Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
MOZART! FOKUS KLARINETTE
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MUSIKALISCHE GRENZGÄNGER Doppelinterview mit den Klarinettisten
ANTONIA LORENZ
JÖRG WIDMANN
und
SCHWER ZU BÄNDIGEN THOMAS REIL kennt die Tücken der Bassettklarinette
BITTERSÜSSE SCHÖNHEIT Mozart und seine Liebe zur Klarinette
INSZENIERUNG IN ERFURT Eine Mozartoper als Spiegel der türkischen Gesellschaft
DIE GEMEINSCHAFT GIBT DEN TON AN Tradition der Blasmusikvereine
MOZART-ORT WIEN
© Marco Borggreve
Eine Stadt, die schon Mozart kreativ werden ließ
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Liebe Mitglieder der DMG, liebe Crescendo-Leser,
EDITORIAL
mit der vorliegenden Ausgabe nähern wir uns der Welt des Mozartschen Schaffens von einer besonderen Seite. Im Zentrum steht die Klarinette, die Mozart ab 1781 verstärkt in seinen Werken verwendet und der sein letztes großes Solokonzert KV 622 vorbehal ten blieb, das er im Oktober 1791 schrieb. Inspiriert wurde die Liebe zu dem Instrument durch die enge Freundschaft zu Anton Stadler, der als Virtuose durch ganz Europa reiste und zugleich ein Experi mentator auf dem Gebiet der Klarinettenfamilie war, die er um die Facette der heute fast vergessenen Bassettklarinette erweiterte. Für uns ist die Klarinette im Klangbild eines Orchesters heute selbstverständlich, aber ihr exponierter Einsatz neben den handels üblichen Oboen war zu Mozarts Zeit noch eine Neuheit, bei der man aufhorchte. Und Mozart verstand es nicht nur in seinen Or chesterwerken, die klare und sanfte Tiefe sowie die Beweglichkeit des Instruments zu nutzen. Er kitzelte damit auch die Ohren des Opernpublikums, wie uns die Überlieferung der TitusAufführung in Prag zu berichten weiß, bei der Stadler für die obligate Begleitung der Sänger selbst Bravorufe aus dem Parterre erhielt.
Das Deutsche Mozartfest in Augsburg wird im Mai einer ganzen Fülle von Werken nachspüren, bei denen die Klarinette einmal die »erste Geige« spielen darf. In der Nachfolge des ersten reisenden Virtuosen Stadler werden die Starklarinettisten von heute in den historischen Sälen der Mozartstadt Augsburg zu erleben sein. Einige von ihnen kommen in dieser Ausgabe zu Wort, in der wir Ihnen vom Instrumentenbau, über die historische Entwicklung der Klarinette bis hin zur heutigen Verwendung in der Volks und Blasmusik einen Einblick in die Erfolgsgeschichte eines Instruments geben wollen, das nicht zuletzt im Jazz begeisterte und ebenso legendäre Anhänger gefunden hat, wenn wir beispielsweise an Benny Goodman denken. Doch wie so vieles in der Musikgeschichte, fängt alles mit einer Künstlerfreundschaft zwischen Mozart und Stadler in Wien an … Eine spannende Lektüre wünscht Ihnen Ihr
THOMAS WEITZEL Präsident der Deutschen Mozart-Gesellschaft
Mannheimer Klarine e So, 10. Mai ❙ 19:00 Uhr ❙ Kleiner Goldener Saal NICOLA JÜRGENSEN, Klarinette BAYERISCHE KAMMERPHILHARMONIE, Ltg. REINHARD GOEBEL Trio mit Sharon Kam Di, 12. Mai ❙ 20:00 Uhr ❙ Kleiner Goldener Saal SHARON KAM, Klarinette ORI KAM, Viola STEPHAN KIEFER, Klavier
Mozart und die Klarinette 64. Deutsches Mozartfest 7. — 17. Mai 2015 Eröffnungskonzert Deutsches Mozartfest 2015 Do, 07. Mai ❙ 20:00 Uhr ❙ Kirche Ev. Heilig Kreuz ALEX PENDA, Sopran AKADEMIE FÜR ALTE MUSIK BERLIN, Ltg. VÁCLAV LUKS Mozart meets Jazz Fr, 08. Mai ❙ 20:00 Uhr ❙ Augustana-Saal HUGO SIEGMETH, Klarinette/Saxophon · DAVID GAZAROV, Klavier MINI SCHULZ, Bass · MEINHARD JENNE, Drums
Wiener Schule 1 & 2 Do, 14. Mai ❙ 20:00 Uhr ❙ Kleiner Goldener Saal JÉRÔME BENHAIM, Violine · ANDREAS KIRPAL, Klavier BLÄSER der AUGSBURGER PHILHARMONIKER, Ltg. BRUNO WEIL Carte blanche: Brahms Fr, 15. Mai ❙ 20:00 Uhr ❙ Kleiner Goldener Saal SARAH CHRISTIAN, Violine · JANO LISBOA, Viola MAXIMILIAN HORNUNG, Violoncello · HISAKO KAWAMURA, Klavier Kammermusik XXL mit Jörg Widmann Sa, 16. Mai ❙ 19:00 Uhr ❙ Kleiner Goldener Saal JÖRG WIDMANN, Klarinette · ANTJE WEITHAAS, Violine SARAH CHRISTIAN, Violine · JANO LISBOA, Viola MAXIMILIAN HORNUNG, Violoncello · HISAKO KAWAMURA, Klavier Galaau ri für die Klarine e Abschlusskonzert Deutsches Mozartfest 2015 So, 17. Mai ❙ 20:00 Uhr ❙ Kongress am Park, Großer Saal SABINE MEYER, Klarinette/ Bassettklarinette AUGSBURGER PHILHARMONIKER, Ltg. MICHAEL HOFSTETTER Außerdem: Meisterkurs Klarine e mit SABINE MEYER und Komponierwerksta mit HELMUT SCHMIDINGER
VORVERKAUF: Theater Augsburg · Telefon (0821) 324 49 00 · theater@augsburg.de
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Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
WERKSTATT
Vier Extraklappen für den besonderen Tiefgang: Die Bassettklarinette in A, neben einer »gewöhnlichen« Klarinette in A. Beide von Herbert Wurlitzer / Neustadt.
Wie klang die Klarinette, als Mozart sie hörte, Herr Reil? Ein Werkstatt-Gespräch mit Klarinettenexperte Thomas Reil
Klarinetten © Thomas Reil
Von Julika Jahnke Es ist oft nicht leicht, das, was Komponisten an Musik in ihrem Kopf entstehen ließen, dann auch auf einem Instrument zum Klingen zu bringen. Besonders wenn man das auf einem exotischen Instrument wie der Bassettklarinette tun muss. Wolfgang Amadé Mozart hat nicht nur seinem Lieblingsklarinettisten Anton Stadler einiges abverlangt. Indem er etwa in seinem Klarinettenkonzert die Bassettklarinette vorschreibt, stellt er heute noch Solisten vor eine schweißtreibende Aufgabe. Wie schwer ist es eigentlich, dieses Instrument zu spielen, Herr Reil? Das ist wirklich Knochenarbeit. Denn die Bassettklarinette ist sehr unbalanciert. Die tiefen Töne kann man nicht mit dem kleinen Fin ger greifen, sondern nur mit dem rechten Daumen, mit dem man eigentlich die Klarinette hält. Den lässt man los und muss in diesem Moment das Instrument mit der linken Hand und mit dem Mund festhalten. Das ist schwer, denn sie wiegt signifikant mehr als eine normale Klarinette. Aber wenn ich heute ein renommierter Solist bin, wie etwa Sabine Meyer, dann ist es selbstverständlich, Mozarts Klarinettenkonzert auf der Bassettklarinette zu spielen. Und wenn man es mal so probiert hat, möchte man es nicht mehr anders haben, einmal mit den tiefen Tönen – und dann haben alle Töne auch wirk lich eine andere Klangfarbe. Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
Das Instrument wir ja vor allem mit Wolfgang Amadé Mozart in Verbindung gebracht. Mozart hat überhaupt die tiefe Lage der Klarinette, die bei den da maligen Instrumenten sehr schwer zu intonieren war, sehr stark mit einbezogen. Da hat er sich unglaublich viel getraut und viel gefor dert. Und im Klarinettenkonzert und im Quintett setzt er dann auch noch die »Bassettklarinette« ein, wie man sie heute nennt, die noch einmal vier Töne mehr nach unten hat. Das sind entscheidende vier Töne. Er verwendet sie alle, auch solche Tonverbindungen, die ex trem schwierig zu spielen sind. Damit hat er die Klarinettentechnik sehr nach vorne gebracht. Nicht den Instrumentenbau, aber das was der Spieler können musste. Hat Mozart denn nun sein berühmtes Klarinettenkonzert explizit für die Bassettklarinette geschrieben? Das ist nicht eindeutig zu sagen. Mozarts Konzert steht in dem äl teren Autograph aus der WinterthurReinhardSammlung nicht in A, wie in der bekannteren Fassung, sondern in G. Normalerweise steht das Bassetthorn in F, aber die seltene Stimmung in G kommt bei Mozart auch an anderer Stelle vor. Es gibt aus dieser Zeit aber 3
WERKSTATT
Registerwechsel Warum fällt, wenn es um die Ursprünge der Klarinette geht, immer wieder der Name des Nürnbergers Johann Christoph Denner? Es gab zuvor ja schon das Chalumeau, das auch Denner herstellte. Aber er erarbeitete sich durch Experimentieren daraus ein In strument, das nicht – wie das Chalumeau – nur in der tiefen Lage funktionierte, sondern das man in eine höhere Lage überblasen konnte. Es entstand damit um 1700 die Klarinette, die so konstruiert ist, dass sie im überblasenen Register gut funktioniert und man das weniger sauber intonierte tiefe Register vernachlässigte. Und ab wann war die Klarinette dann in der Kunstmusik eine vertraute Erscheinung? Das gab es schon ab dem frühen 18. Jahrhundert. Aber erst Mitte des Jahrhunderts etablierte sich überhaupt das klassische Orchester, mit festem Instrumentarium, und da kam dann auch die Klarinette dazu. Das erste originale Klarinettenkonzert stammt von Johann Melchior Molter, aus der Mannheimer Schule. Er hatte die Reize dieses durchdringend hellen, trompetenähnlichen Klangs durch einen be freundeten Klarinettenspieler, den HofFlötisten am Durlacher Hof Johann Reusch, kennengelernt. Für ihn sind dann vier Klarinetten Konzerte entstanden. Wie muss man sich denn den Klang der Klarinette vorstellen, so wie Mozart ihn zu hören bekommen hat? Sie war damals noch viel dunkler, da eine tiefere Stimmung der In strumente üblich war, um ca. einen halben Ton. Außerdem gedeckter und klangschwächer. Aber die Instrumente wirken in den Räumen, in denen sie damals gespielt wurden, ganz anders. In einem nicht allzu großen und überakustischen Raum wie in einem Palais von Adligen, da sind die Instrumente kräftig und setzen sich durch. Die Instrumente sind nie unvollkommen gewesen, sondern sie haben 4
eigentlich immer den Anforderungen der Zeit genügt. Sonst hätte man ja nicht dafür komponiert. Ungleiche Töne Und was die Intonation betrifft? Es war so: Wenn ich in meiner Ausgangstonart spiele, dann habe ich gesunde Töne drauf. Und wenn ich tonartfremde Töne spiele, dann darf man das an der Tonart auch hören. Und das sind dann die Töne, die man durch Gabelgriff erzeugt hat. Der ist auf der Kla rinette nicht gut zum Klingen zu bringen und sehr auffällig. Wenn eine Klarinette in A gestimmt war, konnte man z. B. gut ADur oder GDur, vielleicht noch FDur drauf spielen, bei allem anderen hatte man krumme Töne. Das heißt, wenn ich Mozarts Klarinettenkonzert auf einem Instrument aus seiner Zeit spielen würde, hätte ich jede Menge krumme Töne? Ja, »krumm« bedeutet dann, intonationsmäßig und grifftechnisch schwierig hinzukriegen. Die Töne sind ungleicher. Das hat, z. B. bei einem SeufzerMotiv auch einen großen Reiz: Der untere Ton, der als Leitton in die Haupttonart überleitet, klingt viel gedeckter. Diese Ästhetik hat sich aus den Gegebenheiten des Instrumentes entwickelt, aber es hat auch niemand gestört. Erst in der Romantik ist man sehr viel weiter herumgekommen. Nicht nur, weil man das Dampfschiff hatte und damit mehr Mobilität hatte, sondern auch musikalisch gesehen. Und dann hat es gestört, wenn man sich in eine fremde Tonart bewegt und die Instrumente darin nicht so gut funktioniert haben. Deswegen wollte man dann ein Instrument, das voll chromatisiert ist, wo alle Töne gleich klingen. Was finden Sie selbst an der Klarinette bzw. am Instrumentenbau so spannend? Ein Instrument ist immer eine Schnittstelle zwischen Geist und Materie. Die Musik ist ein geistiges Produkt, das sich aber materiell äußert, und dazu erforderlich ist dieses materielle Ding, das Instru ment. Gute Instrumentalisten konnten nur glänzen, weil sie gute Instrumente hatten und sie regten wiederum die Komponisten an. Das war sicher auch bei Mozart der Fall. ❙ Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
Thomas Reil © Thomas Reil · Hintergrund © imageBROKER / H.-D. Falkenstein
auch Bassettklarinetten, die in G gestimmt sind. Welches von beiden nun gemeint war, wüsste man nur, wenn man es vor sich hat und die Bauweise sieht. Das Bassetthorn erkennt man am leicht kasten förmigen »Buch« (hier ist die Bohrung hin und her geknickt, um die Gesamtlänge zu verkürzen).
Der Klarinettist, Musiklehrer, gefragte Klarinettenexperte und Instrumentenbauer THOMAS REIL hat seine Werkstatt in der Nähe von Stuttgart. Dort erforscht und sammelt er auch mit Leidenschaft historische Blasinstrumente. Er kann auf mehrere CD-Produktionen und eine multimediale Ausstellung (Rotterdamer Stadtmuseum) verweisen, sowie die Konzeption einer Ausstellung über den Klarinettenbauer Oskar Oehler im Musikinstrumentenmuseum Markneukirchen. Hier spielt er ein historisches (anonymes) Bassetthorn (in F), gebaut um 1800.
Empfehlungen BÜCHER und CDs BÜCHER
Siegfried Mauser: Mozarts Kla viersonaten. Ein musikalischer Werkführer. München: C. H. Beck 2014, 128. S. Es ist kaum vorstellbar: Eine handliche Gesamtdarstellung der Mozartschen Klaviersonaten hat tatsächlich noch gefehlt. Sieg fried Mauser, Pianist, Musik wissenschaftler und designierter Rektor des Mozarteum, schließt diese Lücke nun. Gerahmt von ebenso informativen wie präzi sen Kapiteln zur Vorgeschichte der Gattung, zur Aufführungs praxis und zur Ästhetik behan delt er jede der 18 Sonaten auf zwei bis sieben Seiten. Die verschiedenen Entstehungszei ten und -kontexte der Werke interpretiert er als drei Phasen, die er in der jeweiligen Kapitel überschrift charakterisiert: Die Münchener Sonaten (KV 279 – 284) fasst er mit den Ideen »im provisierte Manieren und instru mentales Theater«, die So naten aus Mannheim und Paris (KV 309 – 311) sowie Wien, Salz burg und Linz (KV 330 – 333) in Bezug auf ihre »präzise Cha rakterisierungskunst und for male Souveränität« und Pro portionen, während er in den späten Wiener Sonaten v. a. die zunehmende Individualisierung der einzelnen Werke betont.
Der Schwerpunkt der Werkbe sprechungen liegt auf der jewei ligen Gestaltung der Sonaten form. Immer wieder kommt Mauser auch auf den »Sprachcharakter« der Sonaten zu spre chen, den er auch im Vortrag – durch ein leichtes Portato und andere Artikulationsdetails so wie den informierten Umgang mit Verzierungen – umgesetzt wissen will. So liegt mit diesem Buch eine sehr kenntnisreiche, teils gera dezu gedrängte Gesamtschau dieses Oeuvreausschnittes vor, die Lust auf eine neuerliche und intensivere Beschäftigung damit macht, sei es am Klavier oder mit dem Notentext.
Ingrid Schraffl: Opera buffa und Spielkultur. Eine spieltheoreti sche Untersuchung am Beispiel des venezianischen Repertoires des späten 18. Jahrhunderts. Wien: Böhlau 2014, 403 S. Die Opera buffa war lange ein Stiefkind der Musikwissenschaft. Wie viel es hier trotz einer mitt lerweile deutlich besseren For schungslage immer noch für Wissenschaftler, Musiker und das Publikum zu ent decken gibt, zeigt dieses Buch von Ingrid Schraffl: Sehr oft verwei sen ihre Quellenaufgaben auf handschriftliches Material in Ar chiven. Auf moderne Editionen
oder Einspielungen kann sie nur selten zurückgreifen. Die Autorin hat die Veneziani sche Buffa-Praxis des »Goldenen Zeitalters«, der 1770er und 80er Jahre, aufgearbeitet, und zwar unter dem Aspekt des Spiels. Das ist ebenso anregend, wie bisweilen zu beliebig oder un spezifisch. Doch die Lektüre der vielen Szenen, die sie dramatur gisch und musikalisch darstellt, macht Lust auf mehr. Man kann nur hoffen, dass man bald ein mal ein Werk wie Piccinnis L’Americano auf einer Bühne erleben wird.
Peter Heckl: W. A. Mozarts In strumentalkompositionen in Bearbeitung für Harmoniemusik vor 1840. Hildesheim: Olms 2014, 2 Bde., 171 und 750 S. Harmoniemusiken – vornehm lich zur Unterhaltung gedachte Stücke in der Oktettbesetzung »zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Hörner, zwei Fagotte« – waren an den Fürstenhöfen des 18. und 19. Jahrhunderts ungeheuer beliebt. Arrangeure bearbeiteten die erfolgreichsten Opern, aber auch Sinfonien, Kammermusikwerke und an deres zu Bläsersuiten, die dann zur Tafel (Mozart ahmt das in seinem Don Giovanni nach), im Freien und als Ständchen erklangen.
Dass Mozarts Opern besonders rasch von Harmoniemusiken aufgegriffen wurden, ist be kannt. Dass aber auch etliche seiner Instrumentalkompositio nen bearbeitet wurden – sogar von einer so illustren Person wie Erzherzog Rudolph –, doku mentiert diese Arbeit von Peter Heckl, selber Hornist in einem solchen Ensemble. Band 1 ver sammelt akribisch alle Quellen sowie weitere Informationen zu den Bearbeitungen und geht dabei in vielem über den bishe rigen Forschungsstand hinaus. Band 2 dann gibt den Notentext für (fast) alle dieser Bearbeitun gen. Wer also wissen will, wie das Rondo alla turca in einer um Piccolo, Trompete und Pauke ergänzten Harmoniemusik-Fas sung klingt, kann das nun selber ausprobieren. Heckl ergänzt da mit das übliche Repertoire sol cher Ensembles um viele gute und klanglich interessant arran gierte Stücke. Alle Rezensionen von Dr. Melanie Wald-Fuhrmann
Wie klang die Bassettklarinette zu ihrer Zeit? CHARLES NEIDICH macht die Probe — mit einem nach gebauten Instrument und dem Klarinettenkonzert von W. A. Mozart. CD erschienen bei brh records 2014. Weitere CD-Tipps finden Sie auf Seite 16.
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MOZART UND DIE KLARINETTE
Dunkler Glanz und bittersüße Schönheit Anton Stadler © Gesellschaft der Musikfreunde Wien
Wie die Klarinette Wolfgang Amadé Mozart durch sein Leben begleitet hat
Von Jörg Handstein Anton Stadler, Klarinettist und Mozarts Logenbruder, war bekannt dafür, wie virtuos er auch das tiefe Register und die Bassettklarinette beherrschte. Inspiriert wurde Mozart unter anderem von ihm. Und vielleicht auch von der ein oder anderen langen Kutschfahrt. Anfang des Jahres 1787 unternahm Mozart eine Reise nach Prag. Ihn begleiteten nicht nur seine Frau, sein Diener und sein Hund, sondern auch einige befreundete Künstler, denen er wahrscheinlich, gerade gut bei Kasse, die Reise spendiert hatte. Auf der Fahrt ver gnügte sich das wohlgelaunte Grüppchen mit der Erfindung neuer Namen, etwa Pùnkitititi und SchablaPumfa für die Mozarts oder Nàtschibinìtschibi für den Wiener Klarinettisten Anton Stadler. Im Jahr 1789, getrübt von Geldnot und Krankheit, vollendete Mozart nur ein einziges herausragendes Instrumentalwerk. Es be ginnt wie ein Streichquartett, mit einer stillen, feierlichen Melodie. Dann aber sprudelt plötzlich die Klarinette los, die Musik belebt sich, und es wird klar, dass es sich um ein Quintett handelt – »des Stad lers Quintett«, wie es Mozart selbst nennt. Auch das Seitenthema in szeniert die bedeutende Rolle der Klarinette: »dolce« übernimmt sie die innig gesungene Melodie der Violine, wendet sie ins Moll und gibt so der Stelle einen geheimnisvoll dunklen Glanz, eine bitter süße Schönheit, die trotz Mozarts Vorliebe für derlei MollWendun gen einzigartig wirkt. Der singuläre Versuch, in die homogene, fest gefügte Besetzung des Streichquartetts ein ganz anderes Instrument zu integrieren, gelingt als Geniestreich. Sehnsüchtige Erinnerung Mit fünfzehn Jahren, 1771 in Mailand, hatte Mozart erstmals für das Instrument geschrieben. Im Hintergrund stand möglicherweise das große, moderne Orchester des Teatro Ducale. Das Divertimento KV 113 enthält neben zwei Hörnern zwei konzertierende Klarinet ten, in deren Behandlung sich bereits Mozarts Sinn für klangliche Nuancen ankündigt. Die eigentliche Geschichte aber beginnt in Mannheim, weithin bekannt als das »Paradies der Tonkünstler«. 6
»Man lebt hier recht in den Wollüsten der Musik«, schwärmte etwa der Dichter Klopstock, und natürlich begeisterte sich auch Mozart, der Ende 1777 nach Mannheim kam, für Deutschlands Spitzen orchester. Dagegen erschien ihm die Salzburger Hofmusik ziemlich armselig: »Ach, wenn wir nur clarinetti hätten! – sie glauben nicht was eine sinfonie mit flauten, oboen und clarinetten einen herrlichen Effect macht!« Mozarts Stoßseufzer an den Vater vom 3. Dezember 1778 wird viel zitiert. Aber erst im biografischen Kontext wird er verständ lich: Gegen jede Vernunft, in der wahnwitzigen Hoffnung auf eine Anstellung, verbummelte Mozart die Rückreise nach Salzburg in Mannheim. Denn nur dort fühlte er sich verstanden, nur dort fand er gleichrangige Freunde – und dort hatte er sich auch verliebt. In seiner ersten Arie für Aloysia Weber (»Non sò d’onde viene« KV 294) hatte er auch erstmals wieder die Klarinetten bemüht, nur für sparsame Farbtupfer, aber doch wirkungsvoll genug, um die Stimme der Angebeteten ins rechte Licht zu setzen. Für die zeitgenössische Ästhetik war der Klang des Instruments »in Liebe zerflossenes Gefühl – so ganz der Ton des empfindsamen Herzens« (Christian Daniel Schubart). Soeben aber hatte Vater Leopold, die Stimme der Ver nunft, mit harten Worten die Rückreise befohlen. Für Mozart muss es sich angefühlt haben wie die Vertreibung aus dem Paradies. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er im Unbewussten den Klarinettenton – »so süß, so hinschmachtend« (Schubart) – als sehnsüchtige Erinne rung mitgenommen hat. Empfindsamkeit und Eros Zwei Jahre später bot sich endlich die Gelegenheit, für das Mann heimer Orchester zu komponieren. Inzwischen war es in München ansässig geworden, und so konnte Mozart für seine große Oper Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
Aloysia Lange © Internationale Stiftung Mozarteum · Hintergrund © ImgeBORKER / H.-D. Falkenstein
Hintergrund: Das Nationaltheater in Mannheim, aus dem Bildatlas zur Geschichte der Deutschen Nationalliteratur von Gustav Könnecke, 1887 Silhouette links: Anton Stadler (1753 — 1812). Mit W. A. Mozart verband ihn eine unerschütterliche Freundschaft und der Umstand, dass beide mit der Musik wesentlich besser umgehen konnten als mit dem Geld. Silhouette in Tusche und Gouache, unbekannter Künstler.
Aloysia Lange geb. Weber, Ölgemälde vermutlich von Giovanni Battista Lampi (um 1785)
Idomeneo aus dem Vollen schöpfen. Musikalisch eher unauffällig, mehr als zusätzliche Klangfarbe, kommen die Klarinetten zum Ein satz. Mozart zieht dieses Register in nur vier Nummern. Dass es da um Empfindsamkeit und Liebe geht, wundert kaum. Was auffällt, ist ein zumeist dunkler, schmerzlicher Unterton. Dagegen erklingt die bei Mozart später so wichtige Klarinette in ADur in einem hel len, idyllischen Kontext. In seinen Wiener Opern, beginnend mit der Entführung aus dem Serail, rückt das Instrument dann etwas stärker in den Vordergrund, manchmal auch melodisch, aber nach wie vor bleibt es besonderen Empfindungen vorbehalten. Es begleitet den verliebten Cherubino, die traurige Gräfin, den weichlichen Don Ottavio, es steht für Weiblichkeit und vor allem in Così fan tutte auch für Sinnlichkeit. Im raffinierten Spiel von Eros und Maske über nimmt dort der Klarinettenklang eine hintergründige Rolle. Arme Schlucker und exzellente Bläser Die zunehmende Verfeinerung von Mozarts Bläsersatz mit Klari netten verdankt sich entscheidend seiner Erfahrungen mit der so genannten »Harmoniemusik« Wiens. Dabei handelte es sich um exzellente HolzbläserEnsembles, die zu Festen und Serenaden aufspielten, an der Tafel oder auf der Straße. Oft verdienten sich ar beitslose Musiker damit ein wenig Geld. »Auf die Nacht um 11 uhr«, so berichtet Mozart 1781 nach seinem Namenstag, »bekam ich eine NachtMusick von 2 clarinetten, 2 Horn und 2 Fagott – und zwar von meiner eigenen komposition. (…) die 6 Herrn, die solche exequirn sind arme schlucker, die aber ganz hüpsch zusammen blasen«. Drei großartige Werke komponierte Mozart für Harmoniemusik. Vor allem in der groß besetzten Serenade in BDur KV 361 (Gran Partita) treten die Klarinetten nebst ihren tieferen Verwandten, den Bassetthörnern, Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
sehr hübsch in Erscheinung. Das monumentale Werk setzte Anton Stadler, kaiserlichköniglicher Hofklarinettist, auf das Programm seines Konzertes am 23. November 1784 im Burgtheater. In den Memoiren eines Besuchers steht darüber zu lesen: »Was du mit deinem Instrument beginnst, hört ich noch nie. Hätt’s nicht gedacht, daß ein Klarinet menschliche Stimm so täuschend nachahmen könnte, als du sie nachahmst. Hat doch dein Instrument einen Ton so weich, so lieblich, daß ihm niemand widerstehen kann, der ein Herz hat.« Die tiefergelegte Klarinette Am allerwenigsten widerstehen konnte Mozart. Bereits im Quintett für Bläser und Klavier KV 452 und dem sogenannten Kegelstatt-Trio KV 498 gab er Stadler eine Rolle. Das Quintett KV 481 sowie das Konzert KV 622 in ADur, nicht nur tonartlich verwandt, schrieb er dann exklusiv für ihn und seine von ihm entwickelte Bassettklarinet te. Deren um zwei Töne nach unten erweiterten Tonumfang nutzte Mozart vor allem im Konzert. Ihn interessierten der schattige Klang der Tiefe und die damit möglichen extremen Farbkontraste. Da mag er es verschmerzt haben, dass Stadler das Konzert nicht bezahlen konn te. »Nàtschibinìtschibi« war ebenso leichtlebig wie er selbst und stand bei ihm mit 500 Gulden in der Kreide! Doch bei aller Liebe bleiben die Klarinetten bei Mozart ein Ausnahmeinstrument im Orchester. Nur in drei Klavierkonzerten und vier Sinfonien erklingen sie, gerne auch ohne die Oboen. Gerade dann, wie etwa in der späten EsDur Sinfonie KV 543, entfalten sie, in sanften, lichten, sinnlichen Farben, jenen »herrlichen Effect«, von dem Mozart einst geschwärmt hatte. ❙ Hörtipp: Jörg Handsteins Hörbiographie »Mozart — Schatten und Licht« ist jetzt als CD in der Reihe »BR Klassik Wissen« erschienen. 7
INSZENIERUNG
Blonde (Romy Petrick) und Osmin (Gregor Loebel), im Hintergrund Haremsdamen
»Noch nie war Mozarts Entführung so wichtig wie heute« Die türkische Regisseurin Yekta Kara inszeniert in Erfurt Wolfgang Amadé Mozart: Die Entführung aus dem Serail
alle Fotos © Lutz Edelhoff
In der Mitte: Konstanze (Julia Neumann) und Blonde (Romy Petrick) Außen: Zwei Haremsdamen
Von Dieter-David Scholz Mozarts Entführung aus dem Serail, 1782 im Wiener Theater nächst der Burg uraufgeführt, gilt nicht nur als Gipfelpunkt der »Türken mode« auf dem Musiktheater jener Zeit. Das Stück, das den Religions- und Kulturkonflikt zwischen Orient und Okzident zum Thema hat, ist immer wieder auch mit Lessings Nathan der Weise verglichen worden als ein Stück, das für Toleranz und Gewaltlosigkeit plädiert. Im Theater Erfurt hat diese »Türkenoper« die türkische Regisseurin Yekta Kara inszeniert, Chefregisseurin der Staatsoper Istanbul und Künstlerische Leiterin des Internationalen Opernfestivals Istanbul. Yekta Kara hat das Singspiel aus eigener »Betroffenheit« aus türki schem Blickwinkel von heute auf die Bühne gebracht und spiegelt in dem Stück, das ja eigentlich im achtzehnten Jahrhundert spielt und die Versklavung und Befreiung von Europäern in einem tür kischen Serail zur Zeit der Osmanen beschreibt, den Zustand der gegenwärtigen türkischen Gesellschaft: Es geht um den Zwiespalt zwischen Fortschritt und Reaktion, Toleranz und Intoleranz, zwi schen orthodoxen und weltoffenen Muslimen, sie zeigt die Gewalt der religiös Konservativen, der Islamisten gegen Andersdenkende. Last but not least zeigt sie auch den Kampf der türkischen Frauen um Selbstbestimmung und ihre Auflehnung gegen überkommene patriarchalische Zwänge und Rollenmuster. Darüber hinaus bettet die Regisseurin dieses türkische Gesellschaftsbild diskret, aber un übersehbar ein in die – unsere täglichen Nachrichten beherrschen den – ideologischen, politischen und terroristischen Probleme des gesamten Nahen Ostens. Konkret zeigt sie das Stück im Istanbul von heute. Auf der Bühne eine jener traditionellen großbürgerlichen Villen am Bosporus. Hank Ir win Kittel hat diese Villa in aller Pracht ganz realistisch und plastisch gebaut und ausgestattet. Man sieht sie mal von außen in gepflegtem Garten, mal von innen als lauschige Harems-Rotunde. Bassa Selim, in der Inszenierung heißt er Selim Pascha, residiert dort als offenbar steinreicher Herr mit europäischem Auftreten, umgeben von euro päisch aufreizend gekleideten weiblichen Schönheiten. Er trägt An zug und Krawatte, ein Gentleman von Kopf bis Fuß, ist von Gärtnern Butler, Bodyguards und anderem Personal umgeben und fährt in Daimler-Limousine vor. Er ist die heutige Verkörperung jener euro päisch-gebildeten, fortschrittlichen Türken, die es ja seit der Mozart zeit immer gab. Sein Hausverwalter und Aufpasser O smin dagegen wird als Inbegriff des orthodoxen, unaufgeklärten, kämpferischen Muslim gezeigt, in Pluderhosen und mit traditioneller Kopfbede ckung. Seine Frau ist tief verschleiert, sein Sohn wird, geschmückt wie ein kleiner Prinz, dem Beschneidungsritual zugeführt. Und schon zu Beginn der Aufführung zeigt die Regisseurin schonungslos die Brutalität jener heutigen Realität, die sie in ihrer Inszenierung anprangert. Da treten junge türkische Demonstrantinnen vor dem Haus des Selim Pascha auf und entblößen ihre Brüste, auf denen in großen Lettern zu lesen ist »Für eine freie Türkei«. Schwarz ver mummte, schwerbewaffnete Islamisten prügeln auf sie ein, stülpen ihnen schwarze Säcke über, nehmen sie fest und lassen sie abführen. Dann öffnet sich die Gartentür der Villa und Osmin lässt diese radi kalen Islamisten in das Haus seines Herrn. Am Ende der Oper, das ja an sich ein rührendes Bekenntnis zu Gewaltablehnung, Toleranz, Freiheit und Kulturaustausch ist, wird eben dieser Selim Pascha, das Sinnbild des aufgeklärten Türken (wir wissen, er ist kein echter, son dern einer jener türkisch assimilierten Europäer, die ja für Jahrhunder te das einst so kosmopolitische, ethnisch bunt gemischte Istanbul bzw. Konstantinopel prägten), ebenfalls von diesen gewaltbereiten Islamis ten, angeführt von Osmin, zusammengeschlagen und weggeschafft. Ein »Mahn- und Weckruf«! Eine deutliche, p essimistische Aussage.
Ein starkes Bild, eine mutige politische Inszenierung, die aufrüttelt und zum Nachdenken anregt. Sie dürfte dem derzeitigen türkischen Präsi denten Erdoğan nicht eben gefallen. Die neue Generalmusikdirektorin des Theaters Erfurt, Joana Mall witz, stand am Pult. Sie hat sich der Herausforderung der Inszenie rung und der anspruchsvollen Musik Mozarts mit großer Souveräni tät gestellt, durchaus historisch informiert, rasant in den »türkischen« Passagen. Sie dirigiert mit großer Präzision, mit tänzerischer Agilität auch in ihrem sehenswerten Dirigierstil. Aber sie lässt doch einen sehr feinen Mozart musizieren. Gelegentlich hätte ich mir einen et was weniger wattig-gefühligen als rebellischen Zugriff gewünscht, das hätte der unerschrocken anklagehaften Inszenierung von Yekta Kara zweifellos eher entsprochen und zugearbeitet. Aber die junge Dirigentin hat ja noch Zeit, künftig mehr zu wagen. Auf jeden Fall hat sie sehr professionell, sehr sicher und so sängerfreundlich diri giert, dass man fast jedes gesungene Wort verstand. Nun ist Mozart immer der Prüfstein aller Gesangskunst. Auch für die Entführung gilt das. Fünf erstklassige Sänger sind gefordert in dem Stück. Man hat sie in Erfurt! Es ist ein in sich geschlossenes, exquisites Mozartensemble. Julia Neumann, die zuletzt als Monte verdis Poppea begeisterte, singt eine beseelte, gesangstechnisch hochkultivierte Konstanze. Ihr Geliebter Belmonte wird von Uwe Stickert gesungen, vielerorts als einer der derzeit besten Mozart tenöre gefeiert, er wurde in der Opernwelt auch als dreifacher Sän ger des Jahres ausgezeichnet. Die Blonde von Romy Petrick ist eine herzerfrischende Soubrette mit Spielwitz und ihr Partner Pedrillo ist mit dem Spieltenor Paul Kaufmann bestens besetzt. Obwohl etwas sehr hell timbriert, lässt der Bassist Gregor Loebel als Karikatur des rachsüchtig-verräterischen, islamistisch-radikalen Türken keinen Wunsch offen. Die Aufführung bietet sängerisch seltenes Mozart glück, aber auch schauspielerisch ist sie ein Vergnügen. Auch die Sprechrolle des Selim Pascha, die der Charaktertenor Robert Wörle übernahm, überzeugt. Alles in allem eine Produktion, die nicht nur die kulinarischen Bedürfnisse des Opernpublikums bedient, son dern deutlich macht: »Noch nie war Mozarts Entführung so wichtig wie heute«. So hat es die türkische Regisseurin in einem Interview bekannt. Im Theater Erfurt hat sie es auf der Bühne beglaubigt! Die Premiere war am 1. November 2014 im Theater Erfurt. Die nächste Vorstellung findet am 25.03.2015 statt. In der Spielzeit 2016/17 wird es voraussichtlich eine Wiederaufnahme geben. ❙
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MUSIKVERMITTLUNG
Klarinettist verzweifelt gesucht! Klarinettenmangel und Nachwuchsförderung in der Blasmusik Von Michaela Kaufmann Man hört und sieht sie an jedem Unterhaltungsabend, »Chränzli« oder Frühschoppenkonzert von Blasorchestern und –kapellen, vor allem im deutschsprachigen Raum: die Klarinette. Noch! Seit einigen Jahren kämpfen zahlreiche Blasorchester gegen ein neues Phänomen, den akuten ›Klarinettenmangel‹. Immer weniger Kinder entscheiden sich für den Klarinettenunterricht und die immer geringer werdende Attraktivität von Blasorchestern für Jugendliche befördert diese Entwicklung geradezu. Jahr der Klarinette 2015 Seit einigen Jahren schon sind viele Ensembles in der Verlegenheit, gerade noch knapp alle drei Klarinetten-Stimmen besetzen zu kön nen, von einem Bassklarinettisten kann oft nur geträumt werden. Für ein Blasorchester, dessen Repertoire von Klangausgleich und Kontrastierung der Blech- und Holzblasinstrumente lebt, ist diese Entwicklung fatal. Obwohl im Blasorchester neben den Klarinetten auch Flöten und Saxophone zum klanglichen Ausgleich zwischen Holz- und Blechbläsern beitragen, nimmt die Klarinette eine Sonder stellung ein. Während Flöten in den hohen Lagen brillieren und Saxophone in den Mittellagen ihren Platz finden, bietet die Klari nettenfamilie über alle Lagen hinweg ein klangliches Fundament. Im heutigen Blasorchester dominiert die Klarinette mit idealerweise über zehn Instrumentalisten zahlenmäßig das Orchester. Chorisch eingesetzt, d.h. alle drei Stimmen werden mit mehreren Instrumen talisten besetzt und oft von einer Bassklarinette in der tiefen Lage ergänzt, übernimmt sie eine integrative Rolle ähnlich dem Streicher körper eines klassischen Sinfonieorchesters. Um den symphonischen Blasorchesterklang zu bewahren rief der Schwei zerische Blasmusikverband daher ein Jahr der Klarinette 2015 aus. Werbung für die »Schwarzwurzel« Musikschulen und Musikvereine leisten diesem Aufruf folge, um mit zahlreichen Veranstaltungen das Erlernen dieses Instrumentes zu fördern. Die Musikgesellschaft Walperswil bspw. organisiert einen ›Klarinettentag‹ mit zahlreichen Konzerten verschiedenster (Kla rinetten-)Ensembles. Aber es werden auch Workshops zu Spiel techniken, der Auswahl des richtigen Mundstückes oder Vorträge zu Themen rund um die Klarinette angeboten. Andere Vereine stellen in ihren Konzerten die Klarinette in den Vordergrund und setzen bspw. ein Werk für Soloklarinette und Blasorchester aufs Programm oder behalten ein Werk ganz dem Klarinettenchor des Vereins vor. Weit nachhaltiger dürfte aber die Zusammenarbeit
zwischen Vereinen und Musikschulen wirken: Instrumenten vorstellungen, an denen Eltern sich mit ihren Kindern auf die Suche nach einem geeigneten Instrument machen, bieten dafür einen idealen Rahmen, um bereits die Kleinsten für die Klarinette zu begeistern. Besonders schwer tut sich die Klarinette dabei, weil es schlicht schwieriger ist und viel Kraft erfordert überhaupt einen Ton zu produzieren, im Unterschied zum Saxophon oder zur Flöte – die beiden letztgenannten haben nicht solcherart Probleme mit ihrem Nachwuchs. Klarinetten in der Blasmusik — eine Erfolgsgeschichte Die zivilen Blasorchester nach heutigem Zuschnitt erlebten in den 1950ern einen Aufschwung und orientierten sich je nach Region mehr oder weniger am Vorbild der Militärkapelle. In der Militär kapelle erschien die Klarinette aufgrund ihrer Lautstärke und des großen Ambitus Beiwerk in den hohen und höchsten Lagen; doch im Laufe des 20. Jahrhunderts veränderte sich das gespielte Repertoire und damit auch die Besetzung der Orchester. Die vorherrschende Blechbläsergewichtung wurde durch die verstärkte Hinwendung zu Holzblasinstrumenten gebrochen, mit dem Ziel einen stärker ausge glichenen Gesamtklang zwischen Blech- und Holzblasinstrumenten zu etablieren. Die Klarinetten dienten dabei nicht nur als Verstär kung der hohen Lagen, vielmehr erhielt sie einen strukturell zen tralen Platz innerhalb des zunehmend symphonisch- konzertant geprägten Repertoires zugesprochen. Hinzu kam ebenso prägend das Verlagswesen für Blasmusik, wobei Großverlage wie der nie derländische Verlag Molenaar implizit eine Standardbesetzung für Blasorchester einführte – dies orientiert an der Besetzung der US-amerikanischen Wind Symphonies, welche seit den 1950er- Jahren großen Erfolg genießen. Üblicherweise spielen heute (je nach Möglichkeiten des Ensembles unterschiedlich viele) B-Klarinetten und eine Bassklarinette mit; um den angestrebten ausgeglichenen Gesamtklang zwischen Blech- und Holzblasinstrumenten zu errei chen, stellt der Klarinettenchor innerhalb des Blasorchesters in der Regel das nach Anzahl größte Register.
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Musikgesellschaft Alpenrösli beim Eidgenössischen Musikfest in Luzern
Jugendmusik GO-RI-ER vor ihrem Auftritt mit einem Simpsons-Medley
Jugendmusik GO-RI-ER beim Jahreskonzert 2015
Der ›Klarinettenmangel‹ steht aber auch in Zusammenhang mit Veränderungen der Blasmusiklandschaft an sich. Vereine in Städten wie auch in ländlichen Gegenden kämpfen mit mangelndem Nach wuchs und weisen ein immer höher werdendes Durchschnittsalter auf. Vereine, welche diese Probleme nicht so stark zu spüren bekom men, zeichnen sich durch eine gezielte Jugendförderung, durch eine intensive Zusammenarbeit mit der örtlichen Musikschule und durch eine offene Programmgestaltung aus. Zum Beispiel fokussiert die Schweizer Musikgesellschaft ›Alpen rösli‹ Gommiswald ihre Arbeit auf die Integration der jungen Musikanten und – genauso wichtig – auf die Verankerung des Ver eins im Ort. Proben und Konzertieren wird ergänzt durch ein ganzes Programm an Nachwuchsförderung. Schon im Jahr 1990 entschied man sich, sich von einer reinen Blechbesetzung zu einer Bläser harmonie weiterzuentwickeln. Voraussetzung dafür war die im Jahr 1976 gegründete Musikschule, die überhaupt erst das Erlernen von Holzblasinstrumenten ermöglichte – davor lernten die jüngeren Instrumentalisten in der Regel von älteren die benötigten Blechblas instrumente. Zusammen mit der Musikschule und dem Musikver ein aus einem Nachbardorf entstanden dann zwei Nachwuchs ensemble, die ein Nachwuchsbläser durchlaufen kann. In einem Jahreskonzert stehen beide Ensembles auf der Bühne, indem sie den Konzertabend mit eigenen Programmen eröffnen. Erklärtes Ziel der
alle Fotos © MGA Gommiswald
Überleben durch Jugendförderung
beiden Dirigenten ist es, die Freude am gemeinsamen Musizieren und an der Blasmusik zu wecken. Flankierend wirkt dazu ein Nach wuchskonzept, welches sich um Sponsoring kümmert, einen preis werten Instrumentenverleih betreibt und kleinere Projekte mit der Musikschule zusammen durchführt. Die Musikgesellschaft fördert somit erheblich die Ausbildung von Blasinstrumentalisten und zeigt sich unter anderem dadurch als jugendlicher Verein, mit ca. 60 Mit gliedern und einer großen Repertoirebandbreite von Unterhaltungs musik über Konzertantes bis hin zu Traditionellem wie Märsche und Polkas. Der unterschiedliche Geschmack der Mitspielenden wird da bei genauso berücksichtigt wie derjenige der Zuhörer, welche längst nicht alle Marschmusik hören mögen. In Gommiswald ist jedes Jahr ein »Jahr der Klarinette«. ❙
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MOZART-ORT
Wien
»… für mein Metier der beste ort von der Welt.«*
Eingang des Augartens in Wien um 1782. Kupferstich von Johann Ziegler
Von Dr. Melanie Wald-Fuhrmann Manche Träume und Hoffnungen verband Mozart 1781 mit sei ner Übersiedelung nach Wien. Nicht alle davon wurden wahr. Ein Wunsch jedoch ging auf ausgesprochen produktive Weise in Erfül lung: Mozart hatte endlich Zugang zu einem Orchester mit Klarinet ten. Schnell schloss er sogar Freundschaft mit Anton Stadler, dem damals wohl besten Klarinettisten. Ihm schrieb Mozart nicht nur sein Klarinettenquintett und konzert auf den Leib, sondern auch die oft solistisch hervortretenden Klarinettenparts in seinen Opern ab Idomeneo, im Davide penitente, den späteren Klavierkonzerten oder der gMollSinfonie. Aber auch sonst sorgte Wien für einen Kreativitätsausbruch des schon davor nicht einfallslosen Mozart: Angeregt, ja angestachelt durch das ausgesprochen lebendige und hochstehende kulturelle und musikali sche Leben dort schuf er eine Fülle von Meisterwerken und pro bierte formal wie instrumental viel Neues aus. Mozart hatte 14 verschiedene Wohnungen in der Stadt, trat an gewiss um die zwei Dutzend ver schiedenen Örtlichkeiten auf – vom Hoftheater über den Adelspalast und private Salons bis hin zu Kirchen und öffentlichen Caféhäusern – und ging bei einer großen Anzahl bedeutender oder einflussreichen Personen ein und aus. Er heirate te im Stephansdom und wurde nach seinem Tode dort auch eingesegnet. Viele dieser Örtlichkeiten existieren heute noch. Schlendert man beispielsweise hinterm Stephans dom über das Kopfsteinpflaster von Blutgasse und Sin gerstraße, wo Mozart noch als Salzburger Bediensteter im Deut schen Haus seine erste Wiener Bleibe hatte (und den berühmten Tritt in den … empfing, den er nur allzu gern als Rauswurf aus sei ner Stellung interpretierte), so fühlt man sich unmittelbar ins 18. Jahrhundert versetzt. In der Sala Terrena des Deutschen Hauses
mit ihrer reichen SpätrenaissanceAusstattung spielen kostümierte Musiker heute täglich Streichquartette von Mozart und Haydn für Touristen. Im Augarten bestritt Mozart 1782 das erste einer Reihe von Morgen konzerten mit seiner Pariser Sinfonie und dem Konzert für zwei Klavier KV 316a – die Besetzung mit Klarinetten und Trompeten dürfte sich für die Freiluftakustik jedenfalls gut geeignet haben. Im Café Frauenhuber in der Himmelpfortgasse hatte der Restaurant betreiber auch einen Konzertsaal mit rund 400 Plätzen eingerich tet, in dem Mozart 1788 seine Bearbeitung von Händels Acis und Galathea dirigierte. Sein Förderer, der Baron van Swieten, nutzte den Raum dann 1793 für die Uraufführung von Mozarts Requiem zum Besten seiner Witwe. Am nächsten kommt man Mozart und seinem Wiener Lebensexperiment wohl im sogenannten Figarohaus in der Domgasse: In der BeletageWohnung lebten die Mozarts von 1784 bis 1787. Die Decke eines der vier Räume (dazu kamen noch zwei Kabinette, eine Küche und ein Keller) schmückt sogar eine figürliche StuckArbeit, die der Besitzer des Hauses, der Hofstuckateur Albert Camesina, wohl zu Werbezwecken dort hatte anbringen lassen. Hier komponierte Mozart den Figaro, hier besuch te ihn Vater Leopold, hier wurden in vertrautem Kreis die ersten dann im Druck Haydn gewidmeten Quartette ausprobiert. Es ging Mozart gut in diesen Jah ren: Die Klavierkonzerte und Akademien liefen erfolgreich, er hatte sich ein dichtes Netz adliger Förderer und Gönner aufbauen können und einen Weg gefunden, auch ohne eine direkte Hofstellung – nach der freilich dennoch sein Streben ging – im Wiener Musikleben prä sent zu sein.
lebendiges kulturelles und musikalisches Leben
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© www.kunstverlag-peda.de
* W. A. Mozart in einem Brief an seinen Vater im April 1781
© ÖBN Wien, Pk 2640
»Sala Terrena«, der älteste Konzertsaal Wiens, wo Mozart im Dienste von Erzbischof Colloredo im Jahre 1781 musizierte.
Blick gegen die Reitschulgasse mit dem vom Publikum heißgeliebten alten Burgtheater (ganz rechts), das im Jahr 1888 abgerissen wurde. Aquarell von Karl Schütz 1783, koloriert.
Zwar wissen wir kaum, welches Zimmer welchen Zwecken diente, wo sein Billardtisch stand, wo er komponierte. Das erhaltene Inventar der Einrichtung gibt nur eine ungefähre Vorstellung von der Ausstat tung. Und doch sind Wohnung und Lage selbst schon ein beredtes Dokument dafür, welche Hoffnungen Mozart mit der Josephinischen Epoche verband: eine Durchlässigkeit von Standesgrenzen, Aufstieg und gesellschaftliche Anerkennung allein durch Talent und künstlerische Leistung. Denn es war im Grunde eine aristokratische Lebensweise, die Mozart in der Domgasse erprobte. In den historischen Räumlichkeiten wurde 1941 ein Museum eingerichtet, das zunächst die na tionalsozialistische Vereinnahmung Mozarts dokumentierte. Später wurde die Ausstellung immer wieder umgestaltet. 2006 kamen die bei den oberen Stockwerke hinzu. Heute sieht man dort eine gut gemachte, informative und facettenrei che Darstellung zu Mozarts Wiener Zeit ganz allgemein. Andere, für Mozarts Wirken in Wien zentrale Orte freilich vermisst man schmerzlich im heutigen Stadtbild, v. a. die Theater und viele Konzertsäle: Das alte Burgtheater am Michaelerplatz, das von Joseph II. 1776 zum »teutschen Nationaltheater« erklärt wur de und den Umbauten von Franz Joseph zum Opfer fiel, gab nicht nur die Kulisse für Mozarts Entführung aus dem Serail, den Figaro und Così fan tutte ab, sondern war auch ein für Konzerte häufig ge nutzter Ort. Hier hielt auch die Wiener TonkünstlerSozietät seit 1783 die Benefizkonzerte zum Besten der Witwen und Waisen ih rer ehemaligen Mitglieder ab. Mozart führte in diesem Rahmen v. a. instrumentalmusikalische Werke auf, Sinfonien, Klavierkonzerte und 1789 auch das Klarinettenquintett. Am 23. Dezember 1791 fand hier auch eine große KonzertAkademie zum Besten der eben verwitweten Konstanze Mozart statt.
Im Gegensatz etwa zu Salzburg ist die Wiener Mozartpflege heu te indes weniger eine Angelegenheit der öffentlichen Hand als der touristischen Vermarktung. Das in der Stadtstruktur verankerte Gedenken an Mozart rührt v. a. aus der Zeit um seinen 100. Todestag: Damals wurde das Grab monument vom St. Marxer Friedhof auf den Zentralfriedhof überführt, wo es heute in der Mitte der Ehrengräber für Komponisten steht. Man benannte eine Gasse und ei nen Platz im Bezirk Wieden – wo auch Schikaneders Freihaustheater stand – nach Mozart. Auf dem Platz wurde ein Brunnen installiert, der Tamino und Pamina mit der Zauberflöte zeigt. Auf der Albertina errichtet man 1905 ein MozartDenk mal, das noch ganz dem Verständnis als ätheri sches RokokoJüngling verpflichtet war (jetzt im Burggarten). Aber dennoch ist Mozart in Wien nicht nur to ter Stein oder Marzipankugel, sondern vor allem auch: klingende Musik. Die etablierten Klangkörper wie Staatsoper oder Philharmoniker pflegen seine Werke, aber auch modernere Aneignungen seiner Musik lassen sich finden: So feierte 1999 Mozart! Das Musical im Theater an der Wien erfolgreich Premiere und wird – nach einer mehrjährigen Tournee – ab Septem ber 2015 wieder in Wien zu hören sein. Und die Gruppe MoZuluArt (siehe auch die CDRezensionen) hat sich für ihren CrossoverMix aus südafrikanischer und klassischeuropäischer Musik Mozart als Taufpaten und Wien als Standort ausgesucht. Seit nunmehr zehn Jahren sind sie damit erfolgreich.
klingende Musik
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Der Faszination Mozart kann in Wien also jeder auf seine Weise er liegen: schauend, hörend, spazieren gehend oder gar schmeckend. ❙
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INTERVIEW
Der Grenzgänger © Marco Borggreve
Komponist und Klarinettist JÖRG WIDMANN Wenn es auch Sabine Meyer war, die uns in den 80er Jahren schlagartig klar machte, dass der schmeichelnde Klang der Klarinette unsere Aufmerksamkeit verdient, so gelang es Jörg Widmann eine halbe Generation später, dem Instrument die Tür in die Zukunft aufzustoßen. Er zeigte, wie perfekt zeitgenössische Musik und Klarinette zueinander passen. Der gefragte Solist ist Professor für Klarinette und Komposition an der Freiburger Hochschule. Sein jüngstes Musiktheaterwerk Babylon (2011/12) entstand im Auftrag der Bayerischen Staatsoper. Herr Widmann, erinnern Sie sich an Ihre »erste Begegnung« und Ihre »erste Liebe« zum Instrument Klarinette? Ich war in der »Musikalischen Früherziehung«, wo uns Instrumente vorgespielt wurden. Bei der Klarinette bekam ich funkelnde Augen. Ich sagte meinen Eltern, dass ich genau »das« lernen möchte. Da war ich 7 Jahre alt. Die Klarinette ist Ihre ewige Begleiterin geblieben. Was macht musikalisch den Reiz des Instruments aus? Da wäre der Registerreichtum zu nennen, dass man in Baritonlage spielen kann, aber genauso auch Sopran sein kann. Der Tonumfang ist immens. Die Klarinette kann in der tiefsten Lage immer noch laut und präsent spielen. Bei der Flöte ist das begrenzt. Umgekehrt sind Oboen in extremen Höhen oder Tiefen in der dynamischen Aus gestaltung nicht mehr so flexibel. Das liegt in der Natur des Instru ments und keineswegs am Solisten! Sie hatten sich als junger Mann für das Klarinettenstudium entschieden, erst in München bei Gerd Starke, dann bei Charles Neidich an der Juillard School in New York. Warum der Wechsel? Ich wollte nochmal was Neues kennen lernen. Vor allem am Anfang waren mir die JazzTradition und die USamerikanische Literatur wichtig. Eine meiner Kompositionen aus dieser Zeit, die Fantasie für Klarinette solo, wird heute weltweit von Studierenden gespielt. Ich habe das Werk mit 19 geschrieben. Es war meine Auseinander setzung zwischen den zwei Klangwelten Klassik und Jazz. Sie haben sich in Ihrer musikalischen Ausbildung auch bewusst für das Komponieren entschieden. Welche Rolle spielte hierbei das Instrument Klarinette? Ich habe als junger Mensch auf der Klarinette viel improvisiert. Stundenlang. Oftmals habe ich mich am nächsten Tag geärgert, dass ich die schönen Stellen nicht mehr rekonstruieren konnte. So begann das Komponieren bei mir. Ich dachte damals, dass das Komponieren 14
bedeuten würde, das Improvisierte aufzuschreiben. Das aber ist ein Irrglaube. Die Komposition ist viel komplexer. Welche Bedeutung, welchen Rang nimmt Mozart für Ihre künstlerische Arbeit ein? Das Ungeheure an Mozart ist, dass er das KlarinettenQuintett und das Konzert in ADur annonciert. Aber die erogenen Zonen der Stücke, also die entscheidenden Passagen, stehen alle in Moll. Man che harmonische Wechsel ins Moll erzeugen bei Mozart eine plötz liche sanfte Stille. Das würde ich fast schon als ein Markenzeichen seiner Kompositionen bezeichnen. Diese Dialektik zwischen Dur und Moll und auch wie Mozart Dissonanzen einbringt und stehen lässt – das bewundere ich als Komponist sehr und als Solist gehe ich bei allen Interpretationen darauf ein. Hat sich in den letzten Jahren etwas in der klanglichen Interpretation der Mozart’schen Holzbläser-Musik verändert? Gibt es ein »historisch informiert Mozart spielen«? Man sollte sich bei jedem Komponisten mit dessen Zeit und Epoche beschäftigen. Aber was heißt ›historisch informiert‹? Sobald etwas als dogmatisch ausgelegt wird, dass dieses oder jenes ›so und nicht anders‹ geklungen haben soll oder zu klingen hat, ist mir diese Art zu musizieren fremd. Mir ist die Suche wichtiger. Wenn man auf geschriebene Noten spielt, ist entscheidend: Spiele ich den notierten Text oder spiele ich den Geist dieser notierten Musik? Gibt es aus Ihrer Sicht ausreichend Literatur für Klarinette in der zeitgenössischen Musik? Wolfgang Rihm hat mir bereits 12 Stücke geschrieben, Aribert Reimann, Heinz Holliger haben das auch getan, Marc Andre schreibt gerade ein neues Stück für mich. Wir Solisten müssen Komponisten für das Instrument Klarinette faszinieren, nur dann kann es weiter gehen und es werden neue Stücke entstehen. ❙ Das Interview führte Sven Scherz-Schade. Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
INTERVIEW
Die Grenzgängerin © Alexandra Vosding
Klarinettistin ANTONIA LORENZ Dass die Klarinette tagein, tagaus hinter den Streichern im Orchester hockt, hätte sie eigentlich nicht nötig. Schließlich ist sie in der Jazzcombo oder im Volksmusikensemble genauso gefragt. Umso besser für diejenigen Klarinettisten, die — abgesehen von den vielfältigen Spielarten — auch in der zeitgenössischen Musik schnell einen Stil-Mix aufs Notenpult bekommen. Ein Grund, warum die Soloklarinettistin im Oldenburgischen Staatsorchester Antonia Lorenz den Komponisten Daniel Schnyder schätzt, der selbst den jüngeren Bruder ihres Instrumentes spielt: das Saxophon. Frau Lorenz, unter den modernen Stücken Ihres Repertoires nimmt – neben den Werken Karlheinz Stockhausens – die Sonate für Klarinette und Klavier des Schweizer Saxophonisten Daniel Schnyder einen besonderen Rang ein. Seine Werke zitieren sehr pfiffig die für den Jazz typischen Phrasierungen. Es scheint, als ob diese Mixtur bestens zur Klarinette passt? Es gibt von Schnyder nicht viel, das original für Klarinette geschrie ben wurde. Sehr viele Stücke hat er natürlich für sich und sein Saxophon komponiert. Aber Schnyder hat etliche seiner Werke für mehrere Instrumente autorisiert, so auch die Klarinettensonate. Sie kann auch von Oboe, Fagott oder wie ursprünglich vom Saxophon gespielt werden. Jedes Instrument gibt dem Stück eine neue und oft mals erstaunlich andere Farbe. Was macht die Klarinette anders als zum Beispiel das Saxophon? Die Klangfarbe der Klarinette ist weicher, sie klingt mitunter spielerischer. Das Saxophon setzt sich allerdings in Klang und Lautstärke immer besser durch. Da ist die Klarinette nicht so »penetrant«. Als Klarinettistin mit klassischer Ausbildung orien tiert man sich in der Regel am Ideal eines schönen runden und kompakten Klanges. Es ist manchmal nicht leicht, absichtlich »schmutzig« zu spielen. Prinzipiell kann die Klarinette aber auch »Blue notes« und ist in Schnelligkeit und Wendigkeit für »musikalischen Schmutz« mindestens so gut gewappnet wie das Saxophon … … ja, das macht ja gerade den Reiz aus. Wir haben Daniel Schnyder in der Schweiz besucht und für unsere 2012 erschienene CD mit ihm zusammen auch die Werke einstudiert. Das war eine tolle Erfahrung. Er stand während der Proben neben uns und hat in Bezug auf Jazz phrasierung uns manches auch direkt vorgespielt – auf dem Saxo phon! Mir fiel es zu Anfang nicht leicht, die Phrasen original jazzig
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klingen zu lassen und nicht »korrekt klassisch ausgespielt«. Das sind aber alles Spielarten, für die das Allroundinstrument Klarinette sehr gut geeignet ist. Neben den klassischen Instrumenten kann die Klarinette oftmals recht dominant sein. Wenn Sie in Ihrem »Trio Elego« musizieren, mit Fagott und Klavier, übernehmen Sie dann sozusagen die »erste Geige«? Nein, wobei die Klarinette in den Triokompositionen oft tatsächlich melodieführend ist. Aber im Ensemble sind wir alle gleichberech tigt. Die Impulse kommen von jedem von uns, sowohl menschlich und fachlich während der Probenarbeit als auch im Konzert. Für die Zuhörer ist die Klarinette von ihrer Lage und ihrem Abstrahlungs verhalten her immer sehr präsent. Je nach akustischen Gegeben heiten müssen wir darauf achten, alle drei Instrumente auch in klanglich gedeckteren Lagen durchhörbar zu machen. Jedes Musikinstrument hat seinen eigenen Charakter. Glauben Sie, dass sich unter Profimusikern davon etwas auf die Persönlichkeit der Musiker selbst überträgt? Klarinettisten sind vom Typ her oft gesellige Menschen. Das hängt vielleicht mit den Fähigkeiten zusammen, die man im Orchester einbringen muss: Man muss einerseits Solo spielen und häu fig dann auch sehr unterschiedliche Charaktere. Klarinette kann mal tragisch und traurig klingen, mal fröhlich oder auch grotesk und schrill. Das Instrument ist da sehr vielseitig. Andererseits muss sich die Klarinette im Orchester auch oft einordnen bei spielsweise unter die Flöte oder Oboe. Klarinettisten verstehen sich untereinander oftmals besser als beispielsweise Flötisten. Sie konkurrieren auch weniger miteinander. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel … ❙ Das Interview führte Sven Scherz-Schade.
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CDS
Hilary Hahn/Wolfgang Amadé Mozart: Violinkonzert Nr. 5 A-Dur, KV 219, Henri Vieuxtemps: Vio linkonzert Nr. 4 d-Moll, op. 31. Hilary Hahn (Violine), Deutsche Kammerphilharmonie, Ltg. P aavo Järvi, Deutsche Grammophon, VÖ: März 2015 Die beiden auf dieser Aufnah me vereinten Violinkonzerte von Mozart und Vieuxtemps sind in jeder Hinsicht denkbar weit voneinander entfernt. Dass sie hier miteinander erscheinen, hat einen persönlichen Grund: Sie begleiten Hilary Hahn seit ihrem elften Lebensjahr. Rennt sie mit Mozart überall offene Türen ein, muss sie für das sin fonisch angelegte, im düsteren Charakter an Beethoven an knüpfende Werk des seinerzeit sehr erfolgreichen Violinvirtuo sen Vieuxtemps immer wieder werben. Dass sich das lohnt, kann man nun nachhören. An der Interpretation beider Werke bestechen die Stilsicher heit, die Kultiviertheit und der Klangfarbenreichtum von Solis tin und Orchester. Do miniert bei Mozart das Kammermusi kalisch-Durchhörbare, bekom men wir bei Vieuxtemps ein im besten Sinne romantisch-
expressives Werk geboten, in dem nicht zuletzt auch die Blä sergruppen der Kammerphil harmonie brillieren können. Das Mozart-Konzert zeigt, wie die Errungenschaften der histo risch informierten Auff ührungs praxis auch mit »normalen« Klangkörpern überzeugend umge setzt werden können: Järvi gestaltet jede Phrase, jeden Kontrast charakteristisch, setzt auf eine ausdifferenzierte Dynamik und Agogik und erreicht so eine große Plastizität. Im »türkischen« Couplet des Final-Rondos geben er und seine Musiker dem Affen aber auch einmal den nötigen Zu cker. Hilary Hahns beweglicher und bei aller Nuanciertheit und Lebendigkeit stets geschmack voller Ton ergänzt das auf wun derbare Weise.
Kritikern und Publikum rund um die Welt bejubelte Klarinet tist macht sich aber nicht nur um Mozarts Werke verdient, sondern bricht auch immer wieder eine Lanze für Kom ponisten der skandinavischen Halbinsel. Nun hat er auf einer CD einige solcher Werke ver sammelt, die ihm besonders am Herzen liegen: Die Variationen auf ein schwedisches Thema von Bernhard Henrik Crusell (dessen Konzerte Fröst schon eingespielt hat), sowie je ein Konzert von Vagn Holmboe, Karin Rehnqvist und Anders Hillborg (die beiden letzten sind ihm gewidmet). Die historische Spanne reicht von der Zeit kurz nach Mozart bis in die unmittelbare Gegenwart. Da mit ist die CD auch so etwas wie eine klingende Geschichte der Klarinette im Zeitraffer. Die Wer ke reizen jedes für sich die ganze Bandbreite der Klangfarben und Spieltechniken der Klarinette aus. Und Martin Fröst bewältigt die verschiedenen Stile, Haltungen und Charaktere auf hervorragen de Art und Weise.
Die unter dem Namen MoZulu Art auftretende Formation von drei aus Simbabwe gebürtigen Musikern und einem öster reichischen Jazzpianisten legt zu ihrem zehnjährigen Be stehen ihr drittes Album vor: Ar rangements von traditionel len afrikanischen Liedern ste hen neben Bearbeitungen europäischer Klassik sowie jazzigweltmusikalisch angehauchten Eigenkompositionen. Die Lieder erzählen vom Leben ein facher Menschen: von der Arbeit in den Minen fern der Familie, von der Freude des Musikmachens, von der Hoffnung auf Gott und die Zukunft. Die Charakteristika der Zulu- Musik kennen europäische Oh ren durch das einst von Miriam Makeba (der im letzten Track auch die Reverenz erwiesen wird) populär gemachte süd afrikanische Weltmusik-Idiom. Zwei Werke Mozarts werden verarbeitet: der erste Satz der Kleinen Nachtmusik in »Linde lani«, das geradezu Lied gewor denes Programm der Gruppe ist (»Wir bringen österreichi sche Musik nach Zululand und Zulu-Musik nach Österreich«, heißt es z. B.), und die zweite Violin-Sonate in D-Dur KV 7. Das ist Weltmusik zum Wohl fühlen, doch auf gutem musi kalischen Niveau: Die dunklen, weichen Stimmen der Sänger schmeicheln sich ins Ohr. Und der Utopie einer Beförderung des Weltfriedens durch Musik folgt man in diesen Zeiten gern.
MoZuluArt: Township Serenade Verve/harmonia mundi, VÖ: September 2014
Alle Rezensionen von Dr. Melanie Wald-Fuhrmann
Nordic Concertos. Martin Fröst (Klarinette), verschiedene Orchester und Dirigenten. BIS, VÖ: Dezember 2014 Gerade erst ist Martin Frösts Aufnahme des Mozartschen Klarinettenkonzerts von Fono Forum zu einer der zehn besten Aufnahmen des letzten Jah res gewählt worden. Der von
Impressum Deutsche Mozart-Gesellschaft e. V. Mozarthaus · Frauentorstraße 30 · 86152 Augsburg Telefon: +49 (0)821 / 51 85 88 E-Mail: info@mozartgesellschaft.de Präsident: Thomas Weitzel
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