crescendo Standard 4/2017

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AUSGABE 04/2017 JUNI – JULI – AUGUST 2017

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OLGA PERETYATKO Die Star-Sopranistin über russische Sehnsucht

JOEP BEVING Sein Debütalbum wurde 60 Millionen Mal im Internet gehört

Musik und Humor Gegurgelte Ouvertüren und singende Staubsauger – Lachen als Vergnügen und Provokation. B47837 Jahrgang 20 / 04_2017

Mit Beihefter CLASS: aktuell

SCHOSTAKOWITSCH TAGE IN GOHRISCH

22. bis 25. Juni 2017 Linus Roth, Alexander Melnikov, Sofia Gubaidulina, José Gallardo, Elisa­veta ­Blumina, Raschèr ­Saxophone ­Quartet u.a.


SCHÖN, IN DEN BERGEN AUFZUWACHEN

Telefon +49 (0)8823 92 8000 · www.daskranzbach.de


P R O L O G

HUMOR ALS FESTUNG Liebe crescendo-Leser, Lachen ist Freiheit! Wer über etwas lachen kann, lässt sich nicht davon besiegen. So kann Lachen auch Trotz sein und Waffe und Rückzugsort. Humor wird deshalb von Diktatoren und Fanatikern regelrecht gefürchtet. Sie verhängen Lachverbote oder ziehen gegen Karikaturen in den Krieg. Vielleicht fängt Fundamentalismus sogar dort an, wo man das Lachen über seinen Gegenstand nicht mehr zulässt.

WINFRIED HANUSCHIK Herausgeber

In diesem Heft haben wir den Humor in der Musik unter die Lupe genommen und waren verblüfft, in wie vielen Erscheinungsformen er daherkommt: Vom Schabernack Mozarts oder Haydns über die subtile Ironie mit politischer Dimension bei ­Schostakowitsch bis hin zu Humor, der die Rituale und Standards des Musikbetriebs parodiert. Dabei stellen wir Ihnen auch einige Künstler vor, die sich um den Humor in der Musik verdient gemacht haben, etwa das brillante Duo Igudesman und Joo (S. 40) oder Moritz Eggert (S. 12), einen der wenigen Komponisten, die sich aktuell an Humor in der Neuen Musik he­ranwagen. Daneben lernen Sie Starsopranistin Olga Peretyatko näher kennen (S. 8), die sich trotz Weltkarriere ihre russische Seele bewahrt hat, und Joep Beving (S. 10), dessen minimalistische Musik über das Internet zum absoluten Sensationserfolg wurde: Sein erstes Album wurde mehr als 60 Millionen Mal gestreamt. Schließlich hat uns Mezzosopranistin Krassimira Stoyanova in ihre bulgarische Heimat eingeladen (S. 44), und wir durften mit ihr durch die Hauptstadt Sofia flanieren – Geheimtipps inklusive. Auf die nächste crescendo-Print-Ausgabe werden Sie wie immer bis Herbst warten müssen, aber schauen Sie inzwischen doch auf unserer Website (www.crescendo.de) oder facebook-Seite (www.facebook.com/­crescendomagazin) vorbei, auf der wir viel Aktuelles und Lesenswertes für Sie bereithalten.

F OTO TITE L : DA R I O ACO S TA ; A S S OC I ATI O N I N TE R N ATI O N A L E ‚ D I M ITR I C H O S TA KOV ITC H ‘ PA R I S ; I LYA P U S E N KO F F

Einen erlebnisreichen Sommer wünscht

Ihr Winfried Hanuschik

IHRE ABO-CD? In der Premium-Ausgabe dieser Zeitschrift finden Sie an dieser Stelle die crescendo Abo-CD – eine exklusive Leistung unseres crescendo Premium-Abonnements. Darauf hören Sie die Musik zu den Artikeln, die im Heft rot gekennzeichnet sind. Eine Inspiration für Ihre Ohren! Mittlerweile ist bereits die 66. CD in dieser Premium-Edition erschienen. Haben wir Sie neugierig gemacht? Dann testen Sie crescendo Premium! Die erste Ausgabe schicken wir Ihnen kostenlos. Dazu die crescendo Abo-CD. Ganz ohne Kaufverpflichtung. Bestellen Sie per Telefon: +49-(0)89-85 85 35 48, auf www.crescendo.de/abo. Info auf Seite 49.

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P R O G R A M M

Ihr Reise- und Kulturgenuss GA ZIN ITA LIE N MA

NR .2 2017

NR.2 FRÜHLING 2017

PADUA PARADIES IN ORTUS H E ST TE ÄL DER WELTWEIT US IC N TA BO e Extra viel epte ez -R gs in Frühl

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FÜ HL E LE BE NS GE DA S GA NZ

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28-03-2017

14 KURT MOLL Abschied vom großen Bass. Er starb im Alter von 78 Jahren.

12 MORITZ EGGERT Kunst als Religionsersatz! Warum die Neue Musik das Lachen verlernte …

15 EMPFEHLUNGEN DER REDAKTION Der Sommer kann kommen! Mit diesen Neuerscheinungen kommt Wärme ins Haus.

STANDARDS

KÜNSTLER

HÖREN & SEHEN

08 OLGA PERETYATKO Die schöne russische Sopranistin über Energie und Konzentration 10 JOEP BEVING Unglaublich! Sein erstes Album wurde mit 60 Millionen Klicks zur Internet-Sensation 12 MORITZ EGGERT Diktatur und der Schock des Krieges. Die Geschichte hat dem musikalischen Humor schwer zugesetzt

15 D IE WICHTIGSTEN EMPFEHLUNGEN DER REDAKTION 16 ATTILAS AUSWAHL Unser Chef-Rezensent hat einige Meisterwerke in neuem Licht aufgespürt

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Abo nur ¤ 19,90 Jetzt mit PONSSprachkurs Italienisch für mich.

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03  PROLOG Der Herausgeber stellt die Ausgabe vor 06 OUVERTÜRE Ein Anruf bei … Sebastian Hanusa 14 NEWS NACHRUF Kurt Moll 22 IMPRESSUM 26 R ÄTSEL & ­KOMMENTARE 42 KOMMENTAR Für mehr Leichtigkeit in der klassischen Musik 50 HOPE TRIFFT … Clemens Trautmann Exklusiv nur in crescendo Premium ENSEMBLE Mit unseren Autoren hinter den Kulissen BLICKFANG Juergen Teller in Asien   OUVERTÜRE Tabelle: Die meistparodierten Werke der Welt Playlist: Kate Lindsey 4

Exklusiv nur in crescendo Premium EIN KAFFEE MIT … Otto Schenk PIERRE-LAURENT AIMARD Raus aus dem Epochen­ korsett! Der Starpianist liebt neue Wege

Exklusiv nur in crescendo Premium DIRECT-TO-DISC Unmittelbarer geht nicht: der Klang, der direkt in die Platte wandert SAITEN Von Strängen, die den Klang bedeuten! U NERHÖRTES & NEU ENTDECKTES Die ganz gewichtigen Künstler-Boxen

FRIEDER BERNIUS Der Chor-Gigant und sein produktiver ­Perfektionismus

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Juni – Juli – August 2017

F OTO S : W. H Ö S L ; M A RTI N H U F N E R ; D U O B RÜ GG E N - P L A N K

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F OTO S : DA N C A R A B A S ; B E N E D I K T KO B E L ; B U LG A R I E N W E B

32 SCHOSTAKOWITSCH TAGE Vier Uraufführungen und eine Erstaufführung locken ins sächsische Gohrisch.

36 MUSIK UND HUMOR Ha! Ha! Ha! Da jazzt Richard Wagner und singt der Laubsauger. Von Möglichkeiten musikalischen Humors.

44 SOFIA Star-Sopranistin Krassimira Stoyanova führt zu den Highlights ihrer bulgarischen Heimat.

ERLEBEN

SCHWERPUNKT

LEBENSART

27 DIE WICHTIGSTEN TERMINE UND VERANSTALTUNGEN IM SOMMER 32 SCHOSTAKOWITSCH TAGE Intensive Begegnungen mit dem Werk des von Schostakowitsch verehrten Mieczysław Weinberg 34 K LAVIERFEST EPPSTEIN Den Alltag verlassen und musikalisch gepackt und berührt werden beim Fest der Tastenmusik

36 MUSIK UND HUMOR Vom Paukenschlag bis zum parodistischen Gesamtkunstwerk – eine Geschichte des musikalischen Humors 39 SCHOSTAKOWITSCHS ­BITTERES LACHEN Ironie und Sarkasmus beim großen sowjetischen Meisterkomponisten 40 IGUDESMAN & JOO Das vielleicht beste und verrückteste Humor-Duo der klassischen Musik

44 REISE: SOFIA Prachtvolle Fresken, sprudelnde Thermal­ quellen und ein ­Goldschatz: Bulgariens Hauptstadt 49 WEINKOLUMNE John Axelrod über den Weinkonsum von Beethoven und Brahms

Exklusiv nur in crescendo Premium P. D. Q. BACH Der vergessene Bach-Sohn und sein imposantes Oeuvre WOHER ­KOMMT EIGENTLICH … … das Komische in der Musik?

EXKLUSIV FÜR ABONNENTEN Hören Sie die Musik zu u­ nseren Texten auf der ­crescendo Abo-CD – exklusiv für Abonnenten. Infos auf den Seiten 3 & 48

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O U V E R T Ü R E

Bauchmusik crescendo: Herr Hanusa, was hat es mit Ihrer Komposition „Der Ich komme aus der „Musique-concrète“-Tradition. Da ist der GrundKlang der Körpermitte“ von 2014 auf sich? ansatz, dass man alles, was man hört, erst mal als musikalisches MaSebastian Hanusa: Die Behauptung ist, dass ich das „Insitut für gas­ terial begreift und überhaupt nicht zwischen Geräusch und Musik troakustische Psychologie“ gegründet habe. Das geht von der Er- unterscheidet. Darüber hinaus habe ich Interesse an einer gewissen kenntnis aus, dass wir viel mit dem Bauch entscheiden und dass un- „Welthaltigkeit“ in der Musik: Musik nimmt Bezug auf die Welt und ser Magen-Darm-Trakt großen Einfluss auf unsere psychische Be- die Welt wirkt ihrerseits in die Musik hinein. Sie ist also keine abgefindlichkeit und unser emotionales Leben hat. Dem wollte ich nicht hobene ästhetische Sphäre, die im Elfenbeinturm der Neuen Musik mit rein medizinischen, sondern mit psyvor sich hinschwebt. Körpergeräusche in der Musik haben choakustischen Mitteln nachgehen. schnell etwas Humoristisches, weil sie Mit welcher Methode? unkontrollierbar sind. War das auch eine Mithilfe eines Ultraschallgeräts, das die Idee dabei? Magenklänge abnimmt, und eines psychoEinerseits geht es da erst mal sehr ernst zu. logischen und ernährungswissenschaftliIch spiele das Stück in einem Arzt-Set-up, chen Fragebogens wird ein kurzes Musikziehe mich selbst wie ein Arzt an, und die stück erstellt, das ein Porträt des jeweiligen Leute müssen sich auf eine Liege legen. Bei Magens darstellt. Dieses Stück gibt in drei der Uraufführung wurde ich vom Pub­ Minuten deutlich mehr Aufschluss über likum öfter für einen Mediziner gehalten. die psychische Befindlichkeit als jede StuAndererseits ist es ein Fake. Ich behaupte die der Medizin, so die Behauptung. Die etwas, was es natürlich so nicht gibt. Aber Leute kommen also einzeln zu mir, wir füles kommen wahnsinnig interessante Klänlen gemeinsam den Bogen aus, und ich taste mit einem Handultraschallgerät den Mage dabei heraus, auch wenn eine gewisse Leichtigkeit, ein Augenzwinkern mit im gen-Darm-Trakt ab. Gleichzeitig wird das Sebastian Hanusa, Dramaturg an der Spiel ist. Aber gerade das von Ihnen erAudiosignal in eine Live-Elektronik einge­Deutschen Oper Berlin und freiberuflicher speist, die es in Echtzeit verarbeitet. Man wähnte „Unbeherrschbare“ an den KörKomponist und Publizist, in seiner Perforhört über Lautsprecher also direkt das Erpergeräuschen interessiert mich. Es liegt mance-„Arbeitskleidung“ jemand vor mir, und der ist Klangerzeuger. gebnis, das die Live-Elektronik produziert. Man kann also direkt seinem eigenen Magen zuhören. Das inidivu- Er hört sich selber zu, kann die Geräusche aber nicht unmittelbar bedelle Stück stelle ich der Person hinterher zur Verfügung. einflussen – nur mittelbar durch Trinken. Warum sollen die „Patienten“ vorher ein Weißbier trinken? Der Körper wird also als Instrument genutzt, aber nicht aktiv wie Damit der Magen ordentlich in Schwung gerät. Im Eigenversuch ha- beim Singen, sondern als passiver Klangerzeuger … be ich herausgefunden, dass Weißbier – die Kombination aus Alko- Ja. Und umgekehrt habe ich das Ultraschallgerät, an dem eine LiveElektronik hängt, die immer wieder anders reagiert – je nachdem, hol, Kohlensäure und Hefe – besonders viel Wirkung zeigt. wie der Fragebogen ausgefüllt wurde. Während ich also den Bauch Klingt das schön oder geht es mehr um Performance? Das Ergebnis ist wirklich ästhetisch, und ich bezeichne es auch als – einer Person abtaste, höre ich, wie die Elektronik darauf antworjeweils komplett individuelle – „Komposition“. Ausgangspunkt für tet. Dazu ist das Originalblubbern des Magens in das Audiosignal mich war eine musikalische Entdeckung, nämlich das Ultraschallge- eingemischt. Im Grunde bespiele ich den Magen meines „Patienrät. Ein kleines Gerät, das jeder Hausarzt hat, um auch mal die Herz- ten“ wie ein Musikinstrument. Durch meine eigene Bewegung mit schläge des Babys zu hören. Im Rahmen der ersten Schwangerschaft dem Ultraschallgerät improvisiere ich darauf. Eine spannende Mimeiner Frau hat mich das sehr fasziniert. schung zwischen beherrschbarer Handlung und unbeherrschbaSie arbeiten viel mit außergewöhnlichen Klängen. Steckt dahinter rem Ereignis. Interview: Maria Goeth die Idee, Schönheit auch in Alltagsgeräuschen zu finden?

NEWSTICKER Konzertsaal-Eröffnungsmarathon: Nach der Elbphilharmonie haben nun auch der Pierre-Boulez-Saal in Berlin und der renovierte Dresdner Kulturpalast ihre Tore geöffnet. Was die Säle akustisch und optisch leisten können, werden sie in den kommenden Monaten und Jahren unter Beweis stellen müssen. +++ Veranstaltungsrekord bei deutschen Orchestern: In der Spielzeit 2015/16 gab es 13.800 Veranstaltungen von öffentlich geförderten Orchestern und Rundfunkensembles, so die DOV. Das sind zehn Prozent mehr als bei der letzten Umfrage vor zwei Jahren. Erfreulich ist auch die Anzahl der Veranstaltungen im Education-Bereich: Sie ist mit rund 5.100 um mehr als 20 Prozent gestiegen. +++ Mailänder Scala ist das teuerste Opernhaus der Welt: Mit bis zu satten 300 Euro für ein Ticket ist die Mailänder Scala vom italienischen „Classic Voice“-Magazin zum teuersten Haus seiner Art gekürt worden. Wegen Kürzungen der staatlichen Beiträge sei die Scala immer mehr auf Privatsponsoren und Einnahmen aus dem Ticketverkauf angewiesen. 6

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Juni – Juli – Augus t 2017

F OTO: R I S A KU S O M OTO

Erst zünftig Weißbier trinken und dann das muntere Gluckern des eigenen Magens mittels Ultraschallgerät in eine zeitgenössische Komposition verwandeln lassen … Ein Anruf bei Sebastian Hanusa, der mit „Der Klang der Körpermitte“ ein sehr besonderes Musikstück komponiert hat.


Aktuelle

NEUHEITEN bei Sony Music

Wiener Philharmoniker Sommernachtskonzert 2017

Olga Peretyatko Russian Light Die Echo Klassik-Gewinnerin singt auf ihrem neuen Album selten zu hörende russische Opernarien und Lieder u.a. aus Ruslan und Ludmila (Glinka), Die Zarenbraut (Rimski-Korsakow), Le Rossignol (Strawinsky) oder Moskau, Tscherjomuschki (Schostakowitsch). Mit dem Ural Philharmonic Orchestra unter Dmitry Liss.

G. P. Telemann Meisterwerke auf 30 CDs Zum 250. Todestag des Komponisten erscheint diese limitierte und preisgünstige Edition mit hervorragenden Aufnahmen des Freiburger Barockorchesters, von Dorothee Oberlinger, dem Kammerorchester Basel, Collegium Aureum, Cantus Cölln u.v.a.

Erhältlich ab 9.6.

Erhältlich ab 9.6.

Der Mitschnitt des stimmungsvollen Konzertes im Park von Schloss Schönbrunn erscheint als CD und DVD. Die Wiener Philharmoniker, Renée Fleming und Christoph Eschenbach präsentierten Musik aus „Märchen und Mythen“ von Dvor ˇák, Rachmaninoff u.a.

Kurt Masur Gewandhausorchester Leipzig Kurt Masur war mehr als 30 Jahre Gewandhauskapellmeister in Leipzig. Diese limitierte 16 CD Edition enthält die hervorragenden Eurodisc-Aufnahmen aller Sinfonien Bruckners, Schumanns und Mendelssohns sowie die Fidelio-Aufnahme mit Siegfried Jerusalem, Jeannine Altmeyer und Theo Adam.

Daniel Barenboim A Retrospective Sony Classical würdigt den großen Dirigenten und Musiker zu seinem 75. Geburtstag. Die Edition enthält auf 43 CDs und 3 DVDs alle Einspielungen Barenboims als Dirigent und Pianist für die Label CBS und Sony Classical. Mit Jacqueline du Pré, Arthur Rubinstein, Dietrich Fischer-Dieskau, den Berliner Philharmonikern, Wiener Philharmonikern, New York Philharmonic u.v.w.

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K Ü N S T L E R

RUSSEN HABEN ­SEHNSUCHT IN IHRER DNA ­

F OTO: DA R I O ACO S TA

Mit 22 verließ Olga Peretyatko ihre Heimatstadt St. Petersburg, um in Berlin Gesang zu studieren. Heute singt sie auf allen großen Opernbühnen, doch ihre Seele bleibt russisch. V O N S I N A K L E I N E D L E R

„Ich denke auf Russisch, und ich schweige auf Russisch“

crescendo: Frau Peretyatko, warum singen Sie? Olga Peretyatko: Um die Leute ein bisschen glücklicher zu machen. In meinem ersten Jahr in Berlin hatte ich kaum Geld. Ich bin dann mit einem Streichquartett, als kleines, mobiles Orchester losgezogen, und wir haben überall gespielt, in Kirchen, Krankenhäusern … Es gab 40 Euro – das war viel Geld für mich. In einem Altersheim, in dem wir aufgetreten sind, war eine sehr alte Frau im Rollstuhl, jemand hat sie nach dem Konzert zu mir gebracht, und sie sagte: „Ich habe immer große Schmerzen, aber in dieser halben Stunde, in der Sie gesungen haben, habe ich sie nicht gespürt.“ Das hat mir eine ganz andere Perspektive gegeben. Seitdem gehe ich auf die Bühne und wünsche mir, mit meiner Stimme so viele Personen wie möglich glücklicher zu machen. Die Musik ist die emotionalste und internationalste Sprache überhaupt. Mit Ihrer neuen CD „Russian Light“ kehren Sie zu Ihren 8

Wurzeln zurück. Was ist dieses „russische Licht“? Meine Muse für diese CD war Nadeshda Sabela-Wrubel. Sie war die erste Interpretin der Marfa aus Rimsky-Korsakows Zarenbraut und gleichzeitig Ehefrau von Michail Wrubel, einem fantastischen russischen Maler. Es gab damals „Das mächtige Häuflein“, eine Gruppe der Komponisten Balakirew, Borodin, Cui, Mussorgski und Rimski-Korsakow. Unterstützt von einem großen Mäzen spielten sie alle ihre Uraufführungen in derselben halb privaten Oper. Wrubel gestaltete die Bühnenbilder. Er malt auf eine etwas „kranke“ Art, aber sehr persönlich und einzigartig. Für das Cover haben wir das berühmte Bild „Die Schwanenprinzessin“ nachgestellt, ein Porträt seiner Frau. … und somit das der ersten Interpretin einer Rolle, die Sie selbst auf der CD einnehmen. Ja, aber gleichzeitig ist Licht alles, was ich im Moment bei meinem www.crescendo.de

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Gesang empfinde. Es geht genau darum: das Licht zu pflegen und weiterzugeben. Technik, Koloraturen – das ist alles wunderbar. Aber für mich sind die Farben wichtig und dieses Licht, das die menschliche Stimme hat. Das Licht, das menschliches Leben ein bisschen leichter macht, das Trost spendet. Nennen Sie es Licht, nennen Sie es Gott, Energie oder wie auch immer... Es geht immer um diese eine Sache. Für die Aufnahmen haben Sie mit dem Ural Philharmonic Orchestra unter Dmitry Liss sowohl einen russischen Dirigenten als auch ein russisches Orchester. Hört man in einer so globalisierten Welt noch typisch deutsche, französische oder russische Interpretationen? Ich habe dieses Orchester und diesen Dirigenten ausgewählt, weil wir uns seit Langem kennen, da muss man nicht mehr viel erklären. Für meine zweite CD mit italienischer Belcanto-Musik habe ich mit dem NDR Sinfonieorchester zusammengearbeitet. Es ist ein unglaublich gutes Orchester, sie spielen alles Mögliche, aber im Belcanto arbeite ich natürlich mit viel Rubato, vielen Tempowechseln. Ein italienisches Orchester reagiert da sofort, dem deutschen musste ich einiges erklären. Deswegen habe ich gesagt, wenn es um russische Musik geht, brauche ich ein russisches Orchester, das geht einfach schneller. Ich hatte eine genaue klangliche Vorstellung von bestimmten Farben, Nostalgie und dieser Sehnsucht, die Russen anscheinend in der DNA haben. Sie haben die Erwartungen sofort erfüllt. Sie sind in der ganzen Welt unterwegs und singen natürlich auch in den verschiedensten Sprachen. Was bedeutet Ihnen Ihre Heimat Russland? Russische Musik bleibt für mich immer etwas Besonderes. Auf der CD sind ziemlich viele unbekannte Stücke, aber jedes einzelne hat in meiner Karriere eine besondere Rolle gespielt oder gehört zu meinen Lieblingsstücken. Ich denke auf Russisch, und ich schweige auf Russisch. Mein Mann ist Italiener, da hatte ich zu Beginn etwas Zweifel, denn wir denken und schweigen in verschiedenen Sprachen, aber ich habe gemerkt, dass es geht. Ab und zu träume ich jetzt sogar auf Italienisch oder Deutsch, je nachdem wo ich gerade bin. Gibt es eine Sprache, in der Sie sich singend besonders gut emotional ausdrücken können? Es ist egal, in welcher Sprache ich singe, aber wenn ich die Sprache selbst beherrsche, geht es viel leichter. Im Moment beschäftige ich mich mit Französisch, weil zwei große französische Debüts auf mich zukommen. Man hört sofort den Unterschied, ob die Sängerin es spricht und versteht, oder ob sie es „nachplappernd“ gelernt hat. Ich habe bisher nie französische Rollen angenommen, weil ich die Sprache nicht beherrscht habe. Was machen Sie sonst, um sich in eine neue Rolle einzufühlen? Ich versuche, viel zu lesen. Und ich sammle Emotionen! Ich beobachte gerne Leute, egal wo ich gerade bin. Egal ob in der U-Bahn oder in einem Café: Es gibt so viele Geschichten zu sehen! Gibt es eine Rolle, der Sie sich besonders nahe fühlen? Ich bin langweilig, ich weiß … aber: Alles, was ich singe, ist meine Lieblingsrolle. Zum Beispiel Lucia di Lammermoor, die ich zuletzt in Tokio gesungen habe. Nach fünf Jahren bin ich zu dieser Partie zurückgekommen, und in der Zwischenzeit ist natürlich viel passiert, meine Stimme hat sich verändert, alles ist wieder neu für mich. Jetzt kommt Gilda, die habe ich schon oft gesungen, aber es wird für die nächsten zwei Wochen meine Lieblingspartie. Ich konzentriere mich immer genau auf das, was ich gerade mache. Ich denke das ist ein Rezept, um glaubwürdig zu sein. Mein Arbeitsspeicher ist ziemlich klein. Ich lerne wahnsinnig schnell, aber ich vergesse auch wahnsinnig schnell. Deswegen muss ich gut planen, Multitasking im Operngesang ist nur bis zu einem gewissen Punkt möglich. Ich bin nicht diejenige, die heute Puccini singt, morgen Mozart und übermorgen Wagner.

Viele der Frauen, die Sie spielen, leiden, einige von ihnen sterben. Wie schaffen Sie es, zwischen den Welten zu wechseln, nicht im Alltag dramatisch zu werden? Ich bin eigentlich ein sehr positiver Mensch. Mein Vater hat mir immer gesagt: „Bitte vergiss nie: Das bist nicht du, die stirbt, das ist Gilda, Violetta oder Lucia“, das hilft sehr. Ich muss auf der Bühne die Kontrolle behalten. Was ich singe, ist sehr kompliziert, und sobald zu viele eigene Emotionen ins Spiel kommen, schadet es dem Gesang. Du kannst auf der Bühne nicht schreien, du musst immer noch singen, auch weinen darfst du nicht. Du musst dafür eine Gestik finden und Farben in deiner Stimme. Jeder im Publikum soll weinen, aber nicht du! Es geht dabei wieder um Energie und um Konzentration … und da kommen wir zurück zum Licht! Das ist auch der Grund, weshalb ich am Tag einer Vorstellung mit niemandem spreche. Nicht weil es den Stimmbändern schadet, nein! Ich akkumuliere die Konzentration. Was ist, wenn Sie einmal keine Konzentration, keine Energie haben? Eigentlich müssen wir einfach verstehen: Es gibt immer Energie. Wenn man keine hat, hat man wahrscheinlich etwas falsch gemacht. Meditation hilft sehr, bestimmte Atemübungen helfen schon nach ein paar Minuten. Das mache ich ständig. Auch die Natur hilft; 20 Minuten joggen gehen, wenn ich müde bin, ist das beste Mittel, überhaupt wieder frisch und voll Energie zu sein. Auch lächeln geht immer. Wenn ich mich richtig mies fühle und eigentlich niemanden sehen will, muss ich zum Spiegel gehen und lächeln. Das wird erst mal ganz bescheuert aussehen, aber dann passiert etwas. Du lächelst und dein Gehirn denkt: „Es ist eigentlich alles super“, und es wird dir besser gehen, das funktioniert immer. Wir müssen uns selbst um unser Wohlbefinden kümmern. Den anderen ist es wahrscheinlich egal, wie es dir geht. Es ist dein Leben und deine Laune, also mach was draus! Das ist leichter, als man denkt. Als Sängerin haben Sie Ihr Instrument immer bei sich, können es nicht nach einer Probe in den schützenden Kasten legen. Was müssen Sie tun, um es zu pflegen? Natürlich gehört regelmäßiges Training dazu, wir sind Athleten. Aber es gibt auch Tage, an denen ich nichts machen will und soll. Dann schweige ich, lese oder gucke Filme und bewege mich so wenig wie möglich. Das ist normalerweise der Tag vor Premieren. Natürlich regeneriert man sich im Alter weniger schnell. Mit 25 konnte ich die ganze Nacht wachbleiben, tanzen, feiern … Jetzt nicht mehr. Ich bin eigentlich ziemlich introvertiert geworden, auch das gehört zum Beruf. Man trifft viele Leute, aber nach den Konzerten auf dem Hotelzimmer ist man allein. Ich bin sehr gerne allein, es stört mich nicht. Natürlich spreche ich auch manchmal stundenlang mit meinem Mann – über Facetime, das ist ja alles viel leichter geworden. Vor 20 Jahren hätte man Briefe geschrieben. Tokio – Bologna, das hätte schon etwas gedauert … Durch diese Entwicklungen ist aber auch der Kontakt zwischen Künstlern und Publikum viel direkter geworden, etwa durch Facebook oder Twitter. Dabei gibt es auch mal unschöne Kommentare. Wie gehen Sie damit um? Ich lache. Ich habe nichts gegen Kritik, wenn sie konstruktiv ist, aber wenn es nur Hass ist, nehme ich es nicht ernst. Es gibt auch Kollegen, die dann nervös werden, sich ärgern und antworten. Aber das ist nur Quatsch, diese Leute wollen deine Energie. Ich behalte die lieber für mich. ■ Aktuelle CD: Olga Peretyatko: Russian Light (Sony) Termine: 28.5. München, Freiheizhalle; 24., 30.6., 2., 4.7. Berlin, Staatsoper; 27.6. Andermatt (CH), Andermatt Swiss Alps Classics; 7.7. Wiesbaden, Kurhaus; 6., 9.9. Berlin, Deutsche Oper 9


K Ü N S T L E R

KLANG­ MINIMALIST MIT RAUSCHEBART ­ Noch vor zwei Jahren spielte Joep Beving nur vor Freunden und Familienmitgliedern. Dann stellte der niederländische Pianist seine Kompositionen unter dem Titel „Solipsism“ online, und das Album wurde über 60 Millionen Mal gestreamt.

F OTO: R A H I R E Z VA N I

VON DOROTHEA WALCHSHÄUSL

Herr Beving, Sie haben parallel zum Studium der Verwaltungswissenschaft auch ein Jazzpiano-Studium begonnen. Nach nur einem Jahr brachen Sie ab. Was ist passiert? Ich hatte mit den zwei Studien nicht genug Zeit zum Üben, außerdem habe ich damals Probleme mit den Händen bekommen, hatte Schmerzen und musste das Studium aufgeben. In gewisser Weise war das eine Befreiung. Mir war schon früh klar, dass mein Weg nicht das fordernde Virtuosentum ist. Ab diesem Moment war der akademische Druck weg, und es ging mir nur noch um die Musik. Das war es, was ich schon immer wollte: einfach nur Musik machen. Nach dem Studium haben Sie viele Jahre in einer Firma gearbeitet und nur in Ihrer Freizeit in Bands gespielt. Wie kam es zur Entstehung Ihres ersten Soloalbums? Ich hatte damals eine sehr stressige Zeit, und es ging mir nicht gut. Alles war dunkel in meinem Kopf, und ich habe nach einem Ausweg gesucht. Das Klavierspielen war für mich wie Meditation – ein Schlüssel, um ganz im Moment zu sein, die Essenz wiederzufinden in mir. Als dann ein enger Freund von mir ums Leben kam, hat das viel für mich verändert. Ich habe auf einmal keine Angst mehr verspürt, und die Musik kam wie von selbst zu mir. Noch nie zuvor hatte ich so gespielt. Die Stücke flossen einfach aus mir heraus. Das Album „Solipsism“ (2015) war damals ein Experiment für mich – entstanden aus dem Bedürfnis, in mich zu gehen, nachzuspüren, wo wir herkommen und was uns Menschen verbindet. Und als ich meine Musik dann das erste Mal vor Publikum gespielt habe, habe ich gemerkt: Die Menschen finden sich darin wieder, werden von meiner Musik berührt. Sie haben ein altes Schimmel-Klavier von Ihrer Großmutter geerbt, auf dem Sie beide Alben eingespielt haben. Was hat es mit diesem Instrument auf sich? Das Instrument ist sehr wichtig für mich. Sein Klang ist sehr tief 10

und wie eine weiche Bettdecke, die einen umfängt. Dieser Sound ist so besonders und atmosphärisch, dass er es mir erlaubt, immer minimalistischer zu werden in meinen Kompositionen. Er macht die Seele meiner Musik aus, und ich brauche diese dunkle Farbe sehr in meinem Spiel, den warmen Ton, das Geräusch der Hämmer und des Filzes … Ihre Musik ist sehr melancholisch und gleichzeitig sehr eingängig. Verfolgen Sie ein bestimmtes ästhetisches Ideal? Für mich ist die Melancholie eine Mischung aus Traurigkeit und Schönheit. Es gibt viele Gründe, traurig zu sein, zum Beispiel darüber, dass wir Menschen nicht so miteinander leben, wie wir es könnten. Das frustriert mich sehr. Aber wir können Trost und Vertrauen finden in der Schönheit. Was wir als „schön“ empfinden, ist schwer zu fassen. Das ist wie das Wunder des Goldenen Schnitts und hat mit einem bestimmten Fluss von Energie zu tun. Wenn ich komponiere, gehe ich ganz über das Gefühl und versuche, ein universelles Level zu erreichen. Mit der Melodie ist es dabei wie mit einem Dialog, sie entwickelt sich beinahe von selbst. Für mich hat das zum Teil auch mit Spiritualität zu tun. Da ist dieser innere Zwang in mir, diese Musik zu schreiben. Sie kommt zu mir, und ich gebe sie weiter. Bei alldem habe ich gelernt zu akzeptieren: Was auch immer an Musik aus mir herauskommt – es ist in Ordnung. Ich hoffe, das bleibt so. Noch vor zwei Jahren spielten Sie nur für Ihre Freunde. Heute stehen Sie auf internationalen Bühnen. Wie fühlt sich das an? Das ist völlig verrückt, ein Traum, der kaum zu verstehen ist. Das macht natürlich auch Angst. Aber letztlich lebe ich einfach ganz im Moment. ■ Aktuelle CD: Joep Beving: Prehension (Deutsche Grammophon)

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MET OPERA LIVE IM KINO 2017/2018 7. Oktober

NORMA Vincenzo Bellini 14. Oktober

DIE ZAUBERFLÖTE Wolfgang Amadeus Mozart 18. November

THE EXTERMINATING ANGEL Thomas Adès 27. Januar

TOSCA Giacomo Puccini 10. Februar

L’ELISIR D‘AMORE Gaetano Donizetti 24. Februar

LA BOHÈME Giacomo Puccini 10. März

SEMIRAMIDE Gioachino Rossini 31. März PHOTO: KEN HOWARD / METROPOLITAN OPERA

COSÌ FAN TUTTE Wolfgang Amadeus Mozart 14. April

LUISA MILLER Giuseppe Verdi 28. April

CENDRILLON Jules Massenet

Änderungen vorbehalten

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K Ü N S T L E R

WITZ ALS ­PROVOKATION ­

Ab Schumann hatte man crescendo: Herr Eggert, warum gewisse Heroen, verehrte auf spielt Humor bei Ihnen eine so ernsthafte Weise die Helden der wichtige Rolle? Vergangenheit, etwa Johann Moritz Eggert: Das ist einem in Sebastian Bach. Die Musik die Wiege gelegt. Humor ist eine wurde ernst vermittelt, also hieß Art, die Welt zu sehen. Schon in es irgendwann auch „Ernste der Schule hatte ich immer, Musik“. Dabei hat man vergeswenn es ernst wurde, das sen, dass Musik immer aus dem Bedürfnis, das mit etwas Impuls des Lebendigen entsteht. Lustigem zu durchbrechen. Das Element des „Erhabenen“ Andererseits war ich auf Partys, ist nur eines von vielen. Ich bin beim Karneval und anderen sehr interessiert an diesem Gelegenheiten, bei denen sich Element – bei einem Adagio alle anderen vordergründig von Mahler bekomme ich amüsierten, eher depressiv und keinen Lachkrampf –, aber der still, hatte die gegenteilige Ausgleich zwischen dem Emotion von der, die vorErhabenen und dem Humoristiherrschte. Das hat sich schnell schen ist wichtig. auf die Musik übertragen, weil Setzen Sie Humor bewusst als ich gemerkt habe, dass gerade Provokation ein? die Neue Musik oft wahnsinnig „LACHEN IST EIN INTELLIGENTER AKT“ Wenn alles in eine Richtung ernst und angestrengt ist. geht, muss man eine klare Im Begriff „Ernste Musik“, der Gegenrichtung gehen. Wäre die ja auch von der GEMA Neue Musik heute reines verwendet wird, steckt das Halligalli, würde ich ihr gewiss etwas ganz Seriöses entgegensetzen. sogar im Namen. Woher kommt das? Die Aufgabe des Humors ist, eine Situation, die eigentlich unerDas hat sicher mit missverstandenem Bildungsbürgertum zu tun, der Idee der stillen Andacht. Wenn da eine griechische Statue steht, träglich ist, zu durchbrechen, indem man sie bis zur Absurdität übersteigert. Das Lachen darüber hat etwas sehr Befreiendes. darf man nicht einfach sagen: „Die ist ja nackt!“, sondern schweigt Lachen ist ein intelligenter Akt. Es ist gleichzeitig Lebensfreude ehrfürchtig. Ähnliches gilt für Lesungen, Konzerte und so fort. und das Verständnis, dass nicht immer alles so ist, wie die Leute Kam das mit dem 19. Jahrhundert, wo Kunst in der Säkularisierung zu einer Art Religionsersatz und damit zu etwas Unantast- sagen. Es öffnet neue Wege. Herrscht nur Erhabenheit, regiert ein Ernst wie beim religiösen Fanatismus, das Lachen dagegen ist barem wurde? anarchisch. Absolut. Die Musik des Barocks und auch der Klassik hat viele Tatsächlich gibt es in jeder Religion und jeder Diktatur Lachverderbe Züge. Bei Mozart wird oft behauptet, er hätte am Tourettebote. Drastisch könnte man sagen, dass Fundamentalismus dort Syndrom gelitten oder war auf andere Weise gestört, ich denke, er beginnt, wo man das Lachen über den eigenen Gegenstand war für die Zeit ganz normal. Es war eine sehr verspielte, alberne, verbietet? neckische Zeit, die Tradition des Schäferspiels war noch lebendig! Richtig. Auch die Neue Musik hat fundamentalistische Züge. In Später hat man versucht, dem mit einer extremen Bürgerlichkeit den 50er- und 60er-Jahren hat man radikale Dekrete erlassen, wie entgegenzutreten. Das hat sich in die Musikausübung übertragen: 12

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F OTO: K ATH A R I N A D U B N O

Er hat die Google-Nutzungsbedingungen vertont und Lieder im Twitter-­Format ­geschrieben, in Videos die zeitgenössische Musikszene persifliert oder mit Kinn und Füßen Klavier gespielt. Komponist und crescendo-Kolumnist M ­ oritz Eggert mischt mit ­seinen Werken die Neue-Musik-Welt auf. V O N M A R I A G O E T H


Historische Kuranlagen &

Goethe-Theater Bad Lauchstädt

Zum Wiener Opernball 2008 komponierte Moritz Eggert ein Fußballballett

Musik zu sein hat. Im Dritten Reich war Musik verboten, die „entartet“ war, und danach war plötzlich nur noch richtig, was „entartet“ war, und alles andere verboten – was genauso schwachsinnig ist. Sie karikieren oft die eigene „Zunft“? Wie kommt das an? Zum Teil sehr schlecht, aber mit diesem Risiko muss man leben. Es gibt auch den geschmacklosen, den grenzüberschreitenden Witz wie etwa bei Monty Python, den ich persönlich aber ebenfalls als befreiend empfinde. Provokation ist ein Versuch der Kommunikation: Man mischt auf und lädt die anderen zu einer Reaktion ein. Ich hasse oder verachte die Neue Musik ja nicht oder bin frustriert – wie mir immer wieder vorgeworfen wird –, sie ist ja mein Beruf. Aber ich bin der Hofnarr, der auf Kaisers neue Kleider zeigt, der immer wieder fragt, ob etwas so sein muss, wie es ist. Komponieren zeitgenössische Komponisten nur deshalb selten humoristische Werke, weil dramatische Werke höheres Ansehen genießen? Man darf nicht vergessen, dass leider mit dem Dritten Reich viel großartiger deutscher Humor verloren gegangen ist, weil dieser sehr von jüdischen Künstlern geprägt war. Vor den Nazis gab es tolle deutsche Filmkomödien, Künstler wie Ernst Lubitsch oder Billy Wilder. Durch deren Auswanderung oder Verfolgung wurde es trüb. Wegen des Schocks des Nationalsozialismus – „Darf nach Auschwitz noch gelacht werden?“ – haben wir Deutschen vielleicht insgesamt ein seltsames Verhältnis zu unserem Humor gefunden? Wenn ich heute ein Konzert gebe, wird in der Ankündigung oft gesagt: „Es darf auch gelacht werden!“ Das ist die typisch deutsche Kommando-Komik, wie das Ta-Taa im Fasching. Für mich gibt es großartige humoristische Momente in der klassischen Musik. Etwa bei Beethoven, dessen Humor zwar nicht so schenkelklopfend daherkommt, aber wenn man gut zuhört, wahnsinnig komisch ist. Ich sitze im Konzert und lache und freue mich, dass dieser Mensch so viel Humor hatte. Um mich herum sitzen lauter in Ehrfurcht versteinerte Greise, dabei ist diese Musik nie so gemeint gewesen. Es ist die deutsche Art, immer nur das Tragische, das Ernste zu sehen, was uns manchmal vielleicht geholfen hat. Während andere sich dachten: „Jetzt feiern wir mal weiter!“, haben die Deutschen an die Zukunft gedacht – wie im Märchen von den drei kleinen Schweinchen, wo das eine an die Zukunft denkt und ein festeres Haus baut. Das hält vielleicht länger, dafür haben wir mehr Arbeit und sind bedrückter. Gleichzeitig sehnen wir uns spätestens seit Goethe nach italienischer Lebensart. Ich würde mir wünschen, dass mehr deutsche Künstler wieder den Mut haben, dieses Dolce Vita, diesen Witz zu suchen und in die Kunst zu bringen. ■ Aktuelle CD: Peter Schöne & Moritz Eggert: „Der Klang des Denkers. Vertonungen von Gedichten Friedrich Nietzsches“ (radiobremen)

Foto: Szenenfoto „Die Entführung aus dem Serail“ | HKA

GOETHES SÄCHSISCHES ARKADIEN Theatersommer 2017 23. April - 29. Oktober Goethe-Theater Bad Lauchstädt HÖHEPUNKTE 24./25. Juni | Mozart COSÌ FAN TUTTE | Oper Halle 1. Juli | KLAVIERABEND Ragna Schirmer 8./9. Juli Lortzing DER WILDSCHÜTZ | Theater Magdeburg 29./30. Juli PREMIERE Cimarosa DIE HEIMLICHE HEYRATH CONCERT ROYAL Köln | Regie: Philipp Harnoncourt 6. August | Lampe PYRAMUS UND THISBE Landesbühnen Sachsen 27./28. August Mozart DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL L‘arte del mondo

Eintrittskarten www.goethe-theater.com Besucherzentrum: Tel. 034635 905472 besucher@goethe-theater.com

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P E R S O N A L I E N

N EWS Teodor ­ urrentzis C

2018/19 erster Chefdirigent des neuen SWR Sinfonieorchesters. Dem ehemaligen SWR Sinfonieorchester BadenBaden und Freiburg sowie dem RadioSinfonieorchester Stuttgart ist er schon durch zahlreiche Dirigate wohlbekannt. Unter anderem für die Auftritte mit dem von ihm selbst gegründeten Ensemble MusicAeterna wurde Currentzis vielfach prämiert.

Philippe ­Herreweghe In den letzten Jahren wurde Dirigent Teodor Currentzis viel gefeiert. Der „Klassikrebell“ ist für seine intensive Probenarbeit und seine herausragenden Konzertereignisse bekannt. Nun wird der 45-jährige Grieche ab der Spielzeit

Seinen 70. Geburtstag hat der belgische Dirigent Philippe Herreweghe in Brüssel gefeiert. Mit dem Collegium Vocale und der Gesamteinspielung der Bachkantaten – unterstützt von Harnoncourt und Leonhardt – gilt er noch heute als Wegbereiter der historischen Aufführungs-

praxis. Der „Hohepriester der Alten Musik“ widmet sich nicht nur dem Barock, sondern begibt sich auch mit seinem Orchestre des Champs-Elysées, das das Repertoire des 19. Jahrhunderts auf Orginalinstrumenten pflegt, auf die Suche nach dem authentischen Klang.

„Der Ritter des tiefen C“ (Merkur), die Stimme „Gottvaters“ oder „Mozarts Götterbass“ (FAZ): Kein Superlativ schien auszureichen, um Kurt Molls warmen, runden, samt-dunklen Bass zu beschreiben. Doch Moll war keiner jener Stimmnarzissten, die den Beruf wählen, um im Applaus zu baden. Der Versuchung, sich an der bloßen Schönheit des eigenen Gesangs zu berauschen, erlag er nicht. Intuitiv verstand er es, jede Opernfigur in ihrem Charakter zu formen, wahrhaftig und oft sehr berührend. Die Grundlage allen Singens hatte der 1938 im rheinischen Buir nahe Köln geborene Sänger von Emmy Müller gelernt, die er als „Geschenk Gottes“ bezeichnete. Klug lenkte sie seine Entwicklung, umsichtig und mit großem Verantwortungsgefühl, stärkte die Selbsteinschätzung und den Mut, „gefährlichen“ Angeboten zu widerstehen. Als Herbert von Karajan, der die Proben mit Moll „eher als Vergnügen denn als Arbeit“ bezeichnete, ihm die Partie von Wagners Hans Sachs in Die Meistersinger von Nürnberg anbot („Sagen Sie mir fünf Minuten vorher 14

Kurt Moll Bescheid“), lehnte Moll ab: „Da brauchen Sie nicht zu warten“, ließ er dem Maestro ausrichten, „schon heute sage ich Ihnen, dass ich diese Rolle nicht singen werde.“ Karajan, der mit großen Stimmen herrisch-verschwenderisch umging – Nachschub war ja immer in Sicht –, war gewiss nicht „amused“ über die Absage. Moll aber wusste, dass er gut daran tat, seine Stimme nicht mit der

hohen und langen Partie zu strapazieren. Seine Konsequenz zahlte sich aus. Mit 60 Jahren war sein Bass noch in voller Reife, ohne Verschleißerscheinungen, von erstaunlicher Flexibilität und Ausdruck: sei es als Seneca in Monteverdis Poppea, in komischen Rollen von Lortzing und Nicolai bis hin zu Verdis Sparafucile, Padre Guardiano und Filippo; als Mussorgskis Boris, Webers Kaspar und Wagners Daland, Pogner, Hunding und König Marke. Zu großen Paraderollen wurden Gralsritter Gurnemanz aus Parsifal und der Baron Ochs auf Lerchenau aus dem Rosenkavalier von Richard Strauss sowie Mozarts Sarastro. Es passte zu diesem Mann, dass er sich mit der kleinen Rolle des Nachtwächters in Die Meistersinger von Nürnberg 2006 von seinem Publikum verabschiedete. Nach 47 Jahren. Nun ist er mit 78 Jahren nach langer Krankheit gestorben. Doch er lebt weiter. Nicht nur in seinen CDs, sondern auch in der Künstlerahnengalerie der Bayerischen Staatsoper, auf einem Gemälde von Jänis Avotins. VON TERESA PIESCHACÓN RAPHAEL

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F OTO S : W. H Ö S L ; M I C H I E L H E N D RYC K X ; A L I S A C A L I P S O

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HÖREN & SEHEN Die besten CDs, DVDs & Vinylplatten des Monats von Oper über Jazz bis Tanz Attila Csampais Auswahl (Seite 16)

crescendo-Empfehlungen lesen und direkt kostenlos dabei anhören? Kein Problem: Ab sofort finden Sie auf www.crescendo.de unsere Rezensionen mit direktem Link zum Anhören!

The Royal Ballet

Verstoßene Kreatur Liam Scarletts Frankenstein für das Londoner Royal Ballet ist kein Billig-Grusel-Stück. Der Choreograf hielt sich für sein ehemaliges Ensemble an die Urvorlage: Mary Shelleys schauerromantischen und zugleich den Wissenschaftsdrang ihrer Zeit spiegelnden Roman von 1818. Bei Scarlett tanzt, getragen von Lowell Liebermanns filmischer Komposition, eine Szene in die andere über: die Geselligkeiten der gutbürgerlichen Familie Victor Frankensteins, die Liebe zur jungen Elizabeth, das Anatomiestudium, die künstliche Erschaffung eines lebendigen Wesens.

Kostüm und Gestus haben ein 19.-Jahrhundert-Flair, subtil neoklassisch zeigt sich Scarletts Tanzstil, den die Royals traumwandlerisch leicht beherrschen. Der Kernpunkt jedoch ist die fast expressionistisch gehaltene Auseinandersetzung zwischen der Kreatur und Frankenstein: Der Labor-Mensch wird durch sein Ausgegrenztsein, sein Leiden an verweigerter Zuwendung zum Mörder an der Familie seines Erschöpfers. Und Steven McRae und Federico Bonelli machen diese Tragik einer Wissenschaftsutopie so eindringlich fühlbar. GRA

F OTO: A N D R EJ U S P E N S K I

TANZ

„Frankenstein”, The Royal Ballet (Opus Arte)

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H Ö R E N & S E H E N

Die Empfehlungen von Attila Csampai

MEISTERWERKE IN NEUEM LICHT … prägen Attila Csampais Sommer-Auswahl.

PERGOLESI: STABAT MATER. J. S. BACH: CANTATAS BWV 54 & 170 Crowe, Mead, La Nuova Musica, David Bates (harmonia mundi)

Bis heute ist Pergolesis berühmte MarienSequenz Stabat Mater sein populärstes Werk geblieben und hat nichts eingebüßt von ihrer Anmut, ihrem melodischen Zauber, ihrer jugendlichen Frische. Obwohl der Katalog viele gute Aufnahmen verzeichnet, gelingt es hochmotivierten Interpreten immer wieder, die unverbrauchte „Modernität“ dieses zeitlosen Meisterwerks neu erstrahlen zu lassen: so jetzt auch dem Londoner Barockspezialisten David Bates, der sich mit seinem erst 2007 gegründeten Ensemble La Nuova Musica schon in die erste Reihe der britischen Originalklangszene vorgearbeitet hat: Mit der Sopranistin Lucy Crowe und dem Countertenor Tim Mead verpflichtete er zudem zwei exzellente Solisten, die die Klarheit und Schönheit ihrer melodischen Linien mit ins­ trumentaler Präzision und einer unter die Haut gehenden, noblen Ausdruckskraft in fließenden Wohllaut verwandeln. Der starke Fokus der Aufnahme auf die Vokalparts wird durch den schmalen, solistisch besetzten, aber quicklebendigen Streichersatz noch verstärkt, sodass man hier den ständigen Wechsel von spiritueller Innigkeit und tänzerischer Heiterkeit in mediterran-trockener, intimer Atmosphäre erlebt. Eingerahmt wird Pergolesis munteres Karfreitagsdrama von zwei kürzeren Bach-Kantaten, die einen reizvollen, nördlich-pietistischen Kontrast bilden. Auch hier glänzt Mead mit seiner charismatischen Altstimme: ohne Zweifel eine Inselplatte. 16

BEETHOVEN: PIANO CONCERTOS 1 & 2 Yevgeny Sudbin, Tapiola Sinfonietta, Osmo Vänskä (BIS)

Von Beethovens ersten beiden Klavierkonzerten gibt es unzählige Einspielungen, aber nur zwei echte, alterslose Referenzen: Glenn Goulds frühe Stereoaufnahme des C-Dur-Konzerts aus dem Jahr 1958 und die bereits 1946 entstandene Mono-Produktion des B-Dur Konzerts mit dem früh verstorbenen Amerikaner William Kapell. Der heute 36-jährige Exilrusse Yevgeny Sudbin, der in England bereits als einer der größten Pianisten unserer Zeit gefeiert wurde, hat jetzt in beiden Konzerten einen neuen Standard gesetzt: Im lebendigen Diskurs mit der exzellenten, kammermusikalisch lichten und solistisch interagierenden Tapiola Sinfonietta unter Osmo Vänskä entfacht er ein wirklich unter die Haut gehendes Feuerwerk sprühender Lebensfreude und einer jugendlichen Aufbruchsstimmung, die die Frische, den Charme und die knackige Prägnanz der alten Aufnahmen aufgreift, weiterdenkt und mit unglaublicher Anschlagsraffinesse in zeitgemäße, hochintelligente Klangrede übersetzt. Faszinierend ist dabei, wie er den Notentext mit Leben füllt, den menschlich-emotionalen Kern jeder einzelnen Phrase minutiös ausleuchtet und dabei seinem perfekt getunten Steinway eine riesige Farbenpalette abtrotzt, sodass wir hier eine in jedem Moment fesselnde Synthese erleben aus Haydn’schem Humor und Mozart’scher Theatralik. Im Kopfsatz des C-Dur-Konzerts überrascht uns Sudbin mit einer eigenen, ziemlich wilden Kadenz, die aus früheren Kadenzen einen „Cocktail“ mixt: ein gelungener Reflex auf das Chaos unserer Zeit. www.crescendo.de

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lar in geradezu fiebriger Opulenz verarbeitet – fast schon als Vorlage für den späteren Hollywoodfilm. Adressatin dieser hypertroDavislim, Chorus sine nomine, Orchester Wiener phen sinfonischen Fantasie nach Andersens Märchen dürfte seine Akademie, Martin Haselböck (Alpha) große Liebe Alma Schindler gewesen sein, die ja dann seinen KonFranz Liszts dreisätzige Faust-Sinfonie von 1857 kurrenten Gustav Mahler heiratete. Dagegen klingt die holzist ein Schlüsselwerk der Romantik und seine schnittartige, messerscharfe Virtuosität, mit der Krivine die polybedeutendste Orchesterarbeit: Dennoch ist sie fone Raffinesse der Strauss’schen Partitur herausmeißelt, fast wie bis heute ein Stiefkind des Konzertsaals geblie- eine späte Legitimation des genialen „Bürgerschrecks“ Strauss, der ben, und auch die Diskografie ist nicht gerade üppig und noch hier nicht nur mit dem Zuhörer, sondern auch mit den Musikern immer dominiert von „historischen“ Aufnahmen. Jetzt hat der seine Possen treibt. Wiener Radikal-Historist Martin Haselböck seine Wertschätzung für Liszts Orchesterwerk in einer streckenweise wirklich avantgarBOLCOM: PIANO RAGS Spencer Myer (Steinway & Sons) distisch anmutenden, herb und scharfkantig daherkommenden Interpretation Gestalt verliehen und dazu den sehr transparent William Bolcom, Jahrgang 1938, zählt zu den klingenden neuen Konzertsaal in Raiding, dem Geburtsort Liszts, wichtigsten und stilistisch vielseitigsten Komauserkoren. Seine eingeschworene 55-köpfige Wiener Akademie ponisten Amerikas: Mit elf Jahren begann er geht da mit einer Klarheit und artikulatorischen Schärfe zu Werk, zu komponieren, und seine Bandbreite reicht die einen echten Kontrapunkt bilden zu den bisher üblichen von Kabarettsongs bis zu serieller Musik: ein wabernden Klangmassen, und so kann man hier Liszts raffinierte weltoffener Geist ohne ideologische Scheuklappen, der mit gleithematisch-motivische Arbeit und die vielfältigen „inneren“ chem Enthusiasmus aus populären wie aus „seriösen“ Quellen Bezüge zwischen den beiden Faust und Mephisto gewidmeten schöpft. So kam er bereits in den späten 1960er-Jahren auf die Ecksätzen in fast pedantischer Akribie nachvollziehen. Idee, traditionelle Ragtimes im Stil von Scott Joplin neu zu komponieren und sie selbst öffentlich zu spielen. Diese Leidenschaft pflegte er dann viele Jahre, und so entstand ein ansehnliches KonSCHUBERT: STRING QUARTET NO. 15 Haydn: String Quartet op. 20 no. 3 volut von ausgefeilten Klavierminiaturen, die ein zutiefst ameriTetzlaff Quartett (Ondine) kanisches Lebensgefühl mit Sensibilität, Witz und erstaunlicher Es geschieht nicht oft, dass ein renommierter melodischer Kraft wiederbeleben. Jetzt hat der 37-jährige US-PiaViolinsolist ganz nebenbei ein Streichquartett nist Spencer Myer, ein ähnlich aufgeschlossener, hochsensibler gründet und damit auch in kurzer Zeit in die Musiker, auf seinem Debütalbum für das Steinway-Label 16 Weltspitze vorstößt: Die New York Times „Piano Rags“ aus Bolcoms Werkstatt zu einem wirklich unter die rühmte das 1994 gegründete Tetzlaff Quartett für sein „dramati- Haut gehenden, empfindsam-intelligenten Plädoyer verdichtet sches, energisches Spiel“, und diese Tugenden prägen auch das und so den ansteckenden Charme und die fragile Schönheit dieser neue Album des mit drei ähnlich engagierten Damen bestückten kleinen Meisterwerke von innen, in ihrem menschlichen Kern Ensembles, das sich jetzt zwei Gipfelwerke der Wiener Klassik vor- ausgeleuchtet. genommen hat und da vor allem im letzten Streichquartett Franz Schuberts mit erschütternder Intensität zum Wesentlichen vorHOMMAGE À FRITZ KREISLER Barnabás Kelemen, Zoltán Kocsis (BMC) dringt, es als modernes Psychodrama der inneren Zerrissenheit enthüllt: Hier blickt einer gefasst dem Tod ins Auge und lebt weiter. Am 6. November 2016 starb Zoltán Kocsis im Dagegen wirken Haydns raffinierte Formexperimente geradezu Alter von nur 64 Jahren. Er war nicht nur ein heiter entspannt und rational und entführen uns ins Laboratorium weltweit gefeierter Klaviervirtuose, sondern eines freien Geistes: Intelligenz, Präzision und Ausdruckskraft seit vielen Jahren auch ein erfolgreicher Dirieines phänomenalen Kollektivs verschmelzen hier zu einem atemgent: So formte er die Ungarische Nationalberaubenden Plädoyer! philharmonie wieder zu einem Klangkörper von Weltniveau. Das Schicksal wollte es, dass er wenige Wochen vor seinem Tod noch einmal als Pianist ins Aufnahmestudio ging, um den jungen STRAUSS: TILL EULENSPIEGEL ungarischen Geiger Barnabás Kelemen zu begleiten, und dies ausZEMLINSKY: DIE SEEJUNGFRAU Orchestre Philharmonique du Luxembourg, gerechnet in einer Auswahl von Salonpiècen des Wiener ViolinEmmanuel Krivine (Alpha) gottes Fritz Kreisler. Dessen Kabinettsstückchen und liebenswürDen Abschluss seines zehnjährigen Wirkens dige Fälschungen „im Stil“ früherer Meister zählten gewiss nicht als Chef des Orchestre Philharmonique du zum engeren Kanon des streitbaren und der Neuen Musik zugeLuxembourg feierte Emmanuel Krivine mit wandten Kocsis. Umso überraschender ist sein von Intelligenz zwei unterschiedlichen Werken des Fin de Siècle: Richard Strauss’ und Humor geprägter ernsthafter Einsatz für dieses leichtere populärem Till Eulenspiegel ließ er Alexander Zemlinskys dreisät- Genre. Während Kelemen wie ein veritabler Zigeunerprimás mit zige Orchesterfantasie Die Seejungfrau folgen, eine lange Zeit ver- vollem, warmem Ton den charismatischen Verführer gibt, sorgt schollene frühe Arbeit. Obwohl beide Stücke nur wenige Jahre Kocsis mit Witz und Raffinesse für das architektonische Fundatrennen, klingt der Strauss’sche Orchester-Schabernack in Krivi- ment und den passenden Bühnenhintergrund: Der eine deklanes französisch-lichter, rigoroser Interpretation deutlich moder- miert vorn an der Rampe, der andere zieht klug die Fäden. Und ner, scharfkantiger und aggressiver als der dunkel-wogende, man spürt in jedem Moment die unbändige Spielfreude dieses magisch-ekstatische Klangfluss des sieben Jahre jüngeren Zem- verschworenen Teams. linsky, der in der Seejungfrau das ganze spätromantische VokabuLISZT: FAUST SYMPHONY

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H Ö R E N & S E H E N

KAMMERMUSIK

Henrike Brüggen und Marie Radauer-Plank

Karol Szymanowski ist (neben Chopin) der Nationalkomponist Polens. Er ist auch einer der ganz großen, beim Publikum unterschätzten, Komponisten des 20. Jahrhunderts. Das Duo BrüggenPlank bietet mit seiner Aufnahme der wichtigsten Werke für Klavier und Violine nun die Möglichkeit, Szymanowski auch auf Kammermusik-Ebene besser kennenzulernen. Mit ihrem sehr direkt aufgenommenen, schlanken und manchmal etwas harten Klang besticht das Duo in dem von Volksmusik beeinflussten Danse paysanne durch besondere Intensität. In der in deutschem spätromantischen Ton gehaltenen Sonate können allerdings auch Bruno Monteiro und João Paulo Santos in ihrer ebenfalls kürzlich erschienenen Aufnahme dieser Werke mit explosiver Artikulation und resonantem Klang punkten. Am betörendsten sind die Mythen – Drei Gedichte op. 30; eine impressionistische Violinsonate mit hier gehauchten, dort robusten Anklängen an Debussy, in deren Sog Brüggen-Plank unwiderstehlich ziehen. JL

Ensemble Arabesques

Tarkovsky Quartet

Spätromantische Entdeckungen

Film-Traum-Welt

Schon mit ihrer ersten CD, die 2014 als Gemeinschaftsprojekt mit dem Ensemble Musicatreize entstand, haben sich die Mitglieder des Hamburger Ensemble Arabesques als hervorragende Musiker erwiesen. Auch ihre aktuelle im Label Farao Classics erschienene Aufnahme mit Werken des Engländers Gustav Holst steht ganz im Zeichen ihres Anspruchs, dem Zuhörer besonders jene Musik zu präsentieren, die ihm vermutlich noch nicht begegnet ist. Holst ist zwar kein weißer Fleck auf der musikalischen Landkarte, doch hier wird er von einer Seite erlebt, die mit ihren mal dramatischen, mal sanften, mal verspielten Klängen sicherlich nicht weniger spannend ist als seine wesentlich berühmtere Planetensuite. Anhand verschiedener Besetzungen zwischen Terzett und Sextett präsentieren die Musiker etwa 30 Jahre von Holsts kammermusikalischem Schaffen, das manch unverhofften Hörgenuss bereit hält. US

Gustav Holst: „Kammermusik“, Ensemble Arabesques (Farao Classics) 18

Karol Szymanowski: „Works for Violin and Piano“, Marie Radauer-Plank, Henrike Brüggen (Genuin)

In den Filmen Tarkowskis spielt die Musik Bachs ebenso eine Rolle wie die Gedichte seines Vaters. Das Tarkovsky Quartet, fasziniert von Filmen wie Solaris, Der Spiegel oder Nostalghia, träumt Bilder und spinnt die Fäden weiter. Dies ist der Abschluss einer Trilogie, die vor zwölf Jahren begann. Inspirierter wurde wohl kaum je Film zu Musik. Kopf des Ganzen ist der Pianist François Couturier. Spuren seiner Zusammenarbeit mit dem Gitarristen John McLaughlin glaubt man genauso zu hören wie die aus dem gemeinsamen Spiel mit dem Oud-Virtuosen Anouar Brahem. Aber immer auch tönen Mosaiksteine der Erinnerung an Gewesenes, an Vivaldi wie an die minimalistische Klangvielfalt und Einzigartigkeit des Penguin Cafe Orchestras unter der Leitung des wie Tarkowski zu früh verstorbenen Simon Jeffes. Eine Musik wie das Firmament, sie funkeln und leuchten alle: am Cello Anja Lechner, mit dem Sopran­ saxofon Jean-Marc Larché und auf dem Knopfakkordeon JeanLouis Matinier. SELL

Claire Chevallier und Jos van Immerseel

Klangoffenbarung Dieser Klang ist eine Offenbarung! Nobel, sensibel, ungemein edel und nie forciert. Der historische Bechstein-Flügel von 1870, auf dem Claire Chevallier und Jos van Immerseel vierhändige Klavierwerke spielen, eröffnet Klangwelten, die man von modernen Instrumenten gar nicht mehr gewohnt ist. Johannes Brahms Ungarische Tänze, von denen hier die zweite Hälfte zu hören ist, klingen feurig und trotzdem transparent. Drei Norwegische Tänze aus op. 35 von Edvard Grieg verströmen in ebenso charakteristischer Weise nordischen Lokalkolorit, wie Antonín Dvořaks Slawische Tänze op. 46 von einem ungemein authentischen Melos geprägt sind. Das Duo Chevallier/van Immerseel spielt ausnehmend entspannt und mit Grandezza, das innere Feuer hört man aber durchaus lodern. GK

Dvořák, Grieg, Brahms: „Music for Piano four Hands“, Claire Chevallier, Jos van Immerseel ­(Alpha)

Couturier, François: „Nuit blanche“, Tarkovsky Quartet (ECM) www.crescendo.de

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F OTO: D U O B RÜ GG E N - P L A N K

Im Sog der Mythen


H Ö R E N & S E H E N

Raquel Andueza und Xavier Sabata

SOLO

Kaleidoskop der Liebe Nichts weniger als dem Wunder der Liebe gehen die Sopranistin Raquel Andueza und der Countertenor Xavier Sabata nach. Zusammen mit dem sechsköpfigen Ensemble La Galanía begeben sie sich auf die Spuren von Francesco Cavalli, der im 17. Jahrhundert zwar nicht der erste Opernkomponist war, aber der erste, der sich diesem Genre voll und ganz widmete – rund 30 Opern sind bis heute erhalten. Aus diesem Fundus stellten die Künstler Soloarien und Duette zur Liebe in allen Facetten zusammen, von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Vielleicht sind es gerade diese Extreme, die die Sängerstimmen bisweilen klanglich eintrüben und eigenartig anmuten lassen, gerade im Vergleich zu dem geradezu fleckenlosen Instrumentalpart. Vielleicht muss sich die Liebe mit anderen Maßstäben messen lassen. Denn wer hier auf ein spannendes Liebesdrama hofft, wird enttäuscht – aber mit intimen Musikmomenten belohnt. UH

Raquel Andueza, Xavier Sabata und La Galanía: „Miracolo d’amore“ ­(Anima e Corpo)

Günther Groissböck und Gerold Huber

LIED

Schubert mal zwei Beide sind sie fordernde Meilensteine der Liedliteratur, die vom Interpreten gleichermaßen absolute Hingabe und technische Kontrolle verlangen: die Winterreise und der Schwanengesang von Franz Schubert. Auf seinem jüngsten Doppelalbum wagt sich der österreichische Bass Günther Groissbröck gleich an beide Gipfelwerke des romantischen Klangmalers heran. Im intensiven Zusammenspiel mit dem sehr sensibel agierenden Gerold Huber am Klavier beweist er dabei eine sehr direkte und zupackende Deutung der Liedzyklen. Klar geführt und sonor schwingend im Klang durchdringt er die psychologisch auskomponierten Dichtungen mit der dunklen Farbe seiner Stimme, lässt sie fordern und verzweifeln, sehnen und verzagen. Jenseits des Überkultivierten und Zerfasernden transportiert er dabei stringent und klanggewaltig die Intensität von Schuberts Tonsprache. Ein faszinierender Ansatz, der trägt. DW

Clematis

Frühbarocke Pracht

BAROCK

Es ist ein heute nur selten aufgeführtes Repertoire. Dabei war es einst revolutionär. Claudio Monteverdi (1567–1643), der dieses Jahr 450 Jahre alt würde, der „göttliche Claudio“, wie Heinrich Schütz ihn nannte, gilt als der Erfinder einer neuen Musiksprache, die um die Wahrheit des Ausdrucks, der Affekte, der Stimmungen ringt und dem Text mit Bildern, Symbolen und farbiger, abwechslungsreicher Orches­ terbegleitung das höchste Gewicht einräumt. Mit L’Orfeo von 1607 setzte er diese Sprache erstmals in großem Stil um und prägte damit Komponisten wie Gluck und Wagner, weshalb er auch Urvater aller Musikdramatiker genannt wird. Einen faszinierenden Eindruck dieser frühbarocken Farbenpracht gibt das belgische Ensemble Clematis und der amerikanische Tenor Zachary Wilder. Mit auf dem Programm unter anderem Sonaten von Salomone Rossi, einem Zeitgenossen Monteverdis, der wie er am Hof zu Mantua wirkte. TPR

Franz Schubert: „Schwanengesang & Winterreise“, Günther Groissböck, Gerold Huber (Decca)

Monteverdi, Rossi: „Balli & Sonate“, Clematis, Zachary Wilder (Ricercar)

Star-Ensemble Sie sind puristisch und von schlichter Eleganz: die Musikantenengel der Edition „Klangfarbe Weiß“. Die avantgardistische Gesamtkomposition setzt auf Kontraste in Form und Farbe und lässt die Musiker mit den legendären elf weißen Punkten auf grünen Flügeln als solitäre Kunstwerke in zeitloser Schönheit erstrahlen. Damit das Konzerterlebnis nie zu Ende geht. Erhältlich über autorisierte Fachhändler auf dem Online-Marktplatz von Wendt & Kühn unter W W W.W E N D T- K U E H N . D E

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Miriam Alexandra

Maya Plisetskaya

Frauenpower

Ave Maya

Pauline wer? Kaum einer kennt heute noch den Namen Pauline Viardot, dabei war sie eine schillernde Gestalt des 19. Jahrhunderts: Pianistin, Komponistin, Arrangeurin, Herausgeberin und Pädagogin, die von der legendären spanischstämmigen Sängerfamilie der Garcias abstammte. In ihrem Salon verkehrte die kulturelle und politische Elite der Zeit: Clara Schumann, Johannes Brahms, Anton Rubinstein und Theodor Storm, aber auch das preußische Königspaar und Bismarck. Sopranistin Miriam Alexandra hat sich nun der deutschsprachigen Lieder Viardots angenommen, darunter etliche Vertonungen von Eduard Mörike, den Viardot auch persönlich kennenlernte, aber auch von Uhland, Rellstab und von russischen Gedichten etwa Puškins, die Viardot in deutscher Übersetzung vertonte. Mit hellem, glockenhaftem, leichtem Sopran tupft Alexandra diese selten gehörten Kleinode zusammen mit Pianist Eric Schneider in die Luft. Alexandra hat das Werk Viardots auch von theoretischer Seite durchdrungen: 2014 reichte sie ihre Dissertation über die Künstlerin an der Musikhochschule Karlsruhe ein. MG

Nahe dem Moskauer Bolschoi-Theater, in dem Maya Plisetskaya (1925–2015) ihre Triumphe feierte, erinnert die Statue Plisetskaya-Carmen an die große Ballerina: just in der Rolle, mit der sie in einer noch streng auf die Klassik eingeschworenen UdSSR für die Moderne warb. Alberto Alonsos auf sie maßchoreografierte Carmen-Suite (1967) wurde ein Welterfolg. Und wenn auch heute von neuen Stilentwicklungen überholt, ist es mit seinem rhythmisierten, scharfkantigen expressionistischen Neoklassik-Duktus das spannendste Werk auf dieser Scheibe. In dieser Carmen enthüllt sich auch so ganz ihr willensstarker Charakter, ihre bewundernswerte Energie. Sie tanzt noch mit weit über 50 und auf höchstem Niveau, wie die fünf Ende der 70er-Jahre aufgenommen Klassiknummern beweisen. Und wenn ihr Maurice Béjart 2000 in seinem Ave Maya statt Schwanenflügeln zwei Fächer zuteilt, sieht man dieser aristokratisch-grazilen Nô-Tänzerin keinen Augenblick die 75 an.

LIED

Pauline Viardot: „Deutsche Lieder“, Miriam Alexandra, Eric Schneider (Oehms)

TANZ

Nicht von dieser Welt

Helden im Wahn

SAKRALE MUSIK

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In kurzen Szenen wird schnell erzählt: Alle lieben Carmen. Eine Liebe, die wahnsinnig macht – fatal, dramatisch, spanisch. So Folklore, wie das klingt, sieht das Ballett von Gustavo Ramírez Sansano allerdings nicht aus. Das Setting ist so minimal wie die Kostüme, kühl in Schwarz und Weiß. Genauso kühl wie auch die tänzerische Ausdrucksform. Größtenteils frei von Kitsch und Kastagnetten, wird Flamenco höchs­tens angedeutet. Einzig die Musik, eine Collage aus Bizet und natürlich Sarasates ­Carmen Fantasy, gibt die zu erwartende couleur locale. Davon gibt es dann reichlich in Pedro Ruiz’ nummernhaft strukturiertem Club Havana: Rumba, Cha-Cha-Cha et cetera in leuchtenden Kostümen und atmosphärischem Licht zu kubanischen Hits und qualmenden Zigarren. Eine knapp 20-minütige Ode an schnelle Schultern, fliegende Röcke und die Salsa-Blicke der Latino-Kultur. KOV

„Ballet Hispánico“, CARMEN.­ maquia, Club Havana (CMajor)

„Maya Plisetskaya – A Tribute in Five Ballets” (Arthaus)

Münchner Philharmoniker

Luigi Boccherini: „Stabat Mater“, Dorothee Mields, Salagon Quartett (Carus)

Alle lieben Carmen

GRA

Dorothee Mields und Salagon Quartett

Boccherini ist bekannt für seine Streichquintette, spätestens seit den Ladykillers, der britischen schwarzhumorigen Filmkomödie aus den 50ern, ist sein Menuett in aller Ohren. Er selbst soll ein äußerst virtuoser Cellist gewesen sein. Doch sein geistliches Vokalwerk ist schmal. Als Pate des Stabat Mater gilt der jung verschiedene Pergolesi, und so ist es kein Wunder, dass das ein oder andere hier an ihn erinnert. Doch Boccherinis Werk trägt durchweg seine eigene Handschrift, nicht zuletzt wegen des Umgangs mit dem Cello. Was der Gesang von Dorothee Mields hier bewegt, ist geradezu göttlich, die Sphären selbst sind es, die schweben, nichts ist von dieser Welt und doch bleibt alles erdverbunden, getragen von dem wundervoll aufeinander eingespielten Salagon Quartett, das hier kongenial ergänzt wird durch Miriam Shalinsky am Kontrabass. Das klingt transparent, mühelos und facettenreich. Wäre dieses Album auf Vinyl erschienen, man hätte es bei den 40:15 Minuten belassen. So gibt es quasi als Bonus noch Mozarts Streichquartett KV 428 und Mendelssohns Salve Regina. SELL

Ballet Hispánico

Richard Strauss hatte eine Schwäche für Heldengestalten. Sie umgarnen Frauen, bestehen allerhand Abenteuer, lassen sich dann erdolchen oder fliehen in die Einsamkeit. Seine Kritiker warfen ihm einen hemmungslosen Ego-Trip vor. Hinter dem übersteigerten Männlichkeitswahn blitzt jedoch auch Selbstironie hervor. Valery Gergiev und die Münchner Philharmoniker entlocken Strauss‘ Tondichtungen Don Juan und dem Beethovens Eroica nacheifernden Heldenleben ein grandioses Feuerwerk an Farben. Betörend lässt der langjährige Konzertmeister Lorenz Nasturica-Herschcowici beim Liebeswerben der Heroen die Solovioline singen. Dann geht es unter Fanfarenstößen und mit viel Schlagwerk mitten ins wilde Kampfgetümmel. Am Ende sieht sich der vermeintliche Sieger gescheitert. Souverän und mit Gespür für Ironie führt Gergiev das Orchester auf eine Berg- und Talfahrt durch zwei komplexe und vielschichtige Werke. CK

Richard Strauss: „Don Juan. Ein Heldenleben“ Valery Gergiev, Münchner Philharmoniker (Warner Classics)

ALTE MUSIK Deutsche Hofmusik

Geheimtipp für Bach-Liebhaber Bachs geistliche und weltliche Kantaten sind für sein Gesamtwerk von essenzieller Bedeutung und gehören zu seinen populärsten Kompositionen. Die beiden Huldigungskantaten BWV 216 a und 210 a aber, die das renommierte Ensemble Deutsche Hofmusik unter der Leitung von Alexander Grychtolik in dieser bei dhm veröffentlichten Ersteinspielung zu Gehör bringt, dürften allerdings kaum jemandem bekannt sein. Sie präsentieren sich daher als Geheimtipp für Bach-Liebhaber. Die in ihrem Charakter heitere, beschwingte Musik zeichnet sich durch ein Höchstmaß an klanglicher Transparenz aus, wird dem Zuhörer facettenreich präsentiert und ist bei aller Leichtfüßigkeit dennoch von emotionaler Tiefe. Abgerundet wird das Hörerlebnis durch die hervorragende Leistung der drei Solisten Katja Stuber, Franz Vitzthum und Daniel Johannsen, deren Stimmen mit den Tönen ebenso virtuos jonglieren wie die Instrumentalisten. US

J. S. Bach: „Angenehme Melodei“, Deutsche Hofmusik, Alexander Grychtolik (dhm)

ORCHES­ TER www.crescendo.de

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Bayerische Staatsoper

Johan Botha

Attentat in der Oper

Wiener Hommage

Die Oper als Spielort eines historischen Attentats: Am 17. März 1792 wurde in Stockholm König Gustav III. von Schweden während eines Maskenballs von politischen Gegnern ermordet. Da die Darstellung eines Königsmordes auf offener Bühne damals Argwohn erweckte, verlegte Verdi den Schauplatz und gab den Protagonisten andere Namen. Im März 2016 feierte der Maskenball mit Zubin Mehta, dem langjährigen Direktor des Bayerischen Staatsorches­ ters, an der Bayerischen Staatsoper Premiere. Faszinierend, wie Mehta die dramatische Schlagkraft der Partitur auskostet, gleichzeitig aber auch spürt, wann es gilt innezuhalten. Verlassen konnte er sich auf ein exquisites Ensemble: Anja Harteros debütiert als Amelia, Piotr Beczała ist ihr heimlicher Geliebter Riccardo und Okka von der Damerau die Wahrsagerin Ulrica. Zentrales Bühnenbildelement (Regie: Johannes Erath, Bühne: Heike Scheele) ist ein KingsizeBett, in dem man sich der Politik, den Intrigen und FILM der Liebe widmet. TPR

Für seine strahlende, kraftvolle Stimme wurde der Ausnahmetenor international gefeiert. Johan Bothas früher Tod im vergangenen September hat in der Musikwelt eine große Lücke hinterlassen. Die Wiener Staatsoper, an der der gebürtige Südafrikaner zwischen 1996 und 2015 mehr als 20 Rollen in 222 Vorstellungen verkörperte, erweist ihm nun posthum eine Hommage. Auf einem bei Orfeo erschienenen Album mit Live-Mitschnitten ist Botha in Opern von Beethoven, Wagner und Strauss zu erleben. Unter der Leitung von Seiji Ozawa, Franz Welser-Möst, Simone Young, Donald Runnicles, Giuseppe Sinopoli, Semyon Bychkov und Christian Thielemann brillierte er unter anderem als Florestan, Tannhäuser, Lohengrin, Stolzing oder Kaiser in Die Frau ohne Schatten. Der Wiener Kammersänger überzeugt als dramatischer Tenor im deutschen wie im italienischen Repertoire. Seine Phrasierungskunst bestach durch eine Leichtigkeit, die ansonsten eher im Belcanto-Fach anzutreffen ist. CK

Giuseppe Verdi: „Un Ballo in ­Maschera“, ­Bayerisches Staats­ orchester, Zubin Mehta (CMajor)

„Johan Botha – Beethoven, Wagner, Strauss“, Orchester der ­Wiener Staatsoper (Orfeo)

SOLO

Sebastian Knauer

Großer Vater, große Söhne Der Apfel fällt bekanntlich nicht weit vom Stamm, und so gleicht die Einarbeitung in die Werke der großen Musikerfamilie Bach einer faszinierenden Entdeckungsreise rund um den bekannten Meisterkomponisten des Barock. Auf seinem neuen Album „Bach and Sons 2“ widmet sich der Pianist Sebastian Knauer ebenso vertrauten wie äußerst selten zu Gehör gebrachten Werken der BachFamilie. Darunter sind neben den Konzerten BWV 1055 und BW 1056 sowie dem Tripelkonzert von J. S. Bach selbst (bei dem als Solisten neben Knauer Daniel Hope und Philipp Jundt musizieren) auch Werke seiner Söhne zu erleben, darunter ein Konzert von Carl ­Philipp Emanuel Bach und eines von Johann Christian Bach. Im lebendigen Zusammenspiel mit dem Zürcher Kammerorchester lotet Knauer diese Stücke mit filigraner Anschlagstechnik und kraftvoller Dynamik aus. Alles Verstaubte fällt ab und Vater und Söhne werden faszinierend zum Leben erweckt. DW

Bach: „Bach & Sons 2“, ­Sebastian Knauer, Zürcher Kammerorchester (Berlin Classics)

TERTIANUM PREMIUM RESIDENCES

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Die Tertianum Premium Residences bieten Premium-Wohnen für ein selbstbestimmtes Leben. Innerstädtisch gelegen und umgeben von den besten Adressen der Stadt. Exzellenter Service und First Class-Pflege ergänzen die großzügigen Wohnungen in Berlin, München und Konstanz. Und bilden damit den Rahmen für ein komfortables Leben im urbanen Umfeld.


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IMPRESSUM VERLAG Port Media GmbH, Rindermarkt 6, 80331 München Telefon: +49-(0)89-74 15 09-0, Fax: -11 info@crescendo.de, www.crescendo.de Port Media ist Mitglied im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger und im AKS Arbeitskreis Kultursponsoring

HERAUSGEBER Winfried Hanuschik | hanuschik@crescendo.de

VERLAGSLEITUNG Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de

ART DIRECTOR Stefan Steitz

REDAKTION F OTO: S A R A H W I J ZE N B E E K

Dr. Maria Goeth (MG)

REDAKTION „ERLEBEN“ Ruth Renée Reif

SCHLUSSREDAKTION Maike Zürcher

KOLUMNISTEN John Axelrod, Axel Brüggemann, Attila Csampai (AC), Daniel Hope, Christoph Schlüren (CS), Stefan Sell (SELL)

MITARBEITER DIESER AUSGABE Roland H. Dippel (DIP), Ralf Dombrowski (RD), Malve Gradinger (GRA), Ute Elena Hamm (UH), Julia Hartel (JH), Sina Kleinedler (SK), Benedikt Kobel, Corina Kolbe (CK), Carmen Kovacs (KOV) Guido Krawinkel (GK), Jens Laurson (JL), Anna Mareis (AM), Angelika Rahm (AR), Teresa Pieschacón Raphael (TPR), Antoinette Schmelter-Kaiser (ASK), Meike Katrin Stein (MKS), Uta Swora (US), Dorothea Walchshäusl (DW)

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AUFTRAGSMANAGEMENT Michaela Bendomir | bendomir@portmedia.de

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DAS NÄCHSTE CRESCENDO ERSCHEINT AM 8. SEPTEMBER.

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Berlage Saxophone Quartet

Mitten ins Herz

KAMMERMUSIK

Wer könnte da widerstehen: Sie singen und schwingen, sie verführen geradezu – die Damen und Herren vom Berlage Saxophone Quartet. Wäre es nicht zu kitschig, müsste man sagen, sie spielen berührend schön. Mal wehmütig, mal verspielt, mal forsch; klanglich schöpfen sie aus dem Vollen, emotional wie auch instrumental. Denn die vier beweisen eindrucksvoll, wie wandlungsfähig das Saxofon ist. Man meint, ganz andere Instrumente zu hören: eine Orgel, eine Klarinette, eine Oboe oder ein ganzes Streichquartett. Bearbeitungen von Weill, Schostakowitsch, Pärt, Schulhoff und Eisler stehen auf dem Programm. Alle Komponisten lebten und arbeiteten im 20. Jahrhundert unter schwierigen politischen Umständen: „In Search of Freedom“, auf der Suche nach Freiheit, so wie die Künstler ihr Album benannt haben. Eigentlich ein unnötiges Motto, denn frei klingt die Musik schon – in jeder Hinsicht. UH

Eisler, Weill, Pärt u. a.: „In Search of Freedom“, Berlage Saxophone Quartet (MDG) Yo-Yo Ma, Chris Thile, Edgar Meyer

Das glänzt und funkelt Kaum hat man auf Play gedrückt, wird man schon mitgerissen: Yo-Yo Ma, Chris Thile und Edgar Meyer starten mit ähnlich viel Schwung in ihr neues Album mit Bach-Trios wie in ihr gemeinsames Album „The Goat Rodeo Sessions“ von 2011. Ursprünglich für Tasteninstrumente konzipierte Werke und eine Sonate für Viola da gamba von J. S. Bach haben sich die drei diesmal vorgenommen – und tatsächlich erschließen sich die Kompositionen in dieser ungewohnten Besetzung von Cello, Mandoline und Kontrabass völlig neu. Schon die Triosonate Nr. 6 in G-Dur BWV 530, die man als Orgelwerk im Ohr hat, funkelt wie frisch poliert. Das mag zum einen an der Klangfarbe der Mandoline liegen, die leichtfüßig durch das kontrapunktische Geflecht zu tanzen scheint; zum anderen verstehen sich Ma, Thile und Meyer aber auch hervorragend auf eine differenzierte Ausgestaltung ihrer Stimmen und ein überaus transparentes Zusammenspiel. JH

„Bach Trios“, Yo-Yo Ma, Chris Thile, Edgar Meyer (Warner)

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Christian Gerhaher und Gerold Huber

LIED

Märchenhaft

Drei Großmeister ihres Fachs, ein Schriftsteller, ein Sänger und ein Pianist, erzählen ein romantisches Märchen: die Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter von Provence. 1797 schrieb Ludwig Tieck diese Novelle und schmückte deren 18 Kapitel jeweils mit einem, meist von Peter gesungenen, Lied. 15 davon vertonte Johannes Brahms in seinem einzigen Liederzyklus. Um diese Magelone-Lieder inhaltlich zu verstehen, sind verbindende Texte wichtig, die originalen klingen aber in heutigen Ohren antiquiert. Für ein Konzert von Christian Gerhaher und Gerold Huber überarbeitete und straffte Martin Walser die Tieck-Fassung. Damals wie in dieser Aufnahme übernahm er auch die Rolle des Sprechers – mit sanft ironisierendem, wissendem Ton ergänzte Walser auf das Schönste die lyrische, temperamentvolle, innige oder dramatische musikalische Erzählkunst von Gerhaher und Huber zu einem Hörbuch der Extraklasse. AR

13. August 2017

Peer Gynt Ein norwegischer Mythos Christiane Karg (Sopran) Achim Conrad (Rezitation) Gerold Huber (Klavier) mit dem Ensemble der Kreuzgangspiele

Johannes Brahms: „Die schöne Magelone“, Christian Gerhaher, Gerold Huber, Martin Walser (Sony) Mstislav Rostropovich

Den 90. Geburtstag des 2007 verstorbenen russischen Star-Cellisten ­Mstislaw Rostropowtisch feiert Warner mit einem 1977 in London produzierten, rein analogen Doppelalbum: Das späte Cellokonzert Dvořáks, für viele in seiner dunklen Leidenschaft das Gipfelwerk der Gattung, zählte auch zu „Slavas“ Favoriten. Allein auf Schallplatten gibt es von ihm mindestens sieben Versionen, und vielleicht ist die vorletzte Einspielung des 50-jährigen UdSSR-Emigranten unter Carlo Maria Giulini die tiefgründigste. Sein ungemein sinnliches, lyrisch-strömendes, riesige Legato-Bögen ziehendes Cellospiel fand in dem von Melancholie und Wehmut durchwirkten Konzert des tschechischen Spätromantikers geradezu eine ideale Vorlage, um seine eigene extreme Ausdruckskraft aufglühen zu lassen und es in einen schmerzlich-schönen Hymnus der Menschlichkeit zu verwandeln. Nach dieser schweren Kost wirkt das erste Cellokonzert von Saint-Saëns fast wie ein leichtes französisches Dessert und zeigt Rostropowitsch von seiner virtuosen Seite. AC

Antonín Dvořák, Camille Saint-Saëns: „Cello Concertos“, Mstislav ­Rostropovich, London Philharmonic O­ rchestra (Warner) Friedrich Gulda

Unkeusch Erlesene Gourmetkost nicht nur für Klavierfans offeriert das BR KlassikLabel mit Friedrich Gulda, der über pianistische Vollendung hinaus mit unorthodoxem Einfallsreichtum und stilistischer Unbegrenztheit bezaubert. Eingerahmt wird das Programm von den zwei Konzertrondos Mozarts KV 382 und 386, aufgenommen 1969 live mit dem BR Symphonieorchester unter Leopold Hager und sehr wienerisch unkeusch dargeboten. Dazwischen gibt es 37 Minuten aus einem Konzert von 1986, das sich Gulda mit Chick Corea teilte. Wir hören hier aber nur Guldas SoloSession, in welcher Mozarts Sonate KV 330 in wundersamer Weise zwischen einer grummelnd-verspielt hinführenden Improvisation und hemmungslos galant mit der Musikgeschichte jonglierenden eigenen Stücken eingebettet ist. Und das ist ein so verführerisches wie berührendes Vergnügen und zugleich eine exemplarische Einführung in den schrankenlosen Kosmos des Wiener Meisters. CS

SOLO

www.kunstklang-feuchtwangen.de Kartentelefon 09852 904 44

47.

Foto: Gisela Schenker

Das neue Programm der KunstKlang-Saison 2017 / 2018 erscheint im Juni 2017.

Hymnus der Menschlichkeit

Merseburger Orgeltage

VINYL

Merseburger Orgeltage 16. bis 24. September 2017 Die Macht der Musik Musica sacra über den Konfessionen

Geistliche Musik von der Gregorianik bis zur Moderne in den Großen Abendkonzerten, Orgelabenden, Meditationen im Hohen Chor, Kammermusiken, Morgenandachten und Gottesdiensten Große Oratorien bezeugen die „Macht der Musik“ Johann Sebastian Bach – Hohe Messe in h-Moll Georg Friedrich Händel – Das Alexanderfest Ludwig van Beethoven – Missa solemnis Felix Mendelssohn Bartholdy – Paulus International renommierte Organisten, internationale Solisten und Ensembles musizieren, u. a.: Jalda Rebling und Ensemble, Thomanerchor Leipzig Rheinische Kantorei, Das Kleine Konzert, Calmus Ensemble Capella de la Torre, Bell'Arte Salzburg Philharmonischer Chor Berlin, Stadtsingechor Halle Collegium Vocale Leipzig, Merseburger Hofmusik Staatskapelle Halle, Domkantorei Merseburg Freundeskreis Musik und Denkmalpflege in Kirchen des Merseburger Landes e.V. Musikalische Intendanz: Gewandhausorganist Michael Schönheit Das genaue Programm im Netz unter www.merseburger-orgeltage.de Kartenvorverkauf ab 1. März 2017 über AD-Ticket und im Netz

Friedrich Gulda: „Gulda plays Mozart & Gulda“ (BR Klassik) Als neuer Abonnent erhalten Sie diese CD (siehe S. 48)

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H Ö R E N & S E H E N

JAZZ Tomasz Stanko

Zartes im Sinn In diesem Sommer feiert der polnische Jazz-Trompeter Tomasz Stanko seinen 75. Geburtstag. Je älter er wird, desto konziser wirkt seine Formensprache. Er war noch nie einer, der schnelle Läufe braucht, um intensiv zu klingen, obwohl er im ästhetischen Bedarfsfall auch virtuos phrasieren kann. Inzwischen konzentriert sich seine musikalische Kraft noch mehr auf die Klarheit gebundener Melodien, auf einzelne kunstvoll modulierte Töne und das Zusammenwirken mit anderen empathischen Musikern. „December Avenue“ ist das zweite Album seines New York Quartets, mit Reuben Rodgers am Bass, dem Pianisten David Virelles und Schlagzeuger Gerald Cleaver. Aufgenommen im südfranzösischen La Buissonne bei Orange pendelt die Musik zwischen den für Stanko typischen Elegien, dem punktuellen Aufbranden von kollektiver Energie und dem zarten Umgarnen des melodisch Wesentlichen. RD

Tomasz Stanko: „December Avenue“ (ECM)

Renaud García-Fons

Stadt der Träume T YSZ KO F OT O: A N D R ZEJ

Singer Pur

GESANG

Sagenhaft gut

Ein Vierteljahrhundert auf der Bühne. Zur Feier dieses Jubiläums hat das A-cappellaEnsemble Singer Pur seine stattliche Diskografie erneut um ein Album erweitert. „Sagenhaft!“, lautet dessen mehrfach deutbares Motto. Legenden, Märchen und andere Geschichten sind nämlich das Thema der CD; sagenhaft – sagenhaft gut nämlich – werden deren Vertonungen aber auch vorgetragen. Das Erfolgsrezept unterhaltsam plus tiefgründig plus musikalisch perfekt geht wie immer voll auf: Der Hörer schmunzelt bei Wolf Kerscheks Hänsel und Gretel, verfällt ins Mitschnipsen bei Bad, bad Leroy Brown (Jim Croce) und fühlt seine Augen brennen bei Queste non son più lacrime von Giaches de Wert. Außerdem sitzt bei Claudia Reinhard, Rüdiger Ballhorn, Markus Zapp, Manuel Warwitz, Reiner Schneider-Waterberg und Marcus Schmidl jeder Ton, auch bei intonatorischen Unsäglichkeiten wie Ligetis Cuckoo in the PearTree. JH

Es gibt schlicht keinen anderen Bassisten in der improvisierenden Musikwelt, der ähnlich perfekt sein Instrument beherrscht wie Renaud García-Fons, gestrichen wie gezupft. Ein gutes Jahrzehnt lang drehte er sich inhaltlich im Kreis, beschäftigt mit der Symbiose von orientalischen und südfranzösischen Motivsphären. Inzwischen ist sie vollzogen, und er kann sich mit „La vie devant soi“ vor seiner Heimatstadt Paris verbeugen. Hier kommt ein wenig Musette und Chansonhaftes zum Einsatz, eingebettet jedoch in einen weit gefassten thematischen Rahmen, der von Montmartre bis zur Metro reicht und geschickt die Klischees abstrahiert. An seiner Seite spielen der Akkordeonist David Venitucci und der Schlagwerker Stephan Caracci, komplementär ornamentierend, Impulse gebend und ebenfalls virtuos improvisierend. So entsteht fein folkloristisch getönte Musik voll ausgereifter Poesie. RD

Singer Pur: „Sagenhaft! 25 Jahre Singer Pur“ (Oehms)

Renaud García-Fons: „La Vie Devant Soi“ (E-Motive)

Händels Heldinnen Während Sonya Yoncheva in dieser Spielzeit als Bellinis Norma, Verdis Violetta und Tschaikowskys ­Tatiana auf den Opernbühnen der Welt steht, widmet sie sich in ihrem neuen Album überraschenderweise dem Barock. „Ich singe sie mit meiner Stimme und meiner Persönlichkeit“, sagt die Sopranistin von Händels historischen und mythologischen Protagonistinnen aus barocken Opern und Oratorien. In getragenen Tempi haucht sie den Frauen auf ihren Wegen zur Selbstbeherrschung und Standhaftigkeit Leben ein. Eine Stimme, die mit Wärme, Kraft, Sinnlichkeit und Feingefühl aufblüht und betört. Begleitet wird die ECHO Klassik-Gewinnerin von dem Ensemble Acadamia Montis Regalis unter Alessandro De Mondi, das sich zuweilen etwas zu zurückhaltend unterordnet. Im Gegensatz dazu stehen die beiden Duette mit der Mezzosopranistin Karine Deshayes aus Rodelinda und Theodora, in denen sich beide Stimmen wundervoll gleichberechtigt bewegen und die Geschichten der Frauen erzählen, die Händel so verehrt hat. AM

F OTO: F E R N A N DO P I N H E I RO

Sonya Yoncheva

Sonya Yoncheva: „Händel“ (Sony) 24

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Herbert Blomstedt

Klaviertrio Gesang Bläserquintett Oboe Trompete Klavier Schlagzeug Viola Klarinette Flöte Violoncello Fagott Posaune Harfe Klavierduo Horn Streichquartett Violine Kontrabass Orgel Gitarre

BUCH

Mission Musik

Herbert Blomstedt: „Mission Musik. Gespräche mit Julia Spinola“ (Henschel Bärenreiter) Ralph Bollmann

Was für eine Vielfalt! Haben Sie schon einmal Fidelio in Neustrelitz gesehen oder Hoffmanns Erzählungen in Annaberg-Buchholz? 1997 hat sich der Journalist Ralph Bollmann auf eine außergewöhnliche Mission begeben: Er wollte alle Opernhäuser Deutschlands, die ein eigenes Ensemble haben, besuchen. 13 Jahre hat er dafür gebraucht und dabei ein verblüffendes Spektrum an Eindrücken gesammelt. Gerade in der Provinz fand er oft erstaunlichen Enthusiasmus und künstlerischen Mut. Sympathisch, wohlwollend, klug, unterhaltsam und gut gelaunt erzählt er von seinen Erlebnissen und schafft damit ganz nebenbei auch einen einzigartigen musikalischen Reiseführer quer durch Deutschland. „Walküre in Detmold“, das nun endlich auch als Taschenbuch vorliegt, ist eine Liebeserklärung an all die Veranstaltungshäuser, die mit weltweit einzigartiger Fülle ihr Publikum mit Oper und Schauspiel, Konzert und Tanz versorgen! Es ist eine Liebeserklärung an die deutsche Kulturlandschaft selbst! MG

66. Internationaler Musikwettbewerb der ARD München 2017 28. August bis 15. September 2017

Unterstützen Sie die Kandidaten mit Ihrem Applaus und Ihrer Stimme. In jedem Finale wird ein Publikumspreis vergeben.

www.ard-musikwettbewerb.de

In diesem Juli feiert der weltbekannte Dirigent Herbert Blomstedt seinen 90. Geburtstag. Die Musikjournalistin Julia Spinola hat ihn an Orte in Europa begleitet, die eng mit seiner beruflichen und privaten Vita verbunden sind. Aus vielen Interviews ist ein lesenswertes Buch entstanden, das Einblicke in das Leben eines außergewöhnlichen Künstlers gibt. Deutschland nimmt in seiner Biografie eine zentrale Stellung ein. In den USA geboren und in Schweden und Finnland aufgewachsen, leitete der Sohn eines adventistischen Pastors und einer Pianistin in den 1970erund 1980er-Jahren als Chefdirigent die Dresdner Staatskapelle. Auch das Musikleben in Leipzig hat er als Gewandhauskapell­ meister über Jahre geprägt. Ein strenges Arbeitsethos und größter Respekt vor dem Werk der Komponisten haben Blomstedts menschliche und künstlerische Entwicklung bestimmt. „Selbstzweifel begleiten mich immer“, bekennt er. „Selbstzweifel sind gut. Das Umgekehrte, ein Zuviel an Sicherheit, ist tödlich in der Kunst.“ CK

Ralph Bollmann: „Walküre in Detmold“ (Klett-Cotta)

András Schiff

Diener der Musik András Schiff hat zusammen mit dem Schweizer Feuilletonisten Martin Meyer in „Musik kommt aus der Stille“ biografische Gespräche und Essays veröffentlicht. Im Gespräch mit Martin Meyer gibt er Einblick in sein Leben als einer der größten Pianisten unserer Zeit, erläutert seine künstlerischen Grundanschauungen und Spieltechniken, führt durch die zentrale Klavierliteratur und ihre Interpretationen und schildert lebendig Begegnungen mit großen Musikerpersönlichkeiten. Der Essay „Humor ist kein Spaß“ fügt sich perfekt in das Schwerpunktthema dieser ­crescendo-Ausgabe. Am Beispiel Joseph Haydn führt er komische Elemente in der Musik vor: Konfrontation von Erwartungen und Überraschung, ungewöhnliche Klangeffekte und das Spiel mit Stille und Zeit. AM

András Schiff: „Musik kommt aus der Stille. Gespräche mit Martin Meyer. Essays“ (Henschel Verlag)

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R Ä T S E L & K O M M E N T A R E

GEW I N NSPI EL Wer verbirgt sich hinter diesem Text?

HEISSE ONLINE -K Ä MPFE

F OTO: P R I VAT

crescendo freut sich über die lebhaften Diskussionen, die auf unserer Facebook-Seite entbrennen. Zuletzt hatte Moritz Eggerts Artikel Opernhäuser – die schwarze Liste der ewig Gestrigen aufgewühlt. Darin ging es um den Mangel an zeitgenössischen Werken im Opernspielplan.

Wer hätte gedacht, dass ich, der Sohn einer armen Bäckersfamilie, einmal Friedensbotschafter werde oder ein Tag im Jahr nach mir benannt wird? Sicher kein Mensch. Mein Talent, das übrigens auch schon in meinem Vater geschlummert hat, führte aber nicht auf direktem Weg zum Erfolg. Ich begann mein Berufsleben als einfacher Lehrer und wechselte erst später mein Fach. Niemand kann sich heute vorstellen, dass ich damals ernsthafte Geldprobleme hatte und mir mein Studium als Versicherungsvertreter finanziert habe. Später war Geld nie ein großes Problem – na ja, abgesehen von meinen umgerechnet 12,5 Millionen Euro Steuerschulden. Meine Karriere blühte schnell auf, ich füllte Opernsäle, Konzertsäle, später sogar ganze Arenen. Ich wurde der Superstar der klassischen Musik, obwohl ich keine Noten lesen konnte. Meine Fans hoben mich in höchste Höhen, reisten mir auf meinen Tourneen durch die ganze Welt hinterher und überschütteten mich in Berlin mit vollen 67 Minuten Applaus. Leider gab es aber auch kritische Stimmen, die meine Gagen und eine angebliche Banalisierung meines Repertoires bemängelten. Aber über die kann ich hinwegsehen, denn meine Bewunderer feiern mich auch noch weit nach meinem Tod. Über die Köpfe meiner 100.000 Beerdigungsbesucher flogen zehn Kampfjets, erwiesen mir die letzte Ehre und zeichneten die Flagge meines geliebten Vaterlandes in den Herbsthimmel. Ma il mio mistero è chiuso in me, il nome mio nessun saprà! ■

RÄTSEL LÖSEN UND KARAJAN GEWINNEN! Wer ist hier gesucht? Wenn ­S ie die Antwort kennen, dann schreiben Sie Ihre Lösung unter dem Stichwort „AlltagsRätsel“ an die crescendo-­Redaktion, Rindermarkt 6, 80331 ­M ünchen oder per E-Mail an ­gewinnspiel@crescendo.de. Unter den richtigen ­Einsendungen verlosen­wir die CD-Box „Karajan – The Sacred & Choral Recordings“ (Deutsche Grammophon). ­Einsendeschluss ist der 01.08.2017. Die Gewinnerin unseres letzten Alltagsrätsels ist Julia Wenzel aus Berlin. Die Lösung war „Alle meine Entchen“.

R ICHTIG STELLU NG In der vergangenen Ausgabe ist uns bei der Rezension des Albums Antonin Dvořák: „Symphony No. 9, From the New World“ mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester und Krzysztof Urbański (Alpha) leider ein Fehler unterlaufen: Selbstverständlich handelt es sich beim Verzicht auf die Wiederholung im dritten Satz nicht um einen Schnittfehler, sondern eine bei intensiver Beschäftigung mit der Originalpartitur gemachte Entdeckung und Entscheidung. Wir bitten um Entschuldigung! 26

Die folgenden Kommentare wurden im Original und ohne Rechtschreibkorrektur übernommen.

Alexander H. So ein schwachsinniger Artikel. Die Genies der Oper haben damals gelebt. Heute leben andere Genies. Wer noch nicht verstanden hat, was Oper von damals heute noch immer bewegen kann, sollte sich ein anderes Interessengebiet aussuchen. Gefällt mir · Antworten · Nachricht senden · 13. März um 08:19

Matthias K. Wenn Zeitgenossen tatsächlich einmal singbares schreiben würden, wäre das vielleicht anders !? Stattdessen ­heisst es vor allem „je höher desto lieber“ und vor allem rhythmisch muss es sein. Gefällt mir · Antworten · Nachricht senden · 13. März um 09:02

Amandus R. Dazu fällt mir nur ein Lied von Reinhard Mey ein: zwei Hühner auf dem Weg nach vorgestern. Ein Theater ist nicht nur ein „Kulturbetrieb“ sondern muss auch Einnahmen erwirtschaften können. Und mit „pseudo-elitären“ moderneren „Opern“ ist dies nur schwer möglich... Gefällt mir · Antworten · Nachricht senden · 13. März um 09:49

Silke B. Wenn es eine attraktive Auswahl an zeitgenössischen Opern gäbe, würden die sicher auch gespielt. Immerhin sind die Inszenierungen heutzutage durchaus modern. Gefällt mir · Antworten · Nachricht senden · 13. März um 10:00

Jürgen S. Bislang ist Zeitgenössisches leider oft eher Ohrenterror. Da bin ich lieber Musikspießer. Gefällt mir · Antworten · Nachricht senden · 13. März um 10:30

Schwerpunkt „Spielplan“ in cresendo-Ausgabe 05/2017 In der kommenden Ausgabe von crescendo wollen wir diese ­Diskussion sehr gerne noch einmal aufgreifen und haben Moritz Eggert gebeten, sich für uns in den Spielplänen für die kommende Saison 2017/18 umzusehen. Wir sind sehr gespannt auf das Ergebnis! Ergänzt wird das durch weitere Einblicke in das Thema Spielplangestaltung aus unterschiedlichen Perspektiven.

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Juni – Juli – Augus t 2017


ERLEBEN Die wichtigsten Termine und Veranstaltungen im Juni, Juli und August im Überblick (ab Seite 28). Schostakowitsch Tage Gohrisch (Seite 32) | Klavierfest Eppstein Rhein Main (Seite 34)

13. August, Berlin

MUSIK VERBINDET WELTEN und anderen Staaten des Nahen Ostens ins Leben gerufen. In diesem Sommer ist es zu Gast in Berlin. Mit Daniel Barenboim am Pult erklingen auf der Waldbühne Dmitri Schostakowitschs Erstes Klavierkonzert und die Fünfte Sinfonie von Peter I. Tschaikowsky. Solistin ist Martha Argerich, die 2015 zum Ehrenmitglied des Orchesters ernannt ­wur­­de. Berlin, Waldbühne, www.waldbuehne-berlin.de

F OTO: K A I H E I M B E RG

Als „Zeugnis für die Macht der Musik, Barrieren abzubauen und Brücken zwischen Gemeinschaften zu bauen“, bezeichnete UNGeneralsekretär Ban Ki-moon das WestEastern Divan Orchestra 2016 bei seiner Ernennung zum „United Nations Global Advocate for Cultural Understanding“. 1999 hatten Daniel Barenboim und Edward Said das Orchester mit jungen Musikern aus Israel, Palästina, Syrien, Ägypten, dem Iran

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E R L E B E N

Juni / Juli / August 2017

DIE WICHTIGSTEN VERANSTALTUNGEN AUF EINEN BLICK Ihr persönlicher Navigator für Premieren, Konzerte und Festivals

02.06. OSNABRÜCK THEATER Sweat of the Sun / D. Fennessy 02.06. ULM THEATER Aida / W. A. Mozart 03.06. DESSAU THEATER Samson et Dalila / C. Saint-Saëns 03.06. ESSEN AALTO MUSIKTHEATER La clemenza di Tito / W. A. Mozart 03.06. HANNOVER STAATSTHEATER Der Liebestrank / G. Donizetti 03.06. KASSEL STAATSTHEATER Antigona / T. Traetta 03.06. TRIER THEATER Idomeneo / W. A. Mozart 04.06. SAARBRÜCKEN STAATS­ THEATER Tannhäuser / R. Wagner 05.06. MAINZ STAATSTHEATER Tamáss / A. Dalferth 09.06. LÜBECK THEATER Der fliegende Holländer / R. Wagner 10.06. BASEL (CH) THEATER Alcina / G. F. Händel 10.06. KARLSRUHE STAATSTHEATER Siegfried / R. Wagner 10.06. MÖNCHENGLADBACH ­T HEATER Der Konsul / G. C. Menotti 10.06. WUPPERTAL OPER Der Barbier von Bagdad / P. Cornelius 10.06. COBURG LANDESTHEATER 1984 / T. Yamamoto, M. Straub 11.06. KÖLN OPER Fidelio / L. v. Beethoven 16.06. MEININGEN STAATSTHEATER Evita / A. L. Webber 17.06. BERLIN DEUTSCHE OPER Boris Godunow / M. Mussorgsky 17.06. HOF THEATER Macbeth / G. Verdi 17.06. LEIPZIG OPER Salome / R. Strauss 17.06. LÜNEBURG THEATER Hänsel und Gretel / E. Humperdinck 17.06. GRAZ (AT) OPER Das Telephon / G.-C. Menotti 17.06. INNSBRUCK (AT) LANDES­ THEATER Capriccio / R. Strauss 18.06. BERLIN KOMISCHE OPER Zoroastre / J.-P. Rameau 18.06. KAISERSLAUTERN PFALZ­ THEATER The Raven / T. Hosokawa 18.06. WIEN (AT) STAATSOPER Pelléas et Mélisande / C. Debussy 18.06. ZÜRICH (CH) OPERNHAUS

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5. Juli, Kiel, Schleswig-Holstein Musik Festival

EINE BESSERE ZUKUNFT DER MENSCHHEIT

F OTO: M AT H E N N E K / DG

PREMIEREN

„Wir sind alle Wasser. Leben kann ohne Wasser nicht existieren. Wasser ist die Komponistin der Natur“, sagt die Pianistin Hélène Grimaud. Bei ihrem Auftritt auf dem Schleswig-Holstein Musik Festival lädt sie ihr Publikum ein zu einer musikalischen Meditation zum Thema Wasser. Sie beginnt mit dem Wasserklavier, das Luciano Berio aus Motiven von Brahms und Schubert komponierte, sowie dem Erinnerungsstück an Olivier Messiaen Rain Tree Sketch von Tōru Takemitsu. Und in einem fließenden musikalischen Strom setzt sie sich fort in impressionistischen Klanggemälden wie Ravels Jeux d’eau und Debussys La cathédrale engloutie, um schließlich mit Brahms zweiter Sonate auszuklingen. Hélène Grimaud gehört zu den Künstlern, die überzeugt sind, dass Musik den Glauben an eine bessere Zukunft der Menschheit in sich trage und eine Botschaft zu vermitteln habe. „Der Künstler legt Zeugnis ab von der Macht der Schönheit“, betont sie. Gemeint ist damit nichts Äußerliches. Was Grimaud unter Schönheit versteht, ist „die Erleuchtung, die uns die Dinge sehen lässt, nicht nur, wie sie sind, sondern, wie sie sein könnten“. In diesem Sinne übe der Künstler seine Wirkung auf die Menschen aus: „Er wirft sie zurück auf das, was sie sein könnten. Darin liegt eine starke Motivation und zugleich eine große Hoffnung.“ Schleswig-Holstein Musik Festival Kiel, Schloss, www.shmf.de

Das Land des Lächelns / F. Lehár 21.06. FRANKFURT OPERNHAUS Betulia Liberata / W. A. Mozart 22.06. MÖNCHENGLADBACH ­T HEATER Sinfonie des Lebens / R. North 23.06. DÜSSELDORF OPERNHAUS Das Rheingold / R. Wagner 23.06. NÜRNBERG STAATSTHEATER Made for us II / J. Verbruggen, J. Bubeníček 23.06. ST. GALLEN (CH) THEATER Loreley / A. Catalani 24.06. BERLIN STAATSOPER Die Perlenfischer / G. Bizet 24.06. COTTBUS STAATSTHEATER Wozzeck / A. Berg 24.06. DRESDEN SEMPEROPER Die Passagierin / M. Weinberg 24.06. MÜNCHEN GÄRTNERPLATZTHEATER Don Giovanni / W. A. Mozart 24.06. NÜRNBERG STAATSTHEATER Attila / G. Verdi 25.06. REGENSBURG THEATER Un ballo in maschera / G. Verdi 26.06. MÜNCHEN STAATSOPER Greek / M.-A. Turnage 28.06. MÜNCHEN STAATSOPER Catarsi – Prozessoer IV / AGORA 28.06. ST. GALLEN (CH) THEATER Kranzrede / J. Weinöhl 01.07. AACHEN THEATER La fedeltà premiata / J. Haydn 01.07. KOBLENZ THEATER Carmen / G. Bizet 01.07. MANNHEIM NATIONAL­ THEATER Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny / K. Weill 01.07. MÜNCHEN STAATSOPER Die Gezeichneten / F. Schreker 02.07. HAMBURG BALLETT Anna Karenina / J. Neumeier 07.07. HAMBURG STAATSOPER immer weiter / J. Broekman 15.07. REGENSBURG THEATER Der fliegende Holländer / R. Wagner 21.07. MÜNCHEN STAATSOPER Oberon, König der Elfen / C. M. v. Weber 22.07. FREIBURG THEATER Das Wunder der Heliane / E. W. Korngold 24.07. LEIPZIG OPER Candide / L. Bernstein 10.08. ERFURT THEATER Der Troubadour / G. Verdi 02.09. LEIPZIG OPER Au Revoir, Euridice / K. Spiewok

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Juni – Juli – Augus t 2017


Tiroler Festspiele Erl Sommer

2. Juli bis 29. September

HAMBURG ANNA KARENINA John Neumeier ist ein Phänomen. Seit vier Jahrzehnten leitet er das Hamburg Ballett und führte es zu Weltruhm. „Tanz ist mein Leben“, lautet sein schlichtes Credo. Für seine neue Produktion hat er sich Leo Tolstois Anna Karenina vorgenommen. Man darf gespannt sein, wie er die Stationen dieses „von Unruhe, Täuschungen, Kummer und Übel“ erfüllten Lebens, die zwischen der ersten schicksalhaften Begegnung in einem Moskauer Bahnhof und der Verzweiflungstat des Selbstmords unter den Rädern eines Eisenbahnwaggons liegen, in Tanz überträgt. Maja Plissezkaja, die Primaballerina des Bolschoi, choreografierte den Roman bereits 1972. Ihr Ehemann Rodion Schtschedrin schrieb damals die Musik dazu. Neumeier, der nun abermals mit dem Bolschoi-Ballett sowie dem National Ballet of Canada zusammenarbeitet, nimmt Musik von Peter I. Tschaikowsky und Alfred Schnittke. Hamburger Staatsoper, ­w ww.hamburgballett.de

21. bis 23. Juli

AUGSBURG KONZERTE IM FRONHOF Mit den Konzerten in der spätbarocken Residenz bildet Augsburg eine Kulturachse zur Mozartstadt Prag. In der Orchestergala zur Eröffnung spielt Maximilian Hornung das berühmte Cellokonzert von Antonín Dvořák. Begleitet wird er vom Orchester SUK-Symphony Prag unter Wilhelm F. Walz, dem künstlerischen Leiter des Festivals. Solistin bei Dvořáks ­Violinkonzert ist Maia Cabeza, die 2013 den ersten Preis des Leopold-Mozart-Violinwettbewerbs gewann. Dazwischen liegt ein Wochenende voller Musik. „Don Giovanni und mehr …“ bringt Highlights aus der Oper. Das Klaviertrio von Verena Metzger, Philipp Wollheim und ­Raphael Paratore lädt zum Kammerkonzert. Und der Vibrafonist ­Wolfgang Lackerschmid feiert mit vielen musikalischen Gästen seinen 60. Geburtstag. Augsburg, Fronhof, www.konzerte-im-fronhof.de

20. bis 24. Juli

BERLIN CLASSIC OPEN AIR-FESTIVAL Lucia Alberti ist die Primadonna des Belcanto. In allen großen Opernhäusern der Welt stand die aus Sizilien stammende Sopranistin auf der Bühne. Doch sei Deutschland, so ist sie überzeugt, für eine Opernsängerin der schönste Ort zum Singen. In Berlin an der Deutschen Oper avancierte sie zum Publikumsliebling. Auf dem Gendarmenmarkt im Herzen Berlins präsentiert sie italienische Opernklassiker und stellt mit dem Tenor Pavel Kolgatin von der Wiener Staatsoper junge Preisträger aus Musikwettbewerben vor. Musikalisch unterstützt wird sie dabei von der Norddeutschen Philharmonie Rostock. Berlin, Gendarmenmarkt, www.classicopenair.de

29. Juli bis 6. August

HITZACKER SOMMERLICHE MUSIKTAGE Musikalische Quellen wie Schallplattenspieler oder Radiogeräte gehören seit jeher zu den Ins­ trumenten von Rebecca Saunders. Bereits in den 90er-Jahren entstand eine Reihe von Werken wie „Molly’s Song“ oder „cinnabar“, die Spieluhren zur Schaffung von „sound faces“ einbezogen. In der Folge trat auch der Raum als Instrument hinzu, und Rebecca Saunders komponierte mehrere Stücke für spezielle Plätze. 2015 schuf sie mit dem Landschaftsarchitekten Martin Rein-Cano für die Architekturbiennale im chinesischen Shenzhen die Klanginstallation „Myriad“. Myriaden industriell gefertigter chinesischer

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7. bis 30. Juli 2017

WILDER KAISER STATT

GRÜNER HÜGEL Gustav Kuhns Wagner in Erl

LOHENGRIN 8./29. Juli 2017 DER RING DES NIBELUNGEN 13. bis 16. Juli 2017 München-Erl: 75 km • Salzburg-Erl: 95 km Innsbruck-Erl: 85 km Karten und Infos: T 0043 5373 81000 20 karten@tiroler-festspiele.at www.tiroler-festspiele.at

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Foto: Xiomara Bender

F OTO S : K I R A N W ES T; M AT TH I A S B AU S ; G I S E L A SC H E N K E R ; K A I H E I M B E RG ; M A RCO B O RGG R E V E; A S I A C U LT U R E C E N TE R ; P I E RO TAU RO; G EO RG TH U M ; M AG DA H U EC K E L ; L A R K L I G HT P H OTOG R A P H Y; A N T W E R P E N , KO N I N K L I J K M U S EU M VO O R SC H O N E KU N S TE N ; L A R S G U N D E R S E N ; M A I K E H E L B I G ; W I L F R I E D H Ö S L M ATH I A S B OTH O R / D EU T SC H E G R A M M O P H O N ; M A RC G I L S DO R F ; CO S T U M I

Das Jubiläumsprogramm im 20. Festspielsommer


E R L E B E N

Spieldosen, angeordnet in Zeilen, verteilen sich über eine Wand. Die Musiktage Hitzacker zeigen in Kooperation mit den Schwetzinger Festspielen „Myriad“ nach Stationen in Hongkong und Seoul erstmals in ­Europa. Rebecca Saunders ist Composer in Residence der Musiktage. Angepasst an die Kunsthalle Oktogon baut sie mit Rein-Cano aus zwei Rücken an Rücken stehenden Wänden eine frei stehende Variante ihrer Klanginstallation. Die Festivalbesucher sind eingeladen, die 2.464 Spieldosen in Gang zu setzen und aus 54 verschiedenen Melodien eine kollektive Melodie zu schaffen, die Erinnerungen an die Kindheit weckt, frühe Erfahrungen wachruft und Vertrautheit und Intimität aufkommen lässt. Hitzacker, Kunsthalle Oktogon, 72. Sommerliche Musiktage, www.musiktage-hitzacker.de

22. bis 30. Juni

GARMISCH-PARTENKIRCHEN RICHARD-STRAUSS-FESTIVAL Sie habe alle Kreise ausgeschritten, begründet Brigitte Fassbaender ihren Abschied vom Richard-Strauss-Festival. Seit 2009 leitet sie das Festival. Diesen Sommer findet es zum letzten Mal unter ihrer Ägide statt. Zurückblicken kann sie auf großartige Konzerte und ein begeistertes Publikum. Kritische Worte findet sie jedoch für die Familie Strauss, der das Festival egal zu sein scheine, und für den Freistaat Bayern. Zum Abschluss darf sich der Meister unter dem Motto „Von Held und Welt“ in Selbstdarstellung üben. Die tönende Autobiografie Ein Heldenleben und die Sinfonia domestica, die einen Tag der Strauss’schen ­Familie darstellt, stehen auf dem Programm. Als Interpreten hat Brigitte Fassbaender noch einmal musikalische Freunde eingeladen wie Christiane Karg, Juliane Banse und Angelika Kirchschlager. Auch ihr Nachfolger ist dabei: Alexander Liebreich dirigiert Strauss’ Alpensinfonie. Garmisch-Partenkirchen, verschiedene Spielorte, www.richard-strauss-festival.de

26. Juni bis 28. Juli

MÜNCHEN FESTSPIEL-WERKSTATT DER MÜNCHNER OPERNFESTSPIELE Die Opernfestspiele München haben in diesem Sommer auch etwas für Kinder auf dem Programm. In der Reihe Werkstatt kommt die wundervolle Oper Kannst du pfeifen, Johanna zur Aufführung. Gordon Kampe schrieb sie 2013 nach dem gleichnamigen Kinderbuch des schwedischen Autors UIf Stark aus dem Jahr 1992. Es ist eine Geschichte über Freundschaft, Alter und Tod mit vielen glücklichen Momenten. Berra und Ulf sind Freunde. Aber Berra hätte auch gerne einen Großvater wie Ulf. Im Altersheim finden sie für Berra den pfeifenden Großvater Nils. Die zarte Melancholie und die anarchischen Momente hätten ihn an dem Stoff gereizt, sagt Kampe. Ein wichtiges Element seiner Musik, das immer wieder anklingt, ist der Schlager Kan Du

Vissla Johanna von Sten Axelson und Åke Söderblom, von dem der Titel stammt. „Vermutlich war ja die angesungene Johanna die Frau von Opa Nils“, erläutert Kampe. So sei dieses Lied „nicht nur ein Element der Heiterkeit“, sondern habe auch „etwas Nostalgisches“. Als Berra ist Joshua Owen Mills zu erleben. Die Rolle von Ulf übernimmt Maximilian Krummen. Die Inszenierung besorgt Łukasz Kos. Am Pult des Bayerischen Staatsorchesters steht Patrick Hahn. München, Postpalast an der Hackerbrücke, www.staatsoper.de

6. bis 23. Juli

STUTTGART COLOURS INTERNATIONAL DANCE FESTIVAL Den zeitgenössischen Tanz in all seiner Vielfalt leuchten zu lassen, ist das Bestreben des Festivals Colours. Künstler aus vielen Bereichen, vom Ballett bis zum Tanztheater, vom Zirkus bis zu Performances, von traditionellem Tanz bis zu Breakdance haben die beiden künstlerischen Leiter Eric Gauthier und Meinrad Huber eingeladen. Und so vielfältig wie die stilistische Palette sind auch die inhaltlichen Botschaften der Künstler. Helena Waldmann untersucht in ihrem Stück Gute Pässe Schlechte Pässe mit Artisten des Nouveau Cirque die Mechanismen des Abgrenzens. Julie Anne Stanzak und Mattia Pareto vom Teatro La Ribalta, einem inklusiven Ensemble, das sich aus Künstlern mit und ohne Beeinträchtigung zusammensetzt, zeigen in Niemand weiß von uns die Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers. Francesca Harper erzählt bei ihrer Deutschlandpremiere von The Look of Feeling die Geschichte ihrer Mutter, einer Pionierin des schwarzen Tanzes der 60erJahre. Im Rahmenprogramm können die Besucher auch selbst tanzen. Stuttgart Theaterhaus, www.coloursdancefestival.de

31. August bis 18. September BERLIN MONTEVERDI 450

„Wir spielen die drei Opern als Zyklus, weil wir das Publikum auf eine Reise mitnehmen möchten“, erläutert Sir Eliot Gardiner. Die drei Opern sind L’Orfeo, die Monteverdi für die Mantuaner Hoffeste des Karnevals 1607 schrieb und mit der er seinen Ruf gleich durch ganz Italien trug, sowie die beiden Altersopern Il ritorno d’Ulisse in patria und L’incoronazione di Poppea, die er für die venezianische Bühne schrieb. Die Reise „von der Schäferidylle zum höfisch-städtischen Leben“ und „vom Mythos zur politischen Historie“ deckt die gesamte ­Palette menschlicher Gefühle ab. Zur 450. Wiederkehr von Monteverdis Geburtstag befindet sich Gardiner mit 20 Sängersolisten, dem Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists auf Tournee. Sein einziges Gastspiel in Deutschland findet bei den Berliner Festspielen statt. Berliner Musikfest, verschiedene Spielorte, www.musikfestberlin.de

24. Juni bis 2. Juli

SCHLOSS ELMAU WOCHE DER ROMANTIK Die Musik ist die Kunst der Romantik. Sie vermag der Naturverbundenheit, dem Stimmungszauber und der Sehnsucht Ausdruck zu verleihen wie keine andere. Und wo ließe sich die ­romantische Verträumtheit lieblicher Täler, Waldeinsamkeit und Abendstille ursprünglicher erleben als vor der beeindruckenden Kulisse des Wettersteingebirges im Schloss Elmau? Mit Franz Schubert eröffnen der Geiger Nikolaj Znaider und der Pianist Robert Kulek die „Woche der Romantik“. Die Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller singt Lieder von Robert Schumann und Hugo Wolf. Alfred Brendel stellt im Gespräch den romantischen Beethoven vor. Und der Puppenspieler Nikolaus Habjan spürt in dem Projekt „Doch ich bin nirgend, ach! zu Haus“ mit der Musicbanda Franui der Figur des Wanderers nach. Schloss Elmau, www.schloss-elmau.de

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Juni – Juli – Augus t 2017


F OTO S : K I R A N W ES T; M AT TH I A S B AU S ; G I S E L A SC H E N K E R ; K A I H E I M B E RG ; M A RCO B O RGG R E V E; A S I A C U LT U R E C E N TE R ; P I E RO TAU RO; G EO RG TH U M ; M AG DA H U EC K E L ; L A R K L I G HT P H OTOG R A P H Y; A N T W E R P E N , KO N I N K L I J K M U S EU M VO O R SC H O N E KU N S TE N ; L A R S G U N D E R S E N ; M A I K E H E L B I G ; W I L F R I E D H Ö S L M ATH I A S B OTH O R / D EU T SC H E G R A M M O P H O N ; M A RC G I L S DO R F ; CO S T U M I

23. Juni bis 13. August

OSTFRIESLAND 6. GEZEITENKONZERTE Einzigartige Spielorte, großartige Künstler und wundervoll gestaltete Programme – die Gezeitenkonzerte unter der Leitung des Pianisten Matthias Kirschnereit erfreuen sich Jahr für Jahr größerer Beliebtheit. „Sturm und Klang“ lautet das diesjährige Motto. Die Klarinettistin Sabine Meyer und das Alliage Quintett gastieren mit Werken von Schostakowitsch, Strawinsky und Borodin in der Kirche von Münkeboe. Das barocke Wasserschloss im historischen Ortskern von Dornum bildet das Podium für ein Gesprächskonzert zum 80. Todestag von Maurice Ravel. Abendprogrammautor Ulf Brenken lädt mit dem ­B ariton Maciej Kozłowski und dem Pianisten Vasyl Kotys zu einer Reise durch das musikalische Universum des aufregenden Franzosen. Und der Komponist Jan Müller-Wieland stellt seine Werke in der Kunsthalle Emden vor. Reizvoll ist das Angebot, vor jedem Konzert auf einem „Streifzug“ die Umgebung kennenzulernen. Ostfriesland, verschiedene Spielorte, www.ostfriesischelandschaft.de

28. Juni

BONN KONZERT IM KANZLERBUNGALOW Walter Gropius nannte ihn „ein erstklassiges Stück“ deutscher Architektur. Funktionalität und Sachlichkeit sind die Merkmale des Bonner Kanzlerbungalows im Garten des Palais Schaumburg. Ludwig Erhard hatte 1963 dem Architekten Sep Ruf den Auftrag dazu erteilt. Der durch den Nationalsozialismus in ihrer Entwicklung unterbrochenen Moderne der 20er-Jahre verschaffte er als erster Politiker der Nachkriegszeit damit wieder offizielle Geltung. Seine Nachfolger mochten das Gebäude nicht und bewohnten es widerwillig oder gar nicht. Dennoch wurde es zu einem Symbol der alten Bundesrepublik. Wer noch einmal den Geist des Ortes spüren möchte, kann dies bei den Konzerten im Kanzlerbungalow tun. ­„Tastenzauber“ ist das Solokonzert des jungen genialen Pianisten Jan Lisiecki überschrieben. Bach, Schumann, Chopin und Schubert bringt er zum Klingen. Bonn, Kanzlerbungalow, www.beethoven-orchester.de

Freundschaft und Liebe

30.9.–7.10.2017 herbstliche-musiktage.de, Telefon 07125 156 571 Vorverkauf ab 22. Mai 2017

18. und 19. August

POTSDAM POTSDAMER SCHLÖSSERNACHT Komm in den Park von Sanssouci. Komm, diese Nacht vergisst du nie ! Unter dem Motto „Das Staunen kehrt zurück“ verwandelt die Potsdamer Schlössernacht den Park Sanssouci in ein Zauberreich. Geschöpfe aus Luft, Licht und Seide lässt die Compagnie des Quidams über die Weinbergterrassen tanzen. Klänge zwischen Himmel und Erde zaubert die Gruppe Transe Express mit ihren menschlichen Mobiles. Und während die Sandkünstlerin Natalya Netselya Bilder an der Fassade des Neuen Palais’ entstehen lässt, erfüllt der Carilleur ­B astian Fuchs den nächtlichen Park mit Glockenklängen. Potsdam, Schlosspark Sanssouci, www.potsdamer-schloessernacht.de

18. August bis 30. September BOCHUM RUHRTRIENNALE

„Man sieht den Himmel nicht“, klagt Mélisande. Es herrscht Hungersnot. Die Menschen sterben dahin. An Mélisande, deren Herkunft verschleiert ist, knüpft sich alle Hoffnung. Krzysztof ­Warlikowski setzt Claude Debussys verrätseltes und symbolträchtiges Drama Pelléas et Mélisande in einer Industrieruine in Szene. Mélisande ist die Sopranistin Barbara Hannigan. Sylvain Cambreling steht am Pult der Bochumer Symphoniker. Bochum, verschiedene Spielorte, www.ruhrtriennale.de

Do 24.08. 20 Uhr Domplatz Fulda Karten gibt es bei eventim.de und bei adticket.de sowie bei allen bekannten Vorverkaufsstellen! Ticket Hotline: 0661/280644 Infos und Tickets auch online auf

www.provinztour.de

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E R L E B E N

Linus Roth, Sofia Gubaidulina und das Raschèr Saxophone Quartet

URAUFFÜHRUNGSGENUSS AN DER ELBE Rassig russisch geht es zu bei den diesjährigen Schostakowitsch Tagen im sächsischen Gohrisch: Da kommen Werke von Schostakowitschs Freund Mieczysław Weinberg ebenso zu Gehör wie von seiner Schülerin und der Grande Dame der Komponistenszene Sofia Gubaidulina.

Dmitri Schostakowitsch selbst nannte ihn „einen der hervorra- José Gallardo und der Cellist Emil Rovner. Neben der selten gespielgendsten Komponisten der heutigen Zeit“: seinen Kollegen und ten Sonate für zwei Violinen op. 69, an deren Aufführung Dmitry Freund Mieczysław Weinberg (1919–1996). Weltweite Bekanntheit Sitkovetsky als prominenter Gast mitwirkt, steht dabei auch die erlangte der polnische Tonkünstler erst im Laufe der letzten Jahre. Uraufführung eines erst vor Kurzem entdeckten Largo für Violine Die Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch, die seit 2010 und Klavier auf dem Programm. Ebenfalls uraufgeführt wird beim in enger Zusammenarbeit mit der Sächsischen Staatskapelle Dres- Abschlusskonzert am 25. Juni die viersätzige Fassung von Weinden am Entstehungsort von Schostakowitschs Streichquartett Nr. 8 bergs Kammersinfonie Nr. 2 op. 147. Und nicht zuletzt feiert am 24. veranstaltet werden, widmen seinem umfangreichen Œuvre dieses Juni sein musiktheatralisches Hauptwerk Die Passagierin in der Dresdner Semperoper Premiere. „Für Weinberg-Fans ist es also ein Jahr bereits zum zweiten Mal einen Schwerpunkt. Die achte Ausgabe des Festivals findet vom 22. bis 25. Juni Muss, an diesem Wochenende nach Dresden und in die Region zu 2017 statt – und wiederum darf man auf eine ganze Reihe außerge- kommen“, meint Niederschlag. Zusätzlich wird noch eine Schostakowitsch-Zeitgenossin beim wöhnlicher Entdeckungen gespannt sein. „Wir haben diesmal vier Uraufführungen und eine deutsche Erstaufführung im Programm“, diesjährigen Festival erneut in den Fokus gerückt: Sofia Gubaidufreut sich Tobias Niederschlag, künstlerischer Leiter der Schostako- lina, eine ehemalige Schülerin des Komponisten. Die 85-Jährige witsch Tage und Konzertdramaturg der Staatskapelle. „Es gibt also amtiert in der Saison 2016/17 bereits zum zweiten Mal als CapellCompositrice der Sächsischen Staatskapelle. sehr viel Neues zu erleben.“ Wie immer werSCHOSTAKOWITSCH TAGE Schon beim Eröffnungskonzert am 23. Juni den sämtliche Künstlerinnen und Künstler 22. bis 25. Juni treffen das Klavierkonzert Nr. 1 op. 12 von ohne Honorar in der Gohrischer KonzertInformationen und Kartenservice: Schostakowitsch – in Kammermusikbesetscheune auftreten. Tel.: +49-(0)35021-661 66 zung dargeboten von der russischen PianisEinen Querschnitt durch das KammerFax: +49-(0)35021-661 55 tin Viktoria Postnikova und Mitgliedern der musikschaffen Weinbergs präsentieren am tickets@schostakowitsch-tage.de Sächsischen Staatskapelle – und zwei Werke 24. Juni der Violinist Linus Roth, der Pianist www.schostakowitsch-tage.de 32

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Juni – Juli – Augus t 2017

F OTO S : F E L I X B RO E D E; J A A K KO K I L P I A I N E N ; DA N C A R A B A S

VON JULIA HARTEL


MAX UHLIG, „KOPF SCHOSTAKOWITSCH“ (2016)

I L LU S TR ATI O N : I N TE R N ATI O N A L E SC H O S TA KOW IT SC H TAG E G O H R I SC H

Der international renommierte Dresdner Maler und Grafiker Max Uhlig, der am Festival-Wochenende seinen 80. Geburtstag feiert, hat den Internationalen Schostakowitsch Tagen Gohrisch ein exklusives Werk gestiftet: eine Reservage-Aquatinta-Radierung des Kopfes von Dmitri Schostakowitsch. In einer limitierten und vom Künstler handsignierten Auflage von 50 Exemplaren ist diese zum Preis von 250 Euro ausschließlich über die Schostakowitsch Tage zu beziehen. Der gesamte Erlös kommt dem Festival zugute.

von Sofia Gubaidulina aufeinander. Geschrieben hat sie diese eigens für das renommierte Raschèr Saxophone Quartet: In Erwartung für Saxofonquartett und sechs Schlagzeuger (mit auf der Bühne: das Slagwerk Den Haag) und Verwandlung für Posaune, Saxofon­ quartett, Violoncello, Kontrabass und Tam-tam. Darüber hinaus wird im Rahmen einer Kammermatinee mit Komponistengespräch (25. Juni) die deutschsprachige Fassung des Satzes Einfaches Gebet aus dem Oratorium Über Liebe und Hass uraufgeführt, den die Komponistin erweitert und für eine Kammermusikbesetzung mit Sprecher bearbeitet hat. Zuvor erläutert Gubaidulina in einem Podiumsgespräch die Hintergründe ihres neuen Werks; außerdem wird ihr bei dieser Veranstaltung der Schostakowitsch-Preis verliehen. Im ersten Teil des Abschlusskonzerts am 25. Juni bringen Elisa­veta Blumina, Dmitry Sitkovetsky und Musiker der Staatskapelle zudem ein neues Kammermusikwerk von Sofia Gubaidulina zur deutschen Erstaufführung: Die Pilger für Violine, Kontrabass, Klavier und zwei Schlagzeuger. Ein großes Highlight dürfte auch die Uraufführung bisher noch nie gehörter Schostakowitsch-Klänge darstellen: Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle Dresden werden beim Abschlusskonzert unter Thomas Sanderling nachgelassene Fragmente aus Schostakowitschs Oper Die Nase op. 15 vorstellen. „Diese Orchesterzwischenspiele wurden wahrscheinlich vor der Premiere der Oper 1930 aus Zeitgründen gestrichen und sind somit nie im Druck erschienen“, erklärt hierzu Tobias Niederschlag. Eine weitere Besonderheit erwartet die Besucher am 24. Juni, wenn der Pianist Alexander Melnikov in einem zweiteiligen Klavierrezital die 24 Präludien und Fugen op. 87 von Schostakowitsch zum Besten gibt. Der fast drei Stunden dauernde Zyklus, den Schostakowitsch nach seinem Besuch des Leipziger Bachfestes 1950 komponierte, ist Niederschlag zufolge „in Gohrisch seit Langem überfällig“. Die Konzertscheune sei für seine Aufführung der ideale Raum. Neu ist außerdem das Sonderkonzert der Sächsischen Staatskapelle in der Dresdner Semperoper am Vorabend des Festivals, mit dem erstmals auch die groß besetzte Symphonik in das Programm Einzug hält und das von nun an jährlich stattfinden soll. Gennady Rozhdestvensky, Träger des Schostakowitsch-Preises 2016, wird hier 2017 mit Schostakowitschs Sinfonie Nr. 1 f-Moll op. 10 und der Sinfonie Nr. 15 A-Dur op. 141 den tiefgründigen Kosmos des Komponisten umreißen. n 33

12. JULI - 19. AUGUST 2017 33


E R L E B E N

Anna Tyshayeva und Prof. Wolfgang Manz an zwei Flügeln in der Talkirche Eppstein

REFLEKTIERE DEIN LEBEN! Die Hörer ganz zu sich selbst zurückführen möchte Pianistin Anna Victoria Tyshayeva, die im Juni auf dem von ihr ins Leben gerufenen Internationalen Klavierfest Eppstein Rhein Main musiziert.

Mit „berückender Klangpoesie“ bezaubert Anna Victoria Tyshayeva zu reflektieren.“ Der Wunsch erweckte in ihr die Vision eines MusikPublikum und Kritiker. Als „Pianistin der leisen Töne“ wird sie festivals, das es den Menschen ermöglicht, Abstand vom Alltag zu gefeiert, deren Interpretationen „nuancierte Durchsichtigkeit“, ein nehmen und etwas über sich zu erfahren. Bei der Verwirklichung half „weitgefächertes Ausdrucksspektrum“ sowie ein „kontrastreiches ihr eine glückliche Begegnung: „Ich spielte ein Konzert in der historiFarbenspiel“ aufweisen. Erleben kann man dies aktuell auf dem Kla- schen Talkirche von Eppstein. Diese Kirche ist eine architektonische vierfest Eppstein im Taunus. Zum siebten Mal findet das Fest in die- Besonderheit. Sie stammt aus dem 15. Jahrhundert und verfügt über eine einmalige Akustik.“ Nach dem Konzert erzählte sie der Pfarrerin sem Juni statt. Anna Tyshayeva sucht in der Musik die Begegnung mit dem Heike Schuffenhauer von ihrer Idee, ein Festival ins Leben zu rufen. eigenen Inneren. Zu den Komponisten, die sie auf ihrem Weg beglei- Die Pfarrerin, die selbst leidenschaftlich musiziert, war sofort begeisten, gehören Johann Sebastian Bach, Mozart, Beethoven sowie Schu- tert und engagierte sich tatkräftig und hingebungsvoll dafür. Mit drei Konzerten an einem Wochenende fing es 2011 an. mann, Brahms, Liszt, Chopin. „Und besonders César Franck, Maurice Ravel und Sergei Rachmaninow“, setzt sie im Gespräch hinzu. Bald waren es zehn und sogar 15, die auch benachbarte Spielorte „Ich liebe die Auseinandersetzung mit großen, gewichtigen Werken wie das Kurhaus Wiesbaden oder den Sendesaal des Hessischen wie Liszts Klaviersonate h-Moll, Schumanns Klaviersonate fis-Moll Rundfunks Frankfurt einbezogen. Ausdrücklicher Wunsch von oder Ravels La Valse, die verschiedene Facetten zeigen, auch tragi- Anna Tyshayeva und Heike Schuffenhauer, die mit ihren warmhersche Momente beinhalten und uns etwas über das eigene Leben mit- zigen und gehaltvollen Moderationen eine wundervolle Atmoteilen. Das ist das Wunderbare, das unseren Beruf auszeichnet: Wir sphäre schafft, ist es, die Konzerte auf höchstem musikalischen Niveau bei freiem Eintritt zu realisieren. haben teil am Leben genialer Komponisten 7. INT. KLAVIERFEST EPPSTEIN Musikliebhabern soll, ungeachtet ihrer wie Bach oder Mozart und gelangen auf diese RHEIN MAIN finanziellen Möglichkeiten, ein Besuch Weise zu unserem eigenen Selbst.“ 9. bis 18. Juni ermöglicht werden. Spenden und FörderunAn diesen Erfahrungen möchte sie auch Informationen und Kartenservice: gen sind willkommen, und es steht jedem das Publikum teilhaben lassen: „Ich hoffe, Telefon: +49-(0)179-549 15 24 Besucher frei, die Verantwortung für die dass die Musik die Menschen berührt, ihre www.annatyshayeva.webnode.sk Zukunft des Festes zu übernehmen. Fantasie belebt und sie dazu anregt, ihr Leben 34

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Juni – Juli – Augus t 2017

F OTO S : A N N A T YS H AY E VA ; I LYA P U S E N KO F F

VON RUTH RENÉE REIF


Anna Tyshayeva

Anna Tyshayeva kam in der Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer zur Welt. Sie besuchte in ihrer Geburtsstadt das StoljarskiMusikgymnasium für Hochbegabte und anschließend die Musikhochschule. Ihr prägender Lehrer damals war Nikolaj Krzyzhanovsky, der auch selbst als Konzertpianist auftrat. An den Musikhochschulen in Frankfurt am Main, Trossingen und Nürnberg setzte sie ihr Studium fort. Irina Edelstein, Wolfgang Manz, Lev Natochenny, Grigory Gruzman und Leonid Dorfman sowie die Bach-Spezialistin Inge Rosar zählten zu ihren Lehrern. Zu ihnen unterhält sie bis heute enge Verbindungen und holt sie auch zu Konzerten nach Eppstein. „Es ist mir wichtig, Musiker einzuladen, denen ich mich menschlich nahefühle und die ich musikalisch schätze“, betont sie. Das gemeinsame Musizieren von Lehrenden und Lernenden bildet ein wesentliches Element des Festivals. So leitet Tyshayeva von Beginn an jedes Jahr einen Meisterkurs. Nachwuchspianisten sind zur Teilnahme eingeladen und erhalten zudem die Möglichkeit eines Auftritts. Als Konzertpianistin, die europaweit unterwegs ist, verfügt Anna Tyshayeva über ein breit gefächertes und anspruchsvolles Repertoire, das sie beständig erweitert. So verwundert es nicht, dass sie auch selbst gerne auf dem von ihr organisierten Klavierfest spielt, in einem Solokonzert oder im Duo, in kammermusikalischen Formationen und vor allem mit einem Orchester. Der Auftritt mit einem Orchester ist für sie als Solistin stets ein einzigartiges Erlebnis. So gestaltet sie das Orchesterkonzert denn auch jedes Jahr anders, um unterschiedliche musikalische Wege zu erproben. „Anfangs stellte ich sogar selbst ein Festivalorchester zusammen“, erinnert sie sich. „Ich lud jeden Musiker persönlich dazu ein. Diese Vorgehensweise harmonisierte mit der Idee des Festes. Wahrscheinlich werde ich einmal wieder zu dieser Idee zurückkehren.“ Darauf folgte die Zusammenarbeit mit verschiedenen Orchestern. „Ich bin immer offen für anregende musikalische Ideen“, bekräftigt Anna Tyshayeva. „Über Einladungen zu neuen Auftritten und Konzerttourneen würde ich mich sehr freuen.“ Auf die Frage nach ihrem musikalischen Traum zögert sie nicht mit ihrer Antwort: eine Zusammenarbeit mit ihrem Lieblingsdirigenten Iván Fischer und dem von ihm gegründeten Budapest Festival Orchestra. n 35

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Lach-Orgien Gegurgelte Ouvertüren, miauende Geigen, vertonte Rezepte für Ochsenschwanz und eine Schreibmaschine als Konzertsolist. Belieben zu scherzen? Na klar! Komponisten unternehmen die kuriosesten Dinge, um ihr Publikum zum Lachen zu bringen. VON MARIA GOETH

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ES GIBT VERSCHIEDENSTE MUSIKALISCHE GROSSFORMEN, DIE AUF ALLEN MÖGLICHEN EBENEN GLEICHZEITIG PARODIEREN, ALBERN UND PERSIFLIEREN

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ie tun es alle: Mozart und Haydn, Bach und Händel und peten, die „an krankhafte Affektionen des Gesangsorgans erinsogar der grimmige Beethoven und der pathetische Wag- nern“ (Hugo Riemann). Doch auch auf „normalen“ Instrumenten ner. Sie alle haben humoristische Werke geschrieben und kann man scherzen, lässt man sie etwa wildes Eselsgeschrei imitiedabei so grandios unterschiedliche Mittel eingesetzt, ren, wie in Bachs Kantate Der Streit zwischen Phoebus und Pan und dass es scheint, als sei der Humor der Entfesselungs- Camille Saint-Saëns Karneval der Tiere, oder wie Körpergeräusche künstler für eingekerkerte Kreativität; ein Anarchist, der dem Regel- klingen, etwa den sich anbahnenden Durchfall der Protagonisten in Jacques Offenbachs Oper Croquefer oder das Niesen der Dienewerk die Zunge und gelegentlich auch den Mittelfinger zeigt. rin Berta und das Gähnen des Dieners Rhythmus, Melodie, Harmonie, Ambrogio in Rossinis Il barbiere di Dynamik, Klangfarbe oder Form – Seviglia. Vom musikalisierten Furz ganz Musik hat viele Einzelelemente, die für zu schweigen … sich genommen humoristisch transforHUMOR IST DER ENTFESSELUNGSIn der Musik sind besonders solche miert werden können. Die „Pointe“ ist KÜNSTLER FÜR EINGEKERKERTE Klänge witzig, die man in ihr üblicherdabei oft nur wenige Takte oder Töne weise nicht findet, so die Autohupen in lang. In Haydns „Paukenschlag“-Sinfonie KREATIVITÄT George Gershwins An American in Paris – eigentlich ist es nicht nur ein Paukenoder die Schreibmaschine in Leroy schlag, sondern ein Tutti-Schlag des ganAndersons The Typewriter. Es gibt ganze zen Orchesters – besteht sie sogar nur Klangkörper, die dieses Prinzip auf die aus einem übertrieben lauten Einzel­ akkord, der in seinem gutgelaunten Kontext und auf unbetonte Spitze treiben, wie das Erste Deutsche Stromorchester, das ausTaktzeit komisch wirkt. So wie ein Kind, das sich hinter der Tür ver- schließlich auf Elektrogeräten wie Mixern, Föhns oder Laubsaugern steckt, um seine Verwandten mit einem unerwarteten „Buh!“ zu musiziert, oder The Vegetable Orchestra, das sich der Klangkunst erschrecken. Natürlich nutzen sich solche Scherze ab, zumal wenn auf Gemüse verschrieben hat. Komplexer und revolutionärer ist Humor, der mit musikaliHaydns Sinfonie schon aufgrund des Programmzettels erwartet wird, weshalb Donald Swann sie 1956 neu „arrangiert“: Statt des scher Form spielt. Haydn ist ein Meister darin, zum Beispiel typiPaukenschlags erklingt ein Pistolenschuss. Die Hörer erwarten sche musikalische Schlussformeln an den Anfang eines Werks zu setzen – das ist, als würde man einen Brief mit „freundlichen Grüeinen Witz und erhalten dafür einen anderen! Rhythmus kann besonders dann lustig wirken, wenn er an ßen“ beginnen. In seiner Sinfonie Nr. 60 „Il distratto“ („Der Zerunvollkommene menschliche Bewegungsabläufe erinnert, etwa an streute“) lässt er die Musiker sogar das Stimmen „vergessen“, sie Stolpern, Torkeln oder Hinken, also seine Gleichmäßigkeit gestört brechen nach 16 Takten ab und stimmen um, als wären sie geistig wird in einem humoristischen „Attentat auf das metrische Bewusst- verwirrt, und holt damit einen Prozess in die Musik, der sich sonst sein“ (Theodor Veidl). In Haydns Menuet alla zoppa („Menuett auf außerhalb von ihr befindet. Und in seiner „Abschiedssinfonie“ Nr. hinkende Art“) ziehen einzelne Instrumente förmlich ebenso sehr 45 verlassen am Ende die Musiker peu à peu die Bühne – die ande„ein Bein nach“ wie in François Couperins Le Gaillard-Boiteux. ren musizieren ungerührt weiter. Während Haydn also mit der Wohl am drastischsten wird rhythmischer Humor jedoch in den Reihenfolge von Elementen spielt, tut Beethoven das mit ihrer Prounzähligen Trinkliedern der Opern- und Liedgeschichte eingesetzt. portion. So lässt er in seiner siebten Bagatelle einen völlig überdiHier fegt es die Musik meist ebenso sehr wie den Saufkopf von den mensionierten Triller mehr als ein Drittel des nur 27 Takte langen Füßen. In Henry Purcells Lied Bacchus is a pow’r divine „verpatzt“ Stückchens einnehmen, was wirkt, als würde man einen Elefanten der Trunkene vor Schluckauf oder Suff sogar seinen Einsatz. Auch in ein Mäusekostüm zu stecken versuchen, oder lässt im Kanon Ta Pausen – quasi „Nicht-Musik“ – können also lustig sein. Damit ope- ta ta, lieber Mälzel, der dem Erfinder des Metronoms gewidmet ist, rieren die vielen Lückentextlieder wie Mein Hut, der hat drei Ecken stumpfsinnig Silben wiederholen – wie bei einer gesprungenen Schallplatte. oder Jetzt fahr’n wir über’n See. Neben solchen Humorstrategien, die hauptsächlich einen einVielleicht am allerergiebigsten für den musikalischen Humor ist die Klangfarbe, gibt es doch Musikinstrumente, deren Klang an zelnen Elementarfaktor der Musik strapazieren, gibt es verschiesich schon etwas Komisches hat, wie das Fagott, der „Clown des denste musikalische Großformen, die auf allen möglichen Ebenen Orchesters“ (Leonard Bernstein), das „sehr leicht dem Grotesken“ gleichzeitig und über große musikalische Strecken parodieren, zuneigt (Hector Berlioz), oder Instrumente mit gequetschten, albern und persiflieren. Oft haben es die Komponisten dabei auf ein näselnden oder heiseren Tönen wie zum Beispiel gedämpfte Trom- bestimmtes musikalisches Werk oder gleich einen ganzen Musikstil 37


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oder eine musikalische Gattung abgesehen. Sehr charakteristische Werke oder Motive eignen sich zur Parodie besonders gut, etwa Beethovens „Schicksalsmotiv“ oder Wagners „Tristan-Akkord“, die immer wieder auf lustige Weise in unpassende Kontexte „gepflanzt“ werden (siehe auch die Tabelle auf S. 12). Debussy lässt den Tristan in seinem Children’s Corner in einem exzentrischen Ragtime „grooven“, Verdi das Schicksalsmotiv von den lustigen Weibern in seinem Falstaff „plappern“. Das ist umso witziger, je unterschiedlicher man die gemixten Werke und Stile in ihrer Wertigkeit beurteilt. So wirkt ein weihevoller Choral mit einem Kinderlied vermengt sicher komischer als derselbe Choral mit einer ebenso weihevollen Nationalhymne. Musik, die mit starken politischen oder religiösen Inhalten assoziiert wird, kann durch humoristische Transformation selbst ohne Textbeigabe sogar ironisch bis sarkastisch wirken. So purzeln die Truppen in Maurizio Kagels Zehn Märschen um den Sieg zu verfehlen regelrecht übereinander oder charakterisiert Schostakowitsch die Faschisten in Das goldene Zeitalter mit Foxtrott, Tango und anderer Unterhaltungsmusik, die zu seiner Zeit von den Funktionären scharf verurteilt wurde. Eine gewaltige Chance der Musik ist, dass – anders als in der Sprache – heterogene Dinge nicht nur hintereinander, sondern auch gleichzeitig geschehen können und sie trotzdem harmonisch, „verständlich“ bleiben kann. Das machte sich die Familie von Johann Sebastian Bach beim sogenannten „Quodlibet“ regelrecht zum Sport, indem sie verschiedene Volkslieder mit besonders derben aber auch besonders idyllischen Inhalten so übereinandersangen, dass das ganze wunderschön klang, die Texte aber in maximalem Kontrast zueinander standen – Sänger wie Zuhörer lachten sich dabei kaputt. Dieses humorvolle Spiel mit inhaltlicher Entzweiung und musikalischer Harmonie treiben auch viele Opern des 18. und 19. Jahrhunderts, bei denen es in den Finali zu großen, lustigen Tumultszenen kommt, aber auch untextierte Werke, in denen „gestritten“ wird, wie in Richard Strauss’ Till Eulenspiegel oder seiner Sinfonia domestica, in denen die verschiedenen Instrumente in heftiges Gezänk verfallen. Eine weitere unerschöpfliche Quelle musikalischen Humors ist bewusst komponierter Dilettantismus. Hindemiths Ouvertüre zum „Fliegenden Holländer“, wie sie eine schlechte Kurkapelle morgens um 7 am Brunnen vom Blatt spielt ist fast schon eine Art Katalog gängiger Spielfehler von Laienmusikern, die der Komponist auf die 38

berühmte Wagner’sche Vorlage anwendet und die den Interpreten einiges abverlangt; so wie ein Clown sein perfektes Hinfallen ja auch bis zum Exzess trainieren muss. Ähnlich gearteten Schabernack hatte Mozart 138 Jahre zuvor schon in seinem Sextett Ein musikalischer Spaß getrieben. Dort werden neben schlechten Interpreten auch schlechte Komponisten verhöhnt, indem Mozart bewusst alle ihre „Sünden“ begeht. Auch in der Oper wird diese Strategie eingesetzt, um auf komische Weise die Dummheit und Unfähigkeit von Bühnenfiguren aufzudecken: etwa im fehlergespickten, lächerlichen Versuch des Kunstbanausen Beckmesser in Wagners Meistersingern, sein Preislied richtig zu singen. Hier liegt gleichzeitig sogar eine Selbstparodie vor, liefert Wagner doch kurz darauf die „richtige“ Version des Liedes, gesungen vom leidenschaftlichen Stolzing, nach. Schließlich ist da noch eine ganze Menge Humor, der vielleicht nicht direkt hörbar, nicht innermusikalisch ist, der aber mit dem Musik- und Konzertbetrieb, mit Musikvermittlung oder einfach mit Optik und Performance zu tun hat: von der gefälschten Musikerbiografie bis zur „Augenmusik“ durch als Comic arrangierte Noten, von drei Musikern, die zusammen auf einem Cello spielen, bis zu den „Aktionen“ der Dada- und Fluxuskünstler. Bei Letzteren ist die „Partitur“ meist eher eine kurze Spielanweisung als ein „echter“ Notentext, zum Beispiel bei Ay-Os Rainbow No. 1 for Orchestra: „Seifenblasen werden aus verschiedenen Blasinstrumenten gepustet. Der Dirigent zersticht die Seifenblasen mit seinem Dirigentenstab.“ Bunt, mutig und klug sind die Strategien, mit denen die Komponisten aller Jahrhunderte versuchten, ihre Hörer zum Lachen zu bringen. Es scheint ein nie versiegendes Bedürfnis zu geben, auch humoristisch zu komponieren, selbst wenn es mit dramatischen Werken einfacher ist, Ruhm und Ansehen zu erringen. Für Komponisten bedeutet Humor radikale Befreiung, die bewusste Verkehrung und/oder Übertreibung aller Regeln und Traditionen und damit auch einen Aufbruch in neue musikalische Welten. Für den Hörer ist musikalischer Humor eine Expedition zu Überraschendem und Unerhörtem – und schlicht ein großes Vergnügen! ■ Maria Goeth: „Musik und Humor. Strategien, Universalien, ­Grenzen“ (Olms)

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Humor im Auge des Terrors Ironie, Sarkasmus und Groteske: Wie Dmitri Schostakowitsch seine Hörer das ganz besondere Lachen lehrt. V O N U T A S W O R A

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enn es um musikalischen Humor geht, ist Dmitri Schostakowitsch nicht der erste Komponist, der einem einfällt. Im Gegenteil: Seine Künstlerbiografie ist so sehr von tragischen Ereignissen, Schicksalsschlägen und persönlichen Demütigungen geprägt, dass sich dies unweigerlich auch in seiner Musik niederschlägt. So ist es nicht verwunderlich, dass die berühmtesten Werke Schostakowitschs, zum Beispiel seine Sinfonien und Streichquartette, einen ausgesprochen ernsthaften, melancholischen und nicht selten tragischen Unterton haben. Ironischerweise ist es jedoch ausgerechnet der Humor, der sich durch Schostakowitschs Werk zieht wie ein roter Faden, sodass eben dieses Phänomen neben aller Tragik und Schwermut zu einem entscheidenden Charakteristikum seiner Musik geworden ist. Das Besondere an diesem speziellen Humor ist die ungewöhnliche Vielfalt, in der er sich zeigt. In den seltensten Fällen ist es ein Humor, der den Hörer lauthals lachen lässt. Stattdessen präsentiert er sich auf subtile Art und Weise und offenbart sich darum als etwas, das sich nicht sofort jedem erschließt, sondern in manchen Fällen erst vom Zuhörer entschlüsselt werden will. In Schostakowitschs 5. Sinfonie zum Beispiel ist es das Finale, das Zuhörern und Musikwissenschaftlern nach wie vor Rätsel aufgibt. Die einen interpretieren musikalische Merkmale wie Pauken, Trompeten und ein großes Instrumentenaufgebot, strahlende Durklänge und eingängige Melodien in voller Lautstärke als uneingeschränkten Jubel. Die anderen bezweifeln diese vordergründigen Elemente und verstehen die Ironie der überzogenen Darstellung des Positiven als Kritik des Komponisten, die sich hinter der Maske des Triumphs versteckt. Genau diese oft schwer durchschaubare Doppeldeutigkeit diente Schostakowitsch dazu, seine Meinung äußern zu können, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden, zumal das stalinistische Regime glücklicherweise nur die oberflächliche Fassade – im Fall der 5. Sinfonie das jubelnde Gesicht des Finales – wahrnahm. Anders als in der 5. Sinfonie ist jedoch nicht immer Hintergrundwissen zur Biografie des Komponisten notwendig, um seinen Humor zu verstehen. Auf eine verspieltere Art und Weise zeigt er sich beispielsweise durch ungewöhnliche Kombinationen von Ins­ trumenten, deren Auftreten in scheinbar absolut unpassendem Kontext wie ein Augenzwinkern des Komponisten wirkt. Ein solches Phänomen offenbart sich dem Hörer in der 4. Sinfonie, die in erster Linie ernsthafte, tragische und aggressive Töne anschlägt. Mitten in der größten Tragik erklingt dann auf einmal ein Duett von Piccoloflöte und Bassklarinette. Diese Instrumente werden nicht nur selten in solistischer Funktion verwendet, sondern wirken besonders wegen ihrer extrem gegensätzlichen Lage äußerst merkwürdig. Im Rahmen der gigantischen Ausmaße der Sinfonie erhält der Hörer hier den Eindruck von einem Puppentheater, das sich unvermittelt ins Geschehen einmischt und dem Szenario einen humoristischen Beigeschmack verleiht, zumal diese Episode nur der Auftakt zu einem bunten Reigen verschiedenster Tänze ist, die ebenso wenig in das Gesamtbild der Sinfonie zu passen scheinen.

Während sich Schostakowitschs Humor demnach mal subtil, mal verspielt und mal augenzwinkernd präsentiert, bleibt das Phänomen doch generell im Bereich des Unauffälligen, Dezenten. In einem politischen Umfeld, in dem ein Komponist stets unter dem Argusauge Stalins agierte, und alles, was aus der Norm herausfiel, sofort gegen ihn verwendet werden konnte, ist dies nur nachvollziehbar. Umso gewagter ist darum jene Komposition Schostakowitschs, deren Humor nicht nur die obersten Regierungsvertreter verspottet, also auch Stalin höchstpersönlich, sondern dies auch noch in aller Offenheit tut, ohne schützende Ironie. Der Antiformalistische Rajok entstand zwischen 1948 und 1968, wurde aber erst lange nach Schostakowitschs Tod uraufgeführt, was angesichts der musikalischen Charakterisierung Stalins und seiner Mitarbeiter nur allzu verständlich ist. Das auch als satirische Kantate bezeichnete Werk für vier Solobässe, Klavierbegleitung und gemischten Chor ist eine höhnische Abrechnung mit sämtlichen Regeln des Sozialistischen Realismus, denen Schostakowitsch jahrzehntelang ausgesetzt war. Die Komposition macht sich nicht nur über die Vorgabe lustig, möglichst einfach, harmonisch und verständlich zu komponieren, sondern karikiert auch die Persönlichkeiten von Stalin, Schdanow und Schepilow in einer derart überzogenen Weise, dass von Doppeldeutigkeit nicht mehr die Rede sein kann. Die Musik ist voller ironischer Anspielungen, die natürlich in erster Linie diejenigen Zuhörer vollends entschlüsseln können, die mit der politischen Gesamtsituation Schostakowitschs vertraut sind beziehungsweise die persönlichen Eigenschaften der obersten Regierungsvertreter kennen. So verwendet der Komponist beispielsweise für die Charakterisierung Stalins, der sich im Rajok hinter dem Pseudonym Jedinizyn verbirgt, das georgische Volkslied Suliko. Schon aus dem Grund, dass dieses Lied als Lieblingslied Stalins bekannt war, wird seine Person in besonderer Weise karikiert. Die Tatsache aber, dass die romanzenhafte, lyrische Melodie des Originals hier zu einem platten Marsch verfremdet wird und auch der Text an Banalität kaum zu überbieten ist, treibt den Spott des Komponisten auf die Spitze. Generell zeichnet sich die Kantate durch eine betont einfache musikalische Sprache aus, deren humoristischer Tonfall sich auch Zuhörern ohne Hintergrundwissen sofort erschließt. In Schostakowitschs Gesamtwerk bleibt der Rajok eine Ausnahme. Charakteristisch für seine musikalische Sprache ist neben aller Ernsthaftigkeit eine ebenso deutliche Neigung dazu, humoristische, ironisch-skurrile oder verspielte Wendungen in seine Musik einzubauen. Für ihn selbst mag diese Art zu komponieren eine Möglichkeit gewesen sein, mit der Tragödie um ihn herum zu leben, ohne den Verstand zu verlieren. Für die Zuhörer ist sie ein wichtiger Bestandteil einer ohnehin abwechslungsreichen Musik, der auf diese Weise eine völlig eigene Note verliehen wird. ■ Uta Schmidt: „Kompositionen mit doppeltem Boden. Musikalische Ironie bei Erik Satie und Dmitri Schostakowitsch“ (Edition Argus) 39


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Spaghetti aus dem Klavier Durch Musik und Humor haben Menschen sogar den Holocaust überlebt. Das Duo Igudesman & Joo erschafft mithilfe dieser beiden Komponenten neue Klang- und Konzertuniversen. VON MARIA GOETH

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crescendo: Sie sind die eine Hälfte des wohl bekanntesten Humor- Haltung auf die Bühne kommen, ist das ärgerlich und beängstigend. duos in der klassischen Musik. Wie kam es dazu? Wir stellen uns immer vor, was Außerirdische denken würden, die in einem klassischen Konzert landen: Diese seltsamen Pinguine, die Hyung-ki Joo: Mit zwölf Jahren begegneten sich Aleksey Igudesman nicht miteinander kommunizieren, nicht einmal „hallo“ sagen, das und ich in der Yehudi Menuhin School. Schon kurz darauf sprachen zeremoniell gedämpfte Licht … Absurd! wir darüber, dass irgendwas an den normalen Konzerten „falsch“ war. Diese steife, hochgestochene Stimmung fühlte sich einfach Was war Ihre Humorkonzert-Premiere? nicht richtig an. Alles war ernst, zeremoniell, begräbnisartig – das Definitiv ein Weihnachtskonzert noch in der Yehudi Menuhin schien die Musik regelrecht zu ersticken. Auch wenn die Aufführung School, ich glaube 1988. Zusammen mit zwei anderen machten wir selbst frisch war, wirkte sie in dem Rahmen wie eingeschweißt. Das einen kurzen Sketch. Wir parodierten ein paar bekannte Lieder, passte nicht zur Leidenschaft, die klassische Musik braucht. Die Welt zogen Spaghetti aus dem Klavier … Es war ein Riesenerfolg! Und ich von Mozart, Beethoven und Liszt war viel offener, vielfältiger. Es gibt persönlich fühlte mich wie der coolste Typ der Welt! Ich war bis tonnenweise Dokumente, die beweisen, wie viel Freiheit es damals dahin in der Schule nicht so beliebt gewesen, aber nun spielte ich in den Konzerten gab: Bei der Premiere von Beethovens Violinkonmit ein paar der angesagtesten Typen in einem Quartett und brachte die Leute zum Lachen. Natürlich zert zeigte der Solist sogar zwischen war das der Kontext einer Weihden Sätzen Kunststücke, spielte „DAS PUBLIKUM WURDE IMMER ­WEITER seine Geige verkehrt herum, alberte nachtsfeier, und wir waren jung, WEGGESCHOBEN, ALS SEIEN SIE NUR mit dem Bogen herum, so wie also kapierte wahrscheinlich Aleksey heute. Oder der berühmte niemand, dass das genau das war, SKLAVEN DER HEILIGEN MUSIK“ Brief von Mozart an seinen Vater, was wir machen wollten. in dem er stolz davon berichtet, wie Hatten Sie beide es verstanden? die Leute schon nach 16 Takten seines neuen Klavierkonzerts zu Ja, wir haben das sehr bewusst gemacht und wurden schnell immer klatschen begonnen hatten und sie von vorne beginnen mussten. professioneller. Beeinflusst wurden wir auch vom Musiktheater. Wir Wenn man heute bei einer Uraufführung nach 16 Takten klatschen haben einfach alles zusammengewürfelt: Ernste und komische würde, wäre das ein Skandal und der Komponist wäre außer sich! Musik, Theater und auch Neue Musik, wir komponieren ja auch Sogar der ehrwürdige Franz Liszt, quasi der Erfinder des Klavierbeide. Wir waren 17 oder 18, wollten unsere eigene, moderne abends, ging während der Aufführung ins Publikum, sprach mit den Klangsprache finden, auch im performativen Bereich. Einmal drückten wir zum Beispiel jedem Konzertbesucher am Eingang Leuten, trank einen Schluck Wein, ging zurück und spielte weiter. einen Zahnstocher in die Hand, ohne Kommentar. Ganz am Ende Sehr cool! des Konzerts warfen wir Luftballons ins Publikum – wiederum ohne Warum hat sich das geändert? Anleitung, aber es braucht ja nur einen schlauen Menschen, der es Sicher sind Wagner und Mahler mit ihrer Überernsthaftigkeit zwei versteht und anfängt, die Luftballons zu zerstechen, und die anderen der Gründe, auch wenn ich die Musik der beiden sehr liebe. Und machen mit. Es war wie ein Feuerwerk und auch visuell ästhetisch diese ganze Haltung der Romantik, das stilisierte Leiden, der und natürlich humoristisch. Schmerz – auch in der Literatur und Malerei. Da gab es plötzlich weniger Raum für Witz und Humor, auch für das Absurde, das Sie arbeiten mit Aleksey Igudesman jetzt also seit 26 Jahren Groteske. Im Barock und in der Klassik war das anders. Ich will ja zusammen. Waren Sie immer über alles einig? nicht, dass man beim langsamen Satz einer Mahlersinfonie oder Absolut nicht. Wir haben dieselben Wurzeln, befinden uns aber oft eines Beethoven-Streichquartetts isst, trinkt und plaudert, aber es auf entgegengesetzen Seiten der Medaille. Aber Unstimmigkeiten gibt eine Form von natürlicher Stille, die eintritt, ohne dass man den machen uns stärker. Das ist der Luxus an einem Duo. Als EinLeuten sagen muss, dass sie still sein sollen. Kinder sind dafür ein Mann-Show hat man wirklich nur sich selbst. Aber wenn zwei gutes Testpublikum. Die wollen nicht still sitzen, und wenn man starke, unterschiedliche Persönlichkeiten miteinander konfrontiert ihnen sagt, sie sollen es tun, haben sie keinen Spaß oder rebellieren. werden, führt das oft zu einer dritten Perspektive, die spannender ist Aber wenn man eine Verbindung zu ihnen aufbaut, sie abholt und in als die ursprünglichen zwei. Wir haben eine Ping-Pong-Beziehung: die Musik reinholt, dann machen sie das automatisch. Das ist das Der eine spielt eine Idee, der andere spielt sie in anderer Farbe Grundproblem: Wir haben das Publikum immer weiter weggeschozurück. ben, als seien sie nur Sklaven der heiligen Musik, statt es reinzuhoÄhneln Ihre Bühnenpersönlichkeiten den privaten? len, wie das Liszt und viele andere taten. Im Gegensatz zu einigen Comedians tun wir auf der Bühne grundsätzlich dasselbe wie privat, nur leicht übertrieben. Wir sind Und Aleksey Igudesman und Sie wollten das schon als Jugendlisehr authentisch. Ich glaube, dass Humor die Grundvoraussetzung che ändern? Wir haben uns nicht hingesetzt und ein Dekret verfasst, wir wussten ist, um ein gesundes und langes Leben zu führen. Die Welt ist nicht perfekt, und genau deshalb ist sie so fantastisch. Niemand will Krieg, einfach nur, dass unsere Konzerte anders sein sollten. Wir wollten niemand will Naturkatastrophen, aber schreckliche Ereignisse Konzerte veranstalten, die wir selbst gerne besuchen würden. Auch die Programme sind heute fast überall unkreativ. Viele Komponisten stärken den Zusammenhalt. Wir brauchen Tag und Nacht. Es kann werden komplett ignoriert. Schneide heute aus einer beliebigen Kon- nicht immer nur Sonne sein! Aber wenn wir bei Katastrophen keinen Humor mitbringen, wird es schlicht grauenvoll. Wenn man zertvorschau weltweit den Standort aus, und du könntest nicht Holocaust-Überlebende fragt, was sie am Leben sagen, zu welchem Haus sie gehört. Es würde reichen, eine einzige gehalten hat, nennen sie meistens zwei Dinge: Konzertvorschau für alle zu drucken. Musik und Humor. Sie wollten also das Repertoire erweitern? ■ Ja, und wir wollten, dass Konzerte noch mehr Spaß machen. Aktuelle CD: Igudesman & Joo: „You Just Have to Laugh. Vol. 1. Natürlich sollen die Musiker selbst ernsthaft und engagiert sein. ,The Unmaking of‘ Feat. John Malkovich“ (Db Music) Aber wenn Musiker schon mit so einer Ich-bin-euch-überlegen-­ 41


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Der Axel-Brüggemann-Kommentar

SCHLUSS MIT LUSTIG? Ein Plädoyer für mehr Leichtigkeit und Selbstbewusstsein in der klassischen Musik Hand aufs Herz, so richtig lustig wird es in unserer Welt der ernsten aber wenn es Spitz auf Knopf kommt (etwa bei der Eröffnung der ElbMusik nur selten. Klar, es gibt viel Humor in der Klassik, sehr viel sogar, philharmonie, die ja eigentlich ein Freudenfest sein sollte), dann scheiund man kann auch nicht behaupten, dass alle Komponisten Spaßbrem- nen die Verantwortlichen der Klassikinstitutionen eben doch eher die sen waren. Aber das Lustige wird bei uns in der Regel sofort mit Her- ernsthaften „Marmorscheißer“, wie Mozart einst die kaiserlichen Aufzenslust analysiert, gedeutet, als Ausdruck für etwas Höheres, Hehres traggeber nannte, vorzuziehen. Dann muss mal wieder Beethovens und Menschliches behauptet. Einfach nur mal lachen oder albern sein, Neunte ran, dann muss Brahms besonders gewichtig donnern, dann Quatsch machen, einen Gag reißen, scheint uns Klassik-Fuzzis etwas muss Wolfgang Rihm mit philosophisch abgründigem Musikwissen die schwerzufallen. Wir ziehen lieber unsere Smokings an, nippen an den Notenlandschaft als spitzweghafte Spaßbremse durchschreiten. Jemand Champagnergläsern, suchen nach der Bedeutung des Witzes und tun wie Eggert, der das Publikum durch kluges Spiel und bösen Spaß begeisdas Schlimmste, was man mit einem Witz anstellen kann, nachdem tert, hat es aus unerfindlichen Gründen bei weiten Teilen der Intendanman ihn erzählt hat: ihn erklären. ten noch immer schwer. Und auch bei einem Teil des Publikums. Meine persönliche Erfahrung ist diese: Oft fehlt Klassiktreibenden Eggerts Kolumne über das Verhältnis von Neuer und Alter Musik an das spielerische Moment. Ein Großteil ist so humorvoll wie der Modell- unseren Opernhäusern auf crescendo.de sorgte sofort für einen Shiteisenbahnverein Wanne-Eickel. Eigentlich storm – der ihn und mich vielleicht amüsiert absurd, da Musik ja jeden Abend „gespielt“ hat, der in Wahrheit aber alles andere als witwird. Ein Bild wird „gemalt“, ein Buch zig war. WENN ES SPITZ AUF KNOPF „geschrieben“ – Musik aber integriert den Es scheint ein wenig, als müsse die heuKOMMT, SIND DIE „Play-Moment“, das Spielerische, das Experitige Klassik ihren Mythos der „ernsten Musik“ unter allen Umständen behaupten, mentieren, das Unbefangene, das Leichte. VERANTWORTLICHEN als hätte sie Angst, humorvoll, leicht oder Aber davon ist besonders in unseren InstituDER KLASSIKINSTITUTIONEN zynisch zu werden. Sie will mindestens so tionen nur wenig übrig geblieben. Es hat sich weihevoll wie Herbert von Karajan erscheieine Form der Dünnhäutigkeit breitgemacht, EHER DIE ERNSTHAFTEN Diskussionen, Kritik, selbst wortspielerinen, so seelensuchend wie Wilhelm Furt„MARMORSCHEISSER“ sches Lustigmachen über den Kurs eines wängler klingen und glaubt, nur ernst Hauses, eines Orchesters oder einer Auffühgenommen zu werden, wenn sie so grummerung werden in der Regel relativ humorlos lig wie Beethoven, so puritanisch wie Brahms erwidert. Mehr als einmal habe ich erlebt, wie deutschsprachige Inten- und so weltverbessernd wie Wagner daherkommt. Manchmal wird all danten Kritik nicht als Vorlage zur launigen Debatte, als Grundlage des das zumindest unfreiwillig komisch, wenn mal wieder ein Dirigent, der Redens oder als gemeinsames lustvolles und spaßiges Streiten begriffen Millionen von Staatsgeldern abkassiert, von seinem Auftrag palavert, haben, sondern sofort persönlich beleidigt waren. Dann haben sie von der Größe der Kunst – und man das Gefühl hat, dass der Preis für Briefe an Chefredakteure oder Herausgeber geschrieben, Schreibver- einen Liter Mich ihm weitgehend unbekannt ist. Aber wer Spaß oder bote gefordert, haben Werbungen storniert und den lustvollen Dialog Humor vermitteln will, der tut gut daran, sich nicht im Elfenbeinturm verweigert. Ausgerechnet jene Leute, die Nackte auf die Bühne stellen abzuschotten, er muss auf der Straße ebenso zu Hause sein wie in den und ihr Publikum provozieren wollen, mögen es nicht, wenn man sie Höhen der Kunst. Mit anderen Worten: Dem Parkett unserer Konzertherausfordert. Ausgerechnet jene Menschen, die auch für die kluge häuser fehlt oft die Street Credibility. Dabei versteht es jeder gute HumoUnterhaltung einer Gesellschaft sorgen sollen, mögen das Unterhal- rist und Künstler, das Allgemeingültige im Profanen zu finden. Das Absurdeste an der ganzen Sache ist, dass für viele als Legitimatende nicht besonders. Diese Gemengelage ist alles andere als lustig. Überhaupt scheinen Spaß, Leichtigkeit und Ironie, scheinen Witz, tion immer wieder ein Komponist wie Mozart herhalten muss: als Humor und im weitesten Sinne Unterhaltung das Weihwasser für Beweis des Witzes, des Unkonventionellen, des humorvollen Menunsere teuflische Klassik-Szene zu sein. Moritz Eggert etwa, den ich als schenverstehers. Dabei verwette ich all meine Ohren dafür, dass einer Komponisten und Menschen sehr schätze, ist zwar durchaus erfolgreich wie er es in unserer neuen Klassikwelt noch schwerer haben würde als mit seinen schmunzelnden, zum Teil bitterbös-satirischen Werken – zu seiner Zeit. 42

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Warum ist das so? Es gibt sicherlich viele Gründe für die allgemeine Unlockerheit der klassischen Musik. Wesentlich ist, glaube ich, dass sie noch immer in der Nische steht, dass sie – auch auf Grund der immensen Subventionen – noch immer in einer Verteidigungshaltung steckt, dass sie unter enormem Legitimationsdruck steht und kurz gesagt: voller Komplexe steckt. Die Klassik wirkt wie eine Büste, die Angst davor hat, zu zerspringen, wenn sie sich bewegt. Aber Humor gedeiht am schlechtesten in einem Umfeld dauerhaften Drucks: Klassiklabels, die in der Regel gegenüber ihren Eigentümern, den großen, multinationalen Unterhaltungskonzernen, immer wieder an Wachstumsraten, Innovationsgeist oder modernen Marketingtrends gemessen werden. Theater und Konzerthäuser, die immer wieder mit Haushaltsdebatten konfrontiert sind und längst in einer Zwickmühle stecken. Auf der einen Seite sollen sie die experimentellen Kraftzen­tren der Gesellschaft sein, subventionierte Experimentierfelder, aber am Ende schauen sich die Stadt- und Landespolitiker eben doch die Auslastungszahlen an, um über weitere Subventionen zu entscheiden. Das hat fatale Folgen: Angeboten wird, was die Leute eh schon kennen, man geht mit dem OpernAbc, mit Aida, Bohème und Carmen lieber auf Nummer sicher, wirkliche Experimente und Spielereien bleiben in der Regel Feigenblätter. Symptomatisch war eine Pressemitteilung, welche die Orchestervereinigung vor einigen Wochen herausgegeben hat. Sie sprach von einer „Trendwende“ in der klassischen Musik. Das Hauptargument der Vereinigung kam in den letzten zehn Jahren in fast allen Berichten der Orchestervereinigung oder des Bühnenvereins vor: Deutsche Orchester und Theater würden mehr Publikum locken als die Spiele der Fußballbundesliga. Das hört sich gut an. Ist aber am Ende eine vollkommen peinliche Einordnung. Während in der Bundesliga 18 Vereine pro Saison Spiele gegeneinander austragen, es also genau 306 Fußballmatches pro Jahr gibt, stehen dem weit über 100 Opernhäuser und Orchester gegenüber, die fast jeden Tag im Jahr ihr Publikum locken. Logisch, dass sie mehr, ja, vielmehr Publikum haben als die Stadien der ersten Liga (und übrigens auch immer hatten)! Was der Orchesterverband nicht sagt, ist, dass der Fußball natürlich wirtschaftlich erfolgreicher ist als die Klassik und dass er, wenn man die zweite und dritte Liga, die Regionalligen, die Spiele der Jugendmannschaften und vor allen Dingen die Fernsehzuschauer dazurechnet, natürlich ein Tausendfaches an Zuschauern hat. Was ich mit diesem Beispiel sagen will: Die Klassik will so ungeheuer modern klingen, größer, als sie ist, und betreibt dabei ganz humorlose Augenwischerei. So sehen Minderwertigkeitskomplexe aus. Pressemitteilungen wie diese wirken auf den nicht mit der Klassik beschäftigten Leser wie die letzten Menschen von Atlantis, denen das Wasser bis zum Hals steht und die aus voller Kehle singen: „Wir gehen nicht unter!“ Das hat schon etwas Lustiges. Warum, bitte schön, argumentiert die Orchestervereinigung nicht anders? Etwa so: Orchester und Opernhäuser sind Orte, die sich eine Gesellschaft leistet, und dafür schaffen sie etwas Großartiges: Sie experimentieren, sie suchen den Soundtrack unserer Gegenwart, sie bewahren das kulturelle Erbe unseres Landes und schreiben es fort, sie treten in lustvollen Dialog mit Jugendlichen, sie begeistern jeden Abend ein Publikum, das in ihrer Musik immer auch die Werte des Menschseins, des Miteinanders sucht.

Gerade in der klassischen Musik gibt es inzwischen unglaublich viel Anbiederung an den vermeintlichen Publikumsgeschmack: Mal werden Mozart, Haydn und Co. als „Popstars ihrer Zeit“ verkauft (was Quatsch ist!). Mal wird behauptet, dass Klassik leicht zugängig sei und keine Grenzen kenne, dann wieder wird sie mit den Mitteln modernster PR auf Hochglanz gebürstet und als schillernde Hülle unter die Leute gebracht, oder PR-Agenten, die selber noch aus dem Mittelalter kommen, glauben, dass Medien wie Twitter oder Facebook der Weisheit letzter Schluss seien, und merken dabei gar nicht, wie peinlich ihre Aktionen auf Leute wirken, die mit diesen Medien tatsächlich jeden Tag umgehen. Ja, ein bisschen ist es mit ANZEIGE dem Humor in der Klassik so, dass er inzestuös ist, dass er fernab der realen Welt stattfindet – eine Freakshow, die so ernst ist, dass sie für andere kaum einladend wirkt. Am besten war all das in der mehrere Millionen Euro schweren Werbekampagne der Elbphilharmonie zu sehen: Sowohl die geschriebene als auch die visuelle Sprache der Kampagne war eine gigantische Anbiederung an eine junge Generation, die da angesprochen werden sollte, deren Ton aber nur imitiert und nicht verkörpert wurde. Ähnliches sehen wir oft, wenn Klassik im Fernsehen stattfindet, entweder wenn uns alles, was wir zu sehen bekommen, in einem Glitterkleid als „großartig“, „genial“ oder „fulminant“ verkauft wird, so als ob der Fernsehzuschauer nicht selber hören könnte, dass natürlich nie alles perfekt ist. So, als läge das Großartige der Klassik nicht im Spiel, in seinen Fehlern und gescheiterten Experimenten. Oder wenn Leute wie Thomas Gottschalk den ECHO Klassik schon mit einer Warnung beginnen, dass nun wahrscheinlich viele abschalten, weil jetzt ja Klassik gesendet würde. Das ist weder wahr noch lustig. Und schlimmer noch: Klassikfans werden durch so etwas vergrault und neues Publikum nicht angesprochen. All das erinnert an Witze, die nicht zünden, an Humoreinlagen, über die nur der Erfinder selber lachen kann. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Wahn der Klassik, besonders jung oder besonders lustig wirken zu wollen, am Ende mehr Zuhörer kostet, als dass er neue bringt. Ist also jede Hoffnung auf Humor in der klassischen Musik verloren? Natürlich nicht! Denn da sind ja noch die Künstler. Und die meisten von ihnen sind – auch, wenn sie oft als das moralische Gewissen des Abendlandes verkauft werden – am Ende eben ganz normale Menschen: lustig, schlagfertig, selbstkritisch und leidenschaftlich. Künstler, die durchaus Humor und Ironie verkörpern. Die sich über jede Möglichkeit, auch ohne ihr Instrument in der Öffentlichkeit „spielen“ zu dürfen, freuen. Die es genießen, ohne Formate, ohne Erwartungen, ohne Spaßregeln einfach nur sie selbst zu sein: Menschen, die ein Leben lang mit der Musik verbringen, die sich nicht darum kümmern, was andere zu diesem Weg sagen – weil dieser Weg für sie der einzige ist, den sie gehen wollen. Künstler, die selbstbewusst sind. Es ist dieses allzu Menschliche, es sind die Musiker selber, in denen der Humor und die Leichtigkeit der klassischen Musik jeden Abend strahlt. Vielleicht ist es an der Zeit, den Spot mal wieder auf sie zu richten, auf die Musik an sich. Denn sie ist viel spaßiger als der Betrieb, der sie in seiner gesamten Spaßlosigkeit als Geisel der Minderwertigkeit gefangen hält. ■ 43


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7 1) Zentrales Mineralbad 2) Goldschatz von Panagjurischte 3) Blick auf die Alexander-Newski-Kathedrale aus dem Sense Hotel 4) Rotunde des Heiligen Georg 5) Bulgarische Tracht 6) Nationaler Kulturpalast 7) Nationaltheater „Iwan Wasow“ 8) Eine der zwölf Türen der Alexander-Newski-Kathedrale

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F OTO S : M AT TEO P I A Z Z A ; B U LG A R I A TR AV E L (2); B U LG A R I SC H E B OT SC H A F T B E R L I N ; M E L I S S A M A P L ES ; M O R KOV I C A ; VO LO D H I A ; TO M P E D D L E (2); B U LG A R I E N W E B

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L E B E N S A R T

„ICH REISE NIEMALS OHNE BULGARISCHE JOGHURTFERMENTE“

SOFIA Orthodoxe Kirchen, sprudelnde Thermalquellen und betörendes Rosenöl – die Sopranistin Krassimira Stoyanova führt uns durch Bulgariens Hauptstadt. VON CORINA KOLBE

F OTO S : C ES A R E B E L L A F RO N TE;

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Ihr Debüt als Opernsängerin feierte die tempeein noch so grausamer Operntod kann ramentvolle dunkelhaarige Diva, die an den bekannKrassimira Stoyanova aus der Bahn wertesten Bühnen der Welt gastiert, 1995 am Nationalfen. Denn die Sängerin hat immer ein theater für Oper und Ballett in Sofia. „Ich habe die gesundes Stück Heimat im Gepäck. „Ich Gilda in Rigoletto gesungen“, erinnert sie sich. „Kaum reise niemals ohne bulgarische Joghurtzu glauben, aber ich wurde ohne eine einzige Probe fermente“, sagt sie lachend am Telefon. Wir erreichen quasi ins kalte Wasser geworfen. Der Stress war sie in New York, wo sie an der Metropolitan Opera die Sopranistin enorm, aber es ist alles gut gegangen. Jetzt kann ich Hauptrolle in Verdis Aida singt. Eine gehörige Portion Krassimira Stoyanova darüber lachen.“ Das Musik- und Kulturleben der Nationalstolz schwingt mit, als die Sopranistin erklärt, dieses beliebte Milchprodukt sei in Bulgarien und nicht etwa in Stadt sei sehr lebendig, berichtet sie. „Wir haben einen Kulturpalast Griechenland erfunden worden. Mit ebenso großer Begeisterung mit fast 4.000 Plätzen. Das sind Dimensionen wie in der Met in New begleitet sie uns auf einen virtuellen Spaziergang durch die Haupt- York. Wenn Opern aufgeführt werden, ist der Saal oft voll.“ Freunden, die Sofia noch nicht kennen, zeigt sie zuerst die stadt Sofia, die sie schon seit ihrer Kindheit kennt. Geboren wurde Stoyanova im fast 200 Kilometer weiter öst- Kirchen im Stadtzentrum. Mit ihren prunkvollen Kuppeln ist die lich gelegenen Weliko Tarnovo. Das historische Zentrum mit zahl- Alexander-Newski-Kathedrale schon von Weitem zu sehen. Das reichen Kirchen und den Überresten des einstigen Zarenpalasts ist imposante Gotteshaus im neobyzantinischen Stil ist der Sitz des über drei befestigte Hügel verteilt, an denen sich der Fluss Jantra in Patriarchen, des Oberhauptes der bulgarisch-orthodoxen Kirche. vielen Krümmungen vorbeischlängelt. „Ein wunderschöner Ort Der Architekt des Moskauer Warenhauses GUM, Alexander mit typischen Steinhäusern, wo sich Spuren aus allen Epochen fin- Pomeranzew, entwarf das Gebäude um die Jahrhundertwende. Die den lassen“, schwärmt die 54-jährige Künstlerin. Lange vor Sofia Säulen wurden aus brasilianischem Onyx gefertigt. Die Holztüren war Weliko Tarnovo im Mittelalter Landeshauptstadt Bulgariens. stammen aus Bamberg und Wien und die Metallbeschläge aus Heute gibt es dort auch ein Musiktheater und ein Kinderorchester, München, wo auch die Beleuchtung hergestellt wurde. Die Goldin dem Stoyanova früher spielte. „Viele Kinder haben sich da auf grund-Mosaiken im Innern sind aus Venedig. Besonders beeineine professionelle Orchesterkarriere vorbereitet.“ In Russe an der druckend findet Krassimira Stoyanova außerdem die Rotunde des Donau, dem kulturellen Zentrum Nordbulgariens mit wienerisch Heiligen Georg, einer frühchristliche Kirche aus dem 4. Jahrhungeprägter Architektur, ging Krassimira Stoyanova aufs Musik- dert, die von den Römern aus rotem Backstein gebaut wurde. Im gymnasium, bevor sie am Konservatorium von Plowdiw Gesang Innenraum sieht man prachtvolle Fresken, auf denen unter anderem Propheten dargestellt sind. und Violine studierte. 45


L E B E N S A R T

In der Innenstadt von Sofia sind noch viele Überreste aus dem gut gefällt der Sängerin die beeindruckende Darstellung von Zar antiken römischen Serdica zu finden. Erst vor 13 Jahren wurde beim Konstantin und seiner Frau Irina. Das Herrscherpaar ist in rot-golBau eines Hotels ein großes Amphitheater freigelegt. „Die Römer denen verzierten Gewändern vor einem tiefblauen Hintergrund zu bewundern. haben sich bei uns offensichtlich sehr wohl Nach so intensiven Besichtigungstouren gefühlt, nicht zuletzt wegen der vielen Therwird es dringend Zeit für eine Stärkung. In men“, erklärt die Sängerin. Nicht nur Ungarn, Sofia gebe es längst nicht nur Joghurt, lacht sondern auch Bulgarien ist reich an HeilquelKrassimira Stoyanova. Bulgarien ist auch für len. So kann man einen Aufenthalt in Sofia seine Grillspezialitäten berühmt, die man in ideal mit kleinen Pausen in Spas und Thertypischen Restaurants im Zentrum probieren malbädern verbinden. Stoyanova empfiehlt kann. „Unsere Küche erinnert an die kulinariaußerdem, Museen und Kunstgalerien anzuschen Traditionen Griechenlands, der Türkei, schauen. „Bei uns sind spektakuläre GoldItaliens und anderer Mittelmeerländer. Auch funde zu sehen. Es ist unglaublich, wie kunstVegetarier brauchen nicht zu hungern, denn voll dieses edle Metall im Laufe der Jahrhunbei uns kommt neben Fleisch immer viel derte verarbeitet wurde.“ Zu den Glanzstücken Gemüse auf den Tisch.“ International bekannt der Sammlungen des Nationalen Historischen ist außerdem der bulgarische Schafskäse und Museums gehört der Goldschatz von Panagjuder Schnittkäse Kaschkawal, der aus Schafsrischte aus dem 4. und 3. Jahrhundert vor oder Kuhmilch bestehen kann. Zu diesen Christus. Die neun Gefäße aus purem Gold, Gerichten kann man ausgezeichnete Weine die eigentlich dem Museum in Plowdiw gehöprobieren, die im Land bereits seit der Antike ren, werden auch im Ausland ausgestellt. angebaut werden. Stoyanova empfiehlt beiNeben nüchternen Gebäuden, die an die Fresko von Zar Konstantin mit spielsweise Weiß- und Rotweine aus der KelleZeit des Ostblocks erinnern, gibt es in Sofia seiner Frau in der Kirche von Bojana rei Todoroff. Als Souvenirs können sich Touviele Parks. „Die Stadt ist sehr grün, und die Einwohner empfangen Touristen sehr herzlich. Meinen Freunden risten Ikonen und kunstvoll gefertigten Silberschmuck mit nach würde ich in jedem Fall auch die Umgebung zeigen“, sagt Stoyanova. Hause nehmen. Auch bulgarisches Rosenöl sollte man sich keines„Das Witoscha-Gebirge, das vor der südlichen Stadtgrenze beginnt, falls entgehen lassen. Zur Gesichtspflege hat die Sängerin auf Reisen ist unser Nationalpark. Da liegt auch die Kirche von Bojana, die für immer Rosenwasser dabei, das außerdem Marzipan einen herrliihre Fresken aus dem 13. Jahrhundert weltberühmt ist.“ Besonders chen Geschmack verleiht. ■

Tipps, Infos & Adressen

Musik & Kunst

Essen & Trinken

Übernachten

Das Nationaltheater für Oper und Ballett bietet Opern- und Tanzaufführungen sowie Konzerte. In diesem Sommer steht unter anderem Wagners Parsifal auf dem Programm. Infos und Karten unter www.operasofia.bg

Traditionelle bulgarische Gerichte und internationale Küche bietet das Restaurant Cosmos. Auf der Karte findet man Schopska-Salat ebenso wie Foie gras oder Steinpilz-Ravioli. Für gehobene Ansprüche. Wesentlich uriger ist es im Restaurant Hadjidraganov’s Houses, wo Gäste große Portionen zu moderaten Preisen sowie Live-Folkmusik erwarten. Typisches bulgarisches Flair charakterisiert das Moma Bulgarian Food & Wine: Grillteller, Salate und zum Abschluss Joghurt-Dessert. Wer neugierig auf bulgarischen Rebensaft ist, kommt auch in der Rumen Weinbar auf seine Kosten. Infos unter: www.moma-restaurant.com; www.rumen.wine

Mit modernem Design, einer Roof Top Bar, kulinarischen Spezialitäten und einem großzügigen Wellness-Bereich lockt das mit fünf Sternen bewertete Sense Hotel Sofia ­Gäste, die sich ihren Städtetrip etwas kosten lassen wollen – spektakulärer Ausblick auf die ­Alexander-Newski-Kathedrale inklusive. Infos und Buchung unter: www.sensehotel.com

Für das Nationale Historische Museum Bulgariens sollte man genug Zeit einplanen. Die Haupt­ ausstellung schlägt einen weiten Bogen von der Urgeschichte bis zum Zweiten Weltkrieg. ­Moderne und zeitgenössische Kunst aus der Zeit nach der Unabhängigkeit Bulgariens 1878 ist in der Nationalen Kunstgalerie zu sehen. Infos unter: www.visitsofia.bg; www.historymuseum.org; www.nationalartgallerybg.org

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Eine günstigere, ebenfalls zentral gelegene ­Alternative ist das Best Western Art Plaza Hotel. Infos und Buchung unter: bw-art-plaza-sofia.hotel-rn.com

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F OTO S : VO LO D H I A ; CO S M O S ; M AT TEO P I A Z Z A

Reiseinformationen rund um einen Besuch in Sofia


L E B E N S A R T

Termin

FÜR GLOBETROTTER

Glyndebourne Festival

Aldebourgh Festival

Edinburgh Festival

20.5. bis 27.8. Ein reicher Adeliger baut seiner

9. bis 25.6. Etwas weiter nördlich feiert das Al-

4. bis 28.8. Noch weiter nördlich in Schottland

jungen Frau ein Opernhaus, damit sie Mozart singen kann. Was sich wie ein romantisches Märchen anhört, ist die Gründung des berühmten Glyndebourne Festivals im Süden Englands. Das Picknicken auf dem grünen Rasen um das Landhaus gehört bis heute zu den Besonderheiten des Festivals. Dazu gibt es Oper, von Mozart, aber auch Francesco Cavallis L’Hipermestra, dirigiert vom Barock-Spezialisten William Christie. Und eine neue Oper ist zu sehen: Hamlet von Brett Dean nach einem Libretto des Schriftstellers Matthew Jocelyn. Infos unter www.glyndebourne.com

deburgh Festival das 50-jährige Bestehen seiner Snape Maltings Concert Hall. Sie zeugt von den frühesten Verwandlungen einer ausgedienten Industrieanlage in eine Kulturstätte. Mit seiner Oper A Midsummer Night’s Dream eröffnete Benjamin Britten, Mitbegründer des Festivals, 1967 das Gebäude. Mit Netia Jones’ Neuinszenierung der Oper beginnt auch das diesjährige Festival unter der künstlerischen Leitung von Pierre-Laurent Aimard. Wieder zu sehen ist Brittens Oper Billy Budd mit Roderick Williams und Brindley Sherratt. Infos unter www.aldeburgh.co.uk

F OTO S : M AT TH I A S C R EU T ZI G E R ; M A R K A L L E N ; E D I N B U RG H F ES TI VA L F R I N G E S OC I E T Y

Brexit hin oder her – diese Festivals in Good old Britain sollten Sie sich nicht entgehen lassen!

feiert man ebenfalls Jubiläum. Das Edinburgh International Festival wird 70 Jahre alt. Jahr um Jahr kommen hier drei Wochen lang die besten Künstler aus Tanz, Oper, Musik und Theater zu einem Fest der darstellenden Künste aus aller Welt zusammen. Zur Geburtstagsfeier dirigiert Sir James MacMillan das BBC Scottish Symphony Orches­ tra bei der Aufführung von drei Meisterwerken des 20. Jahrhunderts. Und zum Mitfeiern kommen Stars wie Joshua Bell, Christian Tetzlaff, Mitsuko Uchida oder Bryn Terfel vorbei. Infos unter­ www.eif.co.uk

HOTELTIPP

MOHR Life Resort

F OTO: M O H R L I F E R ES O RT

Spitzen-Wellness mit Zugspitz-Anschluss im österreichischen Lermoos.

Zum Anfassen nahe überragt das mächtige Massiv von Deutschlands höchstem Berg seine Nebengipfel. Daneben verbreitet die Ehrwalder Sonnenspitze mit ihren Felsklüften hochalpines Flair. Dieses atemberaubende Panorama lässt sich kaiserlich bequem durch die komplett verglaste Wand der Sauna genießen, aber auch aus Schwimmbad und Außenpool. Doch mit augenverwöhnender Vier-Sterne-Wellness nicht genug: Das MOHR Life Resort vereint natürliche Materialien wie Holz und Stein mit modernstem, extravagantem Design zu einer Einfach-nur-wow!-Atmosphäre. Information und Reservierung unter www.mohr-life-resort.at oder Telefon: +43-(0)5673-2362 47


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(BR Klassik)


JOHN AXELRODS WEINKOLUMNE

F OTO: S TE FA N O B OT TES I

L E B E N S A R T

BEETHOVEN ALS BACCHUS Wein rein, Musik raus: Die zwei „großen B“, Beethoven und Brahms, waren alles andere als Trunkverächter – bis zum gesundheitlichen Supergau. „Musik ist der Wein, der zu neuen Erzeu- tionale Sorten (Pinot Noir, Cabernet Sauvi- Hafenbordellen, was sicher Einfluss auf gungen begeistert, und ich bin der Bacchus, gnon) und Hybride wie Blauer Zweigelt, seine späteren Trinkgewohnheiten nahm. Einmal wurde Brahms zum Abendesder für die Menschen diesen herrlichen Blauburgunder und St. Laurent angebaut. Bei Beethoven fragt man sich schon, sen eingeladen, und der Gastgeber, ein Wein keltert und sie geistestrunken macht“, schreibt Ludwig van Beethoven. Ein rot- welchen Einfluss der Alkohol auf seine Weinkenner, entkorkte eine seiner besten wangiger, pummeliger und geselliger Beet- Musik hatte, seine Gesundheit beeinträch- Flaschen mit den Worten: „Das ist der hoven entspricht nicht unserer Vorstellung tigte er in jedem Fall massiv. „Schade, Brahms unter meinen Weinen!“ Nachdem vom großen deutschen Romantiker, den schade, zu spät!“, sollen seine letzten Worte der Genannte einen Schluck probiert hatte, wir uns lieber als Tragiker mit zerfurchter auf dem Sterbebett gewesen sein – gerade gab er zurück: „Dann würde ich jetzt gern Stirn denn als Komiker vorstellen. Beetho- wollte man ihm zwölf Flaschen exzellenten den Beethoven probieren.“ Ganz im Sinne dieser beiden Säufervens Familienerfahrung mit dem Trinken Wein kredenzen! Forscher des Argonne war tatsächlich eher tragisch: Die meisten National Laboratory in Illinois konnten Titanen würde ich Ihnen gerne den „Beethoven“ aus meinem WeinHistoriker gehen davon aus, dass sein Vater nachweisen, dass es der keller vorstellen, der alles schwerer Alkoholiker war. Nach dem Tod Wein war, der den KompoMAN SAGT, DASS ER musikalische und kulinaseiner Mutter – Beethoven war 17 – begann nisten am 26. März 1827 rische Elitedenken mit er selbst, große Mengen Wein zu trinken. niederstreckte: Vor drei DEN SCHMERZ einem Schluck wegfegt. Dann setzten die ersten Symptome seines Jahren bewies eine umfangJEDE NACHT MIT Schon das Etikett wird Sie reiche Analyse von Gehörverlusts ein und wurden immer DREI ­FLASCHEN zum Lachen bringen: „The Haarproben und der schlimmer, mit 27 war sein Zustand Fat bastard“, ein preisgeRöntgenauf nahmen bereits dramatisch. Man sagt, dass er ­FRANKENWEIN krönter Cabernet Sauvi­ von Beethovens Schäden Schmerz jede Nacht mit drei Fla­B ETÄUBTE gnon aus dem französidel, dass der Komposchen Frankenwein betäubte. Kein schen Languedoc-Roussilnistengigant an einer Wunder, dass seine Manuskripte kaum lon. Er ist reich und Bleivergiftung gestorlesbar sind. ben ist. Das Killer-Blei kam sicher komplex mit vielen Gewürznoten und deutAußerdem traf er sich regelmänicht vom Kauen auf Bleistiften, lich tanninreich – perfekt zum Gulasch in ßig zum Trinken mit Freunden im sondern von der Tasse, aus der einer Wiener Kellerschenke oder mit einem Wirtshaus „Zum Weißen Schwan“ Beethoven trank, und vom Wein zünftigen Würstchen à la Brahms. in Wien. An den Cellisten NikoDer Name des Weins ist angeblich so selbst, der damals oft mit Blei laus Zmenkall schreibt er: „Lass gesüßt wurde. Wie groß der Scha- entstanden: Als Winzer Thierry Boudinaud uns heute Abend um sieben im den war, den das anrichten konnte, das Ergebnis seines neusten Experiments Schwan treffen und mehr von degustierte, soll er ausgerufen haben: „Was war noch unbekannt. deren grässlichem Rotwein trinBeethoven war nicht der erste für ein fetter Bastard!“ Eben ein außergeken.“ Dort gab es offenbar einen Weinliebhaber der Musikgeschichte. wöhnlich reichhaltiger und voller Wein. Der sehr säurehaltigen, billigen Wein Auch Brahms hatte ein ausgepräg- Bacchus unter den Weinen. Ja, vielleicht der aus regionalen Trauben vom Fuße tes Trinkverhalten. Seine Jugend- Beethoven unter den Weinen! des Wiener Kahlenbergs. Heute ■ jahre verbrachte er in Hamburgs werden dort auschließlich internaJohn Axelrod ist Musical Director des Real Orquesta Sinfónica de Sevilla und erster Gastdirigent des Orchestra Sinfonica di Milano „Giuseppe Verdi“. Nebenbei schreibt er Bücher und sorgt sich um das Wohl des crescendo-Lesergaumens. Gerade hat er einen neuen englischsprachigen Blog zum Thema Wein und Musik begonnen: www.IamBacchus.com. Den Wein „Fat bastard“ können Sie bei verschiedenen französischen und britischen Händlern bestellen oder direkt unter: www.fatbastard.com. 49


H O P E

T R I F F T

Die Daniel-Hope-Kolumne

AUTHENTIZITÄT

Daniel Hope: 2015 wurdest du der jüngste Präsident in der Geschichte der Deutschen Grammophon. Was hatte das gelbe Label als Kind für eine Bedeutung für dich? Clemens Trautmann: Aufgewachsen bin ich in Braunschweig, das zwar bis heute ein reges Musikleben hat, aber – die Braunschweiger mögen es mir nachsehen – vielleicht nicht unbedingt das Zentrum des musikalischen Universums war. Die Platten der Deutschen Grammophon waren deshalb für mich so etwas wie das Tor zu einer anderen Welt – und haben Zugänge eröffnet zu internationalen Musikzentren wie London, Mailand, Wien, Salzburg, Bayreuth oder New York. Und das Label war so etwas wie das Prüfsiegel herausragender Aufnahmen. In meinem örtlichen Plattenladen, wo ich komplette Samstage verbracht habe, galt für mich immer „im Zweifel gelb“. Der Gedanke, einmal für die Deutsche Grammophon zu arbeiten, ist mir vereinzelt durch den Kopf geschossen. Aber als Teenager hatte ich absolut keine Ahnung davon, wie ein Musiklabel funktioniert und dass es da einen „Präsidenten“ oder „Produzenten“ gibt, geschweige denn, was die machen. Später habe ich bei Lehrern Klarinette studieren dürfen, die selbst eine Historie mit dem Label hatten: etwa Charles Neidich oder Sabine Meyer. Mein Musikwissenschaftsprofessor war wiederum Textautor für die Deutsche Grammophon – und mit seinem Mitarbeiterrabatt konnte ich mir damals die Beethoven-Gesamtedition leisten … Du bist nicht nur promovierter Rechtsanwalt und Medienmanager, sondern auch 50

professioneller Musiker. Hat es dich viel Überwindung gekostet, das Business der Musik vorzuziehen? Ich war nie ein Anhänger von „entweder oder“, sondern von „sowohl als auch“. Selbst wenn es oft ein Kraftakt war, Jura- und Musikstudium, Konzertreisen, Freunde und

Daniel Hope mit Clemens Trautmann

Dutzende andere Interessen unter einen Hut zu bringen. Für ein Label wäre es in Zeiten eines so radikalen Wandels wie der Digitalisierung auch problematisch, in Silos zu denken. Wenn es beispielsweise um Musik-Streaming geht, greifen künstlerische, rechtliche, kaufmännische und strategische Aspekte ineinander. Umso hilfreicher ist es dann, wenn man eine gemeinsame Sprache spricht und mit Bühnen- und Studioerfahrung nachvollziehen kann, welches Repertoire aufgeht und was man vielleicht besser bleiben lässt. Viele junge Künstler fragen mich, wie sie einen Plattenvertrag bekommen. Dagegen sagen Plattenchefs, dass sie ständig auf der Suche nach jungen Talenten sind. Wie

bringen wir euch zusammen? Du kannst sie mir gerne vorstellen. Empfehlungen funktionieren erfahrungsgemäß gut: Die Cellistin Camille Thomas, die wir vor wenigen Wochen unter Vertrag genommen haben, kam über Rolando Villazón und seine Arte-Sendung „Stars von morgen“ zu uns. Wir sind ständig auf der Suche nach spannenden Talenten. Der sensible und nachhaltige Aufbau junger Künstler gehört zu unserem Kerngeschäft und sichert den langfristigen Erfolg unseres Labels. Es geht uns bei der Deutschen Grammophon nicht darum, Karrieren im Durchlauferhitzer zu befeuern. Im Idealfall entwickelt sich eine Partnerschaft organisch über Jahrzehnte – wie bei Anne-Sophie Mutter. Aber nicht alle, die gerne mit uns zusammenarbeiten würden, passen auch zu uns. Das hat nicht nur mit der interpretatorischen und handwerklichen Qualität zu tun. Durch die neuen digitalen Plattformen hat der Hörer ein unendlich großes Angebot. Aufnahmen werden unmittelbar vergleichbar. Und das Bessere ist bekanntlich der Feind des Guten. Stärker als früher muss sich zur Person des Künstlers, zu seiner Motivation, seinem Antrieb auch eine authentische Geschichte erzählen lassen und ein gemeinsames Verständnis über die Außendarstellung existieren. Ein Künstler der Gegenwart sollte über eine gewisse Kommunikationsgabe auf und hinter der Bühne verfügen, zum Beispiel in sozialen Netzwerken aktiv sein, wie Lang Lang, der neben seinem höchsten pianistischen Standard weltweit ganz neue Generationen von Musikfans live und über digitale Medien begeistert. n www.crescendo.de

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F OTO: P R I VAT

Damit Label und Künstler zusammenpassen, braucht es mehr als technisch-musikalische ­Perfektion. Unser Kolumnist Daniel Hope im Gespräch mit Clemens Trautmann, Präsident des Labels Deutsche Grammophon.


live in concert 2017 F i l m m u s i k 06.10.2017 – Nürnberg 21.10.2017 – Hamburg 26.10.2017 – Düsseldorf 29.10.2017 – München 05.11.2017 – Stuttgart 10.11.2017 – Hannover 14.11.2017 – Hamburg 18.11.2017 – Frankfurt 19.11.2017 – Berlin 08.12.2017 – Augsburg TickeTs unTer:

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