CLASS: aktuell 2016/Nr. 1

Page 1

2 0 16 / N r. 1

CLASS : aktuell Association of Classical Independents in Germany

Frank Peter Zimmermann Reife und Vollendung

Bal谩zs Szab贸 spielt Regers Choralfantasien

Christian Gerharer Spannungsfeld Volks- & Kunstlied

Krzysztof Urbanski Fulminanter Dirigenteneinstand

Stil? Sicher!

Die Dresdner Kapellsolisten


Die weltweite Leitmesse der Audiobranche Unverzichtbarer globaler Marktschauplatz HIGH END® 2016: Die Erlebnis-Messe für exzellente Unterhaltungselektronik MOC München – Lilienthalallee 40 80939 München-Freimann Termin: 05. bis 08. Mai 2016 Öffnungszeiten: Täglich 10.00 bis 18.00 Uhr Fachbesuchertag: Donnerstag, 5. Mai 2016 (nur mit Vorab-Registrierung)

Eintritt: Fachbesucher: Publikum:

20 Euro (gültig für alle Tage) 12 Euro (Tageskarte von Fr-So)

Internet: www.HighEndSociety.de Facebook: www.facebook.com/HighEndSociety Twitter: http://twitter.com/HighEndSociety

Vom 05. bis 08. Mai 2016 können internationale Besucher auf der HIGH END wieder das Beste erleben, was die Unterhaltungselektronik zu bieten hat. Die bayerische Landeshauptstadt verwandelt sich dann erneut in ein Mekka für Liebhaber neuester Entwicklungen aus aller Welt. Die Messe erlaubt einen einzigartigen Blick auf den Markt der gesamten, internationalen Audio-Branche. Hier bietet sich dem Messebesucher die einmalige Möglichkeit, musikalische Pretiosen in ihrer gesamten Vielfalt kennen zu lernen und in Ruhe dem Musikgenuss zu frönen.

35 Jahre HIGH END – eine Messe mit Tradition Die HIGH END blickt auf eine langjährige Tradition zurück. Die Messe wird seit ihrer Premiere 1982 in Düsseldorf, im Jahre 2016 bereits zum 35. Mal in Folge veranstaltet. Nach 21 Jahren am Standort Frankfurt am Main, findet die älteste und größte Messe dieser Art seit 2004 im MOC München statt.

Die HIGH END ist ein Vorführparadies für die Ton- und Bildwiedergabe Die hochmoderne Architektur und Infrastruktur des Veranstaltungszentrums MOC im Norden Münchens bietet ideale Präsentationsmöglichkeiten. Seit über einer Dekade ist das MOC Veranstaltungscenter nun schon die Heimat dieser jährlichen Leistungsschau. Auf einer Fläche von insgesamt 27.610 Quadratmetern vereint die HIGH END vier großzügige Messehallen sowie zwei verglaste Atrien mit 140 angrenzenden Showrooms. Diese Licht durchfluteten, individuell gestaltbaren Raumeinheiten bieten ideale Voraussetzungen für bleibende Eindrücke.

„Die HIGH END“ – Gesamtheit der Audiobranche Über 500 nationale und internationale Aussteller präsentieren ihre Innovationen rund um die Musikwiedergabe. Neben den Globalplayern beweisen aber auch die kleineren Audio-Spezialisten ihre Entwicklungsfreude. Hier zeigen die weltweit führenden Anbieter für hochwertige Unterhaltungselektronik wieder sämtliche Produktgruppen rund um die hochwertigen Entwicklungstechnologien unserer Zeit.

Vielfalt, Erlebniswert und Informationsqualität Der Erlebniswert dieser Messe ist enorm. Die hohe Qualität der individuellen Präsentationen der Aussteller aller Audiosparten, faszinierende Musikvorführungen, spannende Workshops, aufschlussreiche Musikvergleiche, interessante Vorträge auf der Technologiebühne sowie Live-Musik auf der gesamten Messe, ist der Erfolgsgarant dieser Messe.

Auf der HIGH END vereinen sich alle Themen der Audiobranche Die HIGH END bewegt sich zwischen den Polen der Technikentwicklung. Sie schlägt die Brücke zwischen klassischem, analogem HiFi, den neuesten Trends des digitalen Zeitalters und auch zum hochauflösenden Bild. Die Messe bietet die ganze Bandbreite. Der Besucher kann die Vielfalt der Wiedergabemöglichkeiten erleben. Je nach geschmacklicher Vorliebe ergeben sich viele verschiedene Wege des Hörgenusses und damit auch der Bandbreite. So kann der Besucher auf der HIGH END das beruhigende Drehen der Vinylscheibe wie auch das Abspielen von hochauf­ lösenden Musikfiles mittels erlesener Wandlertechnik erleben. Es gibt keinen allein glückselig machenden Weg, jeder kann, darf und sollte nach seinem Gusto diese Medienvielfalt nutzen.

Ja, auch „Analog Technik Pur“ Gezeigt wird die gesamte Bandbreite bewährter Analogtechnik mit Plattenspielern, PhonoVerstärkern, Tonarmen, Tonabnehmersystemen sowie Röhrengeräten. Ergänzend werden auch Vinylplatten zum Verkauf angeboten. Die haptische sinnliche Scheibe aus schwerem Vinyl erfreut sich seit Jahren einer stetig wachsenden Nachfrage.

Selbstverständlich: „Der Sound der Zukunft“ Präsentiert wird die gesamte Angebotspalette digitaler Entwicklungen der Neuzeit. Musik wird nicht mehr nur digital und mobil, sondern immer häufiger auch online und vernetzt konsumiert. Gezeigt werden neben internetfähigen Receivern und HiFi-Anlagen auch vernetzte MultiroomMusiksysteme, kabellose Bluetooth-Speaker, Soundbars und moderne, innovative Kopfhörer. Die HIGH END wird von der HIGH END SOCIETY, dem Interessenverband für hochwertige Unterhaltungselektronik ausgerichtet, einem Industrieverband, in dem die wichtigsten Unternehmen der UE-Branche vereint sind.


CLASS : aktuell Class: aktuell 1 / 2016 Heute muss ich mal ein bisschen Werbung machen für meinen bewährten Wohnausstatter und Wohlfühlberater. Seit langem schon liefert er mir Dekor und Klima für ein relaxtes Wohngefühl. Dazu gehörten über die Jahre ein Gobelin, ein Vorhang und ein gefliester Boden, aber auch hübsche Spitzbögen, alles sehr kühl und weiß und schlicht, nichts Prätentiöses, nichts, was sich aufdrängt. Die Ausstattungsstücke sind weitgehend aus Fertigteilen zusammengesetzt, dysfunktional, nach einer Art Baukastenmodell, und das Beste daran ist: Sie brauchen überhaupt keinen Platz, sie bewegen nur die Luft. Es handelt sich nämlich um Möblierungs-Musik („musique d’ameublement“), um Klangtapeten und Sound­ teppiche. Die akustische Einrichtung „soll das oft lastende Schweigen zwischen den Gästen möblieren“, heißt es beim Hersteller. Er verspricht außerdem eine Neutralisierung der Straßengeräusche. Mein Klangausstatter heißt Erik Satie.

Der Phonometrograph

Inhalt 4 Stil? Sicher! Die Dresdner Kapellsolisten 6 Vergessenes Talent: Robert Kahn Max Brod Trio 7 Hören aus allen Himmelsrichtungen Die Rückkehr der Quadrophonie 8 Liebesmahl mit Bruckner Christian Thielemann und die Staatskapelle Dresden 9 Radikaler Ansatz Martin Haselböcks Wiener Beethoven 10 Récréation de musique Ensemble Amarilli spielt französische Musik des Barock und Rokoko 11 Die sieben Choralfantasien Balázs Szabó spielt Max Reger

Satie? Genau, das ist dieser seltsame Komponist, der weder Sinfonien noch Opern schrieb, stattdessen Cabaretstücke, Jahrmarktswalzer, Chansons, Ragtimes und Musik für Pantomimen und Marionetten. Nebenbei komponierte er noch fiktive Tänze (antike und gotische), eine papierene Fuge, eine bürokratische Sonatine, einen appetitverderbenden Choral, einen ewigen Tango und – auf den Vorwurf hin, seine Stücke seien formlos – Stücke in Form einer Birne! Das alles ohne subjek­ tiven Schwall, ohne emotionalen Ballast, ohne sich entwickelndes Drama – sehr wohltuend also. Eine Musik, die sich nicht wichtig nimmt. Sie bleibt vielmehr Dekor und Klima, wird nicht feierlich und macht sich daher auch nie lächerlich. Ein echtes Wohlfühl-Erlebnis. Wie die Musik, so der Mann. Satie lebte arm und zurückgezogen und war Dilettant aus Überzeugung. Das Konservatorium nannte er eine Strafanstalt, den Rom-Preis eine Verhaftung, aus einer Lektion der Harmonielehre machte er das Stück „Vexations“ („Quälereien“), das 840 Wiederholungen vorsieht. Er nannte sich auch nicht Komponist, sondern Gymnopädist oder Phonometrograph. Den Kritikern seiner Musik antwortete er mit neuer Musik. Er schrieb Stücke für einen Hund oder einen ausgestopften Affen oder verzierte seine Partituren mit Zeichnungen und Texten. Er ermittelte sogar phonometrisch das Gewicht der Töne. Ein gewöhnliches Fis, so fand er heraus, wiegt 93 Kilogramm. Verrückterweise war dieser schillernde Dilettant einfach nur seiner Zeit voraus. Im Lauf der Jahre erklärte man ihn zum ersten Dadaisten, zum ersten Surrealisten, zum ersten Kubisten, zum ersten Futuristen. Er war auch der Wegbereiter der Minimal Music, der Pionier des absurden Theaters, der Erfinder der Muzak (Fahr­stuhlmusik), der Vorkämpfer der Multimedia-Performance, der Protagonist der modernen Filmmusik und der Avantgardist des Crossover: Satie unterschied nämlich nicht zwischen Kirchenlied und Varietémelodie. Sogar John Cage reklamierte ihn als künstlerischen Vorfahren. Mein bewährter Wohnausstatter und Wohlfühlberater würde in diesem Frühjahr 150 Jahre alt. Wenn das kein Grund zum Feiern ist – natürlich auf schlichte, dekorative, unaufdringliche Weise. Die wohltuende Wirkung werden Sie sofort spüren. Satie empfahl seine Musik ganz besonders zur Heilung von Nasenpolypen. Es grüßt ganz ohne emotionalen Ballast Ihr Hans-Jürgen Schaal

12 „Schweiget mir vom Weiber nehmen“ Sonja Kemnitzer spielt Cembalomusik von Reincken 13 Sensationsfund in der Provinz Thomas Fritzsch spielt wiederentdeckte Gambenfantasien von Telemann 14 Grand Seigneur des Taktstocks Die neue Michael Gielen Edition 15 Reife und Vollendung Frank Peter Zimmermann 16 Im Spannungsfeld von Volks- und Kunstlied Christian Gerhaher singt Lieder von Beethoven, Britten und Haydn 17 Starke Persönlichkeit Krzysztof Urbanskis fulminanter Einstand 18 Virtuoses Spiel mit den Genres Wiener Klassik mit den Bläsersolisten der Staatskapelle Dresden 19 Trompete und Orgel in neuer Kombination Joachim Pliquett und Arvid Gast 20 „Tauscht Euch aus!“ Classical: NEXT 21 Tot in New York Rekonstruktion einer verschollenen Funkoper 22 Komponistenportrait Zum 100. Todestag von Max Reger 28 Im Blickpunkt

Neuheiten vorgestellt von CLASS

Impressum Herausgeber/Verlag:

CLASS e.V. Association of Classical Independents in Germany Bachstraße 35, 32756 Detmold Tel. 05231- 938922 class@class-germany.de Redakteur (v.i.S.d.P): Dr. Rainer Kahleyss Anzeigen: Gabriele Niederreiter Grafische Gestaltung: Ottilie Gaigl Druck: Westermann Druck, Braunschweig Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Druckauflage: 104.000 4. Quartal 2015 ISSN: 2195-0172 Titel-Foto: © Frank Hoehler

geprüfte Auflage

Alle Tonträger dieser Ausgabe finden Sie auch unter www.bielekat.de Ausgabe 2016/1

3


CLASS : aktuell

Keine Angst vor Klangschönheit oder Stil? Sicher! Über zwanzig Jahre konzertieren die Dresdner Kapellsolisten nun schon erfolgreich im In- und Ausland. Seinen mehr als zwei Dutzend Einspielungen fügt das Ensemble dieser Tage drei aufsehenerregende SACDs beim Label ARS Produktion hinzu.

B

evor die Musiker zu Wort kommen, lassen wir die Musik sprechen. Oder besser: die Vögel singen! Die neue SACD der Dresdner Kapellsolisten beginnt mit Vivaldis „Frühling“. Paradiesisch unbekümmert zwitschern die Geigen sich durch den ersten Satz. Im Mittelsatz indes zucken historisch informierte Barockdrosseln nervös mit dem Schwanz. Dieses innige, beseelte Vibrato der Solistin (Konzert­ meisterin Susanne Branny) – darf man Vivaldi denn überhaupt noch so spielen?
 Man darf, würde der Kontrabassist und Diri­ gent der Dresdner Kapellsolisten, Helmut Branny, argumentieren. Wenn man sich denn bewusst für ein bestimmtes Klangbild entschieden hat: dann darf es ruhig mal rauh klingen, aber – und das ist vielleicht eins der Markenzeichen seines

Ensembles – die Klangschönheit darf ebenfalls in den Mittelpunkt rücken. „Am wichtigsten ist, dass man nie aufhört, nach authentischen Inte­r­ pretationen der Werke zu suchen“, sagt Branny, ein Forscher und Entdecker auf dem Gebiet der Aufführungspraxis der Alten Musik. Mit dem Frei­ burger Barockorchester hat er ebenso musiziert wie mit der Akademie für Alte Musik Berlin; aber auch mit Zeitgenossen wie Rihm oder Takashi Jashimatsu hat er sich auseinandergesetzt. Ans Dirigentenpult der Dresdner Kapell­so­ lis­ten zu treten – dazu musste Branny hingegen am Anfang fast überredet werden. Zu Gründungs­ zeiten hatte er vorgehabt, die Musiker vom Kon­ trabass aus als Erster unter Gleichen zu führen. Die Stimme hatte er sich penibel eingerichtet, die Einsätze notiert, die Striche und Dynamiken

der Kollegen vermerkt… Bis die Blicke hektisch zwischen Konzertmeister und Kontrabass hinund herflogen, bis sie alle merkten: das wird kompliziert. Der Cellist Jan Vogler war es schließlich, der die erlösenden Worte aussprach: Helmut, dirigiere doch einfach, das ist für uns viel leichter! An der Idee der musikalischen Gleichberechtigung aller Mitglieder des Or­ chesters hat das jedoch nichts geändert: jeder einzelne Instrumentalist ist als Ensemblemu­ siker, aber immer auch in seiner Eigenschaft als Solist gefordert. Dabei spielt die Auseinandersetzung mit der jeweils zeitgenössischen Musizierpraxis für alle eine große Rolle. Allein die Besetzung bei den „Vier Jahreszeiten“: die zwei Dutzend Musiker spiegeln die damaligen Ensembledimensionen

Festliches Konzert Bach, Corelli, Händel, Telemann, Torelli, Vivaldi Dresdner Kapellsolisten, Helmut Branny

Virtuose Violinmusik Vivaldi: Vier Jahreszeiten Telemann: Don Quichotte Suite Dresdner Kapellsolisten, Helmut Branny

Dresdner Fagottkonzerte aus Schrank II Graun, Horneck, Reichenauer Telemann: Konzert für 2 Hörner Dresdner Kapellsolisten, Helmut Branny

ARS Produktion ARS 38 164 (Hybrid-SACD)

ARS Produktion ARS 38 190 (Hybrid-SACD)

ARS Produktion ARS 38 198 (Hybrid-SACD)

4

Ausgabe 2016/1


Fotos: © Frank Hoehler (Dresdner Kapellsolisten); © Matthias Creutziger (Helmut Branny)

CLASS : aktuell

eines musikalisch anspruchsvollen Hoforchesters wie dem kurfürstlich sächsischen genau wider. Die Entscheidung für oder gegen ein histori­ sches Instrumentarium wird von den Kapell­ solisten dabei wohlüberlegt und immer anhand der klanglichen Notwendigkeiten getroffen. Historische Pauken und Trompeten kommen immer einmal zum Einsatz, wenn es etwa um authentische Klänge einer Haydn-Sinfonie geht. Die Streicher hingegen vertrauen von Grün­ dung an und mit wenigen Ausnahmen auf die Instrumente, die die Musiker der Sächsischen Staatskapelle alltäglich „im Dienst“ spielen. Wohl setzen sich die Musiker mit den neuesten Erkenntnissen zu Stil- und Aufführungspraxis, dem „geistigen Klima der Entstehungszeit der Werke“ (Branny) sehr aufmerksam auseinander. Und im Abwägen, im Suchen und Finden von Farbnuancen entsteht am Ende der charakteris­ tische, wiedererkennbare Klang der Dresdner Kapellsolisten: beherzt, jedoch immer kultiviert. Und vor allem eben dieser „warme, weiche Streicherklang“, wie ein Kritiker einmal schwärm­ te! Er ist eins der Markenzeichen des Ensembles. Und ist genau so wichtig wie dieses sangliche, organische Spiel, das vielleicht nur dort entstehen kann, wo Orchesterkollegen lange Jahre durch viele Stilepochen hindurch gemeinsam musizie­ ren, auch viel Oper in den Fingern haben. Das wichtigste aber, sagt Helmut Branny, sei, dass die Kollegen allesamt mit dem Herzen dabei sind. Auftritte mit den Dresdner Kapellsolisten sind ja nicht die Pflicht, sondern die Kür eines Staats­ kapellmusikers. Hier kann er in ein Repertoire eintauchen, das er im großen Opernorchester eben nicht täglich auf dem Notenständer findet, kann sich in die Werke von Komponisten vertiefen, die ihrerseits für die Geschichte der ehemaligen

Hof- und heutigen Staatskapelle so eminent wich­ tig waren: Johann Gottlieb Naumann, Johann Baptist Neruda, Jan Dismas Zelenka, Antonio Lotti, gar die Prinzessin Amalia von Sachsen höchst­ selbst... die Liste könnte fortgesetzt werden. Namhafte Solisten wie Nils Mönkemeyer, Martin Stadtfeld, Jan Vogler, Albrecht Mayer, Viktoria Mullova oder Matthias Goerne ver­ trauen bei ihren Einspielungen gern auf die Kapellsolisten. Mit dem Tenor Peter Schreier verbindet die Musiker eine langjährige Zusam­ menarbeit. Aber auch Solisten am Anfang ihrer Karriere versichern sich gern der Schützenhilfe der Dresdner, wenn eine aufsehenerregende Debüt-CD entstehen soll. In ihrer Heimatstadt Dresden haben die Kapellsolisten seit ihrer Gründung mitgeholfen, einen neuen Aufführungsort zu etablieren: das Sommerpalais, ein barockes Lustschloss inmitten des Großen Gartens, wurde in den letzten Jahren behutsam rekonstruiert und für Konzerte und Ausstellungen zugänglich gemacht. Viel öfter waren die Musiker jedoch in den letzten Jahren außerhalb der Stadtgrenzen zu erleben: auf Tourneen durch Deutschland, nach Japan und in die Schweiz, nach Korea und Kroatien, Italien und Österreich; gemeinsam mit Solisten wie Peter Rösel, hin und wieder auch mit dem Dresdner Kreuzchor. Und auch wenn die aktuelle Saison wieder mit Gastspielen lockt, wollen die Kapell­ solisten wieder verstärkt in und um Dresden präsent sein. Das Repertoire der zweiten neuen SACD erinnert da auch wieder an hiesige musika­ lische Wurzeln: sie ist Dresdner Fagottkonzerten aus dem legendären „Schranck No:II“ gewidmet, der unter anderem die private Sammlung des einstigen Kapell-Konzertmeisters Johann Georg Pisendel enthielt. Anders Winter

Ausgabe 2016/1

5


CLASS : aktuell

Max Brod Trio: Christoph Lamprecht, Kerstin Straßburg und Peter Rainer

Vergessenes Talent im audiophilen Glanz Die Klaviertrios von Robert Kahn

N

Robert Kahn (1865-1951) Klaviertrios op. 19 und op. 33 Max Brod Trio Audiomax 903 1940-6 (Hybrid-SACD)

ur wenigen Kollegen brachte Johannes Brahms eine derart hohe Wertschätzung entgegen wie Robert Kahn. Schon dass Brahms mit dem gut dreißig Jahre Jüngeren dessen Kompositionen besprach und die Werke alter Meister studierte, belegt das große gegenseitige Interesse – war der gefragte Komponist doch mit dem Erteilen von Unterricht äußerst sparsam. Als besondere Auszeichnung mag gelten, dass lediglich noch Kahn anwesend war, als Brahms Clara Schumann sein spätes Klarinettentrio op. 114 vorstellte. Das Max Brod Trio hat sich des vergessenen Talents jetzt angenommen und die beiden Klaviertrios op. 19 und op. 33 eingespielt.

Darin zeigt sich Kahn als durchaus eigenständiger Geist: Schon in der äußeren Form bezieht er sich eher auf klassische Vorbilder denn auf Brahms, und sein ausgeprägtes Gespür für mitreißende Melodien schlägt sich auch in diesen Werken nieder, besonders im Trio op. 19. Kein Wunder: Zur gleichen Zeit schuf er eine beachtliche Zahl feinsinniger Lieder, die seine Sensibilität für das Lyrische schärften. Das gefiel auch den zeitgenössischen Rezensenten, die in blumenreichen Metaphern gerade die gesanglichen Qualitäten des Trios hervorhoben. Die Beschränkung auf drei Sätze führt zu einer Konzentra­tion des Ausdrucks, die Brahms erst in den letzten Werken erreichen sollte. Als Kahn im Jahre 1900 sein zweites Klaviertrio op. 33 komponierte, war er im kulturellen Leben Berlins bestens etabliert. Er verkehrte mit Christian Morgenstern und Gerhart Hauptmann, Joseph Joachim war sein Kammermusikpartner, und als Lehrer unterrichtete er am Königlichen Konservatorium, wo später Wilhelm Kempff und Artur Rubinstein zu seinen Schülern gehörten. In der Mitte der drei Sätze findet sich

Aktuelle Konzerte: 21. 04. 2016 Berlin, Pianosalon Christophori 27. 04. 2016 Berlin, Villa Elisabeth 15. 06. 2016 Berlin, Musiksalon Friedenau 15. 06. 2016 Berlin, Villa Elisabeth www.maxbrodtrio.eu

6

Ausgabe 2016/1

Franz Schubert   (1797-1828) Klaviertrio B-Dur D 898 Notturno D 897 Audiomax 703 1608-2

Antonín Dvorˇák   (1841-1904) Klaviertrio op. 65 Dumky op. 90 Audiomax 703 1682-2

Ludwig van Beethoven (1770-1827) Trios op. 1,2 und op. 97 Audiomax 903 1764-6 (Hybrid-SACD)

ein Trauermarsch, der durch einen hoffnungsvollen Einschub aufgehellt wird; ein quirliges Finale findet dann zu einer lebensbejahenden Stimmung zurück. Das Max Brod Trio, das sich interkultureller Kommunikation besonders zwischen deutscher, tschechischer und jüdischer Tradition verschrieben hat, setzt mit dieser Neueinspielung sein er­folgreiches Aufnahmeprojekt bei Audiomax fort. Man kann den jungen Musikern zu dieser gelungenen Programmauswahl nur gratulieren. Und die Verwendung eines Steinway-Konzertflügels von 1901, der mit einer Vielzahl von Klangfarben und einer prallen Dynamik punkten kann, verhilft dieser auch als Super-Audio-CD abhörbaren Aufnahme zu besonderem audiophilen Glanz. Lisa Eranos


CLASS : aktuell

Hören aus allen vier Himmelsrichtungen Pentatone feiert die Rückkehr der Quadrophonie und wertet Philips-Archive aus

A

ls in den 2000er-Jahren Surround-Anlagen als der neueste technische Clou gefeiert wurden, ging ein ratloses Achselzucken durch die Gemeinde eingeschworener Schallplattenfreaks: War doch schon zwischen 1969 und 1980 die Quadrophonie-Technologie entwickelt worden. Auch so eine Art Surround, oder? Naja, eigentlich viel mehr als das… Beim Übergang von der Mono- zur Stereoschallplatte hatten Plattenfirmen festgestellt, dass mit so einem Formatwandel nicht nur Klanggewinn zu erzielen, sondern auch Geld zu verdienen ist. Der nächste Schritt schien logisch: Statt zwei Lautsprecher, die nur von vorn tönten, sollten nun zwei zusätzliche hintere Lautsprecher endlich einen den Hörer umgebenden realistischen Klangeindruck ermöglichen. Da nun vier Lautsprecher im Spiel waren, nannte man die neue Technik kurzerhand Quadrophonie.

Ganz vorn mit dabei an der Innovationsfront war das Label Philips Classics, das nach Meinung vieler Fachleute die bis heute am besten klingenden Quadrophonie-Aufnahmen überhaupt produzierte. Die Sache hat nur einen Haken: Quadrophonie war kein Kassenschlager. Die Labels merkten schnell, dass sich die aufwendige Technologie nicht rentierte. Heute ist das anders: Mit der weiten Verbreitung von Surround-Anlagen ist auch Quadrophonie wieder salonfähig geworden. Kein Label hat sich beim qualitativ hochwertigen Remastering von Quadro-Einspielungen von originalen Masterbändern mehr hervorgetan als das niederländische Label Pentatone. Und das ist auch kein Wunder: Pentatone wurde schließlich als Management-Buyout von ehemaligen Philips Classics-Tonmeistern gegründet. Nach einer Phalanx hoch gelobter QuadroRemasterings aus den Archiven der Deutschen Grammophon startet Pentatone nun die mit Spannung erwartete Wiederauflage originaler Philips Classics Quadrophonie-Einspielungen. Das Sensationelle daran: Ebenso wie bei den DGRemasterings wurden viele der Philips QuadroBänder niemals auf LP gepresst, und so erleben einige der großartigen Quadrophonie-Aufnahmen erst im Rahmen der neuen Pentatone-Reihe ihre denkbar späte Premiere. Sammler sind begeistert, HiFi-Interessierte sind verblüfft: Während manche neue SurroundProduktion lasch klingt, feiert Quadrophonie fröhliche Urständ und zeigt: Surround ging auch schon vor über 45 Jahren – zwar mit nur vier statt sechs Lautsprechern, aber schon damals mit begeisternden Klangergebnissen.

MAHLER SYMPHONIE NR. 1 SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS

YANNICK NÉZET-SÉGUIN Der junge kanadische Dirigent Yannick Nézet-Séguin begeht mit Mahlers Erster Symphonie seinen Einstand beim Label BR-KLASSIK. Er setzt mit dieser Aufnahme die langjährige Mahler-Tradition beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks fort.

René Brinkmann

Peter I. Tschaikowsky: Nussknacker Suite, Capriccio Italien, Polonaise & Walzer aus Eugen Onegin London Philharmonic Orchestra, Leopold Stokowski Pentatone PTC5186229

Henry Purcell: Dido & Aeneas Academy of Saint Martin in the Fields, John Alldis Choir, Sir Colin Davis

CD 900143

Pentatone PTC5186230

Ausgabe 2016/1

7 www.br-klassik.de

Erhältlich im Handel und im BRshop / www.br-shop.de


CLASS : aktuell

JÖRG WIDMANN

Foto: © Matthias Creutziger

spielt Klarinettenkonzerte von

MOZART und WEBER

Christian Thielemann

Ein Liebesmahl mit Bruckner

C897151

Christian Thielemann dirigiert Repertoire, für das er als weltweit führender Fachmann gilt

A

Jörg Widmanns erste Einspielung des Klarinettenkonzerts von Wolfgang A. Mozart. Aus seiner Sichtweise als Klarinettist und Komponist beleuchtet Widmann ganz neue Aspekte des wohl bekanntesten Klarinettenwerks der Klassik. Reizvoll kombiniert mit dem Klarinettenkonzert von Weber und einer eigenen Komposition.

Im Vertrieb der NAXOS DEUTSCHLAND GmbH info@naxos.de · www.naxos.de www.naxosdirekt.de

Foto: DavidQ · www.photocase.de

MOZART UND WEBER KLARINETTENKONZERTE JÖRG WIDMANN DREI SCHATTENTÄNZE Deutsches Symphonie-Orchester Berlin Peter Ruzicka

ls Christian Thielemann 2009 erstmals bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden eine Sinfonie von Anton Bruckner dirigierte, war dies der ausschlaggebende Konzertabend zur Kür Thielemanns als Dresdner Generalmusikdirektor. Seitdem gehen Thielemanns Bruckner-Interpretationen um die Welt, und er selbst gilt inzwischen als einer der führenden BrucknerExegeten. Der neue Zyklus mit den Sinfonien des österreichischen Komponisten beweist von Folge zu Folge immer wieder aufs Neue, zu welch großem Bruckner-Bogen sich Thielemann aufgeschwungen hat und welch hervorragenden Klangkörper er dafür in Dresden zur Vervollkommnung dieses Projekts zur Verfügung hat. Bislang hat Thielemann jede seiner Konzertsaisons in Dresden mit einer Bruckner-Symphonie eröffnet. 2012 war das die monumentale siebte, deren Livemitschnitt mit dieser Veröffentlichung auf CD vorgelegt wird. Die Saison 2012 war aber nicht nur Thielemanns erste Dresdner Saison, sie war auch schon geprägt vom 200. Geburtstag Richard Wagners im Folgejahr 2013, der in der Elbestadt Dresden ausgiebig gefeiert wurde. Mit der Dresdner Frauenkirche stand Thielemann das Bauwerk zu Verfügung, für das Wagner 1843 eines seiner am seltensten gespielten

Werke geschrieben hatte. „Das Liebesmahl der Apostel“ komponierte Richard Wagner eigens für die einmalige Akustik der Dresdner Frauenkirche. Mithin liegt auf diesem Album nun die nicht nur prominenteste Einspielung dieses raren Wagnerwerks vor, sondern womöglich auch die bislang authentischste, weil sie den ursprüng­ lichen Vorstellungen des Komponisten wohl am nächsten kommt. Bruckner und Wagner waren demnach nicht nur die Eckpfeiler von Thielemanns erster Spielzeit in Dresden, der mit dieser CD eine außergewöhnliche Dokumentation und Würdigung zu Teil wird, sondern sie sind es auch in seiner späteren Tätigkeit geblieben. Dass Christian Thielemann heute Musikdirektor der Bayreuther Festspiele ist, unterstreicht seine Nachhaltigkeit in der Bedeutung als Wagner Dirigent. René Brinkmann

Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 7 Richard Wagner: Das Liebesmahl der Apostel Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann Profil Edition Günter Hänssler PH15013

8

Ausgabe 2016/1


WERGO

Jetzt neu bei WERGO

WER 73322 (SACD) Produktion: SWR

Fotos: © Meinrad Hofer (unten) © Lukas Beck (links)

CLASS : aktuell

Martin Smolka

Orchester Wiener Akademie

Poema de Balcones Poema de Balcones | Walden, the Distiller of Celestial Dews | Słone e Smutne – Salt and Sadness SWR Vokalensemble Stuttgart / Martin Homann: Percussion / Marcus Creed: Leitung mit Ersteinspielungen

Radikaler Ansatz

Alpha Classics ALP473

Der neue Wiener Beethoven

D

er Ansatz den Martin Haselböck mit seinem „Orchester Wiener Akademie“ im Rahmen ihres aufsehenerregenden Beethovenzyklus auf Alpha Classics verfolge, dürfte sicherlich der radikalste sein, der jemals auf eine Gesamteinspielung der Sinfonien Beet­ hovens angewandt wurde: Sie nehmen die Sin­ fonien nämlich in genau der Besetzungsstärke, mit demselben Programmablauf und auch am selben Ort auf, wo sie seinerzeit erklangen. Selbstverständlich geschieht dies auf Original­ klanginstrumenten und in der Sitzordnung von damals. Die zweite Folge präsentiert das kom­ plette Programm des Uraufführungskonzerts der siebten Sinfonie am 8. Dezember 1813 im Redoutensaal der Wiener Universität. Es handelte sich damals um ein großes Benefizkonzert zu­ gunsten der antinapoleonischen Kämpfer und so saßen im Orchester zahlreiche prominente Musiker (unter anderem Louis Spohr, Johann

Nepomuk Hummel, Giacomo Meyerbeer und Antonio Salieri). Neben der Siebten erklangen zu diesem Anlass auch Beethovens „Wellingtons Sieg“ oder die Schlacht bei Vittoria Op. 91 und zwei Märsche von Ignaz Joseph Pleyel und Jan Ladislav Dussek für Johann Nepomuk Mälzels mechanischen Trompeter, der damals (man möge es dem Wiener Publikum verzeihen) sicherlich die eigentliche Attraktion des Abends gewesen sein dürfte. Ihn hat man übrigens für die Auf­ nahme eigens von einem Team aus Ingenieu­ ren, Kunsthistorikern und Musikwissenschaftlern rekonstruieren lassen. Dank dem frischen Spiel der Musiker und dem leidenschaftlichen Diri­ gat Haselböcks, kommt bei diesem ambitionier­ ten Projekt zu keiner Zeit der gefürchtete Mief des verbohrt Musealen auf. Vielmehr weiß man sich hier sofort näher am damaligen Wiener Beethoven-Klang als jemals zuvor! Bernhard Blattmann

Ausgabe 2016/1

9

Hans Werner Henze Being Beauteous | Kammermusik 1958 Anna Prohaska: Sopran / Peter Gijsbertsen: Tenor / NDR Sinfonieorchester / Peter Ruzicka: Leitung mit Erstaufnahmen

WER 73372 (CD) Produktion: NDR

RESOUND Beethoven Vol. 2 Symphonie Nr. 7 Wellingtons Sieg 2 Märsche von Johann Ludwig Dussek und Ignaz Josef Pleyel Orchester Wiener Akademie Martin Haselböck

WER 73342 (CD) Produktion: NDR, NDR das neue werk

Martin Haselböck

Aribert Reimann Spiralat Halom | Eingedunkelt | Neun Stücke Tim Severloh: Countertenor / NDR Sinfonieorchester / Christoph Eschenbach: Leitung

Fordern Sie bitte unseren Katalog an! WERGO, Weihergarten 5, 55116 Mainz, Deutschland, service@wergo.de | www.wergo.de


„Seine unübertroffene Anschlagskultur, sein mal spinnwebenzarter, mal zupackender

CLASS : aktuell Recreation De Musique Bodin de Boismortier, Chéron, Couperin, Marais, Rameau, Spätling, Devienne, Leclair Ensemble Amarilli Profil Edition Günter Hänssler CD PH15033

Mozart ist ein Traum.“

Récréation de musique

(Crescendo)

B

Wolfgang Amadeus Mozart (1756  – 1791) Sämtliche Klavierkonzerte Christian Zacharias, Pianist und Dirigent MDG 340 1800-2

www.mdg.de

(Box mit 9 CDs)

In limitierter Auflage erhältlich!

39,95 €

ei Profil Edition Günter Hänssler erscheint eine Einspielung französischer Musik des Barock und Rokoko. Den «bon goût» dieses eleganten und klangvollen Stils setzt das Ensemble Amarilli mit Spielfreude und kammermusikalischer Präzision um. Die Musiker sind alle auf mehreren Instrumenten bzw. Gesang ausgebildet, wodurch ein kurzweiliges Panorama unterschiedlicher Klangfarben entsteht. Vom Concerto für vier Flöten über Trios für Travers- und Blockflöte mit Basso Continuo und vierhändig gespieltem Cembalo bis hin zur Kantate reicht das Spektrum der CD. Ergänzt wird das Barockrepertoire durch eine eigens für das Programm geschaffene Komposition des Ensemblemitglieds Philipp Spätling, der 2015 mit dem Kompositionspreis der Losh-Atkinson Historic Sounds Composition Competition. (Norwich, GB) ausgezeichnet wurde. Leichtigkeit, Eleganz und „aromatische“ Vielfalt bestimmen die eingespielten Werke – wie das Bouquet eines guten französischen Weins. Neben großen Namen wie Rameau, Marais, Couperin und Leclair finden sich unter den Komponisten auch Pretiosen wie die reizvolle Sonate von Cheron oder ein Duett von Devienne. Einige der eingespielten Werke klingen ganz traditionell französisch, bei anderen ist ganz deutlich der Einfluß italienischer Elemente zu hören, der sich auch in Frankreich zunehmender Beliebtheit erfreute. Stilbildend war im zentralisierten Frankreich der Barockzeit ohne Zweifel der Hof des Sonnen-

königs Louis XIV. (1643-1715). Seine Herrschaft nennt man zu Recht das „Grand siècle“. Der König wollte die besten Künstler, Architekten, Maler, Poeten, Musiker und Schriftsteller für sich und für sein Land arbeiten lassen. Er entfaltete ein noch nie dagewesenes Mäzenatentum und wollte die gesamte Kunstlandschaft Frankreichs prägen und lenken, um sie im Interesse königlicher Politik zu instrumentalisieren. So folgt auch die Musik einem durchaus strengen Regelwerk. Durch die „Fesseln“ dieser Regelungen und der Etikette am Hof entstand aber auch eine tiefe Sehnsucht nach Natürlichkeit und Unbeschwertheit, die ebenso deutlich in der französischen Barockmusik hörbar wird. Angehörige des Adels frönten dieser Leidenschaft gerne durch Ausflüge in ländliche Idylle. „Bei einer unserer Ensembleproben auf dem Lande erfreuten wir Amarillis uns über den Gesang einer Nachtigall, der sich plötzlich kunstvoll in unser Spiel mischte. Eine Qualität der Erholung empfanden wir bei der Erarbeitung unseres französischen Programms und benannten es kurzerhand nach Leclairs Werktitel «Récréation de musique».“ (Ensemble Amarilli) Ensemble Amarilli hat sich in den letzten Jahren durch rege Konzerttätigkeit einen Namen gemacht. Das Publikum schätzt die Musiker wegen ihrer abwechslungsreichen Programme, die mit Leidenschaft und intensivem Zusammenspiel dargeboten werden. Kerstin Hänßler

Bachstraße 35 32756 Detmold Tel. 05231 – 93890 info@mdg.de

Alexandra Kollo, Jens Lohmann, Eva Susanna Kuen, Philipp Spätling

Musikproduktion Dabringhaus und Grimm Vertrieb: NAXOS Deutschland Telefon: 08121 – 25007–20 + 22 Fax: 08121 – 25007–21

10

Ausgabe 2016/1


CLASS : aktuell

Wertvoll: Max Regers Choralfantasien

Votivkirche Wien, Autograph Fantasie Op. 52/2, und die Stadtkirche Giengen an der Brenz

Balázs Szabó an den historischen Instrumenten in Giengen, Wien und Zürich Verwendung der „Reformationshymne“ führte zu seiner Exkommunikation, sondern die Heirat mit der geschiedenen – und überdies noch evangelischen – Baronesse von Bercken. Regers unabhängiger Geist deutet in Anlehnung an die barocke Choralpartita Luthers Choral Strophe für Strophe aus: Herausragend das pandämonische Chaos bei „Und wenn die Welt voll Teufel wär“! Wie weit Reger sich vom Modell der Choralpartita entfernte, zeigt „Alle Menschen müssen sterben“: Wie in der Symphonischen Dichtung führen freie Erinnerungsmotive zu einer sehr subjektiven Textausdeutung mit fulminanter Steigerung. Zusätzlich wurde als Bonus eine echte Rarität dem Album hinzugefügt: Heinrich Reimanns Choralfantasie – das Stück, das als Anstoß und Vorbild für Regers eigene Schöpfungen diente. Mit seinen gerade einmal 30 Jahren kann Balázs Szabó bereits auf eine beeindruckende Vita zurück­blicken. Ausgebildet in vier europäischen Ländern und mit internationalen Auszeichnungen überhäuft, widmet sich

Max Reger (1873-1916) Choralfantasien Balázs Szabó Walcker-Orgel Votivkirche, Wien (1878) Gebr. Link-Orgel, Giengen (1906) Kuhn-Orgel in St. Anton, Zürich (1914) MDG 920 1945-6 (2 Hybrid-SACDs)

Ausgabe 2016/1

11

Balázs Szabó

der inzwischen auch als Musikwissenschaftler promovierte Szabó zusätzlich der Restauration historischer Instrumente. Szabó hat die für die Regersche Musik passenden Instrumente sorgfältig ausgewählt: Die Walcker-Orgel der Wiener Votivkirche hat mechanische Kegelladen und stammt von 1878 – mit pneumatischer Kegellade präsentiert sich die Gebr. Link-Orgel in Giengen von 1906 und die Kuhn-Orgel mit pneumatischen Taschenladen von 1914 in St. Anton, Zürich. Sie verfügt heute auch mit dem schon ursprünglich vorgesehenen Fernwerk, das hinter dem Altar eingebaut ist und dank der 2+2+2 Aufnahme bei Mehrkanalwiedergabe mit sehr feinen Raumwirkungen vorteilhaft genau von dort hörbar ist. Lisa Eranos

Foto: © Sascha Herold

M

ax Reger gilt als der bedeutendste deutsche Komponist für Orgelmusik seit Bach. Besonderen Anteil daran haben seine groß angelegten Choralfantasien, die völlig neue formale wie harmonische Dimensionen in der Musik eröffnen. Der ungarische Virtuose Balázs Szabó hat für seine Neueinspielung aller sieben Fantasien drei herausragende Instrumente in Wien, Giengen und Zürich ausgewählt, die eine rasante Entwicklung des modernen Orgelbaus zu Regers Zeiten dokumentieren. Überraschend ist, dass der Katholik Reger für seine erste Fantasie den Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ auswählte. Aber nicht die


Foto: © Ralph Bauer

CLASS : aktuell

Johann Adam Reincken (1643-1722) Cembalowerke Sonja Kemnitzer MDG 905 1928-6 (Hybrid-SACD)

Aktuelle Konzerte: 27. 03. 2016 L eipzig, Bacharchiv mit Stephan Schardt, Violine Elisabeth Wand, Cembalo

Sonja Kemnitzer

21. 05. 2016 D etmold, Christuskirche 05. 06. 2016 L ennep, Evangelische Stadtkirche Cembalotage Lennep 2016 01. 07. 2016 Schloß Dyck www.cembalo-koeln.de

Schweiget mir vom Weiber nehmen

Weitere Einspielung: Georg Philipp Telemann Frankfurter Sonaten 1715 Stephan Schardt, Violine Elisabeth Wand, Violoncello Sonja Kemnitzer, Cembalo MDG 903 1835-6 (Hybrid-SACD)

Sonja Kemnitzer spielt Cembalomusik von Reincken

J

ohann Adam Reincken war eine Berühmt­ heit; kein Geringerer als Johann Sebastian Bach machte sich als 16jähriger Gymnasiast von Lüneburg aus zu Fuß auf den Weg, um den unumstrittenen Meister der Improvisations­ kunst in Hamburg zu erleben. Und was der junge Mann zu hören bekam, muss ihn tief beeindruckt haben: In seinen Toccaten orientiert Bach sich eng am großen Vorbild, er zitiert sogar moti­ visches Material aus Reinckens Werken. Die Cembalistin Sonja Kemnitzer liefert ein erhel­ lendes Hörerlebnis mit Reinckens Werken, das diese Faszination sofort nachvollziehbar macht. Die Einspielung vermittelt einen aufschluss­ reichen Eindruck von Reinckens improvisatori­ schem Genie. Schon die eröffnende Toccata in A überrascht mit außergewöhnlichem Stilreichtum. Sprunghafte Affektwechsel, quasi violinistische Passagen und jäh abgebrochene Motive lassen an impulsives Stegreifspiel denken, und erst ein

zweiter Blick offenbart die kontrapunktische Raffinesse einer kunstvoll ausgeklügelten Kom­ position. Dass das Werk zeitweise auch Bach zugeordnet wurde, hätte Reincken bestimmt nicht gestört – sah er im jungen Bach doch die Chance auf ein Weiterleben der überlieferten Kunst… Reinckens schier überbordende Fantasie findet ihren Niederschlag auch in den Variatio­ nen über den Gassenhauer „Schweiget mir vom Weiber nehmen“, einer humorvollen Huldigung des Junggesellendaseins. Etliche andere Kom­ ponisten haben sich dieses barocken Schlagers angenommen – aber Reincken fallen dazu gleich 18 Veränderungen ein! Dass dabei keinen Augen­ blick Langeweile aufkommt, garantiert auch Sonja Kemnitzers abwechslungsreiches Spiel, das die Affekte jeder einzelnen Variation kenntnis­ reich und liebevoll präsentiert. Die motivische Verzahnung der Tanzsätze ist in Reinckens Suiten frappant. Besonders Alle­

12

Ausgabe 2016/1

mande und Courante erhalten durch die bis ins Detail gehende thematische Übereinstimmung einen improvisatorischen Charakter, als ent­ stünden die Tanzcharaktere im Augenblick des Spielens und Hörens. Die äußerst plastische klangliche Abbildung des Cembalos in einer wohlklingenden barocken Raumakustik auf der hochauflösenden Super Audio CD tut ihren Teil, um den fantasiebegabten Hörer unmittelbar in die Entstehungszeit dieser Musik zu versetzen. Klaus Friedrich


Profil

CLASS : aktuell

Edition Günter

Hänssler

PROFIL & hänssler CLASSIC NEUERSCHEINUNGEN RÉCRÉATION DE MUSIQUE Werke von Bodin de Boismortier, Chéron, Couperin, Marais, Rameau, Spätling, Devienne, Leclair Ensemble Amarilli CD PH15033

Georg Philipp Telemann 12 Fantasien für Viola da Gamba Thomas Fritzsch, Viola da Gamba

CARL PHILIPP EMANUEL BACH Cello Werke Julian Steckel, Violoncello Stuttgarter Kammerorchester Susanne von Gutzeit CD HC15045

Coviello CLASSICS COV 91601

Sensationsfund in der Provinz 12 verschollen geglaubte Telemann-Gambenfantasien wiederentdeckt und eingespielt

E

s kommt nicht alle Tage vor, dass die Musikwelt von einem Komponisten hohen Ranges etwas wirklich Neues zu hören bekommt. Vor kurzem ist wieder einmal ein solcher Coup gelungen: Georg Philipp Telemanns 12 Fantasien für Viola da Gamba solo galten Musikliebhabern über Generationen hinweg als so etwas wie das verschollene Bernstein-Zimmer der solistischen Gambenmusik: Ihre Veröffentlichung im Jahre 1735 war durch eine Anzeige von Telemanns eigenem Verlag zweifelsfrei belegt, doch schien nicht ein einziges Druckexemplar die Zeiten überdauert zu haben. Eben dieses hat Gambist Thomas Fritzsch nun 280 Jahre später nach einem Hinweis des französischen Musikwissenschaftlers François-Pierre Goy doch noch aufgespürt – in der sonst nicht unbedingt spektakulären Privatbibliothek der adeligen Dichterin Eleonore von Münster auf Schloss Ledenburg bei Osnabrück. Der Sensa­tionsfund hielt allen Echtheitsprüfungen stand – es handelt sich tatsächlich um ein Druck­ exemplar aus dem „Telemannischen Verlag“. In diesen Solostücken fasst Telemann den damals aktuellen Stand aller musikalischen und technischen Möglichkeiten für die Gambe zusammen – ein Instrument, das zu seiner Zeit eigentlich seinen barocken Mode-Hype schon hinter sich hatte. Umso mehr ist diese Sammlung ein Beweis für das Selbstbewusstsein und die nicht an Moden orientierte Kompetenz des

Musikunternehmers und erfolgreichen Verlegers Telemann; die des Komponisten steht angesichts der Fülle kontrapunktischer wie melodiöser Höhepunkte sowieso außer Frage. Einmal mehr gießt er, wie es das Magdeburger Telemann-Zentrum beschreibt, „ein Füllhorn musikalischer Ideen aus, besticht durch eine erstaunliche Kenntnis der Spielmöglichkeiten des Instrumentes und erweist sich als ein Meister der intimsten kammermusi­ kalischen Form.“ Telemann gelingt es in den Gambenfantasien, Gegensätzliches zu vereinen: Er nutzt alle Varianten der Form, die ältere Kammersonate (Satzfolge schnell – langsam – schnell) ebenso wie die neuere Strettaform (langsam – schnell – schnell), Fugen und Sätze mit rondo- oder kon­ zertsatz­artiger Prägung, Tanzsätze in traditioneller und in galanter Kompositionstechnik, Anklänge an die polnische und mährische Musik, einstimmiges Spiel neben mehrstimmigem sowie gebrochene Akkorde und Passagenwerk. Man kann also dem zu Telemanns Zeit bekannten Musikschriftsteller Johann Mattheson nur darin zustimmen, dass man diese Fantasien „schwerlich mit einem andern allgemeinen Nahmen, als dem guter Einfälle belegen kann.“ Thomas Fritzsch bringt ein echtes Juwel ans Tageslicht – neben der Noten-Edition, die beim Güntersberg Verlag erscheint, sorgt er auch gleich selbst für die Welt-Erst­ein­spielung auf CD. Thomas Jakobi

Ausgabe 2016/1

13

CARL PHILIPP EMANUEL BACH Klavierwerke Wq. 26, Wq. 44, Wq. 20 Kammersymphonie Leipzig Michael Rische CD HC15046

VSEVOLOD ZADERATSKY 24 Preludes & Fugues Jascha Nemtsov, Piano 2 CD PH15028

WOLFGANG AMADEUS MOZART Quintett für Oboe, Klarinette, Horn, Fagott und Klavier Es-Dur KV 452 LUDWIG VAN BEETHOVEN Quintett für Oboe, Klarinette, Horn, Fagott und Klavier Es-Dur op. 16 Bläsersolisten der Staatskapelle Dresden Margarita Höhenrieder, Piano CD HC98.055

Erhältlich im Fachhandel

Profil

Edition Günter

Hänssler

Profil Medien GmbH Edition Günter Hänssler . www.haensslerprofil.de

Vertrieb: NAXOS DEUTSCHLAND GmbH . www.naxos.de


CLASS : aktuell

Neue chronologische Musikgeschichten in Boxen

Grand Seigneur des Taktstocks

50 CDs

SWRmusic ehrt die Lebensleistung von Michael Gielen mit 10 prallen Boxsets

5028421953106

F

Die Königin der Instrumente – 500 Jahre Orgelmusik in einer einzigartigen, chronologischen Sammlung Die 50 CDs beinhaltende Sammlung „500 Years of Organ Music“ fasst die Höhepunkte der Orgel-Veröffentlichungen zu einem einzigartigen Kompendium über die Geschichte der Musik für die ‚Königin der Instrumente‘ von der Renaissance bis zur Gegenwart zusammen. Von Marco Antonio Cavazzoni (ca. 1485–1569) bis Arvo Pärt (*1935) deckt die Box alle Epochen, in einer fast lückenlosen Zeitleiste, ab. Bach, Buxtehude, Böhm, Kuhnau, Trabaci, Mozart, Müthel, de Torres, Walther, Pärt u.v.m. Stefano Molardi, Jean-Baptiste Robin, Francesco Cera, Matthias Havinga, Simone Stella, Adriano Falcioni, Christian Schmitt, Benjamin Saunders u. a.

ans bleibt die Spucke weg: Mit 10 prallen Boxsets, edel ausgestattet und z.T. mit DVD-Beigabe ehrt SWRmusic den großen Dirigenten Michael Gielen. Das muss Liebe sein! Trotz namhafter Chefdirigenten wird nach wie vor kaum eine andere Persönlichkeit stärker mit dem SWR verbunden als Michael Gielen. Dabei springt der SWR sogar über seinen Schatten und veröffentlicht in der üppigen Werkschau auch Material, das Gielens frühe Jahre abseits der SWR-Wirkungsstätte beleuchtet. So werden nicht nur die seit Jahren von Sammlern gesuchten frühen Intercord-Aufnahmen wieder verfügbar, sondern auch Preziosen, die einst bei EMI erschienen waren. Die Edition startet mit einer Box, die den großen Komponisten aus Barock und Wiener Klassik gewidmet ist. Es zeigt sich, welche Bandbreite SWRmusic ins Rennen schickt: Die Einspielungen reichen von 1967 bis hin zu einigen der letzten Gielen-Aufnahmen aus dem Jahr 2010. Wer mit dieser Box einsteigt, kann Gielen als Multitalent erleben. Geplant sind weitere thematisch sortierte Boxen, mal komplette Werkzyklen, mal bestimmte Epochenkompilationen. Innerhalb der Gesamt­ edition ergibt sich so ein klingendes Lebensbild eines der wichtigsten deutschen Dirigenten und macht auf den ersten Blick erlebbar, wo genau dessen Arbeitsschwerpunkte lagen. René Brinkmann

Michael Gielen  ( Aufnahmen 1967 bis 2010 ) Edition Vol.1: Bach, Mozart, Haydn, Beethoven, Schubert SWR SO Baden-Baden und Freiburg, Rundfunk-SO Saarbrücken, Radio-SO Stuttgart des SWR, SWR Vokalensemble Stuttgart Swrmusic SWR19007CD (6 CD-Box)

29 CDs

5028421952505

Michael Gielen ist einer der einflussreichsten Kapellmeister seiner Generation. 2017 wird er 90 Jahre alt. Zu diesem Anlass ehrt SWRmusic den langjährigen Chefdririgenten des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg mit einer nie dagewesenen Edition – …und fängt schon in diesem Jahr damit an.

Die Geschichte der französischen Cembalomusik in einer umfangreichen, chronologischen Sammlung Richtungsweisende Neuaufnahmen französischer Cembalomusik des 17. und 18. Jahrhunderts bildeten einen der Schwerpunkte im Brilliant-Classics-Programm der letzten Jahre. Diese gibt es nun zu einer chronologischen Sammlung „French Harpsichord Music“ auf 29 CDs zusammengefasst und ist bis dato die umfangreichste Kollektion dieser Art. Chambonnières, d’Anglebert, Le Roux, Clérambault, Marchand, Couperin, Forqueray, Rameau, Royer, Duphly u. a. Pieter-Jan Belder, Michael Borgstede, Yago Mahúgo, Franz Silvestri, Francesco Cera Mehr Informationen unter www.brilliantclassics.com und http://de.brilliantclassics.com – Brilliant Classics Blog Deutschland

In Vorbereitung: Ed. Vol. 02: Anton Brucker: Gesamtaufnahme der Sinfonien Ed. Vol. 03: Johannes Brahms Ed. Vol. 04: Werke von Weber, Berlioz, Mendelssohn, Schumann u.a. Ed. Vol. 05: Werke von Bartók und Strawinsky Ed. Vol. 06: Gustav Mahler: Gesamtaufnahme der Sinfonien u. Lieder Ed. Vol. 07: Werke von Janácek, Debussy, Ravel, Zemlinsky u.a. Ed. Vol. 08: Neue Wiener Schule Ed. Vol. 09: Musik nach 1945 Ed. Vol. 10: Ludwig van Beethoven: Gesamtaufnahme der Sinfonien

14

Ausgabe 2016/1


Foto: ® Harald Hoffmann

CLASS : aktuell

Reife und Vollendung in der Konzeption Frank Peter Zimmermann legt die zweite Folge von Neueinspielungen der Mozart-Violinkonzerte beim Label hänssler CLASSIC vor. Er stellt den Konzerten Nr. 2 und 5 die wunderschöne Sinfonia concertante Es-Dur KV 364 gegenüber, die zu den bedeutendsten Schöpfungen des Komponisten gezählt wird. Alfred Einstein erklärt dazu in seiner berühmten Monographie, das Werk sei „... die Krönung dessen, was Mozart in seinen Violinkonzerten angestrebt hatte.“

D

as Besondere an dieser Aufnahme ist zudem, dass Frank Peter Zimmermann zum Zeitpunkt der Einspielung noch seine „Lady Inchiquin“- Stradivari spielte. Eine herbe Tragödie war für den Musiker, dass er das Instrument an den Leihgeber zurückgeben musste. Seit Anfang des Jahres spielt Frank Peter Zimmermann nun ein anderes Instrument, ebenfalls eine Stradivari, die von einem deutschchinesischen Unternehmer zur Verfügung gestellt wird: Es ist die Stradivari „Général Dupont, Grumiaux“, ebenjene Geige, die der berühmte Arthur Grumiaux einst verwendete. Zimmermanns kongenialer Partner in der Sinfonia Concertante ist Antoine Tamestit. Auch er spielt eine Viola von Antonio Stradivari aus dem Jahr 1672, die ihm von der HabisreutingerStiftung zur Verfügung gestellt wird. Damit nicht

genug: Radoslaw Szulc, Konzertmeister des Kammerorchesters des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks spielt ebenfalls eine Stradivari-Geige. Seine „Wilhelmj“-Violine aus dem Jahr 1725 wird ihm von der Nippon Music Foundation geliehen. Allein die Tatsache, dass gleich drei Stradivaris bei dieser Aufnahme zum Einsatz kamen, macht diese Produktion mit Mozarts fünf Violinkonzerten, also eigentlich zyklisch interpretiertes Standardrepertoire, zu einer absoluten Rarität. Dass hier hochkarätige Interpreten spielen, zu einer Preziose! Der erste Teil der Mozart-Konzerte mit Frank Peter Zimmermann bei hänssler CLASSIC stieg letztes Jahr aus dem Stand in vielen Ländern in die Klassikcharts ein und wurde zu einer der erfolgreichsten Klassik-CDs des Jahres 2015. René Brinkmann

Wolfgang Amadeus Mozart: Violinkonzerte Nr. 2 und 5, Sinfonia Concertante Frank Peter Zimmermann, Antonie Tamestit, Kammerorchester des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, Radoslaw Szulc

Ebenfalls erhältlich:

hänssler CLASSIC HC15042

hänssler CLASSIC 98.039

W. A. Mozart: Violinkonzerte Nr. 1, 3 und 4 Frank Peter Zimmermann, Kammerorchester des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, Radoslaw Szulc

Ausgabe 2016/1

15


Klangfarben

CLASS : aktuell

GUTE MUSIK GUT HÖREN

Wenn Sie gute Musik auch zu Hause gut hören wollen, dann fragen Sie doch uns: Wir zeigen Ihnen gern, was technisch möglich ist – in jeder Preisklasse Wir beraten und führen vor, gern auch bei Ihnen zu Hause

Christian Gerhaher im Spannungsfeld von Volks- und Kunstlied

Wir liefern, installieren und betreuen Sie auch nach dem Kauf

FolksLied – Lieder von Beethoven, Britten und Haydn, Christian Gerhaher, Gerold Huber, Anton Barachovsky, Sebastian Klinger

Wir haben auch das „Klangfutter“ für Ihre neue Anlage

C Bei uns finden Sie Produkte der Marken: BLOCK, CYRUS, DIAPASON, FIIO, FISCHER & FISCHER, ELAC, ELECTROCOMPANIET, HMS, ME GEITHAIN, MICROMEGA, SONUS FABER, WSS

Glöcknerpfad 47 34134 Kassel Tel. 0561 9351412 Fax 9351415 info@klangfarben-kassel.de www.klangfarben-kassel.de

hristian Gerhaher, der als feinsinnig gestaltender Liedinterpret für sein sicheres Stilgefühl und die große Eleganz seines Vortrags bekannt ist, steht auch immer wieder für kreative und wohldurchdachte Programme. In seinem jüngsten Projekt leuchtet er zusammen mit ebenbürtigen Instrumentalisten das Spannungsfeld zwischen Volks- und Kunstmusik am Beispiel der Schottischen Lieder von Haydn, Beethoven und Britten aus. Als raues Land von Mythen und Märchen war Schottland zu Beginn des 19. Jahrhunderts international beliebt geworden, nachdem die „Ossian“-

Ebenfalls erhältlich:

Robert Schumann: Szenen aus Goethes Faust Christian Gerhaher, Christiane Karg, Alastair Miles SO + Chor d. Bayer. Rundfunks, Daniel Harding BR Klassik 900122

16

Gesänge von James Macpherson in ihrer urtümlich-kraftvollen gälischen Sprache, mit ein­zig-­ artigen Bildern und einer fantasievoll erfundenen Mythologie die europäische Literatur erobert hatten. In Deutschland beeinflussten die Dichtungen eine ganze Generation von Schriftstellern und Komponisten, die sich von jener Literatur inspirieren ließen. Bis in unsere Tage hat sich vieles von diesem Schottland-Bild erhalten; schottische und gälische Lieder und Volksweisen faszinieren auch heute durch ihre eigentümliche Fremdartigkeit. In seinen „Schottischen Lieder“ vertonte Beet­ hoven kunstvoll gedichtete Verse schottischer Dichter, unter anderem von Walter Scott; – jedoch in volkstümlichem Stil und einer für Kunstlieder vorgeblich-vordergründigen Einfachheit. Haydns „Schottische und Walisische Lieder“ beeindrucken durch ihre ungewöhnliche Besetzung für Stimme und Klaviertrio. Ihre erst 1927 erschienenen deutschen Nachdichtungen von Gustav Schüler und dem „Heidedichter“ Hermann Löns machte Fritz Wunderlich populär, auf dessen Interpretation sich Gerhaher ausdrücklich bezieht. Brittens Bearbeitungen schottischer „Folk­songs“ verorten das schottische Thema schließlich in der Moderne. Das mehrdeutig mit „FolksLied“ betitelte Album bildet ein Programm ab, das der ausgezeichnete Liedersänger Christian Gerhaher im März 2013 im Münchner Prinzregententheater vorgestellt hat; sein langjähriger Begleiter Gerold Huber musiziert am Klavier, Anton Barachovsky (Violine) und Sebastian Klinger (Violoncello) – zwei Solisten der Klangkörper des Bayerischen Rundfunks – sind außerdem beteiligt. Seltene Meisterwerke des Liedrepertoires in mustergültig-zeitloser Interpretation. Guido Johannes Joerg

Ausgabe 2016/1

Foto: © Hiromichi Yamamoto

BR Klassik 900131


Witold Lutoslawski (1913 -1994) Konzert für Orchester; Sinfonie Nr. 4; Mala Suita NDR Sinfonieorchester Hamburg Krzystof Urbanski

FRANK PETER ZIMMERMANN

ALPHA CLASSICS ALP232

spielt

Witold Lutoslawski

D

as nennt man wohl eine steile Karriere: 2007 schloss der 1982 geborene Krzystof Urbanski sein Studium an der FryderykChopin-Musikuniversität in Warschau ab. Noch im gleichen Jahr wurde er stellvertretender Dirigent beim Warschauer Philharmonischen Orchester und gewann den ersten Preis beim Internationalen Dirigenten-Wettbewerb in Prag. 2010 wurde er Chefdirigent des Trondheim Symfoniorkester in Norwegen und in der Spielzeit 2011/2012 musikalischer Direktor des Indianapolis Symphony Orchestra in den USA.

Seit vergangenem Jahr ist Urbanski Erster Gastdirigent des NDR Sinfonieorchesters in Hamburg und wird mit dem Orchester die neue Elbphilharmonie einweihen. Der junge, energische Orchesterleiter, der auf drei Kontinenten aktiv ist, erhielt für „seine verwegenen musikalischen Ins­ tinkte und die energiegeladene Art, seine Ideen in wohlgeformten und bedeutsamen Orchesterklang zu übersetzen“ nicht nur allgemeines Kritikerlob, sondern 2015 auch den Leonard Bernstein Award des Schleswig-Holstein Musikfestivals. Seinen Einstand beim Label Alpha Classics widmet Urbanski nicht etwa irgend­ einem narrensicheren Repertoirestück des 18. oder 19. Jahrhunderts, sondern seinem Landsmann Witold Lutoslawski, einem der bedeutendsten Komponisten der Moderne, der die Klangmöglichkeiten des Orchesters mit schier unerschöpflicher Kreativität auskostete. Wie bei nur wenigen seiner Zeitgenossen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkennt man seine Musik wegen ihrer ungeheuren Kraft und Farbigkeit bereits nach ein paar Takten. Ebenso schnell erkennt man als Hörer, dass sich mit der Musik Lutoslawskis und dem Dirigenten offenbar zwei starke Persönlichkeiten gesucht und gefunden haben. Neben zwei frühen Orchesterwerken, darunter das populäre Konzert für Orchester (1950 -1954), gibt es mit der vierten Sinfonie (1988 -1992) auch ein bedeutendes Werk aus der späten Schaffens­ periode zu entdecken. Bernhard Blattmann

Ausgabe 2016/1

17

Violinkonzerte Nr. 2 & 5 Sinfonia Concertante

HC15042

Krzysztof Urbanskis fulminanter Einstand

W. A. MOZART

Pressestimmen zu Teil 1 - Violinkonzerte Nr. 1, 3, 4: „Man kann diese Aufnahme täglich, ohne Verlust an Begeisterung, neu hören, das ist heiter, kultiviert, burschikos, innig.“ Concerti.de „...makellos, drängend leidenschaftlich, klangsinnig. … Schiere Glückseligkeit!“ nmz „Technisch brillant, mit Eleganz, Leichtigkeit und intensiver Strahlkraft...“ BR-Klassik

98.039

Zwei starke Persönlichkeiten

Im Vertrieb der NAXOS DEUTSCHLAND GmbH info@naxos.de · www.naxos.de www.naxosdirekt.de

Foto: Harald Hoffmann

Krzystof Urbanski

Foto: © L. Kowalski / W. Pniewski (Lotoslawski) © Fred Jonny (Urbanski)

CLASS : aktuell


Foto: © Mat Hennek

CLASS : aktuell www.margarita-hoehenrieder.de

Quintette von Mozart und Beethoven mit den Bläsersolisten der Staatskapelle Dresden und Margarita Höhenrieder am Klavier. „Eine außer­gewöhnlich symbiotische Zusammenarbeit.“

Virtuoses Spiel mit den Genres Meisterwerke der Wiener Klassik mit den Bläsersolisten der Staatskapelle Dresden

D

ie Staatskapelle Dresden gehört ohne Frage zu den internationalen Eliteorchestern. Wenn sich die hervorragenden Blä­ ser­solis­ten dieses vielgerühmten Klang­körpers nun gemeinsam mit der Münchner AusnahmePianistin Margarita Höhenrieder zwei in mehrerer Hinsicht besondere Werke der Wiener Klassiker Mozart und Beethoven vornehmen, verspricht das Ergebnis außerordent­lich zu werden. Und tatsächlich klingen Mozarts Quintett für Oboe, Klarinette, Horn, Fagott und Klavier Es-Dur KV 452 und das Quintett Es-Dur op. 16 von Beethoven wohl selten frischer und musika­lisch mitreißender als in dieser Formation. Das vom Oboisten Bernd Schober für Bläserquintett und Klavier bearbeitete Andante aus Mozarts Klavierkonzert Nr. 21 rundet das Programm der Aufnahme mehr als stimmig ab. Den sechs Musikern gelingt mit dieser Einspielung ein glücklicher Wurf, dem

„Ich habe zwei große Concerten geschrieben und dann ein Quintett für Oboe, Clarinetto, Corno, Fagotto und Pianoforte, welches ausserordentlichen Beifall erhalten; ich selbst halte es für das Beste, was ich noch in meinem Leben geschrieben habe. Ich wollte wünschen, Sie hätten es hören können! und wie schön es ausgeführt wurde! Übrigens bin ich, die Wahrheit zu gestehen, müde geworden vor lauter Spielen, und es macht mir keine geringe Ehre, dass es meine Zuhörer nie wurden.“ ( Brief Mozarts an seinen Vater vom 10. April 1784 )

hoffentlich bald weitere folgen werden. „Eine außer­gewöhnlich symbiotische Zusammenarbeit.“ meint die Münchner Pianistin Margarita Höhenrieder „Schon während meiner Proben als Solistin mit Beethovens C Dur Klavierkonzert unter Fabio Luisi und der Staatskapelle Dresden in der Semperoper Dresden ist mir der außergewöhnlich edle, warme Bläserklang besonders aufge­fal­len. Und nach unserem enthusiastisch aufgenommenen Konzert in der Münchner Phil­harmonie hat mich spontan der Oboist, Bernd Schober, gefragt, ob ich auch an Kammermusik mit dem Bläser­ensemble interessiert wäre – da war mir sofort klar – ja! Dies ist in der Tat auch eine sehr seltene, ungewöhnliche Besetzung und Begegnung im Konzertsaal – Kammermusik pur und außerhalb der gewohnten Reihe! Als wir uns dann später im Festspielhaus BadenBaden zu unserer ersten Probe trafen, war uns bewusst: Die höchsten Ansprüche, das „Non plus Ultra“ bedeutet für uns: Wir alle haben gespielt, als ob unsere Probe bereits aufgenommen wurde – es hat funktioniert!“ Kerstin Hänßler Wolfgang Amadeus Mozart Quintett für Oboe, Klarinette, Horn, Fagott und Klavier; Es-Dur KV 452N Ludwig van Beethoven Quintett für Oboe, Klarinette, Horn, Fagott und Klavier; Es-Dur op. 16 Bläsersolisten der Staatskapelle Dresden Margarita Höhenrieder, Piano

J. S. Bach MATTHÄUS­ PASSION Frieder Bernius interpretiert Bachs wichtigste Passion.

Hannah Morrison, Sopran Sophie Harmsen, Alt Tilman Lichdi, Tenor Peter Harvey, Bass (Arien) Christian Immler, Bass (Jesus) Kammerchor Stuttgart Barockorchester Stuttgart Frieder Bernius

3 CDs

CCarus

Johann Sebastian Bach

M ATTHÄUS-PASSION St. Matthew Passion · BWV 244

Morrison · Harmsen · Lichdi · Immler · Harvey Kammerchor Stuttgart Barockorchester Stuttgart

Frieder Bernius

Erhältlich als CD­Box (Carus 83.285) und als limitierte Deluxe SACD­Edition (Carus 83.286) Ersteinspielung nach der Carus Urtext­Ausgabe von Klaus Hofmann (Carus 31.244)

hänssler CLASSIC HC15042

18

Ausgabe 2016/1

C Carus


Foto: © Gallandi Studio Berlin

CLASS : aktuell

Trompete und Orgel in neuer Kombination

www.pliquett-gast.de

Joachim Pliquett und Arvid Gast mit neuem Programm

Audiomax 906 1930-6 (Hybrid-SACD) Ebenfalls erhältlich:

Okna - Fenster Musik für Trompete und Orgel Joachim Pliquett, Trompeten Arvid Gast an den Orgeln von St. Jakobi Lübeck Audiomax 906 1358-6 (Hybrid-SACD)

Ausgabe 2016/1

19

THIELEMANN STAATSKAPELLE DRESDEN

Werke von Bruckner und Wagner

PH15013

Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 7 Richard Wagner: Das Liebesmahl der Apostel

Christian Thielemanns erste Einspielung von „Das Liebesmahl der Apostel“, live aufgenommen in der Dresdner Frauenkirche, in der das Werk 1843 uraufgeführt wurde. Ebenfalls mit Christian Thielemann und der Staatskapelle Dresden erhältlich:

Im Vertrieb der NAXOS DEUTSCHLAND GmbH info@naxos.de · www.naxos.de · www.naxosdirekt.de

Foto: Matthias Creutziger

Trumpet Combinations Werke von John Gardner, Vincent Jelich, Petronio Francescini, J. S. Bach, Antonio Pino, G. F. Händel, Boris Blacher, Henri Busser und Pétér Tóth Joachim Pliquett u. Matthias Kühnle, Trompete Klaus Mertens, Bariton; András Fejér, Posaune Arvid Gast an den Orgeln von St. Jakobi Lübeck

das Klanggeschehen rund um die historischen Orgeln der Lübecker Jacobikirche mit fest­ lichem Ton – feierlicher hat man die äußerst populäre Königin von Saba wohl noch nicht einziehen hören! Kern des interessant zusammengestellten Programms bieten drei „Kirchensonaten“, eine davon original aus dem 17. Jahrhundert von Petronio Franceschini, die beiden anderen als kluge Adaptionen unserer Zeit. Franceschinis Sonata fasziniert mit attraktiven Echo-Effekten, die durch überraschende Wendungen von Dur zu Moll eine ganz besondere Wirkung entfalten. Ganz ähnlich spielt auch John Gardner in seiner „Sonata da chiesa“ von 1976 mit der Akustik des Raumes; mit komponiertem Doppler­ effekt scheint die Musik sich sogar im Raum zu bewegen! Dass dies alles über einem Motiv aus Monteverdis „Orfeo“ stattfindet, verstärkt die Bin­ dung an frühere Zeiten zusätzlich. Auch Péter Tóths „Sonata da chiesa“ reicht weit über das Formzitat hinaus. Mit choralartigem Beginn und schwung­ vollem Sechsachtel-Schluss wird die alte Form mit zeitgemäßem Leben gefüllt. Zu den besonderen „Combinations“ dieser fein ausbalancierten Super Audio CD gehört Boris Blachers „Divertimento 1946“, das in der Fassung für Trompete, Posaune und Orgel mit rhythmisch orientierter Sachlichkeit eine ganz andere Welt erschließt. Im Verlauf der sieben Sätze kommen alle möglichen Instru­ mentenkombinationen zum Klingen – perfekt für diese überaus interessante Neueinspielung, die den Zuhörer auf den besten Platz in der Vierung versetzt, so dass er die drei Orgeln und die Solisten in ihren wechselnden Raumposi­ tionen ebenerdig oder auf den Emporen wahr­ nehmen kann. Spannend! René Brinkmann

PH10031

J

oachim Pliquett und Arvid Gast haben schon oft ihr Publikum mit virtuosem und ideen­ reichem Spiel begeistert. Für ihr neuestes Programm „Combinations“ können sie auf pro­ minente Unterstützung setzen: Klaus Mertens singt das berühmte „Revenge, Timotheus cries“ aus Händels „Alexanderfest“ und ein anonymes „Laudate Pueri“ aus dem 17. Jh.; Matthias Kühnle, Trompete und András Fejér, Posaune bereichern


Foto: © Eric van Nieuwland

CLASS : aktuell

„Tauscht Euch aus!“

H

aben Sie dieses Jahr auch wieder Freunde und Kollegen zu ihren guten Vorsätzen befragt? Und bekamen sie dann, neben den allseits bekannten Standards, ebenfalls häufig einen neuen Begriff zu hören: „Digital Detox“? Die Entgiftung vom Digitalen, Abspecken der Handyzeiten, weniger Bildschirm, weniger Technik­fixierung, mehr Zeit für das Wesentliche. Ganz im Sinne des in Zeitschriften beschworenen „Mega­trends Achtsamkeit“. Ist nach vielen Jahren der allgegenwärtigen „Digitalisierung“ also nun eine Gegenbewegung auf dem Vormarsch? Beim Wort „Megatrend“ kann der informierte Klassik-Freund nur müde lächeln, insbesondere wenn er seit nunmehr fünf Jahren jedes Jahr zur Classical:NEXT geht, diesem größten internationalen Klassik-Treff im Mai – derzeit wird er in Rotterdam abgehalten. Intensive Debatten über das Für und Wider von digitaler Technik wurden hier schon von Beginn an geführt, auf der Konferenz und unter den Ausstellern. Und natürlich, natürlich!, gibt es keinen für alle funktionierenden Trend. Selbstverständlich kann man nicht einfach sagen, der richtige Weg sei uneingeschränkt „pro“ oder „contra“ Technologie. Sicher, es stimmt, Teile der Klassik-Welt haben tatsächlich die Digitalisierung verschlafen. Andere aber waren Vorreiter – Entwicklung der CD? Digitale Instrumente? Online Musik-Datenbanken? Alles Errungenschaften der klassischen Musikszene. So auch auf der Classical:NEXT: MDG stellten ihr 2222+ dort vor, das Label Naxos präsentierte seine Klangbibliothek (Klaus Heymann wird auch 2016 wieder auf der Classical:NEXT sprechen) und viele weitere innovative Projekte folgten. Seinen nachhaltigen Erfolg verdankt die Classical:NEXT dem branchenübergreifenden Wunsch, die guten Ideen Einiger zum Nutzen Vieler zu verbreiten und zu teilen. In einem Wort: Austausch. Zu einem echten Austausch gehört es, die

20

eigenen Ideen mit den anderen zu schärfen und genauer auszuarbeiten, letztlich auch zu erkennen, dass auch die beste Idee eben nicht für jeden gleichermaßen funktioniert. Und so ist es auch mit den digitalen Ideen und Möglichkeiten. Sei es Streaming, Vielkanal-Sound oder interaktive Einbindung des Publikums mit Hilfe sozialer Netzwerke – das Digitale spielt mittlerweile eine wichtige Rolle, ist aber niemals Allheilmittel. Oder wie es das Philharmonia Orchestra aus London in seinem gerade veröffentlichen Bericht zum Mammut-Projekt „iOrchestra“ zusammenfasst, welches Tausende Menschen im ländlichen Südwesten Englands erstmals an klassische Musik heranführte: Das Digitale ist immer nur das praktische Mittel zu einem sehr natürlichen, undigitalen, weil menschlichen Zweck. Ein virtuelles Orchester im Netz hatte Erfolg, weil Menschen es vor Ort anderen näher brachten, und weil diese Menschen die Musik im nächsten Schritt auch außerhalb der Netzwelt kennenlernten. Das Digitale ist nur ein Teil des Ganzen. Insbesondere wer einmal die Bandbreite der „Showcase-Konzerte“ der Classical:NEXT kennengelernt hat, weiß, das Kreativität und Er­ neuerung der Klassik in vielen Gestalten daher kommen kann. Welch ein Glück: Es gibt viele und ständig neue gute Ideen, und die Klassik sollte noch viel mehr Austausch wagen: Recorded und Live könnten voneinander lernen. Von der einfachen Idee, Aufnahmen regelmäßiger dort anzubieten wo das jeweilige Stück aufgeführt wird über die Grafik von Konzertplakaten und Tonträgern bis hin zu den künstlerischen Konzepten. Nicht verschweigen sollten wir Klassikfreunde, dass wir durchaus auch die ein oder andere überkommene Routine „austauschen“ müssen, um zukunftsfähig zu bleiben. Das ist aber wiederum kein Trend, das war schon immer so, und das wird auch so bleiben. Tauscht Euch aus, aber schafft Euch nicht ab. Paul Bräuer

Ausgabe 2016/1


CLASS : aktuell

„Attentat auf David Bowie!“ Rekonstruktion einer verschollenen Funkoper

W

The Dyed Blondes

Peer Raben (1940-2007) „Tot in New York“ Neufassung der deutschen Funkoper von Peer Raben und Jean-Jacques Schuhl für Sängerin, Jazzband, Kinoorgel, Erzähler und Breaking News Ibadet Ramadani, Stimme; The Dyed Blondes

Eine originale Mighty Wurlitzer Kinoorgel

MDG 926 1927-6 (Hybrid - SACD)

Orchesterpartien ersetzt Michael Emanuel Bauer durch eine originale Mighty Wurlitzer Kinoorgel, die das Werk, das zwischen Hörspiel, Jazzoper, Konzert und Audiocollage changiert, um eine cineastische Dimension erweitert. Oliver Helds Textfassung verlegt die Handlung in die Vergangenheit, die beim Original noch Zukunft war. Durch authentische Tondokumente und Reminiszenzen an das Lebensgefühl der späten 1980er Jahre entsteht ein Panorama des Zeitgeistes, der „das Ende der Geschichte“ als unumstößliche Gewissheit verinnerlicht hatte. Dazu

passen so melancho­lische Songs wie „American Bar“ oder auch die mehrfachen Eindrücke aus „Zimmer 1050“, Nachbarsuiten eingeschlossen… Modern ist auch die Aufnahmetechnik: Im dreidimensionalen 2+2+2-Sound entfalten die unterschiedlichen Handlungsräume eine Plastizität, die mit Händen zu greifen ist. Sei es die intime Situation des Hotelzimmers, die aus dem Fernseher gellenden Sensationsmeldungen, die zur Mighty Wurlitzer rezitativisch angelegten Erzählerpartien – das raumgreifende Klang­panorama zieht das Publikum mitten hinein ins Geschehen. . Klaus Friedrich

In den 80er Jahren imaginieren Peer Raben und Jean-Jacques Schuhl in ihrer Science-Fiction-Oper „Tot in New York“ ein Attentat auf David Bowie. Zuvor war bereits auf Andy Warhol und John Lennon geschossen worden. Doch statt David Bowie fiel die Berliner Mauer. Ende 2015 veröffentlicht MDG eine Neufassung des lange Zeit verschollenen Radiostücks „Tot in New York“. Wenige Wochen später stirbt David Bowie tatsächlich. Und viele Menschen beschleicht das Gefühl: „The Party is over“. Oliver Held - Berlin Januar ´16 „No future“ steht wieder vor der Tür.

Ausgabe 2016/1

21

Foto links: © MDG; Foto Wurlitzer: © Willi Wiesinger

ährend eine Sängerin sich im Hotelzimmer auf ihren Auftritt in der Carnegie Hall vorbereitet, heulen Polizeisirenen durch die Straßenschluchten Manhattans, Schüsse fallen, in den allgegenwärtigen Newschannels überstürzen sich die Spekulationen… 1982 hat Jean-Jacques Schuhl mit „Tot in New York“ ein fiktives Endzeitdrama für den Rundfunk geschrieben, und der Fassbinder-Weggefährte Peer Raben machte daraus eine Radio-Oper für die großartige Ingrid Caven. Das ambitionierte, damals in der nahen Zukunft angesiedelte Stück ist verschollen, einschließlich der Sendebänder. Oliver Held hat gemeinsam mit Michael Emanuel Bauer, langjähriger Mitarbeiter Rabens, für die junge Sängerin Ibadet Ramadani eine Neufassung erstellt, die die historische Vorlage mit zeitgenössischem Jazz zu einer packenden Fusion-Inszenierung verdichtet. Natürlich dürfen dabei so bekannte CavenSongs wie „Trans-Europa-Tango“ oder „Polaroid Cocaine“ nicht fehlen; allerdings vermeiden die neuen Arrangements jegliche Chansonseligkeit: Die Sextettformation Dyed Blondes um den Berliner Schlagzeuger Ernst Bier sorgt mit frischem Modern Jazz für ein durch und durch ak­tuelles Klanggeschehen. Besonderer Clou: Die verlorenen


Foto: © Max-Reger-Institut, Karlsruhe

CLASS : aktuell Max Reger an der Welter-Orgel, Freiburg, Sommer 1913

Max Reger Orchesterwerke Norrköping Symphony Orchestra, Leif Segerstam BIS-CD-9047

Max Reger Sämtliche Orgelwerke Max Reger / J.S. Bach Sämtliche Orgelbearbeitungen Rosalinde Haas, Albiez-Orgel Frankfurt-Niederrad

„Donner­wetter, das ist ein tolles Stück Musik!“

MDG 315 1645-2 (Box mit 14 CDs) lieferbar ab 18. April

F Max Reger Choralfantasien Balázs Szabó Walcker-Orgel der Wiener Votivkirche (1878) Gebr. Link-Orgel, Giengen (1906) Kuhn-Orgel in St. Anton, Zürich (1914) MDG 920 1945-6 (2 Hybrid-SACDs)

Zum hundertsten Todesjahr von Max Reger (1873 -1916)

ast ein Jahrhundert nach Regers frühzeitigem Tod ist kaum noch vorstellbar, welchen Rang und Ruhm er einst in der musikalischen Szene inne hatte. Paul Hindemith nannte ihn „den letzten großen musikalischen Giganten“, Schönberg beschrieb seine Musik als „reich und neu“ und zählte ihn zu den modernen Komponisten, von denen er am meisten gelernt hat. In Russland wurde er so hoch geschätzt, dass eine Woche nach Regers Tod in St. Petersburg ein Gedenkkonzert stattfand, obwohl Deutschland und Russland im Krieg lagen. Und heute? Vorwiegend seine Orgelwerke und einiges aus der Kammermusik ist noch präsent. Sein Schaffen für Orchester umfasst über 20 Kompositionen, aber nur wenige davon finden sich gelegentlich in den Konzertprogrammen weltweit, mit Ausnahme der Mozart-Variationen. Schade, denn Reger war ein ausgezeichneter Orchesterkomponist mit einem untrüglichen Sensus

22

für interessante Orchestrierung. Und so bietet eine bei BIS erschienene Box reiche Entdeckerfreuden, denn sie bietet sieben der wichtigsten Orchesterwerke in packender und zupackender Interpretation durch das Norrköping Symphonieorchester, geleitet von Leif Segerstam (BIS-CD-9047).

Reger auf der Orgel Ausgerechnet das später so beliebte Orgelwerk stand zunächst unter dem etwas unglücklichen Verdikt des Freundes und Förderers Karl Straube, ein großer Virtuose, der viele der Regerschen Orgelkompositionen auf- und uraufgeführt hatte. Er war der Meinung, dass Regers Tempovorschriften derart überzogen seien, dass man sie glatt halbieren sollte. Dieses Verdikt hat sich lange bei den Interpreten gehalten, zumal viele Orgeln (und Organisten) dieser Virtuosität nicht gewachsen waren.

Ausgabe 2016/1


CLASS : aktuell Schnitt der Jahrhunderthalle Breslau Architekt: Max Berg

Max Reger Edition Sämtliche Orgelwerke

An dieser Stelle kommt der ersten Gesamteinspielung der Orgelwerke Regers durch Rosaslinde Haas bei MDG (MDG 315 1645) besondere Bedeutung zu: Durch die Verwendung der perfekt eingestellten mechanischen Albeniz-Orgel in Frankfurt Niederrath ist sie in die Lage versetzt, wie ein virtuoser Wirbelwind tatsächlich die originalen Tempi Regers zu realisieren. Sicherlich hat diese einmalige Aufnahme die Interpretenwelt gespalten, allerdings hat sie bis heute einen festen Platz in jeder Diskografie verdient. Übrigens hat Rosalinde Haas später noch die vollständigen BachBearbeitungen angefügt, so dass diese prall gefüllte Regerbox wirklich alle greifbaren Werke beinhaltet. Interessanterweise hat die Tempofrage bei Reger in keiner anderen Gattung je eine Rolle gespielt, kein Pianist, kein Dirigent käme auf die Idee, dass Presto als Allegro aufzuführen sei. Ein besonderer Anhaltspunkt für die richtige Tempowahl mögen seine groß angelegten Choralphantasien sein: Natürlich hatte Reger immer das normal gesungene Choraltempo im Kopf. Der ungarische Virtuose Balázs Szabó hat für seine Neueinspielung aller sieben Fantasien drei herausragende Instrumente in Wien, Giengen und Zürich ausgewählt, die eine rasante Entwicklung des modernen Orgelbaus zu Regers Zeiten dokumentieren (MDG 949 1919). Aber nicht nur die Technik des Orgelbaus hat sich weiterentwickelt, sondern auch die der Tonaufzeichnung. Einen ganz besonderen Weg geht hier das Label Cybele, bei dem eine neue Gesamtaufnahme der Regerschen Orgelwerke in Arbeit ist. Martin Schmeding ist der Interpret der auf 16 SACDs angelegten Einspielung, von der die ersten drei bereits erschienen sind. Das Besondere: aufgenommen wird in Kunstkopftechnik, die eine sehr natürlich dreidimensionale Wiedergabe (beim Hören über Kopfhörer) ermöglicht, wie sie mittels noch so vieler Lautsprecher kaum darstellbar wäre (CYB 051501, 051502, 051503). Reger steht auch auf dem Programm, das Christoph Schoener mit überraschendem Bezug zum Hamburger „Michel“ zusammengestellt hat (MDG 949 1919).

Neben der frühen Choralfantasie über „Ein feste Burg ist unser Gott“ und dem gewaltigen „Introduktion, Passacaglia und Fuge“ aus Regers letzten Lebens­ jahren findet sich eine Auswahl aus den „30 kleinen Choralvorspielen“, die mit geradezu schlichter Einfachheit bei gleichzeitig anspruchsvoller Harmonik den Großmeister des komplex-opulenten Orgelklangs in einem völlig neuen Licht erstrahlen lässt. Auch wenn Reger nebenamtliche Dorforganisten an einfachen Instrumenten bei der Komposition im Blick gehabt haben mag: Mit den schier unendlichen Möglichkeiten, die Schoener an den drei Michel-Orgeln zur Verfügung stehen, gewinnen die Miniaturen an ungeahnter Ausdruckstiefe. Große Anlässe verlangen nach großen Gesten, und so ist „Introduktion, Passacaglia und Fuge“, als Auftrag zur Einweihung der gigantischen Orgel der Jahrhunderthalle in Breslau entstanden, in vielfacher Hinsicht riesig dimensioniert. Auf der perfekt balancierten Super Audio CD ist dies auch räumlich zu erleben: Durch die Wiedergabe im 2+2+2-Format positionieren sich die drei eingesetzten Orgelwerke mit atemberaubender Plastizität im Wohnzimmer und bilden ein präzises akustisches Abbild der Hamburger Hauptkirche. Eine Auswahl repräsentativer Orgelwerke hat das niederländische Label Toccata mit dem Organisten Cor van Wageningen in Arbeit. Gerade ist Vol. 5 erschienen, das Phantasie und Fuge d-Moll op. 135b und Neun Stücke für die Orgel op. 129 enthält. Van Wageningen spielt an der monumentalen WalckerOrgel der Grote of Martinikerk in Doesburg „ein Orgelwerk größten Styls, aber nicht zu lang“ (Max Reger über Phantasie und Fuge op. 135b). Es ist der eigentliche Schlussstein des Regerschen Orgelwerkes, „Meister Richard Strauß in besonderer Verehrung“ gewidmet. Und doch glaubte Reger noch: „Jetzt werde ich erst meine großen Kompositionspläne verwirk­ lichen“. Das war zwei Wochen vor seinem frühen Tod. Im Nachlass des Dirigenten und Regerfreundes Fritz Busch fand sich in den frühen siebziger Jahren

Ausgabe 2016/1

23

Vol. 1: Fantasie und Fuge über Bach op. 46 Introduction und Passacaglia d-Moll Symphonische Fantasie und Fuge op. 57 Zweite Sonate d-Moll op. 60 Martin Schmeding, Sauer-Orgel im Dom St. Petri Bremen Cybele CYB051501

Vol. 2: Introduction, Passacaglia und Fuge e-Moll op. 127 Neun Stücke op. 129 Martin Schmeding, Walcker-Orgel Lutherkirche Wiesbaden Cybele 051502

Vol. 3: Phantasie und Fuge d-Moll op. 135b Sieben Stücke op. 145 Martin Schmeding, Walcker-Orgel Lutherkirche Wiesbaden Cybele 051503


CLASS : aktuell

Max Reger: Orgelwerke Fantasie über den Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ op. 27 Introduktion, Passacaglia und Fuge e-Moll op. 127 Auswahl aus „30 kleine Choralvorspiele“ op. 135a Christoph Schoener an drei Orgeln der Hauptkirche St. Michaelis, Hamburg MDG 949 1919-6 (Hybrid-SACD)

Fotos: © Max-Reger-Institut, Karlsruhe

Manuskriptseite aus den Improvisationen op. 18 für Klavier, Nr. 8 Etude brillante, 1897

Reger arbeitet an der „Ballett-Suite“ op. 130, Sommer 1913 in Kolberg an der Ostsee

Max Reger Repräsentative Orgelwerke Vol. 5: Phantasie und Fuge d-Moll op. 135b Neun Stücke für die Orgel op. 129 Cor van Wageningen, Orgel Toccata TRR9605

Max Reger Variationen und Fuge über ein Thema J.S. Bach op. 81 Johann Brahms (1833-1897) Variationen und Fuge über ein Thema von Händel op. 24 Friedrich Wilhelm Schnurr, Klavier MDG 604 0172-2

der Korrekturabzug mit allen kleinen Änderungen und großen Kürzungen, die Reger vor dem Druck festlegte. Jedenfalls schafft es Reger tatsächlich, den Spannungs­ bogen zwischen „größtem Styl“ und „nicht zu lang“ ohne Proportionsverlust zu füllen. Das Werk ist monumental, dauert aber tatsächlich „nur“ 23 Minuten – eventuell war dies eine Forderung von Regers Verleger Simrock, der sicher gerne auch mal größere Stückzahlen von einer Ausgabe verkaufen wollte. Was bei den sonst gern doppelt so lange dauernden großen Orgelwerken Regers sicher nur schwer möglich war (TRR9605).

Reger als Pianist Max Reger wusste das Klavier nicht weniger virtuos zu handhaben als die Orgel. Ein schönes Beispiel dafür bietet MDG 604 0172, auf der Friedrich Wilhelm Schnurr Variatonen von Brahms und Reger spielt. Dies ist ein Mehrgenerationenprojekt der besonderen Art: Schnurr ist noch bei den Klavierlegenden Alfred Cortot und Wilhelm Kempff in die Lehre ge­ gangen. MDG hat jetzt eine Aufnahme aus den 1980erJahren wieder aufgelegt, die Schnurr als zupackenden, energiegeladenen Interpreten zeigt. Variationen über Themen von Händel und Bach sind sein Thema: Auch Johannes Brahms und Max Reger wussten, was sie an den Vorfahren hatten! Max Reger wählte sich ein instrumentales Vorspiel aus einer Kantate Bachs als Vorwurf für seinen Variationszyklus. Aber anders als Brahms entfernt er sich nach einigen Umspielungen weit vom Ausgangspunkt: Schon die dritte Variation ist eine sehr freie,

24

kontemplative Fantasie, die mit urplötzlichen dynamischen Ausbrüchen überrascht. Auch Reger schließt mit einer Fuge, die es in sich hat: Schon das Anfangsthema ist von überbordender Chromatik, und mit dem später einsetzenden zweiten Thema entsteht einen Doppelfuge von gewaltigen Dimensionen. Dass diese spektakuläre Aufnahme auch nach 30 Jahren nichts von ihrer Frische eingebüßt hat, liegt auch an der meisterhaften Klangregie, die die Atmosphäre der berühmten Bielefelder Rudolf-OetkerHalle perfekt eingefangen hat. Was für ein Zufall: Regers Arzt erteilte dem Patienten Komponierverbot, also sprach Reger: „Gut, dann werde ich eben arrangieren.“ Mit den Arran­gements der sechs Bachschen Branden­burgischen Konzerte erfahren wir heute aus erster Hand, aus welchem Blick­winkel das späte 19. Jahrhundert den großen Barock­kom­ ponisten beurteilte: Die Ersteinspielungen auf dieser Doppel-CD (MDG 330 0635) legt die Hauptwurzeln der Bachpflege des letzten Jahrhunderts frei. Zu Zeiten der großen Romantiker dienten vierhändige Klavierbearbeitungen gleichzeitig als Schallplatte, Radio und Fernseher: Sie waren die Medien, mit denen große Musik der Vergangenheit und Gegen­ wart eine Kommunikationsebene und damit Verbreitung fand – auch wenn gerade kein Orchester zur Hand war. Der Glanz des ehrwürdigen Steinway D „Manfred Bürki“ Baujahr 1901, auf dem diese CD entstand, verleiht den hoch­barocken Kompositionen eine romantisch warme Klangfarbe, die nicht zum ersten

Ausgabe 2016/1


CLASS : aktuell

Titelblatt der Erstausgabe der Fantasie über den Choral „Hallelujah! Gott zu loben“, 1901

Mal für eine „outstanding quality“ steht (Fanfare über die Aufnahmen auf dem „Steinway 1901“).

Fotos rechts und oben: © Wikipedia

Reger und die Kammermusik Als musikalischen Bürgerschreck Nr. 1 traute man es Reger am wenigsten zu, dass er sich intensiv mit der Alten Musik beschäftigte. Doch als nahezu niemand in Deutschland Bachs Violinkonzerte kannte, studierte Reger schon intensiv Werke seines großen Vorbildes und oft genug instrumentierte er sie um – immer mit dem Ziel, bei jeder sich bietenden Gelegenheit Bach ins Spiel zu bringen. Wie sehr er den Altmeister verehrte, sich mit ihm auseinander setzte, auch Formen Bachs in eigenen Werken wieder aufnahm, kann man sehr schön an seinen Cellosonaten beobachten. Die Sonaten für Viola da gamba und Cembalo von Johann Sebastian Bach wie auch die Sonaten für Violoncello und Klavier von Max Reger stellen in ihrer jeweiligen Epoche einsame Gipfelhöhen dar. Das rechtfertigt, die Werke in einer Gesamtaufnahme einander gegenüberzustellen und nicht enzyklopädisch nur Bach bzw. nur Reger zu veröffentlichen. Martin Rummel (Violoncello) und Elizabeth Hopkins (Klavier) sind die Interpreten auf Musicaphon M56894 und M56898. In einer ihrer von Presse und Publikum stets besonders gepriesenen Moderationen der

Konzerte bezeichnete die Pianistin Elizabeth Hopkins den Komponisten Max Reger einmal als „musikalischen Nimmersatt“. Vollgriffige Akkorde, komplizierte harmonische Strukturen, die die analytische und doch emotionale Pianistin zu Rummels intensivem Celloton geradezu leicht und verständlich klingen läßt. Fast zweihundert Jahre Abstand zu Johann Sebastian Bach scheinen alles andere als unüberwindlich. Im Sommer 1898 war Reger nach beruflichen Katastrophen in seine Heimatstadt Weiden zurück­ge­ kehrt. Die zurückliegenden Jahre hatten komposi­to­ risch keine Früchte getragen. Aber nun geriet er in einen Schaffens­rausch – über 40 Werke entstanden, darunter auch die beiden Streichquartette op. 54, zu hören auf „Kammermusik Vol. 1“ mit dem Mannheimer Streichquartett (MDG 336 0711). Dynamik in allen ihren möglichen Nuancen stand für Reger im Zentrum seiner Klangvorstellung: Kaum ein Komponist pflasterte das Notenbild seiner Quartette mit derart vielen Vortragsvorschriften. Reger schuf damit ein interpreta­torisches Dickicht, in dem sich so mancher Profi verfangen sollte. Dementsprechend erbost war Reger über ober­flächliche Interpretationen seiner Werke: “... die Herren wollen einfach nicht; in Folge dessen klingt mein Quartett, als wenn es ein absolut betrunkener Faun komponiert hätte.” Reger galt als schwieriger Komponist und als schwieriger Mensch. Meistens gab er seinen Zeitgenossen Rätsel auf, hin und wieder besonders anspruchsvolle – so z. B. im Streichtrio op. 77b: Das Werk ist eingängig, heiter, charmant und hat ganz und gar nichts Rätselhaftes. Danach suchte jeder Kritiker vergeblich ... Nicht weniger spektakuläre Werke bietet das Mannheimer Streichquartett auf „Kammermusik Vol. 2“ (MDG 336 0712), denn Reger schlägt in seinem Quartett op. 74 alle Rekorde: An jedem Takt nagt die Chromatik, und die Gattung explodiert zu einer spätromantischen Supernova. Reger über sein Meisterwerk: „Opus 74 ist nicht technisch, sondern musi­ kalisch und seelisch schwer...“ „Chaotisch! Verrückt! Unnatürlich!”, geiferten zeit­genössische Kritiker – nicht ahnend, dass der Atem der Musikgeschichte länger ist als der ihre. Karl Straube traf dagegen schon 1905 ins Schwarze: „Donner­wetter, das ist ein tolles Stück Musik!”. Regers späte Leichtigkeit bekommt im vorliegenden Trio op. 141 einen ernsten Zug. Selbst Rudolf Louis, Regers ärgster Gegenspieler, ringt sich ein Kompli­ment ab und hält es für „relativ viel leichter zugänglich als die meisten übrigen Kammermusikwerke Regers”. In Wahrheit ist das Rudolf Louis Werk – wie andere Rezensenten be-

Ausgabe 2016/1

25

Johann Sebastian Bach Brandenburgische Konzerte bearb. für Klavier zu 4 Händen von Max Reger Klavierduo Trenkner - Speidel MDG 330 0635-2 (2 CDs)

Bach & Reger Sonaten für Cello und Klavier Vol. 1 Bach: Gambensonaten Nr. 1 und Nr. 2 Reger: Cellosonaten Nr. 1 und Nr. 2 Martin Rummel, Violoncello Elizabeth Hopkins, Klavier Musicaphon M56894

Bach & Reger Sonaten für Cello und Klavier Vol. 2 Bach: Gambensonate Nr. 3 Reger: Cellosonaten Nr. 3 und Nr. 4 Martin Rummel, Violoncello Elizabeth Hopkins, Klavier Musicaphon M56898


CLASS : aktuell

Foto: © Wikipedia

Henri Marteau, belgischer Geiger den Max Reger gerne am Klavier begleitete

Max Reger Kammermusik Vol. 1 Streichquartette op. 54, 1-2 Streichtrio op. 77b Mannheimer Streichquartett MDG 336 0711-2

Max Reger Kammermusik Vol. 2 Streichquartett op. 74 Streichtrio op. 141b Mannheimer Streichquartett MDG 336 0712-2

Max Reger Kammermusik Vol. 3 String Quartet op. 109 Streichquartett op. 121 Mannheimer Streichquartett MDG 336 0713-2

merkten – durch eine „blühend harmonische Farbenpracht” gekennzeichnet. „Es ist wunderbar,” so der Hannoversche Kurier 1916, „welche Fülle Reger aus den drei Instrumenten herauszuholen und wie er ihre Eigenheiten an Klangschönheiten zu steigern weiß...” Zwei weitere Meisterwerke aus der Feder Max Regers bilden das dritte Volume und den Abschluss der Gesamt­einspielung mit den Streichquartetten des großen spätromantischen Kontrapunktikers – op. 109 und op. 121 (MDG 336 0713). „Warten Sie nur, ich werde ein Streichquartett schreiben, das wird eine Hölle von Kontrapunkt!“, warnte Reger am 6. Juli 1890. Adalbert Lindner, Verleger und Adressat des zitierten Briefes, musste allerdings noch 19 Jahre warten, bis Reger sein op. 109 druckfertig ausgearbeitet hatte. „Zeit – Zeit – Zeit!“, stöhnte Reger unter dem Druck zahlloser Konzert­ verpflichtungen und Kompositionsaufträge. Das Ergebnis des langen Prozesses war über­ raschen­der­weise kein schwer verdauliches, kontrapunktisches Monument, sondern ein ausgewogenes, leicht verständ­ liches Streichquartett, in dem die Rezensenten eine „Fülle von plastisch hingestellten, reich entwickelten Gedanken und neuartigen Klangkombinationen“ entdeckten. Drei Jahre vor Ausbruch des 1. Weltkrieges schloss Reger auch die Partitur zu seinem Streichquartett in fis-Moll op. 121 ab. Das Werk avancierte rasch zu einem überragenden Repertoirestück, und sogar die bis dato regerfeindliche Fachpresse wechselte das Lager: „Es gehört in die Reihe der besten und nicht nur der besten deutschen Streichquartette.“ Ganz unterschiedlich verhält es sich bezüglich der Wahrnehmung der Zeitgenossen mit zwei seiner Sonaten für Violine und Klavier, die Johannes Prelle (Violine) und Thomas Günter (Klavier) bei Musicaphon veröffentlicht haben (M56914). Die Auswahl der Sonaten für diese CD ist keineswegs zufällig, denn bei beiden handelt es sich um Marksteine in Regers Schaffen. Die Sonate Nr. 4, entstanden 1903, brachte Reger dank der Aufführungen durch den belgischen Geiger Henri Marteau (immer mit Reger am Klavier) den Durchbruch. Fortan galt er neben Richard

26

Strauss als äußerster Exponent der musikalischen Moderne, wahlweise gefeiert oder gefürchtet, immer aber unter Anerkennung seines unzweifelhaften handwerklichen Könnens. Das Wort vom „wilden Reger“ ist auf das Schaffen dieser Jahre gemünzt. Ganz anders der letzte Beitrag Regers zu dieser Gattung. Die Sonate Nr. 9, ein gutes Jahr vor seinem Tod entstanden, lag ihm besonders am Herzen. Er sprach selbst von einem „ganz neuen Stil“, und in der Tat hebt sich das Werk in seiner Tendenz zur motivischen Ökonomie, verbunden mit intensiver Arbeit am Detail, gegen manche früheren Kompositionen sehr ab. Das harmonisch, motivisch, klanglich Exzessive, das ihm den Ruf des „wilden Reger“ eingetragen hatte, ist hier aufgehoben. Reger lässt sich in seinen subtilsten Kammermusikwerken, den Klaviertrios op. 2 und 102, geradezu umfassend erfahren: 100 Werke liegen zwischen diesen beiden Eckpfeilern der spätroman­tischen Klavierkammermusik – ein faszinierender künstlerischer Entwicklungsweg, den das Trio Parnassus in meister­hafter Perfektion nachgezeichnet hat (MDG 303 0751). Der Meister stand seinen Frühwerken skeptisch gegenüber und liebte es, dieser Skepsis drastisch Luft zu ver­schaffen: „Mist“ und „heilloser Blödsinn“ waren die Attribute, die er seinen genialen Frühwerken zumaß... „Herrgott, vor sieben Jahren war ich noch eine lächerliche Figur – und jetzt!“, seufzt der vielumworbene und gefeierte Komponist im Jahre 1907, kurz nach Beendigung seiner „Sturm- und Trankzeit“ (O-Ton Reger), ausgezeichnet mit den höchsten Ehrungen, die ein Komponist seiner Zeit erhalten konnte. Dank seines Genies kann er die langen Zugfahrten nutzen,

Ausgabe 2016/1


CLASS : aktuell

Fotos: © Max-Reger-Institut, Karlsruhe

Ehepaar Reger im Jahr ihrer Hochzeit, München 1902

um sein Trio op. 102 im Kopf auszuarbeiten... Musik, die Regers Behandlung der Holzblasinstrumente aufzeigt, bietet MDG 304 1557: Das Ensemble Villa Musica hat das Klarinettenquintett eingespielt und die Aufnahme mit dem Streichsextett F-Dur komplettiert. Das Streichsextett F-Dur op. 118 hatte Reger für die Gewandhaus­kammer­musik im März 1911 fest versprochen, doch die Arbeit daran fiel ihm sichtlich schwer. Im Oktober 1910 vernichtete er den kompletten ersten Satz mit Ausnahme von vier Takten, die ihm wertvoll genug erschienen. Noch am 19. November 1910 klagte er in einem Brief: „Ich sitze 10.000 Meilen tief in Arbeit; Soeben habe ich Satz 1 des Streich­ quartetts vollendet und arbeite jetzt schon am Satz 2.“ Selbst die Weihnachtstage nutzte er, um das Finale zu vollen­den. Bei der Uraufführung am 12. März wurde Reger begeistert gefeiert: Er strebe nach orches­ traler Klangfülle, bleibe aber doch im Rahmen der Kammermusik. Erst zehn Tage vor seinem Tod am 11. Mai 1916 gab Reger die Druckfreigabe für sein Klarinettenquintett A-Dur op.146. Ein bewuss­tes, letztes Werk war das Quintett nicht – und dennoch attestieren ihm Kritiker eine „entspannte Heiter­keit“ voller Bezüge zu den Kompositionen seiner musikalischen Vorbilder: Die Beibehaltung der vier­sätzigen Form, die Tonart, der letzte Satz als Thema mit Variationen – das alles erinnert sehr an die Klari­netten­quintette von Mozart und Brahms. Gleichzeitig jedoch gelingt Reger eine Modernisierung der musika­lischen Sprache – neue Ausdrucksmittel, die für jeden Solisten eine Herausforderung darstellen.

Gegen alle ärztlichen Warnungen stürzte sich Max Reger nach seinem körperlichen und nervlichen Zusammenbruch im Februar 1914 in die Arbeit: Kaum in Meran zur Erholung angekommen, kaufte er sich Notenpapier und schrieb seine Drei Duos im alten Stil op. 131b. Das Klavierquartett op. 133 entstand in dichter Folge. „Das ist kurz gesagt, ein außergewöhnlich schönes Werk, von seiner Klangherrlichkeit, wie sie kein Kammermusikwerk Regers aufweist,“ überschlugen sich die Kritiker nach der Leipziger Uraufführung seines op 133. Und andere meinten sogar, dieses Werk sei „das Gehaltvollste, was die moderne Kammermusik hervorgebracht.“ Zusammen mit dem Quartett op. 113 wird es auf MDG 336 1869 vom Mannheimer Streichquartett mit Claudius Tanski am Klavier präsentiert. „Manchmal schreibt er unschuldsvoll wie ein zulpendes Kind, bald wieder so, daß man meint, die Ausführenden seien irrsinnig geworden!”, fand der Kritiker Carl Krebs. Angesichts der harmonischen Kühnheiten in Regers Klavierquartett op. 113 lief die zeitgenössische Kritik 1910 zu Höchstleistungen auf. „Das expressive-funda­mentale Quartett und daneben die unschuldig heitere Serenade! – Ist diese Zusammenstellung legitim?“ Antwort von Max Reger am 20. April 1910: „Dieses Programm ist doch ganz famos. Ein besseres und abwechslungsreicheres können wir gar nicht aufstellen!“ Deshalb ergänzt das Label das Klavierquartett op. 113 mit der Serenade op. 141a und das Klavierquartett op. 133 mit den Duos op. 131b. War dieser Max Reger nun eigentlich ein Sonderfall der Musikgeschichte – oder einer der Urväter der Musik der Moderne, nicht nur in Deutschland? Wenn man sich die Nachwirkung, die Präsenz Regerscher Werke auf den Konzertpodien anschaut, mag man zu Ersterem neigen. Es wäre wirklich an der Zeit, dass eine breitere öffentliche Auseinandersetzung mit dem Werk dieses anspruchsvollen, manchmal schwierigen, aber immer höchst spannenden Komponisten beginnt. L. Eranos / A. Rainer

Ausgabe 2016/1

Max Reger Sonaten für Violine und Klavier Nr. 4 op. 72, Nr. 9 op. 139 Johannes Prelle, Violine Thomas Günther, Klavier Musicaphon M56914

Max Reger Sämtliche Klaviertrios op. 2 und 102 Trio Parnassus; Gunter Teuffel, Viola MDG 303 0751-2

Max Reger Klarinettenquintett op. 146 Streichsextett op. 118 Ensemble Villa Musica MDG 304 1557-2

Max Reger Klavierquartett d-Moll op. 113 Klavierquartett a-Moll op. 133 Duos im alten Stil op. 131b Serenade G-Dur op. 141a Claudius Tanski, Klavier Mannheimer Streichquartett

27

MDG 336 1869-2 (2 CDs)


Im Blickpunkt

CLASS : aktuell Orchester und Konzert

Henri Dutilleux (1916-2013) Lieder und Orchesterwerke: Le Loup (vollständiges Ballett, 1953) Trois sonnets de Jean Cassou La Fille du Diable (Auszüge der Filmmusik) Quatre Mélodies (1941/43) Trois Tableaux symphoniques (1944/46) Vincent le Texier, Bariton Orchestre National de Pays de la Loire, Pascal Rophé BIS-SACD-1651

Dutilleux arbeitete nach dem Musikstudium am Pariser Konservatorium 1933 bis 1938 zunächst für den Rundfunk, lehrte ab 1961 an der École Normale de Musique und ab 1970 am Pariser Konservatorium. In seinen Werken entwickelt er stilistische und formale Elemente von Maurice Ravel, Claude Debussy und Albert Roussel weiter. Internationale Anerkennung fand er vor allem mit seiner 2. Symphonie „Le Double“ (1959), weiterhin mit Orchesterwerken wie „Métaboles“ (1964 uraufgeführt, ein Schlüsselwerk der musikalischen Avantgarde) und seinem Cellokonzert. Aber was war vorher? Zum 100. Geburtstag des Komponisten legt das Orchestre National unter Leitung von Pascal Rophé ein Programm vor, das sich bewusst auf Werke konzentriert, die vor 1954 entstanden sind.

Kann auch anders Und die zeigen den Meister auch einmal von einer ganz anderen Seite, nämlich als Bühnen- und Filmkomponist. Wobei sich alle typischen Elemente seines Stils auch in diesen Frühwerken schon finden. Einige Kompositionen erscheinen hier in Ersteinspielung (zumindest in der aufgenommenen Fassung; dies bezieht sich insbesondere auf die orchester­ begleiteten Lieder).

Georg Christoph Wagenseil Cellokonzerte in C und A Sinfonie in C Christophe Coin Orchester Le Phénix Coviello CLASSICS COV91518

Schon der fünfjährige Wolfgang Amadeus Mozart konstatierte am Wiener Hof im Beisein der Maria Theresia unmissverständlich, man solle doch bitte den Herrn Wagenseil holen, der verstehe was von Musik. Dennoch blieb diesem eine nennenswerte Verbreitung im Kon­ zertleben versagt: wie viele Angehörige seiner Generation – der nach den großen Spätbarockmeistern Bach und Händel – leidet er bis heute darunter, in die Schublade mit dem unseligen Begriff „Vorklassik“ gesteckt zu werden; als sei die Musik dieser Zeit kurz nach der Mitte des 18. Jahrhunderts nur eine unfertige Vorstufe zur eigentlichen Klassik.

Verborgene Repertoireperlen Dass dieses Urteil nicht stimmt und die frühe Klassik Wagenseils ihre eigenen musikalischen Qualitäten hat, wird beim Hören schnell klar: Christophe Coin, anerkannter Spezialist im Aufspüren bislang verborgener Repertoireperlen, zeigt mit zwei Cellokonzerten nicht nur seine eigene interpretatorische, sondern auch die Klasse des Komponisten, ebenso das ihn kongenial begleitende orchester le phénix, das zusätzlich mit einer Sinfonie den Status Wagenseils als lohnende Entdeckung untermauert.

28

Cellokonzerte Antonin Dvorˇák Konzert h-Moll Bohuslav Martinu˚ Konzert Nr. 1 (3. Version) Christian Poltéra, Violoncello Deutsches Symphonieorchester Berlin, Thomas Dausgaard BIS-SACD-2157

Seit 2007 hat Christian Poltéra eine ganze Reihe von der Kritik sehr gut aufgenommener Discs für BIS eingespielt, darunter selten gehörte Konzerte von Schoeck, Martin und Barber wie auch zeitgenössische Klassiker („Toute un monde lointain“ von Henri Dutilleux). Poltéra erstaunt immer wieder mit seiner scheinbar so mühelosen Spieltechnik, aber auch mit seinem schönen, singenden Klang. Das sind ohne Frage Qualitäten, die jedem Repertoire zu gute kommen und die er hier für eines der ganz großen romantischen Konzerte einsetzen kann. Dabei war Dvorˇák eigentlich der Meinung, dass das Cello als Soloinstrument nicht tauge – und schrieb dann eines der schönsten und bis heute populärsten Konzerte für dieses Instrument.

Untaugliches wird populär Es lebt insbesondere von dem intensiven Dialog zwischen Solist und Orchester. Der lag auch Dvorˇáks Landsmann Bohuslav Martinu˚ am Herzen, als er 1930 sein erstes Cellokonzert schrieb. Wobei er sich vom barocken Concerto grosso inspirieren ließ, weshalb zunächst eine Version für Cello und Kammer­ orchester entstand. Die revidierte er 1939 und baute das Orchester symphonisch aus. 1955 schließlich nahm er sich das Werk noch einmal vor und schuf eine dritte und endgültige Version, die zu einem seiner populärsten Werke werden sollte.

Ausgabe 2016/1

Wladimir Peskin (1906-1988) Sämtliche Werke für Trompete Giuliano Sommerhalder, Trompete Kasia Wieczorek, Klavier MDG 903 1918-6 (Hybrid-SACD)

Unterschlupf vor dem stalinistischen Terror der 1930er Jahre fanden Wladimir Peskin und Timofej Dokschitzer im Balalaikaorchester der Roten Armee in Moskau. Und es war Peskin, der dem jungen Ausnahmetalent Dokschitzer die Musik schrieb, die ihn berühmt machte. Aus Peskins Feder sind drei Trompetenkonzerte überliefert. Die im Titel angekündigte Orchesterbegleitung hat es jedoch nie gegeben, auch wenn der Klaviersatz etwas anderes erwarten lässt: Pianistin Kasia Wieczorek hat am ehrwürdigen Steinway Konzertflügel (D „Manfred Bürki“ von 1901) alle Hände voll zu tun. Und so entsteht unter ständiger Hochspannung eine emotionale Intensität, wie sie vornehmlich in Russland zu finden ist.

Peskin in Bestform Aber es geht auch anders: Das Prélude entfaltet eine ätherische Aura von tonaler Unbestimmtheit – dem originellen Werk ist das befreite Aufatmen des künstlerischen Individuums nach Stalins Tod geradezu anzuhören. Über jeden Zweifel erhaben ist Giuliano Sommerhalders Trompetenspiel. Seine makellose Technik und sein federleichtes Spiel begeistern. Und so ist diese (SA-)CD mehr als nur eine wertvolle Repertoireergänzung, sie ist ein Muss.


Im Blickpunkt

CLASS : aktuell Orchester und Konzert

Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzerte Vol. 10: Konzert Nr. 5 D-Dur Konzert Nr. 6 B-Dur Drei Konzerte nach J. Chr. Bach Ronald Brautigam, Fortepiano Die Kölner Akademie, Michael Alexander Willens BIS-SACD-2084

Auf der vorletzten Folge ihres Zuges durch die Klavierkonzerte Mozarts arbeiten sich Brautigam, Willens und die Kölner Akademie rückwärts durch den Werkkatalog des Komponisten. Sie sind jetzt bei den frühesten Originalwerken angekommen, die 1773 bzw. 1776 entstanden. Das Klavierkonzert Nr. 5 wurde eines der populärsten Konzerte Mozarts in den frühen 1780er Jahren. Mozart spielte es selbst sehr oft und schätzte es so sehr, dass er sich 1782 die Mühe machte, ein neues Finale zu kompo­nie­ ren (diese Aufnahme bietet den originalen Schlusssatz, aber der Austauschsatz, ein Rondo, ist auf BIS-SACD-2064 zu hören).

Schon früh große Effekte Der große Effekt, den das Konzert macht, geht natürlich auch auf die pompöse Besetzung mit Trompeten und Pauken zurück. Ganz im Gegensatz dazu steht das Konzert Nr. 6, besetzt „nur“ mit zwei Oboen, zwei Hörnern und Streichern. Wobei im langsamen Satz die Oboen durch Flöten ersetzt werden, die zusammen mit pizzicato gespielten Bratschen und Cello und mit Dämpfern versehenen Violinen einen sehr bemerkenswerten Klang ergeben. Als Vorgänger zu diesen Konzerten stehen in Mozarts Liste eine Reihe von Arrangements, darunter drei Konzerte, die auf Sonaten von Johann Christian Bach basieren. Mozart arrangierte sie für Klavier, zwei Violinen und „Basso“. Es lässt sich trotz der dreisätzigen Anlage wegen der sehr reduzierten Besetzung also durchaus diskutieren, ob das im strengen Sinne eigentlich „Konzerte“ sind.

Kammermusik

Antonio Vivaldi Blockflötenkonzerte Dan Laurin, Blockflöte und Leitung Anna Paradiso, Cembalo Jonas Nordberg, Theorbe, Barockgitarre 1B1

Sergej Tanejew (1856-1915) Klavierquintett op. 30 Lieder op. 34 Marina Prudenskaya, Mezzosopran Olga Gollej, Klavier Leipziger Streichquartett

BIS-SACD-2035

MDG 307 1917-2

Auf über 30 bei BIS erschienenen CDs hat der schwedische Blockflötenvirtuose Dan Laurin seine Vielseitigkeit unter Beweis gestellt, beginnend mit einer Gesamtaufnahme der Blockflöten­ musik von Jacob van Eyck (17. Jahrhundert) bis zu „Rock that flute“ mit 2013 geschriebener Musik des niederländischen Komponisten Chiel Meijering. Doch immer wieder kehrte Laurin in seiner dreißigjährigen Karriere zu einer Werkgruppe zurück: den Blockflötenkonzerten von Antonio Vivaldi. Und er hat drei davon auch schon mehrfach aufgenommen. Für diese jüngste Einspielung hat er sich ganz bewusst das junge norwegische Streicher­ensemble 1B1 aus­ gesucht. Das wurde 2008 gegründet und besteht aus Musikern, die als Lehrer oder Studierende der Universität von Stavanger verbunden sind. Ein Ensemble, das keineswegs Spezialisten für die Wieder­ gabe alter Musik in historischer Aufführungspraxis vereint.

Bis 1910 musste es dauern, bis die erste Passacaglia in der russischen Musik erscheint. Sergej Tanejew verbindet diese großartig barocke Form mit originär slawischem Tonfall. Der langsame Satz seines Klavierquintetts ist vielleicht der Höhepunkt eines gigantischen Gipfelwerks, das Olga Gollej mit dem brillantem Leipziger Streichquartett eingespielt hat. Willkommene Ergänzung ist der Liedzyklus op. 34, für den die russische Mezzosopranistin Marina Prudenskaya gewonnen werden konnte. In beiden Werken manifestiert sich seine schon von den Zeitgenossen bestaunte Kompositionskunst, die sich aus einer herausragenden Kenntnis der Musikgeschichte speist. Das Quintett profitiert außerdem von der pianistischen Brillanz des Komponisten, der als Solist das 2. Brahmskonzert erstmals in Russland aufführte.

Künstlerische Freiheit Das ist für Laurin in diesem Kontext auch nicht wichtig, denn sein Ziel ist es, diese Konzerte mit der gleichen Freiheit und Spontaneität zu interpretieren, mit denen Künstler sich heute den berühmten „Vier Jahreszeiten“ nähern. Die er ja in einer gefeierten Transkription bereits ebenfalls eingespielt hat.

Temperament, Herz und Gemüt Auch die Lieder sparen nicht an Expressivität, die nicht zuletzt über die zutiefst poetischen und anspielungs­ reichen Texte transportiert wird. Doch auch wer des Russischen nicht mächtig ist, wird tief berührt. Dafür sorgt schon Marina Prudenskayas wundervoller Mezzosopran, den die ARD-Preisträgerin mit Souveränität zu höchstem Ausdruck führt. Ob inniges Empfinden oder großes Drama: Mit kompromissloser Leidenschaft werfen sich die Musiker in die aufgewühlte Gefühlswelt Tanejews – eine Sternstunde für das mitfiebernde Publikum!

Ausgabe 2016/1

29

Ein Fagott in Stockholm Franz Berwald Septett B-Dur / Quartett Es-Dur Édouard Du Puy Quintett a-Moll Donna Agrell, Fagott Lorenzo Coppola, Klarinette Teunis van der Zwart, Horn Marc Destrubé, Franc Polman, Violine Yoshiko Morita, Viola Albert Brüggen, Cello Robert Franenberg, Kontrabass Ronald Brautigam, Fortepiano BIS-SACD-2141

Mitte der 1980er Jahre konnte Donna Agrell eines der wenigen noch existierenden Fagotte aus der Werkstatt von Grenser & Wiesner erwerben, um 1820 in Dresden gebaut. Sie hat es seitdem in über 1.500 Konzerten eingesetzt, oft mit dem Orchestra of the Eighteenth Century, dem sie seit seiner Gründung angehört. Zu dem Fagott gehörte noch der originale Koffer, und der Adress­ aufkleber darauf besagte, dass es seinerzeit nach Stockholm geliefert wurde. Fagotte von Grenser & Wiesner waren seinerzeit in Schweden sehr beliebt.

Exporterfolg So auch bei Frans Preumayr, einem deutschstämmigen Musiker des königlichen Opernorchesters, der sich aber auch als Fagottvirtuose in London und in Mitteleuropa einen Namen machte. Solche Ausnahmetalente animieren Komponisten seit jeher, gezielt für sie zu schreiben, und so komponierten für Preumayr sein Schwiegervater, der Klarinettist Bernhard Henrik Crusell, wie auch der Operndirektor Edouard Du Puy und der junge Franz Berwald, der als Streicher im Opernorchester angestellt war. Alle hier aufgenom­ menen Werke wurden seinerzeit von Preumayr uraufgeführt.


Im Blickpunkt

CLASS : aktuell Kammermusik

Morton Feldman (1926-1987) Patterns in a Chromatic Field Steffen Schleiermacher, Klavier Christian Giger, Violoncello MDG 613 1931-2

Orgel

Max Reger (1873-1916) Sämtliche Klaviertrios op. 2 und 102 Trio Parnassus Gunter Teuffel, Viola MDG 303 0751-2

Schon oft hat Steffen Schleiermacher sein Publikum mit Werken von Morton Feldman fasziniert. Gemeinsam mit Christian Giger, Solocellist im Gewandhausorchester, präsentierte Komposition, die den minimalistischen Meister von seiner eher unterhaltsamen Seite zeigt. Da wechseln hochvirtuose Passagen mit versteinerten Klangflächen, mal scheinen die Instrumente zu verschmelzen, mal wird ihre Gegensätzlichkeit zum Bezugspunkt. Ein rund 80minütiges Klanggeschehen von großer Suggestivkraft. Feldman setzte sich intensiv mit dem Gebrauch von Mustern, sogenannten „Patterns“ auseinander. Eine künstlerische Seelenverwandtschaft fand er bei anatolischen Teppichknüpfern, die wenige uralte Muster endlos oft wiederholen und dabei zufällige Abweichungen auf Grund von Farbnuancen, Qualitätsunterschieden der Wolle oder auch unscharfer Erinnerung in ihre Arbeit einbeziehen.

Sprunghaft und sauber Anders als in vielen anderen seiner Kompositionen sind die technischen Herausforderungen an die Musiker enorm. Dem Duo gelingt es bereits nach wenigen Augenblicken, die Hörer in ihren Bann zu ziehen. Alle Erwartungen an ein musikalisches Programm werden zu Gunsten eines kontemplativen Sich-Einlassens über Bord geworfen. So bietet sich dem Publikum eine einzigartige Hörerfahrung, die sich in ziemlich reduzierter Lautstärke abspielt – ein geradezu reinigendes Erlebnis.

Reger lässt sich in seinen subtilsten Kammermusikwerken, den Klaviertrios op. 2 und 102, geradezu umfassend erfahren: 100 Werke liegen zwischen diesen beiden Eckpfeilern der spät­ro­ man­tischen Klavierkammermusik – ein faszinierender künstlerischer Entwicklungsweg, den das Trio Parnassus in gewohnt meisterhafter Perfektion nach­ gezeichnet hat. Zum 100. Todestag Max Regers ist diese Einspielung nun wieder erhältlich.

Meisterhaft Reger stand seinen Frühwerken skeptisch gegenüber und liebte es, dieser Skepsis drastisch Luft zu ver­schaffen: „Mist“ und „heilloser Blödsinn“ waren die Attribute, die er seinen genialen Frühwerken zumaß. „Herrgott, vor sieben Jahren war ich noch eine lächer­ liche Figur – und jetzt!“, seufzt der vielumworbene und gefeierte Komponist im Jahre 1907, kurz nach Beendigung seiner „Sturm- und Trankzeit“ (O-Ton Reger), ausgezeichnet mit den höchsten Ehrungen, die ein Komponist seiner Zeit erhalten konnte. Dank seines Genies kann er die langen Zugfahrten nutzen, um sein Trio op. 102 im Kopf auszuarbeiten... Für diese CD haben sich Chia Chou (Klavier), Wolfgang Schröder (Violine) und Michael Groß (Violoncello) Gunter Teuffel (Viola) als Partner ausgewählt. Eine auch wegen des „zeitgemäßen“ zertflügels Steinway D „Manfred Kon­ Bürki“ von 1901 immer prachtvolle und aktuelle CD-Einspielung.

30

Neue Musik

G. F. Händel (1685-1759) Orgelkonzerte op. 4 (bearbeitet von Samuel de Lange) Rudolf Innig, Furtwängler & Hammer-Orgel der St. Nicolai-Kirche zu Lüneburg

Nicolaus A. Huber Ensemble-Werke ensemble reflexion K Gerald Eckert, Ltg.

MDG 317 1929-2 (2 CDs)

Nicolaus A. Huber hat sich selbst immer als explizit politischen Komponisten bezeichnet – Komponieren müsse eine Reaktion auf gesellschaftspolitische Ereignisse und Prozesse sein, hat er einmal gesagt. Manchmal ist dieser Ereignisbezug ganz konkret benannt wie im Ensemblestück „Werden Fische je das Wasser leid“, das er 2003 als Re­ aktion auf Georg W. Bushs Einmarsch in den Irak schrieb. In den letzten Jahren aber ist der politische Bezug meist weniger direkt mit bestimmten Ereignissen verbunden; Huber reagiert mit seiner Musik auf die Realitäten unserer nach seiner Auffassung neoliberalen, immer weniger durch substantielle politische Auseinandersetzungen, aber immer mehr durch manipulative Mechanismen geprägten Gesellschaft.

Händels Erfolge und Niederlagen als freier Unternehmer am Finanzplatz London sind legendär. So verfiel er auf die geniale Idee, in den Opernpausen Konzerte auf der Orgel zu präsentieren – mit durchschlagendem Erfolg. Die Orgelkonzerte inspirierten spätere Generationen zu fantasievollen Bearbeitungen. Was der völlig zu Unrecht heute vergessene Samuel de Lange knapp anderthalb Jahrhunderte später aus der Vorlage machte, bringt Rudolf Innig auf der historischen Furtwängler & Hammer-Orgel zu Lüneburg nun erstmals zu Gehör.

Mit Hammer und Brille Händels Notentext ist in de Langes Bearbeitung unverändert erhalten. Allerdings erlaubt sich der niederländische Klavier- und Orgelvirtuose etliches an Hinzufügungen: Da gibt es Neben- und Gegenstimmen, harmonische Erweiterungen und virtuose Zutaten; aus Händels zumeist zweistimmigem Orgelpart wird ein vollgriffiger Satz, und etliche freie Kadenzen lassen dem Solisten Raum für virtuose Freiheiten. Rudolf Innig hat sich für de Langes Hände-Transkriptionen die 1899 erbaute Furtwängler & Hammer-Orgel der St. Nicolai-Kirche zu Lüneburg ausgesucht. Mit seinen 50 Registern auf drei Ma­ nualen dürfte es perfekt de Langes Vorstellungen entsprechen. Fazit: Selten hat man die Gelegenheit, so kenntnisreich geführt mit der Brille des 19. ins 18. Jahrhundert zu blicken: Ein doppelt historisches Vergnügen!

Ausgabe 2016/1

Coviello CLASSICS COV 91509

Explizit politisch Die Anknüpfungspunkte dazu reichen von Gedichten über weißglühendes Metall bis zu wissenschaftlichen Begriffen aus der Physik. Das »ensemble reflextion K« zeichnet ein faszinierendes Bild eines der bedeutendsten Komponisten unserer Zeit und seiner musikalischen Reflexion der politischen Verhältnisse.


Im Blickpunkt

CLASS : aktuell Renaissance-Musik

La Bataille d‘Amour Tabulaturen und Lieder in der französischen Renaissance Maria Ferré, Gitarre, Laute und Leitung Alice Borciani, Sopran Dominique Vellard, Tenor Vincent Flückinger, Laute Murat Co¸skun, Percussion Coviello CLASSICS COV91507

Die Gitarre hat schon vor einigen Jahrhunderten eine intensive Hoch-Phase erlebt: In der Pariser Musikwelt um 1550 war sie geradezu ein Mode-Instrument. Bald nach der Erfindung des Buchdrucks erschienen 1507 die ersten Notendrucke für die damals beliebte Laute, zu der sich parallel auch die Instrumente der Gitarrenfamilie entwickelten.

Renaissancemusik auf nur vier Saiten Die Gitarre existierte bald vor allem in ihrer relativ kleinen viersaitigen Form praktisch gleichberechtigt neben der Laute und emanzipierte sich schnell von ihrer früheren Festlegung auf die Funktion einfacher akkordischer Begleitung – sie wurde zu einem Instrument, das auch für polyphone, kontrapunktische Musik eingesetzt wurde. Entsprechend reichhaltig ist das Repertoire, aus dem die bekannte Spezialistin Maria Ferré schöpfen kann, von den nicht weniger renommierten Sängern Alice Borciani und Dominique Vellard unterstützt: Prä­lu­dien, Fantasien, Tänze, Chansons, Psalm­vertonungen – fast alles, was damals gängig war, wurde auch für Gitarre gesetzt. Ein faszinierendes Panorama der Renaissancemusik auf nur vier Saiten!

Lied

Geistliche Musik

Franz Schubert Winterreise, D.911 Stephan Genz, Bariton Michel Dalberto, Klavier Claves CLA50-1606

Dieser Zyklus „schauerlicher Lieder“, wie Schubert ihn selbst genannt hat, gehört zu den Prüfsteinen großer Baritone (aber auch Tenöre und Bässe), wie auch der andere große Lieder­ zyklus Schuberts, „Die schöne Müllerin“. Denn er stellt besondere Anforderungen an Technik und Interpretation. Die „Winterreise“ besteht aus 24 Liedern, die Schubert im Herbst 1827, also ein Jahr vor seinem Tod (und im Todesjahr des Textdichters) komponierte. Die Gedichte von Wilhelm Müller entnahm Schubert der 1822 verbotenen Literaturzeitschrift „Urania“, die er sich illegal besorgt hatte. Es scheint, dass es sich beim Inhalt der „Winterreise“ nicht nur (vordergründig) um enttäuschte Liebe, um Ziel- und Hoffnungslosigkeit handelt, sondern dass diese Texte durchaus eine zweite, verschlüsselte politische Ebene haben und als Kritik am bestehenden restaurativen System zu verstehen sind.

Verschlüsselte Botschaft Die konnten zu Zeiten der Zensur und Repression nur in Kunst versteckt weitergegeben und kommuniziert werden, wenn man offene Konflikte mit der Staatsmacht vermeiden wollte. Auch Stephan Genz, ehemals Mitglied des Leipziger Thomanerchors, der u.a. bei Dietrich Fischer-Dieskau, Hartmut Höll und Elisabeth Schwarzkopf studierte, hat diesen also in mehrfacher Hinsicht so fordernden Zyklus nun eingesungen. Seit seinem erfolreichen Debut in der Wigmore Hall London im März 1997 gibt er Liederabende in den bedeutenden Musikzentren der Welt. Seit 2012 ist Stephan Genz Professor für das deutsche Gesangsrepertoire am Conservatoire de Paris.

Johann Sebastian Bach Die lutherischen Messen Vol. 2: Messe A-Dur BWV 234 Messe F-Dur BWV 233 + Marco Gioseppe Peranda Missa in a Blazikova, Lunn, Matsui, Blaze, Nakashima, Türk, Fujii, Kooij, Wörner Bach Collegium Japan, Masaaki Suzuki BIS-SACD-2121

Längst hatte die Reformation die traditionelle Liturgie und Form des Gottesdienstes zu Bachs Zeit gründlich verändert. Rudimentär verblieben Elemente der Messe aber doch im luthe­ rischen Gottesdienst, besonders das Kyrie und das Gloria, die denn auch entsprechend häufig vertont wurden. Obwohl in der verkürzten Form un­ vollständig, wurden diese Werke doch „Messe“ genannt. Heute spricht man, um diese Werke von vollständigen Mess­ vertonungen zu unterscheiden, von den „lutherischen Messen“. Auch Bachs berühmte h-Moll-Messe hat ihr kompositorisches Leben als lutherische Messe begonnen, und vier andere Exemplare dieser Gattung aus Bachs Feder sind auf uns gekommen.

Geschicktes Recycling In allen Fällen greift Bach ausgiebig auf bereits existierendes musikalisches Material aus früher komponierten Vokalwerken zurück; auch bei den zwei auf dieser SACD vorgestellten Messen sind erhebliche Teile nicht eigentlich „neu“. Ergänzt wird die Einspielung durch eine Messe aus der Feder von Marco Gioseppe Peranda (1625-1675), seinerzeit Kapellmeister am Hof Johann Georg II von Sachsen in Dresden. Und das mit gutem Grund, denn Bach schätzte diesen Komponisten und hat Musik von ihm in seiner Leipziger Zeit wohl aufgeführt. Von Perandas groß­ artiger kontrapunktischer „Missa in a“ existiert jedenfalls eine Kopie in Bachs Handschrift.

Ausgabe 2016/1

31

Johann Sebastian Bach Weltliche Kantaten Vol. 6: Lass, Fürstin, lass noch einen Strahl („Trauerode“), BWV 198; Schlage doch, gewünschte Stunde, BWV 53; Tilge, Höchster, meine Sünden, BWV 1083 Joanne Lunn, Carolyn Sampson, Robin Blaze, Gerd Türk, Dominik Wörner Bach Collegium Japan, Masaaki Suzuki BIS-SACD-2181

Der emotionale Gehalt von Bachs weltlichen Kantaten ist sehr unterschiedlich. Das liegt natürlich daran, dass sie in der Regel als Auftragswerke zu sehr unterschiedlichen Anlässen enstanden: zu Geburtstagen, Hochzeiten oder Begräbnissen. Demzufolge wurden einige durchaus in der Kirche aufgeführt und haben auch geistliche Texte, die sich aber nicht auf das Proprium des Kirchenjahres bezogen. Was aber zeigt, wie problematisch die Zusammenfassung dieser Werke unter „weltlich“ ist – nur, weil es sich nicht um Kantaten zum Kirchenjahr handelt? Die Kantate 198, als Trauerode bekannt, wurde 1727 bei der großen Begräbnisfeier für die Ehefrau Augusts des Starken, Christiane Eberhardine, in der Leipziger Paulinerkirche aufgeführt.

Schwimmende Grenzen Und doch ist der Text hier in der Tat sehr weltlich und enthält kaum Bibel­ zitate oder Psalmen. Einige Jahre später fand die Musik dieser Kantate doch noch eine „richtige“ geistliche Verwendung in der Markuspassion. Dagegen sind die Entstehungsumstände von BWV 1083 recht unsicher. Es ist eine Adaption von Pergolesis berühmtem Stabat mater, die Bach in seinen späten Jahren (um 1746) schrieb. Dabei scheint er für das Werk gar keine geistliche Verwendung gehabt zu haben. Es ist musikalisch eine Reise in die Vergangenheit: der selbst stilistisch schon als Auslaufmodell zu bezeichnende Bach ermöglicht einen Blick zurück in die „neue Musik“ der 1730er Jahre.


FRANZ LISZT Études d‘exécution transcendante Dinara Klinton, Klavier

Anton Bruckner Sinfonie Nr. 7 Richard Wagner Das Liebesmahl der Apostel Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann

GENUIN classics GEN 16409 (ab 4. März im Handel)

Profil Edition Günter Hänssler PH15013

W.A. Mozart Streichquartette KV 387 & 458 Hagen Quartett

GREGOR WITT – MY OBOE Romanzen von Robert Schumann Oboenkonzerte von J.G. Graun und C.Ph.E. Bach Mozart Quartett KV.370 Daniel Barenboim, Klavier Streichtrio Berlin Mitglieder Kammerakademie Potsdam

myrios classics MYR017 (Hybrid-SACD)

Castigo classics 2480

CLASS:  brand aktuell Miniaturen von Fux, De Bury, Le Roux, Telemann, Buxtehude, Schultheiss, Bach, Mozart, Couperin, Kuhnau, Agrell, Purcell, Dandrieu, Croft, Fischer, Scarlatti, Kirnberger, Rameau, Mattheson u.a. Ricardo Magnus, Cembalo musica artificiosa Heinrich Ignaz Franz Biber: Partia IV Es-Dur und VI D-Dur für zwei Violinen und B.c. aus: »Harmonia artificioso-ariosa« Johann Heinrich Schmelzer: Sonata F-Dur für zwei skordierte Violinen und B.c. Ruppert Ignaz Mayr: Sonata d-Moll, Sonata D-Dur für zwei Violinen und B.c. Philipp Heinrich Erlebach: Sonata Terza A-Dur aus »VI. Sonate […] für zwei skordierte Violinen und B.c.« Johann Baal: Sonata a-Moll für Violine und B.c. Johann Caspar Kerll: Sonata F-Dur für zwei Violinen und B.c. NeoBarock ambitus amb 96 980

DRESDEN PASSION MARCO GIOSEPPE PERANDA HEINRICH SCHÜTZ JOHANN HERMANN SCHEIN Cappella Sagittariana Dresden Norbert Schuster Rondeau Production ROP612122 (2CDs)

ambitus amb 96 958

Wolfgang Amadeus Mozart Violinkonzerte Nr. 2 und 5 Sinfonia Concertante Frank Peter Zimmermann, Antonie Tamestit, Kammerorchester des Symphonie­ orchesters des Bayerischen Rundfunks, Radoslaw Szulc hänssler Classic HC15042

PHILIPP SCHARWENKA (1847 - 1917) Werke für Violine und Klavier: Sonate h-Moll op. 110, Sonate e-Moll op. 114, Suite g-Moll op. 99 Natalia Prischepenko, Violine Oliver Triendl, Klavier TYXart TXA16075

SCHUBERTIADE Lieder, Instrumentalstücke und Rezitation von und inspiriert von Franz Schubert Julian Prégardien, Tenor Marc Hantaï, Traversflöte Philippe Pierlot, Baryton Xavier Diaz-Latorre, Gitarre myrios classics MYR018 (Hybrid-SACD)


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.