. Das haben bereits unzählige Crossover-Experimente gezeigt (kaum eines hat dazu geführt, dass ein neues Publikum für die Klassik gewonnen wurde) oder das Hochglanz-Marketing von Klassik-Stars. Und das gilt auch für das NetzMarketing. Rock- und Pop-Konzerte sind darauf angelegt, das ekstatische Publikum zum Teil der Show zu machen: Ein iPhoneBlitzer, ein Selfie und ein gezücktes Handy gehören zum Spektakel, und der SelfiePost einer 13-Jährigen mit dem Satz „Super Stimmung hier!“ hebt nicht nur den virtuellen Marktwert des Mädchens, sondern hilft auch der Popularität ihres Stars. Die Rolle des Publikums ist beim Pop existenziell. Das lässt sich ganz einfach bei Konzertübertragungen erkennen: Es gehört zum Standard, dass die Regie über die Zuschauermassen schwenkt, sie sind ein wesentlicher Teil des Happenings. Ganz anders im Konzert oder in der Oper. Hier wollen wir den Dirigenten, die Musiker, vielleicht noch den Saal sehen – nicht aber die Zuhörer. Und das hat auch

einen Grund. Im Moment des Konzertes sind sie ganz bei sich, oft mit geschlossenen Augen, ganz im Klang versunken, in einem intimen Akt mit sich selbst. Der KlassikZuhörer ist nackt der Musik ausgeliefert. So wie das Dasein im Rockkonzert die eigene Inszenierung des Publikums bedingt, schließt sie das klassische Konzert kategorisch aus. Ein Tweet aus dem Konzert wäre Exhibitionismus. Und die nötigen Aktionen, um einen Tweet oder einen Facebook-Eintrag live abzusetzen (Handy raus, Handybeleuchtung an, Handy hoch, Blitz an, Text tippen, Nachricht senden) werden grundsätzlich als Störung empfunden. Ein Fünf-Stunden-Parsifal, so sagte es selbst Medien-Junkie und Axel-SpringerChef Matthias Döpfner einmal, sei deshalb so besonders, weil das Weltgeschehen in dieser Zeit keine Rolle spielt, weil die News im Kosmos des Klassischen für einen Moment bedeutungslos werden. Klassik ist der Zauber, etwas vermeintlich Unwesentliches (das Konzert) im Moment seiner Darbietung als existenzieller zu nehmen als die eigene Selbstdarstellung und die Weltwirklichkeit. Kein Wunder, dass so viele Konzerte Geschichte geschrieben haben, die während eines Krieges oder bei Bombenangriffen weitergeführt wurden. Ein Klassikkonzert hat seine eigene, innere Wahrheit – und die lässt sich nicht durch WLAN an die Welt anschließen, nur weil wir nicht mehr in der Lage sind, mal einige Stunden auf unser Handy zu verzichten. In den fünf Wagner-Stunden ist der Zuhörer vom Fluch unserer Gegenwart befreit, davon, an der www.crescendo.de

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Es ist doch auch absurd, wenn ich aus gen als die Werbespots für ihre aktuellen eigenen Selbstdarstellung basteln zu müssen. Die Oper und das Konzert sind die der Dortmunder Philharmonie twittere, Veranstaltungen: Das Orchester vom WDR ältesten virtuellen Welten und dulden keine dass der Auftakt zum Mahler-Adagietto sorgt regelmäßig mit Flashmobs für Aufandere zeitgleich neben sich. Wer in der gerade viel zu laut ist, damit meine Freunde merksamkeit, die Bläser der Berliner PhilMusik versinken will, kann nicht gleichzei- diese Nachricht auf dem Lokus möglichst harmoniker trällern ein Weihnachtsständtig im Smartphone versinken! Das Konzert- live erfahren. Und wenn das Publikum chen aus der Garderobe. Aber genau hier besteht auch Nachholhaus und die Oper gehören zu den vielleicht schon twittern muss, sollten wir auch konletzten Orten unserer vernetzten Zivilisa- sequent sein und es den Künstlern ebenfalls bedarf: Die meisten Anstrengungen auf dietion, an denen wir vom Anspruch der eige- erlauben: Mitten in der Wahnsinnsarie sem Felde sind am Ende weitgehend platte zückt Anna Netrebko das Telefon, filmt sich PR, Videos von der Premiere, Werbung, nen allgegenwärtig befreit sind. Das Smartphone ist heute (übrigens selbst und den Applaus und stellt all das wenig Witz. Genau das wird im Netz nicht auch für mich) längst Teil der absurdesten noch im Kostüm als Lady Macbeth live auf goutiert. Und da liegt auch die Krux bei den Lebenssituationen: Nach dem Augenauf- der Bühne ins Netz. Sofort zückt das Publi- Überlegungen aus Dortmund: Wenn sich schlag, noch vor dem Aufstehen, im Bett, kum ebenfalls seine Telefone und vergewis- jemand per Social Media anbiedert, wenn er auf dem Klo, in Konferenzen, in der U-Bahn, sert sich in der virtuellen Welt, ob das, was sich verbiegt für die virtuelle Welt, wird er auf Kinderspielplätzen, ihm gilt der letzte es gerade erlebt hat, auch wirklich wahr ist. auch im Netz unglaubwürdig. Dabei gibt es viele gute Möglichkeiten, die Klassik, die wache Blick vor dem Einschlafen. Die virtu- Wollen wir das? Nein! Neulich habe ich Jonas Kaufmann Künstler, die einzelnen Häuser und elle Welt ist eine radikal schnelle Welt. Eine Welt, mit der wir nicht Schritt halten kön- interviewt, er hatte sich, gemeinsam mit Orchester in soziale Medien zu holen: Hinnen. Eine Welt, die zwar eine Notwendig- Lang Lang, bei einer sogenannten „Twitter“- tergrundberichte über Gedanken, Leidenkeit, aber am Ende auch eine Unmöglichkeit Station auf dem ECHO-Klassik fotografie- schaft und Fantasie, spannende und kritiist: Alle Meinungen, Nachrichten, Tweets ren lassen und das Bild sofort in die Welt sche Interviews mit den Künstlern über und Retweets zu verfolgen – ungefiltert, das gesendet. Ich war erstaunt und hatte ihn ihre Interpretationsansätze, Videos, in Wesentliche vom Unwesentlichen zu tren- gefragt: „Ist die Klassik endlich im Neuland denen die Klassik in die Öffentlichkeit nen, zu reagieren, nichts zu verpassen. Klar, angekommen?“ Kaufmanns Antwort fiel gebracht wird und – vor allen Dingen – diese Welt macht Spaß, ist ein eigenes Aben- zweischneidig aus: Man könne sich als Klas- Foren für Kritik und Debatte. Hinzu kommt eine weitere Möglichteuer, und dennoch zielt sie im Wesentli- sikkünstler diesen Medien nicht entziehen. Die Fans würden das wollen und Spaß keit, welche die Zukunft bestimmen wird. chen auf: Zerstreuung. Der Konzertsaal mag in dieser Welt würde es ja auch machen. Aber es sei schon Christoph Lieben-Seutter denkt für die ein Anachronismus sein. Aber genau das irritierend, dass jeder Ton, den man singt, Elbphilharmonie bereits darüber nach, macht ihn so wertvoll und so spannend. innerhalb von Sekunden weltweit kommen- Konzerte kostenlos zu streamen. Einen Rückgang der BesucherWürde er – so wie in zahlen befürchtet er nicht: Dortmund – vollMitten in der Wahnsinnsarie zückt „Je besser die Technik wird, ständig vernetzt werAnna Netrebko das Telefon, filmt sich selbst je schneller wir zeigen den, wäre er nur ein können, was wir tun, weiterer Raum der und stellt all das noch im Kostüm als Lady desto klarer wird der endlosen virtuellen Macbeth live auf der Bühne ins Netz Unterschied zwischen Spielwiese. Genau Internet und Konzert­ das aber zerstört seine Magie. Er ist dann zwar allgegenwär- tiert würde, „oft, entwickelt sich eine Mei- erlebnis“, sagt er und glaubt, dass gerade ein tig, aber entwertet. Das haben inzwischen nungs-Lawine ja schon, während wir noch digitaler Live-Stream Lust auf das authentiviele Länder gemerkt, die schon lange vor auf der Bühne stehen“, sagte Kaufmann. sche Ereignis vor Ort macht. Und, ja – Dortmund auf Handys im Konzert gesetzt Sein lakonischer Kommentar: „Gut finde warum nicht nach dem Stream noch eine haben. Wer einmal in Shanghai oder in ich das nicht, aber wir müssen wohl damit kritische Diskussionsrunde über die Interpretation und dazu eine Live-Twitter- oder Peking ein klassisches Konzert besucht hat, leben.“ Dabei ist es ja nicht so, dass die Klassik Facebook-Debatte mit dem Publikum? weiß, dass das Twittern aus dem Konzertsaal hier lange Zeit gang und gäbe war. das Internet verschnarcht. Viele Künstler Warum nicht ein Portal, das uns die spanInzwischen haben viele Häuser in China haben wunderbare Facebook- oder Twitter- nendsten Konzert- und Opernaufführunextra Personal eingestellt, das jene Besucher, Accounts: Der Pianist Igor Levit schreibt gen Deutschlands miterleben lässt? Das die das Mobiltelefon zücken, mit einem über Musik und Politik, der Dirigent Paavo wäre ja tatsächlich spannend. Aber all diese Diskussionen machen Laser-Pointer bestrahlt und öffentlich bloß- Järvi veröffentlicht lustige Posts und geht stellt. Das dürfte auch Künstlern wie Daniel regelmäßig mit der russischen Politik ins nur dann Sinn, wenn das Konzert selbst Hope gefallen. Der erzählte kürzlich die Gericht, ebenso wie die Pianistin Gabriela dem Zuhören und der Sammlung Geschichte einer Zuschauerin, die während Montero, die ihre Fans über Menschen- vorbehalten und das Handy ausgeschaltet der Zugabe mit den Worten: „Ja, er spielt rechtsverletzungen in Venezuela auf dem bleibt. Wenn wir dann, nach dem letzten noch – guck!“ ein Skype-Telefonat entge- Laufenden hält, oder die Sopranistin Chris- Ton, wieder von der virtuellen Welt des gennahm und das iPad auf den Geiger rich- tine Goerke, die eine der wohl lustigsten Klanges in die virtuelle Welt der sozialen tete. „Dank an den Gentleman neben ihr, Künstler-Facebook-Seiten pflegt, auf der sie Medien gleiten, können wir uns um so der ihr nicht nur das Telefon abnahm, son- sich für keine Selbstironie zu schade ist. spannender und leidenschaftlicher über dern auch eine Standpauke hielt, die sie Auch zahleiche Opern- oder Konzerthäuser jene Zeit austauschen, die wir da gerade – nicht vergisst. Applaus“, kommentierte und Orchester haben gut gemachte Social- ganz bei uns – erlebt haben. ■ Media-Kampagnen, auf denen sie mehr zeiHope das Ereignis später. 45


l e b e n s a r t

Istanbul

Kurz nachdem wir Sascha Goetzel gefragt hatten, ob er uns „sein“ Istanbul erzählen wolle, kam es zum Terroranschlag, den der Chefdirigent des Borusan Philharmonic Orchestra live miterlebte. Sein „Reisebericht“ ist daher auch eine Chronik der Ereignisse und wie die Stadt damit umgeht. Erster Tag, 10. Januar 2016. Meine Ankunft in Istanbul genieße ich bereits vom Landeanflug an. Üblicherweise über das Marmarameer kreisend, nähert man sich der Stadt. Kurz vor dem Aufsetzen des Flugzeugs kann man das natürliche Wahrzeichen erkennen, den Bosporus. Die Schönheit Istanbuls liegt in ihrer gesamten natürlichen Anlage. Beginnend am Ufer des Marmarameeres auf zwei Kontinente aufgeteilt, sind der asiatische und der europäische Teil durch den Bosporus getrennt. Vom Ufer erhebt sich ein Häusermeer in beide Richtungen über die berühmten sieben Hügel Istanbuls. Vom Flughafen geht es direkt zur Probe, danach zurück zum Hotel und gleichzeitig ins Herz von Istanbul, dem berühmten Taksim-Platz. Die türkische Metropole mit den 14 Millionen Einwohnern – und 18.000 Taxen – gehört für mich zu den Fischhauptstädten dieser Welt. In kaum einer anderen Stadt wird man so viel frischen und auf wunderbare Art zubereiteten Fisch finden. Nach dem Einchecken im Hotel mache ich mich auf den Weg Richtung Beyoglu. Durch diesen Bezirk führt die größte Fußgängerzone Istanbuls – die Istiklal-Straße. Schon nach fünf Minuten Gehzeit trifft man in den Seitenstraßen auf eine Vielzahl von Lokalen. Die meisten präsentieren ihren frischen Fisch auf Eis gelegt stolz vor dem Lokal. Richtig schlecht gegessen habe ich dort noch in keinem der zahlreichen Restaurants, aber zu meinen Favoriten gehört das ehemalige Lieblingslokal des Gründers der Türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, das Cumhuriyet. Man kann von einer Vielzahl der berühmten türkischen Vorspeisen – sie werden Mezzes genannt – wählen und sich dann einen Fisch seiner Wahl zubereiten lassen. Danach gehe ich gerne auf der Istiklal-Straße spazieren. Speziell im Sommer ist die Atmosphäre beeindruckend. Neben den vielen promenierenden Menschen allen Alters und aller Kulturgruppen, dem lebendigen Treiben in der Nähe der Lokale und Bars sind es sowohl Straßenmusiker mit ihren traditionellen Instrumenten sowie auch regelmäßig wechselnde Ausstellungen und Installati-

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onen in den Galerien und Kunsthäusern im gesamten Bezirk Beyoglu, die einen immer wieder inspirieren und Einblick in die ungemeine Vielfalt dieser Stadt gewähren. Istanbul schafft es scheinbar mühelos, eine Verbindung zwischen Tradition, Avantgarde und Moderne herzustellen. Zweiter Tag, 11. Januar 2016. Ich habe den Vormittag frei und beschließe, die asiatische Seite zu besuchen. Dabei empfiehlt es sich, die Fähre von Karakoy zu nehmen (Tickets direkt am Pier). Nach nur 15 Minuten ist man auf dem asiatischen Kontinent, und der Blick, er sich einem von der Fähre auf Istanbul bietet, inklusive auf das Goldene Horn, ist absolut einzigartig. Von einem Besuch der asiatischen Seite mit dem Auto oder Taxi ist abzuraten, da die Brücken das enorme Verkehrsaufkommen ohne Verzögerung nicht mehr bewältigen können. Ich steige bei der Station Kadikoy aus und genieße die einzigartige Atmosphäre auf meinem kleinen Spaziergang hinauf zum alten Fischmarkt. Dieser Teil der asiatischen Seite besticht durch seine Urtümlichkeit und das Vermitteln des entspannten, zuvorkommenden und freundlichen Istanbuler Lebensstils. Man findet hier unzählige traditionelle Cafés, in denen der Kaffee noch nach alter Tradition auf Kohlen zubereitet wird, und bezaubernde charmante Lokale, die alle feinste türkische Küche nach traditionellen Rezepten anbieten. Wer hier einmal ein echtes türkisches Kebab gegessen hat, wird danach in der Heimat sicherlich viel wählerischer werden. Dritter Tag, 12. Januar 2016. Es gab einen Anschlag. Die Stadt steht unter Schock, unter den Toten befinden sich deutsche Touristen. Man hat in der Türkei mittlerweile mit der Gefahr kleinerer Anschläge leben gelernt, einen Anschlag auf eine Touristengruppe im Herzen der Stadt hat es aber schon lange nicht mehr gegeben. Gerade hier in Istanbul leben Millionen von Menschen aus verschiedensten Ländern und Kulturkreisen auf engem Raum zusammen. Immer schon war man bestrebt, Brücken zwischen den Kulturen zu bauen. Die Bewohner Istanbuls sind sehr herzlich und

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zuvorkommend und ganz wunderbare Gastgeber. Sie lieben „ihre“ Besucher aus aller Welt. Dies kann man nicht nur auf dem Basar feststellen, wo die Verkäufer sicherlich vorwiegend aus Geschäftsgründen nicht selten sieben bis acht Sprachen sprechen, sondern überall, wo es zu einem Kontakt und einer Kommunikation kommt. Ein Anschlag dieser Art trifft die Menschen hier ins Herz. Unser Konzert ist in zwei Tagen geplant. Mit meinem Administrationsteam des Borusan Istanbul Philharmonic Orchesters bespreche ich kurz die Lage, aber für uns alle ist klar, dass wir uns durch den Terror nicht terrorisieren lassen dürfen. Kunst und Kultur haben das Potenzial, Menschen und Kulturen zu verbinden. Wir können als Künstler einen kleinen Beitrag für ein verständnisvolleres, friedlicheres Miteinander leisten. Das Konzert wird wie geplant stattfinden. Vierter Tag, 13. Januar 2016. Nach einem kurzen Besuch einer Ausstellung im Borusan-Musikhaus auf der Istiklal-Straße gehe ich im Restaurant Midpoint essen. Die Paella ist so gut wie in Valencia, dabei genießt man einen verzaubernden Blick auf den Bosporus. Auch sonst ist die Karte vollgespickt mit internationaler Küche, alles von bester Qualität. Wer beim Essen einen Blick aus nahezu Vogelperspektive über die Stadt genießen möchte, der wird vor allem von den beiden Restaurants 360 und Vogue beigeistert sein. Beide liefern sowohl untertags als auch abends einen wirklich atemberaubenden Blick auf diese faszinierende Stadt. Im Restaurant treffe ich einen Freund aus Hamburg, der von mir die wichtigsten Infos bezüglich Sigthseeing in Istanbul haben möchte. Absolutes „Muss“ für mich ist die Basilika Zisterne, berühmt nicht zuletzt durch den James-Bond-Film „Skyfall“, in natura allerdings noch beeindruckender. Dann natürlich die Blaue Moschee, das kunsthistorische Museum mit Schätzen aus über zweitausend Jahren Geschichte der Stadt und das Modern Art Museum direkt am Bosporus gelegen (übrigens mit exzellentem Frühstück und einer im Sommer wunderschönen Terrasse direkt am Bosporus).

Fotos: Borusan Philharmonic Orchestra

Als Tages- bzw. Halbtagesausflüge eignen sich am besten ein Besuch der vorgelagerten Prinzen-Inseln oder gleich eine Bootsfahrt entlang des Bosporus bis zum Schwarzen Meer (Tagesausflug). Neben dem berühmten Grand Bazar gibt es noch den GewürzBasar, der einen mit Düften aus 1.001 Nacht verzaubert. Zum Beinevertreten und Land-und-Leute-Kennenlernen eignen sich am besten die historischen Stadtteile Istanbuls wie zum Beispiel rund um den Galata-Turm (am Ende der Istiklal-Straße) mit unzähligen kleinen, charmanten Geschäften und Cafés sowie die Gegend um den Topkapi-Palast. Istanbul hat sich in den letzten Jahren auch einen Namen als hochrangige Festival-Stadt gemacht. Nicht nur das Istanbul Music Festival im Juni mit internationalen Stars der Klassikszene, auch das Film Festival, die Istanbul Biennale, das Jazz Festival und – für alle Shopping-Begeisterten nicht zu vergessen – das Istanbul Shopping Festival (im Frühjahr), mit Preisen aufgrund des Wechselkurses der türkischen Lira im Schnitt 25 Prozent günstiger als in West-Europa. Fünfter Tag, 14. Januar 2016. Konzerttag. Unser Orchester hat als Heimspielstätte die Lutfi Kirdar Konzert und Kongress Halle, nur 15 Gehminuten vom Taksim Platz entfernt. Zwei Tage nach dem Anschlag ist das Konzert sehr speziell, denn wir werden Gustavs Mahler Sinfonie No.2 ‚Auferstehungssinfonie‘ aufführen. Das Schicksal wollte es wohl so – es wird sicher kein leichtes Konzert für uns, aber wir alle sind bereit, über die Musik den Gedanken an eine gemeinsame friedliche Zukunft sprechen zu lassen. Bald werden wir unsere erste Europa Tournee haben und freuen uns darauf, den Gedanken des Brückenbauens zwischen den Völkern aus Istanbul mit der Musik als Baumeister nach Europa zu tragen. Die Stadt Istanbul lebt uns vor, dass es ein miteinander von Tradition und Moderne geben kann. Ich bin glücklich, ein kleiner Teil dieser Stadt und ihrer Menschen sein zu dürfen und freue mich jedes mal aufs Neue, ihren Geist zu erleben, der mit keiner anderen Stadt der Welt zu vergleichen ist. ■

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Foto: Bob Coat

Goetzel und sein Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra


l e b e n s a r t

Neue Musik und moderne Winzer sind sich ähnlicher, als wir dachten. Sie kämpfen mit den gleichen Herausforderungen und nutzen die Vorteile der Tradition. Unser Wein-Dirigent fand den modernsten Winzer aber nicht im Bordeaux, sondern in seiner Heimat USA. JOHN AXELRODS WEINKOLUMNE Es mag überraschen, aber: Es gibt heut- lung von Weinen einbringen. Großartige zutage mehr Komponisten als jemals zu- Weine, sagt Smith, verlangen nach einem vor. Das liegt bestimmt auch an den sehr persönlichen und kreativen Engagemodernen Technologien, vor allem an der ment des Winzers. Die traditionelle önologiVerbreitung durch das Internet. Jeder kann sche Ausbildung reiche nicht mehr aus, um heute über seinen eigenen YouTube-Kanal herausragende Weine zu produzieren. Traditionalisten argumentieren, dass gehört werden und sich Komponist nennen – gut oder schlecht, sei hier mal dahingestellt. handgepflückte Trauben immer noch ein Auch die Zahl der Önologen und Winzer Symbol von Qualität sind. Und im Falle des steigt stetig. An jeder Ecke entdeckt man Komponisten: Egal, was er auf das Blatt Paeinen neuen Wein. Doch auch hier gilt: Wie pier zeichnet – am Ende sind es die alten Ins­ filtert man den guten Wein heraus, ohne sich durch alle Flaschen zu Die traditionelle trinken? önologische Ausbildung Zunächst aber zur Neuen Musik: Während Glass, Reich und reicht nicht mehr aus, um Adams prominente Namen des späherausragende Weine zu ten Minimalismus waren und Pärt produzieren und Taverner für den Neo-Spiritualismus stehen, wo siedeln wir eigentlich Thomas Adès, Matthias Pintscher, Jörg trumente des Orchesters, die die Kraft des Widmann, Tod Machover und Gabriel Pro- Werkes hervorbringen. Ich persönlich finde, vor allem Gabriel Prokofjew verleiht den kofjew, den Enkel von Sergej, an? Dasselbe gilt für die Weine: Während Instrumenten einen zwar vertrauten, aber die Bordeaux-Weine von Rothschild und die doch auch sehr frischen Klang. Sein Respekt „Aia’s“ aus Italien ihren prominenten Platz vor der Tradition ist vorhanden, aber gleichgefunden haben, müssen wir den eines aus- zeitig ist er ein Befürworter von Innovation. tralischen Shiraz, eines chilenischen Caber- Und so wie Prokofjew diese Balance zwinet und auch eines deutschen Rieslings erst schen Tradition und Moderne findet, müssen dies auch die neuen Winzer finden. Sie einordnen. Der US-Amerikaner und Weinexper- könnten verborgene Trauben wie Poulsard te Clark Smith erklärte kürzlich sehr schön, oder Frappato verwenden so wie Komponiswie sich sowohl die Kunst als auch die ten neue Sounds. Die Methoden der moderWissenschaft in der postmodernen Herstel- nen Winzer basieren heutzutage ja auf biody-

namischen und ganzheitlichen Philosophien. Wenn ich von Prokofjew schwärme, dann ist dessen Pendant im Weinsektor ein Wein mit dem Namen „K the Creator“. Er hat diese innovative Cabernet-Shiraz-Mischung und ein sehr modernes Label. Er ist sehr vollmundig, mit einer samtenen Note mit dem Geschmack von Oliven, Schokolade und schwarzem Tee. Der Wein stammt von Charles Smith (nicht Clark Smith!), einem skurrilen Amerikaner, der früher Rockbands auf ihren Tourneen begleitete. Sein Weingut K Vintners liegt im US-Bundesstaat Washington, also weit im Norden der USA. Alle seine Weine sind aus Handlese und fußgestampft. Smith verwendet bei der Herstellung traditionelle Verfahren, mischt diese aber mit sehr innovativen Ideen und Methoden. Um genau zu sein, bricht Charles Smith gerne mit allen Regeln der Kunst. Deshalb hat er seinem Label auch den Zusatz „The Modernist Project“ verliehen. Seine Absicht war und ist, Weine herzustellen, die man sofort trinken kann, mit einer Note versehen, die ganz typisch ist für diese Traube und sein Weingut. Die Qualität und Intensität des K Creator gibt auch eine Antwort auf die Frage, was aus der Neuen Musik werden könnte, wenn sie von den richtigen Personen komponiert wird: Alles wird ziemlich gut! n Website von Charles Smith: www.charlessmithwines.com

John Axelrod ist Musical Director des Real Orquesta de Sinfónica de Sevilla und und erster Gastdirigent des Orchestra Sinfonica di Milano „Giuseppe Verdi“. Nebenbei schreibt er Bücher („Wie großartige Musik entsteht ... oder auch nicht. Ansichten eines Dirigenten“) und sorgt sich um das Wohl des crescendo Lesergaumens. 48

Foto: Stefano Bottesi

Auf den Spuren des ProkofjewEnkels

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Abb.: Portmedia Verlag; Strezhnev Pavel / fotolia.com

(Edition Taschenphilharmonie)


H op e

t r ifft

Die Daniel-Hope-Kolumne

Zwei Kontinente, drei Orchester Alexander, wir führen das Interview auf Deutsch, in Ordnung? Klar, go ahead! Du bist inzwischen Musikalischer Leiter in Ottawa beim National Arts Centre Orchestra, außerdem Principal Associate Conductor beim Royal Philharmonic in London, und du bist immer noch Chefdirigent in Nürnberg. Wann ist bei dir eigentlich das Ende der Fahnenstange erreicht? Ach, im Moment habe ich eine echt schöne Zeit, schließlich darf ich mich sehr verschiedenen Projekten widmen. In Nürnberg haben die Symphoniker mit mir gemeinsam vieles aufgebaut. Jetzt kommt mit Ottawa eine sehr interessante Aufgabe hinzu: Wir musizieren nicht nur für die Stadt, sondern bestimmen national ein Stück mehr das Gespräch rund um Musik, Kultur und Kunst, außerdem dürfen wir visionäre Projekte auf die Beine stellen. Wir werden zum Beispiel im Laufe der Saison vier große Uraufführungen realisieren. Wie würdest du hinsichtlich des Publikums die Unterschiede zwischen Kanada und Deutschland charakterisieren? Ich weiß nicht, wie du das siehst, aber ich habe den Eindruck, dass es überall auf der Welt sowohl konservatives als auch weniger konservatives Publikum gibt. Nehmen wir doch gleich Ottawa: Mein langjähriger 50

Daniel Hope mit Alexander Shelley

Vorgänger, Pinchas Zukerman, hat auf allerhöchstem Niveau das klassische Kernrepertoire angeboten. Jetzt haben wir einen neuen Weg eingeschlagen. Das Publikum ist teilweise noch dasselbe wie vorher, aber inzwischen konnten wir auch neue Publikumsschichten erschließen. Derzeit leitest du auf zwei Kontinenten drei Orchester und gehörst zu den führenden Dirigenten der jüngeren Generation. Wie wichtig ist es, als junger Künstler heutzutage überall präsent zu sein? Wenn ich für mich spreche, dann bin ich

deshalb in dieser Situation, weil ich sehr gerne arbeite, vielleicht sogar ein Stück weit süchtig danach bin. Ich liebe die Musik, ich liebe zu dirigieren, zu lernen, zu reisen und Menschen kennenzulernen. Generell würde ich jedoch sagen, dass es heutzutage unterschiedliche Karrieremodelle für Dirigenten gibt. Viele konzentrieren sich nur auf zwei Orchester ohne irgendwelche Gastdirigate, andere wiederum wollen erst gar keine feste Anstellung. Eines musst du mir noch verraten: Wie kommt es, dass du so perfekt deutsch sprichst? Das ist ja noch besser als meins! Na ja, ich habe halt in Deutschland studiert, bin mit achtzehn nach Düsseldorf gekommen. Dazu kommt, dass an der Düsseldorfer Musikhochschule vorwiegend Deutsche und ein paar Koreaner studiert haben. Insofern hatte ich die Wahl zwischen Koreanisch oder Deutsch. Ich habe mich der Einfachheit halber für Letzteres entschieden. Außerdem ist es für mich ein großer Gewinn, diese Sprache zu sprechen: Deutschland und Österreich sind Länder der Kultur. Das dortige Kulturbewusstsein ist ein Schatz für die ganze Welt. Danke für das schöne Schlusswort. You’re welcome.

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Foto: privat

Unser Kolumnist traf im kanadischen Ottawa Alexander Shelley, den neuen Leiter des National Arts Centre Orchestra. Doch der britische Dirigent hat viele Heimaten.


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