crescendo 6/2014, Premium Ausgabe Oktober/November 2014

Page 1

Ausgabe 06/2014 Oktober – November 2014 www.crescendo.de 7,90 Euro (D/A)

PREMIUM AUSGABE

CD

inkl.

Schwerpunkt

ECHO KLASSIK

Die Neuen, die Besonderen, die Geheimtipps und die Rekordpreisträger der wichtigsten Preisverleihung.

Nikolaus Harnoncourt Der Dirigent über sein neues Mozart-Album und warum man es besser nicht beim Autofahren hört.

Cecilia

B ­ artoli Was ist das Erfolgsrezept der Mezzo-Sopranistin? B47837 Jahrgang 17 / 06_2014


Tiroler Festspiele Erl Winter

Tiroler Festspiele Erl Sommer

26. Dezember 2014 — 6. Januar 2015 Festspielhaus

9. Juli — 2. August 2015 Passionsspielhaus und Festspielhaus

Präsident: Hans Peter Haselsteiner Gesamtleitung: Gustav Kuhn

Präsident: Hans Peter Haselsteiner Gesamtleitung: Gustav Kuhn

Opern

RichARD WAGNeR Der Ring des Nibelungen

WOlfgang a. mOzart Così fan tutte ludWig van beethOven fidelio

1. ZykluS Jetzt Restkarten sichern!

2. ZykluS (ausverkauft)

KOnzert

23. Juli, 19 uhr Das Rheingold

29. Juli, 19 uhr Das Rheingold

bartóK · mOzart · haydn Webern · beethOven tSChaiKOWSKy

24. Juli, 17 uhr Die Walküre

30. Juli, 17 uhr Die Walküre

SilveSter- und neuJahrSKOnzert

25. Juli, 17 uhr Siegfried

1. August, 17 uhr Siegfried

SpeCialS

26. Juli, 17 uhr Götterdämmerung

2. August, 17 uhr Götterdämmerung

franui drievKO · Weill SChubert die schöne müllerin

Karten & Informationen: T +43 53 73 81 000 21 · www.tiroler-festspiele.at

Das gesamte Sommerprogramm 2015 ab 19. November 2014 online unter www.tiroler-festspiele.at

Karten & Informationen: T +43 53 73 81 000 21


p r o l o g

Schönes Echo

w i n fr i ed h a n u sc h i k Herausgeber

Liebe Leser, als ich vor 21 Jahren nach Köln flog, um mir die Premiere des ECHO Klassik anzusehen, wirkte die Verleihung eher wie eine nett organisierte Pressekonferenz. Die Veranstaltung fand in der Flora im Botanischen Garten statt, aber es war keine wirkliche Gala, sondern wie ein größeres Klassentreffen. Doch wie so vieles im Leben brauchte auch diese Auszeichnung Zeit, um sich zu etablieren. Einer der großen Vorteile der Verleihung war ihre Moderatorin mit Klasse: Senta Berger präsentierte den Preis von 1994 bis 2005. Manchem Verantwortlichen war sie vielleicht zu „klassisch“, denn 2006 wurde sie von einer deutlich jüngeren Moderatorin abgelöst: Maria Furtwängler. Die Tatort-Kommissarin ist immerhin auch die Nichte des Dirigenten und Komponisten Wilhelm Furtwängler, und rückblickend muss man sagen: die machte das an diesem Abend im Münchner Gasteig ziemlich gut. Das Ganze nahm Fahrt auf, und auch wir von crescendo überlegten uns erste Formate, den ECHO Klassik auf unsere Art weiterzuspinnen: Unser damaliger Chefredakteur Axel Brüggemann berichtete backstage mit einem Videoblog, der auf unserer Website ausgestrahlt, angeklickt und heiß diskutiert wurde. (Wer möchte, kann ihn sich

unter www.crescendo.de/echo-tv-reportage-6870 ansehen). 2007 produzierte crescendo sogar das erste ECHO Klassik Magazin, im handlichen Pocketformat und mit einer Auflage von 90.000 Exemplaren. Warum ich das alles erzähle: Der ECHO Klassik ist inzwischen zu einem Fixpunkt in unserem musikalischen Jahreskalender geworden, weil die Veranstaltung nicht nur ein Treffen der Branche ist, sondern inzwischen auch eine echte Gala. Die Verleihungen finden in festlichem Rahmen statt (dieses Jahr nach langer Pause wieder einmal in München), das ZDF überträgt zeitversetzt und erzielt dabei ordentliche Quoten. Die Kolleginnen Anna Novák und Sina Kleinedler haben für diese Ausgabe in den vergangenen Wochen mit unzähligen Künstlern und Managern gesprochen, um vor allem auch diejenigen Künstler vorzustellen, die das Fernsehen am Abend nicht zeigt. Außerdem porträtieren wir die Mezzo-Sopranistin Cecilia Bartoli, die in diesem Jahr ihren 13. ECHO Klassik bekommt, und führten ein Interview mit dem Dirigenten Nikolaus Harnoncourt, der für sein Lebenswerk geehrt wird – und damit seinen 12. ECHO Klassik bekommt. Ab Seite 16 finden Sie das ECHO Spezial. Jetzt wünsche ich viel Spaß beim Lesen! Herzlichst,

Fotos Titel: Monika Rittershaus (Sonderedition DMG); DECCA Classics

Ihr Winfried Hanuschik

An dieser Stelle ist keine Abo-CD vorhanden? Sie sind Premium-Abonnent, aber die CD fehlt? Dann rufen Sie uns unter 089/85 85 35 48 an. Wir senden Ihnen Ihre Abo-CD gerne noch einmal zu.

PS: In dieser Ausgabe finden Sie ab Seite 61 die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft mit dem Schwerpunkt „Israel“. ONLINE PREMIUM-SERVICES: TRETEN SIE EIN!

Ihre Abo-CD In der Premium-Ausgabe finden Sie nicht nur doppelt so viel Inhalt: mehr Reportagen, Porträts, Interviews und ­ Hintergründe aus der Welt der Klassik – in einer besonders hochwertigen Ausstattung, sondern auch unsere ­ crescendo Abo-CD. Sie ist eine exklusive Leistung unseres c­ rescendo Premium-Abonnements. Premium-Abonnenten erhalten sechs Mal jährlich eine hochwertige CD mit Werken der in der aktuellen Ausgabe vorgestellten Künstler. Mittlerweile ist bereits die 50. CD in dieser crescendo Premium-Edition erschienen.

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014

* Als Premium-Abonnent registrieren Sie sich beim ersten Eintritt mit Ihrer E-Mail-Adresse und Ihrer Postleitzahl. Alle anderen crescendo PremiumKäufer oder -Leser brauchen für die erstmalige Registrierung den Registrierungscode. Dieser lautet für die aktuelle Ausgabe: Registrierungscode:

20070024

3


P r o g r a mm

ECHO KLASSIK

2014

Moderation Nina Eichinger & Rolando Villazón

Sonntag, 26. Oktober 2014 Philharmonie im Gasteig Eintrittskarten für die Verleihung Vorverkauf: München Ticket telefonisch: 089 54 81 81 81 online: www.muenchenticket.de

TV-Ausstrahlung 26. Oktober, 22:00 Uhr im ZDF Alle Informationen zur Verleihung und zu den Preisträgern 2014 www.echoklassik.de www.facebook.com/ECHO.Klassik www.youtube.com/Echomusikpreis #ECHOKLASSIK2014

4

16 Echo Klassik Ein crescendo Spezial zur Preisverleihung, die am 26. Oktober in München stattfindet.

48 maria Callas Die Aufnahmen der Sängerin gibt es jetzt im neu „gemasterten“ Format.

STandards

Künstler

hören & Sehen

03.... Prolog Der Herausgeber stellt die Ausgabe vor. 06.....Ensemble Mit unseren Autoren hinter den Kulisssen. 08.....Blickfang Ein Piano wie ein Ferrari. 10......Ouvertüre Ein Anruf bei... Moritz Eggert. Die Playlist von Francesco Tristano. Tabelle: Ein Vergleich der bisherigen ECHO Klassik Lebenswerk-Gewinner. 34.....Nachrufe Abschied von Christopher Hogwood und Kenny Wheeler. 39.....Impressum

14......Ein Kaffee mit ... Peter Lohmeyer. 16......Echo Spezial Charmante Details über die Gewinner der wichtigsten Klassik-Auszeichnung. 22.....Cecilia Batoli Die Mezzo-Sopranistin erhält ihren 13. ECHO Klassik. 24..... N ikolaus ­Harnoncourt Der Dirigent über sein neues Mozart-Album. 26..... Thomas A. ­Irnberger Ein Besuch beim Violinisten in seinem eigenen Konzertsaal in Salzburg. 28..... A lexandre Tharaud Ein Gespräch mit dem französischen Pianisten. 30..... PlÁcido Domingo Der Altmeister über seine Liebe zum Meer. 32.....RafaËl Pichon Unser Newcomer des Monats veröffentlicht Bachs „Köthener Trauermusik“.

50..... R ätsel des Alltags 86..... KOMMENTAR Axel Brüggemann über die Wichtigkeit guter Intendanten. 98.....Hope triffT... den russischen Dirigenten Wladimir Jurowski.

4

35..... DIE WICHTIGSTEN EMPFEHLUNGEN DER REDAKTION 36..... Attilas Auswahl Die Empfehlungen unseres Kolumnisten. 47..... U nerhörtes & Neu Entdecktes: Christoph Schlüren über böhmischen Zauber und finnische Magie. 48.....Maria Callas Warner Classics hat alle Studioproduktionen der Legende „remastered“.

www.crescendo.de

Exklusiv für Abonnenten Hören Sie die Musik zu u­ nseren Texten auf der ­crescendo Abo-CD – exklusiv für Abonnenten. Infos auf den Seiten 3 & 93. Fotos: PR; Monique Wuestenhagen;

mit Auftritten von Anna Netrebko, Jonas Kaufmann, Anne-Sophie Mutter, Diana Damrau, David Garrett u.v.m.

34 Christopher Hogwood Die Klassikwelt trauert um den britischen Dirigenten und Experten der Alten Musik.

Ok tober – November 2014


Das neue Album

ALISON BALSOM Verführung pur mit Klassik, Jazz & Chanson

58 Spiel Mit! Der Cellist Johannes Moser lud zur Celloparty nach Frankfurt – wir fuhren hin.

78 Zu Gast bei Beares Geigen im Wert von 100 Mio. Dollar lagern in deren Safe: ein Besuch bei J&A Beare.

88 Reise: Zürich Konzertmeisterin Ada Pesch verriet uns ihre Lieblingstipps an der Limmat.

erleben

gesellschaft

Lebensart

51...... DIE WICHTIGSTEN TERMINE UND VERANSTALTUNGEN FÜR DEN HERBST 58.....CelloParty Johannes Moser rief zum „Flashmob“ nach Frankfurt – wir waren dabei. 60.....Kate Bush Die Künstlerin gab in London ein sehr familiäres, aber spektakuläres Bühnencomeback.

Ab Seite 61

78..... Schwerpunkt Instrumente Zu Besuch beim Traditionshaus J&A Beare in London. 81..... Rebekk a ­Hartmann Die Geigerin über ihre Stradivari und warum alte Instrumente mehr Ausstrahlung haben. 82.....Guarneri Auf den Spuren des mythischen Geigenbauers aus Cremona. 84..... Woher kommt... ...das ECHO in der Musik?

88..... Reise Ein sonniger, kulinarischer und musikalischer Besuch in Zürich. 91...... Termine & Reisetipps Das Kranzbach in den bayerischen Alpen. 92.....WEinkolumne Dirigent John Axelrod über Preisträger der Vergangenheit und der Zukunft – auf der Bühne und im Weinkeller. 94..... Moderne ­Geigen Schafft es die Kunststoffgeige in die Hände der großen Virtuosen? 96.....Formsache Die Designobjekte unter den Instrumenten.

Fotos: Wolfgang Runkel;

finden Sie die Sonderseiten der Deutschen MozartGesellschaft zum Thema „Israel“.

77..... K lassik in Zahlen

5

Im Konzert: 14.11. Hamburg 15.11. Hannover 16.11. München 17.11. Berlin 18.11. Bremen alison-balsom.de

5 Foto: © Hugh Carswell


E n s e m b l e

Hinter der Bühne

HERBST

NEUHEITEN

Die Welt von crescendo lebt von den Künstlern & Mitarbeitern, die sie mit Leben füllen. Deshalb der gewohnte Blick hinter die Kulissen der Produktion.

2 CD 900122

Dorothea Walchshäusl

Mit Christian Gerhaher als Faust und Christiane Karg als Gretchen präsentieren Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Daniel Harding die bedeutenden „Szenen aus Goethes Faust“ von Robert Schumann.

Dorothea Walchshäusl reiste für ihre Reportage über den Handel mit kostbaren alten Streichinstrumenten zu Beares nach London und war fasziniert von der familiären und persönlichen Atmosphäre im Geschäft des Händlers Nr. 1 in Sachen alte Geigen. Nach der obligatorischen Tasse englischen Tees ging es hinab in den Safe, in dem die Autorin von Direktor Steven Smith eine anschauliche Lehrstunde über Stradivaris verschiedene Geigenbau-Phasen erhielt. Das Schönste dabei: Die leuchtenden Augen von Smith beim Beschreiben der einzigartigen Klangfarben seiner Schätze. Die Reportage unserer Autorin, die in Passau lebt, finden Sie ab Seite 78.

Anna Novák & Sina Kleinedler 2 CD 900126

In den vergangenen Wochen haben die beiden Mitarbeiterinnen die crescendoRedaktion kurzerhand zur Recherche- und Interview-Zentrale umfunktioniert. Für unser ECHO Klassik-Spezial (Seite 16) führten sie Gespräche mit Preisträgern, durchstöberten deren Facebook- und TwitterAccounts, hörten die ausgezeichneten CDs, suchten die schönsten Fotos heraus – und verputzten nebenbei ziemlich viel Schokolade. Weil wir im Heft platzbedingt nur einen kleinen Teil aller Preisträger abbilden konnten, gibt᾽s die kompletten Interviews, Porträts und Fundstücke im Internet auf www.crescendo.de

Verdis „Messa da Requiem“ in Starbesetzung: Mariss Jansons dirigiert Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Als Solisten glänzen Krassimira Stoyanova, Marina Prudenskaya, Saimir Pirgu und Orlin Anastassov.

Das Münchner Rundfunkorchester und der Chor des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Ulf Schirmer interpretieren das selten aufgeführte Mysterienspiel „Verkündigung“ von Walter Braunfels, einem der meistgespielten Komponisten der 1920er Jahre. Mit Juliane Banse, Matthias Klink u.v.a.

WWW.BR-KLASSIK.DE/LABEL Erhältlich im Handel und im BRshop

6

Als wir überlegten, wer den Komponisten Moritz Eggert für unsere Kategorie „Ein Anruf bei ...“ anrufen darf, rief unsere neue Kollegin am lautesten „Hier!“ Sie kennt den „Bad Boy“ der Neuen-Musik-Szene nämlich um ein paar Ecken: Ein alter Freund von ihr hatte vor zehn Jahren bei Eggert Klavierunterricht. So klein ist die Welt! Wenn Angelika Otto nicht gerade Künstler anruft, dann ist die promovierte Germanistin bei crescendo für Marketing und Vertrieb zuständig. Den Anruf bei Eggert finden Sie auf Seite 10.

6

Fotos: privat

2 CD 900311

Angelika Otto

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


AKTUELLE NEUHEITEN

BEI SONY MUSIC

JOSHUA BELL & ACADEMY OF ST MARTIN IN THE FIELDS BACH Joshua Bell ist Solist und Dirigent der Academy of St Martin in the Fields bei dieser Bach-Einspielung mit den beiden Violinkonzerten, der „Air“ u. a. eigens für diese CD arrangierten Stücken. www.joshuabell.com

SOL GABETTA PRAYER Sol Gabettas neues besinnliches Album mit Werken von Ernest Bloch (From Jewish Life, Nigun, Schelomo), Schostakowitsch (From Jewish Folk Poetry) und Casals – aufgenommen mit der Amsterdam Sinfonietta und dem Orchestre National du Lyon unter Leonard Slatkin. www.solgabetta.com

QUADRIGA CONSORT 14 TALES OF MYSTERY Bereits das weihnachtliche erste Album des österreichischen Ensembles war ein durchschlagender internationaler Erfolg. Auf ihrere neuen CD präsentieren sie ein faszinierendes Programm mit mystischen Balladen von den britischen Inseln.

Plácido Domingo singt seine Lieblingsmusik „über die Liebe und das Meer“ aus Ländern um das Mittelmeer. Die Songs aus Neapel, Korsika, Sardinien, Frankreich, Spanien, Nordafrika, Griechenland u.a. wurden mit hochkarätigen Musikern eingespielt. www.placidodomingo.com

KATHARINA BÄUML CAPELLA DE LA TORRE ISABELLA - MUSIC FOR A QUEEN Katharina Bäuml und ihr Ensemble Capella de la Torre haben interessante Werke aus dem 15./16. Jahrhundert entdeckt, die der spanischen Königin Isabella von Kastilien gewidmet oder für sie geschrieben wurden.

www.sonymusicclassical.de

PLÁCIDO DOMINGO ENCANTO DEL MAR – MEDITERRANEAN SONGS

PIERRE BOULEZ THE COMPLETE COLUMBIA ALBUM COLLECTION Alle Aufnahmen des berühmten französischen Komponisten und Dirigenten Pierre Boulez für die Label CBS/Columbia Records in einer hochwertigen und limitierten 67 CDEdition. Viele der Einspielungen mit Werken von Wagner, Debussy, Ravel, Schönberg, Bartók, Strawinsky u. a. gelten auch heute noch als Referenz.

Abonnieren Sie den Sony Classical Newsletter und erhalten Sie exklusive Informationen zu Sony-Künstlern


b l i c k f a n g

8

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


Ein Flügel wie ein Auto Auto meets Audio! Laut Eigenwerbung stellt die französische Klavierbauer-Firma Pleyel „Ausnahme-Pianos“ her. Gipfel der Extravaganz ist eine limitierte Serie, die in Kooperation mit dem neuen Peugeot Design Lab entstanden ist: ein Flügel, dessen Klaviatur auf dem gleichen Niveau wie die Untermechanik liegt, also von jeder Seite aus den Blick auf die Hände des Tastenvirtuosen freigibt. Weitere Besonderheit ist eine tragende Säule anstelle von drei Beinen, die genau wie der Deckel aus Karbonfaser gefertigt ist. Sieht nicht nur abgefahren aus, sondern klingt auch gut! Weitere verrückte Design-Instrumente finden Sie in unserer Rubrik „Lebensart“ ab Seite 96.

9


o u v e r t ü r e

„Einen Vertrag darf man singen“ hier nur ein Beispiel – viele Internetdienstleister haben sehr Hallo Herr Eggert, wobei stören wir Sie gerade? ähnliche Nutzungsbedingungen. All dies gab es bisher in Ich übe gerade für ein Konzert mit Liedern nach Nietzder Geschichte der Menschheit noch nicht. Ich sehe es als sche und Morgenstern für das Max-Reger-Festival in Aufgabe, auch der heutigen zeitgenössischen Musik, die Weiden. ja gern den relevanten Themen ausweicht, die Themen Für das 100-jährige Jubiläum der Goethe-Universität aufzugreifen, die unser Leben bestimmen. Frankfurt haben Sie die Nutzungsbedingungen von Google vertont. Wie muss man sich das vorstellen? Eine spannende Idee! Und Sie scheinen sich dafür sehr zu interessieren. Woher kommt das? Die Nutzungsbedingungen sind ja von Google bewusst sehr lang und langweilig gestaltet, weil Weil wir uns heute, ohne darüber nachzudensie keiner lesen soll. Ich habe lange gebraucht, ken, verkaufen und Konzernen einen komum überhaupt bis zum Kern der Sicherheitspletten Freibrief über unsere Daten ausstelbestimmungen durchzustoßen, die es nur auf len. In den Nutzungsbedingungen ist imEnglisch auf einer speziellen Website gibt. mer von „unseren Partnern“ die Rede, die Dort stehen dann die richtigen Hammer die Daten des Nutzers auch verwenden drinnen. Die extremsten Aussagen habe dürfen. Doch wer sind diese Partner? Es ich herausgenommen und zu einer zweikann die NSA sein, es können kommerziseitigen Collage verdichtet. Im Vorderelle Anbieter sein, es wird nie spezifiziert. grund steht die Frage, was es eigentlich Auch wenn man keinen Googleaccount bedeutet, wenn man als Nutzer von einem hat, stimmt man bei der Benutzung der Konzern wie Google benutzt wird. Eine Dienstleistungen von Google automatisch ironische Brechung ist durchaus beabsichtigt. den Nutzungsbedingungen zu, bei jeder Suchanfrage zum Beispiel. Im weiteren Wie wird das musikalisch umgesetzt? Sinne geht es hier auch um das UrheMit einem Streichorchester und berrecht an der eigenen Person – das einem Bariton. Die Vertonung ist Moritz Eggert ist Komponist, Pianist, Dirigent, Performer Urheberrecht ist ja gerade für uns Aunicht karikierend oder dramatisch und Journalist. Er selbst bezeichnet sich als „Bad Boy“ der toren ein großes Thema, da wir davon aufgeladen, sondern ich möchte, zeitgenössischen klassischen Musik. www.moritzeggert.de abhängig sind. Theoretisch könnte dass man den Text versteht. Eines auch Google ihr Urheberrecht auf den der Hauptzitate („Ich akzeptiere die Nutzungsbedingungen“) wird in einer Reprise am Schluss auf- von mir vertonten Text anwenden und mir die Vertonung verbieten. genommen, allerdings mit dem Zusatz: „Ich akzeptiere meine Nut- Allerdings bin ich der Meinung, dass ich einen Vertrag, den ich unzungsbedingungen.“ Denn man selbst wird ja benutzt. Man ist heut- terschreibe, dann auch singen dürfen muss. zutage öfter selber die Ware, als dass man Waren kauft. Google ist Interview: Angelika Otto

Playlist Welche Werke hört der Pianist Francesco Tristano auf seinem iPod? Und vor allem, warum?

1. Model 500: „Starlight“ (Moritz aka Maurizio Remix) Der perfekte Detroit Techno Track. 2. Johann Sebastian Bach: „Johannes-Passion“ Chöre 1 und 2 Bach Collegium Japan, Masaaki Suzuki Das perfekte Beispiel für einen universellen Bach. 3. Savvas Ysatis: „Club Soda“ Der perfekte „Dancefloor-Breaker“. 4. Art of Noise: „Moments in Love“ Für mich einfach das perfekte Lied.

Francesco Tristanos neues Album zusammen mit Alice Sara Ott heißt „Scandale“ und ist gerade erschienen (Deutsche Grammophon).

5. Francesco Tristano: „A soft shell groove“ Das perfekte Stück aus unserem Album „Scandale“!

+++ La Scala im Netz: Gute Nachricht für Fans des legendären Opernhauses! Die Mailänder Scala hat ihr Archiv online gestellt (www.archiviolascala.org). Opernfans können hier nun 205.000 Photos, 5.000 Kostüme, jede Menge Accessoires und 12.000 Plakate bestaunen. Einziges Manko: das Archiv gibt᾽s nur auf Italienisch. +++ Gidon Kremer im Radio: Der lettische Geiger, der sich immer wieder intensiv mit den gesellschaftlichen und kulturpolitischen Entwicklungen um sich herum auseinandersetzt, bekommt seine eigene Radioshow. Einmal im Monat diskutiert er im „Kremerspiegel“ auf BR Klassik jeweils eine Stunde über ein Musik-Thema und stellt Musik vor. +++ ARD-Musikwettbewerb: Die „Wiege der Stars“ hat wieder Preisträger hervorgebracht. In den diesjährigen weiter auf S. 12

10

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014

Foto: Katharina Dubno

Ein Anruf bei ... Moritz Eggert, der die Nutzungsbedingungen von Google zu einem Musikstück verarbeitet hat.


ENTERTAINMENT HIGHLIGHTS

auf Großbildleinw

LIVE

mit dem

BB Promotion GmbH & Alegria Konzert GmbH präsentieren eine Produktion von Disney In Concert

3. Kino film

Der mit LIV E-Orchester!

and

Sound of Hollywood Symph ony Orch estra Der zauberhafte Disney-Klassiker mit weltberühmten Meisterwerken: Dukas Der Zauberlehrling Beethoven 5. Sinfonie Debussy Claire de Lune Tschaikowsky Der Nussknacker Gershwin Rhapsody in Blue u. v. m.

18.02.15 · Alte Oper Frankfurt 04.04.15 · Kölner Philharmonie www.fluch-der-karibik-live.de

Presentation licensed by Disney Concerts and made under license from Buena Vista Concerts, a division of ABC Inc. ©Disney All rights reserved.

BB Promotion GmbH & Alegria Konzert GmbH präsentieren eine Produktion von Disney In Concert

16.02.15 Festspielhaus Baden-Baden 17.02.15 Alte Oper Frankfurt Presentation licensed by Disney Concerts and made under license from Buena Vista Concerts, a division of ABC Inc. ©Disney All rights reserved.

Der 2. Kinofilm mit LIVE-Orchester!

The Sound of Hollywood Symphony Orchestra & Voices Leitung: Helmut Imig

19.02.15 · Rosengarten Mannheim www.fluch-der-karibik-live.de

TICKETS: 01806 - 10 10 11* ∙ www.bb-promotion.com *0,20 €/Anruf aus dem dt. Festnetz, max. 0,60 €/Anruf aus dem dt. Mobilfunknetz

Presentation licensed by Disney Concerts and made under license from Buena Vista Concerts, a division of ABC Inc. ©Disney All rights reserved.

BB Promotion GmbH & Alegria Konzert GmbH präsentieren eine Produktion von Disney In Concert


o u v e r t ü r e

And the echo goes to ...

Daniel Barenboim Pianist & Dirigent ausgezeichnet im Jahr 2012

Kurt Masur Dirigent Ausgezeichnet im Jahr 2010

Helmuth Rilling Dirigent Ausgezeichnet im Jahr 2013

Vita

Laudator

Besondere Vorkomnisse

Der 1942 in Buenos Aires geborene Pianist und Dirigent feierte 2010 sein 60-jähriges Bühnenjubiläum. Ausgezeichnet wurde er aber nicht nur für sein künstlerisches Wirken, sondern auch für sein gesellschaftliches und politisches Engagement, unter anderem für die Gründung des „West-Eastern Divan Orchestra“ zur Völkerverständigung im Nahostkonflikt.

Rolando Villazón. Daniel Barenboim gilt ihm als Mentor und Freund. Dieser habe ihn, so Villazón, „immer dazu ermutigt, Grenzen zu überwinden“. Dass beide von der gleichen Managerin betreut werden, kann ein Zufall sein, mag aber auch dazu beigetragen haben, dass Rolando Villazón die Laudatio übernehmen durfte.

Obwohl er in Berlin weilte, zeigte sich Barenboim bei der Verleihung nur per Video-Einspielung; er dirigierte 100 Meter weiter die Walküre. Im Jahr darauf ließ er sich immerhin blicken und revanchierte sich für Villazóns Laudatio: Zur Ehrung von Villazóns Album „Villazón Verdi“ sagte er, Verdi nehme „keine Umwege, wenn er unsere Herzen treffen will. Rolando auch nicht.“

Feierte sein 60-jähriges Bühnenjubiläum bereits 2008. Ihm wurde der ECHO nicht nur für Verdienste um die klassische Musik verliehen, sondern auch für soziales Engagement: Der ehemalige GewandhausKapellmeister war während der Montagsdemonstrationen 1989/90 Mitglied der Initiative „Keine Gewalt“ und leistete so einen wichtigen Beitrag zu einem friedlichen Ablauf der Revolution.

Hans-Dietrich Genscher. Als damals dienstältester Außenminister Europas war er bereits 1992 aus der deutschen Bundesregierung ausgeschieden. Er hatte unter anderem den „Zwei-plus-VierVertrag“ erreicht, der Deutschland endgültig von besatzungsrechtlichen Beschränkungen befreite, und ist damit einer der bedeutensten Politiker der Wiedervereinigung.

„Für ihn ist Musik eine Botschaft“, sagte Genscher in seiner Rede über Masur. In der anschließenden Berichterstattung war man sich einig: Der Moment zwischen diesen beiden großen Persönlichkeiten der Wende war der emotionale Höhepunkt der Gala gewesen. Bei seinem Eintreffen hatte Masur übrigens verweigert, über den roten Teppich in den Saal zu kommen.

Als Dirigent und Lehrer hat sich „Mister Bach“ ganz der Musik Johann Sebastian Bachs verschrieben. Er gründete neben der BachAkademie Stuttgart noch weitere Akademien und internationale Jugendensembles. Der ECHO Klassik 2013 war für ihn bereits der fünfte – dieses Mal erhielt er ihn für sein künstlerisches Wirken sowie für sein musikpädagogisches Engagement.

Friedrich Hänssler. Der sechsfache Vater, Theologe, Musikwissenschaftler ist der Sohn des gleichnamigen Gründers des Musikverlags Hänssler, er leitete diesen ab 1950 und entwickelte ihn zu einem der führenden evangelischen Verlage in Deutschland. 2001 erhielt er aufgrund seiner Verdienste für die christliche Literatur in Deutschland das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Als Rillings Verleger war Hänssler dem Dirigenten ein langjähriger Weggefährte und Freund. Beim Label „Hänssler Classic“ erschien die „Einspielung des Gesamtwerks von Johann Sebastian Bach in 172 Bänden“ unter der künstlerischen Leitung Rillings. Die langjährige Zusammenarbeit der beiden BachLiebhaber hatte bei einem Waldspaziergang begonnen.

G E L E S E N N O T I E R T Die Zitate des Monats

„Viele Künstler finden eines Tages heraus, was die Gesellschaft von ihnen erwartet, und dann beginnen sie sich zu wiederholen. Dann stirbt die Kunst.“ Performance-Künstlerin Marina Abramović im SZ-Magazin

„I hope this is all part of a big crescendo!“ Geiger Charlie Siem postete das Cover unserer Standard-Ausgabe (mit seinem Foto) mit diesem Vermerk auf seiner Facebook-Seite.

„Viele von Rameaus Charmebomben können es von der Länge her problemlos mit Wagner aufnehmen. Ist das ein Einwand? In jedem von Rameaus Werken wird man schöner und ausdauernder am Bauch gekitzelt als in allen Opern von Gluck zusammengenommen.“ Kai Luehrs-Kaiser in Die Welt zum 250. Todestag des Komponisten Jean-Philippe Rameau

Wettbewerbs-Fächern Klavier, Schlagzeug, Cello und Bläserquintett wurden wurden zwei erste, vier zweite sowie sechs dritte Preise vergeben. Im Fach Schlagzeug erhielt Simone Rubino aus Italien den 1. Preis sowie den Publikumspreis. Im Fach Violoncello überzeugte István Várdai aus Ungarn die Jury mit seiner Interpretation von Antonín Dvořáks Cello-Konzert und errang den 1. Preis. +++ Preis für Notenspur: Die mit 15.000 Euro dotierte Auszeichnung für die „Lebendigste Erinnerungsstadt“ geht an Leipzig – für ein Musikvermittlungsprojekt. Die „Leipziger Notenspur“ verbindet Orte, an denen berühmte Komponisten wie Bach, Mendelssohn und Schumann wirkten. Die 5 km lange Route besteht aus 23 Stationen und beinhaltet einen kostenlosen Audioguide.

12

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014

Fotos: Marco Brescia / Decca; Michael Latz; Radio France / Christophe Abramowitz

Für seine umfassenden Dienste für die klassische Musik wird Dirigent Nikolaus Harnoncourt in diesem Jahr mit dem Lebenswerk-ECHO Klassik geehrt. Grund genug, sich ein paar Lebenswerk-Preisträger der letzten Jahre und die dazugehörigen Laudatoren einmal näher anzuschauen.


BENEFIZKONZERT

o u v e r t ü r e

Gaga meets Jazz

JUAN DIEGO FLÓREZ, TENOR

Die skurrile Pop-Diva Lady Gaga hat sich für ihr neues Album mit Jazz-Star Tony Bennett zusammengetan.

MAGDALENA GALLO, SOPRAN DEMPSEY RIVERA, TENOR FILARMONICA DELLA SCALA FABIO LUISI, DIRIGENT

WERKE VON Foto: Universal Music

ROSSINI, DONIZETTI, VERDI, MASCAGNI

Tony Bennett (88) und Lady Gaga (28)

Warum es eine der größten Pop-Diven unserer Zeit in ein Magazin für klassische Musik schafft? Weil sie jetzt Jazz singt! Und das sogar richtig gut. Gemeinsam mit Jazz-Legende Tony Bennett präsentiert sie auf dem Album Cheek to Cheek 15 amerikanische JazzStandards. Es ist bereits die zweite Zusammenarbeit der 88-jährigen Jazzgröße mit der 60 Jahre jüngeren Pop-Künstlerin. Überraschend: Lady Gaga, die eigentlich durch ihre dance-lastigen, skurrilen Auftritte mit verrückten und oft anstößigen Kostümen auffällt, sagte in einem Interview mit der New York Times, so wie im Jazz zu singen entspreche ihrer Natur viel eher. „Ich wollte wirklich eine Weile keine Musik mehr machen, weil ich so verwirrt und müde war. Jetzt fühle ich mich befreit, als hätte man mich aus einem Käfig gelassen.“ Ihre Zusammenarbeit mit Tony Bennett scheint sie so sehr inspiriert zu haben, dass sie sich Bennetts eigentlichen Namen „Benedetto“ als Tattoo stechen ließ. Bei aller musikalischen Neuerung ist das dann doch wieder typisch Lady Gaga.

MASTERCLASS, SYMPOSIUM, PODIUMSGESPRÄCH 30.11./01.12. In Kooperation mit:

Unsere Rubrik mit Doppelgängern aus der Klassikwelt. Diesmal: Cecilia Bartoli und Marge Simpson

Infos unter: www.basf.de/kultur

01. Dezember 2014

Frau Bartolis Hutmode auf den Fotos ihres neuen Albums ­erinnert uns unweigerlich an eine prominente Dame aus dem Fernsehen ... Übrigens: die Simpsons laufen immer ­montags um 20.15 Uhr und 20.45 Uhr auf ProSieben.

21 Uhr | BASF-Feierabendhaus

13

Infos und Tickets: Tel. 0621-60 99911, an allen eventim-VVK-Stellen oder unter www.basf.de/kultur

© Decca/Josef Gallauer

Fotos: © 2014 Twentieth Century Fox Film Corporation; Decca Classics

pa s d e D e u x


K ü n s t l e r

Auf einen Kaffee mit ...

Peter Lohmeyer (52) beim crescendo-Kaffee in Berlin.

14

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014

Foto: Tom Wagner Photography

Peter Lohmeyer


Der Hamburger Schauspieler trägt einen schicken Anzug und ein Hütchen auf dem kahlrasierten Kopf – so wird er am Abend als einer der Protagonisten des AMO-Projekts von Schönherz & Fleer auftreten (auf der gerade erschienenen CD rezitiert er drei Gedichte von Octavio Paz). Während der Proben in Berlin nimmt er sich Zeit für einen Kaffee im Raucherzimmer des Meistersaals – immerhin jenem legendären Studio, in dem in den 70ern und 80ern Größen wie David Bowie, Udo Lindenberg und Depeche Mode aufgenommen haben. crescendo: Herr Lohmeyer, bei wessen Aufnahmen wären Sie hier, an diesem wertvollen Ort, am liebsten Mäuschen gewesen? Peter Lohmeyer: Bei David Bowie. Der war eine Ikone für mich, auch in seinem Auftreten. Ich hab ihn mal bei einem Konzert im Bochumer Ruhrstadion erlebt, da hat er so einen weiten Anzug getragen. Bowie war immer vorneweg. Jetzt entdecken alle Berlin, aber David hat vor 35 Jahren schon gewusst, dass Berlin geil war. Ganz ehrlich: Bowie hätte ich gern erlebt. Im Internet werden Sie „Schauspieler, Sprecher, Musiker“ genannt – wieso Musiker? Ich habe tatsächlich mal Musik gemacht, mit Nils Koppruch, der leider vor zwei Jahren verstorben ist, und dem Bassisten Günther Mertens. Nils hatte mich gefragt, ob ich Lust hätte, bei einem Konzert hier in der Volksbühne zwei Lieder von Hank Williams zu singen. Probieren wir᾽s, dachte ich mir. Dann habe ich mit seiner Band Fink einen Protestsong gegen den Irak-Krieg und Herrn Bush aufgenommen, „Bagdad Blues“, und dafür ein Video produziert. Und dann waren wir irgendwann zu dritt. Ich hab gesungen und hatte das Schüttel-Ei in der Hand. Ich hatte gar keine Ambitionen, das war von uns allen eine schöne Passion, die man ausgelebt hat. Eigentlich wollen Günther und ich weitermachen, aber einen dritten zu finden, ist schwer. Ich hab schon in ein paar Projekten gesungen, und wenn das Drumherum stimmt und du mit Supermusikern auf der Bühne stehst, macht das wahnsinnig Spaß. Aber Musiker ist zu hoch gegriffen. Werden Sie wie Ihre Kollegen Tukur, Wöhler oder Liefers eines Tages mit eigener Band zu erleben sein? Dafür fehlt mir die Energie und die Zeit – Lust hätte ich schon. Ich finde es Quatsch, zu sagen: Jetzt muss der auch noch singen! Es ist ja unser Beruf als Schauspieler, etwas zu erzählen, und wenn man das mit Musik macht, finde ich es gut. Es gibt hervorragende Musiker, die besser im Studio aufgehoben sind. Und vielleicht können wir Schauspieler durch die Präsentation manches ausgleichen. Immerhin lerne ich seit anderthalb Jahren Klavier, mit einem Super-Lehrer, einem Freund von mir, der aber streng ist – da muss ich richtig üben. Sie stammen aus einem evangelischen Pfarrhaus – sind Sie mit Bach, Orgelmusik und Chorsingen aufgewachsen? Mit Bach und Orgelmusik. Bei uns lief viel Bach, meine Mutter war auch Organistin, und wir Kinder mussten den Blasebalg bedienen. Ich wollte das irgendwann nicht mehr hören, aber dann habe ich es wiederentdeckt: An Kirchen mit schönen Orgeln gehe ich selten vorbei, vielleicht übt ja gerade der Organist. Es gibt für mich keine größere Meditation als Orgelmusik – neben Fußball. Aber ich höre nicht zu Hause Orgelmusik. Die Orgel braucht ihren Ort. Was bedeutet Ihnen Musik? Erholung im weitesten Sinne. Ich höre leider zu selten gezielt, zu Hause nehme ich dann doch eher ein Buch in die Hand. Aber wenn ich morgens DeutschlandRadio Kultur oder sowas höre,

schwelge ich ganz schnell weg. Gestern habe ich noch getanzt, ich bewege mich gern zu Musik. Und im Sommer hab ich in Salzburg Il Trovatore mit der Netrebko gesehen – das hat mich begeistert. Sie unterstützen ja auch die Bochumer Symphoniker in ihrem Kampf um ein neues Konzerthaus. Braucht die Welt mehr klassische Konzerthäuser? Ich fühle mich Bochum besonders verbunden, da hab ich studiert und viel Theater gespielt. Außerdem finde ich Steven Sloane einen wahnsinnig guten Mann, und als es darum ging, dass Bochum neben dem Theater noch ein Konzerthaus braucht, fand ich es selbstverständlich, mich dafür einzusetzen. Ich hab mit Sloane mal ein Fußball-Oratorium gemacht, das war großartig. Überhaupt so ein Orchester hinter sich zu haben – das war spannend! Ich hab Riesenrespekt vor Menschen, die Instrumente beherrschen. Und die haben Respekt davor, dass einer 15 Zeilen auswendig sagen kann und das noch im richtigen Rhythmus. Da treffen sich zwei Welten. Und wenn man gerade aufeinander zugeht, dann funktioniert es. Meist. Haben Sie auch eine Meinung zur Hamburger Elbphilharmonie? Ich bin mal um Unterstützung gebeten worden und habe abgesagt. Leider fühle ich mich bestätigt, wenn ich sehe, wie viele Millionen da versenkt worden sind. Im Prinzip muss man sich immer freuen, wenn es für Kultur Geld gibt, aber es gibt so viele Künstler, denen es schlecht geht, und so viele Proberäume, die wegsaniert werden, das passt nicht zusammen. Wenn Sie sich entscheiden müssten zwischen gutem Konzert und Fußballspiel, wer würde gewinnen? Wenn man mich fragt: Guckst du dir das Derby am Samstag an oder gehst du zu Bob Marley, wenn der wiederaufersteht? Dann würde ich zum Derby gehen. Aber ich habe schon tolle Konzerte erlebt, die ich nicht missen möchte! Da ist man schon auch privilegiert – viele Leute haben nicht die Kohle, um sich auch nur eines von beidem zu leisten. Sie sind im Sauerland geboren, haben in Stuttgart, Dortmund und Bochum gelebt und wohnen seit Langem im Hamburg. Warum sind Sie überhaupt Schalke-Fan? Als ich in Hagen gewohnt habe, habe ich bei Fichte Hagen Handball gespielt, die hatten blaue Trikots. Als Sechsjähriger ist das wichtig. Ab da war ich Schalker. Das bleibt man dann auch. Wird Ihr Lied „Schalke, du bist ein Teil von mir“ noch im Stadion gespielt? Ach was, das ist eine schreckliche Aufnahme. Wir sind mit dem Mannschaftsbus ins Studio gefahren, Rangnick war Trainer, Neuer war noch Ersatztorwart, und dann stehst du da vorm Mikro und hinter dir die Mannschaft. Na, da sing mal gerade! Wenn ich das heute höre, kriege ich einen Föhn! Wir haben in Deutschland leider kaum gute Fußballlieder. Da sind die Südamerikaner viel weiter, die haben richtig was zu singen. Unsere Fans können eigentlich nur jubeln und laut sein. Zur WM 2006 hab ich schon gesagt: Holt euch doch Gottlieb Fischer und übt mit den Fans mal was ein, wozu haben wir den denn?! Nur die kreativen kleinen Vereine wie St. Pauli oder Union Berlin – die haben Lieder, mit denen man Spaß haben kann. Und auf Schalke haben wir natürlich das Steigerlied. Da kriege ich jedes Mal Gänsehaut: Glück auf, der Steiger kommt. Interview: Arnt Cobbers n

„Es gibt für mich keine größere Meditation als Orgelmusik – neben Fußball.“

„AMO. Kleide mich in Liebe“ Schönherz & Fleer (Sony) 15


Preisträgerin Cecilia Bartoli wird auch in diesem Jahr wieder geehrt.

ECHOSpezial Am 26. Oktober werden in München zum 21. Mal ­Künstler mit dem ECHO Klassik geehrt. Wir haben uns die Auszeichnung einmal genauer angesehen und auch Preisträger herausgesucht, die (noch) nicht ganz so im Rampenlicht stehen. Dazu ein Porträt über die Mezzo-Sopranistin Cecilia Bartoli, die in diesem Jahr ­ihren 13. ECHO Klassik bekommt, und ein Gespräch mit dem Dirigenten Nikolaus Harnoncourt (12 Auszeichnungen), der für sein Lebenswerk geehrt wird. v o n A n n a N o v á k , S i n a K l e i n e d l e r & Ra i n e r A s c h e m e i e r

16

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


1.

k ü n s t l e r

Echo Spezial

Die Neuen

Sie sind jung, sie sind gut, sie mischen die Klassikszene auf – sie sind: die Neuen! Ein Einblick in die Nachwuchskünstler und ECHO Klassik-Debütanten. Fabrice Millischer

Spot an für die Posaune! Er hätte auch Berufs-Cellist werden können, erzählte uns Fabrice Millischer im Interview. Aber er hat sich für die Posaune entschieden, weil sie der menschlichen Stimme ähnelt – und er noch für sie kämpfen kann! Wenn einer die Posaune als Solo-Instrument etablieren kann, dann er: Als erster Posaunist in der Geschichte bekam Millischer 2007 einen 1. Preis beim ARD-Musikwettbewerb zugesprochen, 2009 wurde er zum damals jüngsten Professor in Deutschland an die Hochschule für Musik Saar berufen, vor drei Jahren gab᾽s den französischen ECHO, nun krönt er sich mit dem deutschen Pendant. Dass er als französischer Künstler in Deutschland eine solche Auszeichnung bekommt – für ein Album mit französischen, teils extra für ihn geschriebenen Posaunen-Konzerten – freut ihn sehr. Igor Levit

Begeisterung in zwei Zeichen Die wohl kürzeste Begeisterungs-Bekundung eines ECHO Klassik-Preisträgers kommt in diesem Jahr von Pianist Igor Levit: Der postete bei Twitter: Oh!:-) #echo #beethoven #sony #news #happy. Anders als die anderen Preisträger in dieser Kategorie ist Igor Levit in der Klassik-Szene schon ein alter Bekannter: gern gesehener Gast bei Fes­ tivals und omnipräsent in den Konzertprogrammen. Trotzdem bekommt der Pianist in diesem Jahr erstmals eine ECHO Klassik-Auszeichnung für die Solistische Einspielung des Jahres. Die Belohnung für sein gelungenes Debütalbum The Late Beethoven Sonatas.

Felix Klieser

Fotos: Felix Broede; Hasko Witte; Friedrun Reinhold; BVMI; PR

Es geht um: die Musik Er ist 23 Jahre alt und ein fantastischer Hornist. Der Ton glühend, warm und rund. Sein Debüt-Album Reveries begeistert mit einer Sammlung romantischer Kompositionen. Felix Klieser hat keine Arme. Sein Instrument spielt er mit den Füßen, und er stopft sein Horn mit einem eigens gebauten Apparat an einem Stativ. Es gebe schon Leute, die kommen ins Konzert, weil sie mal gucken wollten „wie einer ohne Arme spielt“, erzählt Klieser. „Hinterher sagen die Leute dann oft: ‚Am Anfang mussten wir schon ein paar Minuten gucken: Oh, wie spielt der denn da? Das war total spektakulär.‘ Aber dann, nach einiger Zeit haben wir’s vergessen und nur der Musik zugehört.” Und genau so ist es mit seiner Musik: CD an, Augen zu, träumen! Da geht᾽s nur um die Musik. Tolle Platte.

Tianwa Yang

Komplimente hoch zwei Die junge Geigerin Tianwa Yang freut sich über ihren Preis als „Nachwuchskünstlerin des Jahres“ auch deshalb so sehr, weil sie für eine Mendelssohn-Aufnahme geehrt wird. Das Mendelssohn e-Moll Violinkonzert hatte sie mit neun Jahren das erste Mal mit einem Profi-Orchester gespielt. Sie sagt: „In all diesen Jahren habe ich mir – trotz vieler großer Vorbilder und Aufführungstraditionen – immer wieder Gedanken zur Interpretation gemacht und im Text des Genies Mendelssohn stets neue Sachen für mich entdeckt und meine eigene Darstellung gefunden. Es freut mich daher außerordentlich, dass meine Interpretation jetzt ein solches Echo bekommt!“ Fast noch ein größeres Kompliment als die ECHO-Auszeichnung bekam sie von Eleonore Büning im Sommer in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „Heute gibt es kein Vertun mehr: Tianwa Yang ist die stärkste junge Geigerin, weit und breit.“

17


2.

k ü n s t l e r

Die Geheimtipps

Sie sind fantastische Musiker, aber in der Fernseh-Gala des ZDF kommen sie nicht vor. Da setzt man auf die großen Namen. Wir haben abseits der Prominenz mal genauer hingehört. Hier sind unsere ECHO Klassik-Geheimtipps 2014!

fabergé-quintett

Auf der Jagd nach ­Schmuckstücken Als wir das Ensemble gebeten haben, uns doch einen kleinen Fotogruß für unsere Leser zu schicken, haben sie sich kurzerhand den ECHO ihrer Kollegen vom NDR Sinfonieorchester ausgeliehen. Ihre eigene Trophäe bekommen die Fünf für eine Einspielung mit Werken Adolphe Blancs. Als sich die Musiker vom anfänglichen „Hamburger Streichquintett“ in das nach dem gleichnamigen Juwelier benannte fabergé-quintett umtauften, hatten sie es sich zum Ziel gesetzt „musikalische Schmuckstücke“ wieder aus der Vergangenheit hervorzuholen. Wie aber findet man noch unbekannte Musik für diese Besetzung? Der Kontrabassist des Ensembles, Peter Schmidt, hat eine wunderbare Quelle: Als er gerade erst mit dem Kontrabassspielen begonnen hatte, schenkte seine Mutter ihm ein Buch, einen „richtig dicken Schinken“, geschrieben vom Wiener Kontrabassisten Alfred Planyavsky. Der Anhang des Wälzers ist besonders spannend: dort stehen in einem geordneten Verzeichnis alle Werke, in denen ein Kontrabass besetzt ist, „vom einzelnen Kontrabass bis zum Nonett“. Spricht ihn etwas an, beginnt sofort die Recherche: Dann gilt es in Bibliotheken nach Noten zu forsten und die Musik auszuprobieren. So war᾽s auch bei den Werken von Adolphe Blanc. Die Klangsprache des französischen Komponisten traf beim gesamten Ensemble schnell auf Begeisterung: „Das ist reine Spielfreude! Es macht einfach Spaß diese Werke zu zelebrieren!“ Umso größer ist jetzt die Freude über die Auszeichnung mit dem ECHO Klassik: „Den ECHO zu bekommen ist schon ein Ritterschlag auf beide Schultern. Das ist jetzt natürlich das i-Tüpfelchen auf dem schlagobersten Sahnehäubchen.“

Miriam Feuersinger

Himmlische Klänge Für uns die größte Entdeckung in der diesjährigen Preisträger-Liste: Miriam Feuersingers Album mit Kantaten des Barock-Komponisten Christoph Graupner. Die Sopranistin hat eine dermaßen klare und berückende Stimme und eine feinsinnige Art zu musizieren, dass einem das Herz ganz voll davon wird. Noch dazu sind die Stücke, die sie auf „Himmlische Stunden, selige Zeiten“ aufgenommen hat, schon lange entdeckungs-überfällig. Ob man mit dem Namen „Feuersinger“ für eine Gesangs-Karriere prädestiniert ist? Die Sopranistin erklärt: „Der Name kommt ja eigentlich vom Begriff ‚Feuer sengen‘, also Feuer entzünden. Aber auch das finde ich einen schönen Gedanken: Wenn ich bei den Leuten die Begeisterung für diese Musik entfachen kann, dann habe ich es geschafft!“

Ensemble Blumina

Tierisches Vergnügen

18

Fotos Katharina Kuehne; YHasumi ChrFlemm; PR

Extra für crescendo hat das Ensemble Blumina sein Logo im ECHO-Gewand aufgemalt. Die Erklärung dazu: „Die Idee kam uns beim Bummel durch den Tierpark Dublin. Das Sternzeichen des Fagottisten Matthias Baier ist Löwe (und er hat rote Haare), wer das Zebra ist, sehen Sie leicht am Klaviertasten-Muster (Elisaveta Blumina), und ein Oboist (Kalev Kuljus) ist immer irgendwie ein (Paradies-)Vogel ...“ Den ECHO gibt᾽s für ein Album mit Trios von Previn, Françaix und Poulenc. Glückwunsch!

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


3.

Echo Spezial

Das Besondere

Klassik ohne Grenzen, Nachwuchsförderung und Herzensprojekte: Die Damen und Herren in dieser Kategorie fallen nicht nur durch hohe Musikalität, sondern besonders durch kluge Ideen und mutige Konzepte auf. Bassiona Amorosa

Sechs Musiker mit ’nem Kontrabass „Klassik ohne Grenzen“ für Boundless (Grenzenlos)! So heißt das Album des bunten Kontrabassensembles und stellt eine mutige Symbiose aus ursprünglichen Folk-Klängen, slawischer Tragik und klassisch trainierter Virtuosität dar. Seit 1996 bestritt das Ensemble insgesamt mehr als 450 Konzerte und auch im großen Saal der Carnegie Hall in New York sorgten sie bereits für ein entzücktes und staunendes Publikum. Bassiona Amorosa erforschen die Grenzen des Kontrabasses, definieren diese neu und „spielen dabei alle die erste Geige“. Bei ihrer Namensgebung haben sie sich durch das virtuoses Stück „Passione Amorosa“ des Komponisten Giovanni Bottesini inspirieren lassen, und bereits zwei Jahre nach ihrer Ensemblegründung drehte das Bayerische Fernsehen den ersten Kurzfilm über diese Ausnahmeerscheinung unter all den Streichquartetten. Zu ihren Fans zählen auch Anne-Sophie Mutter und Plácido Domingo, der nach einem Konzert einen begeisterten Gruß im Gästebuch der Kontrabass-Kombo hinterlassen hat.

Rhapsody in School

Fotos: Tibor Pluto; Sebastien Salamand

„Wie im Märchenland“ Der diesjährige Preis für Nachwuchsförderung geht an das ehrenamtliche Musikvermittlungsprojekt Rhapsody in School. Durch die intensive und direkte Begegnung mit hochkarätigen Solisten wie zum Beispiel Daniel Hope, Tabea Zimmermann oder Daniel Müller-Schott soll die Leidenschaft und Liebe zur klassischen Musik gefördert werden. Das Konzept von Pianist Lars Vogt versucht, die hautnahe Begegnung mit großen Musikern als Inspirationsquelle jugendlicher Lebensgestaltung zu nutzen. Bisher waren in das erfolgreiche Projekt über 240 Künstler, mehr als 470 Schulen und rund 30.000 Schüler involviert, und die Zahl der Anfragen steigt stetig. Rhapsody in School macht für die junge Generation die klassische Kultur auf emotionale Weise fassbar und zündet den entscheidenden Funken, den es für leidenschaftliches Musizieren so dringend braucht. Das Feedback der Schüler zeigt wie wertvoll und fruchtbar die Arbeit von Rhapsody in School ist. Ein Auszug aus einem Brief des kleinen Hakan: ... Aber als Sie gespielt haben, war es so, als ob ich in einer anderen Welt wäre, wie im Märchenland. Man war so leicht und ich habe gedacht, dass ich mit den Wolken schwebte. Aber jetzt habe ich Interesse daran, ein Instrument zu spielen. ... „Gib niemals deine Träume auf, es wird uns nichts geschenkt.“ Dieser Satz von Ihnen ist für mich wichtig geworden …

Alliage Quintett

Voilà, Paris! Das Alliage Quintett ist eine seltene Legierung (franz. alliage) von vier Saxophonen (Eva Barthas, Koryun Asatyran und Sebastian Pottmeier) und Klavier (Jang Eun Bae). Die mit einem „Klassik ohne Grenzen“-Preis ausgezeichnete CD Dancing Paris ist eine Hommage an das Paris der „Belle Epoque“. Der Hörer wird auf charmanteste Weise in das alte und glänzende Paris zwischen den beiden Weltausstellungen entführt. Die Geheimrezeptur dieser außergewöhnlichen Mischung beinhaltet neben klassischer Virtuosität, gefühlvollen Klängen aus Folk und Jazz auch eine bezaubernde Prise Swing. Gekonnt reißt dieses Quartett mit dem betörenden Klang seiner Saxophone die Grenzen zwischen U- und E-Musik nieder.

19


4.

k ü n s t l e r

Die Doppelsieger

Zwei auf einen Streich! Diese ECHO Klassik-Preiträger können sich in diesem Jahr über ein Double freuen – oder haben eine andere spannende Gemeinsamkeit ...

SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

Orchester-Doppel Dass der Südwestdeutsche Rundfunk in diesem Jahr gleich zwei ECHO Klassik-Preise für seine Orchester bekommt, wirkt vor den Zusammenlegungsplänen der Rundfunkanstalt besonders brisant, denn es betont einmal mehr die besondere künstlerische Arbeit, die die Orchester leisten. Einen ECHO Klassik

gibt᾽s für das SWR Sinfonieorchester und dessen Uraufführung von Hans Zenders „Logos-Fragmente (Canto IX)“, für das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR wird für das Projekt „Der Feuervogel“ mit dem „Klassik für Kinder“-Preis ausgezeichnet.

Die Zimmermanns

Hindemith-Doppel Bratscherin Tabea und Geiger Frank-Peter Zimmermann sind zwar trotz des gleichen Nachnamens weder verwandt noch verschwägert, haben aber dennoch eine schöne Gemeinsamkeit in diesem Jahr: Beide bekommen nicht nur einen ECHO Klassik in der gleichen Kategorie, nämlich jeweils als Instrumentalist bzw. Instrumentalistin des Jahres (jeweils in ihrem Fach), sondern beide werden auch für eine Einspielung von Werken von Paul Hindemith geehrt.

Akademie für alte Musik Berlin

Der Forschungswille wird belohnt! Bachs Matthäus-Passion wurde schon hunderte Male eingespielt, aber niemals so! Der Toningeneur der Produktion, Martin Sauer, früherer Teldec-Techniker, erklärt, was anders ist: „Die Matthäus-Passion ist ein doppelchöriges Werk. Chor und Orchester sind geteilt in zwei Gruppen. Der erste und zweite Chor, wie Bach das bezeichnet hat, sind bei Konzerten in aller Regel etwa gleich groß besetzt und zwar links und rechts vom Dirigenten positioniert. Für Stereo-Aufnahmen hat das die frustrierende Folge, dass man eine Arie aus Chor eins minutenlang nur aus einem Lautsprecher hört. Wirklich schön klingt es also nur, wenn beide Gruppen gleichzeitig musizieren, und das kommt in Bachs Werk nur bei einer begrenzten Anzahl von Stücken vor. Mit René Jacobs wollten wir von dieser starren Links-Rechts-Fixierung wegkommen. Dafür lag uns eine wissenschaftliche Untersuchung vor, die besagte, dass die einstige Uraufführung der Passion in der Leipziger Thomaskirche mit einer Aufstellung stattgefunden hat, in der es keine Links-Rechts-, sondern ei-

20

ne Vorn-Hinten-Aufstellung gab. Vorne, auf der großen Orgelbühne, stand ein relativ großes Ensemble, hinten auf einer kleinen Orgelbühne spielte ein kleineres Ensemble. Im teldex-Studio haben wir nun ebendiese Aufstellung zum allerersten Mal überhaupt nachvollzogen. Und so bekommen die Akademie für Alte Musik Berlin und der RIAS Kammerchor unter René Jacobs nicht nur den Preis für die Chorwerkeinspielung des Jahres, Martin Sauer und sein Team werden außerdem für die Audiophile Mehrkanaleinspielung des Jahres geehrt. www.crescendo.de

Ok tober – November 2014

Fotos: Marco Borggreve (2); Kristof Fischer; Franz Hamm

Klang-Doppel


5.

Echo Spezial

Die Rekordgewinnerin

Einige Künstler tauchen Jahr für Jahr in den Gewinnerlisten des ECHO Klassik auf. Diesmal gibt es sogar besonders viele dieser Wiederholungstäter. Allen voran eine Mezzo-Sopranistin. Autor Rainer Aschemeier über das Phänomen der „Bartoli“.

Foto: Decca Classics

Cecilia Bartoli Frauenstimmen tiefer als Sopran galten über Jahrzehnte mehr oder weniger als unvereinbar mit dem typischen Bild vom Weltstar der Massen. Die Callas, die Moffo, die Tebaldi, die Moser: alles lupenreine Soprane, mal lyrisch, mal dramatisch aufgeladen. Mezzosopranistinnen hingegen galten als typische Kandidatinnen für Nebenrollen, gern auch für Engagements bei Beethovens Neunter, Mozarts Requiem und Co. Kurz gefasst: Mezzosoprane sangen auch mit – aber ihre Namen behielt das Publikum nur selten. Dann kam „La Bartoli“, und sie veränderte – nun, vielleicht nicht alles, aber doch vieles. Vielleicht ist es an der Zeit, sich auf die Suche zu begeben. Eine Suche nach dem Erfolgsgeheimnis dieser Frau. Nur: Wo fängt man da an? Zunächst einmal ist da natürlich eine ungewöhnliche, weltweit einmalige Stimme. Zweieinhalb Oktaven Stimmumfang! Das muss man erst mal nachmachen. Dabei besonders: Ihre Stimme hat neben den hohen Spitzentönen vor allem Potenzial nach „unten“, lotet also ungewöhnlich weit auch die tieferen Bereiche der weiblichen Stimme aus. Das erlaubte der Bartoli etwas ganz Unerhörtes: Sie sang als eine der ersten Frauen

Musik, die einst für Männer geschrieben wurde. Die Arien der Kastratensoprane der venezianischen Barockoper brachten Cecilia Bartoli ungeahnte Welterfolge. Das holte sie in Deutschland endgültig aus der von den Programmmachern mehr gefürchteten als geschätzten Publikumsnische Klassikfernsehen und schubste sie auf die große TV-Bühne. 2006 ließ sie uns durch ebenso spontane wie begeisternde Gesangseinlagen bei der ZDF-Show „Wetten, dass ...?“ auf nahezu huldvolle Art und Weise vergessen, dass neben ihr Gestalten wie Boris Becker saßen, während sich 20 Blasmusiker in eine Schubkarre pressten, um den Status des Wettkönigs zu erlangen. Die große Opernbühne hatte die Bartoli da natürlich schon lange erobert. Aber das breite deutsche Publikum ist träge. Es war erst nach der „Wetten, dass ...?“-Einlage so richtig schwer massenhaft begeistert. Da haben wir es wieder: das Mysterium Bartoli. Singt seit 1985 professionell, ist lange Zeit ein Phänomen für Kenner und wickelt dann im Handumdrehen ein Massenpublikum um den Finger. Wie macht man das? Jedenfalls nicht mit der üblichen Masche ... 21


k ü n s t l e r Echo Spezial

Die Rekordpreisträger unter den ­diesjährigen ECHO Klassik-Preisträgern Vordergründig würde ja auch jedes Marketingbüro Cecilia Bartoli (13) zunächst abwinken: zu klein für einen Bühnenstar, und wie Nikolaus Harnoncourt (12) gesagt: Mezzo. Die große Nase, die etwas untersetzte Statur, Anne-Sophie Mutter (10) und (wichtiges Ausscheidekriterium!) nicht blond ... Nein, Anna Netrebko (9) das geht eigentlich nicht. Aber zum Glück ticken Concerto Köln (9) die Uhren im Klassikgeschäft manchmal doch noch anders: David Garrett (8) Die herrliche Stimme, das fröhliche Wesen, das grandiose Martha Argerich (6) mimische Talent und ja, eine gewisse Divenhaftigkeit. Nicht Ian Bostridge (6) abzustreiten. Das gefällt! Auf die Frage, wie die ideale BühEmmanuel Pahud (6) nengarderobe aussehe, antwortete „La Bartoli“ einmal: „Nicht Jonas Kaufmann (4) größer als die Bühne.“ Das Thema Mode ist ihr wichtig. Zwar sagt sie es nicht frei heraus, aber eigentlich sammelt sie Kleider. Nur die wenigsten Bühnenroben sind mehr als dreimal in Gebrauch. Das hat sie zugegeben. Als Modedesignerin Vivienne Westwood der Bartoli einst etwas schneidern wollte, sagte die Sängerin nur unter der Bedingung zu, dass Westwood mehrere Konzerte ihrer Auftraggeberin besuchen müsse. Nicht eines! Mehrere! Wichtig! Das Kleid müsse etwas mit der Musik, mit ihrer Kunst zu tun haben. Darauf bestand die Primadonna. Das Besondere an dem Galadress war dann letzten Endes, dass es Taschen hatte. Ungewöhnlich für ein Bühnenkleid. Zugegeben. Für unsere Charakterstudie, unsere Suche nach dem Geheimnis des Bartoli-Erfolgs aber wenig hilfreich. Doch es ist nur ein Aspekt von vielen. Typisch für „La Bartoli“ sind ein rundum ausgeprägter Sinn fürs Theatrale und (damit einhergehend) eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit: Auf dem Cover ihres Albums „Sacrificium“ ließ sie sich als Marmorstatue ablichten. Für ihr Album „Mission“ reüssierte sie gar als glatzköpfiger Mönch. Nicht sexy, aber ein Hingucker. Ihr neuestes Album „St. Petersburg“ hingegen zeigt sie in einer Hollywoodpose, wie sie selbst Audrey Hepburn nicht anmutiger hinbekommen hätte und die Männerherzen schmelzen lässt.

Es ist ihr Trick, ihre Musik, die manchmal aus selbst Fachleuten unbekannten Barockarien besteht, sprunghaft in die Gegenwart zu kicken, ins Heute, in die Medien. Eine Operndiva mit Glatzkopf? Darüber schreibt einfach jeder – nicht nur die einschlägige Klassikpresse. Eigentlich aber ist es erstaunlich, dass einem so viele Äußerlichkeiten einfallen, wenn man über die Bartoli nachdenkt. Denn ihre eigentliche Kraft kommt von innen. Ihre Ausstrahlung, die stets irgendwo zwischen Hofdame und römischer Marktfrau hinund herpendelt, die Mimik, das überträgt sich auch auf ihren Gesang, der das Geschäft mit Opernrecitals zeitweise vom Kopf auf die Füße gestellt hat. Dabei hatte sie es nicht immer leicht. Ihr Bruder Gabriele, der das Barockorchester „Le Musiche Nove“ gegründet und oft mit seiner Schwester zusammen musiziert hatte, starb 1998 an Krebs. Ein herber Einschnitt im Leben der Sängerin. Seitdem sammelt sie Spendengelder für den Kampf gegen Krebs. Auch war Bartolis eigentlicher Karrierestart eher holprig. Von wegen Shootingstar! Cecilia Bartoli ist ausgebildete Reiseführerin und Flamenco-Tänzerin. Das lässt ahnen: Eine Opernkarriere war nicht wirklich eingeplant. Es hat sich eher ergeben. Tatsächlich nahm Cecilia Bartoli 1985 als 19-Jährige an einer Talentshow im italienischen Fernsehen teil – und belegte nur den zweiten Platz. Im selben Jahr folgte ihr Operndebüt und ein Vorsingen für DECCAProduzent Christopher Raeburn, der sie vom Fleck weg engagierte. In den Anfangsjahren las man auf ihren CD-Veröffentlichungen so gut wie nur einen Namen: Rossini! Erst 1993 folgte das erste Barockalbum der Bartoli mit Musik von Pergolesi. Doch noch bis in die späten 1990er-Jahre schien sie vor allem auf die „Klassiker“ fixiert zu sein: Mozart und Rossini – immer wieder. Durch ihre Beziehung mit dem Musikwissenschaftler Claudio

Einen umfassenden ECHO-Überblick mit Interviews und Porträts der diesjährigen Preisträger finden Sie auf www.crescendo.de

ECHO Klassik 2014 Feierliche Preisverleihung am 26. Oktober im Münchner Gasteig, Fernsehübertragung ab 22 Uhr, ZDF Auftretende Künstler: Anna Netrebko, Piotr Bezcala, Jonas Kaufmann, Anne-Sophie Mutter, Diana Damrau, David Garrett, Igor Levit, Felix Klieser. Es spielen die Münchner Philharmoniker unter der Leitung von Yannick Nézet-Séguin. Moderation – Nina Eichinger und Rolando Villazón crescendo Termin-Tipp: „Vorecho“ am 25. Oktober, 19 Uhr, Hochschule für Musik und Theater München Auftretende Künstler: Berolina Ensemble, Stephan Schardt, dog.ma chamber orchestra, Leipziger Streichquartett, Ensemble Blumina, Jin Ju, Tianwa Yang, Fabrice Millischer, Bassiona Amorosa, Fabergé-Quintett 22

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


Cecilia Bartoli auf „St. Petersburg“-Tournee 22.10.2014 Berlin, Konzerthaus 28.10.2014 Köln, Philharmonie 10.11.2014 Mannheim, Rosengarten 15.11.2014 Baden-Baden, Festspielhaus 17.11.2014 Essen, Philharmonie 19.11.2014 Hamburg, Laeiszhalle 22.11.2014 Regensburg, Aula der Universität 26.11.2014 München, Herkulessaal 28.11.2014 Wien, Konzerthaus

Osele wuchs wahrscheinlich Bartolis Interesse an bislang unveröffentlichter Barockmusik, die häufig nur im Originalmanuskript vorlag. Bartoli begann zunehmend, das Image einer im positiven Sinne eigenwilligen Künstlerin zu entwickeln, und tat sich dafür auch mit anderen „Querköpfen“ zusammen: Nikolaus Harnoncourt, Patricia Petibon, Giovanni Antonini von „Il Giardino Armonico“. Während andere Stimmen im Laufe der Jahre litten, reifte die der Bartoli: Ihre Koloraturen wurden immer prächtiger und komplexer. Wenn Kritiker ihr vorwarfen, ihre stupende, geradezu stimmakrobatische Geläufigkeit gehe auf Kosten der Tragfähigkeit negierte sie das nicht. Stattdessen konterte sie keck: „Man kann nicht gleichzeitig das Fass voll haben und die Ehefrau betrunken.“ Auch im Alter von inzwischen 48 Jahren gehört Cecilia Bartoli noch immer zu den ganz Großen auf der Opernbühne. Und dabei ist – wohlgemerkt – nicht von den „Großen“ die Rede, die von früheren Ruhmestaten zehren, während sich das Publikum einig ist, dass die besten Zeiten wohl vorbei sind. Die Rede ist hier von den Beständigen, Aktiven, den allgemein Anerkannten und wirklich Wichtigen. Von denen also, denen man abnimmt, dass sie das Musikmachen noch ernst nehmen. Denkt man an das Mädchen, das Mitte der 1980er-Jahre damit gerechnet hatte, Reiseführerin oder Flamenco-Tänzerin zu werden, das in Talentshows auftrat, dem die Opernkarriere schien wie ein ferner Traum, dann kommt am Ende unserer Suche ein Gedanke auf: Vielleicht liegt ja dort, ganz am Anfang, der eigentliche Kern von Bartolis heutiger Unbesiegbarkeit. Sie sagte einmal: „Heute geht es vielen Sängern vielleicht zu gut, es geht ihnen im Leben wie auf der Bühne nicht mehr um Leben und Tod.“ Jemand, dessen Weg nach ganz oben ein steiniger war, der hat womöglich nicht nur das seelische Potenzial erworben, um die Wirrnisse, die Nöte, die Widrigkeiten des Daseins auch überzeugend auf die Opernbühne zu tragen. Der hat womöglich auch eine Kultur des Rückblicks für sich etabliert. Was wäre ... Was wäre gewesen, wenn ich damals schlecht gesungen hätte? Was wäre gewesen, wenn das letzte Album gefloppt wäre? Es gab eine Zeit in Bartolis Leben, da waren solche Fragen karriere­ entscheidend: Mozart in der MET oder singende Reiseführerin in Rom. Singen um Leben und Tod. Jemand, der diesen Druck im Nacken hatte, musste vielleicht Querdenker werden, konnte gar nicht anders. Wer nach dem Geheimnis des Erfolgs bei Cecilia Bartoli sucht, erkennt, dass er der Lebenserfahrung dieser Frau mindestens ebenso sehr innewohnt, wie ihrem Fleiß oder ihren stimmlichen Anlagen. Nur eines kann ich gar nicht mehr hören: Die Bartoli als „Powerfrau“. Das ist viel zu kurz gegriffen! Diese Dame ist mehr. Sie ist sie selbst, komme was da wolle. Assoluta!

Das Beste der Klassik Stars für die Gala zuhause

„St. Petersburg“ Cecilia Bartoli, I Barocchisti, Diego Fasolis (Decca)

warnerclassics.de · bestofklassik.de 23


6.

Das Lebenswerk

Kurz vor seinem 85. Geburtstag bekommt Nikolaus Harnoncourt ein verfrühtes Geburtstagsgeschenk: den ECHO Klassik für sein Lebenswerk. Sich selbst schenkt er auch schon etwas – und das doch überraschend: ein Album mit Lang Lang!

Foto: Marco Borggreve

Nikolaus Harnoncourt Überraschung! Nikolaus Harnoncourt hat ein Mozart-Album mit Lang Lang aufgenommen. Eine ungewöhnliche Kombination? Nicht doch: Harnoncourt fühlt sich erinnert an seinen alten Freund Friedrich Gulda. Herr Harnoncourt, ich habe einmal ein Fernsehinterview mit Ihnen gesehen. Sie sagten damals, es sei ganz unvorstellbar, klassische Musik „nebenbei“ zu hören, also zum Beispiel beim Autofahren. Das ist nachvollziehbar. Aber schrecken Sie damit nicht viele „normale Menschen“ ab? Brauchen wir für die Musik nicht auch diejenigen, die die Krönungsmesse gern beim Bügeln hören? Also, wenn die Krönungsmesse von mir geleitet ist, dann hoffe ich, dass bei denen, die sie hören das Bügeleisen durch die Wäsche brennt! Ich kann nicht in einen Lift hineingehen, wenn da Musik ist. Oder wenn ich beim Mittagessen bin, und in dem Restaurant wird Musik gespielt, dann kann ich nur entweder essen oder Musik hören. Beides erfordert meine ganze Aufmerksamkeit. Doch komisch ist: Wenn da nun ein Pianist sitzt und spielt, dann kann ich ohne Weiteres essen. Denn wenn er das gut macht, dann kreiert er eine Kulisse zum Essen. Das geht. Und übrigens: Wenn die Leute im Auto Mozart wirklich hören würden, dann müsste man ja Angst haben, über die Straße zu gehen. Ich könnte das nicht. Ich hätte an jeder Ecke Angst, einen Unfall zu haben. 24

Warum benötigen Menschen heute diese ständige Musikkulisse? In den letzten 50 Jahren veränderte sich graduell die Lebensweise in der westlichen Welt. Alles hat sich in Richtung Zweckmäßigkeit entwickelt: Schnelles Ergebnis, schnelles Geld. Ich habe vier Kinder und habe den Eindruck, dass auch das, was in den Schulen unterrichtet wird, alles darauf ausgelegt ist, so schnell wie möglich brauchbar zu sein. Ich persönlich finde: Das ist das Ende der Kultur! Unsere Ausbildung früher war viel musischer und breiter angelegt. Wir haben zum Beginn eines jeden Schultags ein Lied gesungen. Es wurde über alles intensiv gesprochen. Am Ende dieser Schulausbildung hatte ich wirklich etwas erfahren von der Welt. Ich konnte etwas mit dem Leben anfangen. Wie genau meinen Sie das? Natürlich musste man sich nach der Schulzeit irgendwie ernähren. Dazu hat bei mir der Hausverstand gereicht. Heute sinken wir ab zu erzogenen Schimpansen, die ihre Sprache nur noch benutzen, um zu sagen: „Hol mir eine Semmel!“ oder „Bring mir’s Rad!“ – also nur noch für das Praktische. Die, die sich mit Mühe und Aufwand noch um ihr Menschsein kümmern, werden immer weniger. Es gibt also keine universale Bildung mehr ... Ja, das wird überhaupt nicht mehr propagiert, obwohl doch die Allgemeinbildung zu einer jeden Tätigkeit befähigt. Es ist ein großer Irrtum, dass man immer mit dem Spezialwissen anfangen muss. Ich kann ein bisschen Schmieden, ein wenig Schlosserei, in der Tischlerei bin ich sehr gut, und ich kenne mich gut aus in der Musik. Zu vielen dieser Handwerke bin ich ja gar nicht ausgebildet worden. Aber ich würde mich genieren, wenn ich nicht einige kaputte Sachen reparieren könnte. Lassen Sie uns zurück zur Musik kommen. Als Sie begannen, waren Sie nicht der einzige, der „frischen Wind“ in die Musik www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


Echo Spezial

pusten wollte. Aber nicht jeder hat es gespielt. Aber ich habe schon damals mit den gleichen Mitteln wie Sie gemerkt, dass seine Muskeln auf einen Harnoncourt-Termine probiert. Da gab es ja in den 1950ern etwa anderen Tastenwiderstand eingestellt sind. 19.10.14: Berlin, Konzerthaus auch Figuren wie Neville Marriner ... Da hat ihn der Klavierbauer eingeladen, auf 9.11.14: Wien, Musikverein Ja, der Marriner. Oder aber auch Karl einem Klavier der Chopin-Zeit zu spielen. 7.–16.11.14: Berlin, Konzerthaus Münchinger. Ich habe beide im Konzert Und da hat Lang Lang gemerkt: Das geht! Hommage an Nikolaus Harnoncourt gesehen. Den Zugang vom Marriner, den Und da waren viele Pedale, mit denen man fand ich schon sehr interessant – wenn er manches machen konnte. In dem Maß, wie auch grundsätzlich verschieden von meinem Zugang war. Ich hab er sich dann da richtig hineingeworfen hat in das Klavier, hat das ihn vom Stil her immer mit Paul Hindemith verglichen. HindeInstrument so kleine Schmerzensschreie von sich gegeben. Lang mith hat ja auch oft Barockmusik dirigiert, doch den Marriner Lang hat dann das Klavier nicht richtig kaputt gemacht, nur die fand ich noch viel interessanter. Meinem Eindruck nach ging es Aufhängungen der Pedale waren alle durchgetreten. Aber das war ihm darum, die Musik bis etwa Mozart und Haydn sehr lebendig ja schon vor Jahren. Ich bin ganz sicher, dass er heute auf so einem und virtuos zu bringen. Er war der führende Dirigent, wenn es Klavier spielen würde wie ein Gott. darum ging, diesen schleimigen Klang der Wagner- und BruckKann man sich Ihren Kontakt mit Lang Lang als einen nerzeit, den man damals allgemein bis in die Musik der Klassik regelmäßigen Austausch vorstellen? zurückzog, abzuschütteln. Mir aber ist es um etwas ganz anderes Nein, das war immer auf Projektbasis. Zum Beispiel haben mich gegangen. Ich habe mich immer gefragt: Was sind die Inhalte der einmal die Wiener Philharmoniker gefragt, ob ich in der Besetzung Musik? Es ist mir damals gar nicht in erster Linie darum gegangen, mit ihnen und Lang Lang die Eröffnung der Carnegie Hall dirigieauf alten Instrumenten zu spielen. Ich bin bald auf die Frage der ren möchte. Ich sagte ja, aber nur, wenn ich das mit Lang Lang vorRhetorik gekommen und auch auf das, was Komponisten über ihre her durchsprechen könnte und wenn es vorher ein paar Konzerte in eigenen Werke geschrieben haben. Daraus bezog ich Antworten Europa gäbe. Ich glaube, Lang Lang rechnete so mit fünf Minuten und Lösungsmöglichkeiten. Absprache im Vorfeld. Wir bekamen einen kleinen Saal im MusikDamals wurde selbst barocke Orchestermusik mit dem Konzertverein gestellt, und es wurden drei Stunden. Es war ganz toll, wie flügel begleitet, nicht mit dem Cembalo. Heute lassen Vertreter Lang Lang auf meine Ideen reagiert hat, welche Fragen er gestellt der sogenannten historischen Aufführungspraxis selbst Tschaihat usw. Er hat mich unglaublich stark an meinen alten Freund kowsky ohne Vibrato spielen. Ist das nicht genauso merkwürdig? Friedrich Gulda erinnert. Wenn ich mit Gulda damals etwas erarZunächst: Sie können nicht etwas verurteilen, was seine Begrünbeitet habe, hat er oft gemeint: „Mein Lehrer hot immer g’sogt, des dung aus der Zeit heraus hat. Wenn Furtwängler Bach auf dem derf ma’ net!“ In seiner Art, wie er reagiert hat, war Lang Lang ganz Klavier begleitet hat, dann hatte das seinen Grund. Nämlich darin, genauso. Er hat intellektuell sofort verstanden, was ich meinte, und dass er diese Musik für das Publikum seiner Zeit aufgeführt hat. konnte das mit seinem großen Können auch sofort umsetzen. Das Und natürlich ist die Situation heute auf ihre Art und Weise ebenwar eine Initialzündung. Lang Lang hat dann bei der Sony gesagt, er falls absurd. Wir verwechseln heute eine Seminararbeit mit dem möchte gern zwei Mozart-Konzerte aufnehmen, aber nur mit mir. Titel „Wie war es damals?“ mit der Frage „Was will uns die Musik Und da waren Sie gleich einverstanden? sagen?“ Wie schön wäre es, wenn man Tschaikowsky oder Bach Ich habe gesagt, dass ich eigentlich beschlossen hatte, so etwas nur selbst hätte dirigieren hören können. Doch das geht ja nicht. Und noch mit alten Klavieren zu machen. Aber wenn es Lang Lang spielt, so bleiben musikwissenschaftliche Fragestellungen übrig, die dann springe ich noch einmal sozusagen einen Schritt zurück zu einfach nicht eindeutig beantwortbar sind. Gulda. Jetzt stellen Sie sich vor: Da kam der Lang Lang ein Jahr vor Dabei scheint das Thema „Vibrato“ ein ganz besonderes der Aufnahme hier zu mir nach St. Georgen, und wir haben in der Reizthema zu sein. örtlichen Musikschule einen ganzen Tag an den Klavierkonzerten Ich habe Vitae früherer Dirigenten studiert, weiß ganz genau, gearbeitet. Es war eine reine Freude, eine wirklich kreative Zusamwann Leute wie Richard Strauss von Darmsaiten auf Stahlsaimenarbeit. Nur – so etwas macht man normalerweise zwei Tage vor ten haben umsatteln lassen und so weiter. Daraus wissen wir: Die der ersten Orchesterprobe, nicht ein Jahr vorher. Und dann kam alten Dirigenten, die haben mindestens hundert Arten von Vibrato Lang Lang nach dieser langen Zeit zu der ersten Sitzung mit dem gehabt. Ich habe auch mit Roger Norrington oft diskutiert. Er ist ja Orchester. Und alles war, als hätten wir es gestern einstudiert. Es war der Meinung, dass man noch bis in die 1930er-Jahre fast ganz ohne eine tolle Atmosphäre, die auch das Orchester beflügelt hat. In den Vibrato gespielt habe. Der Kern der Sache ist aber: Das Vibrato Abhörpausen ist ein großer Teil der Musiker mit uns in den Abhörhatte damals einfach mehr Sinn. Die Musiker von früher haben das raum gekommen. Und das ist nun wirklich eher unüblich. Vibrato nur an bestimmten Stellen eingesetzt, wo es für sie wirklich Zum Schluss stellen Sie sich bitte vor, Sie wären wieder jung und etwas brachte. Wenn Sie heute zu einer Universität gehen, werden möchten noch einmal die etablierten Dirigenten wie damals Sie sehen, dass ein Geiger, der etwas Kluges mit seinem Vibrato infrage stellen. Wie kann man das heute machen? anfangen kann, inzwischen eine Ausnahme ist. Das ist mir sogar Oh, das kann man ja nur in Buchform beantworten. Diese „was aufgefallen bei den Aufnahmen mit den Wiener Philharmonikern wäre wenn“-Fragen, die kann ich ganz schlecht beantworten, weil zu dem Mozart-Album, das ich kürzlich mit Lang Lang gemacht ich mich ja immer nur als den von heute kenne. Und wenn ich an habe. Da musste ich dem Orchester wirklich ganz genau sagen, wo mich von früher denke, dann sehe ich, was ich früher alles noch sie vibrieren dürfen und wo nicht. nicht kannte oder welche anderen Sichtweisen ich hatte. Wenn ich Gutes Thema: Ganz viele Klassikhörer sind derzeit nämlich etwas sehe, was ich bei vielen heutigen Dirigenten schlimm finde, überrascht, dass Sie ein Album mit Lang Lang aufgenommen dann ist es, dass sie einfach das glauben, was die Musikwissenhaben. Dabei wissen die meisten vielleicht gar nicht, dass Sie schaft schreibt. Ich habe immer gezweifelt. Ich finde: Ohne Zweifel Lang Lang schon seit Jahren kennen. Der hat doch mal ein kann man überhaupt nicht weiterkommen. Klavier bei Ihnen zuhause kaputtgemacht, oder? Interview: Rainer Aschemeier Wer hat Ihnen denn das erzählt? (lacht) Also das war so: Da kam „The Mozart Album“ Lang Lang, Wiener Philharmoniker, zu mir ein Prager Klavierbauer mit Kopien von Klavieren aus dem Nikolaus Harnoncourt (Sony Classical) 18. und 19. Jahrhundert. Lang Lang hat sehr kurz und eigentlich Eine Rezension dieser CD finden Sie im DMG-Magazin sehr schön und interessant auf meinem persönlichen, alten Klavier 25


k ü n s t l e r

Der Conferencier Der Violinist Thomas Albertus Irnberger hat im Alter von 29 Jahren über 30 CDs eingespielt und im Garten seines Elternhauses einen eigenen Konzertsaal samt Aufnahmestudio errichten lassen. Ist er ein verrückt gewordener Musiker oder wächst da ein Mentor alter Schule heran? Wir haben ihn zuhause in Salzburg besucht.

des Elternhauses in einen KonIrnberger, 29, begrüßt seine zert- und Aufnahmesaal. Die Gäste gerne vorne am Hauptbesten Akustiker habe er dazu eingang seines etwas zu gelb im Vorfeld konsultiert. Irnberangestrichenen Hauses vor den ger bittet in einen Regieraum Toren Salzburgs. Man wandert mit Aufnahme-Equipment und durch die Einfahrt, vorbei an seisagt, er könne hier auch schnell nem alten Porsche 911, Modell eine Club-Atmosphäre schaf933 4s aus dem Jahr 1996, „luftfen. Dazu verschwindet er wie gekühlt und eine perfekte KomGoldfinger im James-Bond-Film bination von Eleganz und Perhinter der Glasscheibe, drückt fektion“, philosophiert Irnberger ein paar Knöpfe, und von der und bittet direkt in einen kleinen Decke bewegen sich langsam Konzertsaal – seinen Konzertrote Vorhänge Richtung Fußbosaal –, die Stühle darin aus Engden. „Die Vorhänge sind natürland importiert, mit Samtbezug, lich aus einem speziellen, sehr „wegen der besseren Akustik“. leichten Stoff “, gibt er zu verBevor man sich in Ruhe umsestehen, „sehr gut geeignet für hen kann, beschreibt er bereits Jazz-Konzerte beispielsweise“. Er die Historie der herumstehenden schnippt jetzt ein paar Mal mit Konzertflügel, es sind insgesamt den Fingern und das Schnippen acht, darunter ein Hammerflüklingt dumpf. Der Parkettboden gel von Jacob Weiss aus dem Jahr schluckt Irnbergers Fingersound. 1820 sowie ein Modell von John Man würde sich nicht wundern, Broadwood & Sons aus dem Jahr wenn sich gleich noch eine wei1816. tere Tür öffnen würde, aber IrnIrnberger weiß alles über berger ist jetzt bei seinem Liebdie Instrumente, schon nach lingsthema, dem Klang, da sollte 60 Sekunden liefert er mehman ihn nicht unterbrechen. rere Megabyte Information. Er Irnberger sagt, es gebe interessiert sich en detail für Thomas Albertus Irnberger in seinem Konzertsaal. heutzutage so viele junge Geiger die Manufakturen und ihre Geschichte und sagt Sätze wie: „Der Steinway wäre für einen wie und Pianisten, die hervorragend spielen. Aber – die Hörgewohnheiten hätten sich verändert, er habe sich mit diesem Thema in den verBeethoven das viel geeignetere Instrument gewesen:“ Thomas Albertus Irnberger ist einer der wenigen Menschen, gangenen Jahren intensivst befasst. Er ist ein wahrer Sound-Freak, zu denen die Buchfrage von Richard David Precht passt: Wer bin und vor allem ist er ein Fan der alten Röhrentechnik: „Das Klangich, und wenn ja, wie viele? Denn Irnberger ist nicht nur Porsche- bild war früher schärfer, man hat Kratzer gehört, da hatte die AufFan, Sammler von antiken Konzertflügeln und Hausherr eines eige- nahme einfach mehr Biss.“ Heute sei nichts mehr da, was den Hörer nen Konzert- und Aufnahmeraumes, sondern er ist auch ein aner- herausfordert. Die Liebe zum Sound entstand bei ihm aus der Suche kannter Virtuose: Seine Diskographie besteht schon jetzt, im Alter nach dem perfekten Klang. Er hat mit Jörg Demus gearbeitet, der von 29 Jahren, aus über 30 Alben, viele davon aufgenommen auf bei Walter Gieseking gelernt hatte und sich ebenfalls dem Thema historischen Instrumenten. Doch die Zeit für Biografisches hat er widmet. Irnbergers Credo lautet: Du musst dich selbst hören. Das für später reserviert. Es geht erst einmal darum, den Konzertsaal will er auch jungen Schülern vermitteln, die er in Zukunft in seinen zu verstehen. Auch die eher persönliche Frage, wie er das Geld für eigenen Hallen hier unterrichten und unterstützen möchte. Er steht jetzt in dem Saal wie ein Conferencier, eine Art den Bau und die Instrumente aufbringen konnte, beantwortet er direkt: Die Großmutter mütterlicherseits habe ein großes Anwe- Junior-VillaŹon. Irnberger ist sehr schnell vom Schüler zum Mentor sen in Tirol gehabt und aus Altergründen verkauft. Er bekam als gewechselt. Noch vor zehn Jahren war er selbst Schüler bei einem vorzeitige Erbschaft einen Teil und verwandelte damit den Garten ganz Großen der Zunft. Die Geschichte dazu beginnt in Paris, dazu 26

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014

Fotos: Bob Coat

v on R o b e r t K i t t e l


WIENER PHILHARMONIKER NIKOLAUS HARNONCOURT

THE MOZART ALBUM

Zwei der schönsten Klavierkonzerte Mozarts mit den Wiener Philharmonikern unter dem legendären Dirigenten Nikolaus Harnoncourt. Auf der zweiten CD spielt Lang Lang ausgewählte Solo-Werke Mozarts: drei Sonaten, den „Türkischen Marsch“ u.a.

muss sich Irnberger aber setzen, denn es ist eine Geschichte, die ihm am Herzen liegt. Es gibt jetzt ein Glas Orangensaft und Kekse, nicht im Hauptsaal, sondern nebenan, im Backstage-Bereich für Künstler. Hier stehen noch zwei weitere Flügel, ein Johann Baptist Streicher von 1868 und ein Joseph Dohnal um 1785. Irnbergers Geschichte, die er jetzt erzählt, spielt aber im Jahr 2000: Der 15-jährige Thomas Albertus sieht bei einem Aufenthalt in Paris einen Prospekt mit der Titelzeile „Ivry Gitlis Masterclass“. Bis zu seinem siebten Lebensjahr war er Heifetz-Verehrer gewesen, dann hatte er den illustren Franzosen entdeckt und angefangen, ihn zu kopieren. Einen Meisterkurs bei Gitlis zu besuchen, davon hatte er immer geträumt. Nach dem Okay der Mama („Ja, fahr zum Gitlis“) reist er im Alter von 15 Jahren in einen kleinen Ort in der Nähe von Avignon. Gitlis kommt drei Stunden zu spät, die korrekte Verhaltensweise eines Stars also. Irnberger darf als Erster vorspielen, wählt Paganinis La Paganella und sieht im Augenwinkel Gitlis schmunzeln: „Naja, er hat natürlich sofort erkannt, dass ich ihn kopiere“, erzählt er jetzt stolz. Aber es habe dem Gitlis wohl geschmeichelt, und der große Virtuose schreibt dem kleinen Virtuosen seine Privatadresse auf. Dazu die Notiz: „Komm mich besuchen, dann üben wir zusammen.“ Am Ende werden es fünf Jahre, die Irnberger zwischen Salzburg und Paris pendelt. 30 Alben sind ihm aber nicht genug: Dieser Tage erscheint Vol. 1 der Gesamtaufnahme der Violinsonaten von Ludwig van Beethoven mit Michael Korstick am Klavier. Das Album startet mit der berühmten Kreutzersonate op. 47 und der 10. Violinsonate op. 96, Ende November veröffentlicht er dann noch das Violinkonzert von Antonin Dvořák, das er unter der Leitung von Petr Altrichter zusammen mit den Prager Philharmonikern aufgenommen hat.

Außerdem erhältlich: At the Royal Albert Hall als DVD und Blu-Ray. Das spektakuläre Londoner Konzert in der legendären Royal Albert Hall. Über 120 Minuten Musik der Extraklasse von Mozart, Chopin, Schumann u.a. www.langlang.com

Foto © Harald Hoffmann

Irnbergers Konzertsaal mit den historischen Flügeln, unter anderem von Conrad Graf und Bösendorfer.

Ludwig van Beethoven: „Die Violinsonaten Vol. 1“ Thomas Albertus Irnberger, Michael Korstick (Gramola)

27

www.sonymusicclassical.de

Abonnieren Sie den Sony Classical Newsletter und erhalten Sie exklusive Informationen zu Sony-Künstlern

27


k ü n s t l e r

„Hatte Mozart eine Liebschaft mit ­Mademoiselle ­Louise Victoire Jenamy?“

Foto: Marco Borggreve

Der französische Pianist Alexandre Tharaud war 2012 in Michael ­Hanekes Liebe auf der Leinwand zu sehen, 2013 bekam er einen ECHO Klassik. Jetzt veröffentlicht er ein ­Album mit Mozart- und Haydn-­ Werken und beantwortet nicht nur die Frage, warum er kein Klavier hat. v on k l a u s h ä r t e l

Ich habe gehört, dass Sie zu Hause kein Klavier haben. Stimmt das? Ja, das ist wahr. In meinem Apartment habe ich seit 17 Jahren kein Klavier. Ich habe es verkauft. Ich glaube, dass es so besser ist. Eigentlich ist das auch nichts Ungewöhnliches, oder? Die meisten Leute arbeiten ja „auswärts“ und nicht zu Hause. Manchmal ist es einfach besser, zwei Leben zu haben: das Berufsleben und das Privatleben. Wenn ich ein Klavier zu Hause hätte, hätte ich Schwierigkeiten, den Fokus die ganze Zeit auf die Musik zu richten. Früher war ich ständig an den Tasten, improvisierend, spielend. Aber ich war nicht konzentriert. Ohne Klavier im Haus ist es besser. Zum Spielen gehe ich jeden Tag woanders hin. Meine Freunde haben Klaviere in ihren Wohnungen – dort kann ich üben. Ist es nicht schwer, sich dann immer wieder auf neue Instrumente einzustellen? Denn schließlich klingt jedes Klavier anders. Es ist genau umgekehrt! Wenn man immer auf dem gleichen Klavier übt, ist es eben schwer, sich auf die anderen einzustellen, die in den Konzertsälen der Welt stehen. Was macht eigentlich den Charakter eines Pianos aus? Und treffen diese Eigenschaften auch auf Sie zu? Eigentlich ist das Ganze eher eine Mischung aus deinem Charakter und dem Charakter des Instruments. Wenn du einen Pianist spielen hörst, hörst du ihn, aber eben auch das Leben des Klaviers selbst. Wenn jemand ärgerlich ist, klingt auch das Klavier irgendwie wütend. Wenn man vor einem Konzert zum Üben in einen neuen Saal kommt, entdeckt man ein neues Klavier. Man muss dieses schnell verstehen lernen. Es ist, wie wenn man zwei Schauspieler zusammenbringt, die miteinander vertraut werden müssen, wenn sie zusammen spielen wollen. Exakt dasselbe ist es mit dem Klavier und mir. Ich muss das Instrument verstehen. Und aus den 28

beiden Charakteren wird ein wunderbares Miteinander. Die Musik, die Sie auf Ihrer neuen CD „Jeunehomme“ eingespielt haben, wurde vor fast 250 Jahren komponiert. Wie sehr versetzen Sie sich in Gedanken in die damalige Zeit, oder spielen Sie doch lieber im Hier und Jetzt? Beides, würde ich sagen. Natürlich denke ich über die Vergangenheit und die Zeit Mozarts nach. Das moderne Klavier aber ist für Mozarts Konzerte evident. Es ist zwar ein mechanisches Instrument – mechanischer jedenfalls als Bläser oder Streicher –, aber es ist trotzdem ein Instrument, das die menschliche Stimme imitieren kann. Außerdem kann es die Klangfarben des Orchesters übernehmen. Es ist einfach unglaublich vielfältig. Ich bin mir sicher, dass sich Mozart über das moderne Piano gefreut hätte. Ich spiele ja auch viel barocke Musik und spiele das dann auf dem modernen Klavier. Ich übe oft auf dem Harpsichord. Wenn ich dann Scarlatti oder Bach spiele, bin ich dieser Zeit sehr nahe. Im Mittelpunkt der CD steht „Jeunehomme“, wie das Klavierkonzert Nr. 9 auch genannt wird. Warum haben Sie sich dafür entschieden? Das Werk wurde 1777 komponiert für die junge Pianistin Mademoiselle Louise Victoire Jenamy. Hatte Mozart eine Liebschaft mit ihr? Niemand kennt ihre Geschichte genau. Der Titel „Jeunehomme“ ist vermutlich fälschlich übernommen worden. Im Französischen heißt das schließlich „Junger Mann“. Der Dirigent Bernard Labadie brachte mich dazu, dieses Konzert zu spielen. Seine Worte waren so eindringlich, dass er mich dazu brachte, es ins Programm zu nehmen und mit ihm aufzuführen. Ich höre ihn noch, wie er mir den zweiten Satz als eine Konzertarie beschrieb, mit einem besonders lyrischen Solopart, einem Klavierklang, der www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


Alexandre Tharaud Live einer Sopranstimme ähnelt. Heute, muss Landschaft. Es war sehr inspirierend, besser 17.10.14: Frankfurt, Alte Oper ich sagen, ist „Jeunehomme“ für mich das als in der Hektik der Großstädte Paris oder Bach und Mozart, mit Les Violons du Roy erste Meisterwerk Mozarts. Er war damals Berlin. Das Orchester „Les Violons du Roy“ 18.10.14: Essen, Philharmonie noch sehr jung, was es geradezu unglaubist für mich eines der wichtigsten KammerMozart mit Les Violons du Roy lich macht. orchester. Wir haben vor drei Jahren bereits 22.10.14: Köln, Philharmonie Wie haben Sie die anderen Werke ausgezusammen Bach aufgenommen, und ich Mozart mit Les Violons du Roy wählt? wollte unbedingt wieder mit den Musi24.10.14: Paris, Théâtre des Champs-Élysées kern zusammenarbeiten, denn der Dirigent Das Programm ist um das Klavierkonzert Haydn und Mozart mit Les Violons du Roy herum aufgebaut. Ich wollte das Rondo in Bernard Labadie kennt sich hervorragend A-Dur aufnehmen, denn dieses Meistermit Mozart und Haydn aus. werk wird leider extrem selten aufgenommen oder in Konzerten Im Jahr 2012 haben Sie einen Ausflug ins Filmfach unternomgespielt, weil es nur zehn Minuten lang ist. Für die Konzertarie men. Was haben Musik und Film bzw. ein Regisseur und ein Ch’io mi scordi di te habe ich die Mezzosopranistin Joyce DiDonato Dirigent eigentlich gemeinsam? gefragt, ob sie sich das vorstellen könnte. Sie sagte sofort ja. Ich Nichts. Das ist tatsächlich etwas völlig anderes. Denn wenn ich ein solle bloß niemand anderen fragen. Das hat mich wirklich gefreut. Konzert spiele, bin ich lange Zeit vorher schon auf dieses fokusDie Aufnahme schließt mit Haydns Klavierkonzert in D-Dur. Ich siert. Ich muss konzentriert sein – und zwar beispielsweise um liebe es und ich wollte die Aufnahme feierlich beenden. Alle diese Punkt 20 Uhr an einem bestimmten Abend. Beim Film muss man Werke sind aufeinander bezogen. Deshalb habe ich mir den Spaß ständig warten. Einen Tag oder fünf Stunden. Und plötzlich heißt erlaubt, Kadenzen zu schreiben, in denen Reminiszenzen an die es: „Du bist dran!“ Außerdem spielt man beim Film kein Instruanderen Stücke zu hören sind: Bei den Kadenzen im Rondo habe ment. Man ist quasi das Instrument des Regisseurs. Aber es war ich Themen aus dem ersten und zweiten Satz des „Jeunehomme“ eine wirklich gute Erfahrung – auch wenn es mich drei Tage meieingefügt, bei denen im Haydn-Konzert sind es Themen aus nes Lebens gekostet hat (lacht). Ich war eben drei Tage lang kein Mozarts Rondo … Musiker – und das ist mein Job. Sie haben die CD in Kanada aufgenommen. Spielt die UmgeAlso verschwenden Sie keinen Gedanken daran, den Beruf zu bung bei Ihnen auch eine Rolle? wechseln? Die Umgebung ist sehr, sehr wichtig. Wir haben in der MusikakadeUm Gottes willen! Es gibt so viele gute Schauspieler. Ich glaube mie Le Domaine Forget aufgenommen. Diese befindet sich in einem nicht, dass die Filmwelt auf mich wartet. Aber kleinen Dorf, zwei Autostunden nördlich von Quebec. Die Akaes war toll, mal bei so was mitzumachen! demie hat einen fantastischen Konzertsaal mit einer fantastischen „Jeunehomme. Mozart & Haydn“ Alexandre Tharaud, Les Violons du Akustik. Es ist eine super Sache, weit weg zu sein von allem. Das Roy, Bernard Labadie (Erato) Orchester, der Dirigent und ich – wir waren allein in diesem kleinen Dorf, vor der Tür der Fluss Saint-Laurent und eine atemberaubende

/ sFr. 34,60 328 Seiten ISBN 978 3 7017 3343 9 ca. EUR 24,90

Anzeige

Ich kann die Kunst nicht anders erklären als einen Strahl des Außermenschlichen, der in uns fällt. Nikolaus Harnoncourt

residenzverlag.at


k ü n s t l e r

Eine Prise Domingo „Wenn man aufhört zu wachsen, dann ist es vorbei“, sagt Plácido Domingo (73) und veröffentlicht gleich sein nächstes Album – mit mediterranen Liedern als Hommage an seine Heimat.

Foto: Ruben Martin / Sony Classical

v on A nna N o v á k

Auf dem Cover seines neuen Albums sieht Plácido Domingo locker 20 Jahre jünger aus. Braungebrannte, von der Sonne gegerbte Haut. Ein lockerer weißer Pulli, graumelierter ZehnTage-Bart. Er sitzt am Meer, sein Blick schweift weit in die Ferne. Coole Bilder, aber hallo! Was motivisch natürlich an das Motto der neuen Platte „Encanto del Mar“ angelehnt ist, wirkt unweigerlich ein bisschen wie das Zeichen: Ich bin noch da, aktiver und fitter denn je. Mit 73 Jahren und trotz – oder gerade wegen – seines Wechsels ins Bariton-Fach ist er immer noch gern gesehener Gast auf den Opern- und Konzertbühnen. Seine Tätigkeit als Direktor der Oper von Los Angeles hat er gerade nochmals verlängert, im Sommer war er nach langer Zeit mal wieder bei den Salzburger Festspielen zu Gast, sang in Il Trovatore. Bei Twitter und Facebook ist er aktiver denn je, lässt seine Fans an Foto-Erinnerungen aus seiner langen Karriere teilhaben, retweetet Fußball-Bilder, wirbt für seinen Auftritt beim iTunes-Festival. Für Interviews von Angesicht zu Angesicht hat er momentan keine Zeit, sagt man uns. Auch Telefoninterviews lieber nicht – er möchte nicht so viel reden, sich auf das Singen konzentrieren. Nun gut – wir sind im Jahr 2014, da stellt man einem wie Domingo auch Fragen per E-Mail: 30

Lieber Plácido Domingo, was fühlen Sie, wenn Sie über die Weite des Mittelmeers schauen? Ich habe es immer geliebt, am Meer zu sein! Wo auch immer ich auf der Welt bin, hat das Mittelmeer eine besondere, lebensbejahende Wirkung auf mich. Ich denke dann an die schreckliche und gleichzeitig wundervolle Geschichte dieses Ozeans und der Länder, die ihn umgeben, und ich fühle mich mit dieser Geschichte verwoben. Ihre neue Platte Encanto del Mar ist ein Album mit Liedern in unterschiedlichen Sprachen aus dem Mittelmeerraum. Warum? Ich dachte mir, es wäre doch interessant, sich Stücke anzuschauen, die allesamt um das Mittelmeer herum entstanden sind, um zu schauen, ob – wenn überhaupt – sie etwas gemeinsam haben und wie sie sich unterscheiden. Ist Encanto del Mar eine besondere Reverenz an Ihr Heimatland? Natürlich war und ist Spanien der Ausgangspunkt für mich – im Leben, aber auch musikalisch. Ich finde es spannend, dass die Musik aus Spanien, das sich ja an der nördlichen Küste des Mittelmeers befindet, viel von der Musik aus Nordafrika – an der südlichen Küste! – beeinflusst wurde. Genauso hat die spanische Musik Einfluss auf andere Mittelmeer-Länder gehabt. Ich bin sehr www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


T H E R O YA L O P E R A

Plácido Domingo Live 16.1.2015: Leipzig, Gewandhaus Verdi Gala 7./11./15./19./22./28.2.2015: Berlin, Staatsoper Verdi: Macbeth 17.2.2015: Berlin, Staatsoper Konzert

dankbar für das Privileg, in einem Land wie Spanien geboren worden zu sein, das umgeben ist vom Meer. Ich ehre das Mittelmeer in der einzigen Weise, die mir möglich ist: indem ich die Lieder des Meeres singe! Wie haben Sie die Lieder für das Album ausgesucht? Einige der Lieder waren mir schon vorher bekannt und begleiten mich lange – andere sind neue Entdeckungen. Ich mag beides. Das ist auch der Grund, warum ich immer noch neue Rollen lerne. Haben diese eine besondere, persönliche Bedeutung für Sie? Jede Aufnahme, die ich mache, hat für mich eine sehr persönliche Bedeutung – denn es ist eine „Aufnahme“ im doppelten Sinne: auch eine Momentaufnahme davon, wer ich war und was ich in diesem bestimmten Moment in meinem Leben machte. Man hat das Gefühl, dass Sie immer noch in der Lage sind, nach so vielen Jahren, Ihre Fans und Zuhörer mit Ihren Auftritten und neuen Projekten zu überraschen. Gibt es denn da noch Dinge auf der Bühne, von denen Sie selbst überrascht werden? Jeder Opernsänger weiß, dass es immer wieder Momente auf der Bühne gibt, die uns überraschen – gute wie nicht so gute Überraschungen! Jede Vorstellung ist anders, ganz egal wie viel man vorher geübt hat oder wie oft man das Stück schon in der gleichen Besetzung gesungen hat … Kleine Rekapitulation: der schönste Moment im Sommer 2014? Da gab es gleich zwei solcher Momente! Meine Rückkehr zu den Salzburger Festspielen nach vielen Jahren, wo ich den Conte di Lune in Il Trovatore singen konnte. Und die Arbeit mit den Finalisten meines „Operalia“-Wettbewerbs in Los Angeles. Wir haben gemeinsam das Abschlusskonzert vorbereitet – das ist für mich immer eine unglaubliche Bereicherung! Sie sind momentan sehr aktiv auf Facebook. Wie wichtig ist es für Sie, über Social Media mit Ihren Fans vernetzt zu sein? Wichtiger als für mich persönlich ist es, glaube ich, für die großartige Kunst der Oper: Wir sollten jede verfügbare Technik, auch alle neuen Technologien, nutzen, um unser Publikum zu erweitern und dessen Enthusiasmus für diese Musik noch zu steigern! Apropos neues Publikum: wie können wir genau das denn gewinnen? Ist Social Media da die Geheimwaffe? Social Media und all die Formen, die sich entwickeln, sind wichtig – aber bei Weitem am wichtigsten ist es, weiterzumachen mit herausragenden, stimulierenden Aufführungen: sowohl mit StandardOpern-Repertoires als auch mit selten aufgeführten Werken! Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Können Sie uns das Geheimnis verraten, das Sie so lebhaft und fit hält? Natürlich ist da auch ein Teil bloßes Glück dabei, aber ein Großteil dieses „Geheimnisses“ ist gar nicht so geheimnisvoll! Man muss einfach immer weitermachen zu arbeiten, neue Herausforderungen akzeptieren, den Stillstand vermeiden und nicht sagen: Ich mach nur noch die Dinge, die ich sowieso schon kenne. Wenn man aufhört zu wachsen, dann ist es vorbei. n „Encanto del Mar. Mediterranean Songs“ Plácido Domingo (Sony Classical) 31

Die dramatische Oper mit Plácido Domingo live auf der großen Kinoleinwand Nur am 27. Oktober um 20.15 Uhr aus dem Royal Opera House London

KINOWELT Mehr Infos und Tickets unter www.UCI-KINOWELT.de oder über die UCI App. 31


k ü n s t l e r

Der Traditionalist

Foto: Jean-Baptiste Millot

Der Franzose Raphaël Pichon ist einer der talentiertesten Dirigenten und angesehener Countertenor. Jetzt hat er eine CD mit Bachs Köthener Trauermusik eingespielt. Ein Gespräch über das Album, seine Sicht auf die Deutschen und den Tod.

Raphaël Pichon (30) stammt aus Paris.

Newcomer

crescendo: Herr Pichon, wir haben eine ernste Frage: Beim ersten Konzert in Deutschland mit der Köthener Trauermusik von der aktuellen CD sind angeblich mehrere Personen im Publikum ohnmächtig geworden. Stimmt das? Raphaël Pichon: Oh ja. (lacht) Das war im Musikhaus in Bremen vor vier Jahren, ganz am Anfang, als wir uns mit der Trauermusik beschäftigten. Es war total verrückt. In der ersten Hälfte des Konzerts sind sieben oder acht Menschen in Ohnmacht gefallen, und wir mussten das Konzert immer wieder unterbrechen, obwohl es live im NDR übertragen wurde. Vor allem die Leute vom Radio waren deshalb wirklich gestresst. Zwei Sekunden lang habe ich gedacht, dass die Musik mit ihrem neuen Text vielleicht zu schockierend für das Publikum war. Die Leute lagen auf dem Boden, und es war sehr schwierig, immer wieder weiterzuspielen. In der Pause haben wir dann allerdings erfahren, dass es an verdorbenen Krabbenbrötchen gelegen hat und nicht an der Trauermusik. (lacht) Na gut, das ist eine Erklärung. Aufregend war ja auch die ganze Entstehung des aktuellen Programms, oder? Oh ja, das war wirklich ein echtes Abenteuer. Ich habe vor vier Jahren angefangen, über dieses Projekt nachzudenken, und wir haben uns sehr viel Zeit genommen, es richtig gut vorzubereiten. Schon seit es mein Ensemble Pygmalion gibt, interessiere ich mich nicht nur für die großen Werke von Bach, sondern vor allem für seine kleineren Stücke, die zwar einen direkten Bezug dazu haben, aber im Repertoire etwas versteckt sind. Ich kombiniere sie gerne mit den bekannteren Werken. In diesem Fall habe ich etwas über die 32

Matthäus-Passion gelesen, weil wir sie 2015 aufführen wollen. In dem Zusammenhang habe ich von der Bedeutung von Fürst Leopold von Köthen erfahren, dem Bach nach seinem Tod diese Trauermusik gewidmet hat. Und da hat es Klick gemacht. Was ist das für eine Musik und in welchem Kontext ist sie entstanden? Im Jahr 1729 hat Bach für die Gedenkfeier zu Ehren von Fürst Leopold von Anhalt-Köthen eine Trauerkantate komponiert, in der es um die Trauer um den Tod, die Erlösung der Seele und die ewige Ruhe geht. Die Kantate ist die längste Kantate, die Bach geschrieben hat, und ich habe nach und nach alle musikwissenschaftlichen Berichte zu diesem Stück für mich entdeckt. Die interessanteste Feststellung dabei war die Beziehung zu den Accompagnato-Rezitativen aus der Matthäus-Passion. Bachs Musik ist leider verloren gegangen, nur der Text von seinem Lieblingsdichter Picander ist heute noch überliefert. Darum haben wir uns in das Experiment gestürzt, Bachs Musik zu rekonstruieren – aus anderen Werken wie der Matthäus-Passion und seiner Trauer-Ode kann man Rückschlüsse ziehen, Zitate verwenden und kombinieren und sich denken: So könnte es gewesen sein. Es ist mehr Restauration als eine Rekonstruktion. Warum war Fürst Leopold so wichtig für Bach? Bach stand dem Fürsten Leopold sehr nahe, er war ein wichtiger Freund und Förderer und auch Patenonkel von einem seiner Söhne. Er interessierte sich sehr für Musik und spielte selbst Geige. www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


CHARLIE SIEM

Als Leopold dann ganz plötzlich starb, wollte Bach ihm zu Ehren die allerschönste Musik schreiben – vielleicht für ihn die wichtigste Musik zu dieser Zeit. Verändert die Auseinandersetzung mit dieser Musik Ihre eigenen Gedanken zum Thema Tod? Ja, aber nicht nur diese Trauermusik, sondern eigentlich das ganze Repertoire. Von Schütz zu Buxtehude zu Bach ... Wir spielen diese Musik ja sehr viel. Wir Franzosen haben außerdem diese Vision von einem süßen, sehr friedlichen Tod, wir sind da sehr katholisch (lacht). Aber natürlich müssen wir das alles im Kontext sehen. Zu Bachs Zeiten war der Tod für jeden viel näher als heute, fast jeder hat damals ein oder zwei Kinder verloren. Das ist heute ganz anders. Es gab in jener Zeit einen starken Glauben, der sich auch in der Musik zeigt.

Ist es eine Herausforderung, mit dem deutschen Originaltext zu arbeiten? Ich verstehe Deutsch sehr gut und glaube auch, dass das ganz wichtig ist. Ich arbeite immer mit dem Original-Libretto. Ich bin nur zu schüchtern, um Deutsch zu sprechen (lacht). Außerdem fühle ich mich dem altertümlichen Deutsch aus den Libretti viel näher als dem modernen Deutsch, und das könnte dann vielleicht komisch klingen. Macht es Sie zu einem besseren Dirigenten, dass Sie selbst auch ein Sänger sind? Hm, besser vielleicht nicht. Ich denke, es ist eine Chance. Zuerst war ich Geiger, dann habe ich viel Cembalo und Klavier gespielt, und ich habe immer gesungen. Bachs Kompositionen sind auf der vokalen Ebene sehr mit den instrumentalen Stimmen verbunden. Bach hat versucht, mit den Instrumenten die Stimme zu imitieren und umgekehrt. Es ist mir sehr wichtig, mir das immer bewusst zu machen, wie dicht das verknüpft ist. Und es hilft, wenn man weiß, wie sich diese beiden Welten anfühlen. Sie machen nicht nur Alte Musik, sondern auch romantische und zeitgenössische Musik. Würden Sie sagen, dass man heute alles machen muss, oder sollte man sich auf etwas konzentrieren? Ich finde schon, dass man sich auf das konzentrieren muss, womit man sich gerade beschäftigt. Es braucht Zeit, den Komponisten und seinen Kontext richtig kennenzulernen. Was war davor, was kam danach? Wenn ich mich mit romantischer Musik beschäftige, dann geht es quasi um das Erbe von Bachs Musik. In den nächsten Jahren wird Pygmalion weiter viel Musik von Bach spielen, aber sich auch mehr und mehr auf das konzentrieren, was danach kam. Dass wir uns so intensiv mit Schütz, Buxtehude und Bach auseinandergesetzt haben, wird uns helfen, wenn wir den Elias von Mendelssohn spielen oder Ein deutsches Requiem von Brahms, denke ich. In der deutschen Musik gibt es klare Traditionen. Ich will gar nicht alles machen, für mich ist es viel wichtiger, mir die Bezüge zwischen den Werken klar zu machen und mir Zeit dafür zu nehmen. Das ist wie bei einem Puzzle. Nach und nach setzen sich alle Teile zusammen. Interview: Katherina Knees n Johann Sebastian Bach: „Köthener Trauermusik BWV 244a“ Ensemble Pygmalion, Raphaël Pichon (Harmonia Mundi) Track 11 auf der crescendo Abo-CD: „Bleibet nur in Eurer Ruh“ aus: „Köthener Trauermusik BWV 244a“ 33

Foto © Uwe Arens / Sony Classical

„Wir Franzosen haben außerdem diese Vision von einem süßen, sehr friedlichen Tod.“

KLASSIK RADIO CD-TIPP DIE NEUE CD mit »La Gitana«, dem »Ungarischen Tanz«, »Under the Stars«, »Après un rêve«, »Salut d’amour« u.a.

KONZERTE www.sonymusicclassical.de

03.12.14 Berlin, Kammermusiksaal 18.01.15 München, Prinzregententheater 25.02.15 Hamburg, Laeiszhalle

Abonnieren Sie den Sony Classical Newsletter und erhalten Sie exklusive Informationen zu Sony-Künstlern


p e r s o n a l i e n

Christopher ­Hogwood Christopher Hogwood, britischer Dirigent, Cembalist und Musikwissenschaftler ist im Kreise seiner Familie in Cambridge verstor­ ben. Er war bekannt für seinen unstillbaren Wissensdurst und beliebt für seine zurück­ haltende Persönlichkeit. Seine Faszina­ tion galt den alten Meistern und der Alten Musik. Als Pionier im Bereich der histori­ schen Aufführungspraxis widmete er sich der Gesamteinspielung von Mozarts Sinfo­ nien. Nach seiner Auffassung sollte sich der Dirigent das Orchester nicht durch seinen exzentrischen Personenkult einverleiben, sondern ein Mentor der Musiker sein und diese zum Nachdenken anregen. Hogwood wurde 1941 in Nottingham geboren und studierte Latein, Griechisch und Philosophie. Erst eine Begegnung mit dem berühmten Dirigenten Raymond Lep­ pard motivierte ihn dazu, auch ein Instru­ mentalstudium anzugehen. 1965 begann dann seine Karriere als Cembalist bei der Academy of St Martin in the Fields. Doch auch das reichte ihm nicht – er wollte mehr. 1973 gründete er dann sein eigenes Ensem­

K e n n y Wheeler

Er war Visionär und zugleich Bewahrer von Tradition. Als einer der einflussreichsten Trompeter und Flügelhornisten der Acht­ ziger- und Neunzigerjahre erforschte er in seinen virtuosen Improvisationen auf hoch­ sensible Weise die Grenzen der Tonalität und wurde so zu einer der stilprägendsten Figuren des Free Jazz. Sein Auftreten war stets angenehm zurückhaltend und sein Spiel von überragender Technik. Seinen ers­ ten großen Ruhm erlangte Wheeler 1970 zusammen mit dem Pianisten John Taylor und der Sängerin Norma Winstone als das Trio Azimuth. Durch seinen unverkennba­ 34

ble, die Academy of Ancient Music, mit dem er sich ganz und gar dem Themenbe­ reich der historischen Aufführungspraxis widmete. Die Leidenschaft für Musik der Generalbasszeit spiegelte sich auch in seiner privaten Sammlung verschiedenster Clavi­ chorde wider. 33 Jahre war er Chef der Aca­ demy und spielte über 200 Tonträger ein. Ob Händel, Vivaldi, Bach oder Beethoven, Christopher Hogwood war der Meister der Partituren. Mit seinem musikwissenschaftli­ chen Feingeist arbeitete er sich bis in die letz­ ten Winkel seiner Partituren vor, egal ob es

sich dabei um Alte oder Neue Musik han­ delte. Er setzte sich zum Ziel, die Intention des Komponisten, die Entscheidungen des Editors und die Interpretation der Musiker im gleichen Maße zu berücksichtigen und aufeinander abzustimmen. So ist es nicht verwunderlich, dass Hogwood auch als Editor eigener Noten­ ausgaben tätig war sowie als Autor von Bio­ grafien und musikwissenschaftlichen Tex­ ten. Seine Händel-Biografie war richtungs­ weisend und zeugte zum einen von seinem immensen Fachwissen und zum anderen von seinem herausragenden Einfühlungs­ vermögen. Darüber hinaus gastierte er als Dirigent des Kammerorchesters Basel und scheute sich nicht, Werke von Britten, Bizet oder Strawinsky anzugehen. Er war verliebt in die kleinen Details, ohne dabei den Blick für das große Ganze zu verlieren. In seinem Herzen bewahrte er sich die kindliche Neu­ gier, und das machte seine Musik so reich und einzigartig. Mit Christopher Hogwood verliert die Musikwelt eine große Persön­ lichkeit, die uns zeigte, dass es sich auch in einer so schnelllebigen Welt wie heute, immer noch lohnt, Dinge reifen zu lassen, denn großartige Musik braucht Zeit.

ren Ton und sein individuelles Konzept von Melodik prägte er über die folgenden Jahr­ zehnte die gesamte europäische Jazz-Land­ schaft auf nachhaltigste Weise. Durch sein Wirken innerhalb des „United Jazz + Rock Ensemble“ fand er auch in Deutschland ein immer größeres Publikum. Wheeler, der am 14. Januar 1930 in Toronto geboren wurde und dort auch Trompete studierte, brach 1952 nach Eng­ land auf, um dort Komposition zu studieren. Rasch fand er dort einen festen Platz in der Londoner Jazzszene, wo er sich in zahlrei­ chen Swingbands und Tanzkapellen einen guten Ruf erarbeitete. Anfangs orientierte er sich noch an Jazzgrößen wie Buck Clay­ ton, Roy Eldridge und Miles Davis, bevor er ab den Sechzigerjahren seinen Schwerpunkt auf den Free Jazz verlegte. Als Wheelers größter Erfolg gilt mitunter sein 1997 veröf­ fentlichtes Album Angel Song, das er zusam­ men mit Bill Frisell, Dave Holland und Lee Konitz aufgenommen hatte. Seine Kompo­ sitionen waren intim, geistreich und sehn­ suchtsvoll, dabei spiegelten sie auch immer seine Vorliebe für kammermusikalische Akustik wider. So kam es unweigerlich dazu, dass er im Jahr 2005, im Alter von 75 Jahren, mit

der German Jazz Trophy für sein Lebens­ werk ausgezeichnet wurde. Kenny Wheeler selbst sagte über seine Musik: „Alles, was ich spiele, hat einen Hauch von Melancho­ lie und auch von Chaos.“ So wurden diese Worte auch zum Titel der bis vergange­ nen März laufenden Ausstellung („Master of melancholy chaos“) über Wheeler im Museum der Londoner Royal Academy of Music. Obwohl ihm seine Gesundheit immer mehr zu schaffen machte, spielte er im Win­ ter letzten Jahres in den berühmten Abbey Road Studios neue Improvisationen für Flügelhorn ein. Die Fertigstellung und die für das Frühjahr 2015 geplante Veröffentli­ chung seines neuen Albums war ihm leider nicht mehr vergönnt. Nun ist Kenny Whee­ ler mit 84 Jahren seiner langjährigen Krank­ heit in London erlegen. Was von ihm bleibt, ist seine Musik. Scheinbar mühelos spielte er sich mit seiner Trompete in die entlegensten Höhen, ohne dass seine Musik dabei inszenierter Virtu­ osität zum Opfer fiel. Kenny Wheeler kon­ zentrierte sich stets auf das Wesentliche und so werden ihn alle seine Hörer als einen tief­ gründigen und gehaltvollen Lyriker in Erin­ nerung behalten.

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014

Fotos: PR; Patrick Hinely

G e s t o r b e n


hören & sehen •

Die besten CDs & DVDs des Monats von Oper über Jazz bis Tanz Attila Csampais neue Entdeckungen (Seite 36) Christoph Schlüren über zwei grandiose Gesamteinspielungen“ (Seite 47)

Menahem Pressler

In Höchstform Er sei ein Glückspilz, meinte Menahem Pressler, mit Paavo Järvi musizieren zu dürfen. Ihr Gespräch (Bonustrack) verrät viel über den Menschen Menahem Pressler, der als Gründer des Beaux Arts Trios 53 Jahre lang dessen Pianist war, bis es sich 2008 auflös­te. Da beschloss er als Solist noch einmal durchzustarten. Im Januar, kurz nach seinem 90. Geburtstag, debütierte er auf Einladung Simon Rattles bei den Berliner Philharmonikern. Davor und kurz danach widmete er sich mit dem Orchestre de Paris und Paavo Järvi Mozarts Klavierkonzerten KV 488 und 595. Seelenvoll, mit tiefer Freude und Hingabe, unglaublich berührend und sehr kammermusikalisch ist dieses Mozart-Spiel. So gerät das Larghetto des B-Dur-Konzerts zum zarten Liebesduett zwischen Klavier und Orchester, der Finalsatz federt in Leichtigkeit und Übermut. Einen „Tanz in den Himmel“ nennt ihn Pressler. Glückspilze dürfen das miterleben. Ar

Wolfgang Amadeus Mozart: „Klavierkonzerte KV 488 und 595“ Menahem Pressler, Orchestre de Paris, Paavo Järvi (Euroarts)

Foto: Julien Mignot

35


h ö r e n & s e h e n

Die wichtigsten CDs des Monats, ausgewählt von Attila Csampai

Werktreue und Engagement In Attila Csampais Herbstauswahl dominieren Interpreten, die durch minutiöse Texttreue in die tieferen Bereiche der Musik eindringen und Objektivität mit Leidenschaft verbinden.

„Clementi“ Piotr Kępiński (Accord)

Sein Grabstein in der Londoner Westminster Abbey weist ihn zwar als „Vater des Pianoforte“ aus, und mit über 60 Klaviersonaten leistete er auch einen bedeutenden Beitrag zur Entwick­ lung des Genres, dennoch ist der 1752 in Rom geborene Wahl-Brite Muzio Clementi heute so gut wie vergessen: Er prägte die Londoner Musikszene Jahrzehnte lang als Pianist, Komponist, Dirigent und Musikverleger und war als umherrei­ sender Virtuose in ganz Europa bekannt. Im Dezember 1781 lie­ ferte sich Clementi in Wien sogar ein Klavier-Duell mit Mozart und machte gehörigen Eindruck auf seinem voluminösen Broad­ wood-Flügel: Mozart schalt ihn anschließend als „italienischen Scharlatan“, merkte sich aber das Thema seiner B-Dur-Sonate op. 24,2, um es später in seiner Zauberflöten-Ouvertüre zu verwenden. Jetzt hat der polnische Pianist Piotr Kępiński, Jahrgang 1974, dem unterschätzten Klavierwerk Clementis endlich mal ein komplettes Album gewidmet und am Schluss natürlich auch diese von Mozart beklaute Sonate auf seinem großen Steinway mit klarem, energi­ schem Zugriff wiederbelebt. Schnörkellose Prägnanz, frische Tempi und eine die innovativen Kräfte und die virtuose Modernität Cle­ mentis fokussierende Deutlichkeit prägen dieses durchwegs über­ zeugende, entschiedene Plädoyer für einen vergessenen Klassiker. W. A. Mozart: Klavierkonzerte KV 482 und KV 491 Angela Hewitt, National Arts Centre Orchestra, Hannu Lintu (Hyperion)

Bei Mozart gibt es gerade eine Gegenoffensive der Steinway-Pianisten gegen die in den letz­ ten Jahren stark gewachsene Fraktion der Fortepiano-Historisten: Nach Ingrid Jacoby und Yevgeny Sudbin hat jetzt auch die kanadische Bach-Spezialistin Angela Hewitt auf einem noch größeren, modernen Fazioli-Flügel das pulsierende Innenleben und die strukturelle Dichte der beiden späten Klavierkonzerte in Es-Dur (KV 482) und c-Moll (KV 491) mit entwaffnender Klar­ 36

heit neu formuliert und mit einem hochmotivierten kanadischen Kammerorchester so schnörkellos und gebündelt umgesetzt, dass man ihrer bis ins letzte Detail durchgeformten, plastischen Klang­ rede eine Stunde lang gebannt lauscht und sich auf wundersame Weise hineingezogen fühlt in das musikalische Geschehen. Man erhält hier ganz neue, aufregende Einblicke in das innere Gefüge dieser Werke, und man spürt in jedem Augenblick auch den hohen Respekt aller Beteiligten vor Mozarts Partitur: So entsteht die für Mozart so wichtige Wechselwirkung von Nähe und Distanz, von unmittelbarer Seelenschau und unantastbarer Schönheit – und das alles eingesponnen in einen unaufhaltsamen Lebenssog. L. v. Beethoven: Klavierkonzerte Nr. 3 und Nr. 4 Maria João Pires, Swedish Radio Symphony, Daniel Harding (Onyx) Track 7 auf der crescendo Abo-CD: „Largo“ aus „Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll op. 37“

Die portugiesische Pianistin Maria João Pires hat schon vor 40 Jahren Pionierarbeit geleistet für modernes, auf­ geklärtes Mozart-Spiel und sich ihre vornehme, respektvolle, völ­ lig uneitle Musizierhaltung bis heute bewahrt. Ihren Wechsel vom Gelblabel zum britischen Independent Onyx feiert sie jetzt mit ihrer ersten Einspielung der beiden Beethoven-Konzerte Nr. 3 und 4 unter der Leitung des 31 Jahre jüngeren Daniel Harding: Ihr gera­ dezu idiomatisches Gespür für das beredte „klassische“ Wechsel­ spiel von Solist und vielstimmigem Orchester prägt jetzt auch ihr Beethoven-Spiel, das ähnlich geradlinig, fokussiert, schnörkellos „schlicht“ daherkommt und die Schönheit und Erhabenheit der musikalischen Klangrede in den Mittelpunkt rückt: So hält sie in beiden Werken die richtige Balance zwischen rigoroser Deutlichkeit und pulsierendem Fluss, wobei Harding mit seinen Schwedischen Radio-Symphonikern ähnlich klare Gegenakzente setzt: So gelingt es ihnen auch im ominösen Mittelsatz des G-Dur-Konzerts, Beet­ hovens humane Botschaft gemessen und ernst, und ohne jegliches Pathos, umzusetzen – was bisher nur ganz wenigen gelang. Eine unbestechliche Künstlerin geht ihren Weg. www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


Schubert, Klaviersonaten D 664, 959, 960: „Moments musicaux“ Michael Korstick (cpo) Track 10 auf der crescendo Abo-CD: „Andantino“ aus: „Klaviersonate A-Dur op. 20 D 959“

Sein Beethoven-Zyklus setzte neue Maßstäbe an unerbittlicher Werktreue. Jetzt hat Michael Korstick ein Doppelalbum Schubert gewidmet: Neben der späten B-Dur-Sonate D 960, die er schon vor zehn Jahren aufnahm, legen vor allem die beiden aktuellen A-Dur-Sonaten D 664 und D 959 den Fokus auf rigorose Deutlichkeit: In der späten A-Dur-Sonate gewinnt seine radikale Textgenauigkeit fast „wissenschaftliche“ Qualität, aber sie bleibt auch hier, wie schon bei Beethoven, der objektive Schlüssel, um die tiefe Sinnhaftigkeit dieser Musik und insbesondere auch Schuberts ungebrochene Experimentierlust völ­ lig neu auszuweisen – in einer artikulatorischen Dichte und in einer dynamischen Bandbreite, wie man es bislang nicht zu hören bekam. Sein Schubert hat Rückgrat und tritt entschieden aus dem Schatten Beethovens. Im f-Moll-Andantino aber enthüllt er Schuberts trost­ lose Seelenlage, indem er die wunderbare Melodie auf ihre nackte Wahrheit reduziert: Das ist erschütternd und tröstlich zugleich.

Bolschoi Staatsballett Belarus

CO ng ES hnu UN zeic 14 s 20

Au

Tour 2014/2015

F. Mendelssohn: Sinfonien Nr. 1 & 3 („Schottische“) Netherlands Symphony Orchestra, Jan Willem de Vriend (Challenge Classics)

11.12.2014 • Theater im Forum am Schlosspark • Ludwigsburg “SCHWANENSEE” Ticketservice im MIK (07141) 910 39 00

Track 8 auf der crescendo Abo-CD: „Andante“ aus: „Sinfonie Nr. 1 op. 11 c-Moll“

Jan Willem de Vriend zählt zu den Pionieren der holländischen Barockszene, er gründete bereits 1982 das renom­ mierte Combattimento Consort Amsterdam. Seit 2004 ist er auch Chefdirigent des Netherlands Symphony Orchestra, und er hat es in kurzer Zeit zu einem sehr kompakten, energisch zupackenden Klangkörper geformt: Dafür bürgt etwa sein hochgelobter Beetho­ ven-Zyklus. Gerade erschien die zweite Folge seines neuen Men­ delssohn-Projekts mit der nie gespielten Ersten und der populären Dritten. So lässt er bereits im wilden Kopfsatz der c-Moll-Sympho­ nie keinen Zweifel daran, dass er diese Arbeit des 15-Jährigen für ein Meisterwerk hält. So schroff, so aufregend, so kontrastreich und aufgeladen klang die Erste noch nie. Auch in der zahmeren „Schottischen“ durchglüht de Vriend den balladesken Erzählton der Musik mit dramatischer Verve, als handle es sich um Bühnenmusik, die den Zuhörer wachrütteln und fesseln soll. A. DvořÁk: Sinfonie Nr. 6; Amerikanische Suite

13.12.2014 • Philharmonie München “SCHWANENSEE” München-Ticket (089) 54 81 81 81 15.12.2014 • Theater am Potsdamer Platz Berlin “SCHWANENSEE” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

17.12.2014 • Konzerthaus Dortmund “DER NUSSKNACKER” Konzerthaus Dortmund (02 31) 22 696 200 18.12.2014 Ruhrfestspielhaus Recklinghausen “DER NUSSKNACKER” RZ-Ticket-Center (02361) 1805-2730 19.12.2014 • CCH Hamburg “DER NUSSKNACKER” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

20.12.2014 • Colloseum Theater Essen “DER NUSSKNACKER” Eventim (01806) 57 00 70

Luzerner Sinfonieorchester, James Gaffigan (Harmonia Mundi)

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

Das Luzerner Sinfonieorchester gibt es schon seit mehr als 200 Jahren, dennoch ist es disko­ graphisch bislang kaum in Erscheinung getre­ ten. Das soll sich jetzt unter seinem neuen Chefdirigenten James Gaffigan ändern. Nach Rihms Sinfonie „Nähe fern“ im vergange­ nen Jahr (HMC 902153) setzt der 34-jährige New Yorker Senk­ rechtstarter jetzt mit der Sechsten und der Amerikanischen Suite von Dvořák auf entschieden leichter Verdauliches, um die Spielkul­ tur und den neuen Schwung seiner Luzerner ins rechte Licht zu rücken: Vor allem der mit böhmischen Tonfällen nur so gespickten Sechsten Symphonie verpasst der junge Amerikaner eine Frisch­ zellenkur, die alle Erdenschwere, alles Brahmssche Pathos von ihr abfallen lässt, so dass sie jetzt wieder ganz schlank, straff und befreit ihren Farbenreichtum und ihren Charme entfalten kann: Ein Diri­ gent mit großem Potenzial und unbefangener Nonchalance, der die phänomenale Akustik des KKL Luzern bestens zu nutzen weiß. 37

21.12.2014 • Stadthalle Bayreuth “DER NUSSKNACKER” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

22.12.2014 • Congress Centrum Ulm “DER NUSSKNACKER” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

27.12.2014 • Stadthalle Bielefeld “DER NUSSKNACKER” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

28.12.2014 • Theater am Aegi Hannover “DER NUSSKNACKER” 29.12.2014 • Theater am Aegi Hannover “SCHWANENSEE” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

30.12.2014 • Jahrhunderthalle Frankfurt “SCHWANENSEE” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

2.01.2015 • Gewandhaus zu Leipzig “DER NUSSKNACKER” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

3.01.2015 • Georg-Friedrich-Händel-Halle “DER NUSSKNACKER” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

4.01.2015 • Musik- und Kongreßhalle Lübeck “SCHWANENSEE” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

6.01.2015 • Kultur + Kongress Zentrum Rosenheim “SCHWANENSEE” (08031) 365 9 365 7.01.2015 • Großes Festpielhaus Salzburg “SCHWANENSEE” Kartenbüro Polzer (0043) 0662-845 110

23.12.2014 • Liederhalle Stuttgart “DER NUSSKNACKER” Eventim (01806) 57 00 70

13.01.2015 • Liederhalle Stuttgart “SCHWANENSEE” Eventim (01806) 57 00 70

25.12.2014 • PaderHalle Paderborn “DER NUSSKNACKER” Paderborner Ticket-Center (05251) 299 750

15.01.2015 • Staatstheater Kassel Opernhaus “DER NUSSKNACKER” (0561) 1094 222

26.12.2014 • Jahrhunderthalle Frankfurt “DER NUSSKNACKER” Eventim (01806) 57 00 70

19.01.2015 • Musical Dome Köln “SCHWANENSEE” Köln-Ticket (0221) 2801

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

www.bolschoibelarus.com

37


Foto: Marc Ribes Warner Classics

h ö r e n & s e h e n

Antonio Vivaldi: „Pietà“ Philippe Jaroussky, Ensemble Artaserse (Erato)

Philippe Jaroussky

Suchtgefahr! Es ist nicht nur seine perfekte Intonation, seine Liebe zum Detail oder der klare, ergreifende Klang seiner Stimme, die jedes Jaroussky-Album zu einem Meisterwerk seines Faches macht, sondern auch sein Talent, sich stets für das richtige Repertoire zu entscheiden. Auf seinem neuen Album Pietà erweckt der Countertenor die nahezu in Vergessenheit geratenen sakralen Solokantaten Antonio Vivaldis nicht nur aus ihrem Schlaf – nein, er haucht ihnen auch auf hinreißende Weise neues Leben ein. Der Wettstreit zwischen Jarousskys Stimme und dem Ensemble Artaserse bedient alle Stimmungsfacetten des menschlichen

Dmitri Hvorostovsky

Gemüts. Egal ob zu Tränen rührend oder jubelnd expressiv – nichts davon wirkt künstlich oder aufgesetzt. So schlägt sich Philippe Jarousskys nahbare und natürliche Art auch in seiner Musik nieder und sorgt für die nötige Bodenhaftung in dem teils immer noch umstrittenen Genre der Countertenöre. Das Stabat Mater und das Salve Regina RV 618 sind die Hauptwerke und zugleich die Höhepunkte seines Albums. Hat man sich der engelsgleichen Stimme des 35-jährigen Countertenors einmal hingegeben, so besteht – auch bei diesem neuen Album – absolute Suchtgefahr. TS

Solo

Galina Utsvolskaya

Hochglanz-Russland

Keine Kammermusik

Seit Jahren zählt Dmitri Hvorostovsky zu den tiefen Top-Stimmen dieser Erde. Ob im Duett mit Anna Netrebko live vom Roten Platz in Moskau oder als Interpret russischer Volkslieder: aus seiner musikalischen Liebe zum Heimatland hat Hvorostovsky nie einen Hehl gemacht. Schon einige Recital-Alben mit russischem Repertoire hat er auf dem Kerbholz. Diesmal jedoch stößt der Bariton zum Kern der russischen Seele vor: zum Chorgesang der russisch-orthodoxen Kirche. Zusammen mit dem Chor „Masters of Choral Singing“, der als ein Lieblingsensemble von Russlands Präsident Putin gilt, transportiert Hvorostovsky viel Emotion und Lokalkolorit durch die heimische HifiAnlage. Doch ganz ehrlich: „Authentisch“ russisch wirkt das nicht. Diese CD vermittelt eher ein Russlandbild, wie man es in Hochglanzbroschüren findet. Ein bisschen „reiseführerhaft“ ist dieses Album also, das zwar makellos interpretiert ist, aber eben auch etwas aufgesetzt wirkt. RA

Sie schreibe keine Kammermusik, so die Komponistin Galina Utsvolskaya. Wer die neue CD von Patricia Kopatchinskaja, Markus Hinterhäuser und Reto Bieri in den Händen hält, möchte schon anhand der Besetzung – Violine, Klavier, Klarinette – widersprechen. Wer aber dann genau hinhört, spürt: Diese Musik ist anders. Utsvolskaya schreibt den Akteuren Rollen und Gegenparts zu, an denen sie festzuhalten haben – komme, was wolle. Keine Kommunikation. Und Kopatchinskaja, Hinterhäuser und Bieri halten so fest, wie sie nur können. So entstehen aus der eigenwilligen Musik Utsvolskayas Momente, die keinen kalt lassen. Der berührende Klang Kopatchinskajas – mal zerbrechlich und fahl, mal hart und fordernd – tritt Hinterhäusers so gewaltigem wie profiliertem Klavierspiel gegenüber. Reto Bieri tritt im Trio für Klarinette, Violine und Klavier als Akteur dazu und macht gekonnt seine Aussage. Keine Kammermusik, aber fantastisch komponiert und interpretiert. MW

Dmitri Hvorostovsky: „The Bells of Dawn“ The Grand Choir „Masters of Choral Singing“, Lev Kontorovich (Ondine) Track 5 auf der crescendo Abo-CD: „I walk my path alone (Vikhozhu odin ya na dorogu)” von Elizaveta Shashina 38

„Galina Utsvolskaya“ Patricia Kopatchinskaja, Markus Hinterhäuser, Reto Bieri (ECM)

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


h ö r e n & s e h e n Ragna Schirmer

Biografie mal anders Mit Puppenspiel, Zeichentrickfilm und Musik das Leben Maurice Ravels erzählen – auf den ersten Blick etwas ungewohnt. Doch durch die faszinierend menschliche Anmutung, die die Ensemblemitglieder des Puppentheaters Halle den liebevoll gebauten Puppen verleihen, und durch deren Interaktion mit den menschlichen Mitwirkenden begeistert das Stück ab der ersten Sekunde. Das gut durchdachte Bühnenbild, das mithilfe eines Spiegels Ravels allmähliches Verschwinden aus seinem eigenen Leben zeigt, und der Einsatz von Trickfilmen runden das Gesamtwerk ab. So erfahren die Zuschauer auf ganz intime Weise von Ravels Leben, dem Fortschreiten seiner Krankheit, der sogenannten Seelentaubheit, und von seiner ewigen Liebe – der Musik. Dank einfühlsamer Kameraführung und Schnitttechnik bleibt die Faszination auch auf dem Bildschirm bestehen. Vor allem aber ist DVD wie CD die beste Werbung für Ravels Klaviermusik und nicht zuletzt für die fantastische Ragna Schirmer, die dem Instrument jede noch so feine Klangfarbe entlockt. MW

„Konzert für eine taube Seele“ Ragna Schirmer (Belvedere)

Im p r e s s u m Verlag Port Media GmbH, Rindermarkt 6, 80331 München Telefon: +49-(0)89-741509-0, Fax: -11 info@crescendo.de, www.crescendo.de Port Media ist Mitglied im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger und im AKS Arbeitskreis Kultursponsoring

Herausgeber Winfried Hanuschik | hanuschik@crescendo.de

Verlagsleitung Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de

Chefredakteur Robert Kittel (RK, verantwortlich)

Art director Stefan Steitz

Redaktion Anna Novák (AN)

schlussREdaktion Edigna Hackelsberger

Kolumnisten Attila Csampai, Daniel Hope, John Axelrod, Axel Brüggemann, Christoph Schlüren (CS), Stefan Sell

Mitarbeiter dieser Ausgabe Angelika Rahm (AR), Uwe Schneider (US), Klaus Härtel (HÄ), Götz Bühler (GB), Rainer Aschemeier (RA), Malve Gradinger (GRA), Carla Neumann (CN), Julia Hartel (JH), Maximilian Stössel (STÖ), Katherina Knees (KK), Reinhard Deutsch (RDE), Magdalena Wolf (MW), Dorothea Walchshäusl, Tom Wagner, Ruth Renée Reif, Arnt Cobbers, Angelika Otto, Teresa Pieschacón ­Raphael (TPR), Antoinette Schmelter de Escobar (SDE), Sina Kleinedler (SK), Thomas Schöberl, Bernd Hoppe (BH) & Bob Coat.

Projektleitung plus regional Liselotte Richter-Lux | richter-lux@crescendo.de

Verlagsrepräsentanten Tonträger: Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de Kulturbetriebe: L. Richter-Lux | richter-lux@crescendo.de Hifi & Marke: Heinz Mannsdorff | mannsdorff@crescendo.de Verlage: Hanspeter Reiter | reiter@crescendo.de

Auftragsmanagement Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de Angelika Otto | otto@crescendo.de

Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 18 vom 10.09.2014

Druck Westermann Druck, Georg-Westermann-Allee 66, 38104 Braunschweig

Vertrieb Axel Springer Vertriebsservice GmbH, Süderstr. 77, 20097 Hamburg www.as-vertriebsservice.de

Erscheinungsweise

„Güher & Süher Pekinel in Concert“ (als CD und DVD erhältlich, Arthaus Musik)

crescendo ist im Zeitschriftenhandel, bei Opern- und Konzert­häusern, im Kartenvorkauf und im Hifi- und Tonträgerhandel erhältlich. Copyright für alle Bei­träge bei Port Media GmbH. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht unbedingt die der Redaktion wieder. Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird keine Gewähr übernommen.

Güher & Süher Pekinel

Abonnement

Multimediales Spektakel

Das crescendo premium-Abo umfasst sieben Ausgaben, inklusive­„crescendo Festspiel-Guide“ und zusätzlich sechs exklusive heftbegleitende premium-CDs und kostet 49,90 EUR pro Jahr inkl. MwSt. und Versand (Stand: 1.1.2012). Versand ins europ. Ausland: zzgl. EUR 3,- je Ausgabe Bank-/Portospesen. Zahlung per Rechnung: zzgl. EUR 5,Bearbeitungsgebühr. Kündigung: nach Ablauf des ersten Bezugsjahres, jederzeit fristlos. Abo-Service crescendo, Postfach 13 63, 82034 Deisenhofen Telefon: +49-89-8585-3548, Fax: -362452, abo@crescendo.de

Arthaus Musik kannte man bislang ausschließlich als DVD-Label. Nun aber haben die Labelmacher aus Halle/Saale etwas Neues ausprobiert: Ihre neueste Veröffentlichung kommt als DVD plus BonusCD mit Konzertauszügen, und zusätzlich gibt es das Programm auch auf einer Doppel-CD ohne DVD. Worum aber geht es hier? Es geht um zwei Konzertabende des Klavierduos Güher und Süher Pekinel. Die bereits seit den 1980er-Jahren weltweit gefeierten Schwestern legen dabei ein furioses Tempo bei Béla Bartóks Doppelkonzert vor, das sie im Teatro Maggio Musicale Fiorentino unter Leitung Zubin Mehtas eingespielt haben. Des Weiteren gibt es ein kunterbuntes Klavierrecital mit Musik von Schubert bis Lutosławski. Was als Livekonzert auf der DVD gut funktioniert, gibt als CD-Programm ein etwas beliebig wirkendes Bild ab. Die Interpretationen sind jedoch gut gelungen: Mit den Pekinels ist eben immer zu rechnen. RA

Verbreitete Auflage: 68.475 (laut IVW-Meldung 1I/2014) ISSN: 1436-5529 geprüfte Auflage

(Teil-)Beilagen/Beihefter: Deutsche Mozartgesellschaft / Schubertiade / Konradin Medien

Das nächste crescendo erscheint Am 26.11.2014

39


Schwäbische Klangpräzision: nuPro® Aktivboxen

h ö r e n & s e h e n

Alte Musik

Quadriga Consort

Geheimnislos

Eine sonderbare CD ist „14 Tales of Mystery”, die für das Quadriga Consort altenglische Balladen vereint, die mysteriöse Ereignisse schildern. Die „Schattenseiten menschlichen Innenlebens“ sind das Thema, wie das Booklet erklärt, doch statt in geheimnisvolle, hintersinnige Klangwelten gezogen zu werden oder statt der versprochenen schockierenden Erzählweisen und dem raffinierten Gruseln fühlt man sich in einer poppigen Welt- und Filmmusik-Mischung mit starkem Hall für die Naturstimme der Sängerin Elisabeth Kaplan. Dazu sind die Instrumente immer wieder so präsent, dass sie im Lautsprecher zu sitzen scheinen. Blockflöten, schmachtende Streicher und oft perkussiv gespieltes Cembalo dominieren neben Schlagwerkeffekten. Vieles wirkt monton, wie ohne Strich und Punkt musiziert. Es gibt keine dynamischen Extreme, alles und jeder will scheinbar gleichbedeutend und dabei ganz vorne sein. So fehlt es den Nummern an jeweils individueller Atmosphäre, an der Aura der behaupten Abgründe und Unerklärlichkeiten. US

nuPro A-200 „Exzellentes Klangbild und enorme Tieftonpotenz“ HiFi Test 1/14 Highlight „Wer den ebenso feinen wie vollen Klang dieser Boxen einmal erlebt hat, will sich nie wieder mit einem Dock-Lautsprecher für iPhone & Co. begnügen. Eine Glanzleistung!“

„14 Tales of Mystery” Quadriga Consort (Deutsche Harmonia Mundi)

Calmus Ensemble

Madness a capella

AudioVideoFoto Bild 9/14

12/13

3/14

SIEGER

In ein Klangbad der fünf exzellenten Stimmen des Leipziger Calmus Ensembles entführt diese kurzweilige CD, die mit harmonisch aufregenden Werken des 16. und 17. Jahrhunderts Spielarten des Wahnsinns zum Klingen bringt. Wie kontrastreich das sein kann, hört man in den geschickt aufeinander abgestimmten Werken. So in Mateo Flechtas geradezu explodierenden, im beständigen Auf und Ab schwankenden Überlebensrufen der in Seenot geratenen Menschen in „La bomba“ und dem kontraststarken „Lamento“ der dem Wahnsinn und Suizid nahen Ariadne Monteverdis. Janequins „La guerre“ schildert den Wahnsinn des Krieges, bei Gesualdo spricht womöglich der Wahnsinn des Renaissancekomponisten selbst, hat er doch seine erste Ehefrau samt Geliebtem ermordet. Klug rahmen Orlando Gibbons „What is our life?“ und Thomas Tomkins „Too much I once lamented“ das Programm ein und erden es zugleich. Mit meisterhafter Variabilität erzählt das Calmus Ensemble diese existenziellen Geschichten, mit homogener Phrasierung, intonationsrein und mit klarer Diktion, ideal ausbalanciert und stets voller geheimnisvoll schimmernder Schönheit. US

„Madrigals of Madness” Calmus Ensemble (Carus) Track 9 auf der crescendo Abo-CD: „Lasciatemi morire!” aus: „Lamento d’Arianna” von Claudio Monteverdi

„Mit den hochpräzisen und äußerst bassstarken HiFi-Aktivboxen unserer nuPro-Serie wird Musikhören, Fernsehen oder Multimedia zum wahren Hör-Erlebnis!“ Boxenentwickler Günther Nubert A-200: Kompakt, fernbedienbar und pegelfest – 2x 100 Watt je Box. Modernste Lautsprecher und DSP-Technologie, plugand-play. Erhältlich in Schwarz oder Weiß. Auch kabellos mit optionalem Zubehör. Online ordern und 30 Tage testhören. inkl. 19% MwSt zzgl. Versand Preis pro Box: 345 Euro

Foto: Marco Borggreve

Lassen Sie sich begeistern!

Ehrliche Lautsprecher Günstig, weil direkt vom Hersteller Nubert electronic GmbH, Goethestraße 69, D-73525 Schwäbisch Gmünd ■ 30 Tage Rückgaberecht ■ Hörstudios in D-73525 Schwäbisch Gmünd, D-73430 Aalen und D-47249 Duisburg ■ Bestell-Hotline mit Profiberatung, in Deutschland gebührenfrei 0800-6823780

40

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


Foto: Monika Rittershaus

h ö r e n & s e h e n

Peter Sellars & Berliner Philharmoniker

Sensibel ausgedeutet Keine anderen Werke Johann Sebastian Bachs haben eine solche Tiefe, erschütternde Kraft und vielschichtige, immer wieder neu aufrüttelnde Musikalität wie seine Passionen. Kann die intensive Empfindung beim Zuschauer noch gesteigert werden, wenn er die Passionsgeschichte in einer halbkonzertanten Inszenierung miterleben kann? Was zunächst als skeptisch beäugte Idee begann, wurde unter den kundigen Händen von Regisseur Peter Sellars und Simon Rattle zu einem Riesen-Erfolg. 2010 mit der Matthäus-Passion, nun wiederholt mit der Johannes-Passion. Die Berliner Philharmoniker musizieren gewohnt großartig, besondere Erwähnung muss aber die wundervolle Solisten-Besetzung rund um den Evangelisten Mark Padmore, Camilla Tilling und Magdalena Kožená sowie der Rundfunkchor Berlin finden: Mit all ihren Empfindungen stürzen sie sich tief und voller Risiko hinein in die Bachsche Musik und Peter Sellars sensible Ausdeutung der Handlung. Auch der Chor singt auswendig, in allen Ecken der Philharmonie, durchmischt, auf dem Boden liegend. Selbst auf DVD (hochwertig aufbereitet mit umfangreichem Booklet) ein prägendes Erlebenis. CN

J. S. Bach: „Johannes-Passion“ Mark Padmore, Camilla Tilling, Magdalena Kožená, Christian Gerhaher, Topi Pehtipuu, Roderick Williams, Berliner Philharmoniker, Rundfunkchor Berlin, Sir Simon Rattle (Berliner Philharmoniker) Hartmut Haenchen

Miriam Feuersinger

Feurig-agil

Viva Italia!

2014 ist für das Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach ein herausragendes Jahr. Im März feierte es den 300. Geburtstag seines Namensgebers – und beendete kurz darauf die Konzerttätigkeit. Das Ensemble bestand aus Musikern aller Berliner Spitzenorchester und schrieb in den letzten 34 Jahren unter der Leitung von Hartmut Haenchen mit zahlreichen Wiedererstaufführungen und preisgekrönten Ersteinspielungen Musik- und Interpretationsgeschichte. Ein gutes Beispiel dafür ist die vorliegende Wiederveröffentlichung einer fesselnden Live-Aufnahme aus dem Jahr 1988. Auf zwei Sinfonien in G-Dur (Wq173 und Wq180) von C. P. E. Bach folgt sein fulminantes Magnificat. Solisten wie Peter Schreier oder Olaf Bär, ein feurig-agil singender Rundfunkchor Berlin und ein Orchester, das sowohl empfindsame langsame Sätze als auch hochvirtuose Passagen mit strahlender Leichtigkeit makellos meistert, machen daraus ein herausragendes Jubiläumsund Abschiedsfeuerwerk. STÖ

Italienisches Flair in Dresden – die heutige Hauptstadt Sachsens ist Dreh- und Angelpunkt der neuen Aufnahme des Zürcher Barockorchesters und Miriam Feuersingers. Johann David Heinichen etwa wurde direkt aus Venedig als Dresdner Hofkappellmeister abgeworben, Antonio Vivaldi schrieb sein Concerto in g-Moll für das Dresdner Orchester und auch die in Italien lebenden Johann Adolf Hasse und Giovanni Alberto Ristori komponierten für den sächsischen Hof. Der Einfluss Italiens ist deutlich spür- und hörbar. Dazu trägt nicht zuletzt das brillante Zürcher Barockorchester bei, dessen Solisten – allen voran Konzertmeisterin Renate Steinmann und Cembalist Jermaine Sprosse – restlos überzeugen. Es agiert aber auch als geschlossenes Instrumentalensemble wendig und kraftvoll. Miriam Feuersingers klare Stimme passt sich hervorragend ein und vervollständigt eine rundum gelungene Aufnahme. MW

CPE Bach: „Magnificat“ Rundfunkchor Berlin, Kammerorchester CPE Bach, Hartmut Haenchen (Brilliant Classics) Track 6 auf der crescendo AboCD: „Et Misericordia Eius“ aus: „Magnificat Wq 215, H 772“

„La Dresda Galante“ Miriam Feuersinger, Zürcher Barockorchester (klanglogo) Track 3 auf der crescendo Abo-CD: „M’affretta il Padre all’ara“ aus: „Lavinia a Turno“ von Giovanni Alberto Ristori 41


h ö r e n & s e h e n

Till Brönner

Entspannungsbogen „Wir sind alle mit Filmen aufgewachsen“, sagt Till Brönner, „unsere gesamte Kindheit ist eigentlich von Filmen geprägt. Und wenn ich mir angucke, was ich aufgenommen habe, ist da doch einiges dabei, was mich schon in früher Kindheit oder auch während meiner Zeit in der Schule schwerst beeindruckt hat, vor allem auch musikalisch.“ Auf The Movie Album zelebriert Till Brönner – Trompeter, Sänger und Produzent in Personalunion – deshalb die Kraft und Schönheit einiger der großen Soundtrack-Themen. Mit schwelgerischen Arrangements und Gästen wie Gregory Porter, Joy Denalane oder Arturo Sandoval präsentiert er etwa die „Love Themes“ aus Der Pate und Cinema Paradiso, die Titelmelodie von Il Postino, „Moon River“ aus Frühstück bei Tiffany’s, den Casablanca-Ohrwurm „As Time Goes By“ oder Pharrell Williams „Happy“ aus dem Zeichentrickfilm Despicable Me 2. Stilecht aufgenommen in einem von Frank Sinatra gegründeten Studio am Sunset Boulevard in Hollywood, spannt diese Musik einen sagenhaft sonnenscheinigen (und manchmal auch kompromisslos kitschigen) Entspannungsbogen über gut siebzig Jahre Filmmusik-Geschichte. Dass dabei etwas weniger mehr gewesen wäre, zeigt sich bei der Paradenummer „Mulholland Falls“, einem ebenso reduzierten wie raumgreifenden Duett mit dem Pianisten Frank Chastenier, das der Melodie von Dave Grusin so viel Platz gibt, dass sie ganz eigene Bilder im Kopf erzeugt. GB

Foto: Ali Kepenek

„The Movie Album“ Till Brönner (Verve)

Oscar Peterson

Jason Moran

Jazz

Renovierung Kennen Sie Fats Waller? Der 1904 geborene New Yorker gilt als der Vater des modernen Jazz-Pianos und hat sich in seinen nur 39 Lebensjahren außerdem als Sänger, Spaßvogel und Songschreiber hervorgetan. „Fats Waller war eine ganz besondere Sorte Provokateur“, meint der Jazz-Pianist Jason Moran (39). „Das hat hauptsächlich damit zu tun, dass er Sänger und Pianist war. Manchmal war er wie ein MC. Mich hat es immer fasziniert, dass ein Pianist, der so tiefgründig spielt, auch singen kann und damit einen Live-Kommentar dessen abgeben kann, was um ihn herum vorgeht.“ All das und mehr feiern Moran und die gesamtkunstwerkende Sängerin und Bassistin Meshell Ndegeocello auf All Rise, einem Tributalbum der besonderen Art. Entwickelt aus der „Fats Waller Dance Party“ am Harlem Gate House vor gut drei Jahren modernisieren Moran, Meshell und ein Haufen der besten New Yorker Jazz- und Soulmusiker Klassiker wie „Ain’t Misbehavin“, „Ain’t Nobody’s Business“, „Honeysuckle Rose“ oder „The Joint Is Jumpin“ so gekonnt, dass die Stücke ihre Authentizität behalten und zusätzlich an Aktualität gewinnen. Wer die Melodien kennt, freut sich über ihre Renovierung, wer sie bisher nicht kannte, nimmt sie als herrliche Neuentdeckungen wahr. Ein großer, tiefgründiger Spaß und vielleicht der beste Beweis, dass das Label Blue Note (und, mit Verlaub, auch der Jazz) nach 75 Jahren noch viel Spannendes in der Schnittmenge von Tradition und Innovation zu bieten haben. GB

„All Rise“ Jason Moran (Blue Note)

42

Mit Oscar im Wohnzimmer Der 2007 verstorbene Oscar Peterson war einer der größten Virtuosen des Jazz-Pianos und der berufene Nachfolger des legendären Art Tatum. Er produzierte mehr als 200 Alben, gewann acht Grammys und erhielt zahllose Ehrungen. Zu seinen diskographischen Highlights zählen die in den 1960er-Jahren in der Villa des Schwarzwälder Unternehmers, Labeleigners und Hifi-Pioniers Hans-Georg Brunner-Schwer aufgezeichneten Privatkonzerte, die Peterson mit seinem Trio für wenige geladene Gäste gab und die Jazz-Enthusiast HGBS auf seinem hauseigenen 24-Spur-Ampeg-Mischpult aufzeichnete. Diese wirklich intimen, völlig stressfreien, tief inspirierten Sternstunden seiner Kunst wurden damals auf Brunner-Schwers eigenem Jazzlabel MPS auf 6 LPs veröffentlicht und tauchten dann 1992 nochmals in einer CD-Version auf: Jetzt hat Edel die alten Magnetbänder einem aufwändigen, rein analogen Remastering unterzogen und sie auf seinem neuen LP-Label „AAA“ in einer schweren Pappbox im alten Artwork herausgebracht. Das klangliche Resultat dieser behutsamen Restaurierung ist schlicht sensationell: Petersons großer Steinway klingt jetzt genauso voluminös, druckvoll und haptisch, wie es sich Stereo-Pionier Brunner-Schwer damals vorstellte – als säße man selber an den Tasten. In dieser heimeligen Wohnzimmer-Atmosphäre gewinnen Petersons atemberaubende Virtuosität, seine überquellende Fantasie und seine egomanische Spielbesessenheit fast beängstigende Ausmaße: Als stünde man am Rande eines brodelnden Vulkans. CSa

„Oscar Peterson – exclusively for my friends” Oscar Peterson, Ray Brown, Sam Jones, Ed Thigpen, Louis Hayes, Bobby Durham (AAA)

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


h ö r e n & s e h e n

Neue Welten

Foto: PR

Villazón

Carolina Eyck

Imaginiertes Hologramm Der Finne Kalevi Aho, einer der erfindungsreichsten und technisch versiertesten Komponisten unserer Zeit, hat bisher nicht nur 16 Sinfonien geschrieben, sondern auch 21 Solokonzerte. 2011 entstanden, mit Begleitung eines kleinen Orchesters, das Hornkonzert und das Thereminkonzert Eight Seasons. Im stimmungsvollen Hornkonzert gelingt es ihm, naturtönige und wohltemperierte Stimmung in suggestive Wechselwirkung zu bringen. Für die phänomenale Theremin-Spielerin Carolina Eyck, die auch singt, schrieb er ein sowohl klanglich als auch formal höchst faszinierendes und balanciertes Konzert. Das stets einstimmige Theremin ist das einzige elektronische Instrument, auf dem ein der menschlichen Stimme adäquater gesanglicher Ausdruck möglich ist. Der Spieler ist eine Art Pseudometabolist, das Spiel ist koordinierte Bewegung in der Luft wie beim Abtasten eines imaginierten Hologramms, der Klang verstummt bei Berührung der Antenne. Ein grandioses Opus für ein Wunder der Physik. Unbedingt hörenswert! CS

Kalevi Aho: „Horn- & Thereminkonzert“ Carolina Eyck (BIS) 1B1

Holberg x 3 Drei Mal Edvard Griegs Holberg Suite – die originale Klavier- und die wenig später entstandene Streicherfassung sind bekannt und erfreuen sich vor allem in der norwegischen Heimat des Komponisten bis heute großer Beliebtheit. Das Projekt-Orchester „1B1“ präsentiert die auf alte Lied- und Tanzformen schielende Suite im französischen Stil denn auch, mit intensivem Ton und mit expressiven Farben aufgeladen, eher als Stück der Romantik, in der es entstand, als in der Schlichtheit der alten Formen, auf die es abzielt. Mit selbstbewusstem Anschlag, lyrischen Episoden und formaler Klarheit versteht der junge Norweger Christian Ihle Hadland das Werk am modernen Flügel. Schließlich noch eine dritte Version: Erlend Skomsvolls Recomprimprovariations mit Orchester und Klavier. Ein ebenso unentschiedenes Werk wie das Unwort, das dafür gefunden wurde. Es lauscht mal einzelnen Klängen und Aspekten nach, schlägt dann dezent bluesige und jazzige Farben an, wird mal atonal, lässt Musik zerfallen, um dann wieder wohlig tonale Motive zu umspielen. Das wirkt recht beliebig: die große Linie, ein tragender Grundgedanke fehlt. US

Rolando Villazón at his Best!

Edvard Grieg: „Holberg Variations“ 1B1, Jan Bjøranger, Christian Ihle Hadland, Erlend Skomsvoll (Simax classics) Track 1 auf der crescendo Abo-CD: „Praeludium“ aus: „Holbergs Zeit – Suite für Streichorchester op. 40“

Vier Recitals jetzt günstig 43

rolando-villazon.de


Neuheiten bei Berlin Classics

2CD · 0300593BC

h ö r e n & s e h e n

Brandenburgische Konzerte Johann Sebastian Bach

CONCERTO KÖLN Foto: Edition Ausblick

Concerto Köln lässt die Brandenburgischen Konzerte in neuem Glanz erstrahlen. Einzigartig: die Soloauftritte der eigens für diese Einspielung rekonstruierten Echoflöten im vierten Konzert.

2CD · 0300552BC 3LP · 0300609BC

Buch

6 Suiten für Violoncello solo Johann Sebastian Bach

ISANG ENDERS Bach erforscht die Möglichkeiten des Cellos geistreich und geerdet zugleich. Isang Enders bringt mit jugendlichem Elan und überragender Technik Überschwang, Präzision und Geist zusammen.

Eduard Klell

Gemalte Oper Das 18. Jahrhundert geht zu Ende, und ein Werk für die Ewigkeit wird geboren: Die Zauberflöte von Mozart und Schikaneder ist bis heute die weltweit meistgespielte Oper, jedes Jahr. Egal, in welcher Inszenierung, ob als experimentelle Neudeutung oder traditionelles Theater – die Figuren, die Handlung, die Musik begeistern und faszinieren. Viele Künstler haben sich mit ihr auseinandergesetzt, und für den Tiroler Maler Eduard Klell (1924–2008) war sie ein Thema, dem er sich in seinem umfangreichen Schaffen über Jahrzehnte immer wieder zugewendet hat. Ihn interessierte vor allem der sinnliche, emotionale Aspekt der Frauen in diesem Stück, deren Kraft in Körperlichkeit und Sinnlichkeit ihren besonderen Ausdruck gefunden hat. Listig und lustvoll hat er die Figuren in eine moderne Welt eingebettet. So versammelt dieses Buch den Text in seiner ursprünglichen Fassung, Bilder und Dokumente, Biografisches und Anekdotisches – und die Bilderwelt eines von der Musik und ihrem Assoziationsreichtum begeisterten Malers. Mit diesem aufwändigen Text-Bild-Band hören Sie Die Zauberflöte mit anderen Augen. RDE

„Die Zauberflöte. Eine Sternstunde der Kunst“ Eduard Klell (Edition Ausblick)

3CD · 0300597BC

Adam Laloum, Julien-Laferrière, Raphael Sévère

Klavierkonzerte Nr. 1-5 Tripelkonzert Ludwig van Beethoven

MARI KODAMA

Deutsches Symphonie-Orchester Berlin

KENT NAGANO

Eine Einspielung des Beethovenschen Klavierzyklus auf höchstem Niveau – außergewöhnlich kontrastreich und von großer Intensität.

Fräulein Klarinette Richard Mühlfeld war ein großer Mann, von kräftiger Statur und mit einem dunklen Bart. Er spielte Violine in der berühmten Meininger Hofkapelle. Aber eigentlich war er Klarinettist. Das Spielen des Instruments hatte er sich autodidaktisch erarbeitet, und immer wieder sprang er als solcher in Konzerten der Kapelle ein. Als Johannes Brahms den Musiker 1891 zum ersten Mal spielen hört, hat er eigentlich gerade den Entschluss gefasst, mit dem Komponieren aufzuhören. Doch Mühlfelds sanfter, singender Klang gibt ihm den Anstoß seine letzten Kammermusikwerke zu komponieren. Brahms schreibt das Trio in a-Moll für Klarinette, Violoncello und Klavier, ein Klarinettenquintett und die beiden Sonaten für Klarinette und Klavier Op. 114. Alle Stücke führt er gemeinsam mit Mühlfeld, den er liebevoll und in Anspielung auf dessen graziöses Spiel „Fräulein Klarinette“ nennt, in einigen Konzerten auf. Wenn man das Spiel des jungen Klarinettisten Raphaël Sévère hört, kann man die spontane Begeisterung des 57-jährigen Brahms gut nachempfinden. Die Klarinette schluchzt, singt und säuselt. Sévères Klang ist weich, aber dennoch klar artikuliert. Die Aufnahme des Trios und der beiden Sonaten besticht durch angenehme Schlichtheit. Gemeinsam mit dem Cellisten Victor Julien-Laferrière und Pianist Adam Laloum gelingt ein abwechselnd von Intimität und ausgelassener Spielfreude geprägtes Zusammenspiel. SK

JETZT IM HANDEL SOWIE ALS DOWNLOAD ERHÄLTLICH. Weitere Informationen und den Katalog erhalten Sie bei: Edel Germany GmbH, Hamburg · Telefon (040) 89 08 53 13 www.edelclassics.de

Videos auf youtube.com/berlinclassics

Brahms: „Sonaten Nr. 1 & 2 für Klarinette & Piano“ Adam Laloum, Victor Julien-Laferrière, Raphael Sévère (Mirare) 44

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


TUTTO PUCCINI

h ö r e n & s e h e n

Orchester

Musikkollegium Winterthur

Luft nach oben

Man darf sich vom etwas impulslosen, wenig markanten Beginn nicht irritieren lassen, denn diese Neueinspielung von Mendelssohns Lobgesang wächst von Minute zu Minute, bekommt mehr Halt und Kraft, setzt auf einen eher würdevollen Duktus als auf die rhythmische Raffinesse des Tonsatzes. Freilich, man wird leicht Interpretationen mit packenderem Zugriff finden, Riccardo Chaillys grandiose Leipziger Aufnahme etwa, doch Douglas Boyd am Pult des Musikkollegiums Winterthur bereitet im orchestralen ersten Drittel konsequent den Kantatenteil dieses sinfonischen Hybrids mit Chor und Solisten vor. Einst zum 400-jährigen Jubiläum des Buchdrucks entstanden, ist dieser bürgerlich-festliche Charakter sicherlich richtig. Allerdings bleibt hier auch alles recht handzahm, übersichtlich, ja domestiziert. Das Orchester könnte brillanter klingen, die Motive klarer heraustreten, die Steigerungen energievoller sein. Nein es gibt eigentlich nichts zu mäkeln – und doch spürt man, dass da mehr sein könnte, mehr an Klangpracht, mehr an Form und Tiefe, denn so gesetzt wie das hier klingt, ist das Werk dann doch nicht. US

Zum 90. Todestag

GIACOMO PUCCINIS SÄMTLICHE OPERN auf DVD und Blu-ray

Felix Mendelssohn: „Symphonie Nr. 2, Lobgesang” Musikkollegium Winterthur, Douglas Boyd (MDG)

Exklusive limitierte Sammleredition 22 Stunden hochkarätige Opernmusik

Das Musikkollegium Winterthur und Chefdirigent Douglas Boyd

Hochwertiges umfangreiches Buch mit wertvollen Hintergrundinformationen und seltenen Fotografien

Foto: Musikkollegium Winterthur

Mit Luciano Pavarotti, Daniela Dessì, Eva Marton, José Carreras, Riccardo Muti, Lorin Maazel, Carlo Rizzi und vielen anderen bekannten Stars der Oper

DVD: 107541 · Bluray: 107547

Robin Ticciati, Scottish Chamber Orchestra

Frischer Wind mit G’schmäckle Eine erstaunliche Welle von Schumann-Zyklen ist in diesem Jahr über uns gekommen: Während Karl-Heinz Steffens mit der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz eine üppig romantische Aufnahme vorlegte und Simon Rattle mit seinen Berliner Philharmonikern einen zutiefst überzeugenden Mittelweg zwischen Tradition und Moderne fand, schockierte Yannick Nezét-Seguin mit einer heftig umstrittenen Gesamtaufnahme. Nun folgt Robin Ticciati, der derzeitige Chef des Scottish Chamber Orchestra. Vom ersten Ton an ist klar: Auch er gehört zu den Revolutionären, die – koste es, was es wolle – den Staub aus diesen oft missverstandenen Werken pusten möchten. Das wirkt leider arg gewollt, und Ticciati entfernt sich vor allem bei den von ihm hoch dramatisch angelegten Tempoverlagerungen zudem nicht selten vom Notentext. Spannend anzuhören ist das allemal, auch wegen des erfrischend klein besetzten Orchesters. Aber es hat auch ein „G’schmäckle“. RA

Robert Schumann: „The Symphonies“ Robin Ticciati, Scottish Chamber Orchestra (Linn) Track 4 auf der crescendo Abo-CD: „Romanze“ aus „Sinfonie Nr. 4 d-Moll op. 120 (Version 1851)“

Jetzt im Handel erhältlich!

45

Im Vertrieb der NAXOS DEUTSCHLAND GmbH www.naxos.de · www.naxosdirekt.de


h ö r e n & s e h e n

Oper

W. A. Mozart

Höchst viril

Kennen Sie Macerata? Die Stadt in den italienischen Marken ist Heimat eines kleinen, feinen Opernfestivals und zweier sehenswerter Spielstätten: das Sferisterio, ein in den 1820er-Jahren erbautes, imposantes Amphitheater, sowie ein Juwel aus dem 18. Jahrhundert namens Teatro Lauro Rossi. Dieses bot den perfekten Rahmen für die Don Giovanni-Produktion des Altmeisters Pier Luigi Pizzi, in der Ildebrando D’Arcangelo bereits fünf Jahre vor seinem Rollendebüt bei den Salzburger Festspielen 2014 den Titelhelden verkörperte. Stimmlich souverän und kraftvoll gab er einen klar konturierten, provokanten Don Giovanni – sehr sportlich, höchst viril, sexsüchtig und mit einer großen, auch sinnlichen Vertrautheit zu seinem Diener Leporello. Sein Ende ist folgerichtig eine andere Höllenfahrt: Lustvoll überfallen ihn nackte Körper. Ein packendes Stück Musiktheater mit einem intensiv agierenden, jungen Ensemble. AR

Foto: Alfredo Tabocchini

Wolfgang Amadeus Mozart: „Don Giovanni“ Ildebrando D᾽Arcangelo, Andrea Concetti, Enrico Giuseppe Iori, Myrto Papatanasiu, Marlin Miller, Carmela Remigio, Fondazione Orchestra Regionale delle Marche, Riccardo Frizza (Cmajor)

Tanz sandrine

piau sara

werner

güra

christopher

purves

c julien mignot

mingardo

Neu gegründetes Originalklang-Orchester Insula Orchestra unter Leitung von Laurence Equilbey Zu hören bei der Salzburger Mozartwoche 2015: Mozart Krönungsmesse am 01. Feb 2015

Alexander Ekman

Wasserspiele

Den Versionen von Tschaikowskys Schwanensee fügt der schwedische Choreograf Alexander Ekman mit A Swan Lake eine weitere Lesart hinzu, die 2014 in Oslo ihre Uraufführung erlebte. Der schwedische Komponist Mikhael Karlsson schrieb die Musik neu und verarbeitete nur wenige Motive Tschaikowskys. Die Bühne gestaltete Ekman selbst – 21 Türen im 1. Akt, wo die Schauspieler Gunnar Røise/The Artist und Fridtjov Sáheim/The Producer über das Musical The Swan Lake City diskutieren. Eine bizarre Gesellschaft in Kostümen aus rosa Seide vom dänischen Starmodedesigner Henrik Vibskov mit einer schrillen Operndiva (Elisabeth Teige) bewegt sich in einem Mix aus Slapstick, Pantomime und Comedy-Gestus. Der 2. Akt spielt heute auf einem gefluteten Boden, wo bei den Bewegungen der Tänzer das Wasser in hohen Fontänen aufspritzt. Das bringt imposante Effekte, tänzerisch aber nichts. Die zentralen Figuren des Weißen und Schwarzen Schwans (Camilla Spidsøe/ Melissa Hough) erscheinen lediglich in der Szene „Black meets White“, wo Odette von Odile geschlagen wird und darauf doch mit zärtlichen Gesten reagiert. Prinz Siegfried (Philip Currell) bleibt eine Episodenrolle. Bei einer „Beach Party“ fallen Plastik-Enten vom Himmel, prustet ein Musiker in eine Tuba, latscht ein Mann in Eimern herein, bis die Diva den Fön ins Wasser fallen lässt und damit für einen Kurzschluss samt Chaos sorgt. Das Finale des 2. Aktes im strömenden Gewitterregen ist eine Orgie aus im Wasser planschenden Gestalten, die sich 427 Jahre später im 3. Akt in monströsen Roboter-Kostümen aus Neopren vor dem enthusiasmierten Publikum verbeugen. BH

„A Swan Lake“ Alexander Ekman (Arthaus) 46

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


h ö r e n & s e h e n

Die Christoph-Schlüren-Kolumne

Unerhörtes & Neu Entdecktes

Böhmischer Zauber & finnische Magie Gesamteinspielungen sind selten erfreulich, findet unser Kolumnist – und empfiehlt zwei Œuvres von Sibelius und Dvořák, die herausragen.

W

enn es um Gesamteinspielungen geht, sind meine Erfahrungen selten erfreulich. Meist ist vielleicht das ein oder andere ganz ordentlich, doch der Großteil wird Opfer mehr oder weniger hochstehender Routine. Und vieles möchte man so lieber nicht hören. Wenn ich nur an all die Beethoven-SinfonienZyklen denke, mit denen uns Jahr für Jahr vorgeblich neue Errun­ genschaften vorgegaukelt werden! Umso überraschender und beglückender, wenn es dann doch einmal umfassend gelingt, und das gleich in zwei Fällen. Jiří Bĕlohlávek, mittlerweile wieder Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie und zweifellos der stärkste Exponent des böhmischen Repertoires seit dem legendären Václav Talich, hat mit seinen Pra­ ger Musikern auf der Basis von Konzertaufführungen eine Gesamt­ aufnahme der Sinfonien und Solokonzerte Antonín Dvořáks vor­ gelegt, in welche lebenslange Widmung und Erfahrung eines her­ ausragenden Musikers, einem Vermächtnis gleich, einfließen. Und John Storgårds, ursprünglich Geigenvirtuose und heute zusammen mit Sakari Oramo der eminenteste Musiker unter Finnlands Diri­ genten, hat mit dem in Manchester ansässigen BBC Philharmonic als erster Gastdirigent die Sinfonien von Jean Sibelius in so tiefgrün­ dig erfassender wie unmittelbar mitreißender Weise eingespielt. Beide Zyklen sind von solch einmaliger Qualität, dass sie nicht nur alles weit überragen, was in den letzten Jahr­ zehnten auf den Markt gekommen ist, und das ist im Falle von Sibelius doch eine Menge. Ich gehe so weit, und da spielt die exzellente Tontechnik auf dem Stand unserer Zeit nur eine beiläufige Rolle, hier von den Referenzaufnahmen in der Aufnah­ megeschichte überhaupt zu sprechen. Das bedeu­ tet nicht, dass alles ideal ist, was zugleich bedeu­ tet, dass es keinen durchgehenden Idealfall gibt. So tritt etwa das Blech in der Tschechischen Phil­ harmonie durchaus gelegentlich mächtiger in den Vor­ dergrund, als dies zu wünschen wäre, und in den letz­ ten Sinfonien mag Talich das unübertroffene Vorbild bleiben. Und so herrlich Storgårds es versteht, die for­ malen Proportionen und unkonventionellen Kontraste

bei Sibelius in organischer Beziehung erstehen zu lassen, ist doch die Empfindung kontinuierlicher Temposteigerung im Kopfsatz der Fünften Sinfonie in Stockholm unter Celibidache noch bezwingen­ der realisiert worden. Da kann der interessierte Hörer in Einzelfäl­ len noch besser beraten sein, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass er heute im Konzert eine bessere Aufführung auch nur einer dieser Sinfonien hören wird. Bei Dvořáks drei Solokonzerten hängt natür­ lich ebenso Wesentliches vom Solisten ab. Im Fall des Violinkonzerts freilich dürfte Frank Peter Zimmermanns geigerisch phänomenale, auch mit immensem Schwung, Emphase und kantabler Noblesse bestechende Darbietung schwerlich zu übertreffen sein – auch dies eine neue Referenz! Und mit Garrick Ohlsson im Klavierkonzert und Alisa Weilerstein im Cellokonzert sind weitere hochkarätige Virtuosen mit von der Partie. Bĕlohláveks Aufführungen sind von bezaubernder Natür­ lichkeit, klarem Strukturbewusstsein und exquisiter Klangkultur geprägt, und das böhmische Musikantentum liegt ihm, der auch ein vortrefflicher Mozart-Dirigent ist, im Blut. Sogar die sonst eher schwerfällig wirkende Erste Sinfonie „Die Glocken von Zlonice“ wirkt hier erstaunlich geschlossen, und überhaupt kommen die frühen vier Symphonien mehr noch als einst unter Kubelik in ihren reichen Potentialen zu angemessener Entfaltung. John Storgårds schenkt uns einen Sibelius, der manchen fast als „Quadratur des Kreises“ erscheinen mag, indem das unerbittliche Momentum, wie es ein Berglund verkörperte, sozusagen mit der narrativen Magie eines Segerstam und der leidenschaftlichen Drama­ tik eines Barbirolli zu höherer Einheit transzendiert wird. Gerne hätten wir auch noch die Kullervo-Symphonie und die Lemminkäinen-Legenden gehört. Sollten wir Sibelius bisher nicht wirklich verstanden haben, Storgårds und seine Musiker geben uns einen magischen Schlüs­ sel zu dieser dunkel glühenden, abenteuerlichen und geheimnisvoll originalen Welt in die Hand. Dvorák: „Complete Symphonies & Concertos“ Alisa Weilerstein, Frank Peter Zimmermann, Garrick Ohlsson, Czech Philharmonic Orchestra, Jirí Bĕlohlávek (Decca) / Sibelius: „Complete Symphonies. Three Late Fragments“ BBC Philharmonic, John Storgårds (Chandos) 47


A k u s t i k

Maria Callas (1923–1977)

48

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


Mehr Kilo-Herz für die Primadonna Hochwertiges Remastering bedeutet heute einen ähnlichen technischen und personellen Aufwand wie eine Neuaufnahme. Doch Warner Classics hat sich diese Mühe gemacht und veröffentlicht alle Studioproduktionen der Opernlegende Maria Callas auf 69 CDs – in hervorragender Qualität, behauptet unser Autor Attila Csampai.

Fotos: Erico Piccagliani / Warner Classics; Sabine Weiss / Warner Classics

S

chönheit verblüht, aber Wahrheit altert nicht. Maria Callas, das wird heute, 37 Jahre nach ihrem Tod, immer deutlicher, war nicht nur die alles überragende Primadonna assoluta des 20. Jahrhunderts, sondern die radikalste Wahrheitssucherin, die je die Gesangsbühne betreten hat. Sie beanspruchte stets das Ganze, die Totalität der Empfindungen, und suchte bis in die Wurzel jeder Phrase, jedes einzelnen Tones, nach dessen dramatischem Sinn, seinem Wahrheitsgehalt, seinem menschlichen Kern. Und sie hielt bis zuletzt vehement daran fest, dass Kunstgesang grundsätzlich nur der glaubhaften Darstellung des menschlichen Seelenzustandes zu dienen habe. So demolierte sie die zuvor mehr als zweihundert Jahre lang geltenden Gesetze der weiblichen Gesangsästhetik, die für Frauen nur Opferrollen vorsah, zerschmetterte die alten Konventionen der Passivität, der Unterordnung, des „eingeschnürten“ Ausdrucks und kreierte ihren eigenen, emanzipatorischen Begriff von Schönheit. Der Mythos Callas verdankt sich auch ihrer umfangreichen Diskographie: Unter Aufsicht des EMI-Produzenten Walter Legge entstanden zwischen 1953 und 1965 24 Operngesamtaufnahmen und 11 Recitals. 1969 nahm sie in Paris noch ein halbes Dutzend Verdi-Arien auf, die sie nie freigab. Diese späten Raritäten sowie ihre ersten beiden für die italienische Cetra produzierten MonoAufnahmen von La Gioconda (1952) und La Traviata (1953) plus ihr allererstes Recital von 1949 sind jetzt von Warner Classics in den Abbey Road Studios komplett neu remastered worden und vereinen zum erstenmal ihre „Complete Studio Recordings“ in einer aufwändigen 69-CDEdition. Fast alle bisherigen Digital-Transfers ihres analogen Vermächtnisses klangen nämlich unbefriedigend, und selbst die 1997 in Angriff genommene EMIGesamtedition tönte streckenweise unnatürlich scharf, übersteuert und synthetisch – wie lieblos gefertigte Digital-Kopien. Hochwertiges Remastering bedeu-

tet heute einen ähnlichen technischen und personellen Aufwand wie eine Neuaufnahme. So hat man jetzt den gesamten Bestand von den alten, analogen Mutterbändern neu ins hochauflösende 24bit/96kHz-Format überspielt und sich bemüht, ohne Kosmetik möglichst nah am Originalklang der alten Analogmasters zu bleiben. Das Resultat ist durchwegs ziemlich sensationell und hebt sich deutlich ab von allen früheren CD-Pressungen: Die Stimme der Callas klingt einfach angenehmer, wärmer, natürlicher, befreit von der überdrehten Schärfe und dem künstlichen Hall der ersten EMI-CDs. Und sie ist jetzt viel besser eingebettet in einen homogenen, schöner aufgelösten und präziser fokussierten Orchesterklang. Selbst die alten Monoaufnahmen bieten mehr Tiefe, Farbe und Feinzeichnung. So ist die akustisch eng und dünn tönende frühe „Tosca“ von 1953, eine ihrer größten Taten, jetzt kaum wiederzuerkennen: Jetzt erst spürt man das ganze Ausmaß ihrer einzigartigen, furchterregenden Gestaltungskunst. Fast alle ihrer einzigartigen Rollenprofile, ob Verdis Leonora, Donizettis Lucia, Bellinis Norma oder Rossinis Rosina, strahlen jetzt noch intensiver, ihre Phrasierungskunst, ihr Farbenreichtum, ihr gestalterisches Arsenal sind jetzt bis in die feinsten Nuancen ausgeleuchtet und hautnah erlebbar – wie bislang nur auf exzellenten Analogpressungen. So erscheinen der Mythos Callas und ihre unsterblichen Musikgestalten nunmehr einerseits deutlich vermenschlicht, andererseits wirkt diese von aller Patina befreite künstlerische Überlegenheit jetzt noch unbegreiflicher, noch erschütternder. Für knapp 200 Euro gibt es die ganze Callas endlich in unverfälschter Klangpracht. Attila Csampai Maria Callas Remastered

The Complete Studio Recordings (1949–1969); 26 Opern und 13 Recitals (Warner Classics)

Track 2 auf der crescendo Abo-CD: Arie „Una voce poco fa“ von Rossini

49


r e s o n a n z

Rätsel des klassischen alltags Was verbirgt sich hinter diesem Text? Ich gehöre zur Königsklasse der Kunst! Musikalisch gesehen bin ich gar das Höchste der Gefühle. In denen suhle ich mich gerne so richtig. Und gerne richtig lange. Dabei habe ich auch ein Herz für diejenigen, die meine umfassende Emotionalität, meine ergreifende Schönheit oder meine musikalische Komplexität erst beim zweiten Hören verstehen können: Die Geschichte wollte es so, dass ich mich immer wiederholte. Und zweimal litt oder liebte, schrie oder säuselte, anklagte oder anmachte. Der Teil in der Mitte, der reichte einmal. Aber der Anfang? Der war gleichzeitig das Ende. Diese ewigen Wiederholungen! Ich habe den Verdacht, dass Sie im Publikum mir manchmal zum Schluss schon nicht mehr richtig zuhörten. Oder warum bitte entschlossen sich Regisseure und Dirigenten irgendwann, mir einfach das Ende der Geschichte zu rauben? Was glauben Sie, was das für ein Affront war? Ja ja, diese schnelllebige Zeit. Irgendwann schlossen sich sogar die werten Herren Komponisten an und nahmen mir die regelmäßige Struktur. Mir sagten sie, das würden sie der Schönheit wegen machen – damit ich noch schöner strahle, damit ich noch mehr

Ausdrucksmöglichkeiten und Überraschungsmomente habe. Pah! Als ob ich das nötig hätte! Wenn Sie mich fragen, sollte alles nur schneller gehen und die Regisseure wollten sich nicht noch länger an mir aufhalten. Denn, das gebe ich zu, voran geht es mit mir nicht. Dafür bin ich aber auch nicht gemacht. Ich bin dazu da, zu verharren und mich um den Menschen dahinter zu kümmern. Lassen Sie mich doch berichten, wie es sich anfühlt, da drinnen im Herzen! Aber nun genug gejammert, denn ich habe auch große Triumphe zu verzeichnen. Dieser Mozart, wissen Sie, der aus Wien, nach dem man diese Schokoladenkugeln benannt hat – der hat mein echtes Potenzial erkannt! Der hat dafür gesorgt, dass ganze Menschenscharen nur wegen mir in die Oper kommen – weil sie, voyeuristisch wie ihr Menschen seid, wissen wollen, ob die Sopranistin mich bändigen kann. Ja, der Mozart, der hat mich in solche Höhen hinausgeschleudert, dass einem beim Hören ganz schwindelig wird. Gott sei Dank bin ich persönlich ja unempfindlich. Aber es stimmt schon: Die Sänger, die mit mir konfrontiert werden, haben es da oft nicht ganz so leicht. Na, wer bin ich?

rätsel lösen und „The Fairytale Ballets“-Box gewinnen! Was ist hier gesucht? Wenn ­Sie die Antwort kennen, dann schreiben Sie Ihre Lösung unter dem Stichwort „Alltags-Rätsel“ an die crescendo-­Redaktion, Rindermarkt 6, 80331 München oder per E-Mail an redaktion@crescendo.de. Unter allen richtigen ­Einsendungen verlosen­wir die DVD-Box „The Fairytale Ballets“ (Opus Arte). Einsendeschluss: 15. November 2014. Viel Glück! Die Gewinnerin unseres letzten Alltags-Rätsels ist Mareike Marius aus Berlin. Die richtige Lösung war „Hosenrolle“.

LeserBriefe Diesmal: Zwei Mal Lob und Post von einem (offensichtlichen) Elīna-Garança-Fan. Betreff: Hope in Hollywood.

Betreff: Hollywood in den 40ern

Betreff: Elīna Garança

Ihr crescendo-Magazin hat bei uns zu Hause, mein Mann ist für das Fundraising des Menuhin Festival Gstaad zuständig, richtige Euphorie ausgelöst. Wir haben übers Wochenende beide immer wieder darin gelesen, und ich musste es jetzt gerade abgeben, da mein Mann mit dem Zug nach Zürich und Lugano fährt und für diese lange Reise das crescendo mitgenommen hat … Der Artikel über und von Daniel Hope hat uns sehr gefreut. Seine Mutter Eleanor Hope war ja über lange Jahre die rechte Hand von Yehudi Menuhin, und Daniel ist sozusagen über viele Sommer hier in Gstaad aufgewachsen. Wir kennen ihn deshalb sehr gut. Also herzliche Gratulation zum tollen Magazin!

Liebe crescendo-Redaktion, Ihr Schwerpunkt über die Exil-Komponisten in den 40ern hat unseren Musikkreis sehr berührt. Ich habe selbst mehrere Jahre in Los Angeles gelebt und kann Ihnen versichern, dass diese Stadt für Menschen wie Korngold, Schönberg und Jurmann nicht gerade eine Traumdestination ist. Los Angeles ist von Wien, Budapest, Berlin und Mailand nicht nur geografisch meilenweit entfernt, sondern auch kulturell. Eine Traumfabrik wie Hollywood dürfte für einen Komponisten in den ersten Jahren ein ziemlicher Kulturschock gewesen sein! Das war es sogar für mich, der ich aus beruflichen Gründen erst in den 60er-Jahren nach Kalifornien ziehen musste.

Hallo crescendo, ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass die neue CD von Elīna Garança großartig ist? In Ihrem Interview mit der (großartigen) Sängerin gehen Sie meines Erachtens viel zu wenig darauf ein. Manchmal darf man auch Werbung für eine Platte machen – wenn sie gut ist (wie im Falle von Garança!!). Da wünscht man sich mehr davon. Aber schön, dass Elīna Garança auch mal auf dem Cover ist. Sonst natürlich ein super Heft, wir lesen jede Ausgabe. Weiter so.

Marlène Tschanz, Leiterin Marketing & Kommunikation Gstaad Menuhin Festival & Academy

Erich Schumann, aus Bielefeld, per E-Mail.

50

Klaus-Peter Hoff, per E-Mail. Anm. d. Red.: Lieber Herr Hoff, das mit dem neuen Album „Meditation“ sehen wir genau so. Deshalb haben wir Elīna Garança auch gerne aufs Cover der Premium-Ausgabe genommen.

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


Erleben Die wichtigsten Termine und Veranstaltungen im Überblick (ab Seite 52) Die Cello-Party von Johannes Moser in Frankfurt (Seite 58). Das unglaubliche Comeback von Kate Bush (Seite 60)

22. bis 30. November, Luzern, Lucerne Festival am Piano

Überraschungsmomente viel Zeit zu brauchen, um diesen Werken gerecht zu werden. In dem einst von Claudio Abbado gegründeten Mahler Chamber Orchestra fand er den kongenialen Partner, um sich auf die Überraschungsmomente in Beethovens Partitur einzulassen und auch das Publikum mit seiner interpretatorischen Entdeckerfreude mitzureißen. Andsnes dirigiert das Orchester vom Flügel aus und erreicht damit eine ungeheure Intensität des Zusammenspiels. Luzern, Lucerne Festival am Piano, verschiedene Spielorte, 22. bis 30.11., www.lucernefestival.ch

Foto: Deniz Saylan

Der norwegische Pianist Leif Ove Andsnes besitzt dezidierte Vorstellungen, welche Richtung seine Interpretation nehmen soll. Mit dem Mahler Chamber Orchestra hat er sich vorgenommen, Beethovens Klavierkonzerte ganz neu zu entdecken und das Klischeebild des heroischen Beethoven zu überwinden. „Ich empfinde Beethovens Musik als zutiefst menschlich und durchgeistigt zugleich“, schildert er seine Gefühle. In der Piano-Woche interpretiert er an zwei Abenden alle fünf Klavierkonzerte Beethovens. Schon als Kind hatte er die Konzerte gehört und sie als große fremde Welt empfunden. Später habe er den Eindruck gehabt,

51


e r l e b e n

Oktober / November 2014

Die wichtigsten Veranstaltungen auf einen Blick Ihr persönlicher Navigator für Premieren, Konzerte und Festivals 10. November, Wuppertal, Historische Stadthalle

Farbigkeit & Fantasie

15.10. Mainz Staatstheater My Private Odyssey/G. Weizman, R. Haver (Ballett, UA) 17.10. Gera GroSSes Haus Iphigenie auf Tauris/C. W. Gluck 17.10. Düsseldorf Opernhaus b.21 Serenade/G. Balanchine; Uraufführung/H. v. Manen; Johannes Brahms - Symphonie Nr. 2/M. Schläpfer (Ballett, UA) 17.10. Köln Oper Jolanthe/Pjotr Iljitsch Tschaikowskij 17.10. Lübeck GroSSes Haus La Bohème/G. Puccini 17.10. Schwerin Mecklenburgisches Staatstheater Rusalka/A. Dvorák 18.10. Mainz Staatstheater Simplicius Simplicissimus/ K. A. Hartmann 18.10. Salzburg (A) Landestheater Der Nussknacker/P. I. Tschaikowsky 18.10. Dresden Semperoper Das schlaue Füchslein/L. Janácek 18.10. Karlsruhe Staatstheater Verlobung im Traum/H. Krása (Dt. EA) 18.10. Freiburg E-Werk Die drei Rätsel/D. Glanert 19.10. München Staatsoper Die Sache Makropulos/L. Janácek 19.10. Hamburg Laeiszhalle Jeanne d‘Arc au bûcher/A. Honegger (konzertant) 20.10. Berlin Konzerthaus 2xhören/Horenstein Ensemble: Philaki Gefängnis von Samir Odeh-Tamimi 21.10. München Gärtnerplatztheater Peter Grimes/Benjamin Britten 21.10. Ludwigsburg

52

Khatia Buniatishvili

Foto: Julia Wesely

premieren

Die georgische Pianistin Khatia Buniatishvili gehört zu jenen herausragenden Musikerinnen, die unbeirrt ihren Weg gehen. Weder von Traditionen, noch von Konventionen lässt sie sich bei ihren Interpretationen beeinflussen. Einzig ihr musikalisches Gefühl leitet sie. Kritiker feiern sie bereits als Martha Argerichs Nachfolgerin. Farbigkeit und Fantasie verleihen ihrem Spiel eine unverwechselbare Einzigartigkeit. Im Duo mit dem französischen Geiger Renaud Capuçon gestaltet sie die Silver-Circle-Gala des Klavier-Festivals Ruhr. Beide lieben die Kammermusik. Buniatishvili schätzt den Kontakt mit Menschen in der Musik, und Capuçon entdeckte bereits in ganz jungen Jahren seine Leidenschaft für das intime Zusammenspiel. Vier romantische Stücke von Antonín Dvořák, die dritte Violinsonate von Edvard Grieg und die glutvolle Sonate für Klavier und Violine in A-Dur von César Franck bestimmen das musikalische Tête-à-Tête. Wuppertal, Historische Stadthalle, 10.11., www.klavierfestival.de

Forum am Schlosspark Cedar Lake Contemporary Ballet, New York (Ballett) 24.10. Salzburg (A) Oval - die Bühne im Europark Non(n)sens/Dan Goggin (Musical) 25.10. Salzburg (A) Landestheater Rigoletto/G. Verdi 25.10. Gera Bühne am Park Briefe des v. Gogh/G. Frid (Mono-Oper) 25.10. Bremen Theater am Goetheplatz Anna Karenina/Drei Atmosphären von Thomas Kürstner und Sebastian Vogel 25.10. Stuttgart Opernhaus Jakob Lenz/W. Rihm 25.10. Flensburg Stadttheater Giselle/A. Adam, G. Mahler, M. Ravel 25.10. Cottbus Staatstheater Gräfin Mariza/E. Kálmán 26.10. Mainz Staatstheater Der Barbier von Sevilla/G. Rossini 26.10. Heidelberg Marguerre-Saal Echnaton/P. Glass (Oper) 26.10. Flensburg kleine Bühne Hänsel und Gretel/E. Humperdinck 31.10. Weimar Nationaltheater Der Rosenkavalier/R. Strauss 31.10. Zwickau Gewandhaus Lucia di Lammermoor/G. Donizetti 1.11. Berlin Schlossplatztheater Der geheimnisvolle Dr. Ox/ Junge Oper Berlin 2.11. Nürnberg Staatstheater Hänsel und Gretel/Engelbert Humperdinck 2.11. Berlin Komische Oper Das Gespenst von Canterville/M. F. Lange 7.11. Dresden Semperoper Arabella/R. Strauss 8.11. Leipzig Oper Aladin und die Wunderlampe/N. Rota 8.11. Braunschweig Kleines Haus

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


Fotos: Harald Hoffmann / DG; Gisela Schenker; Nadia F. Romanini / ECM Records; Jean Francois Leclercq; Bob Coat; Margaret Malandruccolo / DG; Lisztfestival Raiding; Kronberg Academy; Douglas Kirkland; Azizah Hocke

Barockmusik in ihrer ganzen Virtuosität und Ausdruckskraft – das erleben Besucher des Barockfestivals „Händel im Herbst“, wenn die tschechische Mezzosopranistin Magdalena Kožená in einem Festkonzert Arien des in Halle geborenen Komponisten singt. Diese Musik erlaube ihr, die gesamte Reichweite ihrer Stimme einzusetzen, erläutert sie, Alt zu singen und Sopran, die Extreme auszuloten und sowohl mit Engelsstimme zu jubilieren als auch mit Gekreisch den Wahnsinn darzustellen. Tatsächlich findet sie für jede Arie eine individuelle Interpretation und einen eigenen Gesangsstil, der den Charakter und die Gefühle der Figur zum Ausdruck bringt. Begleitet wird sie von dem renommierten Barockmusikspezialisten Andrea Marcon, der das La Cetra Barockorchester Basel leitet. Im Anschluss an das Konzert erhält Magdalena Kožená den Händel-Preis der Stadt Halle, vergeben durch die Stiftung Händel-Haus. Halle, verschiedene Spielorte, 21. bis 23.11., www.haendelhaus.de

29. Oktober

München, musik für ausserirdische Wie klingt die irdische Musik? Welche Kompositionen sind repräsentativ für unsere Zivilisation? Das neu gegründete Voyager Quartet wirft diese Fragen erneut auf. Gebildet aus Mitgliedern des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, des Cherubini Quartetts und des Modern String Quartet hat es sich die Golden Records vorgenommen, mit denen die NASA 1977 ihre Voyager-Raumsonden versah. Die beiden Sonden wurden mit der Mission ins All geschickt, über die Grenzen des Sonnensystems hinauszufliegen. Und für eine eventuelle Begegnung mit Außerirdischen wurden sie jeweils mit einer Golden Record bestückt. Diese enthielt nicht nur Laute von Schimpansen und Fröschen sowie Geräusche von Regen, Wind und einem Kuss, sondern auch Kompositionen von Igor Strawinsky, Beethoven und Bach. Das Voyager Quartet hatte die originelle Idee, diese musikalischen Botschaften von der Erde zur Aufführung zu bringen. München, Allerheiligen-Hofkirche, 29.10., www.voyagerquartet.com

14. und 16. November

Gütersloh und Berlin, Liedkunst Unter ihrem Leitgedanken der Musikförderung engagiert sich die Bertelsmann Stiftung nicht nur bei der Entdeckung neuer Stimmen in einem Europäischen Sängerwettstreit, sondern fördert diese auch. So folgen dem Wettbewerb im Zweijahresrhythmus seit 1997 ein internationaler Meisterkurs und seit 2012 zudem eine Liedmeisterklasse. Darin werden die jungen Teilnehmer gezielt und umfassend auf eine internationale Karriere vorbereitet. Neben dem künstlerischen Leiter Maestro Gustav Kuhn und dem Tenor Francisco Araíza unterrichten ein Bewegungscoach und die Sopranistin Cheryl Studer. Ihre erworbenen Kompetenzen zeigen die jungen Sängerinnen und Sänger in einem Liederabend. Theater Gütersloh, Konzerthaus Berlin, 14. und 16.11., www.neue-stimmen.de

29. November

Feuchtwangen, Konzertlesung In einem beispiellosen poetischen Akt psychologischer Durchleuchtung von Macht, Macht-missbrauch und Verführung zeichnet Fjodor Dostojewski in seinem Roman „Die Brüder Karamasow“ die Gefahren religiös-autoritärer Strukturen. Iwan erzählt seinem jüngeren Bruder Aljoscha die Parabel vom Großinquisitor, der aus Angst um die Macht der Kirche Jesus verhaften lässt: „… morgen werde ich das Urteil über Dich sprechen und Dich als den schlimmsten aller Häretiker

Konzerte

KULTUR IN UNTERSCHLEISSHEIM

S P I E L Z E I T 2 014 / 2 01 5

Halle, stimmgewaltiger händel

Bayerische Philharmonie: Die Schöpfung, Joseph Haydn 16.10. Berlin Konzerthaus Simone Kermes und das Fauré Quartett: R. Strauss, G. Mahler 16.10. Luxemburg (Lu) Philharmonie Symponieorchester und Chor des Bayerischen Rundfunks/Ltg. Mariss Jansons: La Dame de pique/P. I. Tschaikowsky 16.10. Berlin Philharmonie Berliner Philharmoniker/Ltg. Andris Nelsons; Emanuel Ax: W. A. Mozart, R. Strauss 17.10. Bad Reichenhall Theater im Kurgastzentrum Bad Reichenhaller Philharmonie, Ltg: Christoph Adt; Dana Borusan: P. I. Tschaikowsky 17.10. Potsdam Nikolaisaal The Voice in Concert: Nanne Emelie (Jazz) 17.10. Frankfurt a. Main Alte Oper Frankfurter Bachkonzerte 17.10. Ludwigsburg Forum am Schlosspark Württembergisches Kammerorchester Heilbronn; Sebastian Knauer 17.10. Berlin Hochschule für Musik Hanns Eisler Exzellenz-Konzert 17.10. Bremen Glocke Manu Katché; Jacob Karlzon 3 (Jazz) 17.10./20.10.2014 Krefeld Seidenweberhaus David Orlowsky Trio 18.10. Frankfurt a. Main Alte Oper Europa Kultur-Tag der EZB 2014 junge Talente 18.10. Rendsburg Stadttheater Von Mäusen und Menschen/J. Steinbeck 18.10. Cottbus Staatstheater Tiefenrausch/Kammerkonzert 15.10. Berlin Staatsoper im 19.10. München AllerheiligenSchillertheater Hofkirche der Residenz Barenboim Zyklus II/Jörg Widmann, D. Spark - die klassische Band „MendelsBarenboim, Denis Kozhukhin sohn reloaded“: F. Mendelssohn Barthol16.10. Dresden Frauenkirche dy, J. S. Bach, K. F. Zelter, R. Mey, J. Ensemble Sagittarius, Ltg: Michael Motschmann, J. Duphly, M. Nyman Laplénie: H. Schütz, J. Kuhnau & 19.10. Berlin Konzerthaus J. C. Bach Nikolaus Harnoncourt; Concentus 16.10. Hameln Theater Hameln Musicus Wien: W. A. Mozart Mein persönlichstes Programm/Lesung 19.10. Mannheim mit Klavierbegleitung/Eva Mattes; IrmChristuskirche gard Schleier Orgelkonzert/Blechbläser und Orgel, 16.10. München Herkulessaal ForumUsh_Creszendo_06_Okt_Nov_2014_90x61_Layout 1 23.07.14 11:15 Seite

Girls&Boys/Roy Assaf 8.11. Essen Aalto-Musiktheater Die Fledermaus/J.Strauß 8.11. Koblenz Theater Don Karlos/F. Schiller (Schauspiel) 9.11. Innsbruck (A) Tiroler Landestheater Der Rosenkavalier/R. Strauss 14.11. Berlin Haus der Berliner Festspiele Die Schändung der Lucretia/B. Britten 15.11. München Staatsoper Manon Lescaut/G. Puccini 15.11. Wien (A) Staatsoper Chowanschtschina/M. Mussorgski 15.11. Oldenburg Staatstheater Evita/A. L. Webber (Musical) 16.11. Hamburg Staatsoper Luisa Miller/G. Verdi 16.11. Wien Volksoper Mozart à 2 / Don Juan Thierry Malandain (Ballett) 22.11. Passau Dreiländerhalle Das Musical, das noch geheim bleiben muss/N.N. 23.11. Wiesbaden Staatstheater Scrooge oder Weihnachten vergisst man nicht/Charles Dickens, Martin Balscheit (Schauspiel, UA) 26.11. München Cuvilliéstheater Wiener Blut/J. Strauß 29.11. Basel (Ch) Theater Basel Otello/G. Verdi 29.11. Bremen Theater am Goetheplatz Der Liebestrank/G. Donizetti 30.11. Frankfurt Opernhaus La Sonnambula/V.Bellini

Freitag, 31. Oktober, 20 Uhr

CHRISTOPH VON WEITZEL Liederabend

 

Sonntag, 2. November, 19 Uhr

MANON Oper in 5 Akten von JULES MASSENET FORUM UNTERSCHLEISSHEIM

21. bis 23. November

Freitag, 7. November, 20 Uhr

12. IRISH WEEKEND: THE CONCERT Bürgerhaus Unterschleißheim Rathausplatz 1 [direkt an der S1 Haltestelle Unterschleißheim] Karten: 089/310 09 200 oder 089/54 81 81 81 tickets.forum@ush.bayern.de www.forum-unterschleissheim.de www.muenchenticket.de

53


e r l e b e n

17. bis 19. Oktober, Donaueschingen, Donaueschinger Musiktage

Foto: SWR

Ein Fest aller Sinne

Experimentelle Kompositionen

Wie klingt unsere Gegenwart? Wie schlägt sich das heutige Lebensgefühl in der Musik nieder? Die Donaueschinger Musiktage stellen sich diesen Fragen. 1921 gegründet, sind sie das älteste und renommierteste Festival für Neue Musik. Gespielt werden ausschließlich Uraufführungen. Für den Festivalleiter Armin Köhler soll Donaueschingen 2014 unter dem Motto ... ‚und‘ ... ein Fest aller Sinne sein. „Und“ ist ein Zitat von Kandinsky, der in einem Essay 1928 das 19. Jahrhundert als ein Jahrhundert der Zergliederung der Künste beschrieb, während das 20. Jahrhundert jenes des „und“, der Zusammenführung der Künste, sei. Um diesen Zusammenhalt zu demonstrieren, hat Köhler Komponisten eingeladen, die ihre künstlerischen Ideen nicht nur in Klang umsetzen, sondern auch in anderen Metiers tätig sind. Peter Ablinger etwa ist Fotograf, und sein neues Stück materialisiert sich im ersten Satz als große gerasterte Fotografie. Manos Tsangaris und Brian Ferneyhough sind bildende Künstler. All dies wird in einer Ausstellung sowie in Film- und Videovorführungen gezeigt. Unter dem Titel „Musiksprechen“ sind Werke zu erleben, die sich mit Sprache, Wort und Musik beschäftigen. So spricht Herta Müller in einem Werk von Josef Anton Riedl unveröffentlichte Collage-Gedichte. Donaueschingen, verschiedene Spielorte, 17. bis 19.10., www.swr2.de/donaueschingen.de auf dem Scheiterhaufen verbrennen, und dasselbe Volk, das Dir heute die Füße küsste, wird morgen auf meinen Wink die Kohlenglut Deines Scheiterhaufens schüren …“ Im von Sopranistin Christiane Karg neu geschaffenen Festival KunstKlang spielt Alina Pogostkina als weiblicher Messias das himmlische Instrument der Geige. Erzähler der Konzertlesung „Der Großinquisitor“ ist Ulrich Rein­thaller. Feuchtwangen, Michaeliskirche, 29.11, www.kunstklang-feuchtwangen.de

26. Oktober

München, spannend im duo Immer wieder neue Musik zu entdecken und mit neuen Musikern zu spielen, so lautet das künstlerische Credo der Cellistin Anja Lechner. Bekannt für ihre außergewöhnlichen Projekte, zählten der Bandoneonvirtuose Dino Saluzzi und das Tarkovsky Quartet zu ihren Musizierpartnern. Letzterem gehört auch der Pianist François Couturier an. Mit diesem hat Anja Lechner die Umsetzung ihrer neuen musikalischen Idee „Moderato cantabile“ in Angriff genommen. Reisen nach Armenien und in die Ukraine inspirierten sie, sich den Kompositionen des griechisch-armenischen Esote-

54

rikers Georges I. Gurdjieff, des armenischen Priesters Komitas Kardapet sowie des spanischen Pianisten Federico Mompou zuzuwenden. Als kontrastierende Elemente bringt Couturier seine Kompostionen ein. München, Allerheiligen-Hofkirche, 26.10., www.ecmrecords.com

25. November

Luxemburg, wien on tour Wer die Besonderheiten der traditionellen Wiener Klangkultur genießen möchte und die romantische Konzertliteratur schätzt, der sollte das Konzert der Wiener Symphoniker nicht versäumen. Mit 128 Musikern zählen sie zu den herausragenden Klangkörpern Europas und sind die Kulturbotschafter Wiens. Unter ihrem neuen Chefdirigenten, dem Schweizer Philippe Jordan, der zu den aufregendsten Dirigenten der jungen Generation zählt, unternehmen sie internationale Tourneen und geben Gastspiele in den wichtigsten Musikzentren. In der Philharmonie von Luxemburg sind sie mit Werken von Wagner, Liszt und Bruckner und der Pianistin Khatia Buniatishvili als Solistin zu erleben. Luxembourg, Philharmonie, 25.11., www.philharmonie.lu

Johannes Michel, Erhard Wetz 21.10. Frankfurt Opernhaus Liederabend/Julia Kleiter; Michael Gees: J. Brahms, G. Mahler, F. Schubert 21.10. München Gasteig, Carl-Orff-Saal Michael Andreas Häringer: J. S. Bach, L. v. Beethoven, F. Mendelssohn Bartholdy, F. Chopin, F. Liszt 21.10. Schwerin Fritz-Reuter Bühne Leiw nah Stunnenplan, Komödie von Ray Cooney 22.10. Bayreuth Steingraeber-Haus Paul Badura-Skoda: W. A. Mozart, F. Schubert, F. Chopin 22.10. München Münchner Künstlerhaus 1. Portraitkonzert Opernstudio der Bayerischen Staatsoper 22.10. Luxemburg (LU) Philharmonie War and pieces; Orchestre Philharmonique du Luxembourg/Ltg. Sascha Goetzel; Daniel Hope 22.10. Berlin Konzerthaus Start der Europatour von Cecilia Bartoli mit einer musikalischen Reise von Italien nach Russland mit rarem Repertoire des 18. Jahrhunderts im Gepäck 23.10. Mannheim Christuskirche Orgelkonzert/Anna Linß 24.10. Dresden Semperoper Sächsische Staatskapelle Dresden, Ltg: Herbert Blomstedt; Krystian Zimerman: L. v. Beethoven, W. Stenhammar 24.10. Stuttgart Liederhalle/Beethoven-Saal Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR; SWR Vokalensemble Stuttgart/ Ltg. Heinz Holliger: R. Schumann, H. Holliger, B. Bartók, C. Debussy 24.10. Rendsburg Theaterfoyer filmAB: Baal, V. Schlöndorff (Film) 24. - 25.10. UnterschleiSSheim Bürgerhaus Benefizkonzert: Lichtblicke 24.10. Rostock Volkstheater/ Maschinenraum Stella/J. W. von Goethe (Schauspiel) 24.10. Karlsruhe Badisches Staatstheater Ein Sommernachtstraum/W. Shakespeare (Schauspiel mit Band) 24.-26.10.2014 Berlin Radialsystem KlangGestalten - Ausstellung und Konzerte/Mendelssohn Kammerorchester Leipzig; Peter Bruns 25.10. Neustrelitz Konzertkirche Elsa Claveria; Neubrandenburger Philharmonie; Ltg.: Daniel Huppert: Mozart, Chausson, Sibelius, Dvorák, Rachmaninow, Tschaikowsky 25.10. Sondershausen Haus der Kunst Loh-Orchester Sondershausen, Ltg. Nicolás Pasquet: R. Strauss, W. A. Mozart, A. Dvorák 25.10. Frankfurt a. Main Alte Oper Barrelhouse Jazz Party 2014 (Jazz) 25.10. Dresden Frauenkirche Jubiläumskonzert: Elias von F. Mendelssohn Bartholdy 25.10. Bremen Glocke Elina Garança

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


Fotos: Harald Hoffmann / DG; Gisela Schenker; Nadia F. Romanini / ECM Records; Jean Francois Leclercq; Bob Coat; Margaret Malandruccolo / DG; Lisztfestival Raiding; Kronberg Academy; Douglas Kirkland; Azizah Hocke

25.10. Halle Oper Staatskapelle Halle, Ltg. Bernd Ruf: Galakonzert der Filmmusiktage Sachsen-Anhalt 26.10. Hamburg Laeiszhalle Hamburger Philharmoniker, Ltg: Simone Young; Jörg Widmann: J. Widmann & A. Bruckner 26.10. Berlin Philharmonie Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Ltg: Matthias Pintscher; Alban Gerhardt: R. Wagner, B. Bartók & M. Pintscher 26.10. Rendsburg Theaterfoyer wunschBox: Soundtrack meines Lebens, Stefan Hufschmidt 26.10. Frankfurt a. Main Alte Oper Orchester des Mariinsky-Theaters St. Petersburg, V. Gergiev, N. Benedetti 26.10. München Philharmonie ECHO Klassik 2014 27.10. Frankfurt a. Main Alte Oper Elina Garança, Philh. Orchester Brünn, Karel Mark Chichon 28.10. Flensburg Stadttheater Die Fledermaus/J.Strauß 29.10. Frankfurt a. Main Alte Oper Krystian Zimerman, Poln. Kammerphilh. Sopot, Wojciech Rajski 29.10. Nürnberg Meistersingerhalle Elina Garança 29.10. Köln Philharmonie Andreas Staier: R. Schumann, F. Schubert, L. v. Beethoven 31.10. Hamburg Bunker auf St. Pauli Radikale Resonanz/Eröffnung des Bunkers für neue Musik/Ensemble Resonanz 31.10. Burghausen Stadtsaal Malia & Band (Jazz) 31.10. München Philharmonie Elina Garança; Brünner Philharmoniker: Meditation 31.10. Hannover Staatsoper Carmen/G. Bizet 1.11. Wien (A) Stadthalle David Garrett 1.11. Mannheim Christuskirche Die Arche Noah/Orgelkonzert für Kinder, J. S. Bach 2.11. Salzburg (A) Festspielhaus Juan Diego Flórez 2.11. Münster Konzertsaal Friedenskapelle Fidolino Kinderkonzert/Musik und Malerei 3.11. Bremen GroSSer Saal Tribute to Billie Holiday/Cassandra Wilson (Jazz) 3.11. Hamburg Laeiszhalle Nordic Concerts: Orquesta Sinfónica Juvenil de Caracas/Ltg. Dietrich Paredes: S. Revueltas, E. C. Yumar, D. Schostakowitsch 4.11. München Prinzregententheater Münchner Symphoniker, Ltg. Kevin John Edusei; Christoph Prégardien 4.11. Bad Reichenhall Konzertrotunde im Königlichen Kurgarten Quintetto Carne De Gallina: che...Tango....che 4.11. München Philharmonie Rolando Villazón; Bohuslav Martinu Philharmonie, Ltg. Guerassim Voronkov

6.11. München St. Michaelskirche Officium Novum/Jan Garbarek; Hilliard Ensemble 6.11. Jena Philharmonie Joachim Kühn, Jenaer Philharmonie (Jazz) 7.11. München St. Michaelskirche Officium Novum/ Jan Garbarek; Hilliard Ensemble 7.11. Frankfurt hr-Sendesaal hr-Sinfonieorchester, Ltg. Roland Kluttig; Patricia Kopatchinskaja: I. Xenakis, G. Ligeti, G. Stäbler & W. Rihm 7.11. Neuwied Stadthalle Tingvall Trio (Jazz) 8.11. Hamburg Hauptkirche St. Michaelis Chor St. Michaelis, Concerto con Anima 8.11. München Philharmonie Münchener Bach-Chor/Ltg. Karl-Friedrich Beringer; Thora Einarsdottir; Lidia Vinyes Curtis; Joshua Stewart; Oddur Jónsson: F. Schubert, W. A. Mozart 8.11. Hamburg Michaelskirche Chor St. Michaelis, Barock XL Historisches Konzert 9.11. München Prinzregententheater Tsujii Nobu/M. Ravel, F. Chopin 9.11. Nürnberg Gluck-Saal Kammerkonzert/G. Klein, F. Mendelssohn Bartholdy, E. Schulhoff, 9.11. Neustrelitz Landestheater Neubrandenburger Philharmonie/Ltg. Stefan Malzew; Pietro Massa: A. Casella, F. Mendelssohn Bartholdy 10.11. Köln Philharmonie Gürzenich-Orchester Köln, Ltg: Alejo Pérez; Jacquelyn Wagner: W. A. Mozart, R. Strauss & G. Kurtág 10.11. Luzern (CH) KKL The Piano Guys 10.11. München Philharmonie Münchner Philharmoniker/Ltg. Alan Gilbert: O. Respighi, L. v. Beethoven, C. Debussy 11.11. Essen Aalto-Foyer Mehr Musik/Floriane Kleinpaß 11.11. Dortmund Konzerthaus Dortmund Heimatklänge/L.Janácek, F. Liszt, B. Smetana 13.11. Gotha Kulturhaus Raschèr Saxophon Quartett: S. Barber, G. Kancheli, P. Tschaikowsky 14.11. Berlin Philharmonie Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Ltg: Tugan Sokhiev; Janine Jansen: C. Debussy, E. Chausson, M. Ravel & S. Prokofjew 14.11. Nürnberg Meistersingerhalle Sonnenfinsternis/R. Campo, E. Grieg, C. Nielsen 14.11. Berlin Krönungskutschen-Saal Exzellenz-Konzert 14.11. Hamburg Laeiszhalle Alison Balsom/Festival Strings Luzern 15.11. München Philharmonie Arcadi Volodos, Orchestra Sinfonica Nationale della RAI, Ltg. Juraj Valcuha; M. Ravels Boleró, P. I. Tschaikowskys 15.11. Baden-Baden Museum Frieder Burda Amenda Quartett: W. A. Mozart, R. Strauss, C. Saint-Saëns 15.11. Neubrandenburg Konzertkirche …Die Geister, die ich rief…

F. M. Dostojewski - Der Großinquisitor Konzertlesung Samstag, 29. November 2014 19 Uhr, Michaeliskirche Alina Pogostkina, Violine Ulrich Reinthaller, Rezitation

www.kunstklang-feuchtwangen.de

55


e r l e b e n

Krefeld, Könige des Klezmer Die Geschichte des Judentums ist eine Folge fortwährender Flucht und Vertreibung. Ihre Habe mussten die Juden nicht selten zurücklassen. Was aber immer mitreiste, war die Musik, in der Leid und Tränen, aber auch Hoffnung, Freude und Lachen ihren Niederschlag fanden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts brachen zahlreiche Juden aus Osteuropa in die Vereinigten Staaten auf und schufen in New York eine faszinierende Klezmer-Szene. Das Trio des Klarinettisten David Orlowsky folgt auf seinem Album „Klezmer Kings – a tribute“ dieser Wanderbewegung vom Schtetl in die Second Avenue von New York. Auf den Spuren der beiden Klarinettisten und Klezmer-Könige der Lower East Side, Naftule Brandwein und Dave Tarras, verbinden sie traditionelle Tänze und Klagelieder zu einer farbenreichen, sehnsüchtigen Hommage an das Leben. Krefeld, Seidenweberhaus, 17. und 20.10. www.davidorlowskytrio.com

20. Oktober

Hannover, Sound of Hollywood „Hollywood gleicht einer wunderbaren, gigantischen Berg- und Talbahn“, befand die Musikerin und Schriftstellerin Vicki Baum. Der Geiger Daniel Hope hat sich auf diese Bahn begeben. Escape to Paradise geht der Geschichte des „Hollywood Sound“ nach. Dieser wurde einst von jenen Komponisten geprägt, die in der Traumstadt Zuflucht vor Hitlers Verfolgung fanden. Hope war selbst mit dem Schicksal der Emigration konfrontiert. Denn seine jüdischen Urgroßeltern mussten 1933 vor den Nationalsozialisten nach Südafrika fliehen. Ausgangspunkt für Hope ist Erich Wolfgang Korngold, der 1934 in Hollywood eintraf und für Warner Brothers arbeitete. Von seinem Violinkonzert spannt er den Bogen über einen Song von Hanns Eisler und Ausschnitte aus Eric Zeisls Veroperung von Joseph Roths Roman Hiob bis zu Miklós Rózsas Musik für Ben Hur und Herman Hupfelds unsterbliche Melodie „As Time Goes By“. Hannover, Landesfunkhaus des NDR, 20.10., www.danielhope.com

22. bis 26. Oktober

Raiding, aus dem vollen schöpfen Liszts Musik am Geburtsort des Komponisten, dargeboten von den besten Interpreten der Welt – das ist das ehrgeizige Bestreben des Liszt Festivals Raiding. Fünf Tage lang kommen in der kleinen burgenländischen Marktgemeinde an den Ausläufern des Ödenburger Gebirges Musiker und Sänger zusammen, um sich dem gewaltigen Werk zu widmen. „Bei Liszt können wir aus dem Vollen schöpfen“, betonen die beiden Intendanten, die Brüder Johannes und Eduard Kutrowatz. Liebevolle Kammermusikabende und üppige Orchesterkonzerte treffen auf Klavierabende oder Raritäten, die so noch nie zu hören waren. Nirgendwo auf der Welt wird soviel Liszt gespielt wie in Raiding. Raiding, Konzertsaal Lisztzentrum Raiding, 22. bis 26.10., www.lisztfestival.at

22. bis 26. Oktober

Salzburg, Jazz & The City Fünf Tage lang verwandelt Jazz & The City die Salzburger Altstadt in eine Jazz-Bühne. Hundert Konzerte an fünfzig Spielorten verspricht das Programm, und alle Auftritte erfolgen bei freiem Eintritt. Zu erleben sind hochkarätige Jazzmusiker wie der Trompeter Paolo Fresu, der Gitarrist John Scofield und der Klarinettist Louis Sclavis. Als Vertreter der Electronic Music kommen die Trompeter Nils Petter Molvær und Terence

56

6. bis 23. November, Dresden, Semperoper

Himmlische Momente

Foto: Matthias Creutziger

17. und 20. Oktober

Semperoper Dresden

„Himmlisch“ schwärmt die Sopranistin Renée Fleming über die musikalische Gestaltung der Arabella-Partie. Strauss habe herrliche romantische Momente geschaffen. Als „eine durchaus moderne Figur“ wollte Textdichter Hugo von Hofmannsthal seine Arabella verstanden wissen, „ein Typ von jungen Frauenwesen, welcher jetzt interessiert“. Ausdrücklich wies er Strauss auf die Modernität der Geschichte hin. Und als eine emanzipierte Frau mit dem Wunsch nach echter Liebe jenseits von Geld, Politik und gesellschaftlicher Konvention fasst Renée Fleming die Figur auch auf. Verkörpert wird diese wahre Liebe von dem Bariton Thomas Hampson in der Rolle des reichen kroatischen Gutsbesitzers Mandryka. „Vielfältig, faszinierend, romantisch und sehr seriös“ ist für Hampson dieser Mandryka. Manche seiner Eigenschaften entdeckt er sogar an sich, wie etwa die Ernsthaftigkeit oder die Melancholie. Die von Christian Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden musikalisch geleitete und von Florentine Klepper gestaltete Inszenierung ist Teil der Richard-Strauss-Tage. Mit ihnen feiert die Semperoper den 150. Geburtstag des Komponisten. In unterschiedlichen Zyklen zeigt sie die drei Strauss-Opern Capriccio, Daphne und Arabella. Dresden, Semperoper, 6. bis 23.11., www.semperoper.de Blanchard, der sein elektronisches Musikprojekt The Terence Blanchard ECollective vorstellt, eine Erkundung neuer Räume der Improvisation unter dem Einfluss von Fusion, Electric und Hip-Hop. Auch Stars der Weltmusik wie die Fadista Cristina Branco werden erwartet. Die Besucher dürfen sich auf zahlreiche Entdeckungen aus der österreichischen JazzSzene freuen. Salzburg, verschiedene Spielorte, 22. bis 26.10., www.salzburgjazz.at

17. bis 23. November

Berlin, ungewöhnliche initiativen Einer besonderen Aufgabe hat sich der internationale Cello-Wettbewerb „Grand Prix Emanuel Feuermann“ verschrieben. Er kürt nicht nur alle vier Jahre einen Preisträger, sondern trägt mit ungewöhnlichen Initiativen zur Wiederbelebung der Berliner Salonkultur bei. So umtriebig wie der Namenspatron des Preises, der aus Galizien stammende Cellist Emanuel Feuermann, der bis zu seiner Emigration in Berlin wirkte, organisieren die jungen Wettbewerbsteilnehmer Hauskonzerte. Sie schaffen damit eine neue Kultur der Begegnung und lassen den Wettbewerb zu einem inspirierenden Erlebnis der Stadt werden. Berlin, verschiedene Spielorte, 17. bis 23.11., www.gp-emanuelfeuermann.de

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


18.10. Live Metropolitan Opera Mozart: Le Nozze di Figaro 27.10. Live Royal Opera house Verdi: I due Foscari 26.11. Live Royal Opera house Donizetti: L’elisir d’amore

Festivals - 18.10. Bad Hindelang Ein Ort wird Musik - 19.10. München Münchner Orgelherbst - 19.10. Göttingen Göttinger Literaturherbst - 26.10. Tutzingen 17. Tutzinger Brahmstage - 8.11. Palma (E) Festival MúsicaMallorca - 15.11. Heidelberg/Mannheim/ Ludwigshafen Enjoy Jazz - 25.11. Luxemburg (LU) Luxemburg Festival - 26.11. Thüringen 21. Jazzmeile Thüringen - 29.11. Burghausen Herbstliche Jazz-Grooves in Burghausen 16.10. - 1.11. Mannheim Orgelfestival Mannheim 17. - 19.10. Murnau Neue Welt, Weltmusikfestival Murnau (Jazz, Weltmusik) 17. - 19.10. Donaueschingen Donaueschinger Musiktage 17.10. - 23.11. Alzenau Fränkische Musiktage 18.10. - 9.11. Ingolstadt Ingolstädter Jazztage 20. - 25.10. Halle Diverse 7. Filmmusiktage Sachen-Anhalt 25.10. - 25.1.15 Köln Die Heiligen Drei Könige 27.10. - 2.11. Leipzig DOK Leipzig 6. - 23.11. Berlin 25. Berliner Märchentage 6. - 23.11. Dresden Richard-Strauss-Tage 7. - 8.11. Neuwied Jazzfestival in Neuwied 8. - 16.11. Göttingen Göttinger Jazz-Festival 13. - 16.11. Herne Seelentöne 17. - 23.11. Berlin Grand-Prix Emanuel Feuerman 22. - 30.11. Luzern (CH) Lucerne Festival am Piano 25.11. - 31.12. München Tollwood Winterfestival Über weitere 200 Festival-Infos und termine im Festspiel-Guide 2014/15! Diese große Vorschau ist im 15. Jahrgang erschienen – als PrintMagazin sowie online auf www.festspielguide.de und als Festspiel-Guide-App!

bis 25.11.

Luxemburg, facettenreich Beim Luxembourg Festival können jährlich viele kulturelle Facetten der Stadt entdeckt werden: Neben Opern- und Theater-Produktionen des Théâtres de la Ville de Luxembourg gibt es ein abwechslungsreiches und hochkarätig besetztes Konzertprogramm in der Philharmonie. Besonderes Highlight: Beethovens Neunte mit dem Chœur symphonique de la Grande Région (Sänger aus Deutschland, Frankreich und Luxemburg singen dort gemeinsam) und dem Orchestre Philharmonique Luxembourg unter Ton Koopman. Auch Weltmusikfans kommen auf ihre Kosten: Roberto Fonseca & Band sowie die Jazzlegende Herbie Hancock sorgen für Abwechslung und Extravaganz. Luxemburg, verschiedene Spielorte, bis 25.11.2014 www.luxembourgfestival.lu

18. bis 26.10.

Freiburg, Junge Oper Anlässlich ihres 20-jährigen Jubiläums zeigt die Freiburger Young Opera Company Detlev Glanerts Märchenoper Die drei Rätsel. Dieses spannend-unterhaltsame Musiktheaterwerk erzählt vom Erwachsenwerden und jugendlicher Unerschrockenheit. Die Hauptrollen Lasso und die Prinzessin Scharada werden von zwei Kindern auf die Bühne gebracht. Unter der Leitung von Klaus Simon feiert auch das Jugendorchester der Holst-Sinfonietta innerhalb dieser Aufführung sein Bühnencomeback. Diese Jubiläumsproduktion ist mit ihren über 70 Mitwirkenden das bisher ambitionierteste Projekt der Freiburger Young Opera Company. dia14_90x126_crescendo_Layout 1 04.09.14 20:10 Seite 1 E-Werk, Freiburg, 18. bis 26.10, www.youngoperacompany.de

DIALOGE 02.–07.12.2014

MOZART GYÖRGY LIGETI PETER EÖTVÖS

Konzerte Wissenschaft Museen

Klassik im kino

T. +43-662-87 31 54 www.mozarteum.at

Fotos: Harald Hoffmann / DG; Gisela Schenker; Nadia F. Romanini / ECM Records; Jean Francois Leclercq; Bob Coat; Margaret Malandruccolo / DG; Lisztfestival Raiding; Kronberg Academy; Douglas Kirkland; Azizah Hocke

Neubrandenburger Philharmonie: M. Ravel, F. Liszt u.a. 16.11. München Prinzregententheater Alison Balsom/Festival Strings Luzern 16.11. München Philharmonie Ristorante Allegro - das philharmonische Musical 16./17.11.2014 Weimar Weimarhalle Sinfoniekonzert der Staatskapelle Weimar, Ltg. Eivind Gullberg Jensen; Lise de la Salle: I. Strawinsky, S. Rachmaninow, S. Prokofjew 17.11. Ulm Stadthaus Linea del Sur/Garcia Fons (Jazz) 18.11. München Bayerischer Hof Thomasz Stanko, New York Quartett (Jazz) 19.11. Berlin Maison de France Roman Rabinovich 20.11. Frankfurt Alte Oper Mozart: Requiem mit Enoch zu Guttenberg/Chor und Orchester der KlangVerwaltung: G. Mahler 20.11. Bregenz Festspielhaus Symphonieorchester Vorarlberg, Ltg. Gérard Korsten; Georg Breinschmid; Sonus Brass: R. Fuchs, G. Breinschmid, M. Ravel, F. Poulenc 20.11. Berlin Opera Lounge Musiktheater für kulturhungrige Nachtschwärmer 21.11. München Philharmonie Münchner Philharmoniker/Ltg. Pablo Heras-Casado: W. A. Mozart, F. Mendelssohn Bartholdy, G. Mahler 22.11. Luzern (CH) Konzertsaal Maurizio Pollini 23.11. Hamburg Laeiszhalle Hamburger Philharmoniker, Ltg: Matthias Pintscher; Katia & Mariell Labèque: M. Pintscher, F. Poulenc & S. Rachmaninow 23.11. Braunschweig Lot Theater Thomasz Stanko, New York Quartett 23.11. Frankfurt Alte Oper Frankfurter Opern- und Museumsorchester/Ltg. Sebastian Weigle; Kit Armstrong: S. Rachmaninow, S. Prokofjew, P. I. Tschaikowsky 24.11. Potsdam Nikolaisaal Zum letzten Mal - BREL!, Dominique Horwitz 25.11. Luxembourg (LU) Philharmonie Philippe Jordan; Khatia Buniatishvili: R. Wagner, F. Liszt, A. Bruckner 26.11. München Herkulessaal Cecilia Bartoli/St. Petersburg 27.11. Singen Jazzclub Marc Copland Trio (Jazz) 28.11. Mannheim Nationaltheater Die Jahreszeiten/J. Haydn 29.11. Feuchtwangen Michaelskirche Konzertlesung: Der Großinquisitor/ F.M.Dostojewski mit Alina Pogostkina, Ulrich Reinthaller 30.11. Berlin Institut für Neue Musik Berliner Lautsprechorchester 30.11. Aufkirchen Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt Münchener Bach-Chor/Festival of Lessons and Carols 30.11. Darmstadt Staatstheater Sinfonisches Blasorchester TSG Wixhausen, Rainer Laumann, Corinna Gutting

57


e r l e b e n

Ungewöhlicher Anblick: 100 Cellisten und Johannes Moser vor der Alten Oper Frankfurt.

Hummeln auf dem Opernplatz Wer sich den Cellisten Johannes Moser, einen passionierten Kammermusiker, zum „MuseumsSolisten“ wählt und ihm die Möglichkeit gibt, sein Residence-Programm selbst mitzugestalten, der muss sich auf die eine oder andere Überraschung einstellen. Von Sina Kleinedler Johannes Moser sitzt alleine auf dem Platz vor der Frankfurter Celloklang wabert durch die Sommerluft – bis Johannes Moser aufOper und spielt Bach. Einen Satz aus der G-Dur Suite und noch steht und sein Cello kopfüber in die Höhe streckt. Das Rieseneneinen. Die Sonne scheint und einige Fußgänger bleiben neugierig semble verharrt auf dem letzten Akkord. Er schwenkt das Instrustehen. Da öffnen sich plötzlich die Türen des Haupteingangs und ment nachdrucksvoll in der Luft, die 100 Celli verstummen. „Lauter eine kleine Gruppe kommt heraus, in der einen Hand ein Cello, in Hummeln!“, murmelt eine ältere Dame ein paar Schritte weiter teils der anderen einen Stuhl. Moser wechselt von Bach zur Melodie begeistert, teils schwer irritiert in die Stille hinein. Dann ertönt der von Bruder Jakob, die anderen verteilen ihre Stühle um ihn herum Applaus, die Radfahrer klingeln laut. 101 Cellisten strahlen. Die Szene stammt aus der Aktion „Spiel mit!“ und ist eine und steigen im Kanon mit ein. Gerade beginnen die ersten Zuschauer, sich zu wundern, da kommen auch schon die nächsten Cellisten Idee von Johannes Moser. Die Frankfurter Museums-Gesellschaft die Treppen hinuntergelaufen. In allen verschiedenen Lagen schallt hatte den Starcellisten im Rahmen seines Artist-in-Residence-Programms animiert, sein Programm selbst zu das Kinderlied bald über die Pflastersteine. Johannes moser und die 12 gestalten. Per Flyer wurden im Vorfeld alle Immer mehr Passanten bleiben stehen, sogar frankfurter cellisten Amateurcellisten im Alter von 9 bis 99 Jahren eine Gruppe von Radfahrern gesellt sich hinzu. Konzert am 23.11.2014, 16.00 Uhr aus dem näheren Umkreis von Frankfurt zu Bis schließlich 100 Cellisten den Platz vor der Alte Oper Frankfurt, Mozart Saal diesem Event aufgefordert, über 100 meldeten Alten Oper nicht nur optisch, sondern auch Informationen und Karten unter: sich direkt an. Am Ende des Workshops winkt akustisch weit ausfüllen. Der sonore, warme www.museumskonzerte.de 58

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


Fotos: Wolfgang Runkel

dann auch ein echtes Highlight: Moser sucht unter den 100 Gästen ßen, mehrreihigen Halbkreis sitzen sie um Johannes Moser herum. nach 12 Cellisten, mit denen er im November ein großes Konzert in 400 Saiten werden gestimmt, dann spielen alle im Kanon Bruder Jakob – ein Stück, das jeder auswendig schafft und das so die Farce der Alten Oper aufführen wird. Auf dem Flur der Hochschule für Musik und Kunst war- erübrigt, 100 Notenständer in die Innenstadt mitzuschleppen. Für ten schon die ersten Teilnehmer auf ihren Einsatz. Manche gehen die Autofahrer, die mit Erstaunen und Belustigung die seltsame direkt aufeinander zu, ein paar andere scheinen erst einmal die Lage Menschenmenge beobachten, müssen die vielen Kästen den Einüberprüfen zu wollen. Einige blicken aufgeregt ein Stück weiter den druck einer großen Schildkrötenwanderung erwecken. Nach dem gelungenen Flashmob sitzt ein sichtlich zufriedeGang entlang: Da steht er, der berühmte Gastgeber mit seinem Guarneri-Cello in der Hand und grinst vorfreudig wie ein Kind ner Johannes Moser in der Sonne und genießt eine kühle Apfelschorle. Sein wertvolles Cello hat er unterm Weihnachtsbaum. Moser sagt, zwei Tische weiter, im Schatten, in sein Wunsch sei es gewesen, die Leute die Obhut einiger anderer Cafébeeinzuladen, „denen die Musik wirksucher gegeben. Der Tag scheint ihn lich was bedeutet“ – die Amateure. Ein nicht gestresst, sondern sehr glücklich Begriff, der viel zu häufig und völlig zu zurückgelassen zu haben: „Jeder EinUnrecht negativ behaftet gesehen wird. zelne hat sich sehr gut präsentieren Amateur kommt vom lateinischen können. Die Entscheidung wird rich„amator“, was nichts weiter bedeutet als tig schwer!“ „Liebhaber“. Einige Wochen später stehen Und so wird auch nicht in eindie Ensemblemitglieder fest. In den zelnen Probespielen „gecastet“. Es nächsten Monaten werden sie das geht um soziale Kompetenz, nicht Programm für ihr Konzert erarbeium Konkurrenzdenken: „Ich wollte ten – gemeinsam mit Johannes Moser. niemandem das Gefühl geben, dass Frei nach dem Motto „Wir bauen uns er sich ganz nackt vorne präsentieein Celloensemble“ wird er mit einer ren muss. Dass jemand das InstruBach-Solosuite beginnen und wie bei ment beherrscht, ist wichtig. Aber der Celloparty nach und nach alle Mitnoch wichtiger ist, dass jemand gut spieler hinzuholen, bis in Julius Klenins Ensemble passt“, sagt Moser, der gels Hymnus 13 Celli erklingen. Die gemeinsam mit einigen Studenten und Altersspanne der Musiker reicht von Mitgliedern des Frankfurter Opern11 bis 63 Jahre. „Wir haben Schüler, und Museumsorchesters jeweils acht einige die kurz vor der Rente stehen, Teilnehmer gleichzeitig wohlwollendProfessoren – wir haben sogar einen kritisch beobachtet. 15 Minuten lang Polizisten dabei! Alles Leute, die das spielen die Ensembles Eduard LachFrankfurter Celloleben repräsentieren“, ners elegische Serenade und Claude berichtet er stolz. Debussys spritzigen Golliwoggs CakeDie Vorfreude auf die bevorstewalk. Diese Stücke hat Moser nicht hende Zusammenarbeit ist groß: „Celzufällig ausgewählt: „Das zweite Stück listen sind eine sehr angenehme Gesellhat einen ziemlich haarigen Mittelschaft. Das liegt glaube ich daran, dass teil … mir war es aber wichtig, dass es einfach eine andere Art des Drills ist. es in dieser ersten Probe schiefgeht, Nicht wie bei Pianisten, die ja sowieso damit da auch was zum Proben ist,“ sehr viel alleine machen, oder den Geisagt er später mit einem Grinsen. Konzentriert und mit Spaß proben die Ensembles zugern, die oft „high strung“ sind, immer Die meisten Cellisten spielen das sammen mit dem Starcellisten. Danach geht es zu Fuß unter Spannung … Wir Cellisten sind zum Platz vor der Alten Oper. Programm zum ersten Mal gemeinirgendwie lockerer. Und zwölf Cellissam, nur wenige haben sich schon vorher zum Proben getroffen. Doch niemand war ganz auf sich allein ten auf der Bühne – das klingt einfach auch nach was!“ Bevor die intensive Probenarbeit beginnt, wird es wieder das gestellt. Jeder Teilnehmer hatte ein eigenes Musterquartett zum Üben, bestehend aus: Moser, Moser, Moser und Moser. In komplet- ein oder andere Video des „Moserensembles“ geben. Auf einen ter Eigenregie entstanden die „Tutorial“-Videos, in denen der Cellist Plan B als Schauspieler angesprochen, bricht der Cellist jedoch in humorig beide Stücke erläutert und spielt. Da sieht man ihn bei- Gelächter aus. Dann reflektiert er: „Die Bühne hat mich natürlich spielsweise drei Mal im unterschiedlichen Hemd, mal mit, mal ohne immer interessiert. Ich bin ein bisschen auf der Bühne groß geworlässigen Cowboyhut im Wohnzimmer sitzen, als plötzlich Johan- den – sowohl meine Tante als auch meine Mutter waren im Opernnes Moser Nr. 4 den Raum betritt und ein Wortgefecht um dessen bereich tätig. Ich hätte mir also gut vorstellen können, in die Theamangelnde Pünktlichkeit ausbricht. „Ständig kommst du zu spät!“ ter- oder Regie-Richtung zu gehen. Mich fasziniert es, wie man den – „Was ich? Aber ich bin doch du?“ – „Aber du bist doch nicht er, Abstand zwischen Bühne und Publikum auflöst, aber auch, wie man oder?“ … Die Videos haben ihre Wirkung nicht verfehlt, was die ihn benutzt, um ein Erlebnis herzustellen. Dieses Moment, in dem zusammengewürfelten Celloensembles spontan gemeinsam zum man merkt: jetzt gibt es Magie im Raum. Eigentlich machen nur ein paar Leute Schwingungen, aber man spürt: Es knistert!“ Besten geben, ist für die kurze Probenzeit erstaunlich. Diese Magie wird er am 23. November mit den 12 Frankfurter Um es nicht beim etwas ernsteren Teil der Auswahlspiele zu belassen und die seltene Chance der Klangmasse von 100 Celli aus- Cellisten und ihrem Publikum teilen können, wenn das Ensemble im zukosten, treffen sich kurz darauf alle Teilnehmer im kleinen Saal Familienkonzert den Mozart Saal nach Hummeln klingen lässt. n um den Flashmob auf dem Opernplatz vorzubereiten. In einem gro59


e r l e b e n

Das heimliche BUSH-Comeback! Eigentlich hatte sich die Künstlerin Kate Bush vor 35 Jahren von der Bühne zurückgezogen, doch im März 2014 lud sie plötzlich zu einem Privatkonzert ins Londoner Hammersmith Apollo Theater. Der Titel: „Before the Dawn“. Wir mischten uns (unauffällig) unters Publikum.

Foto: John Carder Bush

Alfred Tennyson ins Publikum. Schnell Vögel ziehen ihre Runden, Federn fallen beginnt man zu verstehen, dass das vom Himmel und gigantische PapierGewitter der Beginn der Suite The ninth flugzeuge schweben durch den Raum. wave von Kate Bushs 1985 veröffentlichDer Wald wird immer dichter, die Stimtem Album Hounds of love ist. Downmung trügerischer. Als der Hahn dann ton-Abbey-Darsteller Kevin Doyle gasdreimal kräht, wird die weiße Friedenstiert als Amateur-Astronom und emptaube von der tanzenden Holzpuppe verfängt scheinbar das SOS-Signal eines speist und ausufernde Chöre beginnen sinkenden Schiffes, doch die Küstenwaden Zuschauer nun in musikalische Eksche nimmt die Meldung nicht ernst und tase zu versetzen. Mit dem überdimenweigert sich zu helfen. Einen Wimpernsionalen Tor zum Paradies, das sich ein schlag später hat sich die Bühne in ein letztes Mal ächzend und krachend öffnet, Schiffswrack aus Fischgräten verwandelt, sind der Band Schnäbel gewachsen und während wir auf einem Bildschirm Kate die Gastgeberin des Abends fliegt unter Bush hilflos und um Luft ringend in hämischem Gelächter als Krähe verwaneiner Schwimmweste im Wasser treiben delt gen Sonnenaufgang. sehen. Als sie zum Prolog „And Dream Kate Bush, heute 56 Jahre alt, ist of Sheep“ ihre Stimme anhebt, erzählt sie zurück. Und wie! 35 Jahre nach ihrer uns von ihrem Kampf gegen die Müdigletzten großen Bühnenshow rief sie ihre keit und wie sehr sie sich zurück in ihr Fans zu einer Pilgerreise ins barocke warmes Zuhause wünscht. Londoner Hammersmith Apollo Theater. Künstlerin Bush: „Exzessive Poetin, Seinen dramatischen Höhepunkt Auf ihrer Website hatte Bush veröffent­geheimnisvolle Forscherin.“ findet der erste Akt in dem Song „Hello licht, dass sie sehr darum bemüht sei, ihr Publikum an einem Gesamtkunstwerk teilhaben zu lassen – Han- Earth“. Während minutenlang archaische Mönchsgesänge über eine Choralmelodie improvisieren, klettert Bush an einer Boje empor, dys, iPhones und iPads solle man zu Hause lassen. Eine solche Einladung schlägt man als Musikfan nicht aus. Vor bevor sie von den Fischen erneut in die Tiefe gerissen wird. Es folgt allem nicht, wenn sie von einer so geheimnisvollen Poetin wie Kate Bushs zweites Meisterwerk – ihre Suite An Endless Sky of Honey. Auf Bush kommt. Die Dame liebt das Mysterium, Hitchcock-Filme und der Bühne fällt noch Schnee, während im Hintergrund echte Birken die Psychoanalyse, sie ist eine zerbrechliche Feministin und steht wachsen und sich bereits der Frühling ankündigt. Eine zehn Meter als Inbegriff für die britische Seele. In ihrer Musik fanden Tabu- hohe Tür in Form eines Schlüssellochs senkt sich nun auf die Bühne brüche mit althergebrachten Klangvorstellungen und Stereotypen herab. Durch sie hindurch findet eine der Hauptrollen ihren Weg statt. Möchte man Bushs Musik in eine Kategorie zwängen, so wird auf die Bühne. Eine lebensgroße Holzpuppe des Marionettenspieschnell klar, dass das nicht möglich ist, denn Bush malt mit allen lers Basil Twist. Sie steht symbolisch für den Menschen der aufgrund Farben, die ihr zur Verfügung stehen. Ob Jazz, Pop, Klassik oder seiner Neugier das Paradies verlassen hat. An Endless Sky of Honey beeindruckende Soundcollagen – es ist die Musik, die sich ihren beschreibt den Verlauf eines bildhaft schönen Sommertages und inteGeschichten und ihren Bildern unterordnen muss. Es gibt da Bushs griert das Läuten der Glocken, den Gesang der Vögel und die Werke Klavierlied von „Mrs. Bartolozzi“ vor ihrer Waschmaschine, als eine eines Malers mit in sein musikalisches Konzept. Wenn Bush am FlüTransformation von Schuberts „Gretchen am Spinnrade“ oder den gel sitzt und täuschend echt den Gesang von Amseln und Tauben imi13 Minuten langen Song „Lake Tahoe“, bei dem sie zusammen mit tiert, lässt das Schaudern nicht nach. Zusammenfassend war „Before zwei Countertenören die Spukgeschichte einer alten Dame erzählt, the Dawn“ alles andere als größenwahnsinniger Musicalkitsch. Es war die sich im Jenseits nach ihrem Schoßhund sehnt. Mainstream-Fans eine raue und doch hochästhetische Legierung aus Puppenspiel, Thedenken bei Kate Bush an „Babooshka“, aufgenommen im Jahr 1981. ater, Tanz, Malerei, Musiktheater und Film. Die Show war kein mediales Spektakel, sondern pure Kunst. Jetzt steht sie auf der Bühne, und wie aus dem Nichts verwandeln sich ihre hingehauchten Worte „the wind is whistling“ aus dem Bush wirkt heute wie eine geerdete Übermutter, die ganz in sich Song „King of the mountain“ zu einem Sturm auf der Theaterbühne. selbst ruht und ihre Hörer auffordert, in sich zu gehen. Shakespeare, Bush verschwindet im Hintergrund und der Perkussionist Milo Anderson, Schubert, James Joyce, Freud, Hitchcock und Elvis – alle Cinelu fängt an – wie der Donnergott Thor – einen Hammer über waren im Geiste präsent und auch angesichts unserer so rastlosen, seinem Kopf zu schwingen. Dann wird es kalt, und auf der Bühne entmystifizierten, schnelllebigen Gegenwart ermahnt Bush uns mit regnet es plötzlich. Konfettikanonen schleudern Zitate aus dem „Before the Dawn“ zu einer Entschleunigung und vor allem zu mehr Thomas Schöberl n Gedicht „The Coming of Arthur“ des romantischen Dichters Lord Demut. 60

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft

MOZART! ISRAEL-SCHWERPUNKT aus Anlass des Jubiläums »50 Jahre deutsch-israelische diplomatische Beziehungen 2015«

Der israelische Dirigent

DAN ETTINGER

»Mozart ist meine große Liebe«

KLANGOASEN IM TRAUMATISCHEN ALLTAG –

Musikvermittlung in israelischen Schulen

© Monika Rittershaus

MOZART-ORT BERLIN DIE BARENBOIM-SAID-AKADEMIE Doppelinterview mit KLARINETTISTIN SHARON KAM und

DIPLOMAT AVI PRIMOR

NEUE MOZARTBÜCHER UND CDS

03 10 12 14 05


EDITORIAL

als wir die vorliegende Ausgabe im Hinblick auf das 50-jährige Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel planten, war der durch die Entführung von drei israelischen Jugendlichen ausgelöste Gazakonflikt noch nicht eskaliert. Wir hatten uns vorgenommen, an einen »Notenaustausch« ganz besonderer Art zu erinnern, der am 12. Mai 1965 stattfand und seither zu einem dichten Netzwerk politischer, wirtschaftlicher, zivilgesellschaftlicher, aber auch kultureller und insbesondere musikalischer Kontakte zwischen beiden Staaten geführt hat. Dank auch vieler künstlerischer Brückenschläge sind die deutsch-israelischen Beziehungen heute eng und freundschaftlich und für das Musikleben beider Länder inspirierend und befruchtend. Einen Moment lang haben wir allerdings gezweifelt, ob angesichts der täglichen Bedrohung auf beiden Seiten die Darstellung des Musiklandes Israel den tagespolitischen Ereignissen und den Nöten der Zivilbevölkerung gerecht wird. Die Beschreibung eines Vermittlungsprojektes in Israel mag aber zeigen, wie wichtig Musik gerade in Zeiten des Krieges ist. Darüber hinaus führen uns ClassiKid wie die Barenboim-Said-Akademie vor, dass Musik die Macht hat, friedensstiftend zu wirken und Grenzen zu brechen.

© Klaus Lipa

Liebe Mitglieder der DMG, liebe Crescendo-Leser,

Seit dem 26. August 2014 herrscht nun eine unbefristete Waffenruhe, die hoffentlich auch die Zeit zwischen dem Redaktionsschluss und dem Erscheinen dieses Heftes überdauert. Es bleibt zu hoffen, dass die Musik und zahlreiche kulturelle Bildungsangebote in Israel und Palästina zu einem »Abwehrschirm« werden, der Menschen ohne Haß und in gegenseitigem Respekt wieder einander näher bringt. Die deutsch-israelischen Beziehungen haben zwar durch das Wissen um die Vergangenheit einen einzigartigen Charakter, aber sie geben uns auch eine Hoffnung auf die Idee von Versöhnung und Frieden. Eine spannende Lektüre wünscht Ihnen Ihr

THOMAS WEITZEL Präsident der Deutschen Mozart-Gesellschaft

DOKUMENT

Verneigung vor dem Orient Im Jahr 1819 erschien West -östlicher Diwan, die umfangreichste Gedichtsammlung von Johann Wolfgang von Goethe, inspiriert durch die Werke des persischen Dichters Hafis. Darin heißt es unter anderem:

© Foto H.-P.Haack

Wer sich selbst und andere kennt, Wird auch hier erkennen: Orient und Okzident Sind nicht mehr zu trennen.

Titelblatt und Frontispiz (Kupferstich) der Erstausgabe des »West-östlichen Diwan«

2

Die Gedichte wurden nicht nur, vor allem in der Romantik, vielfach vertont. Sie wurden auch namensgebend für das West-Eastern Diwan Orchestra, das für diese Ausgabe einen Ehrenplatz auf unserem Cover erhalten hat. Sein Gründer und Leiter Daniel Barenboim, der sich für einen friedlichen Nahen Osten engagiert, ruft nun die BarenboimSaid-Akademie ins Leben (siehe Mozart-Ort: Berlin, S. 12). ❙

Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft


INTERVIEW

Mozart ist meine große Liebe Der israelische Dirigent Dan Ettinger im Interview

© Hans Jörg Michel

Dirigieren war immer schon sein Traum, doch – wie bei seinem Mentor Daniel Barenboim – ist das Klavier seine zweite Heimat. Dan Ettinger ist noch Generalmusikdirekter am Nationaltheater Mannheim, ab 2015/16 wird er Che­fdirigent der Stuttgarter Philharmoniker

Von Mozart in Mannheim und Wagner in Israel – In musikalische und menschliche Befindlichkeiten weiß sich Dan Ettinger hier wie dort einzufühlen. Dirigierunterricht hat er nie gehabt – und zählt doch heute zu den gefragtesten Dirigenten seiner Generation. Dan Ettinger, Sie studierten in Ihrer Heimat Israel und traten dort auch erstmalig auf, sowohl als Bariton als auch als Dirigent. Hat man es in Israel als Musiker leichter eine Karriere zu beginnen, weil es vielleicht nicht so viel Konkurrenz gibt – auch nicht so viele Studenten aus dem Ausland? Es ist schon anders. Ich meine das jetzt positiv: Israel war und ist vielleicht noch immer Provinz. Für mich persönlich hatte das durchaus einen großen Vorteil. Es betrifft nicht so sehr die Konkurrenz, aber die Chancen für jemanden, der gut ist, eine Karriere zu starten, sind besser. Auch meine Karriere vom Bariton zum Dirigenten und dann mein Sprung nach Berlin als Assistent von Daniel Barenboim wäre woanders sicher schwerer gewesen. Die Möglichkeit, nach zehn

Jahren als Sänger ins Dirigenten-Fach zu wechseln und dann gleich eine Kapellmeisterstelle an der Israel Opera zu bekommen, gleichzeitig Gastdirigent des Jerusalem Symphonieorchesters zu werden, das sind die Vorteile der Provinz. Lernen durch die Praxis Ich habe gehört, die musikalische Förderung von Kindern in Israel ist sehr gut. Wie war das bei Ihnen? Ich habe nicht sehr lange Musik studiert, muss ich zugeben, denn nach eineinhalb Jahren an der Musikakademie von Tel Aviv habe ich

Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft 3


INTERVIEW aufgehört und begonnen als Musiker und Sänger zu arbeiten. Und von da an habe ich hauptsächlich durch die Praxis gelernt. Meine Persönlichkeit ist einfach darauf ausgerichtet, durch Machen zu lernen, was Vor- und Nachteile hat. Und wie steht es um die musikalische Förderung von Kindern in Israel generell? Ja, die Förderung ist gut, und das Niveau ist sehr hoch gerade bei Instrumentalisten. Das ist auch der Grund, warum so viele Israelis herausgehobene Positionen in europäischen Orchestern einnehmen. Guy Braunstein, der Konzertmeister der Berliner Philharmoniker oder Peter Rosenbeerg bei den Bamberger Symphonikern und so weiter. Es gab eine sehr, sehr starke Instrumentalschule in Israel. Warum gab? Als musikalischer Direktor des Israel Symphony Orchestra habe ich die Erfahrung gemacht, dass wir bei Vorspielen für Geigenstellen in den vergangenen Jahren nicht mehr die Qualität zu hören bekamen, wie es sie früher gab. Vielleicht liegt es daran, dass viele Musiker jetzt zum Studieren ins Ausland gehen. Wir konnten tatsächlich nicht genug gute Geiger fürs Orchester finden. Mozart als größte Liebe Wie haben Sie die Musik von W. A . Mozart kennengelernt? Zuerst vom Klavierunterricht her. Dann habe ich ihn durch den Gesang kennen gelernt, plus Begleiten am Cembalo im Orchestergraben. Mozart war immer schon meine größte Liebe. Ich kann nicht mal beschreiben warum. Natürlich kann man sagen, der Stil, die Melodie, das ist das Geniale. Aber das ist alles Oberfläche. Ich möchte nicht sagen, dass es etwas Spirituelles ist, denn das klingt prätentiös. Aber es gibt etwas jenseits des Materials in dieser Musik. War das auch ein Grund, warum Sie die Position in Mannheim angenommen haben, wo ja die Mozart-Tradition doch ja eine gewisse Rolle spielt? Nein. Nachdem ich Kapellmeister in Berlin war, bot sich in Mannheim eine fantastische Gelegenheit für meine erste GMD-Stelle. Aber ich war überrascht festzustellen, dass Mozart in Mannheim eigentlich kein Schwerpunkt ist, und es war am Anfang auch ein wenig eine Enttäuschung für mich. Ein Orchester wie ein Rolls Royce Nach ihren ersten Dirigiererfahrungen in Israel hat Sie Daniel Barenboim nach Berlin an die Staatsoper geholt. Das war sozusagen das Tor zur internationalen Karriere. Was haben Sie bei und von Barenboim gelernt? Zunächst einmal ist dieser Mensch eine wandelnde Inspiration. Und hinter dieser Inspiration gab es viel Handwerk und Wissen zu lernen. Natürlich ist das Orchester sein Baby, das er 19 Jahre lang geformt hat und mit dem er einen eigenen Klang und einen eigenen Stil entwickelt. Das ist faszinierend zu beobachten und zu spüren. Aber es ist auch wahr, dass ich, nachdem ich das Orchester verlassen habe, eine lange Zeit gebraucht habe, meinen eigenen Weg zu finden. Das liegt in der Natur der Sache, wenn man den Luxus hat, in einem Rolls Royce zu fahren und dann allein in einem … anderen

Auto. Aber das war meine beste Schule. Und lernen mit einem solchen Apparat, ist wirklich ein Luxus. Sie haben deutsche Wurzeln, daher auch der Name Ettinger. Gibt es da sozusagen qua Abstammung eine gewisse Beziehung zum deutschen Repertoire von Bach über Mozart bis Wagner und Strauss oder spielt das keine Rolle? Eigentlich sind es rumänische Wurzeln, denn wir stammen aus Siebenbürgen. Alle Namen in meiner Familie – Ettinger, Rosenblatt, Löbl – sind deutsche Namen. Als meine beiden Großmütter nach Israel ausgewandert sind, waren sie zu alt, um Hebräisch zu lernen. Also sprachen sie Deutsch mit mir. Deutsch aus Siebenbürgen, aber doch Deutsch. Haben Sie durch diese Beziehung zur deutschen Sprache vielleicht eine besondere Beziehung zum deutschen Repertoire in der Musik oder spielt das keine Rolle? Ich kann nur sagen, dass, als Freunde von mir in den 80ern und 90ern Popmusik hörten, ich selbst Schwarzkopf, Fischer-Dieskau und Fassbaender, mit deutschen Liedern, hörte. Ich war fasziniert davon. Auch wenn Mozart meine große Liebe ist, bin ich doch von meiner Natur her romantisch. Romantik ist meine Sprache, das ist auch der Grund, warum Leute meine Mozart-Interpretationen kritisieren. Ich glaube, dass Mozart weit über den Klassizismus hinausgeht, aber das ist eine andere Geschichte. Historische Aufführungspraxis ist für Sie also kein Thema? Es ist nicht mein Ding. Ich weiß, es gibt zwei Ansichten. Dass wir der Musik dienen sollen im Sinn eines authentischen Musizierens, oder dass es unsere Aufgabe ist, die Musik mit uns weiter zu tragen und zu schauen, wie die Musik heute funktioniert. Es geht mir gar nicht darum, die andere Weise zu kritisieren. Wenn wir authentisch spielen wollen, dann aber bitte ohne Elektrizität, mit Kerzen, ohne Klimaanlage, mit Perücken und mit Leuten, die etwas riechen, weil sie nicht geduscht haben. Ich mache keine Witze, für mich umfasst Musik alle Sinne. Man muss die ganze Atmosphäre kreieren. Wagner ist für viele traumatisch. Stichwort Wagner. Sie selbst haben schon einige Wagner-Opern dirigiert. Wann, glauben Sie, wird man Wagner in Israel spielen können bzw. wird man ihn dort jemals spielen können? Ich glaube nicht. Obwohl es das gleiche Tabu mit Richard Strauss gab. Das ist vorüber. Bei Wagner hat es mit dem Mythos zu tun und mit Unwissenheit. Wenn man Wagner nicht spielt, warum dann die »Carmina Burana«? Die sind ein Schlager in Israel. Weil die Leute den Background von Orff nicht kennen. Wenn Wagner nein, warum Volkswagen ja? Ich bin selbst Teil der zweiten Generation der Holocaust-Überlebenden, und ein Trauma ist ein Trauma. Damit kann man nicht rational umgehen. Daher bin ich zwiegespalten. Als Musiker denke ich, das Tabu ist falsch. Israelische Musiker haben dadurch eine Lücke in ihrer musikalischen Erziehung und im Repertoire. Es ist ein Missing Link, auch für das Publikum. Auf der anderen Seite kann ich das emotionale Trauma meiner und anderer Familien nicht kritisieren. Man muss respektieren, dass diese Musik für viele immer noch traumatisch ist. Das ist das Schwierige an der Situation. ❙  Das Interview führte Robert Jungwirth.

4 Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft


Empfehlungen CDs und BÜCHER CDs

Lang Lang: The Mozart Album. Nikolaus Harnoncourt (Dir.), Wiener Philharmoniker. Doppel-CD (CD 1: Klavierkonzerte c-Moll KV 491 und G-Dur KV 453, CD 2: Sonaten Nr. 4, 5 und 8 und Klavierstücke), Sony Classical 2014. Lang Lang und Nikolaus Harnoncourt: Die Paarung, die zunächst ungewöhnlich scheint, funktioniert bereits seit 2010 recht erfolgreich auf den internationalen Konzertbühnen. Mit Beethoven hatte die Zusammen­ arbeit begonnen, längst ist auch Mozart hinzugekommen. Hat Lang Lang sein Interesse an historisch informierter Aufführungspraxis und der Klangrede entdeckt? Immerhin: Er bleibt beim Steinway. In jedem Fall soll dieses Doppelalbum Lang Langs eigener Wunsch gewesen sein: Es sind (sieht man von einem Sonaten-Satz ab) seine ersten Mozart-Aufnahmen überhaupt. Interviewaussagen lassen den Schluss zu, dass er erst jetzt zu einem ihn befriedigenden Interpretationsansatz gefunden hat – für den er nicht zuletzt auch Harnoncourt Dank weiß. Interessanterweise jedoch überzeugt die Solo-CD mehr als die Konzerte: In letzteren scheinen sich beide Partner eher gezähmt als befeuert zu haben. Der Klavier­ part bleibt merkwürdig verhalten, ja defensiv. Auch an Har­noncourtscher Ruppigkeit fehlt es fast ganz; nur ein paar Fortissimi brechen wie gewohnt

knallig herein. Das c-Moll-Konzert ist merklich entdämonisiert und ins Lyrische gerückt; das Finale von KV 543 klingt in seiner rokokohaften Pose fast karikiert. Größere, teils fesselnde Tiefe erreicht einzig der langsame Satz dieses Konzerts. Das bei Harnoncourt Gelernte dokumentiert sich indes auf der Solo-CD. Die Interpretation der Sonaten ist zwar ebenfalls durchsichtig und kultiviert (bei Lang Lang sonst selten), doch von klarem Gestaltungswillen geprägt. Charakterkontraste – etwa im ersten Satz der G-Dur-Sonate KV 283 – werden deutlich und ohne Affektierheit herausgearbeitet. Dynamische, klangfarbliche und Tempo-Modifikationen finden breite, doch musikalisch zumeist plausible Anwendung. Hier also findet Lang Lang zu seinem eigenen Mozart-Ton, der einen Respekt vor dem historischen Stil mit Differenzierungsvermögen und hoher Musikalität verbindet. Ein neues Kapitel der Mozart-Interpretation ist damit freilich nicht unbedingt eröffnet. Dr. Melanie Wald-Fuhrmann

Mozart: Requiem KV 626. Nuria Rial (Sopran), Marie-Claude Chap­ puis (Alt), Christoph Prégardien (Tenor), Franz-Josef Selig (Bass), Alexander Liebreich (Dir.), Chor des Bayerischen Rundfunkts und Münchener Kammer­ orchester. Sony Classical 2014.

Der CD-Markt leidet sicher keinen Mangel an Mozart-Einspielungen. Und gerade Requiem-Aufnahmen gibt es mehr als genug. Dennoch ist diese Neueinspielung nicht überflüssig. Das liegt nicht nur an den hervorragenden Solisten oder den beiden sehr guten Klangkörpern, die der Dirigent Alex­ander Liebreich mit Sinn für die jeweils beste Balance zusammenführt. Das Besondere dieser Aufnahme ist vielmehr die zugrunde gelegte Fassung: Statt wie meist üblich das Requiem in der Vervollständigung durch Franz Xaver Süßmayr zu spielen, ist hier die 1991 erarbeitete Fassung von Robert D. Levin umgesetzt. Der Musiker und Musikwissenschaftler, der an der Harvard University lehrt, legte zwar Süßmayrs Ergänzungen zugrunde. Wo es ihm aus stilistischen Gründen indes geboten schien, griff Levin in die Instrumentation zugunsten eines schlankeren Klangbildes ein. Die kompositorische Substanz ist v. a. an zwei Stellen betroffen: An die Stelle eines lapidaren Zweitakters setzt Levin ans Ende der Dies irae-Sequenz eine aus einer Skizze Mozarts entwickelte Amen-Fuge und gibt damit diesem Abschnitt einen angemessen gewichtigen Abschluss. Die etwas steife Hosanna-Fuge Süßmayrs ist durch eine deutlich belebtere ersetzt. Das Werk erscheint damit formal gerundeter. Wenn dann noch eine so hochkarätige Umsetzung hinzukommt, der man geradezu Referenzcharakter zusprechen möchte, wird sich die Levinsche Fassung sicherlich bald noch mehr Freunde gewinnen. Dr. Melanie Wald-Fuhrmann

Mozart: Die Hochzeit des Figaro. Oper erzählt als Hörspiel mit Musik. Matti Klemm (Erzähler) u. a. Amor Verlag 2014. Zwölf Opern hat der Leipziger Hörbuch-Verlag Amor bislang als Hörspiele herausgebracht, als erstes Die Zauberflöte, nun auch den Figaro. Die Produktionen sind für Hörer von »8 bis 88 Jahre« gedacht, für jüngere Opern-Fans gibt es in Kooperation mit Die Zeit eine eigene Reihe. Beide Vorhaben sind v. a. dazu gedacht, der Oper neue Hörerschichten zu erschließen und auf niederschwellige Art einen Zugang zu den Werken zu eröffnen. Das Prinzip sieht wie folgt aus: Zwischen den populärsten Nummern der jeweiligen Stücke führt ein Erzähler in das Stück ein, berichtet die Handlung und Schauspieler sprechen einige Szenen. Von den 29 Nummern des Figaro werden hier lediglich elf ausgewählt. Wohl aus Kostengründen hat der Verlag dabei auf eine bei Naxos erschiene ungarische Einspielung unter Michael Halász zurückgegriffen, die leider nicht mehr als solide ist. Das Eigentliche, die Hörspiel­ adaption nämlich, bleibt ebenfalls hinter den Möglichkeiten des Genres zurück: Die insgesamt zu langen Erzähler-Texte (Idee, Text und Regie: Richard Braun) adressieren primär ein jüngeres Publikum, sind dafür aber ebenso wie die recht hölzernen … Fortsetzung auf Seite 16

Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft 5


ISRAEL

Der Klassiker im Heiligen Land

von Sven Scherz-Schade

Masada am Toten Meer, wo die Israelische Oper aus Tel Aviv jährlich ihr Open-Air Festival stattfinden lässt.

Die Klassik-Szene Israels widmet sich gerne dem Mozart der Symphonien und Solo-Konzerte. Der Grund dafür ist simpel: Israel ist ein kleines Land mit vorwiegend kleineren Orchestern. Werden Mozarts Opern oder Werke für große Besetzung mit Chor aufgeführt, ist das schon etwas Besonderes. Die »Linzer« Symphonie unter Chefdirigent Zubin Metha, das Klavierkonzert Nr. 20 in d-Moll mit Murray Perahia als Solist oder das Klarinettenkonzert KV 622... Beim Israel Philharmonic Orchestra ist Mozart allgegenwärtig. Die genannten Werke und mehr finden sich zurzeit auf dem Spielplan des Spitzenklangkörpers aus Tel Aviv, eingebettet in eine Programmierung, die dem alt hergebrachten Strickmuster folgt: Kurzweilige Eröffnung erstens, etwas Solistisches zweitens und nach der Pause drittens ein größeres Orchesterwerk. Bei letzterem allerdings werden die romantischen Komponisten häufiger herangezogen als die Wiener Klassiker und falls doch die großen Drei anstehen, dominiert Beethoven vor Haydn und Mozart.

»Der glückliche, unbeschwerte Mozart hat bei uns genauso seinen Platz wie seine nachdenkliche Seite, Trauer und Schmerz Mozarts«, sagt Barak Tal. Im vergangenen Winter hatten die Tel Aviv Soloists das Requiem aufgeführt. Israel hat nur sehr wenige Klassik-Vokalensembles. Weil Barak Tal früher am Musikkollegium einen semiprofessionellen Chor geleitet hatte, konnte er die Kontakte zu den Sängerinnen und Sängern nutzen. Sie haben – jede und jeder für sich – eine professionelle Gesangsausbildung, stecken aber beruflich heute in anderen Tätigkeiten. Für Israels Chorszene sind solche Zusammenschlüsse typisch und Barak Tal war froh, auf diese Weise das Requiem besetzen zu können. Aber: Das war schon was Besonderes.

Welche Rolle spielt Mozart? Historisch informiert Das Konzertpublikum in der Hauptstadt wünscht sich von »seinem« Spitzenorchester eben die größeren, breit angelegten Klangwelten und weil die »Philharmonics« in Tel Aviv tatsächlich das einzige Ensemble im Land sind, die diesem Wunsch auf Höchstniveau nachkommen können, geht die konservativ ausgerichtete Programmierung schon in Ordnung. So sieht es jedenfalls Barak Tal, Chefdirigent des Ensembles Tel Aviv Soloists. Vor über einem Jahrzehnt gründete Barak Tal das heute in Israel äußerst erfolgreiche Kammermusikensemble, das im Kern aus 21 Streichern besteht und je nach Konzert oder Produktion mit weiteren Musikern aufgestockt wird. »Aufgrund unserer Größe war Mozarts Orchestermusik für uns von Anfang an eine hervorragend geeignete Literatur«, sagt Barak Tal. Im Fokus stehen bei ihm Werke des 17. und 18. Jahrhunderts. »Mozart nimmt selbstverständlich einen herausgehobenen Rang ein«, sagt Barak Tal und verweist auf das Repertoire, das wiederum demjenigen der Israel Philharmonics nicht unähnlich ist. Kleine Besetzungen So zählen bei den Tel Aviv Soloists etwa die Sinfonia concertante oder das Konzert für Flöte und Harfe zum festen Konzertkanon. 6

Wenn sie Mozart spielen, wollen die Tel Aviv Soloists auch wie ein Mozart-Orchester klingen. Das bedeutet wenig – oder besser an vielen Stellen – gar kein Vibrato in den Streichern, eventuell

Aufmerksames Zuhören: Ein Konzert im Tel Aviv Museum mit der Israel Camerata Jerusalem (Ltg. Nir Brand) und einem Querschnitt aus Mozarts Zauberflöte.

Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft

© Sven Scherz-Schade

Mozart-Rezeption in Israel


spielen sie sogar mit Barock-Bogen, um das Klangvolumen insgesamt zurückzunehmen. Trotzdem sollte je nach Charakter der Musik die Artikulation klar und deutlich ausfallen. Barak Tal: »Mozart war Opern-Komponist und hat auf gegensätzliche Charaktere großen Wert gelegt.« Mit seinen Überlegungen zur historisch informierten Spielweise stößt Barak Tal beim israelischen Publikum jedoch nicht immer auf Verständnis. Einmal hat er ein komplettes Mozart-Konzert aufgeführt, in dem er die 40. Symphonie spielte, die vier Sätze aber durch Intermezzi unterbrach: Zum einen erklangen musikalisch verwandte Mozart-Arien, zum anderen las ein Schauspieler aus Mozart-Briefen vor. Das sei hochinteressant gewesen und habe die konservativen Programmregeln durchbrochen. Das ältere Publikum habe damit aber nichts angefangen. »Manche sind noch während des Konzerts gegangen«, sagt Barak Tal und stellt fest, dass man mit kreativen Mozart-Ideen im israelischen Kulturbetrieb schnell an Grenzen stößt. Und da spielen noch ganz andere Gründe mit hinein.

ten, die schließlich durch den Rubinstein Wettbewerb weltweites Renommee erhalten, mittels Amadeus-Festival nun nochmals in Israel selbst eine besondere Auftrittsmöglichkeit bekommen haben. Auch für das 1965 gegründete Israel Chamber Orchestra ist aufgrund seiner Ensemblegröße Mozart einer der »Top-Komponisten«. Am 9. und 10. Dezember 2014 findet der zweite Teil des Amadeus Festivals statt, unter anderem mit der diesjährigen Gewinnerin, der in Moskau geborenen Pianistin Maria Mazo, die das Konzert KV 449 spielen wird. Das Mozart-Konzert KV 414 hat sie bereits bei ihrem Debüt als 9-Jährige gegeben. Maria Mazo verbringt ihr künstlerisches Leben unter anderem mit Mozart und davon hat Israel Wind bekommen und seine Chance genutzt. Bleibt die Frage, ob das Israel Chamber Orchestra das Amadeus-Festival international vermarkten kann, um Kulturtouristen ins Land zu holen. »Davon sind wir aber noch weit entfernt«, meint Christiane Yehudin Peterseim. Mozarts Opern sind Nebensache

Zwischen Krieg und Kultur

Klaviermusik ganz vorn

© Sven Scherz-Schade

Letztes Jahr hatte das Israel Chamber Orchestra aus Tel Aviv beispielsweise das »Amadeus Festival« initiiert, in Kooperation mit der in Jerusalem beheimateten Internationalen Arthur Rubinstein Musikgesellschaft, die jährlich den Arthur-Rubinstein-Klavierwettbewerb ausrichtet. Beim »Amadeus Festival« standen die Klavierkonzerte Mozarts im Vordergrund. Sie wurden von Preisträgern des Wettbewerbs interpretiert; das Israel Chamber Orchestra begleitete. »Die Nachfrage war enorm, das Amadeus-Festival kam hervorragend an«, sagt die Flötistin Christiane Yehudin Peterseim. Gut sei gewesen, dass die erstklassigen Pianistinnen und Pianis-

Als Magnet für internationale Klassik-Fans und große Publikumsmassen fungiert seit fünf Spielzeiten das Open-Air Israeli Opera Festival von Masada am Toten Meer. Hier sind allerdings Großproduktionen von hauptsächlich Verdi-Opern gefragt. Mozart passt da nicht so recht ins Konzept. Ein Manko, dessen sich die Oper unter der Intendanz von Hanna Munitz vollauf bewusst ist und dieses Jahr erstmals einen Ausgleich versuchte mit einer teils konzertanten, teils szenischen Aufführung von Mozarts Don Giovanni in Akko: Die Altstadt der alten Hafenmetropole, in der sich einst Kreuzfahrer verschanzten und ihre Eroberungspläne des Heiligen Lands aufgaben, zählt zum Welterbe der Unesco. Der ehemalige Palasthof, wieder ausgegraben und archäologisch freigelegt, war Aufführungsort dieses ungewöhnlichen Don Giovannis, der aber vorrangig die Israelis aus Akko an die Hand nehmen sollte, um ihnen den »Opern-Mozart« nahezubringen. Akkos Einwohner durften die Proben kostenlos besuchen. Das Land hat nur ein Opernhaus, das in Tel Aviv. Dort steht beispielsweise in der laufenden Spielzeit keine Mozartoper auf dem Plan. Israel ist ein klassisches Einwandererland. Multikulti ist hier allgegenwärtig. Da spielen die Großen der europäischen Kulturgeschichte wie Rembrandt, Shakespeare – oder eben Mozart! – insgesamt eine andere Rolle. Das zu beschreiben, ist schwierig. Als Faustregel könnte gelten: Mozart in Israel ist mehr Kammermusik als Oper und mehr Klavier als Gesang. Unter diesen Vorzeichen aber gibt es viel. ❙

© Bernie Ardov

Der Krieg gegen die Hamas, die alltägliche Bedrohung und eine Staatsregierung, die auf militärische Entschlossenheit setzt und setzen muss, zählen dazu. Hat Israel gegenwärtig nicht wahrlich andere Probleme, als Wahrnehmung und Aufführungspraxis von Mozarts Werken zu modernisieren? Richtig ist, dass nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Kriegssituation Lust und Überzeugung in der Klassik-Szene nicht allzu groß sind, den Kulturbetrieb mit gewagten Innovationen zu überraschen. Auch in dieser Hinsicht ergibt die konservative Programmierung bei den »Philharmonics« Sinn. Dennoch gibt es ein paar neue Wege für »Mozart in Israel«.

Tel Aviv Soloists mit Dirigent Barak Tal

Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft

7


PORTRAIT

Jüdisches Leben musikalisch erfahrbar machen 2015 feiert das Orchester Jakobsplatz München 10-jähriges Bestehen

von Robert Jungwirth

Dirigent Daniel Grossmann bei der Opernaufführung »Hiob« während der Opernfestspiele der Bayerischen Staatsoper 2014

allmählich habe ich das Gefühl, dass wir da langsam hinkommen.« Das Orchester Jakobsplatz München ist nicht nur durch seinen Namen mit dem jüdischen Gemeindezentrum verbunden, es steht als jüdisches Orchester, das seine Konzerte hauptsächlich in dem Gemeindezentrum veranstaltet, selbstverständlich in enger Verbindung damit – obwohl es organisatorisch davon völlig unabhängig ist. Und so sieht der 1978 in München geborene Grossmann sein Orchester als Ergänzung der Aktionen des Gemeindezentrums. »Ich habe das von Anfang an als eine riesige Chance gesehen, aber auch als Aufgabe, dieses zentrale Gebäude mit Inhalten zu füllen. Denn dieser Ort sollte zu etwas werden, das eine Anziehungskraft für alle Menschen hat und jüdisches Leben als festen Bestandteil der deutschen Kultur erfahrbar macht«. Die Finanzierung ist immer noch ein Abenteuer

Die Gebäude auf dem Münchner Jakobsplatz wirken zugleich ansprechend und ein wenig hermetisch. Immerhin wirkt das ebenerdige Café mit seinen bei gutem Wetter geöffneten Glastüren sehr einladend, und so erfahren auch Passanten, die eher zufällig hierher kommen, was es mit diesen drei Gebäuden auf sich hat und was in ihnen stattfindet. Das jüdische Gemeindezentrum München mit Synagoge, Museum, Schule, Kindergarten, Volkshochschule und Jugendzentrum, in Münchens Zentrum unweit des Marienplatzes gelegen, ist ein deutlich sichtbares Signal, dass jüdisches Leben in dieser durch die Geschichte des Nationalsozialismus schwer belasteten Stadt wieder eine Heimat hat. Und genau darum ging und geht es auch dem Dirigenten Daniel Grossmann mit seinem Orchesters Jakobsplatz München, das er sogar noch vor der Eröffnung des Gemeindezentrums gegründet hat. »Meine Idee war von Anfang an, dass das eine Institution sein soll, die jüdisches Leben erfahrbar macht. Ich habe dann gemerkt, dass das gar nicht so einfach ist und dass man dafür viel Zeit braucht, aber 8

Im kommenden Jahr wird es das Orchester Jakobsplatz 10 Jahre geben. Grund zum Feiern, auch oder gerade weil es nicht immer einfach war. Vor allem in finanzieller Hinsicht. Auf privater Basis ein Orchester zu unterhalten, ist ein Abenteuer. Eine Förderung erhält das Ensemble vom Land Bayern, vom Bezirk Oberbayern und privaten Sponsoren, aber nicht von der Stadt München. Was einigermaßen erstaunt, wenn man das opulente jüdische Zentrum betrachtet, vom Reichtum dieser Stadt und ihrer unrühmlichen Vergangenheit einmal abgesehen, die durchaus zu einer gewissen Verantwortung gegenüber einer Einrichtung wie dem Orchester Jakobsplatz verpflichten könnte. Doch auch wenn der jugendlich-sympathische Daniel Grossmann eine Unterstützung durch die Stadt sehr gut für sein Orchester gebrauchen könnte und die Hoffnung dafür (noch) nicht aufgegeben hat, es muss auch ohne diese Förderung gehen. Denn Grossmann, der in München Klavier und Cello lernte, bevor er sich dem Dirigieren zuwandte, ist ohne Frage ein Überzeugungstäter. Mit viel Engagement und großer Beharrlichkeit hat er nach Studien bei Hans-Rudolf Zöbeley und Ervin Lukacs das Orchester Jakobsplatz im erstklassigen und schier überbordenden musikalischen Angebot Münchens etablieren können – musikalisch und auch was den Publikumszuspruch betrifft, wie Grossmann stolz berichtet: »Ich Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft


Das Orchester auf dem Jakobsplatz in München, dessen Namen es trägt.

freue ich mich, dass wir ein Stammpublikum bekommen haben und auch Freundschaften mit den Musikern entstanden sind, aber auch innerhalb des Publikums. Manche unserer Zuhörer haben uns auch auf Tourneen begleitet, da sind richtige Freundeskreise entstanden«. Programmatisch geht es beim Orchester Jakobsplatz natürlich vor allem um Musik jüdischer Komponisten, aber Grossmann stellt diese auch gern in einen größeren Kontext. Wichtig ist ihm, dass sein Orchester kein Ghetto-Orchester ist in dem Sinn, dass es in einer Nische ausschließlich mehr oder minder unbekannte Musik jüdischer Komponisten aufführt. So gab es in einem Konzert der vergangenen Saison neben den Drei Stücken für Streichorchester des »Theresienstädter« Komponisten Erwin Schulhoff auch Max Regers Lyrisches Andante und Antonín Dvořáks Notturno H-Dur zu hören. In einem anderen Konzert das Adagio aus Mahlers 10. Symphonie neben dem »Siegfried-Idyll« von Richard Wagner! Die klare inhaltlich-dramaturgische Konzeption der Programme spielt stets eine zentrale Rolle, und Grossmann wendet sich bei den Konzerten auch meist mit ein paar erklärenden Worten ans Publikum. Auch das fördert die Beziehung zum Publikum. Die Zusammensetzung des Orchesters sei nicht rein jüdisch, sagt Grossmann, es gebe hier eine ganz gewollte Offenheit und den Wunsch zum Austausch mit allen Religionen. Nicht nur an die Schrecken der Vergangenheit erinnern Von daher scheint es fast überflüssig zu erwähnen, dass das Orchester Jakobsplatz sich natürlich nicht darauf beschränken will, »jüdische Opferkultur zu zelebrieren«. »Ich mache mir immer darüber Gedanken, was jüdisches Leben heute bedeutet«, so Grossmann. »Und es kann nicht bedeuten, dass man nur an die Schrecken der Vergangenheit erinnert. Das ist natürlich wichtig und richtig, man soll nicht vergessen, aber wir müssen auch erkennen, was Judentum heute in Deutschland bedeutet und wie man es als vitalen Bestandteil der deutschen Kultur aufbauen kann.« Grossmann hofft deshalb in Zukunft noch mehr Kooperationen mit anderen kulturellen Institutionen eingehen zu können. »Das kann auch mit kleineren Projekten geschehen, die man beispielsweise um die Konzerte herum organisiert.« An Ideen scheint es Grossmann jedenfalls nicht zu mangeln. Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft

Wie ein vorweggenommenes Geburtstagsgeschenk zum zehnjährigen Jubiläum war da die Koproduktion der Uraufführung von »Zeisls Hiob« zusammen mit der Bayerischen Staatsoper in diesem Sommer bei den prominenten Münchner Opernfestspielen. Grossmann hatte die nur fragmentarisch überlieferte Oper des jüdischen Wiener Komponisten Erich Zeisl »Hiob« von dem zeitgenössischen polnischen Komponisten Jan Duszynski vervollständigen lassen und sie mit der Bayerischen Staatsoper als Partner in München uraufgeführt – gut 50 Jahre nach dem Tod Zeisls. Die Aufführung war ein großer Erfolg bei Publikum und Presse, an den Grossmann und sein Orchester hoffen, anknüpfen zu können. Etwa mit mehr Auftritten auch in wichtigen Konzertsälen in Deutschland und weiteren Kooperationen. Klingt nach früher Mozart-Oper: Betulia Liberata Eines der herausragenden Projekte der kommenden Jubiläumssaison ist die Aufführung eines so gut wie unbekannten Oratoriums von Wolfgang Amadeus Mozart mit dem Titel »Betulia Liberata«. Mozart schrieb es im Alter von 15 Jahren während eines Aufenthalts mit seinem Vater in Italien, vermutlich als Talentprobe für einen renommierten italienischen Komponisten-Kollegen. Eine Aufführung zu Lebzeiten Mozarts ist nicht belegt. Auf das Werk gestoßen ist Grossmann eher zufällig, wie er gesteht. »Ich war gleich begeistert von der Musik und fand es eine tolle Entdeckung, zumal das Werk mit der Geschichte von Judith und Holofernes auch eine Beziehung zum Judentum hat. Ich war überrascht, dass Mozart dieses Thema vertont hat, denn bei ihm gibt es im Gegensatz etwa zu Händel ja kaum eine Beschäftigung mit dem Alten Testament. Die Musik klingt ein bisschen wie frühe Mozart Opern. Aber auch wenn es früher Mozart ist, merkt man doch das Genie in der Musik.« Das nächste Konzert ist aber ausschließlich jüdischer Musik gewidmet: das Neujahrskonzert am 30. Oktober im Münchner Prinzregententheater mit synagogaler Musik und mit Kantoren aus Jerusalem, New York und Wien. »Ich freue mich sehr darauf, weil diese Art, synagogale Musik mit Orchester aufzuführen, in Deutschland nicht sehr bekannt ist. Es wird sicher ein fröhlicher und mitreißender Abend werden«. ❙ 9


MUSIKVERMITTLUNG

Mut machen mit Orchesterbesetzung ClassiKid: Musikvermittlung in Israel

von Sven Scherz-Schade In Israel hat, wie in Europa, das Interesse der Kinder und Jugendlichen an klassischer Musik nachgelassen. Deshalb haben auch im Heiligen Land viele Education-Programme gestartet. Eines der größten Vorhaben ist das von Ilana und Nir Brand gegründete »ClassiKid«. Doch hier geht es um mehr als lediglich »Konzerthörer von morgen« … Anfang August waren es etwa fünfzig bis sechzig Raketen täglich, die die israelischen Städte attackierten. Die meisten wurden von der »Eisernen Kuppel« abgefangen. Israel hatte in der Vergangenheit seinen Steuerzahlern Abermillionen für diesen Abwehrschirm abgerungen. Die Kritik war groß, weil das viele Geld freilich an anderer Stelle fehlte. Vor allem im Sozialbereich. Im Kulturbereich sowieso. Jetzt nach diesem Sommer 2014 ist die Kritik verstummt, weil die Eiserne Kuppel auf israelischer Seite sicherlich viele Menschenleben gerettet hat. Doch wirklich glücklich ist niemand. »Bedrohung und Angst sind vor allem im Süden in der Nähe zu Gaza ständige Begleiter«, sagt der Musiker, Dirigent und Entertainer Nir Brand. Dort im Süden, in Ashkelon und Ashdod, hatte er vor 13 Jahren zusammen mit seiner Frau Ilana das Education-Projekt ClassiKid begonnen. In Ashdod, wo damals bereits viele Kinder durch Traumatisierung und Entwicklungsstörungen auffällig wurden, musizierte Nir Brand mit mehreren befreundeten Orchestermusikern in zehn Schulen vor Schülern in den Klassenzimmern – schlichtweg, um die Kinder abzulenken vom Alltag. Die Kinder hörten der Kammermusik zu und folgten den lockeren, lustigen Erzählungen – Nir Brand hat als Radiomoderator in Tel Aviv eine eigene Sendung »IsraClassi« im IDF-Rundfunk (Israel Army Radio) – und trauten sich in der Gruppe sogar zaghaft nach Ermunterung, selbst mitzusingen. Eltern und Lehrer waren begeistert und Psychologen waren es auch. Wobei: Rasch war klar, dass man keine Therapie via Musik oder ähnliches anbieten wollte, sondern wegen großer Nachfrage prinzipiell allen Kindern und Jugendlichen klassische Musik nahebringen wollte. Dass aus dieser Initiative die erfolgreiche Organisation »ClassiKid« entstehen sollte, die heute mit insgesamt 20 Ausbildern im Land

arbeitet und 70 Musiker beschäftigt, ahnte damals niemand. 2006, nach dem zweiten Libanon-Krieg, erhielt Nir Brand Anfragen aus dem Norden, es ging durch Schulen und Stadthallen, wo sie ebenfalls vor verängstigten bis traumatisierten Kindern ihr mittlerweile didaktisch gereiftes Musikprogramm aufführten. Schließlich sponserte Isracard, der größte Finanzdienstleister für Kreditkarten in Israel, über mehrere Jahre das Projekt, unter anderem in der Grenzstadt Sderot. Zuletzt war ClassiKid in fünf Städten in Galiläa aktiv. Und dann – in diesem Sommer – das: Das Militär operierte in Gaza gewaltsam gegen die Hamas, umgekehrt flogen so viele Raketen wie noch nie. In Ashkelon, Ashdod oder Sderot geborene Teenager leben jetzt Zeit ihres Lebens mit der Angst. Sie kennen nichts anderes. Der fortwährend schleichende Krieg, der mal mehr, mal weniger stark aufflammt, hat Nir Brands Hoffnungen nicht eingeholt. Er folgt mit der Musik einer Mission: »Jeder Mensch sollte das Recht auf wenigstens eine Gelegenheit haben, in seinem Leben einmal Bach oder Mozart, ein Cello oder eine Oboe zu hören.« Orchesterinstrumente als Metaphern Die heute von ClassiKid angewandte Didaktik folgt nicht der gewohnten Musikvermittlung, Kindern zu erklären, etwa was eine Sinfonie ist oder wer den »Nussknacker« komponiert hat. Vielmehr nutzt das ClassiKid-Konzept die Orchesterinstrumente als Metaphern, die für etwas Bestimmtes stehen und den Kindern »Life-Skills«, d. h. Lebenskompetenzen, näher bringen sollen. So steht etwa die Solo-Trompete für Lebenslagen, in denen man Initiative ergreifen und Führung übernehmen muss. Der Kontrabass hingegen ist eine Metapher für die

10 Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft


Alle Fotos © Classikid Nir Brand Ltd.

Eindrücke von ClassiKid-Einsätzen: Die Fotos wurden unter Feldbedingungen gemacht, manchmal noch Minuten nachdem ein Bombenalarm ausgelöst wurde.

verantwortungsvolle Stütze, die man anderen manchmal oder je nach Musik ständig und fortwährend (auch in vielleicht ermüdend wiederholender Weise …) geben muss. »Meiner Erfahrung nach verstehen das bereits die 8-Jährigen voll und ganz«, sagt Nir Brand, der den Kindern auf diese Weise Mut machen und Horizonte öffnen möchte. Kinder erinnern sich vielleicht an die Beispiele aus ClassiKid in ihrem Alltag und entscheiden, ob sie in bestimmten Situationen Trompete oder Bass sein wollen. »Das kann in Katastrophenfällen hilfreich sein«, sagt Nir Brand, »aber auch wenn man in der Schule vor schwierigen Aufgaben steht.« Mozart auf Platz eins Über die Komponisten und ihre Zeit, über Violinschlüssel und Noten, über die Länder, aus denen die Musik stammt, wird selbstverständlich auch viel berichtet. Doch der Kern von ClassiKid zielt eher auf Werte- denn auch Musikvermittlung. Dennoch ist der rein musikalische Erfolg großartig: 18 Prozent aller Kinder, die bei Workshops, Schulbesuchen, Konzertreihen oder anderen Aktivitäten von ClassiKid teilgenommen haben, erlernen danach ein Instrument. Und 10 Prozent der Kinder fangen wieder an, ihr gelerntes Instrument wieder zu spielen, nachdem sie es bereits aufgegeben hatten. Dass Sinfoniekonzerte auch in Israel oftmals nur noch von älteren Menschen besucht werden, sieht auch Nir Brand mit Bedauern. Aber es belastet ihn weniger, als man vielleicht denken könnte. Ihm ist der Gleichheitsaspekt viel wichtiger, dass alle eine Chance auf Klassik haben sollen – und eben nicht nur Wohlhabende, die sich Konzert-Abos leisten. Ihm ist auch der emotionale Aspekt wichtiger. Klassik soll Gefühle freilegen. Hierzu hatte er bei ClassiKid manch emotionaleres Erlebnis als im Konzertsaal. Und dann verrät Nir Brand, dass eben Mozart bei den Kindern auf Platz eins rangiert! Bei ClassiKid wurden den Kindern viele Stücke

vorgespielt, ohne ihnen zu verraten, wer die Komponisten davon seien. Dabei landete Mozart beim Beliebtheits-Ranking auf den ersten drei Plätzen: mit der kleinen Nachtmusik, der Symphonie Nr. 25 g-Moll und der C-Dur-Sonate. Woran das liegt, lässt viel Spielraum für Interpretationen. Mozarts Kompositionen erscheinen jedenfalls durchweg natürlich und unverstellt. Auch die Komponisten ordnet Nir Brand im didaktischen Konzept von ClassiKid metaphorisch ein. Während etwa Beethoven in übertragener Bedeutung eher für den Bestimmenden und Berechnenden steht oder Chopin für den liebevollen Romantiker, der einen bezaubert, ist Mozart ein Sinnbild für den reinen, ehrlichen und natürlichen Charakter. Kinder mögen das. In unzähligen Dankesbriefen loben insbesondere Eltern immer wieder diese Arbeit von ClassiKid. Sie bedanken sich für die ungewöhnlich authentische Art und Weise, wie das Projekt Musik und Menschen zusammenbringt. Mit dem für den israelischen Patriotismus typischen Ehrgeiz sagt Nir Brand, dass er Kinder zu weltoffenen, israelischen Staatsbürgern machen möchte. Sie sollen ihre Nachbarn respektieren, akzeptieren, lieben. Tatsächlich sind die Außenbeziehungen Israels zu allen seinen Nachbarstaaten angespannt. Für die Konzerte in Galiläa erhielt ClassiKid auch finanzielle Unterstützung der Regierung, was nicht immer selbstverständlich ist, weil der der staatliche Kulturhaushalt knapp bemessen ist, nicht zuletzt aufgrund hoher Kosten für die »Eiserne Kuppel«. Wie teuer der Abwehrschirm konkret ist, bleibt dabei allerdings unklar. Jeder einzelne Raketenabwehrschuss soll umgerechnet etwa 15.000 Euro kosten. Anderen Berechnungen nach ist es mehr als das Doppelte. Tatsache ist: Für dieses Geld könnte man jede Menge Musik machen.  ❙

Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft 11


Alle Fotos © Raphael Kominis

MOZART-ORT

Berlin »Musik hat eine kathartische Funktion« – Die BARENBOIM-SAID-AKADEMIE von Theodora Mavropoulos »Bei einem guten Konzert werden die Gegenwart und so auch gegenwärtige Konflikte in Musik transzendiert – das ist das Geheimnis von Musik«. Michael Naumann, Direktor der Barenboim-Said-Akademie, beugt sich auf dem kleinen Sofa in seinem Büro immer wieder leicht vor, so als wolle er dem Gesagten Nachdruck verleihen. Im Jahr 2016 wird die Akademie fertig gestellt. Noch ist der Bau im Gange. Im ehemaligen Magazin der Staatsoper Unter den Linden werden dann bis zu 100 junge Stipendiaten aus Israel und den arabischen Ländern eine mehrjährige musikalische Ausbildung bekommen, die durch ein Studium generale in Musik- und Geistesgeschichte ergänzt wird. In den 50er Jahren wurde das Haus nach Entwürfen und unter der Leitung des Architekten Richard Paulick als Depot für die Kulissen der Staatsoper errichtet. Bis zum Jahr 2010 gab es keine wesentlichen baulichen Veränderungen im Inneren und Äußeren des denkmalgeschützten Gebäudes. Es wird nun dauerhaft erhalten und durch seine neue Nutzung aufgewertet. Die Idee der Akademie ist vor allem der Austausch unter den jungen Menschen aus dem Nahen Osten, sowie mit Deutschland. Musik wird hier als universelle Sprache genutzt, denn »Musik wohnt in den Momenten des Zuhörens und auch des Spielens eine kathartische Funktion inne, die eine Öffnung der Seelen bewirken kann. Das ist unsere Hoffnung für diese Akademie«, so Naumann. Diese Momente des sich Öffnens, des Zuhörens und des Austauschs scheinen besonders in heutigen Zeiten wichtiger denn je. »Die Beziehungen von Deutschland zu Israel, die in diesem Jahr 50-jähriges Bestehen haben, sind vor allem durch Verantwortung geprägt«, sagt Naumann. »Deutschland fühlt sich logischerweise

mitverantwortlich für die Notwendigkeit der Gründung Israels. Und aus dieser Verantwortung heraus entstand auch das Gefühl der Verantwortung für die Sicherheit Israels. Aber eine Verantwortung gibt es natürlich auch gegenüber den legitimen Ansprüchen und Bedürfnissen der Palästinenser.« Michael Naumann spricht ruhig, wägt seine Worte ab. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen der Konflikt zwischen Israel und Palästina immer wieder aufflammt, ist Diplomatie eine Kunst. »Hier deutet sich ein Riss in der deutschisraelischen Beziehung an, der sowohl von realpolitischen wie von moralischen Erwägungen geprägt ist.« Es ginge hier auch um Fragen der Menschenrechte, fährt der Direktor der Akademie fort. »Die Bundesrepublik ist in einer prekären Situation und muss sich früher oder später entscheiden, ob sie deutliche Worte spricht, was Netanjahus Politik gegenüber den Palästinensern betrifft.« Die Akademie als Austauschort setzt die Idee des 1999 gegründeten Divan-Orchesters, das sich ebenfalls hälftig aus Arabern und Israelis zusammensetzt, fort und bringt sie auf eine neue, institutionelle Ebene. Der Dirigent und Pianist Daniel Barenboim und der amerikanisch-palästinensische Literaturwissenschaftler Edward W. Said haben das Ensemble damals in Weimar gegründet. Das Divan-Orchester beruft sich mit seinem Namen auf J. W. v. Goethes lyrisches Alterswerk, das seine Verneigung vor den Liebesgedichten des persischen Dichters Hafis, aber auch seine langjährigen Studien islamischer Kultur widerspiegelt: »Gottes ist der Orient!/ Gottes ist der Occident!/ Nord- und südliches Gelände/ Ruht im Frieden seiner Hände.« Das Orchester hat unter der Leitung Daniel Barenboims mittlerweile weltweit einen hervorragenden Ruf. Seine Mitglieder treffen sich jährlich zu Proben und

Musik wohnt in den Momenten des Zuhörens

12

Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft


© Jan Zappner © Barenboim-Said-Akademie

Der Palladianismus lässt grüßen: Das Kulissendepot aus den 50er Jahren, in dem die Akademie untergebracht wird, stilistisch ganz der ehrwürdigen »Lindenoper« nachempfunden.

© WBSA

Dirigent Daniel Barenboim, Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Akademie-Direktor Michael Naumann in der Pressekonferenz zum offiziellen Baubeginn am 6. Mai 2014. In einem Jahr sollen die ersten Stipendiaten der Barenboim-Said-Akademie empfangen werden.

Frank Gehrys Modell des geplanten Konzertsaals in der Barenboim-Said-Akademie

Aufführungen wieder. Viele von ihnen spielen heute in renommierten Orchestern sowohl im Westen als auch im Nahen Osten – und haben durch ihre Erfahrungen im Divan-Orchester stets auch eine vermittelnde Rolle. Die Musiker verstehen sich selbst nicht als politische Botschafter, sondern als Beispiel setzende Künstler. »Die Tatsache, das in diesem Orchester nun schon seit über einem Jahrzehnt großartige, exemplarische Zusammenarbeit zwischen Menschen aus verfeindeten Nationen stattfindet, hat einen starken symbolischen Charakter und zeigt, dass Harmonie und Gespräche, die auch konfliktreich sein können, möglich sind«, sagt Naumann. Auch sollen durch diese neue Austauschstätte im Herzen Berlins langfristig Netzwerke zwischen den jungen Menschen geschaffen werden. Diese Begegnungen in der Akademie, aus denen erfahrungsgemäß auch dauerhafte Freundschaften entstehen, wie das Projekt Divan-Orchester zeigt, sollen für einen langfristigen Austausch auch in der Akademie in Berlin sorgen. »Viel mehr kann so ein Orchester gewiss nicht leisten, aber seine schiere Existenz ist Beweis genug dafür, dass es geht, dass Menschen, die offiziell aus Nationen kommen, die miteinander im Konflikt stehen, in Wirklichkeit miteinander zurechtkommen.« konstatiert Naumann. Dirigent Daniel Barenboim wird wie beim Divan-Orchester auch hier die musikalische Leitung übernehmen, die in der Akademie noch durch die pädagogische ergänzt wird. Das Projekt ist groß angelegt: Die Akademie erhält einen von Frank Gehry entworfenen Konzertsaal für 620 Besucher. Der amerikanische Architekt stellt seine Arbeit kostenlos zur Verfügung. Die Stadt Berlin überlässt der Akademie das denkmalgeschützte Gebäude im Rahmen eines 99-jährigen Erbbaurechtsvertrags. Die Baukosten

der Akademie liegen bei 34 Millionen Euro. Davon zahlt die Bundesregierung eine Baukostenzuwendung in Höhe von 20 Millionen Euro. Die Differenz wird durch private Zuwendungen gedeckt. Das Vorhaben begeistert auch Yakov Hadas-Handelsman, der seit 2012 israelischer Botschafter in Berlin ist. »Ich bin mir aus meiner Erfahrung her sicher, dass Kultur immer etwas bewirken kann«, so Hadas-Handelsman. Der 58-jährige war lange Zeit im israelischen Außenministerium im Nahen Osten beschäftigt und auch verantwortlich für die Pflege der Beziehungen zur arabischen Welt und für den Friedensprozess mit den Palästinensern zuständig. Für ihn hat der kulturelle Austausch eine große Dynamik. Denn »auch wenn die politischen Beziehungen zwischen Nationen stabil scheinen, sollte man die gesellschaftlichen Beziehungen nie unterschätzen. Besonders in Konfliktregionen muss man die Menschen einander näher bringen«, so der Botschafter. Mittlerweile gäbe es auch zahlreiche Projekte im Nahen Osten – gemeinsames Kochen, Sport, Musik – die das Zusammenführen der Menschen zum Ziel hätten. Auch die Akademie ist ein vielfältiges Projekt, was erstens den Austausch zwischen Israelis und Arabern und zweitens den Austausch mit Deutschen fördere, da die Akademie in Berlin stehen wird. »Solche Begegnungen sind sehr sehr wichtig für die Zukunft im Nahen Osten«, ist sich Yakov Hadas-Handelsman sicher. »Denn es wird immer die Regierungen geben, die ihre Beschlüsse über die Köpfe anderer hinweg fassen werden – aber es gibt immer auch die Beziehungen zwischen den Menschen der jeweiligen Völker, die durch Kultur und hier durch Musik gepflegt werden können.« Und wie hat auch schon Mozart gesagt: »Ohne Musik wär’ alles nichts«. ❙

Kultur kann immer etwas bewirken

Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft

13


INTERVIEW

Die Brückenbauerin

Die Klarinettistin Sharon Kam wurde in Israel geboren, hat in den USA studiert, und gab ihr Konzertdebut nach dem Studium mit dem Israel Philharmonic Orchestra. Heute lebt sie in Deutschland und ist als Solistin weltweit gefragt. Frau Kam, welches erste musikalische Erlebnis ist Ihnen in Ihrer Erinnerung besonders deutlich geblieben? Das früheste, an das ich mich erinnern kann, war als ich drei Jahre alt war. Meine Mutter hatte sich als Suzuki-Lehrerin ausbilden lassen, wir lebten in San Diego/Kalifornien. Ich durfte mitmachen, mit einer sehr, sehr kleinen Geige. Mit ganz vielen anderen Kindern habe ich »Twinkle, twinkle, little star« gespielt. Als ich dann mit viereinhalb Jahren nach Israel zurück kam, traf sich meine Mutter, oft in unserem Wohnzimmer mit Kollegen, u.a. aus dem Israel Philharmonic Orchestra zu Kammermusikproben, von acht Uhr abends bis spät nach Mitternacht. Und wir Kindern lagen in der Hängematte im Wohnzimmer und haben Musik gehört, bis wir eingeschlafen sind. Hatte Mozart für Sie in Ihrer Kindheit eine Bedeutung? Wenn man Klarinette spielt, was ich als Zwölfjährige begann, dann ist Mozart sehr wichtig, er wurde zu einem zentralen Punkt in meinem Repertoire. Aber schon vorher habe ich seine Musik geliebt. Meine Mutter spielte sehr viel Kammermusik von ihm, in allen Formationen. Hat das Aufwachsen in Israel Ihren Blick auf Deutschland geprägt, als Sie sich später – als 21-Jährige – hier niedergelassen haben? Die erste richtige Erfahrung, die ich mit Deutschland machte, war der ARD-Wettbewerb. München erinnerte mich sehr an all das, was ich in den alten Filmen aus der Nazi-Zeit gesehen hatte. Die Hochschule ist sogar im ehemaligen »Führerbau« beheimatet. Das war für mich für mich schrecklich, ich

Beim Deutschen Mozartfest im Mai 2015 in Augsburg ist Sharon Kam in einem Kammermusik­ konzert zu erleben. Infos unter www.mozartgesellschaft.de

wusste nicht, ob ich die Kraft haben ­würde, hier zu bestehen. Der Ort hatte überhaupt nicht die richtige Aura, um Musik zu zaubern. Ich fühlte mich hier sehr unwohl und wollte auf keinen Fall in Deutschland ­bleiben. Wie fanden Sie dann später einen inneren Zugang zu diesem Land? Ich trat immer wieder in Deutschland auf und lernte dadurch auch meinen Mann kennen. Ich wohnte damals noch in New York. Wir haben sehr viel diskutiert, auch über den Krieg. Damit wir zusammen sein konnten, musste ich nach Deutschland ziehen. Der Alltag hier war ja so anders als in New York! In Hamburg musste man am Samstag bis 13 Uhr entscheiden, was man am Montag frühstücken wollte, weil man inzwischen nicht mehr einkaufen konnte. Überhaupt diese Ruhe, und dass man abends nachhause geht und allein Abendbrot isst. In New York lebt man immer draußen und ist ständig unterwegs. Ich kannte hier niemand und verstand kein Deutsch. Der Kulturschock war immens. Zusätzlich tauchte an jeder Ecke für mich die Frage auf, wer sind diese Deutschen? Sind sie gut für mich? Meine Oma meinte, hier leben keine guten Menschen. Ich musste eine ganz neue Beziehung zu diesem Land für mich finden. Da ich ja in einen Deutschen verliebt war und viele junge Menschen hier kennenlernte, war das zum Glück nicht so schwer. In Israel gibt es viele existentielle Probleme, den Deutschen geht es, auch mit ihrem reichhaltigen, gut subventionierten Kulturleben, sehr gut. Manchmal zu gut? Die Menge von Orchestern und, dass man hier, wenn man eine Stunde fährt, wieder

auf das nächste Opernhaus trifft, hat mich vollkommen fasziniert. Ich fand genial, dass man hier nicht erklären muss, was eine Klarinette ist. In Israel gibt es auch ein wundervolles Publikum und wunderbare Musiker. Doch es ist dort ein Kampf, die klassische Musik zu erhalten. Hier ist sie selbstverständlich. Meine Kinder machen auf einem staatlichen Gymnasium ein Musikabitur. In Israel ist das nur auf einer Spezialschule möglich. Das ändert sich jetzt auch. Aber es ist für mich wunderbar, dass hier die Kultur, die aus Deutschland kommt, auch noch aufrecht erhalten wird. Das ist das Positive, das Deutschland der ganzen Welt zu bieten hat. Daran festzuhalten, so lange es geht, ist wahnsinnig wichtig. Wenn es diese Kultur einmal nicht mehr gibt, wo soll sie dann stattfinden? Sie kommt ja von hier. Haben sich die politischen Spannungen in Israel auch auf das dortige Musikleben übertragen? Nein, im Gegenteil. In Tel Aviv wurde im Sommer die Fledermaus gegeben und der Saal war voll, obwohl geschossen wurde. Auch die ausländischen Musiker sind geblieben und haben mitgewirkt. Alle ­blieben sitzen und Zubin (Metha) stand auf und hat gesagt: »Heute ist die Musik unser bester Abwehrschirm.« Da haben alle applaudiert. Die Leute wollen ihren Alltag vergessen und die Musik hilft ihnen dabei. Aber es fehlt viel Geld, da das alles in den Militäretat fließen muss. Wenn wir das hätten, wäre viel mehr Kultur in Israel möglich. ❙  Das Interview führte Julika Jahnke.

14 Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft

© Maike Helbig

Klarinettistin SHARON KAM


INTERVIEW

Der Brückenbauer

© Olivier Favre

Diplomat und Publizist AVI PRIMOR

Im vergangenen Jahr erschien Avi Primors erster Roman, »Süß und ehrenvoll«, der von jüdischen Soldaten im 1. Weltkrieg handelt.

Herr Primor, Sie haben erst als Erwachsener die klassische Musik für sich entdeckt. Was war dafür der Auslöser? Im Alter von 21 Jahren wurde ich im Wehrdienst der israelischen Armee verletzt und musste sehr lange liegen. Damals habe ich nur Bücher gelesen, Tag und Nacht, doch meine Augen wurden oft müde. Ein Freund riet mir, Musik zu hören. Er brachte mir einen Schallplattenspieler und Platten, die erste davon mit der 5. Sinfonie von Beethoven. Er sagte, ich solle den ersten Satz immer wieder hören, bis ich ihn fast auswendig kann. Dann den nächsten und so weiter. Ich habe mich langsam an die klassische Musik gewöhnt und sie dann monatelang ständig gehört. Welche Musik hat Ihnen am besten gefallen? Alles von Mozart hat mir sofort gefallen. Unter seinen Werken gab es für mich überhaupt keinen Vorrang, seine Musik fand ich einfach wundervoll. Mir gefällt auch sehr die Musik von Hector Berlioz und Franz Schubert. Wenn es um Oper geht, liebe ich besonders konzertante Vorstellungen, ohne die Bühnen-Show. Dann kann ich mich besser auf die Musik konzentrieren. Wie werden Komponisten, die zum deutschen Erbe zählen, wie Mozart oder Schubert, in Israel wahrgenommen? Sind sie durch das unvorstellbare Leid, das den Juden in Deutschland geschehen ist, posthum vorbelastet? Musik, das ist für die Israelis vor allem Österreich und Deutschland. Der Dirigent Zubin Metha ist seit seinem 27. Lebensjahr künstlerischer Leiter des Israel Philharmonic Orchestra. Als er damals begann, waren alle Musiker deutscher oder österreichischer Abstammung. Es gab keine anderen. Heute Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft

Wenn Avi Primor im Auto das Radio anschaltet, dann ertönt daraus klassische Musik. Sie begleitet ihn überall. Von 1993 – 99 war er Israelischer Botschafter in Deutschland und gilt seitdem als ein Kenner und Advokat der Völkerverständigung u.a. zwischen diesen beiden Ländern. Primor ist Vorsitzender der Israelischen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Gründer und Präsident des trilateralen Zentrums für Europäische Studien der Universität Tel Aviv.

spielen auch sehr viele Russen oder Nachkommen der Deutschen im Orchester. Aber die Grundlage der Musik, auch allein vom Repertoire her gesehen, beruht auf dem deutschen Kulturgut – bis heute. Ist das manchmal schwer zu ertragen, wenn die eigene Familie Opfer des deutschen Völkermordes geworden ist? Meine Mutter kam 1932 nach Tel Aviv und blieb in Israel, weil sie meinen zukünftigen Vater kennenlernte. Ihre Familie in Frankfurt konnte das nicht verstehen und hat sich mit ihr zerstritten. Das waren große deutsch-jüdische Patrioten, mein Großvater hat im 1. Weltkrieg gekämpft. Die gesamte Familie wurde dann in der Nazizeit ermordet. Meine Mutter war sehr verbittert und wollte von Deutschland jahrzehntelang nie wieder etwas hören. Dennoch war die deutsche Sprache für sie unentbehrlich, auch die Kultur und Musik. Sie sagte, die gehöre nicht den Nazis, sondern allen Musikliebhabern. Besonders von Wagner war sie begeistert und hörte oft Wagner-Opern. »Wenn Wagner Antisemit ist, interessiert mich das nicht, mich interessiert nur seine Musik«, sagte sie. Und es gibt sehr viele in Israel, die so denken. Wenn es gelingt, klassische Musik so aus ihrem Kontext zu lösen, kann sie dann trotzdem zur Völkerverständigung beitragen? Ja, weil sie die Sprache ist, die wir alle verstehen. Nach dem Krieg hat uns die Musik als erstes mit Deutschland wieder verbunden. Zuerst hat Zubin Metha diesen Kontakt geknüpft, dann Daniel Barenboim. Das hat sehr viel dazu beigetragen, dass die Beziehungen zwischen Israelis und Deutschen so unproblematisch geworden sind.

Sind Sie dann auch ein Advokat der staatlichen Kulturförderung? Frieden und Verständigung zwischen Völkern entstehen nicht durch Regierungen, Diplomaten, Beamte oder internationale Verträge. Das sind höchstens Ansatzpunkte. Damit das ausgebaut werden kann, brauchen wir die zwischenmenschlichen Beziehungen und die beruhen auf Kultur. Und das genau wollte man in Israel in den 50er und 60er Jahren verhindern: Es gab ein Gesetz, das jegliche kulturellen Beziehungen zu Deutschland verbot. Man durfte in Israel keine deutschen Filme zeigen, obwohl es eine Nachfrage gab. Heute erinnert sich kein Mensch mehr daran, dass es mal solche Gesetze gab, weil die Realität alles geändert hat. Heute mutet das an wie histoire ancienne. Auch in Ihrem jüngsten Buch »Süß und Ehrenvoll« geht es um – u. a. kulturelle – Grenzüberschreitungen. Warum haben Sie sich dabei für die Romanform entschieden? Ursprünglich hatte ich vor, ein Sachbuch zu schreiben, über jüdische Soldaten in allen Armeen des ersten Weltkriegs. Ich habe ein Jahr lang geforscht und intensiv Soldatenbriefe aus dieser Zeit studiert, was mich zunehmend fasziniert hat. Ich merkte, dass sich die Emotionen der Soldaten und auch der Zivilbevölkerung nicht in einem Sachbuch schildern lassen, sondern nur in der Romanform. Das Schreiben hat mich so begeistert! Ich konnte hier meiner Fantasie wenigstens teilweise freie Hand geben. Das hat mir soviel Spaß gemacht, dass ich weitergemacht habe. ❙  Das Interview führte Julika Jahnke. 15


Fortsetzung von Seite 5 … Dialoge zu brav. Weitere Mittel der Gestaltung, etwa Soundeffekte, fehlen gänzlich. Insgesamt macht die Produktion einen recht bildungsbürgerlich-betulichen Eindruck. Es dürfte schwer werden, auf diese Weise Faszination für das Werk zu wecken. Sollte doch jemand mit dieser CD zu Mozart finden, liegt das wohl ausschließlich an der Musik selbst. Dr. Melanie Wald-Fuhrmann

BÜCHER

Eva Gesine Baur: Mozart. Genius und Eros. Eine Biographie. C. H. Beck, 550 Seiten Richard Strauss, der große Mozartkenner und -dirigent verglich Mozart einmal mit dem Eros aus Platos »Symposion«. Dieser Vergleich war für Eva Gesine Baur die Initialzündung, sich mit Mozart auseinanderzusetzen. Doch wo Strauss mit seinem Vergleich vor allem auf die Struktur des musikalischen Werkes abzielte, wendete ihn Eva Gesine Baur auf Mozarts ganze Existenz an. Sie wagt das Experiment, »Mozart mit der Sonde Eros« zu ergründen. Für den Philosophen Theophrast war »Eros eine Erscheinungsform der Energie, die gefährlich und gefährdet ist. Jederzeit kann sie umschlagen von einer, die Ordnung stiftet,

in eine, die Ordnungen vernichtet.« Mozart hat das in seinem Lehrstück der erotischen Psychologie, »Così fan tutte« beispielhaft vorgeführt. Es liegt daher nahe, dass sich Eva Gesine Baur für Mozarts Psyche und Eros interessiert. Den Schlüssel zu den darin verschlossenen Abgründen glaubt sie, in den Briefen des Komponisten gefunden zu haben: »Obwohl nur ein Teil von ihnen erhalten ist, führte Mozart die Nachgeborenen damit selbst auf seine Fährte. Auf die Fährte eines Mannes, der seinen Vater belog und finanziell betrog. Der sich in Fäkalsprache und Obszöni­ täten erging. Der verdiente Künstler mit groben Worten herabsetzte. Der sich unflätig über Menschen äußerte, denen er viel verdankte. Der intrigierte und trickste. Der seine Gläubiger mit Ausreden hinhielt, seine Schwester im Unglück hängen ließ, über das Äußere von Frauen übel herzog und Unschuldige verleumdete.« Angesichts des fast 200-seitigen Anmerkungsapparates, der ihre enorme Leseleistung und Kenntnis der Mozartliteratur do­ kumentiert, kann man die akribisch belegte Argumen­ tation der Baur, dass Mozart, das musikalisch-­ erotische Genie, voller Widersprüche ist, nicht von der Hand weisen. Sie dröselt sie in 22 Kapiteln auf, die chronologisch angelegt sind. Gerade die Darstellungen des Lebensendes Mozarts lösen in der Mozartbiographik immer wieder Unbehagen aus. Mozart kämpfte gegen sein Vergessenwerden in Wien an, witterte neue Märkte im Ausland (die er allerdings aufgrund seiner Erkrankung nicht

mehr nutzen konnte), gab sich mit Optimismus einem kreativen Schub an Produktivität hin und starb plötzlich unter nie geklärten Umständen. Zurecht bilanziert Eva Gesine Baur, dass Mozart zahllose Fallen, in die man tappen kann, hinterläßt, »viele fragende Zeichen, wenig Gewissheiten«. Sie will und kann keine neuen schaffen, aber den Blick öffnen für Mozarts Antinomien. Eben deshalb hat sie ihren farbenfrohen, kaleidoskopartigen, gelehrten Mozart-Roman geschrieben. Er liest sich leicht. Ein prallsinnliches Resümee der Mozartliteratur. Chapeau! Dieter David Scholz

Vivien Shotwell: Die Schule der Liebenden. Roman (aus dem Amerikanischen von Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck) Limes Verlag 2014, 352 Seiten Dass Musikerromane immer Konjunktur haben, verwundert nicht. Und obwohl Mozarts Vita als bekannt gelten kann, macht auch eine imaginäre Liebesgeschichte mit einer seiner wichtigsten Sängerinnen Spaß: Anna (oder Nancy) Storace, die Darstellerin der ersten Susanna, ist die Hauptfigur von Vivian Shotwells Roman Die Schule der Liebenden. Aus ihrer Perspektive ist die Geschichte erzählt. In rasantem Stil geht es durch die Monate und Jahre. Dass die jun-

ge Autorin selbst auch Opernsängerin ist, fällt weder positiv noch negativ auf; dass sie die reichlich vorhandene Literatur (darunter z.  B. die Memoiren von Storaces irischem Kollegen Michael Kelly) genau gelesen und hier erfolgreich verarbeitet hat, merkt man hingegen deutlich. Im Mittelpunkt des Romans steht die (fiktive) Affäre zwischen Anna Storace und Mozart, der hier wenig originell als unfassbar begabt, sehr fleißig und natürlich ausgesprochen sympathisch geschildert wird. Shotwell leitet ihre Konstruktion – obwohl sie nicht die erste ist, die eine solche Beziehung behauptet – aus dem intimen oder zumindest als intim auslegbaren Text der Konzertarie mit obligatem Klavierpart KV 505, »Ch’io mi scordi di te« her, die Mozart für Storaces Abschied aus Wien komponierte und auch gemeinsam mit ihr uraufführte. Höhepunkt ist eine (sympathische, aber vielleicht doch etwas unrealistische) Liebesszene, die mit der Schöpfung von »Deh vieni, non tardar« aus dem Figaro verknüpft ist. Es wird schwer, diese Szene in Zukunft zu hören, ohne an die Interpretation von Shotwell und die angebliche Liebesgeschichte zu denken. Fazit: Ein gut recherchierter, kurzweiliger und ansprechend übersetzter Debütroman (das Original erschien ebenfalls 2014 unter dem raunenden Titel Vienna Nocturne), der einem die Figuren und ihre Zeit deutlich näher bringt und somit eine schöne Lektüre für mindestens einen oder zwei graue Herbst­ abende bietet. Jutta Toelle

Impressum Deutsche Mozart-Gesellschaft e. V. Mozarthaus · Frauentorstraße 30 · 86152 Augsburg Telefon: +49 (0)821 / 51 85 88 E-Mail: info@mozartgesellschaft.de Präsident: Thomas Weitzel

Schriftleitung: Melanie Wald-Fuhrmann Redaktion und Geschäftstelle: Julika Jahnke Layout: Esther Kühne

16 Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft


gesellschaft Schwerpunkt Instrumentenbau: Ein Besuch im Violinenreich von J & A Beare in London (Seite 78) Auf den Spuren des berühmten Geigenbauers Giuseppe Guarneri del Gesù (Seite 82)

Instrumente Klassik in Zahlen

Die Größten Das größte Klavier der Welt* Höhe in Meter……………………………………………………………………………………………………………… 3,70 * Zu Forschungszwecken befindet es sich im Pfleghofsaal der Universität Tübingen

Größte Orgel der Welt* Anzahl der Pfeifen………………………………………………………………………………………………… 17.974 Längste Orgelpfeife, Länge in Meter / Gewicht in kg……………………… 11 / 360 Verarbeitete Kabel in Meter ……………………………………………………………………… 120.000 * Ihr Zuhause hat diese gigantische Orgel im Passauer Stephansdom

Größte Tuba der Welt* Gewicht in kg…………………………………………………………………………………………………………………… 50 Länge in Meter…………………………………………………………………………………………………………… 2,05 * Auf ihr spielte Prof. Jörg Wachsmuth 2013 den Hummelflug in neuer Rekordzeit (54sek)

Die Teuersten

Die Meisten Gesamtimport an Streichinstrumenten in Stückzahl………………………… Gesamtexport an Streichinstrumenten in Stückzahl ………………………

66.748 25.887

Foto: ebraxas/Fotolia.com

Die Stradivari-Bratsche „Macdonald“ (in Euro)…………………………………… 35 Mio. John Lennons Steinway Piano Model Z………………………………………………… 1,6 Mio. Jimi Hendrix Gitarre von 1969…………………………………………………………………… 1,5 Mio

Quellen: klavier-klinik; faz; www.zehn.de; fr-online.de; www.miz.org

77


g e s e l l s c h a f t

Fotos: John & Arthur Beare

Die Zentrale von „J & A Beare“ in London (oben), ein Blick in die Werkstatt (unten).

78

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


Erste Adresse Seit 1892 verwaltet und repariert die Firma John & Arthur Beare hochwertige Streichinstrumente. Autorin Dorothea Walchshäusl durfte das Hauptquartier in Londons Edelviertel Marylebone besuchen und fand neben sympathischen Hausherren viele wertvolle Schätze.

Das Herz der Firma „J & A Beare“ im schmucken Gebäude in der Londoner Queen Anne Street 30 schlägt im Keller rechts hinten, gleich neben verstaubten Geigenkoffern, gelagerten Holzbrettern und ein paar Pappkartons. „Anti Explosive & Anti-Blowpipe Devices“ prangt dort auf einer tonnenschweren Stahltür, dahinter verborgen schlummern einbruchsicher und wohlbehütet die Kronjuwelen unter den Streichinstrumenten: Celli und Geigen, die so viel kosten wie eine Villa an der Côte d’Azur. „Wir haben Zeiten, in denen lagern hier Instrumente im Wert von 100 Millionen Dollar“, sagt Direktor Steven Smith und lächelt leise, dann streicht er zärtlich über den Hals einer haselnussbraunen Stradivari und legt sie zurück in das schlichte Aufbewahrungsfach. Das fensterlose Kellerloch mit den Holzregalen ist für Smith der wohl „sicherste Ort der Welt“ für derartige Werte, zuhauf liegen und stehen sie hier in diesem Tresor, jedes Ins­ trument für sich ein Geniestreich, ein Meisterwerk mit großer Geschichte und einem Klang für die Ewigkeit. Der Handel mit sogenannten „High-End-Streichinstrumenten“ ist eine mythenreiche und mitunter hybride Welt, die ebenso viel Raum für Legendenbildung lässt wie für den Kampf um das ganz große Geld. Nur noch 650 Stradivaris gibt es auf der Welt, und auch die Zahl der weiteren erstklassigen alten Streichinstrumente ist überschaubar. Das Angebot ist demnach begrenzt, der Handel in sich geschlossen, die Wertentwicklung enorm und der Reiz hoch, dies auszunutzen. In Wirtschaftsmagazinen häufen sich die Artikel über Geigen, von hohen Renditen ist die Rede, von Investments und Wertzuwächsen, und es scheint ein schöner Zufall zu sein, dass „fiddle“ im Englischen nicht nur „Geige“, sondern auch „betrügen“ heißt. Felix Gargerle, Erster Geiger an der Bayerischen Staatsoper und Musikproduzent, vergleicht die Stimmung in der Branche mit dem Goldgräberfieber: „Die Verlockung, hier Mist zu machen, ist so groß, dass auch ständig Mist gemacht wird.“ J & A Beare gleicht inmitten dieser Welt einer unaufgeregten Oase. Sechs Stockwerke umfasst das Haus im Zentrum Londons, und betritt man den Empfangsraum, so umfängt einen die familiäre Atmosphäre konzentrierter Geschäftigkeit. 1892 wurde die Firma von John und Arthur Beare gegründet, seither ist sie stetig gewachsen und zählt die renommiertesten Solisten zu ihren Kunden. Ob Jacqueline du Pré, Yehudi Menuhin, Nigel Kennedy oder Joshua Bell – alle verbindet sie mit J & A Beare das wohl kostbarste Gut, das sie besitzen: ihr musikalischer Partner fürs Leben, ihr Instrument. Heute wird die Firma von Steven Smith und Simon Morris geführt, die direkt an die J & A Beare-Tradition in Sachen Geigenzertifizierung, Restauration und Handel anknüpfen und in den vergangenen Jahren für mehrere große Deals verantwortlich waren. Den Fulton-Deal etwa, bei dem Instrumente des Microsoft-Mil­ liardärs David L. Fulton im Wert von knapp 50 Millionen Dollar an das St. Petersburger Mariinsky-Theater verkauft wurden, oder den

Verkauf der „Vieuxtemps“-Geige des Geigenbauers Giuseppe Guarneri, deren (geheimer) Preis laut Smith noch über dem der bisherigen Spitzenreiterin lag, der „Lady Blunt“ von Antonio Stradivari, die 2011 für 15,9 Millionen US-Dollar versteigert wurde. Dass Streichinstrumente einen derartigen Wert erhalten können, ist dabei nicht erst eine Erscheinung der Gegenwart (siehe Reportage Seite 84). Die Beares-Direktoren Smith und Morris kennen sich schon lange, sie hatten früher einen eigenen Geigenhandel, 1998 fusionierten sie mit J & A Beare, seit 2012 leiten sie das Geschäft. Sie könnten auch Brüder sein: zwei englische Herren mittleren Alters, höflich, bescheiden, charmant, mit offenem Blick und feinem Humor. Bevor sie in den Geigenhandel einstiegen, haben sie als professionelle Musiker ihr Geld verdient: Smith als Geiger, Morris als Cellist. „Dass wir beide Musiker sind, ist entscheidend“, sagt Steven Smith. „Wir verstehen, was die Musiker suchen, die zu uns kommen.“ Meistens treffen die Direktoren und ihre Kunden das erste Mal im Ausstellungssaal aufeinander, einem wohnlichen Raum mit Kronleuchter und gediegenem Teppich. Auf dem Kaminsims harren alte Metronome dem Schlagen des Taktes, im übermannsgroßen goldumrahmten Spiegel reflektieren die im weißen Regal ausgestellten Geigen, dunkelrote, rostbraune oder lehmfarbene Klangkörper, Schnecke an Schnecke, Korpus an Korpus. Auf dem runden Tisch steht der obligatorische englische Tee samt Cookies bereit. Dies ist der Ort, an dem Musiker das erste Mal ihrem zukünftigen „Partner“ begegnen, der Platz für das erste Date, die erste Berührung, die Liebe auf den ersten oder zweiten Ton. Auch Josef Kröner hat die Beares-Direktoren hier kennengelernt. 27 Jahre lang war Kröner Erster Geiger beim Bayerischen Rundfunkorchester, er hat das Orchester Klangverwaltung mitgegründet und ist heute Manager und Musiker zugleich. Der Zauber der alten Instrumente aber hat ihn erst bei J & A Beare erfasst. Damals begleitete er seine Schülerin Rebekka Hartmann auf der Suche nach dem passenden Instrument; über zehn Jahre ist das mittlerweile her, und seitdem gibt es auch für Kröner kaum eine Alternative mehr zu „den alten Italienern“, wie er sagt. Ebenso wie der Geiger Felix Gargerle spielt Kröner ein antikes Instrument von J & A Beare und beide sind sie von der unvergleichbaren Qualität der alten Meister überzeugt. „Es geht nicht nur um den Klang, es geht um den Stimulanzfaktor, den ein Instrument für den Spieler hat. Und der ist bei alten Instrumenten viel stärker“, so Kröner. Die Beziehung zwischen Instrument und Spieler ist laut Gargerle ein symbiotischer Prozess, und so habe ihm seine Geige ebenso viel abverlangt, wie sie ihm als Musiker gegeben habe. Doch J & A Beare ist nicht nur vertrauensvoller Verkaufsraum, sondern auch die erste Adresse für Reparaturen, denn im Gegensatz zu den meisten Geigenhändlern, die nur mehr reinen Boutiquehandel betreiben, pflegen Smith und Morris eine erstklassige Werkstatt.

„Zwei englische Herren mittleren Alters, höflich, bescheiden, charmant, mit offenem Blick und feinem Humor.“

79


Fotos: John & Arthur Beare; Dorothea Walchshäusl

g e s e l l s c h a f t

(Von links oben nach rechts unten) Geigenbauer von J & A Beare reparieren und pflegen die kostbaren Geigen; ein Echtheitszertifikat; Blick in den Safe; Bauteile für Streichinstrumente vor der Londoner Kulisse; hochwertige Einzelteile und Firmenchef Steven Smith mit einem seiner Schätze.

Um den musikalischen Handwerkern über die Schulter zu schauen, braucht man vom Ausstellungsraum aus nur ein paar Stufen zu erklimmen, dann hat man den feinen Geruch von Lack in der Nase, von Wachs und altem Holz. An den Fenstern baumeln die Geigenstege vor den Dächern der Londoner Innenstadt, ein Bogenbauer inspiziert mit der Lupe die Einspannung der Pferdehaare an einem Cellobogen, ein anderer zieht mit konzentriertem Blick die Wirbel einer Bratsche fest. „Unsere Werkstatt ist extrem wichtig für uns“, sagt Steven Smith, denn es reiche nicht, nur Instrumente an den Mann zu bringen, vielmehr müssten sie auch gepflegt und betreut werden. Bei J & A Beare geschieht das mit inniger Hingabe: Die Handwerker arbeiten mit Opernmusik im Hintergrund in langsamen Bewegungen, sprechen selten, und wenn, dann leise. Neben dem Safe mit zig Millionen schwerem Inhalt ist dieser Ort hier der größte Schatz von J & A Beare. Ergänzt wird er durch ein riesiges Archiv, das sich in den vergilbten Lederbändchen und Aktenordnern in meterlangen Regalen ebenso findet wie in den Köpfen von Steven Smith und Simon Morris. Tausende von Instrumenten haben die beiden in den Händen gehalten und studiert, jede Maserung, jede individuelle Wendung und Besonderheit hat sich bei ihnen eingebrannt. Wenn sie als Experten Zertifikate ausstellen, ist diese Erfahrung ihr größtes Pfund. Sprechen die beiden über Instrumente, so klingt es, als erzählten sie von engen Vertrauten. Mit dem Wissen und den Spuren ihrer Erzeuger im Kopf forschen die beiden Koryphäen nach der Identität der ihnen vorgelegten Klangkörper. „Man kann sich das vorstellen wie bei Verwandten, einem Großvater und seiner Enkelin zum Beispiel, die sich auf den ersten Blick kaum ähnlich sehen, wenn man sie aber genau betrachtet und die Familienbesonderheiten kennt, dann sieht man die Verwandtschaft“, sagt Simon Morris, der die Analogie zu menschlichen Familienbanden für ganz naheliegend hält. Dabei ist für das Erken80

nen eines Streichinstruments viel mehr als der erste farbliche Eindruck, die Form und die Holzbearbeitung entscheidend: der Schliff der Schnecke zum Beispiel, die feinen Messerspuren am Rande des Klangkörpers, die Biegung der F-Löcher oder die Wölbung des Resonanzbodens. Für viele Parameter gibt es heute wissenschaftliche Testmethoden, die Dendrochronologie etwa, mit Hilfe derer man das Alter des Holzes bestimmen kann. Die Rolle der Experten ist dennoch wichtig, denn auch wenn man das Entstehungsjahr eines Instrumentes kennt, weiß man noch lange nicht, von wem es gebaut wurde. Für Steven Smith und Simon Morris bedeutet dies einen ungemeinen Anspruch. „Wir haben eine riesengroße Verantwortung“, sagt Smith, und Morris ergänzt: „Wir garantieren für unsere Expertise und tragen hierfür die finanzielle Verantwortung. Das zwingt einen, sehr vorsichtig und bedacht zu sein.“ Wer also eine Geige bei J & A Beare kauft oder seine Geige zu Smith und Morris bringt, um sie zertifizieren zu lassen, kann sich einer akribischen Analyse gewiss sein. Für die Musiker ist diese Sicherheit inmitten der unsteten Welt des Streichinstrumentenhandels ein großer Gewinn – vorausgesetzt, sie können sich ein Instrument in dieser preislichen Liga leisten, was nur in den seltensten Fällen vorkommt. Damit die Stradivaris, Guarneris und Amatis trotzdem in die Hände hochtalentierter junger Künstler finden, haben Simon Morris und Steven Smith zusammen mit Josef Kröner 2011 eine Stiftung gegründet und führen in ihrer „Beare᾽s International Violin Society“ systematisch Sponsoren und Musiker zusammen. 14 junge Musiker haben aktuell ein Instrument geliehen, in vielen Fällen zahlen sie nicht einmal die Versicherung. Und was haben die Investoren davon? Die Gewissheit, dass sich ihr musikalischer Diamant in sensiblen Händen befindet. Und die Freude an eben jenem Zauber, der die Menschen beflügelt, seit die ersten Geigen gebaut wurden: dem Klang für die Ewigkeit. n www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


„Großes Privileg“ Vor zwei Jahren hat Rebekka Hartmann mit ihrer CD-Einspielung The birth of the violin den Echo Klassik 2012 für die beste solistische Einspielung erhalten. Mit gerade mal Anfang dreißig ist sie im Geigenolymp angekommen. Ein Gespräch über den Zauber alter Instrumente und den Diamantenhandel.

vari und Guarneri. Der Grund dafür ist die sehr starke Persönlichkeit dieser Geigen und die berauschenden Klangfarben. Bei jeder Stradivari ist eine andere Facette zu finden, ein anderes Gesicht, eine andere Persönlichkeit … Ist von musikalischen Meisterwerken aus dieser Zeit die Rede, geht es immer auch um einen extrem hochpreisigen Handel. Wie beurteilen Sie die exorbitanten Wertsteigerungen dieser Instrumente? Ich finde es gerechtfertigt, dass die Streichinstrumente aus dieser Zeit wie Diamanten gehandelt werden. Erstens gibt es nicht mehr so viele von dieser einzigartigen Qualität, und zweitens sind sie in keiner Weise nachahmbar. Ich finde aber auch, dass es sehr wichtig ist, dass diese wertvollen Instrumente in die Hände von Künstlern kommen und bespielt werden. Sie selbst dürfen eine Stradivari aus dem Jahre 1675 Ihr Eigen nennen. Wie fühlt man sich mit einem solchen Instrument? Ich empfinde es als sehr großes Privileg und als sehr große Ehre, ein solches Instrument spielen zu dürfen und bin sehr glücklich, die passende Geige für mich gefunden zu haben. Als ich sie zum ersten Mal in den Händen hielt, dachte ich nur: Wow – das ist sie! Jede Geige hat eine Individualität, und sie wächst mit der Person zusammen, die sie spielt. So hat mich meine Stradivari sehr viel gelehrt. Meine Geige ist mir sehr wichtig … wenn ich sie abgeben müsste, wäre das kaum auszuhalten. Sie haben Ihre Geige bei Beares in London gekauft. Was verbindet Sie mit diesem Traditionshaus? Mit Beares habe ich seit zwölf Jahren Kontakt, und es verbindet mich schon eine unglaubliche Vertrauensbasis mit diesem Geschäft. Sie sind das Haus Nr. 1., sie sind fair, gehen auf die Künstler ein, pflegen einen freundschaftlichen Kontakt zu ihren Kunden und machen vor allem keine Spielchen. Interview: Dorothea Walchshäusl n Foto: www.rebekka-hartmann.com

crescendo: Auf Ihrem preisgekrönten Album The birth of the violin finden sich beinahe nur Weltersteinspielungen von barocker Geigenliteratur, interpretiert auf zwei ganz unterschiedlichen Instrumenten. Was hat es damit auf sich? Hartmann: Der besondere Reiz bei dieser Aufnahme lag für mich darin, die ersten überlieferten Werke für Solovioline zu entdecken, die genau in der Epoche komponiert wurden, in der auch die großen Geigenbaumeister gelebt und geschaffen haben. Bei der Produktion selbst hatte ich dann das Privileg, neben meiner eigenen Violine, einer Stradivari aus dem Jahre 1675, ein weiteres Instrument spielen zu dürfen, nämlich eine Nicola Amati von 1669, auch genannt „die Rethi“. Wie haben Sie das Spiel mit diesen zwei Geigen erlebt? Mir ist während der Aufnahmen aufgefallen, dass die Amati mit ihrem intimen, sehr feinen Ton besonders bei den früheren Werken des Repertoires brillierte. Sie spielte sich wie von selbst. Die Stradivari-Geige war für die späteren Werke besser geeignet. Der Klang und die Brillanz dieses Instruments wirken wie geschaffen für all das Repertoire, das später komponiert wurde. Was macht den Zauber und die Aura dieser alten Instrumente für Sie aus und was unterscheidet sie von den modernen Instrumenten? Ich habe die Großmeister und ihre Geigenbaukunst schon immer bewundert, und wenn man eine solche Geige in den Händen hält, spürt man in jedem Ton, mit welcher Liebe und Leidenschaft dieses Instrument geschaffen wurde. Natürlich gibt es auch moderne Instrumente, die sehr gut sind und wahre Meisterwerke. Sie sind toll, solange der Geigenbauer der Violine seine persönliche Note verleiht, so wie Peter Greiner zum Beispiel. Moderne oder alte Meisterwerke? Welche bevorzugen Sie selbst? Ich persönlich bevorzuge eindeutig die alten Italiener wie Stradi-

„Die Stradivari-Geige war für die späteren Werke besser geeignet.“

81


g e s e l l s c h a f t

Der Mythos von Cremona Obwohl die Geigen des Italieniers Giuseppe Guarneri del Gesù mehr als vier Jahrhunderte alt sind, katapultieren sich die Preise dieser Originale immer mehr in schwindelerregende Höhen. Überraschend ist, dass es trotz der Millionenpreise kaum nachweisbare Fakten über die Zuordnung und Originalität der Instrumente des Altmeisters gibt. Eine Spurensuche.

Während sich im Zuge der Reformation in Deutschland all­ mählich der Begriff „Geige“ als Synonym für „Fidel“ einbür­ gert, beschreibt das von Mozart bevorzugte Wort „Violine“ – eine Verkleinerungsform der „Viola“ – bis ins 17. Jahrhun­ dert noch eine ganze Instrumentenfamilie. Selbst für Beet­ hoven war „Violine“ noch ein Gattungsbegriff. Seine heute als „Streichquartette“ betitelten Kompositionen bezeichnete Beethoven oft als „Violinquartette“. Die komplizierte historische Entwicklung der heutigen Violine ist somit ein Sonderfall in der Musikgeschichte, der mannigfaltige Variationen von Instrumenten­ typen hervorbrachte. Zum Siegeszug der Vio­ line und ihrer endgültigen Gestaltung trug mit Sicherheit der von Perfektion getriebene Forschungsdrang italienischer Geigenbauer des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts bei. Die bekanntesten unter ihnen sind Nicola Amati, Antonio Stradivari und Giuseppe Guar­ neri del Gesù. Im Orchester erscheint die Vio­ line dann erstmals bei Claudio Monteverdi, dem Erfinder der Oper. In seinem L᾽Orfeo steht die Violine als Sinnbild für den menschlichen Gesang. So überträgt Monteverdi die Sage von Orpheus und dessen magischen Gesangskünsten auf die Klangfarbe der Violine. Mit der Zeit sind zahlreiche Legenden entstanden, die sich um die Persönlichkei­ ten der alten Geigenbaumeister ranken. Einer dieser Meister war der aus Cremona stammende Italiener Giuseppe Guarneri. In der Werkstatt seines gleichnamigen Vaters wurde er schon früh in die Kunst des Instrumentenbaus eingewiesen. Guar­ neri baute nur sehr wenige Violinen, da er aufgrund seines frühen Todes nur fünfzehn 82

Jahre in diesem Beruf tätig sein konnte. Schon zu Beginn der 40er-Jahre des 18. Jahrhunderts zählte er zu den fähigsten Handwerkern seiner Zunft. Im Laufe seines Werdegangs löste er sich Stück für Stück von der strengen Tradition seiner Hei­ mat und experimentierte nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum mit originellen Lösungsansätzen. Um neue akustische Ergebnisse zu erzielen, arbeitete der junge Giuseppe fieber­ haft an seinen Entwürfen und schaffte einzigartige Instru­ mente von einer nie zuvor dagewesenen Qualität. Indem er die Längen der Ecken variierte, die Wölbung der Decken und des Bodens radikal ver­ änderte und mit der Größe der F-Löcher spielte, eröffnete er sich Wege zu neuen Klangfarben. Auch sind seine Violinen von optisch sehr kräf­ tiger Erscheinung und verfügen über ein rei­ ches Timbre. Doch nach seinem frühen Tod geriet sein Werk in Vergessenheit. Eine erneute Beschäftigung mit Guarneris Kunst begann erst im 19. Jahrhundert im Zuge eines neu ent­ flammten Interesses an historischen Persön­ lichkeiten und dem Beginn des Historismus in der Rezeption von Musik. Dieser Zeit entstammen auch trügerische Legenden: Guarneri soll einige Jahre im Kerker verbracht haben, da er im Wettkampf um die besten Violinen selbst vor der Ermor­ dung seiner Rivalen nicht zurückschreckte. Verwendete der junge Giuseppe noch Etiketten mit der Inschrift „Joseph Guar­ nerius Andrae Nepos“, kennzeichnete der reife Guarneri seine Werke nur mit den Insignien „IHS“. Da die außergewöhn­ lichsten Exemplare seiner späten Schaf­ fenszeit zuzuordnen sind und davon Eine Violine von Giuseppe Guarneri del Gesú www.crescendo.de

Ok tober – November 2014

Foto: J & A Beare

v on T h o m a s S c h ö b e r l


„Die Vieuxtemps wechselte bereits für 18 Millionen US-Dollar den Besitzer.“ wiederum nur wenige erhalten blieben, begann man bereits im Experten, die behaupten, das Tonholz müsse traditionsgemäß bei 18. Jahrhundert damit, Instrumente des frühen Guarneri durch Eti­ abnehmendem Vollmond geschlagen werden und mindestens 150 kettenschwindel auf einen späteren Entstehungszeitpunkt zu datie­ und 250 Jahre alt sein. Auch die Wasserqualität und ein kalt-trocke­ ren. Aufgrund dieser Fälschungen ist es heute nahezu unmöglich, nes Klima sollen die Eignung dieser Fichten als exquisites Mate­ rial für den Instrumentenbau fördern. Mit einem Brandzeichen in eine genaue Datierung der frühen Violinen vorzunehmen. Im Laufe der Jahrhunderte entstand eine immer größere Form eines Notenschlüssels werden solche Hölzer, die aus den Wäl­ Nachfrage, die dafür sorgte, dass die Preise für solch seltene Ein­ dern des norditalienischen Val di Fiemme stammen, gekennzeich­ zelstücke in unglaubliche Höhen schnellten. Die aus dem Jahr 1743 net. Der Wald von Paneveggio zum Beispiel wird im Volksmund stammende Violine „Il Cannone“, die zu den Lieblingsinstrumen­ „Wald der Geigen“ genannt, da von dort schon die alten Meister ihr ten des Virtuosen Niccolò Paganini gehörte, ist heute im Palazzo Holz bezogen. Dabei muss aber betont werden, dass diese Quali­ Doria Tursi zu Genua ausgestellt, während sich die „ex-Carrodus“ tätskriterien reine Mutmaßungen sind. Viele Historiker sehen darin genannte Violine im Besitz der österreichischen Nationalbank in erster Linie Marketingstrategien der Regionen, die vor einiger befindet und auf einen Wert von 5,1 Millionen Euro geschätzt wird. Zeit erkannt haben, dass man den Geigenbaumythos auch touris­ Andere Exemplare, wie zum Beispiel die „Vieuxtemps“, wechselten tisch vermarkten kann. Einige Künstler – wie Daniel Hope – haben bereits Patenschaften für Bäume in diesem Wald übernommen. bereits für 18 Millionen US-Dollar den Besitzer. Für Aufsehen haben in den letzten Jahren auch viele Blind­ Unweigerlich stellt sich nun die Frage, wie viel Wahrheit sich hinter dem von so vielen Künstlern gehegten Mythos verbirgt, tests gesorgt. Hierbei sollten sowohl Laien als auch Spezialisten dass diese alten Instrumente eine ganz besondere Klangfarbe nur anhand eines Klangeindrucks erkennen, ob sie einer alten Meistergeige oder einer modernen besitzen. Bei dieser Frage muss man Konzertgeige beim Spiel lauschten. sich bewusst sein, dass es aus jener Zeit Die Ergebnisse waren zum Teil sehr keine überlieferten Lehrbücher gibt, Der Münchner Geigenbauernüchternd – für die Traditionalisten. die uns heute darüber berichten könn­ meister Wolfgang Löffler War der Liebling der einen Testreihe ten, wie der historische Instrumenten­ noch die moderne Konzertgeige, so bau funktionierte. Jenes Wissen wurde über die perfekte Geige: war der Sieger in einer anderen Studie nur mündlich überliefert und geriet eine historische Stradivari oder eine nach dem Tod der alten Meister oft­ »Die perfekte Geige gibt es nicht. Schöner seltene Guarneri. mals in Vergessenheit. Am Beispiel Klang ist etwas sehr Subjektives und unterDoch vielleicht liegt die Erkennt­ des Giuseppe Guarneri zeigt sich, dass liegt wie alles andere einem fortlaufenden nis ja genau in jener Diskrepanz – mit seinem Tod auch sein Fachwissen historischen Wandlungsprozess. Im Laufe der nämlich in der gelungenen Mischung verloren ging, da mit ihm auch der Geschichte hat sich die Rezeptionsgrundlage aus all diesen einzelnen Faktoren. Stammbaum seiner Familie endete. von Musik mehrfach verändert. Als zum BeiDenn Musik spiegelt immer auch die Zur Beantwortung der Frage gibt spiel die Konzertsäle größer wurden, mussten Beziehung und die enge Vertrautheit es nun verschiedenste Thesen: Die auch die Instrumente lauter werden. Auch die zwischen einem bestimmten Solis­ einen behaupten, es sei die Lackierung Vorlieben für bestimme Klangfarben veränten und seinem Instrument wider der alten Violinen gewesen. Zur dama­ derten sich. Letztlich können gute Instrumenund ist zugleich auch ein hochsen­ ligen Zeit kaufte man den Lack noch in te nur in direkter Zusammenarbeit mit dem sibler Dialog zwischen Musiker und Apotheken und die Zusammensetzung jeweiligen Künstler entstehen. Rezipient, der sich jenseits klar mess­ war regional äußerst unterschiedlich. barer Zahlenwelten abspielt. Im Gegensatz zu heutigen Serienprodukten Hieraus entsprang ein nahezu alche­ sind die alten Geigen in ihrer Bauweise sehr Schönheit liegt bekanntlich im mistischer Mythos: der entscheidende viel origineller und erlauben dem Künstler eiAuge des Betrachters und, im Falle der Faktor sei in der geheimen Rezeptur nen größeren Spielraum für die IdentifikatiMusik, im Ohr des Zuhörers, und so einer speziellen Lackierung verborgen. on mit seinem Instrument. Das Handwerk wird wohl die Suche nach dem per­ Die anderen argumentieren damit, dass des Geigenbaus lebt von der Demut und der fekten In­ strument die Menschheit der Schlüssel zur Erkenntnis in der klei­ Liebe zum Material und dem Weiterreichen auch noch in den nächsten 300 Jahren nen Eiszeit liege, einer Periode relativ von Tradition. Da dieses Wissen nicht rein umtreiben. Der Mythos vom schönsten kühlen Klimas von der Mitte des 15. bis wissenschaftlich nachvollziehbar ist, sondern aller Klänge, von der perfekten Stimme Anfang des 19. Jahrhunderts. Die in die­ nur im praktischen Arbeitsprozess am Geund dem besten aller Instrumente ist so ser Zeit gewachsenen Hölzer in einem genstand selbst erfahrbar wird, ist es umso alt wie die Musik selbst und möglicher­ Waldstück nahe des italienischen Ortes wichtiger, dieses Künstlerhandwerk zu schütweise sollten wir versuchen, die Antwort Cremona seien somit der Grund für die zen, zu fördern und zu bewahren.« auf die gestellte Frage dort zu finden, wo einmalige Klangfarbe jener Violinen. die Musik ihren Ursprung hat. Es gibt Anekdoten von sogenannten n 83


s e r i e

Andreas

Staier

Woher kommt eigentlich ... ... das Echo?

spielt

Schumann

CD HMC 902171

© Josep Molina for harmonia mundi

Echo Spezial

ABEGG-VARIATIONEN OP. 1 FANTASIESTÜCKE OP. 12 & 111 GEISTERVARIATIONEN Andreas Staier spielt auf einem Erard-Flügel von 1837 Die dritte Folge, die Andreas Staier dem Klavierschaffen von Robert Schumann widmet, beginnt mit seiner ersten veröffentlichten Komposition, den AbeggVariationen op. 1, und endet mit seinem letzten Werk, den postum herausgegebenen Geistervariationen. Lang war der Weg, den er zwischen diesen beiden Werken zurückgelegt hat, doch dieses Programm zeigt auch die Beständigkeit von Schumanns poetischem Feuer, das seiner Musik diese unvergleichliche Kraft der Imagination verleiht.

MIT DIESEM PROGRAMM IM KONZERT 29. 10. KÖLN (PHILHARMONIE)

harmoniamundi.com

Auch auf Ihrem Smart- und iPhone

Die Kolumne an dieser Stelle erzählt von musikalischen Ideen und ihrem Echo in der Musikgeschichte. Diesmal soll es um das Phänomen selbst gehen: „Holla, welch gutes Echo! Rufet es an, versucht es!“, tönt es im berühmten Echolied von Orlando di Lasso (1532–1594). Was wa(h)r, wird gern wiederholt, denn Bewährtes will bewahrt sein. Der Widerhall des Echos ist eine abgewandelte Wiederholung dessen, was vorher war. Eine mythische Variante erzählt, dass die Bergnymphe Echo einst zuständig war, die Seitensprünge des Zeus vor seiner Frau Hera zu vertuschen. Echo sang also, gluckste, kicherte, erzählte und verwirrte fortwährend Heras Sinne. Nie gelang es Hera, ihren Mann in flagranti zu erwischen. Als sie dahinterkam, dass die Nymphe immer dann ihren Weg kreuzte, wenn sie Zeus suchte, verdammte sie die Nymphe zu verstummen. Von da an konnte Echo nur noch das zuletzt Verhallte wiederholen. Echos in der Musik bleiben abgewandelte Wiederholungen, unabhängig davon, ob man sie Plagiate oder Zitate, Imitationen, Variationen oder Ehrerbietungen nennt. Von Beethoven bis Zimmermann, von Jazz, Pop bis hin zur sogenannten „Weltmusik“: Das größte Echo ist aber wohl das auf die Musik von Johann Sebastian Bach. Bach selbst wiederholte häufig Eigenes in neuen Werken. 1734 präsentierte er seine Herkules-Arie Treues Echo aller Orten aus dem Vorjahr mit neuem Text und neuem Arrangement in seinem Weihnachtsoratorium: Flößt mein Heiland, flößt dein Namen. Man könnte daher sagen, diese berühmte Echo-Arie ist selbst ein „treues Echo“. Doch auch J. S. Bach übernahm Musik seiner Vorgänger. So bearbeitete er beispielsweise Antonio Vivaldis Concerto Nr. 11 (Opus 3) aus dessen Sammlung L᾽Estro Armonico („Harmonische Eingebung“) für die Orgel (BWV 596). Er machte „meer“ aus Vivaldis Vorlage, ließ es sprudeln. Vieles, was „der rote Priester“ dem Interpreten überlassen hatte, führte Bach schwarz auf weiß aus. Lange glaubte man, es handle sich um ein Werk seines Sohnes Wilhelm Friedemann. Dieser hatte nach dem Tod seines Vaters den eigenen Namen aufs Papier gebracht. Insgesamt zehn solcher Konzerttranskriptionen hat Bach hinterlassen. Kaum verwunder84

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


Abbildung: Gemälde von Elias Gottlob Haußmann

Johann Sebastian Bachs Echo-Arie ist eines der prominentesten Beispiele für das Echo in der Klassik – dabei hat er sich selbst kopiert!

lich, dass der Beginn seiner „Erfindung“ in F-Dur, der Invention 8 (BWV 779), dem Beginn von Vivaldis g-Moll-Streichkonzert (RV 153) ähnelt. 1803 mag es Beethoven wie Bach mit seiner „Erfindung“ ergangen sein, als er seine Waldsteinsonate ähnlich eröffnete wie die Bachkantate O Ewigkeit, du Donnerwort (BWV 620). Der Schlusssatz dieses Chorals lautet Es ist genug – eigentlich ein Kirchenlied (1662) von Johann Rudolf Ahle (1625–1673). Ahle war Organist in Mühlhausen, Bach sein Nachfolger. Hatte Bach 1723 Ahles Melodie meisterlich ausgeführt, erklang der prägende Melodielauf 1889 wieder in Brahms᾽ vierstimmiger Motette Ach, arme Welt op. 110 Nr. 2). Schon in Ahles Melodie kam die aufsteigende Ganztonreihe vor, die dann auch Alban Berg faszinierte. 1935 schrieb er nicht nur sein Violinkonzert, sondern zuvor an Willi Reich, seinem späteren Biografen: „Schicken Sie mir bitte (leihweise) die Matthäus-Passion (Partitur oder Klavierauszug) und, falls Sie es besitzen, eine Choralsammlung (ich brauche für meine Arbeit eine Choralmelodie: Diskretion!).“ Reich schickte ihm gleich eine ganze Sammlung Bach-Choräle, darunter die Kantate O Ewigkeit, du Donnerwort. Berg findet dort Es ist genug und meint: „Ist das nicht merkwürdig: Die ersten vier Töne des Chorals (eine Ganztonfolge) entsprechen genau den letzten vier Tönen der Zwölftonreihe, mit der ich das ganze Konzert baue?“ Im Adagio seines Dem Andenken eines Engels gewidmeten Violinkonzerts zitiert Berg elegisch, sphärisch, schwebend, schweigend diese Tonfolge. Es wurde sein letztes Werk. Bernd Alois Zimmermanns Es ist genug-Zitat am Ende seiner Ekklesiastischen Aktion „Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“ (1970) ist dagegen ein Fanfarenstoß voll Aufbruch und düsterem Chaos. Auch für Zimmermann war es das letzte Werk. Vivaldi hätten solche „Echos“ sicherlich gefallen, hatte er nicht nur in seinen Vier Jahreszeiten mit Echoeffekten gespielt, sondern eigens ein Echokonzert geschrieben: Concerto für 3 Violinen in A-Dur – per eco in lontano (RV 552). In hörbarer „Ferne“ ertönt das Echo, zwei Violinen führen es nacheinander aus. So, es ist genug. 1735 ließ Bach der Gigue in seiner Ouverture nach Französischer Art (BWV 831) noch einen ungewöhnlichen letzten Satz folgen: Echo. Stefan Sell 85


G e s e l l s c h a f t

Der Axel-Brüggemann-Kommentar

Die Oper ist kein Quickie! Warum sich immer mehr Dirigenten und Regisseure verkrachen – und warum nun umso mehr gute Intendanten gefragt sind.

Das letzte Mal habe ich den Dirigenten Franz Welser-Möst in seinem Büro in der Wiener Staatsoper getroffen. Sein Zimmer ist exklusivst: getäfelte Wände, ein Schreibtisch aus Massivholz und erstklassiger Blick auf den Opernplatz. Wer hier residiert, hat es geschafft. Franz Welser-Möst war nie mein Lieblingsdirigent. Ich wollte mich mit ihm darüber unterhalten, ob er sich nicht manchmal selber langweilig findet. Und warum einige den Mann mit der randlosen Brille und dem bürokratischen Habitus zuweilen mit dem Orchesterdiener verwechseln. Was er geantwortet hat, beeindruckte mich: Dass es um die Nuancen gehe, dass die kleine Geste größer sei als das aufgesetzte Pathos, dass Musik nur im Inneren gewalttätig werde, weniger ob ihrer äußeren Affekte. Ich habe ein neues Bild von ihm bekommen, diesem besonnenen Hinhorcher und Ohrenöffner. Am Ende des Gesprächs fragte ich ihn noch, was Franz Welser-Möst am Opernbetrieb besonders stört. Zum ersten Mal redete sich der Ruhige in Rage. Und ich finde es wichtig, an dieser Stelle zu dokumentieren, worüber sich Franz Welser-Möst so sehr aufgeregt hat, bevor er wenig später das Handtuch als musikalischer Chef der Staatsoper geworfen hat – denn seine Wut berührt einen Kern der aktuellen Opernszene. „Mich befremdet, dass Regisseure und Dirigenten in den letzten Jahren immer mehr Parallel-Existenzen führen. Ich finde das schade. Wir haben uns angewöhnt, irgendje86

manden zu engagieren, und der kommt dann mit einem fertigen Konzept und hat kein Interesse mehr, sich mit dem musikalischen Teil einer Aufführung abzustimmen. Sie glauben nicht, auf wie viel Widerstand man stößt, um diese beiden Teile einer Aufführung zusammenzubekommen. Es ist wirklich unglaublich, wie Regisseure in letzter Zeit diesen Dialog verweigern. Ich selbst kann nicht inszenieren, das weiß ich, aber ich will den Kollegen wenigstens meinen Blick auf das Stück erklären. Es muss doch ein kreativer Prozess entstehen. Doch inzwischen sehe ich viele Inszenierungen zum ersten Mal bei der ersten Bühnen-Orchesterprobe, und dann kann es nicht sein, dass ich dann sage: Oh Gott, was für ein Mist!“ Welser-Möst weiter: „Ich würde mir mehr spannende Diskussionen im Vorfeld wünschen. Es gibt schließlich auch Dinge, die von der Musik vorgegeben werden. Ich habe in Zürich eine Carmen gegeben, in der kein Chor auf der Bühne stand. Und, mit Verlaub – das kann nicht sein! Ich denke, dass das ein Schritt ist, der mir sehr am Herzen liegt, die Oper endlich wieder als Kunstwerk der unterschiedlichen Künste zu erzählen.“ Nur ein paar Wochen nach unserem Gespräch hat Franz Welser-Möst seinen Schreibtisch in der Wiener Staatsoper geräumt und über dreißig Vorstellungen am Haus abgesagt. Die finanziellen Einbußen nahm er dabei in Kauf und ganz oben zu sein war für ihn kein Reiz mehr. Er hatte die Nase voll!

Welser-Möst ist im Streit mit Intendant Dominique Meyer gegangen – man habe unüberwindbare künstlerische Auffassungen, ließ er verlautbaren. Seither hat der Dirigent zu der Causa geschwiegen. Aber man kann sich einiges zusammenreimen: Meyer war vor Welser-Möst bestellt worden, bekam den Dirigenten mehr oder weniger an die Seite gesetzt – und schon bald darauf haben die beiden gemerkt, dass sie unterschiedliche Auffassungen über den Kurs der Oper haben. Welser-Möst hat den MozartDaPonte-Zyklus geschmissen, weil er die Regie von Jean-Louis Martinoty nicht mehr mittragen wollte, und auch bei Andreas Homokis alberner Trachten-Inszenierung des Lohengrin kam es in Wien zum Eklat. Dirigent Bertrand de Billy protestierte gegen das Konzept und Homokis Streichungen. Welser-Möst befand sich gerade in den USA, und Meyer konnte nicht vermitteln – de Billy ging, statt seiner dirigierte der Finne Mikko Franck. Franz Welser-Möst, der auf den ersten Blick so ausgeglichen und gelassen wirkt, hat nicht zum ersten Mal gezeigt, dass er bei Fragen der Kunst keinen Spaß versteht. Für bessere Bedingungen der Wiener Philharmoniker drohte er bereits einmal mit seinem Rücktritt – damals noch erfolgreich. Als die Salzburger Festspiele die Probezeiten ihres Mozart-Zyklus zu eng terminierten, wetterte er gegen den Intendanten Alexander Pereira und ließ sich von der Besetzungsliste streichen. www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


minskis Gaskammer- nur Regisseure wie Peter Konwitschny, Es ist nicht leicht, die Fäden dieser Burkhard C. Ko­ Causa zu entwirren und daraus ein allge- „Tannhäuser“ in Düsseldorf, den Dirigent Hans Neuenfels oder Herbert Wernicke mit meingültiges Panoptikum zu entwerfen. Axel Kober schweigend über sich ergehen kommunikativen Dirigenten wie Sylvain Zum einen gibt es natürlich ein spezifi- ließ – später wurde die Oper lediglich noch Cambreling in Dialog zu setzen, sondern sches Wien-Problem: Intendant Dominique konzertant gegeben. Oder die amusikali- Konzepte in der Frühphase im gesamten Meyer hat eine Auslastung von weit über schen Regie-Eskapaden von Benedikt von Haus, von den Sängern über die Orchester90 Prozent und will in seiner Oper das Tou- Peter, der alle Sänger samt Chor in La Tra- musiker bis zu den Kartenabreißerinnen, zu risten-Publikum locken. Gleichzeitig ist sein viata auf den Balkon verbannt, La Bohème debattieren. Bereits der Entstehungsprozess Haus fast pleite, ein Großteil des Ensembles ohne Mimi aufführt und nun ein giganti- wurde als kollektive Suche nach Antworten kritisiert hinter den Kulissen seinen Füh- sches Bühnengerüst zu den „Meistersingern“ für die Oper inszeniert. Dieser grundlegenden Aufgabe von rungsstil – und Welser-Mösts Rücktritt zeigt, aufbaut. Choristen mosern hinter vorgehalwie wenig kompromissbereit der Intendant tener Hand, aber der Effekt siegt über die Opernhäusern stehen heute viele Realitäist. Meyer hat sein Haus in die Belanglo- Musik, und Bremens Musikdirektor Markus ten der Klassikwelt entgegen: der Star-Kult sigkeit gespielt, aber das scheint ihn nicht Poschner nimmt all das stoisch hin. Star- an den großen Häusern, der es kaum zulässt, zu stören. Sein derzeit einziger Vorteil ist Dirigenten wie Christian Thielemann oder dass sich Spitzen-Dirigenten, Spitzen-Regisein politischer: Nach dem „Burg“-Skandal Daniel Barenboim haben sich längst ange- seure und Spitzen-Sänger mit dem Orchesund dem Welser-Möst-Rücktritt kann sich wöhnt, in Regiefragen kein Risiko mehr ter frühzeitig um eine gemeinsame Lesart das kulturpolitische Österreich nicht noch einzugehen – sie bestellen sich bei ihren kümmern. Auf der anderen Seite der Druck, Intendanten in der Regel unproblematische eine außerordentliche Aufführung in mögeinen Abgang leisten. Auf der anderen Seite geht es hier aber Mainstream-Teams. Abgesehen davon gibt lichst kurzer Zeit (und begrenztem Etat) zu auch um eine grundsätzliche Debatte unse- es nur wenige Leute mit der Freiheit eines stemmen. Dazu die Erkenntnis, dass besonrer Opernkultur. Haben wir in Zeiten des Franz Welser-Möst. Wenige Künstler, die es ders die provokante Regie noch immer AufKlassik-Jetsets an den Festspielen überhaupt sich leisten können, ihr getäfeltes Büro in merksamkeit garantiert. Ich befürchte, dass all das mit der Publikumsrealität nur noch noch die Ruhe, Oper als das zu begreifen, 1A-Lage zu räumen. Und doch ist die Sache so ganz einfach wenig zu tun hat. Gerade an Stadttheatern was sie sein soll? Als Kunstwerk der unterschiedlichen Künste, für das Musiker, Regis- eben auch nicht. Meine Freundin Julia Han- wäre es sinnvoll, die Entstehung von Proseure und bildende Künstler gemeinsam sen, die als Bühnen- und Kostümbildnerin duktionen transparent zu machen, Irrungen einen Blickwinkel erobern? Oder gerät das in Paris, Glyndebourne oder Straßburg tätig und Wirrungen öffentlich zu debattieren – das Abenteuer Oper zu feiern. Gleichgewicht allmählich aus Es geht bei dieser Frage den Fugen: In den SpitzenStar-Dirigenten wie Christian Thielemann letztlich nicht um Schuld. Aber Häusern, wo es hauptsächlich oder Daniel Barenboim haben sich längst es geht um die grundsätzliche um Sänger-, Dirigenten- und angewöhnt, in Regiefragen kein Risiko mehr Organisation von Oper – und Regie-Stars geht, und in den die liegt nun einmal bei den Provinzen, wo Intendanten einzugehen – sie bestellen sich bei ihren Es ist ihre Aufgabe, sich Aufmerksamkeit erhoffen, Intendanten in der Regel unproblematische Intendanten. das Haus so zu organisieren, indem sie möglichst radikale Mainstream-Teams. dass Oper wieder zum Dialog Regiekonzepte buchen, um in vieler Menschen wird, zu einer den überregionalen Feuilletons vorzukommen? Wer forciert diesen Trend? ist, hat auf meiner Facebook-Seite zu Recht Arbeitsphase, zu einem Miteinander. Doch Das Publikum? Die Zeitungen, die nur bemerkt: „Die Herren Dirigenten könnten gerade bei dieser Aufgabe versagen viele noch über ausgefallene Events berichten? sich unbedingt und gerne etwas früher ein- Chefs: Weil sie dem wirtschaftlichen und Oder ein intellektueller Inzest in der Opern- schalten, aber das tun die meisten nicht. Aus politischen Druck nicht standhalten, weil branche? Sicher ist, dass der Raum und die mangelndem Interesse an der Regie? Aus sie ihren Star-Künstlern – mit Verlaub – in Zeit, sich auf die Tiefe der Kunst einzulas- Zeitmangel? Aus Vergesslichkeit? Das Kon- den Hintern kriechen, weil sie es versäusen, immer enger wird – oft ist die Oper, zept wird mindestens ein Jahr im Voraus dem men, in ihren Städten und in ihren Häudie eigentlich als Marathon geplant ist, nur Theater übergeben. Ein Zeitpunkt, zu dem sern ein Klima der Kreativität zu schaffen, viele Dirigenten noch nicht wirklich an dem weil sie in ihre Zeitpläne keine Puffer für noch ein effektvoller Quickie. Die Liste der Reibereien zwischen Stück gearbeitet haben. Zu Probenbeginn ist Vorbesprechungen einbauen, weil sie auf Regisseuren, Dirigenten und Sängern ist es dann in der Tat zu spät, eine Inszenierung den schnellen öffentlichen Erfolg statt auf lang. Meistens sind es die Dirigenten, die zum ersten Mal bei einer Orchesterprobe zu die inhaltliche Auseinandersetzung schielen. Dirigenten wie Franz Welser-Möst am Ende gehen. Haben wir etwa verlernt, sehen, ist fahrlässig.“ Julia hat recht: Oper ist keine Einbahn- sehen keine Chance mehr in diesem Sysdass auch die musikalische Interpretation revolutionär sein kann, gewalttätig und pro- straße. Und Oper ist so groß, dass sie in der tem. Und das ist schade. Sie verabschievokant? Ist der Klang etwa kein Streitpunkt, Probenzeit von wenigen Wochen nicht zu den sich ohne große Geste – und niemand stemmen ist. Oper ist ein Prozess, der über scheint sie aufhalten zu wollen. Wir sollten kein Grund für Regisseure, abzuhauen? Wie auch immer. Nur wenige Inten- lange Zeit Aufmerksamkeit benötigt. Die- besser aufpassen, dass die kollektive Kunst danten schaffen es noch, die einzelnen sen Prozess kaufen wir mit einer Opern- der Oper nicht zu einer Egoshooter-Show Abteilungen zu befrieden – oder mehr karte für eine zwei- oder dreistündige Auf- verkommt, denn sonst ist sie bald nur noch noch: ihre kreativen Kräfte wirken zu las- führung, diesen Prozess finanzieren unsere eine Tapete für Hop-In-Stars und inhaltssen. Vor vier Jahren verließ der erfolglose Subventionen – dieser Prozess ist der Sinn leere Provokateure. Übrigens Deutschland wurde als Mannschaft FußballweltKent Nagano München im Streit mit Niko- der Oper. Das Stuttgarter Opernhaus hat, bevor meister – ein Messi oder ein Neymar sind laus Bachler. Hier lag die Sache anders: Nagano wollte Bachlers Werkstatt-Thea- es sich durch Selbstgefälligkeit demontierte, zwar hübsch anzusehen und perfekte ter nicht folgen. Wie absurd der Provoko- früher einmal vorgemacht, wie es gehen Werbe-Ikonen: aber sie sind eben jeweils Regiewahn sein kann, zeigte letztes Jahr kann: Klaus Zehelein war es gelungen, nicht nur einer von elf Spielern. n 87


l e b e n s a r t

Zürich ... aus der Sicht eines Musikers

Fotos: Bob Coat

Dass sie eine der schönsten Städte ist, weiß man. Aber auch musikalisch und kulinarisch hat die Stadt am See viel zu bieten. V on r o b e r t K i t t e l

Zürich-Impressionen mit Cappuccino auf der Terrasse des Hotels „Zum Storchen“, Stadt- und See-Ansichten, Opernhausarchitektur, Wahrzeichen, Eisverkäufer und Pianospieler an der Promenade und Hotelsuiten, die nach Giacomo Puccini benannt wurden.

88

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


Unsere Stadt-Expertin: Die Konzertmeisterin des Zürcher Opernhaus-Orchesters, Ada Pesch.

D

iese Zürich-Geschichte beginnt mit dem Tod: Wir (sogar das Hauptquartier des Weltfußballverbandes FIFA liegt in hatten gerade im Hotel „Zum Storchen“ einge- Zürich) verfügt die Stadt über eine unglaublich vielfältige Bewohcheckt, einem der historischsten und am schöns- nerstruktur. Der Arbeitsplatz Zürich hat auch schon vielen auslänten gelegenen Häuser der Stadt, als eine Mitarbei- dischen Fachkräften gefallen, auch österreichischen Intendanten terin erzählt, die Besitzerin des Hauses sei soeben wie Alexander Pereira, der das Opernhaus gleich 20 Jahre lang lei– im Alter von 87 Jahren – verstorben. Hortense Anda-Bührle war tete und prägte. Apropos Pereira: Sein Schatten liegt noch immer eine Grande Dame der Zürcher Hochkultur, man hätte sie gerne über dem kulturellen Zürich, zumindest stößt man immer wieder noch interviewt, denn sie wusste viel über die klassische Musik und auf launige Zitate: Die Weltwoche schrieb neulich: „Wenn man sich zählte zu ihren größten Förderern. Anda-Bührle, die Tochter des an Pereira erinnert, so denkt man: Der war 20 Jahre unser Opernsehr vermögenden Industriellen Emil-Georg Bührle (er hielt Betei- direktor. Er holte jährlich 14 Millionen Sponsorenfranken ins Haus ligungen an Konzernen wie Oerlikon, Barilla oder Bally), hatte im und engagierte viele Stars, die mitunter wünschen durften, was sie Jahr 1964 den ungarischen Pianisten Géza Anda geheiratet und singen möchten; er verdoppelte die Kartenpreise und die Premierenzahl; in seiner Loge saßen junge Frauen ihr Hotel durch die Verbindung mit dem – eine war, wenn mir das Gedächtnis keinen bekannten Künstler zum Treffpunkt klassiStreich spielt, gar ein Erotikmodel.“ scher Musiker aus der ganzen Welt gemacht. Dass das grandiose Opernhaus, das sehr Da Géza Anda bereits 1976 verstarb, gründete majestätisch am untersten Teil des ZürichHortense in den darauffolgenden Jahren den bergs liegt, als Nachfolger eines Österreichers Concours Géza Anda, einen alle drei Jahre nun ausgerechnet einen Deutschen („dr Dütstattfindenden Musikpreis für Nachwuchschie“) bekam, stieß bei vielen Schweizern spianisten. In der Jury saßen Persönlichkeinicht unbedingt auf sofortige Zustimmung. ten wie Markus Hinterhäuser oder Jonathan Doch Andreas Homoki ist beim Züricher Nott, und die weltweite Landkarte der klassiPublikum sehr beliebt, das Haus öffnet sich schen Musik bekam im Hotel zum Storchen – wie viele Häuser – einem noch breiteren einen Fixpunkt, den man noch heute spürt: Publikum und bietet vor allem im Sommer Im Salon des Hauses steht ein Konzertflügel, oft Live-Übertragungen als Open-Air-Event an dem viele berühmte Musiker spielten, und auf dem Opernplatz an. Es nennt sich „Oper auch der Dinnersaal im ersten Stock erinnert für alle“, und wenn das Wetter passt, finden an Zeiten, in denen abends die Konzerte noch sich vor der Oper unglaublich viele Besucher mit einem Champagnerempfang begannen. ein, sagt zumindest Ada Pesch, die wir am Das Haus selbst stammt übrigens aus dem Nachmittag im Café Terrasse am Bellevue auf Jahre 1357, und es liegt direkt am Wasser, am einen Espresso treffen. Ada stammt eigentFluss Limmat, der vom Zürichsee durch die Kaffee an der Oper im Hotel Opera. lich aus den USA, ist aber seit 1990 KonzertCity fließt. Man kann es also sehr empfehlen meisterin des Opernhaus-Orchesters. Als sie für einen Besuch. Doch Zürich ist natürlich nicht nur ein Hotel. Zürich ist anfing, leitete Ralf Weikert das Ensemble, dann musizierte sie unter ein Phänomen: Fast jedes Jahr gibt es in Magazinen und Online- Franz Welser-Möst und nun mit Fabio Luisi. Ada trägt eine Kappe Medien Städte-Rankings, Listen mit Orten, an denen es eine hohe mit den Initialen RF, und man stellt automatisch die Frage, um welLebensqualität gibt, und fast immer landet das mit nur 400.000 chen prominenten Musiker es sich da wohl handelt. Doch die VioliEinwohnern eher kleine Zürich weltweit auf den vorderen Plätzen. nistin winkt ab: Sie sei ein großer Verehrer vom heimischen TennisUnd wenn man in Zürich weilt und beispielsweise von der Terrasse spieler Roger Federer. Wenn er nachts bei den US Open spielt, stellt des Hotels auf die Stadt, den See und die dahinter liegenden Berge sie sich den Wecker und leidet mit. Ada liebt ihre Stadt, sie sagt, Zürich habe für sie die perfekte blickt, kann man dies sofort nachvollziehen: Zürich ist überschaubar wie Ravensburg, so international wie London und so wunder- Größe: Menschen aus allen Schichten leben hier auf engstem Raum, bar gelegen wie Lugano. Durch die Vielzahl international tätiger Fir- die Reichen mit Blick auf den See, die Kreativen in ehemaligen men, Banken (UBS, Crédit Suisse), Versicherungen und Verbände Industrievierteln und die Immigranten am Rand mit Blick auf die 89


l e b e n s a r t

hat. Ein Besuch in der Kronenhalle ist noch heute Autobahn. Ein großer Vorteil sei, dass das Kulein Blick in die hohe Gesellschaft. Wer einen Tisch turleben auf wenigen Quadratmetern stattfinde vorne im Hauptsaal zugewiesen bekommt, gehört – Oper, Tonhalle, Kunsthaus und kleinere Konentweder zur Stammkundschaft oder zählt zu jenen zertsäle befinden sich alle in FußwegentferLeuten, die noch nie selbst einen Tisch reservieren nung voneinander. Das gelte natürlich auch mussten: Politiker wie Henri Kissinger oder Bill für die Etablissements, in denen sich Musiker, Clinton, Intendanten wie Ioan Holender und AleSänger, Intendanten und Dirigenten vor und xander Pereira und sogar Regisseure wie Christoph nach den Aufführungen treffen, wobei man Marthaler; Letzterer ist allerdings nach dem Dinner hier schon vorher festlegen kann, wer wo hineher in der Kronenhalle Bar anzutreffen – die hat spaziert: Das Volk isst im Belcanto, dem groeinen eigenen Eingang und ist etwas legerer. Aproßen, sehr modern gehaltenen Restaurant, das pos leger: Zur Kronenhalle gehört neben den rustidirekt ins Opernhaus integriert ist und am kalen Speisen auch die Tradition, sich von der Sonntag einen Brunch mit Matinee anbietet. sehr freundlichen Chefin Vreni Gerhartz den Die Musiker trifft man neuerdings im VegetaNacken kraulen zu lassen und ihren Witzen rier-Konzeptrestaurant Tibits, das hinzu lauschen – pro Tisch erzählt sie mindestens ter dem Haus liegt, und die Dirigenten Die edelsten Adeinen, über manche muss man sogar lachen. sowie die Besitzer teurer Parkett-Kar- ressen, wenn es um das Dinner Der Zürich-Fan aber nutzt das kulturelle ten dinieren in schwarzem Anzug und geht: Der ItaliAngebot der Stadt mit den Vorzügen eines Abendkleid im Conti, dem Edelitalener Conti und Erholungsurlaubs. Denn Zürich fühlt sich an dener, der sich ebenfalls nur 70 Meter die Kronenhalle. wie ein Ferienort. Fährt man auf der linken vom Opernhaus angesiedelt hat und Seite das Ufer hinab, Richtung Tina Turners für den Teller Pasta 40 Franken kassiert. Wohnsitz in Küsnacht, kann man wunderAllerdings sind in dieser Auflistung die Intendanschön im Romantik-Hotel Sonne einkehren. ten und Superstars ausgenommen, die in Zürich traditiEs liegt direkt am See, im Sommer genießt onell nur eine Adresse ansteuern: die Kronenhalle. Das Lokal hat es sogar schon selbst auf die Opernbühne geschafft: Im man die hauseigene Liegewiese mit eigenem Badezugang, im WinJahr 2006 ließ Regisseur Claus Guth das Lokal in einer Inszenierung ter verwandelt das Haus den Biergarten zur Eislaufbahn – für Famider Ariadne auf Naxos nachbauen (vom hervorragenden Bühnen- lien mit Kindern ein schöner Ausgleich. Auch das Hotel zur Sonne bildner Christian Schmidt). Das „normale“ Volk bekam so einen liegt nur zehn Minuten vom Opernhaus und zwölf von der Tonhalle Einblick in jenes Restaurant, das es vor allem wegen seiner Origi- entfernt. In der Rush Hour braucht man allerdings auch mal eine nale von Picasso, Chagall und Giacometti zu Weltruhm gebracht Stunde, da ist auch die Stadt an der Limmat keine Ausnahme.

Tipps, Infos & Adressen

Wichtige Reiseinformationen rund um einen Besuch in Zürich.

Konzerte & Festivals

Übernachten

Ein Besuch in der Züricher Tonhalle gehört bei einem Zürich-Trip – Achtung Wortspiel – „zum guten Ton“: Das Orchester wurde bereits im Jahr 1868 gegründet und wird im Moment vom US-Amerikaner David Zinman geleitet. Neben den üblichen Konzerten bietet die Tonhalle auch eine ganze Reihe kreativer Events an – zum Beispiel das TonhalleLATE, eine Veranstaltung, in der U- und E-Musik verbunden werden. Nach dem klasssichen Konzert gibt es im Foyer neue Sounds. Nächster Termin: 14. November 2014. Alle Infos zur Tonhalle unter www.tonhalle-orchester.ch

crescendo durfte für diesen Aufenthalt die Hotels Zum Storchen mitten in der Altstadt (www.storchen.ch) und Hotel Opera (unteres Foto) testen. Beide sind sehr zu empfehlen. Das Hotel Opera liegt vor allem direkt hinter dem Opernhaus und hat Suiten, die Namen berühmter Komponisten tragen. Wir nächtigten in der Puccini-Suite, sehr schön. Kontakt: www.operahotel.ch. Wer etwas außerhalb des Stadttrubels wohnen möchte, dem können wir noch das Romantikhotel Sonne in Küsnacht (www.sonne.ch) empfehlen, auch für einen Ausflug am See.

90

Ada Peschs Tipps: Vegetarisch: Tibits, Seefeldstraße 2, www.tibits.ch; Italienisch edel und um die Ecke der Oper: Conti, Dufourstraße 1, www.bindella.ch. Innerhalb des Opernhauses und mit schönem Mittagsmenu: Restaurant Belcanto (durchgehend warme Küche), Sechseläutenplatz 1, www.belcanto.ch. Edel, aber rustikale Karte (Zürcher Geschnetzeltes u.a.): Kronenhalle, Rämistraße 4, www.kronenhalle.ch. Und einfach nur Pizza-Essen in lockerem Rahmen: Rosso, Geroldstraße 31, www.restaurant-rosso.ch

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014

Fotos: Bob Coat.

Einen sehr guten Überblick über das komplette kulturelle Angebot bekommt man auch auf der neuen Internetpräsenz der Stadt Zürich – www.zuerich.com. Denn nicht nur die Oper bietet eine Vielzahl von Events außerhalb des normalen Programms, sondern auch Schauspielhaus und Kunsthaus sowie die sehr empfehlenswerte Organisation Art Space Guide (www.artspaceguide.com).

Essen


Hoteltipp

für globetrotter Die internationalen Höhepunkte im Herbst Amsterdam

15.11.

An diesem Abend widmet man sich in der Wiener Staatsoper Modest Mussorgskis Oper Chowanschtschina. Im Mittelpunkt steht das russische Volk und dessen Geschichte um das Jahr 1682. Die religiösen Unruhen und die schwere politische Lage spiegeln sich kompositorisch wider. Unter der Regie von Lev Dobin wird das Werk in der Fassung Dimitri Schostakowitschs aufgeführt.

Termine

10.11. Unter der musikalischen Leitung von Marc Albrecht und der Regie von Pierre Audi zeigt das Amsterdamer Opernhaus ab dem 10. November Richard Wagners Oper Lohengrin. Mit diesem Werk schuf Wagner die neue Form des durchkomponierten Musikdramas. Anhand des Grals- und Frageverbot-Motivs entwickelte Wagner seinen leitmotivischen Kompositionsstil und eröffnete damit neue Möglichkeiten bei der musikalischen Ausgestaltung einzelner Charaktere.

London

Zürich

03.11. In Idomeneo erzählt Mo-

02.11. Benjamin Brittens Oper

zart uns von dem kretischen König Idomeneus, der nach seiner Rückkehr aus dem Trojanischen Krieg dazu gezwungen ist, seinen eigenen Sohn zu opfern. Unter der Regie von Martin Kusej bringt das Orchestra of the Royal Opera House zusammen mit dem Royal Opera Chorus eine von Mozarts besten Opern auf den Spielplan.

Das Kranzbach im bayerischen Krün.

The Turn of the Screw ist die musikalische Auseinandersetzung mit der gleichnamigen Novelle von Henry James. Unter der Leitung von Constantin Trinks feiert diese psychoanalytische Geistergeschichte auf der Bühne des Opernhauses Zürich am 2. November Premiere. Karten unter www.opernhaus.ch

Foto: Bob Coat

Wien

Auszeit auf der Wiese

Ankommen, einchecken, Zimmer mit Blick auf die Zugspitze beziehen (kleiner Tipp: siehe Foto), den ersten Cappuccino trinken, eine Runde im Outdoor-Pool schwimmen, sich danach im Wellness-Bereich – wahrscheinlich einem der größten und schönsten der Alpen – verwöhnen lassen und dann direkt das 5-Gänge-Menü mit Kräutern aus dem benachbarten Garten und mit erlesenen Weinen genießen. All das geht nur im 4-Sterne Superior Hotel und Wellness-Refugium „Das Kranzbach“ im oberbayerischen Klais bei Garmisch-Partenkirchen. Wir haben᾽s getestet und können es unseren Lesern sehr empfehlen. Infos und Kontakt: Das Kranzbach, Kranzbach 1, 82493 Krün, www.daskranzbach.de

2015 T E AT RU M A N O E L M A LTA Valletta, Maltas barocke Hauptstadt und Unesco Weltkulturerbe, lädt Musikliebhaber

vom 10. – 24. Januar 2015

in ihre historischen Theater, Kirchen und Paläste zur dritten Ausgabe des Barockmusikfestivals ein.

www. vallettabaroquefestival.com.mt www.mein-malta-urlaub.de


l e b e n s a r t

Rioja und Figaro

JOHN AXELRODS WEINKOLUMNE

In diesem Oktober findet wieder die alljährliche ECHO-Klassik-Verleihung in Deutschland statt, die außergewöhnliche Leistungen im Feld der klassischen Musikaufnahmen ehrt. Aus den vielen Auszeichnungen muss ich als Dirigent eine herausgreifen, eine ganz besondere Opernproduktion: Musica Aeternas Einspielung der Hochzeit des Figaro. Diese Aufnahme ist eine internationale Sache! Dirigent Teodor Currentzis ist Grieche, das Orchester kommt aus der Slowakei, Mozart war natürlich aus Salzburg, das unvergessliche Libretto von da Ponte – übrigens basierend auf dem französischen Schauspiel La folle journée ou le Marriage de Figaro – wird auf Italienisch gesungen, während die Lokalität dieser Oper, wie die meisten guten Opern, in Sevilla spielt. Egal, welcher Herkunft die Interpreten, Librettisten oder Komponisten sind – am Ende landen wir doch alle in Spanien, um Spaß zu haben. So war das 1786. Und bis 2014 hat sich daran nicht viel geändert: Die Sonne scheint perfekt, die Tapas sind köstlich und der Wein ist, so wie Real Madrid oder der FC Barcelona, hart zu schlagen. Das Wine Spectator Magazin, die Bibel der Weinkunde, schloss sich der Spanien-Begeisterung an und kürte den Cune Imperial Rioja 2004 zum Wein des Jahres 2013 (die Gewinner von 2014 sind noch nicht verkündet). Es ist die perfekte Zeit für eine Oktober-Ernte: Während die meisten

haben, ihn probieren zu können, voller Frucht, aber auch hitzig, durch Noten von Gewürzen, werden Sie Ähnliches erleben wie bei Mozarts Oper: Es wirkt niemals zu alt oder zu jung. Für 50 Euro pro Flasche ist der Rioja ein erschwinglicher Wein. Der Cune Rioja Imperial hat alle Aspekte, um als tradi­ tionell zu gelten. Cune, kurz für Compañía Vinícola del Norte de España, war ein früher Produzent des Rioja, gegründet 1879, und schon in 1920ern wurde der „Imperial“ ein echter Liebling der Engländer. Trotz des Die Sonne ist perfekt, die traditionellen Labels und der altehrwürdiTapas köstlich und der gen Herkunft ist es ein neumodischer Rioja. Wein, so wie Real Madrid Der Prozentsatz der Tempranillo-Trauben wurde hier angehoben und der Wein wird oder der FC Barcelona, nun, anders als früher, wo man ihn in amehart zu schlagen. rikanischen Eichenfässern gären ließ, in Opern-Juwel dagegen ist zeitlos und kann französischen Eichenfässern gelagert, und sowohl in einer zeitgenössischen als auch er besitzt einen viel strukturierteren Chaeiner traditionellen Deutung dargebracht rakter als etwa der heutige Bordeaux. Mit dem ECHO Klassik ehren wir werden. Die musikalischen Ideen bleiben für immer frisch, die bittersüße, humoristi- Musiker von heute und morgen, die Werke sche Geschichte über Treulosigkeit kommt von früher aufführen. Wir respektieren die niemals aus der Mode – und jeder liebt Tradition, aber schauen mit einer frischen Perspektive auf das, was wir schon wissen. doch lustige Seifenopern! Die Kritik in der Wiener Realzeitung Mozart hat das genauso gemacht. Die erste beschrieb die Oper schlicht als „Meister- Oper aus seiner Da-Ponte-Trilogie revowerk der Kunst“. Selbst Brahms nannte sie lutionierte die Oper und zollte doch dem ein Wunder (und wie Sie wissen, liebe ich klassischen Stil so viel Respekt, dass selbst Brahms!). Man könnte also auch sagen, dass Papa Haydn eine Vorstellung des Figaro auf der Cune Rioja ein Meisterwerk und ein die Beine stellen wollte (sie scheiterte leider, Wunder des Weins ist. Wenn Sie das Glück weil Haydns Patron Esterházy verstarb). n

Bierliebhaber noch einen Tropfen Gerstensaft vom Oktoberfest auf den Lippen haben, sollten wir diesen Rioja an unsere Gaumenknospen lassen. Er ist, so der Wine Spectator, die perfekte Balance zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Ich glaube, genau das kann man auch über Mozarts Die Hochzeit des Figaro sagen. Viele Opern müssen unter zeitgenössischen Kulissen leiden – da ist Rossinis Barbier von Sevilla übrigens keine Ausnahme –, Mozarts

John Axelrod ist Erster Dirigent des Orchestra Sinfonica di Milano „Giuseppe Verdi“. Nebenbei schreibt er Bücher („Wie großartige Musik entsteht ... oder auch nicht. Ansichten eines Dirigenten“) und philosophiert über sein Lieblingshobby: guten Wein. John Axelrods neue CD „Brahms Beloved II“ mit dem Orchestra Sinfonica di Milano „Giuseppe Verdi“ ist gerade erschienen. 92

Foto: Stefano Bottesi

Unser Kolumnist und Weinexperte widmet sich anlässlich des ECHO Klassik Preisträgern der Vergangenheit und der Zukunft – auf der Bühne und im Weinkeller.

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


»Ich lese crescendo« Sebastian Knauer, Pianist

Gutschein

€ 50,-

Prämie: Wertgutschein über 50 Euro von Roeckl Handschuhe & Accessoires (solange Vorrat reicht)

Geschenk-CD: Charlie Siem: Under the Stars. Münchner Rundfunkorchester, Paul Goodwin (Sony Classical)

Sie möchten die nächste Ausgabe gratis testen? Geben Sie uns 10 Tage nach Erhalt des Heftes keine gegenteilige Nachricht, sind Sie mit der regelmäßigen Weiterbelieferung* einverstanden. In diesem Fall erhalten Sie kostenlos die Geschenk-CD.

Abo oder Probeheft unkompliziert bestellen unter (bitte Code CPPAE0614 angeben) www.crescendo.de/abo, kostenlos unter 0800 - 66 66 300, per Email an abo@crescendo.de, per Fax an 089/741509-11 oder per Post: Port Media GmbH, Vertrieb, Rindermarkt 6, 80331 München

*) Abo-Preis Inland bei Zahlung per Bankeinzug. Sollten Sie Bezahlung per Rechnung wünschen, fallen zusätzlich 5 EUR Bearbeitungsgebühr an. Versand ins Ausland gegen Gebühr. Das Abo läuft zunächst für ein Jahr und kann dann gekündigt werden. Das Angebot ist nur in Deutschland, der Schweiz und im EU-Ausland verfügbar und nicht wiederholbar. Geschenk-CD und Prämien: solange der Vorrat reicht. Widerrufsrecht: Die Bestellung kann ich innerhalb der folgenden zwei Wochen ohne Begründung bei Abo-Service crescendo in Textform (z.B. per Mail oder Brief) oder durch Rücksendung der Zeitschrift widerrufen. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung.

Foto: Steven Haberland

Abonnieren Sie die schönsten Seiten der Klassik für nur 49,90 EUR*: sechs Ausgaben crescendo + Festspiel-Guide + Prämie + Geschenk-CD


Foto: Diamo Violins

L E B E N S A R T

Die Carbongeige von Diamo Violins

Die neue Carbonwelle Die Kunststoff-Geige hat viele Vorteile, man könnte sie sogar in die Badewanne mitnehmen. Doch die wichtigste aller Fragen ist: Schafft sie es auch in die Hände der großen Virtuosen? v on T e r e s a P i e s c h a c ó n R a p h a e l

Da hängt sie, in einem Schaukasten des Deutschen Museums, an einem Ort, an dem man eine Geige am wenigsten vermuten würde: in der Ausstellung „Harter Stoff. Carbon“ (bis 10.1.2015 im Deutschen Museum, München). Zierlich und leicht wirkt sie und ihr Korpus ist so pechschwarz wie einst der Frack und die Kutsche von Paganini, von dem man glaubte, er sei mit dem Satan im Bunde. Doch mit dem Teufel, mit alchemistischer Hexerei hat das Instrument, das der Königin unter den Geigen, der Stradivari, Konkurrenz machen möchte, nicht viel im Sinn. Gefertigt ist sie aus einer chemischen Verbindung, in der ein Stoff die Hauptrolle spielt, der die Grundlage allen Lebens auf der Erde bildet: Kohlenstoff, sprich Carbon. Ohne Carbon gäbe es kein Erdöl, keine Diamanten, keine Bleistifte, keine Computer. Und ohne moderne carbonfaserverstärkten Kunststoffe (CFK) auch keinen Airbus A350 oder Formel-1Rennwagen. Und bald auch keine Instrumente, keine Musik mehr? Nein, so weit ist es noch nicht, doch der leichte und extrem widerstandsfähige Werkstoff könnte Karriere in den Orchestern machen. Beim Boston Symphony Orchestra, weiß ein Konzertmeister zu berichten, seien angeblich einige Celli aus Carbon im Einsatz. Nur, kann so ein „Ding“ aus Carbon gut klingen? Die Stuttgarter Geigerin Nina Karmon führt es vor, mit einem Satz aus einer Partita für Solovioline von Johann Sebastian Bach. Man staunt nicht schlecht: Weich und rund breitet sich der Ton durch den Raum aus, dringt in die letzte Ecke und bleibt dennoch klar und hell. Fast möchte man 94

glauben, was die Macher der Fernsehsendung Stern TV bereits vor einiger Zeit in einem Test mit Berufsmusikern herausfanden, denen es tatsächlich nicht möglich war, den Klang einer Carbongeige von dem einer traditionellen Holzgeige zu unterscheiden. Nina Karmon war selbst überrascht, als sie erstmals eine Carbongeige in Händen hielt: „Die Geige klang erstaunlich gut, sprach sehr leicht an. Und ist vor allen Dingen so strapazierfähig.“ Und obendrein sehr billig. Für knapp 2.000 Euro inklusive Versandkosten ist eine solche Geige zu haben oder auch eine Bratsche. Für 4.000 Euro ein Cello. Reine Handarbeit und alles in einer Woche lieferbar. Endlich also ein Musikerleben ohne die Abhängigkeit von Sponsoren, Krediten, Stiftungen oder Stipendien? Ohne die Imponderabilien, denen der global reisende Geiger mit einem Holzinstrument ausgesetzt ist? Egal, ob kalter oder heißer Kofferraum, ungeheizte Kirche, große Konzerthalle, Kammermusikraum, tropisch feucht-warmes oder zu trockenes Klima: Eine Carbon-Geige scheint alles mitzumachen, sogar den Gang in die Badewanne. So robust, so stabil und absolut rissfest ist das Material. Wasserfest und „unkaputtbar“ sozusagen. Ein Leben also ohne Violinen-Jetlag, ohne die Sorge, dass das Instrument verstimmt ist, ohne Intonationsprobleme? Ein Leben mit einem Instrument, mit dem man es wie die Rockmusiker der Siebziger auch mal richtig krachen lassen kann, ohne dass es wirklich kracht? Auch wenn Nina Karmon die Vorzüge einer Carbongeige schätzt: Das Beethoven- oder das Brahms-Violinkonzert würde sie www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


nur auf ihrer edlen Guarneri spielen. Junge Menschen hätten vielleicht kein Problem, aber das meist etwas ältere Publikum könnte verstört reagieren auf eine Künstlerin mit schwarzer Geige, auf der eventuell modern stilisierte F-Löcher prangen. Eine „designte Plastik-Geige“, wie manche sie nennen, hat gegen die mystische Aura, die eine Guarneri immer noch umgibt, wenig Chancen – unabhängig davon, wie ein Musiker sie spielt. Der eigentliche Grund aber liegt für Karmon tiefer: Ein Künstler müsse einen eigenen Ton finden, eine eigene Sprache, die ihn auszeichne, unverwechselbar mache. Mögen die Hersteller von Carbongeigen noch so sehr von einem „optimalen Spielgefühl“ schwärmen: Die dynamische Flexibilität eines Holzinstruments, das aus „lebendem“ Material besteht, ob aus Ahorn oder Fichte, bleibt überlegen. Dabei hat die Carbongeige – in technischer Hinsicht – vieles von der Holzgeige übernommen. Der Innenraum, der Klangraum des Korpus aus CFK entspricht genau dem einer normalen Holzgeige. Die Form des Instruments wird mit Kohlefaser-Matten ausgelegt, das Material dann mit Harz getränkt und 18 bis 24 Stunden getrocknet, bis es „knochenhart“ ist. Nur auf die Ecken verzichtet mancher Hersteller, aus optischen Gründen, aber auch aus technischen Erwägungen: Eine Holzgeige braucht die Ecken, schließlich befinden sich darunter die Eckklötze, die für den Halt der Decke auf dem Zargenkranz erforderlich sind. Ein Karboninstrument kann offenbar darauf verzichten. Steg und Stimmstock werden allerdings klassisch gefertigt, wie einst bei den Geigenbaumeistern vor mehr als zweihundert Jahren. Beide müssen gut aufeinander abgestimmt sein, schließlich sind sie die „Klang-Überträger“. Modernen Komfort gibt es auch bei den Wirbeln, mit denen das Instrument gestimmt wird. Diese können bei dem Material Carbon nicht mehr abrutschen, das Wirbelstimmen wird zum Kinderspiel, auch weil die Saiten durch einen Halter aus Kunststoff gehalten werden. Eine Carbon-Geige ist in etwa 35 Stunden fertig. Ob sie allerdings in Klang und Erscheinung die Anmut etwa jener Lady Tennant erreichen wird, die vor einigen Jahren für 2 Millionen Dollar bei Christie’s versteigert wurde? Anders ist es mit den Carbonbögen, von denen angeblich 60 Prozent aller Geiger einen besitzen. Als „Verlängerung des Arms“ ist der Bogen ebenso wichtig wie die Violine. Bis zu 100.000 Euro kann ein alter Meisterbogen kosten, 20.000 Euro auf jeden Fall. Bögen aus carbonfaserverstärktem Kunststoff dagegen sind ab 600 Euro zu haben – und dabei so leicht wie ein Barockbogen, der zwischen 45 und 50 Gramm wiegt. Gleichzeitig von sehr hoher Spannkraft und Handlichkeit, so dass ein Musiker mehr Druck, einen größeren Ton erreichen kann, ohne dass die Stange durchbiegt und den Ton verzerrt. Seit der Romantik wiegen Geigenbögen über 60 Gramm, zu Tonnen summiert sich dies, wenn man vierzig Jahre lang als Orchestermusiker viel Bruckner und Wagner gespielt hat. Das geht auf die Knochen, Gelenke und Muskeln. Doch ganz ohne traditionelles Material geht es nicht. Gespannt wird der Bogen immer noch mit Rosshaar, wie zu Stradivaris Zeiten. „Ob man ein guter Geiger ist oder nicht, hängt nicht vom Instrument ab“, meint Nina Karmon. Vielleicht aber liegt es an den Geigensaiten, weshalb die Damen bei Paganinis Spiel in Ohnmacht fielen. Hartnäckig hielt sich das Gerücht, sie seien aus den Gedärmen einer ermordeten Geliebten gesponnen. Auch ein organisches Material auf Grundlage von Carbon. n

„Ob man ein guter ­Geiger ist oder nicht, hängt nicht vom Instrument ab.“

95

R I CHA R D STRAUSS Zum Jubiläum 3x Strauss mit Star-Besetzung „So macht Musiktheater einfach Freude“ Der Kurier Renée Fleming, Bo Skovhus, Michael Schade, Angelika Kirchschlager Christoph Eschenbach Inszenierung: Marco Arturo Marelli Blu-ray: 716004 DVD: 715908

Wiener Staatsoper 2013

„Eine Besetzung […] wie sie derzeit wohl besser nicht zu bekommen ist.“ Das Opernglas Renée Fleming, Thomas Hampson, Albert Dohmen, Daniel Behle Christian Thielemann Inszenierung: Florentine Klepper Blu-ray: 717304 DVD: 717208

Salzburger Osterfestspiele 2014

„In jeder Hinsicht beispielhafte Produktion“ Neue Zürcher Zeitung Krassimira Stoyanova, Günther Groissböck; Mojca Erdmann Franz Welser-Möst Inszenierung: Harry Kupfer Blu-ray: 719404 DVD: 719308

Salzburger Festspiele 2014 Erscheint: November 2014

Im Vertrieb der NAXOS DEUTSCHLAND GmbH95 www.naxos.de · info@naxos.de · www.naxosdirekt.de Hintergrundfoto: Dragon30 · www.photocase.de


lebensart

Form, Farbe Funktion Instrumentenbauern geht es eher um den perfekten Klang als um Formschönheit. Dennoch gibt es hin und wieder Design-Innovationen, bei denen Ohrenschmaus und Augenweide gemeinsame Sache machen. crescendo hat acht Beispiele für die ­gelungene Kombinationen von beidem entdeckt. Von Anto i n e tt e S c h m e l t e r d e E s c o b a r

Bayer MaterialScience

Spiel ohne Grenzen

Fotos: PR

Lichteffekte, Video- und Fotoprojektionen: Bei der Gehäuse-Gestaltung des „Cello 2.0“ sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Gemeinsam mit TEAMS Design hat die Firma Bayer MaterialScience einen futuristischen Prototyp entwickelt, dessen Korpus aus kristallklarem Gießharz, also aliphatischem Polyurethan, besteht. Wie eine Spirale windet sich dieser um eine senkrechte Achse, die alle elektronischen Komponenten für Klang und eventuelle Visualisierungen enthält. www.materialscience.bayer.de

Pianomanufaktur Sauter

Form im Fluss Von Interlübke bis Ligne Roset: Peter Maly sucht für renommierte Möbelfirmen nach einer „ausdrucksstarken Form, die sich jedoch trotz größtmöglicher Eigenständigkeit nicht in den Vordergrund drängen sollte“. Dieses Ziel verfolgt der Deutsche auch bei seiner Arbeit für die Pianomanfaktur Sauter: Ein Viertel aller Tasteninstrumente wurde von ihm designt. Zum Beispiel der neue Konzertflügel „Ambiente“, der fließend und schnörkellos einer parabelförmigen Kurve folgt. www.sauter-pianos.de

96

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


Schlagwerk

Kompakter Hingucker Wenig Aufwand, große Wirkung: Cajon nennt sich das kompakte PercussionsMultitalent, das ursprünglich ein einfaches Instrument von Sklaven aus Südamerika war. Heute wird es mit seinem trockenen, kräftigen Klang in vielen Musikrichtungen eingesetzt. Dank schlicht-schöner Formen und hochwertiger Oberflächen aus edlen Hölzern oder Ziegenfell macht der Hersteller Schlagwerk die kniehohe Kiste zu einem Hingucker, der mit den Händen gespielt wird. www.schlagwerk.de

Yamaha

Nicht mehr als nötig Musizieren, ohne gehört zu werden? Die elektronischen „Silent“-Saiteninstrumente von Yamaha machen’s möglich, die zwei Mal den iF Product Design Award bekamen. Die Palette reicht von Bass über Cello bis Violine und Viola. Gemeinsamkeit ist die Reduktion auf das Notwendigste, d. h. Griffbrett, Saiten und Wirbel, die ein angedeuteter, abnehmbarer Korpus ergänzt. Den erzeugten Klang kann man über Kopfhörer oder Lautsprecher genießen. www.de.yamaha.com

Steinway & Sons

Rot-schwarzes ­ rinnerungsstück E „Warum nicht?“, war die Antwort von Karl Lagerfeld auf die Frage, ob er einen Flügel zum 150. Jubiläum von Steinway & Sons gestalten wollte. Gesagt, getan: 2003 wurde The S.L.ED als elegante Sonder­­ edition aufgelegt, für die der Star-Couturier mattes Schwarz mit r­oten Farbakzenten kombinierte, die sich an klassischem Japanlack orientierten. Ungewöhnlich war auch seine Wahl bei der Form der Füße; insgesamt sollte sein Entwurf an einen Schlitten erinnern. www.steinway.de

Guo Musical Instrument Co.

Bunt & belastbar Kanariengelb, apfelrot, schokobraun, minzgrün: Die Farbpalette der Querflöte namens Tocco umfasst ein Dutzend Töne. Aus dem Rahmen fällt aber auch ihr Material: Polymer-Kunststoff, der das Blasinstrument besonders leicht, abriebfest und wetterunempfindlich macht. Diese Kombination fand die Jury des Internationalen Red Dot Award so innovativ, dass das taiwanesische Produkt bei der Preisverleihung 2014 eine „Honourable Mention“ bekam. www.guoflute.com

97


H o p e

t r i f f t

Geiger & crescendo-Kolumnist DANIEL HOPE

Politisch Oder nicht? Unser Kolumnist Daniel Hope reiste mit dem russischen Dirigenten Wladimir Jurowski durch Russland. Beim Frühstück in Moskau philosophierten die beiden über die gesellschaftspolitische Bedeutung des Künstlers im 21. Jahrhundert – aus aktuellem Anlass.

Foto: privat

tige Einladung auch annehmen. Aus Wladimir, du bist Chefdirigent des politischen Gründen ein Konzert London Philharmonic und vom abzusagen finde ich falsch. StattdesStaatlichen Akademischen Symphosen sage ich: Geh hin, spiel deine nieorchester Russlands (EvgenyMusik und versuche dadurch und Svetlanov-Orchester), hast aber auch durch deine Worte die dortige Situvor Kurzem in Moskau eine Rede ation zu verbessern. Sonst bestrafst über Benjamin Britten und dessen du die Falschen. Am Ende muss das Homosexualität gehalten. Dies hat aber natürlich jeder für sich selbst weltweit großes Aufsehen erregt, entscheiden. weil du damit ein Thema angesproWenn wir uns treffen, diskutieren chen hast, das in Russland noch Hope mit Wladimir Jurowski und Gabriel Prokofjev (Mitte) wir viel über solche gesellschaftsimmer ein großes Tabu ist. Siehst du Grund der politischen Lage Zweifel daran politischen Themen. Woher kommt dieden Künstler eher als Politiker oder als ses große Interesse daran bei dir? hegen, nach Russland zu reisen? Vermittler von Politik? Erstens durch meine Herkunft. Zweitens hat Der größte Fehler, den man heute als Es ist so: Künstler sind normalerweise keine Musik längst aufgehört, bloß eine KunstKünstler begehen kann, ist, einem Dialog guten Politiker, aber oft verfügen sie über form zu sein. Sie ist vielmehr eine Form mehr Weitblick. Ein gutes Beispiel hierfür ist aus dem Weg zu gehen. Viele Menschen in der Kommunikation zwischen den MenKurt Masur, der im Jahre 1989 seine Position Russland leben derzeit in einer Art geistidazu benutzt hat, um einen Dialog zwischen gem Vakuum. Daran sind sie natürlich nicht schen. Ich bin der tiefsten Überzeugung, dass ernste Musik zum größten Teil nicht selbst schuld; die Bereitschaft zum Dialog den Machthabenden und den Protestierenals bloßes Entertainment erschaffen, sonist größtenteils da, egal ob in Moskau oder den in Leipzig zu starten. Damit hat er auf dern mit einer geistigen Botschaft beladen in Sibirien. Natürlich sind sie auch zum bedeutende Weise dazu beigetragen, dass wurde. Und gerade diese Botschaft braucht zivilisierten Austausch in der Lage, denn Schlimmeres vermieden wurde. Ich finde, klare Vermittlung. Leider wird die klassische nicht alle sind der Gehirnwäsche der staatdass in so einer Welt wie der heutigen die Musikbranche immer noch oft gefangen lich zensierten Medien zum Opfer gefallen. Bühne dazu benutzt werden muss, mehr gehalten in einer Art der Menschen sind überall die Verständnis zwischen den Menschen zu Darbietung, die aus einer gleichen, und man findet schaffen. Es geht also im War Requiem vielDaniel Hope Live: überholten bürgerlichen sicher in jeder Gesellmehr um Humanität und Pazifismus als um „Escape to Paradise – Welt des 19. Jahrhunderts den Krieg selbst. Und als ausübender Künst- schaft einen gesunden The Holly wood Album“ stammt. Das Problem ist ler darf ich so ein Werk ohne seinen Kontext Kern. Und gerade für Tour 2014 vor allem die künstlich diese Menschen ist Kunst nicht auf die Bühne bringen. Es ist unsere 20.11. Hannover Funkhaus geschaffene Distanz zwiein Lebenselixier! So ist Pflicht, den Menschen Augen und Ohren zu 23.11 Düsseldorf Tonhalle schen den „Göttern auf es die Pflicht der Künstöffnen. Es ist für mich unmöglich, das War 24.11. Braunschweig der Bühne“ einerseits und ler, dass sie, egal welcher Requiem in Russland zu spielen (dort, wo ­Stadthalle 25.11. Osnabrück dem Publikum andererpolitischen Überzeugung Homosexualität von Politikern als Verbre­Osnabrückhalle seits. Dadurch bleibt die chen angesehen wird), ohne diese Problema- und welcher Konfession 28.11. Berlin Konzerthaus geistige Botschaft oft auf sie angehören (und wo tik anzusprechen. www.danielhope.com der Strecke ... n sie wohnen), eine derarWas würdest du Künstlern sagen, die auf 98

www.crescendo.de

Ok tober – November 2014


CoMPUteR UND INteRNet BesseR VeRsteHeN.

Jetzt

eIN Heft

kosteNlos

leseN! A lle 3 MonAte neu AM KiosK!

BEQUEM ONLINE BESTELLEN UNTER www.pcgo.de/mein-pc-und-ich ODER PER TELEFON 0781 6394548


Daniil triFonoV „Der Pianist für den rest unseres lebens.“ (Norman Lebrecht) „Die ausdrucksintensität erreicht derzeit kein anderer Pianist.“ (Süddeutsche Zeitung) www.daniil-trifonov.de

LEGENDÄR Martha argerich Daniel BarenBoiM

„argerich, die genialische Vollblut-Pianistin und Barenboim, der überlegene Universalmusiker – ein argentinisches traumpaar.“ (Berliner Morgenpost) www.marthaargerich.de

Ab 17. OktObER ALs CD & DOwNLOAD!


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.