crescendo 5/2014, Premium Ausgabe September/Oktober 2014

Ausgabe 05/2014 September – Oktober 2014 www.crescendo.de 7,90 Euro (D/A)

PREMIUM AUSGABE

CD

inkl.

Schwerpunkt

Hollywood IN DEN 40ern

Wie erging es den berühmten Komponisten, die nach Los Angeles flohen?

JONAS KAUFMANN Warum man den wichtigsten deutschen Tenor jetzt mögen muss

Elina Garanča

Die Mezzosopranistin verrät, warum jedes Album auch ein Spiegel ihres emotionalen Zustands ist B47837 Jahrgang 17 / 05_2014

Mit Beihefter Class Aktuell

J & A Beare präsentiert

Große Eröffnungs Online-Auktion Oktober 2014

Öffentliche Besichtigung am 25. - 26. Oktober im Westbury Hotel, Bond St, London, W1S 2YF Geeignete Instrumente können ab sofort für die Versteigerung angeboten werden Bearesauctions.com wird am 26. september online geschaltet

Feine Streichinstrumente und Bögen - von den Experten von J & A Beare für Sie ausgewählt Wollen Sie in Zukunft über Neuigkeiten informiert werden: bearesauctions.com +44 (0) 20 7307 9653 | auctions@beares.com

p r o l o g

Letzte Ausfahrt Hollywood

winfried hanuschik Herausgeber

Liebe Leser, mit dem Namen Hollywood verbinden wir in erster Linie Filme, ein bisschen Glamour, die Oscar-Verleihung und vor allem diese komischen Buchstaben auf einem trockenen Hügel in Los Angeles. Dass die Traumfabrik Hollywoods in den 40er-Jahren Zufluchtsort und Brötchengeber für viele jüdische Komponisten war, wird dabei gerne übersehen. In Begleitung kraftvoller Bilder machten sie Zeitgenössische Musik so populär, dass es manchen Intellektuellen und (weniger erfolgreichen?) Komponisten schon wieder ein Dorn im Auge war.

Unser Kolumnist (und großartiger Geiger) Daniel Hope hat sich für einen Dokumentarfilm und sein neues Album mit diesem Thema intensiv beschäftigt. Sein neuestes Werk „Escape to Paradise“ wirft unweigerlich die Frage auf, wie paradiesisch für Komponisten wie Arnold Schönberg, Erich Wolfgang Korngold oder Walter Jurmann Hollywood wirklich war, denn sie verdienten ihr Geld nun mit kommerziellen Auftragsarbeiten – mal ganz abgesehen vom kulturellen Unterschied zwischen „good old Europe“ und L.A.! Wir trafen uns hierzu einerseits zu einem sehr interessanten Interview mit Daniel Hope (Seite 60); und wir baten den Biografen von Walter Jurmann, Eberhard Görner, zu skizzieren, in welcher Welt

die Komponisten in Los Angeles zu dieser Zeit lebten und welchen Einfluss ihr Werk auf die amerikanische Filmmusik hatte (Seite 63).

Hope war zuvor selbst in Los Angeles bei einem Ehepaar mit sehr musikalischen Genen auf der Couch gesessen: Er traf Ron Schönberg, den Sohn von Arnold Schönberg, und seine Frau Barbara Zeisl-Schönberg, die Tochter des Komponisten Erich Zeisl. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber es ist immer wieder erstaunlich, wie viele schöne Geschichten in einem solchen Gespräch ans Licht kommen, die man zuvor noch nirgends gelesen hat. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle auch bei Daniel Hope bedanken, dass er uns dieses sehr besondere Gesprächsprotokoll zur Verfügung stellte (Seite 66).

Unsere Titelheldin ist in dieser Ausgabe Elīna Garanča. Nach ihrer Babypause ist sie zurück auf den großen Bühnen der Welt. Soeben wurde sie bei den Salzburger Festspielen mit Ovationen gefeiert, als wäre sie nie weg gewesen. Vielleicht hatte Elīna Garanča einen großen Vorteil in ihrer Karriere: Sie konnte sich im Schatten der ubiquitären Anna Netrebko ohne viel Gedöns um ihre Person weiterentwickeln und gehört nun zu den ganz großen Stars der Klassik (Seite 18).

Vielleicht ist es ein Zufall, aber der Werdegang unseres zweiten Topstars im Heft, Jonas Kaufmann, ist ähnlich: Wie Garanča konnte sich der Münchner im Schatten von Rolando Villazón den Platz als einer der wichtigsten Tenöre ersingen.

Unser Autor Axel Brüggemann, der nicht immer ein Fan von Kaufmann war, hat sich mit dem Tenor beschäftigt und ein ausführliches Porträt verfasst (Seite 22).

Herzlichst,

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Fotos: Ecowin Verlag; Peter Adamik

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Mittlerweile ist bereits die 49. CD in dieser crescendo Premium-Edition erschienen.

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September – Ok tober 2014

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P r o g r a mm

STandards

Künstler

hören & Sehen

03.... Prolog Der Herausgeber stellt die Ausgabe vor.

06.....Ensemble Mit unseren Autoren hinter den Kulisssen.

08.....Blickfang Sonnenuntergang an der Harbour Bridge.

10......Ouvertüre Ein Anruf bei... ­Margarita Höhenrieder, „Artist in Blog-­ Residence“.

Die Playlist von Nils Mönkemeyer, mit CD-Tipps für Abwasch und ein Glas Rotwein.

30.....Nachrufe Abschied von Lorin Maazel, Rafael Frühbeck de Burgos und Frans Brüggen.

35.....Impressum

14......Ein Kaffee mit ...

Elke Heidenreich.

16......Erste Male Künstler erzählen von ihren ersten Begegnungen mit der klassischen Musik.

18......Elina Garanča Die Sängerin spricht über Liederabende, Hosenrollen und verrät das Geheimnis der drei Elīnas.

20..... w iener Symphoniker Ein Tag mit dem Spitzenorchester bei den Bregenzer Festspielen.

22..... jonas Kaufmann Eine Annäherung.

26..... david orlowsky trio „Chamber World Music“ mit den Klezmer Kings.

28..... charlie siem Der sieht nicht nur gut aus. Der kann auch was und hat große Pläne.

76 x 299 mm 10.09.2014 Villazon - Kunststücke

Auch als

E-Book

Crescendo

Format, r/l Erscheinungsdatum Titel

Die fantastische Poesie von Rolando Villazón: der erste Roman des gefeierten Opernstars.

ISO Coated V2 300

42 Bregenzer Festspiele Zu seinem Abschied wurde dem Intendanten David Pountney ein bildstarkes Buch gewidmet.

Farbanpassung

Es sind nicht nur Antworten, die wir suchen, es sind vor allem Wunder.

18 Elina Garanča Warum die Mezzosopranistin nach ihrer Babypause barfuß zurück auf die Bühne kommt.

15.09.2008 12:47:10 Uhr

32..... Attilas Auswahl Die Empfehlungen unseres Kolumnisten.

38.....ferenc fricsay CD-Box zum 100. Geburtstag.

43..... U nerhörtes & Neu Entdecktes: Christoph Schlüren über Richard Strauss‘ noch immer bedeutsames Ballett.

44..... Ak ustik Klassik-Apps und Meisterwerke in neuer Klangqualität auf iTunes.

Exklusiv für Abonnenten Hören Sie die Musik zu u­ nseren Texten auf der ­crescendo Abo-CD – exklusiv für Abonnenten.

Infos auf den Seiten 3 & 77.

15.09.2008 12:47:10 Uhr

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ALPHABETA GMBH, Hammerbrookstrasse 93, 20097 Hamburg

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ALPHABETA

70..... KOMMENTAR Axel Brüggemann über Künstler und ­Politik.

82.....Hope triffT... ...Fred Child.

ETA

© Monika Hoefler

Autor, Werk

58..... R ätsel des Alltags

erhältlich

31...... DIE WICHTIGSTEN EMPFEHLUNGEN DER REDAKTION

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September – Ok tober 2014

Fotos: James Morgan; Paul Schirnhofer / DG; Bregenzer Festspiele Anja Köhler

08 Oper am ufer „Madama Butterfly“ am Fuße der Harbour Bridge lässt atemberaubende Bilder entstehen.

Fotos: Festspielhaus Baden-Baden; Margaret Malandruccolo / DG; Alain Hanel

SCHOOL. MUSIC. BOARDING.

48 baden-baden Unser Autor untersuchte, warum sich die Stars gerade hier so wohl fühlen.

60 Daniel hope Der Geiger hat sich auf die Spuren der ins Exil geflohenen Komponisten begeben.

72 monaco Das Steuerparadies am Mittelmeer hat auch ein tolles Festival zu bieten. Eine Reisegeschichte.

erleben

gesellschaft

Lebensart

46..... Feel the music Im norwegischen Bergen lernen gehörlose Kinder Klänge zu spüren.

48..... baden-baden Holger Wemhoff in der vielleicht entspanntesten Opern-Star-Spielstätte der Welt.

49..... michael ­ andreas ­h äringer Mit 13 Jahren Musik­ konservatoriumsAbsolvent.

50..... fränkische ­m usiktage Völkerverständigung in Alzenau.

52.....Vorschau Die wichtigsten Termine von September bis ­Oktober

59..... K lassik in Zahlen 60..... Schwerpunkt hollywood Daniel Hope über europäische Komponisten im Exil von L.A. 63..... filmmusik Eberhard Görner über Fluch und Segen der Arbeit in der Traumfabrik.

66..... Schönbergs Kinder Ein sehr persönliches ­Interview mit Ron Schönberg und Barbara Zeisl-Schönberg.

68..... Woher kommt... ... die Filmmusik ­Hollywoods?

72..... Reise Dirigent und Komponist Peter Eötvös zeigt uns sein Monaco 75..... Termine & Reisetipps Das Adria-Schloss in Abbazia 76.....WEinkolumne Dirigent John Axelrod über Wein an der ­Westfront.

78.....marlene dietrich Die Geschichte einer Ikone.

80..... dressed like dietrich Die Must-Haves zum ­Zigaretten anzünden, Wohnen und Ankleiden im Stil der HollywoodDiva.

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E n s e m b l e

Hinter der Bühne

Die Welt von crescendo lebt von den Künstlern & Mitarbeitern, die sie mit Leben füllen. Deshalb der gewohnte Blick hinter die Kulissen der Produktion.

Maximilian Stössel & Elke Heidenreich Musik hören und machen, Menschen für Musik begeistern, über Musik sprechen, lesen und schreiben – dafür glühen sowohl Elke Heidenreich als auch unser Autor Maximilian Stössel. Wenn der junge Sänger nicht gerade Bach-Arien oder Schubert-Lieder trällert, Kinderkonzerte gibt oder Chöre leitet, arbeitet er neben seinem Studium an der Kölner Musikhochschule für den WDR und crescendo. Für unsere Reihe „Auf einen Kaffee mit ...“ traf er sich mit der Literaturkritikerin, Autorin und Librettistin in ihrem Haus in Köln. Aus einem Kaffee wurden dabei zeitvergessen knapp zwei Stunden, die auch Elke Heidenreich sehr genoss: „Vorbei? Schade. So ein schönes Gespräch, vielen Dank! Ich habe ganz vergessen, dass es ein Interview war.“ Ausgewählte Momente des Gesprächs lesen Sie auf Seite 14.

Eberhard Görner Manchmal gibt es schöne Zufälle: Eberhard Görner sandte uns anlässlich der vergangenen Ausgabe einen netten Leserbrief und legte uns sein neuestes Buch bei – eine umfassende Biografie des Komponisten Walter Jurmann. Das passte so wunderbar zu unserem Heft-Schwerpunkt, dass wir den Film­ regisseur, Dramaturgen (er arbeitete unter anderem für 40 Folgen von Polizeiruf 110) und Drehbuchautor baten, einen Text über Walter Jurmann zu schreiben. Jurmann war in den 40er-Jahren – wie viele Künstlerkollegen – nach Hollywood geflohen. Görners Text finden Sie auf Seite 63.

Barbara Schulz

Selcuk Cara (BasS) In unserer letzten Ausgabe ist uns auf Seite 67 ein Fehler unterlaufen. Selbstverständlich handelt es sich bei Selcuk Cara um einen Bass und nicht um einen Tenor. Selcuk Cara hat sein Dasein als Tenor für kurze Zeit sehr genossen, schrieb er uns in einem Brief und berichtete uns auch davon, dass er im Februar 2014 einen Film fertiggestellt hat, wozu er das Drehbuch geschrieben, die Regie geführt und zudem den Schnitt übernommen hat. Das jüdische Künstlerdrama Mein letztes Konzert ist nicht nur in die Auswahl mehrerer bekannter Filmfestivals aufgenommen worden, sondern konnte bereits mehrere Preise einfahren, unter anderem den Award für „Best Cinematography“ beim Flickers Rhode Island International Filmfestival und das Prädikat „besonders wertvoll“. Glückwunsch, Herr Cara!

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September – Ok tober 2014

Fotos: privat; Christian Knieps; Heike Steinweg Fotografie

Unsere neue Autorin traf sich für diese Ausgabe mit Daniel Hope. Der Geiger, übrigens frisch vermählt, ist in diesen Wochen ein schwer beschäftigter Mann. Sein neues Album „Escape to Paradise“ scheint den Nerv vieler Medien zu treffen, denn Hope wählte unter anderem Stücke von Komponisten, die in den 40ern vor dem NS-Regime nach Hollywood geflüchtet waren. Da sich auch Barbara Schulz während ihres Studiums der Literaturwissenschaft schon mit diesem Thema befasst und früher selbst Geige gelernt hatte, entstand aus dem gemeinsamen Abendessen ein sehr interessantes und vielseitiges Interview, das Sie auf Seite 60 finden.

b l i c k f a n g

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September – Ok tober 2014

Licht im Dunkeln

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Foto: James Morgan

In Sydney, der Stadt, die es geschafft hat, dass man sie alleine an ihrem Opernhaus erkennt, wird dieser Tage Giacomo Puccinis Oper Madama Butterfly inszeniert.

Doch wird sie eben nicht im Opernhaus selbst gespielt, sondern davor, genauer gesagt, am Ufer vor der ebenfalls berühmten Harbour Bridge. Das Spektakuläre: Im Wasser wurde als Teil des Bühnenbilds eine riesige Sonne installiert, die während der abendlichen Aufführung untergeht (es gibt auch einen großen Mond, der ist aber auf dem Bild nicht zu sehen). Am 14. September 2014 wird die Inszenierung übrigens auch hierzulande in ausgewählten UCI Kinos übertragen.

Informationen dazu gibt's unter www.uci-kinowelt.de.

o u v e r t ü r e

Social Media in Residence

Frau Höhenrieder, wobei stören wir Sie gerade?

Ich bin gerade dabei, meine nächste Konzertreise zu planen. Dirigent wird mein ehemaliger Lehrer Leon Fleisher sein. Mit der Kammerphilharmonie Amadé führen wir in Soest und Essen unter anderem das 2. Beethovenklavierkonzert auf.

Sie wurden in Heilbronn gerade als „Artist in BlogResidence“ engagiert. Was dürfen wir uns denn darunter vorstellen?

Etwas Ähnliches wie einen Artist in Residence. Dort lernt man einen Künstler in Konzerten kennen und eventuell in anschließenden Veranstaltungen. Ein Artist in Blog bekommt innerhalb der Social-Media-Aktivitäten einer speziellen Institution oder eines Festivals einen besonderen Platz und mehr Platz als die anderen Künstler eingeräumt. Im Blog kann man zusätzliche, besondere Dinge erfahren, wie die Geschichte meiner Zusammenarbeit mit dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn oder außergewöhnliche Konzertberichte.

Was ist der Vorteil einer derartigen Präsenz?

Durch eine Artist in Blog-Residence kann man den Künstler noch besser kennenlernen. Außerdem kann man mit Social Media einen größeren Kreis an klassikbegeisterten Menschen ohne örtliche Beschränkungen erreichen. Auf dem Blog kann man Dinge veröffentlichen, die sonst gar nicht zum VorPianistin Margarita ­Höhenrieder verbindet eine schein kämen. Zum Beispiel der enge Zusammenarbeit mit Beginn meiner Zusammenarbeit dem WKO – auch online. mit dem WKO: Der Komponist Harald Genzmer, mit dem ich lange befreundet war, der mir übrigens auch sein letztes großes Werk Wie ein Traum am Rande der Unendlichkeit für Flöte und Klavier widmete, hat auf meine Anregung hin ein Konzert für Trompete, Klavier und Streichorchester komponiert, das ich unbedingt mit dem WKO einspielen wollte und dann auch getan habe. Eine Be-

Playlist Welche Werke hört der Bratscher Nils Mönkemeyer auf seinem iPod? Und vor allem, warum?

Mönkemeyers neues Album: „Barroco Español“ (Sony Classical)

sonderheit, die ohne Blog nicht publiziert worden wäre.

Wie ist das WKO Heilbronn auf Sie als erste Künstlerin gekommen, die für den Artist in Blog-Residence ausgewählt wurde?

Dies ist wirklich eine Premiere. Ich bin der erste Artist in Blog-Residence. Das lag daran, dass uns eine langjährige Zusammenarbeit verbindet, und zudem hatten wir ein ganz besonderes Konzert: Im Dornier-Museum in Friedrichshafen haben wir im Hangar inmitten von eindrucksvollen Flugzeugexponaten des berühmten Flugzeugkonstrukteurs Claude Dornier ein Konzert gespielt. Übrigens wurde es auch vom WKO auf YouTube gestellt und war die Initialzündung für den Blog.

Der Blog läuft noch ein halbes Jahr, wie bestimmt man da die Themen?

Wir bestimmen alles relativ spontan in einem schönen Miteinander.

Ersetzt in Ihren Augen die SocialMedia-Präsenz, bei der man ja ganze Konzerte bei YouTube oder eben in einem Blog hören und den Künstler gut kennenlernen kann, den Konzertbesuch?

Nein, das glaube ich nicht, jedes Konzerterlebnis ist etwas ganz Einmaliges. Diese Einmaligkeit mit anderen Menschen zu teilen, dieser einzigartige Moment, den man gemeinsam erlebt, diese spezielle Atmosphäre, dieser Zauber ist nur im Konzert möglich. Die transzendente Atmosphäre eines LiveKonzerts ist unersetzbar.

Interview: Angelika Otto

1. Brahms: „Klavierkonzert Nr. 2“ Myra Hess, New York Philharmonic Orchestra Eine der schönsten Aufnahmen der Pianistin aller Pianisten. So wie hier die Musik gespielt wird sollen wir lieben und leben!

2. Brahms: „Violinkonzert“ Ginette Neveu, NDR-Sinfonieorchester Die große Geigerin in all ihrer Tragik und Hingabe. Brahms gespielt, dass es einem das Herz herausreißt.

3. „Prima Donna“ Karina Gauvin Wunderschöne Barockarien, gesungen von Karina Gauvin, die immer noch viel zu wenig im öffentlichen Bewusstsein ist!

4. Mozart: „Klaviersonaten Vol. I“ William Youn William Youn ist einer meiner Lieblingskammermusikpartner. Sein Mozart hat Leichtigkeit und Schönheit, bei der der Abgrund immer direkt unter der Oberfläche spürbar ist.

5. Bach: „Orchestersuiten“ Akademie für Alte Musik Berlin Herrlich, so frisch und schwingend und facettenreich, die perfekte Morgen-CD! 6. Melody Gardot, My one and only thrill Ich liebe diese CD, geht zum Abwaschen genauso gut wie zum Rotwein am Abend.

+++ Anna Netrebko hat sich verlobt. Die Sopranistin will den aserbaidschanischen Tenor Yusif Eyvazov ehelichen, die Beziehung der beiden war ein gut gehütetes Geheimnis. Die große Verlobungsparty stieg Ende August in Salzburg, inklusive pink-weißem Prinzessinnen-Outfit, Sohn Tiago und weißer Kutsche! +++ Komponisten-Immobilie: Das Haus in der Lombardei, in dem Puccini in den 1880er-Jahren mit seiner Geliebten lebte, steht in Italien zum Verkauf.

Kaufpreis für das dreistöckige Haus: 400.000 Euro. +++ Einsteigen, bitte! Das Netzwerk Neue Musik in Baden-Württemberg schickt einen alten Londonbus mit Neuer Musik auf die Straßen Baden-Württembergs: Bei den Donaueschinger Musiktagen geht᾽s los, dann fährt der Bus mit Konzerten und Uraufführungen weiter auf S. 12

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September – Ok tober 2014

Foto: Tom Specht

Ein Anruf bei ... Ein Anruf bei Margarita Höhenrieder, der ersten „Artist in Blog-Residence“ beim Württembergischen Kammerorchester Heilbronn.

AKTUELLE NEUHEITEN

BEI SONY MUSIC

JONAS KAUFMANN DU BIST DIE WELT FÜR MICH

SCHÖNHERZ & FLEER AMO

Jonas Kaufmann und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin verführen mit den Melodien aus der goldenen Ära der 20er und 30er Jahre. Mit: Dein ist mein ganzes Herz, Heut‘ Nacht oder nie u.v.a.

Liebesgedichte von Goethe bis Cohen, eingebettet in die gefühlvolle Musik der Schöpfer des Rilke-Projekts. Mit Xavier Naidoo, Gert Voss, Max Mutzke, Peter Lohmeyer, Martina Gedeck u.v.a.

Die limitierte Deluxe-CD mit Bonus-DVD erscheint am 19.9.14. Ebenfalls erhältlich: die Super-Deluxe-

LIVE IN BERLIN: 26.9.14 Admiralspalast

MARTIN STADTFELD WIE SCHÖN LEUCHTET DER MORGENSTERN: DER JUNGE BACH Die neue Bach-CD mit interessanten Werken Bachs, u.a. der berühmten Toccata und Fuge in d-Moll und dem titelgebenden Choralvorspiel – in Stadtfelds eigenen Bearbeitungen für Klavier. Erhältlich ab 19.9.14

www.schoenherz-fleer.de

www.martinstadtfeld.de

ALEXANDER KRICHEL CHOPIN · MOZART · HUMMEL

CHARLIE SIEM UNDER THE STARS

Auf seinem zweiten Album verbindet der ECHO Klassik-„Newcomer des Jahres“ populäres wie auch interessantes Repertoire.

Die CD mit Mozarts Klavierkonzert Nr. 12, Oberons Zauberhorn von Hummel, Chopins Krakowiak u.a. ist ab 26.9.14 erhältlich.

Der smarte englische Geiger ist eine echte Entdeckung. Er spielt auf seiner ersten CD für Sony Classical romantische Melodien wie Clair de lune, Under the Stars, den Ungarischen Tanz u.v.a. Mit dem Münchner Rundfunkorchester. Erhältlich ab 19.9.14

NIGEL KENNEDY VIVALDI: THE FOUR SEASONS THE REWRITE

www.alexanderkrichel.de

www.charliesiem.com

Geschenk-Edition mit vielen tollen Extras. www.jonaskaufmann.com

www.sonymusicclassical.de www.sonymusicclassical.de

25 Jahre nach seiner legendären Einspielung widmet sich der Ausnahme-Geiger erneut Vivaldis 4 Jahreszeiten. Die aufregende NeuInterpretation „seines“ Werks ist ab 26.9.14 erhältlich.

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o u v e r t ü r e

Stars in der Pampa

Erl (AT) Tiroler Festspiele

*1.452 Einwohner

Kuhhaus & Kartoffelhalle Schleswig-Holstein Musikfestival

Ernen (CH) Musikdorf Ernen / Wallis *540 Einwohner

Schloss Elmau Klassikkonzerte *150 Gästezimmer

Geschichte

Stars

Wichtig zu wissen

Schon im Jahr 1613 fanden in Erl Passionsfestspiele statt. Seit 1997 Gustav Kuhn das Ruder übernahm und 2012 das neue Festspielhaus eröffnet wurde, wird Erl auf der internationalen Opernlandkarte immer präsenter.

Zur Eröffnung kamen in erster Linie die Granden Österreichs, in diesem Jahr gab José Carreras in Erl ein spektakuläres Opern-Comeback mit einer Rolle, die eigens für ihn geschrieben wurde. Sogar das heute journal berichtete.

Der Neubau kostete 36 Millionen und wurde zum größten Teil privat finanziert (von Bautycoon HansPeter Haselsteiner). Das Festspielhaus hat 862 Plätze und angeblich den größten Orchestergraben der Welt (160 qm).

1986 gegründet. In den letzten 17 Jahren gab es jedes Jahr einen Länderschwerpunkt, seit dieser Saison gibt es jeweils einem Komponisten gewidmete Retrospektiven.

Kleiner Auszug aus dem diesjährigen Staraufgebot: Christoph Eschenbach spielte in der Scheune, Daniel Hope geigte im Rinderstall, Martin Stadtfeldt konzertierte im Kuhhaus, Andreas Martin Hofmair in der Kartoffelhalle.

Zu den beliebtesten Veranstaltungen des SHMF zählen die „Musikfeste auf dem Lande“. Auf den schönsten Gutshöfen im Norden finden musikalische Picknicks in entspannter Atmosphäre statt.

Vor 41 Jahren, im Jahr 1973, verliebte sich die Frau des Pianisten György Sebok in den kleinen Ort im Schweizer Wallis. Weil es ihm selbst dort zu langweilig war, bot er Meisterkurse an und gründete sein eigenes musikalisches Unterhaltungsprogramm.

Ada Pesch, die Konzertmeisterin des Züricher Opernhauses, brachte vor zwölf Jahren Donna Leon nach Ernen, seither hält die Bestsellerautorin hier Lesungen. Mezzosopranistin Ann Hallenberg besuchte den Ort 2014 und sang in der Dorfkirche.

1916 vom Philosophen Johannes Müller und von den Kohle-Millionen der Ruhrpott-Familie Haniel finanziert, begann das Hotel bereits nach dem 2. Weltkrieg, Musik-Konzerte zu veranstalten, aktuell verfügt das Haus über zwei Konzertsäle. Der große fasst bis zu 250 Gäste.

Schon Yehudi Menuhin und Benjamin Britten urlaubten am Fuße des Wettersteingebirges in Schloss Elmau, später war Loriot das Aushängeschild, heute kommen Stars wie Grigory Sokolov, Martha Argerich, Gidon Kremer oder Sol Gabetta und 2015 die Regierungschefs zum G8-Gipfel.

G E L E S E N N O T I E R T Die Zitate des Monats (Diesmal aus Salzburg)

„Wenn Aschenputtel unter ProloSchwestern leidet und ihr Prinz in der Palace-Bar residiert, darf man auch in der Oper herzlich lachen.“ Der ORF über La Cenerentola mit Cecilia Bartoli bei den Salzburger Festspielen

„Authentischer kann man die Renaissance der neunziger Jahre nicht feiern.“ Aus der Gesellschaftskritik der „Zeit“ über Angela Merkels bunten Seiden-Kimono, den sie bei den ­Salzburger Festspielen trug.

Anfangs nur als beschauliche Hobbyveranstaltung des Pianisten Sebok geplant, verfügt das Festival inzwischen über das stattliche Budget von 600.000 Euro, hauptsächlich finanziert durch öffentliche Gelder.

Im Jahr 2015 findet es vom 4. Juli bis 15. August statt.

Glaubt man den Worten des Chefs, Dietmar Müller-Elmau, bekommt keiner der Stars eine Gage, sondern nur die Zusage, hier entspannt Urlaub machen zu können. Wer Glück hat, erlebt auch mal spontane Jam Sessions hochkarätiger Künstler an der Hotelbar.

„Hauptsache große Namen. Denn Kleckern ist eine Tugend, die man Pereira wahrlich nicht nachsagen kann. [...] Szenisch herrschte in der Pereira-Zeit im besten Fall Gediegenheit; Wegweisendes oder gar Mutiges haben die Festspielhäuser nicht gesehen. Gleiches lässt sich vom Konzertprogramm sagen, das manche Perle bereithielt, aber ein weitgehend dramaturgie- und mutloses Best-of offerierte.“ Stefan Musil in „Die Welt“ über Alexander Pereiras ­Amtszeit als Intendant der Salzburger Festspiele.

an Bord bis zu den Internationalen Weingartner Musiktagen. +++ Streik an der Met beigelegt: Die Gewerkschaft, die an der New Yorker Metropolitan Opera mit allen Kräften für eine faire Bezahlung der Künstler gekämpft hatte, hat eingelenkt. Sänger und Musiker müssen nun mit teilweise erheblichen Kürzungen ihres Gehalts rechnen. Die kommende Saison kann dafür aber wie geplant stattfinden. +++ Amerikanischer Sportler designt Beethoven-Schuhe: Der NBA-Basketball-Star Kobe Bryant hat in Zusammenarbeit mit der Firma Nike neue Turnschuhe entworfen. Das Besondere: Der Musikbegeisterte ließ sich für das Design von Beethovens 9. Sinfonie inspirieren, es ist farblich hauptsächlich in Grau gehalten. Bryants Begründung: „Weil Beethoven so zeitlos ist.“ +++

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September – Ok tober 2014

Fotos: Peter Kitzbichler; Musikdorf Ernen; Dorfmueller und Kroeger; Schloss Elmau

Weltstar José Carreras gab sein Opern-Comeback nicht an der Scala, sondern im 1.452 Einwohner zählenden Tiroler Dörflein Erl. Der Spanier ist nicht der einzige Künstler, der sein Publikum abseits der großen Metropolen begeistert. Ist der Hang zur unkonventionellen Spielstätte ein neuer Trend?

o u v e r t ü r e

Mahler-Auszeichnung

MARIA CALLAS NEU GEHÖRT!

Foto: Max Verdoes

Preisträger des Toblacher Komponierhäuschens 2014

Jury: Attila Csampai, Lothar Brandt, Thomas Schulz, Götz Thieme

Beim Schallplattenpreis „Toblacher Komponierhäuschen“, in dem von einer Fachjury jährlich im Rahmen der Gustav-Mahler-Musikwochen besondere Mahler-Einspielungen geehrt werden, wurden in diesem Jahr drei Produktionen ausgezeichnet. In der Kategorie Wiederveröffentlichungen: Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 4 mit Sopranistin Sena Jurinac und den Wiener Symphonikern unter Karl Rankl (ein Live-Mitschnitt aus Wien von 1954); in der Kategorie Neuveröffentlichungen: Sinfonie Nr. 5, Budapest Festival Orchestra unter Iván Fischer (Channel, 2012). Ein Sonderpreis geht (obwohl es eigentlich ein Audiopreis ist!) an eine Video-Produktion des Gewandhaus Orchesters Leipzig unter Riccardo Chailly von Mahlers 6. Sinfonie „wegen ihrer exzeptionellen musikalischen Qualität“.

pa s d e D e u x

Fotos: Ruth Walz; PR

Unsere Rubrik mit Doppelgängern aus der Klassikwelt.

Diesmal: Opernregisseur Peter Sellars und der kleine König Kalle Wirsch (Augsburger Puppenkiste)

R EM A STER ED EDITIO N

ab 19.9 . im Hand el

· Sämtliche Studioaufnahmen 1949 - 69 · · 26 Opern-Gesamtaufnahmen & 13 Recitals in originaler LP-Optik mit Booklet ·

Ein etwas gewagtes Doppelgängerpaar haben wir diesmal – aber die Ähnlichkeit war einfach zu frappierend, um es zu ignorieren. Besonderes Highlight: Musiktheater-Regisseur Peter Sellars, der kürzlich eine fantastische Johannes-Passion mit den Berliner Philharmonikern inszenierte, und Marionettenfigur Kalle Wirsch tragen auch noch fast die selbe Kette ...

· 132-seitiges Deluxe-Buch mit ausgewählten Fotos, Biographie Dokumentation zu Karriere, Aufnahmen & Remastering · · Neues 24-bit/96-kHz-Remastering der Originalbänder in den Abbey Road Studios · 13

· Sämtliche Libretti auf CD-ROM · maria-callas.de

K ü n s t l e r

Auf einen Kaffee mit ...

Autorin, Künstlerin & Musikfan: Elke Heidenreich in ihrem Garten zuhause in der Nähe von Köln.

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September – Ok tober 2014

Foto: Christian Knieps

Elke Heidenreich

Eine Terrasse mit Blick in einen märchenhaft verwachsenen Garten.

Es duftet nach Kaffee. Die Sonne strahlt. Und die Gastgeberin Elke Heidenreich auch: „Wer Kuchen will, kein Gedöns hier!“ Sie spricht herzlich direkt, mit lebhaften Gesten und wachen Augen. Um uns herum hopst ein kleiner Mops.

Frau Heidenreich, ich hatte gelesen, dass Sie eigentlich KatzenFan sind?

Ja, ich hatte auch immer Katzen. Aber wie das so ist, ist die älteste auch irgendwann mit 20 gestorben. Mein Freund wollte dann unbedingt einen Hund: Vito. Ich hätte ihn ja Wotan genannt (lacht).

Wie der Gott in Wagners Ring des Nibelungen! Über diesen Opernzyklus haben Sie eine Dokumentation mit Christian ­Thielemann gedreht – wie war das für Sie? Das war eigentlich meine schwerste Arbeit bisher, weil ich vor Thielemann einen irren Respekt habe. Wir haben in Bayreuth vier Gespräche für arte und 3sat gedreht: Jeweils 90 Minuten für Rheingold, Walküre, Siegfried und Götterdämmerung, mit Ausschnitten aus allen möglichen Inszenierungen.

Da musste ich mich vorbereiten wie ein Weltmeister. Musste wissen, wo die 136 Takte Es-Dur kommen und so weiter – aber ich hatte es drauf. Das hat Thielemann gefallen. Und wie der für Musik lodert und leuchtet – das hat mich angesteckt. Ich mag Leute, die sich so für was begeistern, die brennen.

Was mochten Sie an Leonard Bernstein? Sie haben über 40 Bücher zum Thema Musik herausgegeben, eines davon über ihn.

Alles! Ich hab ihn geliebt. Ich hab ihn gekannt – und jeder, der ihn kannte, hat ihn geliebt. Wir haben uns 1981 kennengelernt.

Da haben wir beide eine Goldene Kamera gekriegt. Trotzdem hab ich an dem Abend geheult – weil meine Katze überfahren worden war. Da hat er mich in den Arm genommen und gesagt: Wir gehen jetzt an die Bar und trinken uns einen. Das haben wir dann auch gemacht. Das war ein Mann, der war von einer Lebensfreude, von einer Herzlichkeit – das ist unfassbar. Er hat geraucht, gesoffen, gelacht, Leute umarmt! Und was hat er für wunderbare Kinderkonzerte gemacht!

Hat Sie das geprägt? Sie haben in Ihrem Leben ja auch schon viele Musikprojekte für Kinder gemacht!

Als ich jung war und anfing fernzusehen, hab ich seine Konzerte für Kinder gesehen. Das fand ich großartig! Viele Jahre später hab ich sein Kinderbuch Konzert für junge Leute als CD herausgebracht, zusammen mit dem WDR Rundfunkorchester und Christian Schuller. Der war früher Operndirektor hier in Köln. Wir haben am Kölner Opernhaus auch zwölf Jahre lang zusammen die Kinderoper gemacht. 20 verschiedene Opern insgesamt. Die haben wir aber auf eine Stunde gekürzt. Wenn es länger als eine Stunde ist, dann machen Kinder die Klettverschlüsse auf und zu. Da hab ich gelernt, Libretti zu schreiben. Und auch auf Musik zu schreiben: bei Übersetzungen hatte ich immer den Klavierauszug und musste genau auf den Rhythmus achten und so weiter.

Eine schöne Kombination aus Literatur und Musik ist auch die CD Nachtgedanken, die Sie mit dem Calmus Ensemble gemacht haben. Wie kam es dazu?

Wir haben uns auf einem Kreuzfahrtschiff kennengelernt. Da wird unsereins ja manchmal eingeladen, schöne Abende zu gestalten.

Da hörte ich die singen und fand es gigantisch. So betörend schön und perfekt! Wie ein Engelchor. Wir kamen auf die Idee, zusammen eine CD zum Thema „Nacht“ zu machen. Da gibt’s ja unheimlich schöne Nachtgedichte. Eichendorff und Mörike und so – die liegen auf der Hand. Hatte ich mir auch alles rausgesucht. Und dann gedacht: Ne, muss nicht sein, machen wir mal was anderes,

bisschen ausgefallenere Texte, zum Beispiel von Erich Kästner, Marcel Proust oder Gabriele Wohmann. Das passt, weil die Lieder ja auch ausgefallen sind.

Zum Beispiel die lustigen Liebeslieder von Georg Kreisler! Wie passt das zur Nacht?

Die Nacht hält ja nicht nur das Düstere bereit, sondern auch die Lust am Leben und die Liebe und die verrücktesten Ideen! Das Düstere der Nacht singt das Calmus Ensemble dann einfach augenzwinkernd und tröstlich weg.

Auf der CD kann man auch einen Text von Ihnen hören. Der endet mit den Zeilen: „... damit du mögest sehen, an dich hab ich gedacht.“ ... (singt) „... schreib im Vorübergehen ans Tor dir gute Nacht, damit du mögest sehen: an dich hab ich gedacht.“ Schuberts Gute Nacht!

Zum Weinen schön!

Warum endet Ihr Text mit einem Zitat aus der Winterreise?

Schubert ist eine große Liebe von mir.

Als Kent Nagano in München als Generalmusikdirektor anfing, wollte er gerne Rosamunde machen. Aber nicht mit dem dusseligen Libretto von Helmina von Chézy. Da hat er mich gefragt, ob ich Lust hätte, zu Rosamunde einen ganz eigenen Text zu schreiben. Letzten Endes habe ich dann, anhand der inneren Stimmung der Winterreise, einen langen, sechsteiligen Liebesbrief an Schubert geschrieben. Also zu Schubert habe ich eine große, innige Liebe. Je älter ich werde desto mehr.

Sie schreiben im Vorwort der „Nachtgedanken“-CD: „Die Kraft der Kunst, der Musik und Literatur ist ein rettendes Geländer“ ... ... das ist ein Ausdruck von Wisława Szymborska, der polnischen Nobelpreisträgerin. Sie hat geschrieben: „Poesie ist für mich wie ein rettendes Geländer“. So ist es auch. Manchmal ist man ja sehr traurig im Leben, ist schwach oder hat dunkle Zeiten. Wenn man sich dann aufrafft und liest, oder man sich still auf das Sofa legt und eine Oper hört – danach geht es einem besser. Man kann sich auch aufhängen in der Zeit, klar. Aber man kann es auch lassen und sich was Schönes reinziehen, dafür ist es da. Dann wächst Kraft und die Seele leuchtet wieder, man hat wieder Mut. Ich hab das oft festgestellt in meinem Leben. Dafür bin ich dankbar.

Und darum bin ich so missionarisch unterwegs mit Literatur und Musik. Ich will den Leuten zeigen: habt keine Angst, es ist kein Bildungsquatsch. Es ist ein Glück!

Muss man nicht ein großes Wissen haben, um es zu genießen?

Natürlich muss man für manche Bücher eine gewisse Bildung haben, aber nicht für alle. Und für Musik, ich meine: Mozart geht jedem so rein, da muss man nicht wissen, was ein Dominantseptakkord ist. Man muss es einfach mal hören und sein Herz aufmachen. Das Fachsimpeln, das kommt später. Oder gar nicht.

Glauben Sie, dass Kunst auch ein „rettendes Geländer“ für ganze Gesellschaften sein kann?

Ja. Ich glaube, dass uns Kunst vor Spießigkeit und engem Denken bewahrt. Nehmen Sie mal das Orchester von Barenboim, das WestEastern Divan Orchestera. Grad jetzt! Wo dieser Krieg so wehtut!

Da sitzen Palästinenser und Israelis in einem Orchester. Dafür muss man aufeinander hören. Wenn man aufeinander hört, dann spricht man auch schon wieder miteinander. Das ist ein erster Schritt. Ich glaube wirklich, dass Kunst Gesellschaften friedlicher macht. Ich glaube an die Kraft der Kunst. Unverdrossen. n

Interview: Maximilian Stössel

„Ich glaube an die Kraft der Kunst. Unverdrossen!“

„Nachtgedanken“ Elke Heidenreich, Calmus Ensemble (Carus) 15

k ü n s t l e r

„Keiner erzählt besser vom lieben Gott als der alte Bach“ Weiter geht’s in unserer Serie: Vier Persönlichkeiten aus der Welt der klassischen Musik verraten, welches Ereignis sie in ihr heutiges Musikleben trieb.

In meiner Familie spielte das Werk Johann Sebastian Bachs eine zentrale Rolle. Will heißen: kein Weihnachten, kein Ostern ohne die dazugehörigen Oratorien, keine Hochfeste ohne die jeweiligen Kantaten, kein freier Abend meines Vaters ohne Suiten oder Brandenburgische Konzerte. Wir Kinder mussten, sollten, in den Augen meines Vaters: durften, lange vor dem Schulzeitalter den bisweilen exzessiven Bach-Abenden stumm beiwohnen.

Ansonsten flog man aus dem Salon. Und manchmal durften wir nach Maßgabe des strengen Vaters die ehrwürdigen Archiv-Schellackplatten wechseln, den Tonarm aus den uns schon bekannten Wiederholungslöchern heben und neu aufsetzen, oder, und das durfte ich, weil ich mich mit Musik auch früher schon beschäftigt habe, die Höhen und Tiefenregler des jeweiligen modernsten Wiedergabegeräts bedienen. Wichtiger als dies alles ist aber die bleibende und für mich bis heute bewegende Erinnerung an meinen Vater, der einfach nach jedem Hören Bach’scher Musik verkündet hat: „Keiner erzählt besser vom lieben Gott als der alte Bach.“ Solches prägt, und führte dazu, dass ein ganz kleiner Bub für lange, lange Zeit ausschließlich zu zwei Vorbildern aufschaute: zu dem des eigenen Vaters und zu Johann Sebastian Bach. Der kleine Bub wollte sein wie diese Vorbilder: stark, sicher und unbeugsam wie der Vater, und er wollte ein Vom-lieben-Gott-Erzähler sein wie der große Komponist. Zugegeben: verwegene, nicht minder hybride Lebensplanungen. Sie führten immerhin zu einem abgeschlossenen Kompositionsstudium, bald aber auch zur Einsicht, wieder einmal mit sicherem Griff einen ziemlich sauren Apfel des Baums der Erkenntnis gegessen zu haben. Das Erwachen war hart, der Himmelssturz tief, und das Ergebnis: ein stinknormaler Dirigent, der sich das Komponieren wegen erwiesener Unfähigkeit gründlich abgeschminkt hat.

Alison Balsom, Trompeterin Meine lebenslange Liebe zur Trompete wurde immer wieder durch die Einsicht erneuert, wie fähig dieses Instrument sowohl zu Erhabenheit als auch zu Innigkeit ist. Meine erste Erfahrung mit ihm hatte ich, als ich als Fünfjährige im Haus meines Onkels und meiner Tante war. Die beiden hatten dort Instrumente um sich, so dass ich schon ein bisschen spielen konnte, als ich in die Schule kam. Das war so motivierend! Kurz danach bin ich mit meiner Mutter in die örtliche Bibliothek gegangen und mit einer Kassette der großen Jazz-Legende Dizzy Gillespie zurückgekommen. Das in Kombination mit der örtlichen Blaskapelle, die eine Jugendabteilung hatte, und einem Lehrer in meiner Grundschule, der wunderbar inspirierend war und mich gratis unterrichtete, hat bewirkt, dass ich von Anfang an zum Trompetenspielen bestimmt war.

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September – Ok tober 2014

Protokoll: Antoinette Schmelter de Escobar; Fotos: Markus C. Hurek; Erato / Warner Classics; Radio France / Christophe Abramowitz; Peter Wieler

Enoch zu Guttenberg, Dirigent

Franz-Xaver Ohnesorg, Intendant des Klavierfestival Ruhr

THE R OYAL BALLE T

MANON

Es war der 30. November 1954: Als Sechsjähriger hörte ich im Radio Musik, die mich geradezu elektrisierte und die ich als unendlich „schön“ empfand.

Aufgeregt fragte ich meinen Vater, welche Musik das ist.

Seine Antwort: Heute ist ein großer Dirigent gestorben und deshalb wird im Radio Musik gespielt, die er dirigiert hat. Der große Dirigent war Wilhelm Furtwängler und was ich hörte, waren die Ouvertüren zu Egmont und Coriolan. An das damals erstmals erlebte Glücksgefühl kann ich mich noch heute erinnern. Seit diesem Tag weiß ich, wie es ist, wenn Musik die Seele zum Schwingen bringt. Aus diesem Grund befindet sich an meinem Arbeitsplatz seit meinen ersten Berufstagen als Orchesterdirektor der Münchner Philharmoniker immer ein Bild von Wilhelm Furtwängler – aus Dankbarkeit und als Ansporn, möglichst vielen anderen Menschen zu diesem Glück zu verhelfen.

KE NNE TH MACMILLAN

16. OKTOBER 2014 THE R OYAL O P E R A

I DUE FOSCARI G IUSE P P E VE R DI

27. OKTOBER 2014 THE R OYAL O P E R A

L‘ELISIR D‘AMORE

DO ME NICO DO NIZE TTI

26. NOVEMBER 2014 THE R OYAL BALLE T

ALICES ABENTEUER IM WUNDERLAND CHR ISTO P HE R WHE E LDO N

16. DEZEMBER 2014 THE R OYAL O P E R A

ANDREA CHÉNIER UMBE RTO G IO R DANO

29. JANUAR 2015 THE R OYAL O P E R A

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER R ICHAR D WAG NE R

24. FEBRUAR 2015 THE R OYAL BALLE T

SCHWANENSEE MAR IUS P E TIPA

17. MÄRZ 2015 THE R OYAL O P E R A

RISE AND FALL OF THE CITY OF MAHAGONNY KURT WE ILL

1. APRIL 2015

Weitere Termine bis Juli 2015 unter www.UCI-KINOWELT.de www.roh.org.uk/cinema

Kurt Masur, Dirigent

HK Grub

Mein Einstieg beg über meine Klavier ging ich also heim naloberinspektor m eigentliches Opern Da entdeckte ich m rigent & Sänger & London automat

Das Royal Opera House live auf der großen Kinoleinwand

Ein Erlebnis werde ich nie vergessen, als ich im Alter von zwölf Jahren zum ersten Mal die Kunst der Fuge hörte, gespielt von zwei Organisten auf der Engler-Orgel meiner Heimatstadt Brieg. Was für ein unglaublicher Klang! Die Musik hatte mich in ihren Bann gezogen. Es war auch der Beginn meiner großen Liebe zur Orgel.

Opern- und Balletthighlights der Saison 2014/15 Mehr Infos & Tickets unter www.UCI-KINOWELT.de oder über die UCI App.

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k ü n s t l e r

„Wir kreieren für das Publikum“ Die Mezzosopranistin Elīna Garanča ist zurück aus der Babypause.

Ein Gespräch über ihr neues Album, Männerrollen und ihren Garten.

Foto: Paul Schirnhofer / DG

vo n K at h er i n a K n ee s

Wahrscheinlich eine der besten Stimmen der Gegenwart: Mezzosopranistin Elīna Garanča

crescendo: Bei dem ersten Konzert nach der Babypause im Concertgebouw in Amsterdam haben Sie mitten im Konzert Ihre Schuhe ausgezogen. Was war da los?

Elīna Garanča: Ich konnte einfach nicht, wirklich nicht. Ich war vorher ein halbes Jahr zuhause nur auf Socken unterwegs und dann musste ich plötzlich wieder die Highheels anziehen. Und vor allem sind das dort im Concertgebouw die schwierigsten Treppen, die ich je hoch und runter gelaufen bin in einem Konzertsaal.

Es sind dreißig Stufen, es ist ein Alptraum. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr. Man will das ja auch noch graziös machen. Wenn man nach unten schaut, dann sieht es komisch aus und wenn man nicht hinguckt, dann landet man am Ende auf dem Popo.

Singen Sie Lieder wie Schumanns An meinem Herzen, an meiner Brust anders, seitdem Sie Mutter sind?

Natürlich. Also ein gewisses Maß an Fantasie hat man natürlich auch schon bevor man Kinder bekommt, man muss ja auch niemanden umbringen, um einen Mörder zu spielen. Aber das Gewicht des Textes wird jetzt noch klarer. In einem Liederabend 18

ist natürlich unheimlich viel Wahres von mir drin, aber ich weiß auch, dass manche bewussten Bewegungen in gewissen Momenten noch eine Dimension mehr erschaffen. Im Schauspiel kann zum Beispiel ein Zucken vom Rücken genauso viel Effekt haben wie ein direkter Blick in den Saal. Das sind schon kleine Geheimnisse, die man als Schauspieler und auch als Sänger auf der Bühne durchaus benutzt. Ich bin sehr visuell. Bei mir sind es einfach gewisse Bilder, die ich vor Augen habe und die ich auch selbst erlebe. So wie ich auch auf der Opernbühne immer den Moment so spiele, als würde ich ihn zum ersten Mal erleben. Beim Lied ist das genauso.

Neben mir saßen im Konzert zwei junge Leute, die sagten „Für einen Liederabend bekommt man immer noch spontan eine Karte, denn das finden alle so langweilig“. Warum führt das Lied so ein Stiefmütterchendasein?

Ja, das Lied ist etwas für Feinschmecker (schmunzelt). Im deutschen Repertoire ist es aber gar nicht so langweilig, denn da versteht man – hoffentlich – alles. Vielleicht liest man dann auch noch ein bisschen mit. Aber bei allen anderen Komponisten, ob das jetzt www.crescendo.de

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September – Ok tober 2014

Elina GaranÇa auf „Meditation“-Tour 12.10.14: Wien, Musikverein

Debussy ist oder Rachmaninov – da ist lern können muss als die Sängerinnen 15.10.14: Wien, Konzerthaus es für die Leute vielleicht schon mühsam, anderer Stimmfächer?

23.10.14: Hamburg, Laeiszhalle zweimal vierzig Minuten zu lesen und sich Ich glaube, wir haben einfach eine größere 25.10.14: Bremen, Die Glocke nur auf den Text zu konzentrieren. Es gibt Palette. Soprane werden ja immer in zwei 27.10.14: Frankfurt, Alte Oper sehr wenige, die das Programmheft zu Seite Schubladen gesteckt. Es gibt den dramati29.10.14: Nürnberg, Meistersingerhalle legen und entweder mit geschlossenen oder schen Sopran, das sind die starken Frauen, 31.10.14: München, Gasteig offenen Augen tatsächlich verfolgen, was die Powerfrauen, die Divas. Oder die lyri5.11.14: Essen, Philharmonie auf der Bühne passiert oder wie die Musik schen Soprane, das sind die, die dann alle einfach nur klingt. Ich glaube, man braucht sterben. Und als Mezzo hat man zum Glück tatsächlich eine gewisse Kenntnis dieser Musik, um in einen Liedie Chance, sich weiterzuentwickeln. Gott sei Dank. Mein Leben derabend richtig eintauchen zu können. lang nur Mozart und Rossini zu singen, das wäre nichts für mich.

Und warum mögen Sie als Sängerin einen Liederabend?

Die Kalender von Sängern sind ja meistens weit im Voraus Hm. Gute Frage (lacht). Erstens, weil es etwas anderes ist, als die schon mit Terminen gefüllt. Inwiefern planen Sie jetzt als MutOper, das ist gut für die Abwechslung. Und weil ich es gut kann. ter von zwei Töchtern anders?

Weil ich das schon als Kleinkind bei meiner Mutter gesehen habe.

Wir wissen, dass unsere große Tochter 2016/2017 in die Schule Und weil es mich künstlerisch noch eine Stufe höher bringt, als nur kommt und das heißt, ein Elternteil muss dann mehr oder weniger der Operngesang, weil man sich auch emotional auf eine andere zuhause bleiben. Das heißt, ab dann werde ich nicht mehr so vieEbene bringt. Es ist eine sehr feine Arbeit, auch was den Text len Opernneuproduktionen zustimmen. Aber ich glaube, irgendbetrifft. Es kostet auch körperlich nicht so viel Kraft wie eine vierwann bin ich des ewigen Reisens auch müde (schmunzelt). Was stündige Oper. Trotzdem ist die Konzentration mental noch höher. mir wahnsinnig wichtig ist, ist, mir die kleine Umgebung um mich Auch das neue Programm „Meditation“ ist ja eher nicht für herum als Zuhause zu schaffen. Ich hänge nicht an Menschen und die breite Masse, sondern für Menschen, die wirklich zuhören ich hänge nicht an Orten. Ich kann mir auch jetzt hier in diesem wollen. Was für eine persönliche Beziehung haben Sie zu dieser Raum mein Zuhause erschaffen. Und ich bin sehr gerne alleine. sakralen Musik?

Eigentlich langweile ich mich nie. Am Liebsten bin ich zuhause Jede CD ist ein Spiegel meines emotionalen Zustandes. Ich steuere in Spanien. Meine größere Tochter läuft inzwischen herum und auf die 40 zu. Und in diesem Alter schließt man ein bestimmtes pflückt die Erdbeeren im Garten und isst die dann direkt auf.

Kapitel im Leben ab. Ich bin als Mensch und Frau an einem Punkt, Tut das gut, zwischen den Opernproduktionen mal im Garten wo ich in mir ruhe. Die Musik, die ich hier singe, scheint für mich mit den Händen in der Erde zu wühlen? die logische Konsequenz am Ende dieses Kapitels – ein ruhiges, Ja, das ist Natur pur! Ich finde es so schön, das Resultat direkt zu zufriedenes Innehalten. Ich habe das Gefühl, dass ich mit dieser sehen. Ein Konzert ist irgendwann zu Ende gesungen und das ist sakralen Musik etwas erzählen kann, zu dem ich vorher noch nicht dann verflogen und das ist weg. Aber wenn man etwas einpflanzt, bereit war. sieht man jeden Tag, wie es größer und größer wird und wie die Verabschieden Sie sich mit 40 auch von den Hosenrollen? erste Blume wächst. Vorgestern war die Gurke erst so groß und Es hat eine lange Zeit Spaß gemacht, aber irgendwie fühle ich mich heute ist sie so groß. Und das Ergebnis kann man dann genieimmer mehr als Frau und die Frauenkleider ziehen mich mehr ßen. Bei der Musik ist es so, natürlich genießen wir die auch, aber an als die Männerpartien (lacht). Und rein visuell, wenn ich mir eigentlich sind wir ja die Produzenten, die das für das Publikum überlege, der Octavian ist 17 Jahre und zwei Monate alt, Cherubino kreieren. vielleicht so um die 12 oder 13 Jahre. Und wenn ich mich selbst im Sie haben mal gesagt, es gibt drei Elīnas und bei wichtigen EntSpiegel anschaue. Also so ein Cherubinchen ist schon ein Unterscheidungen, müssen alle zustimmen. Wie kann man sich das schied. Und die Stimme hat halt auch Möglichkeiten und braucht vorstellen, wie meinen Sie das? neue Herausforderungen.

Es gibt eine Kopf-, eine Herz- und eine Bauch-Elīna. Es gibt Aber vielleicht haben Sie ja mehr Verständnis für Ihren gewisse Sachen, die muss man machen, wenn man Karriere Mann als andere Frauen, weil Sie selbst so oft einen auf der machen will. Es gibt Sachen, die mache ich für die Stimme, oder Bühne spielen mussten ... für eine Aufnahme oder die mache ich nur für mich, oder das nur Nein (lacht). Ich habe aber auch wahnsinnig viele Bücher gelesen, fürs Geld, das gibt es natürlich auch. Trotzdem müssen alle Elīnas Psychologiebücher und auch die banalen Sachen, wie Die Frauen dabei im Einklang sein (lacht). Wenn ich etwas nur fürs Geld sind von der Venus und die Männer vom Mars. Mich interessiert mache, dann bin ich dabei so unglücklich, dann mache ich es lieeinfach die Frage, warum wir so unterschiedlich sind. Und das ber nicht. Und wenn es nur um Karriere geht, dann bin ich genug hilft auch bei einer Interpretation. Und ich merke das auch oft in Mensch um zu wissen, nur durch Karriere wird man auch nicht Gesprächen mit Männern. Wenn man weiß, wie sie ticken, dass sie zufrieden. Ich bin ja Realistin – meine Karriere dauert vielleicht sich zum Beispiel wirklich nur auf eine Sache konzentrieren könnoch 10 oder 15 Jahre. Man kann natürlich mit 65 auch noch sinnen und nicht wie eine Frau auf fünf. Das hilft dann auch, wenn gen, aber ich glaube, das will ich nicht. Die Entscheidung zu heiraman als Octavian auf der Bühne steht und auf die Sophie eingeht. ten und Kinder zu bekommen war aber auch nicht so einfach. Ich Und es geht natürlich viel um Körpersprache und Mimik. Und da habe jetzt zwei Kinder, aber ich war auch fast zwei Jahre von der fallen mir auch viele Kleinigkeiten auf – wie Menschen die Brille Bühne weg. Trotzdem war es gut für mich. Dieser hochschieben, oder so. Ich gucke mir wahnsinnig gerne Leute an.

Einklang, den ich meine, das ist ja immer ein MitManchmal schimpft mein Mann mit mir und sagt „Hör auf zu einander von ganz vielen verschiedenen Dingen. glotzen“ (lacht). Aber wenn etwas einmal meine Aufmerksamkeit „Meditation“ Elīna Garanča, Deutsche Radio Philharmonie Saarbrückengefangen hat, kann ich nicht wegschauen.

Kaiserslautern, Latvian Radio Choir, Karel Mark Chichon (DG) Glauben Sie, dass man als Mezzosopranistin besser schauspie19

k ü n s t l e r

Flüstern am See

Foto: Andreas Balon

Unsere Autorin mischte sich bei den Bregenzer Festspielen einen Tag unter die Wiener Symphoniker und lernte nicht nur das Erfolgsgeheimnis des neuen Chefdirigenten Philippe Jordan kennen. v o n T e r e s a P i e s c h a c ó n R a p h a e l

Die Wiener Symphoniker auf dem Bodensee.

B

regenz am 28. Juli 2014. Es ist elf Uhr Vormittag. Strahlend blauer Himmel über dem Bodensee. Immer wieder laufen Schiffe ein, Touristen gehen an Land, Senioren mit Rucksack und Wanderausrüstung, Familien mit Kindern. Es ist Urlaubszeit. Allmählich füllen sich Hafen und die Uferpromenade mit Menschen, bis hin zur Seebühne, wo sie von drei knapp 30 Meter hohen Fantasy-Drachenhunden begrüßt werden. Sie stammen aus der Inszenierung von Mozarts Zauberflöte von 2013 und werden auch diesmal bei den Bregenzer Festspielen zum Einsatz kommen. Doch heute nicht. Denn heute ist ein besonderer Tag. Genau vor hundert Jahren erklärte die k. u. k. Monarchie Österreich-Ungarn dem Nachbarstaat Serbien den Krieg und löste damit den Ersten Weltkrieg aus. Das dürfte jetzt nur wenigen Feriengästen bewusst sein, auch wenn im Festspielhaus, das unweit von der Promenade liegt, gerade eine Totenfeier abgehalten wird. Die Probe von Benjamin Brittens War Requiem op. 66 mit den Wiener Symphonikern hat begonnen. David Pountney, der scheidende Intendant der Bregenzer Festspiele, hat sich das 20

musikalische Manifest gegen die Gräuel des Krieges gewünscht. Am Pult steht ein junger Mann in hellblauem Hemd, heller Sporthose und Sportschuhen: Philippe Jordan. Es ist eines seiner ersten Konzerte als designierter Chefdirigent des Orchesters.

In eine kleine Partitur gebunden liegt es vor ihm, dieses gewaltige, mit Symbolik aufgeladene Werk „in loving memory“ an die Gefallenen aller Kriege. Britten komponierte es 1962 zur Wiedereröffnung der im Zweiten Weltkrieg von deutschen Fliegern zerstörten Kathedrale von Coventry, ein Angriff, den die Nazis zynisch „Operation Mondscheinsonate“ nannten. Kein einfaches Stück, auch wenn Jordan es schon einmal aufgeführt hat: sechs Teile, komplex auf drei Klangebenen ineinander verwoben, in zwei Sprachen, Latein und Englisch, und für ein Mammut-Ensemble gesetzt: drei Solisten, zwei Orchester und zwei Chöre. Jordan lässt die Musiker einfach spielen, unterbricht nicht. 90 Minuten lang. Eckig seine Armbewegungen, präzise seine Schlagtechnik, sein Körper aber bleibt unbeweglich. Ja, wird er später im Interview lachend einräumen, die Bewegungen seiner Mutter, der Tänzerin Käthe Herkner, www.crescendo.de

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September – Ok tober 2014

Chefdirigent Philippe Jordan

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Foto: Johannes Ifkovits

Die Wiener Symphoniker habe er wohl nicht geerbt. Wohl aber die bleiben.“ Jetzt noch kurz ein Blick auf das Auf TOURNEE Strenge, Askese und Disziplin, die es – nicht erste Tenorsolo. „So gut werden wir es nie 2.10.14: Wien, Musikverein nur – für eine Tanzkarriere braucht. „Vielwieder hören!“ Gelächter.

Offizielles Antrittskonzert Philippe Jordan leicht werde ich ja im Alter noch so locker Und weiter. „Dies irae“. Im Siebenvier(Werke von Schubert und Janaček) wie mein Vater“, der Dirigent Armin Jordan teltakt hetzt der Chor durch den Text, baut 24.11.14: Köln, Philharmonie (1932-2006), von dem er viel lernte. Allsich auf, wird laut. Dem Dirigenten zu laut.

28.11.14: Paris, Salle Pleyel mählich verklingt das Werk, „Requiescat in „Whisper, please!“ Doch so einfach lässt sich Schubert „Unvollendete“, Beethoven „Siebte“ pace, amen“ murmelt der Chor. Pianissimo, die aufgebaute Energie nicht zurückfahren.

25.11.14: Luxemburg, Philharmonie a capella. Alles verebbt. Stille. „Stopp!“ ruft Jordan, schlägt energisch mit 26.11.14: Brüssel, Palais des Beaux-Arts „Sehr schön, meine Damen und Herdem Taktstock auf das Pult. „Bitte jede Silbe Liszt „Klavierkonzert Nr. 2“, Bruckner „Erste“ ren!“, ist der Dirigent zu hören. „Jetzt gibt’s betonen. Flüstern!“ Ein neuer Versuch. Es eine kleine Pause. Dann die kleinen Korrekklappt. turen.“ Langsam löst sich das Ensemble auf. „Bist du traurig, senti„Liber scriptus“ schmettert Oksana Dyka. Das Kreuz an ihrem mental?“ fragt Bariton Michael Volle seinen britischen Tenor-Kol- Hals glitzert jetzt im Bühnenlicht. Ein Blick, ein mäßigendes Zeilegen Allan Clayton, der noch neben ihm sitzt. Clayton nickt müde, chen von Jordan folgt. Mit Wirkung. Es wird leiser. „Whisper“ und schließlich soll sein Part – ebenso wie der von Volle – mit „äußerster „Please, don’t rush“ wird er immer wieder rufen, im Offertorium, Schönheit, Intensität und Ernsthaftigkeit“ gesungen werden. Tenor im Agnus Dei. Es geht schließlich um Verinnerlichung, um Verund Bariton schildern in Brittens Requiem die Not und Verzweif- söhnung. „Let us sleep“ sind die letzten Worte von Tenor und Barilung eines deutschen und eines englischen Soldaten, nach Versen ton: Einst verfeindet, wünschen sie sich nun in einem ergreifenden von Wilfred Owen, der 25-jährig im Ersten Weltkrieg fiel. „Diese Schlussduett die ewige Ruhe. „Requiescat in pace“ tönt es engelsgroßartigen Gedichte, voller Hass auf die Zerstörungswut“, schrieb gleich aus dem Off, wo die Wiltener Sängerknaben stehen. „ExtraBritten an Dietrich Fischer-Dieskau, der bei der Uraufführung ordinary!“, sagt Jordan leise. Zufrieden beendet er nach nur vierzig 1962 den Part des deutschen Soldaten sang, „sind eine Art Kom- Minuten die Probe. Die „kleinen Korrekturen“ sind erledigt. mentar zum Requiem.“ Mehr noch. Oft wenden sie sich zynisch, Mittagessen mit Orchestermanager Johannes Neubert und fast blasphemisch gegen die Bitten und Versprechungen des latei- Philippe Jordan, und die typische Frage an einen Dirigenten: Wie nisch-liturgischen Textes der Totenmesse, den Britten auf die bei- vermittelt er seine musikalischen Vorstellungen? „Ohne viel Gefuchden Chöre und das Sopransolo verteilte. In Bregenz singt die Ukrai­ tel. Das Geheimnis liegt darin, dass man Leute dazu bringt, das zu nerin Oksana Dyka diesen Part. In ihrer linken Hand hält sie ihr machen, was man will, ohne dass jemand das Gefühl hat, dass er Smartphone, in der rechten ihre Stimmgabel – Orientierung in den manipuliert wird.“ 39 Jahre ist Jordan jung. „Autorität muss von oft dissonanten Passagen. Um den Hals trägt sie ein strassbesetz- innen kommen. Von meinen grauen Haaren jedenfalls nicht.“ Er tes Kreuz. Dykas Kollegin übrigens, Galina Vishnevskaya, durfte hat ja kaum welche. „Jordan ist der erste Chef der Wiener Symphodamals zur Uraufführung 1962 in Coventry nicht aus der Sowjet- niker, der vom Orchester gewählt wurde!“ betont Neubert – in ihrer union ausreisen. Es war Krieg, Kalter Krieg. über 100-jährigen Geschichte. Er sei kein „Schönwetterdirigent“, Dirigent Jordan steht plötzlich vor dem Solistentrio, erkun- schwärmt er, sondern „ein toller Handwerker, der aber im Konzert digt sich. Gibt es Fragen? Die drei schütteln den Kopf. Für jeden zulegen, spontan Dinge einbringen kann“. Obwohl Jordan Musikdischeint er ein Ohr zu haben: für den Hornisten, der eine Passage mit rektor der Pariser Oper bleiben wird, werde er mit dem Orchester ihm besprechen will, und für den Leiter des Knabenchors, der nicht „mehr arbeiten als bisherige Chefdirigenten“, 28 Konzerte seien für weiß, wann er die Kinder, die aus Platzmangel hinter der Bühne sin- die erste Saison geplant. Im Fokus: Werke von Franz Schubert und gen werden, nach dem Konzert auf die Bühne schicken Johann Sebastian Bach sowie zeitgenössische Musik. soll, um den Applaus entgegenzunehmen.

Neubert will an die großen alten Zeiten anknüpfen, als David Pountney kommt dazu, gratuliert dem Arnold Schönberg dem Orchester die Uraufführung seiner GurreDirigenten, begrüßt die Musiker. Man kennt sich, Lieder anvertraute und Autoritäten wie Anton Webern, Herbert schließlich sind die Wiener Symphoniker seit Jahrvon Karajan, Richard Strauss, Wolfgang Sawallisch, Carlo Maria zehnten das „Orchestra in Residence“ der BreGiulini oder Carlos Kleiber das Orchester führten. Eine komgenzer Festspiele. „Noch mal eine Intendanz plizierte Organisations- und Finanzierungsstruktur, die das irgendwo?“, fragt jetzt Volle den scheidenOrchester ohne eigenes Haus und Programmautonomie den Intendanten. „Ja, Welsh National Opera“, zum „Mietorchester“ degradierte, machte aber auch ihnen nickt Pountney und erzählt, dass er 1968 die Arbeit nicht leicht. Ein unabhängiger Verein, ein eigedas War Requiem „in Original-Besetzung“ nes Plattenlabel sollen das nun ändern. Und Philippe Jorerlebte, mit Dietrich Fischer-Dieskau und dan. Es wird ihm gelingen. Die Presse ist bereits auf seiner Peter Pears und mit Britten am Pult.

Seite. Von einem glänzenden Einstand ist am nächsten Tag Ein Blick auf die Uhr, die Pause ist zu die Rede und von einem „Glücksgriff “ für das Orchester Ende. „So, meine Damen und Herren!“ ruft – auch wenn nach dem Konzert über Bregenz ein draJordan. „Erst einmal: Bravo! Wenn es so gut matischer Wolkenbruch niederging. So soll es, heißt es, läuft wie jetzt, dann wird es heute Abend auch in Serbien gewesen sein, als vor hundert Jahren der ganz wunderbar!“ Dennoch ist er noch greise Kaiser Franz Joseph in Bad Ischl die nicht ganz zufrieden: „Bitte noch mal den Kriegserklärung unterzeichnete.

Anfang ... Nein, nein! Die Sechzehntel sind zu Peter Iljitsch Tschaikowski: „Pathétique“ Wiener Symphoniakzentuiert! Bitte weich anspielen. Das ist eine ker, Philippe Jordan (Wiener Symphoniker) Prozession. Das muss fließen, darf nicht stehen

„Eigentlich

Gegenteil

das von Villazón ...“ Jonas Kaufmann ist der wahrscheinlich erfolgreichste Tenor des Landes, doch unser Autor gehörte nicht unbedingt zu seinen größten Fans. Das hat sich ­geändert. Ein Porträt. von Axel Brüggemann

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September – Ok tober 2014

k ü n s t l e r

Dies ist die Geschichte, wie ich gelernt habe,

Jonas Kaufmann zu mögen. Logisch, dass sie damit

beginnt, dass es mir lange schwergefallen ist, diesen Tenor

gut zu finden: ein unnahbarer Sänger, dessen Stimme uns nicht

anspringt, sondern auffordert, in sie hineinzukriechen. Ein Star, der nicht trällert, „Schaut her, ich bin᾽s“, sondern sich lieber zurückzieht, nachdenkt, grübelt. Ein Zweifler, ein komplizierter Denker – keiner, der

uns mit seiner Aura verführt. Ein Künstler, der von seiner Agentur abgeschottet und gleichzeitig perfekt promotet wird. Ein Unnahbarer. Einer, der mich kalt gelassen hat.

Ich gebe zu, dass mir, der ich in den 80er-Jahren mit René Kollo und Plácido Domingo aufgewachsen bin, bis heute die eher großen, aufgekratzten Stimmen liegen, für die das Singen ein existenzielles Risiko bedeutet – ein Alles oder Nichts. Diese Formel-1-Tenöre, die mit 230 Sachen in die Kurve gehen, bei denen jeder Ton das Ende der Karriere bedeuten kann.

Sie zeigen mir, dass die Oper existenziell ist.

Inzwischen habe ich allerdings auch begriffen, dass die kleine Geste unter dem Mikroskop betrachtet zum emotionalen Monstrum wachsen kann, dass die neurologisch gesungene Nuance ergreifender sein kann als das provokante Pathos – dass die größten Dramen sich eben im Inneren abspielen, dass die eigentlichen Wunden im Herzen bluten und nicht an der Haut. Jonas Kaufmann hat der Oper zurückgegeben, was ihr lange abgegangen ist: die kluge, sich dauernd selbst befragende Stimme, die nun auch Sänger wie Klaus Florian Vogt perfektionieren und die an unseren Stadttheatern längst zur neuen Mode erhoben wurde.

Zum ersten Mal aufhorchen ließ mich Kaufmann 2010, als er in Mailand den Don José in Bizets Carmen gab. Zufällig war ich in der Pause in der Garderobe von Daniel Barenboim, der den Abend dirigierte. „Und?“, fragte er seine Frau. Die antwortete: „Gut!“ Barenboim hakte nach: „Auch der Kaufmann, oder?“ – „Ein kluger Kopf auf jeden Fall“, erwiderte sie. „Eigentlich das Gegenteil von Villazón“, überlegte der Dirigent und nippte an seinem Wasser und überlegte weiter: „Villazón ist der leidenschaftliche Tenor, der Sänger, der über alle Grenzen geht. Einer, der kein Morgen kennt. Kaufmann ist der Sparsame, der alles aus dem Kopf heraus macht.“ Nun brachte Barenboim seine Gedanken auf den Punkt: „Wenn Rolando Dionysos ist, dann ist Jonas Apollo. Der eine ist eher Bauch. Der andere ist eher Kopf.“ Ein bisschen hat es geklungen, als hätte er sich an diesem Abend eine Mischung aus beiden Tenor-Typen auf der Opernbühne gewünscht.

Vor einiger Zeit habe ich mich mit Kaufmann über das Phänomen der „klugen Stimme“ unterhalten, und ich habe ihn gefragt, ob er sich als Pionier fühlt: „Ich möchte mir das nicht auf die Fahne schreiben“, hat er geantwortet, „aber ich glaube schon, dass sich da vieles geändert hat: Die Stimmen, besonders bei Wagner, sind dynamischer geworden. Das Klischee, dass alles laut sein muss, existiert nicht mehr. Wenn man Menschen eine Partitur der beiden zeigt, staunen viele Bauklötze, dass da mindestens so viele Piani vorkommen wie Forte-Stellen. All das ist einige Zeit lang in Vergessenheit geraten, als es in der Oper oft nur auf die Dezibelzahl ankam und weniger auf den Inhalt.“ Tatsächlich schließt Kaufmann eine Tradition, die mit Wagners persönlichen LieblingsTenören Joseph Tichatschek und Ludwig Schnorr von Carolsfeld begonnen hat und die in den 40er-Jahren endete, als sich Lauritz Melchior, später Mario del Monaco und Peter Hofmann einen Wettstreit geliefert haben, wer den Längsten hat – den längsten Ton in Wagners „Wälsungen“-Rufen der Walküre. Ein Spiel, dem Kaufmann sich bewusst verweigert hat – so wie meine Ohren sich seinem Gesang.

Aber Kaufmann hat mit noch einer Krankheit unseres vermeintlich perfektionistischen Klassik-Marktes aufgeräumt, mit der Pest der Spezialisierung. Er ist ein leidenschaftlicher Allrounder und sagt zu Recht: „Ich befürchte, dass dieser Fetisch des Spezialistentums langfristig ungesund ist. Wir treiben die Kunst durch die Spezialisierung auf die Spitze: Dann soll es noch lauter, noch extravaganter, noch dramatischer sein – und das Eis wird immer

Foto: Gregor Hohenberg

„Kaufmann ist der Sparsame, der alles aus dem Kopf heraus macht.“

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Jonas Kaufmann live 13.10.2014 Luzern Konzertsaal: Recital (Schumann, Wagner, Liszt) 15./19./24./27./30.11.2014 München Bayerische Staatsoper: Manon Lescaut (Puccini) 13.12.2014 Wien Konzerthaus: Liederabend (Schumann & Strauss)

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dünner. Das ist weder gesund für den Sänger noch für die Details der Musik.“ Ist Kaufmann also der Pionier eines neuen Gesangsstils – die Stimme unseres Jahrzehnts? „Ich weiß gar nicht“, sagte er, „ob meine Stimme wirklich so aktuell oder modern ist. Es gibt an der Wiener Staatsoper einen wunderbaren Almanach, in dem man nachschlagen kann, was die einzelnen Künstler in den jeweiligen Spielzeiten so gemacht haben. Und da gibt es Fälle, die an einem Abend Pamina aus der Zauberflöte und am anderen die Brünnhilde aus der Götterdämmerung singen. Die Vielfalt ist zu Recht eine Tugend des Singens.“ Verstehen lässt sich die Karriere von Jonas Kaufmann nur, wenn man ganz von vorne beginnt. Denn eines seiner größten Geheimnisse ist die deutsche Stadttheater-Kultur, in der er aufgewachsen ist. Er ist einer der letzten Hochglanzsänger, die sich noch an Repertoire-Routine erinnern. Ein Superstar, der weiß, wie es sich anfühlt, wenn sich der Lappen in der Provinz jeden Abend heben muss. Kaufmanns Eltern waren musikalisch, haben den Sohn regelmäßig mit in Sinfoniekonzerte genommen. Seine Schwester spielte Klavier. Kaufmann ging in den Kinderchor. Nach der Schule hat er einige Semester lang Mathematik studiert, weil ihn das Logische fasziniert. Das hat sich bis heute nicht geändert. Aber irgendwann waren die Gefühle stärker, er wechselte an die Münchner Musikhochschule und von dort aus in sein erstes Engagement an das Staatstheater in Saarbrücken.

In Saarbrücken hat Kaufmann einen neuen Lehrer gesucht.

Michael Rhodes wurde zu seiner wichtigsten Bezugsperson. Er hat

der Musik auszuprobieren“, sagt er, „so wie nun mit meinem Album ‚Du bist die Welt für mich’ mit Liedern der 20er- und 30er-Jahre.“ Diese Aufnahme wird viele zum Kaufmann-Fan machen. Plötzlich wird aus dem Entrückten, dem Ton-Psychologen Kaufmann der Lässige. Da sind seine Ritardandi in Gern hab ich die Frau’n geküsst oder Heute Nacht oder nie, da ist die beschwingt lockere Peter-Alexander-Stimme in Diwanpüppchen, und dann eben immer wieder ein bisschen Fritz-Wunderlich-Knallertum in Du bist die Welt für mich und Dein ist mein ganzes Herz. Und natürlich die ganz große Oper in Glück, das mir verblieb aus Korngolds Die tote Stadt. Kaufmann zeigt, dass die Gassenhauer der 30er-Jahre eben nicht unbedingt von Max Raabe sein müssen, sondern dass auch die Operette eine Coolness hat, dass es einen Unterschied macht, ob die Comedian Harmonists oder Richard Tauber, dessen legitimes Erbe er mit diesem Album angetreten hat, diese Stücke interpretieren. Kaufmann gelingt die Quadratur des Unterhaltungskreises: Er findet in diesen Schlagern Tiefe, ohne dabei die Leichtigkeit zu verlieren. Die neue CD ist bis ins kleinste Detail durchgestylt. Im Trailer kämpft Kaufmann in bislang ungesehener Lockerheit mit dem 30er-Jahre-Mi­ krofon. Was er über die Lippen bringt, ist schlichtweg: genial.

Inzwischen gönnt Kaufmann sich hin und wieder eine Pause von der Öffentlichkeit, sein privates Leben hält er weitgehend aus den Zeitungen. Anders als viele Kollegen, die immer wieder mit ihrer Stimme kämpfen, scheint Jonas Kaufmann inzwischen zu laufen wie ein deutscher VW-Käfer. Er singt und singt und singt. Einer seiner Tricks sind regelmäßige Entspannungsübungen. Vor den Auftritten macht er Yoga, um den Brustkorb zu öffnen. Und mit Blick auf andere Tenöre erklärt er, dass die Angst der größte Feind der Stimme sei. Er hat sich Taktiken zurechtgelegt, um der Erfolgsfalle zu entkommen und nicht am Opernhimmel zu verglühen. Er schützt sich, indem er die ständig steigenden Erwartungen nicht unbedingt erfüllen will. Er fürchtet sich nicht, wenn ein falscher Ton schon wenige Stunden später auf Youtube in der ganzen Welt zu hören ist. „Die Öffentlichkeit hat sich gewandelt“, sagt Kaufmann, „heute sieht jeder alles – ein Blick ins Netz reicht.“ Sein Rezept ist es, entspannt zu bleiben. „Ich habe mir angewöhnt, positive Erfahrungen nicht als Druck zu verstehen, sondern sie als Teil meiner Zufriedenheit zu begreifen.“ Mit seinem Wagner-Album im vergangenen Jahr hatte Jonas Kaufmann neue Standards gesetzt, mit dem neuen Album der 30erJahre scheint er sich aus seinem Käfig befreit zu haben – er kann auch swingen. Die Selbstbefragung ist auf der Zielgeraden angekommen. Man hört sie nicht mehr in seiner Stimme: Alles ist selbstverständlich, echt und wahrhaftig. Und ich leiste hiermit Abbitte: Jonas Kaufmann in den letzten sechs Jahren auf seinem Weg begleitet zu haben, hat meinen Blick auf den Gesang verändert. Es war ein Kampf mit mir selbst – und eine Offenbarung. Manchmal brauche ich noch eine Prise Kollo oder eine Arie aus den frühen Villazón-Aufnahmen – der Rest ist: denkendes Singen. Danke, Jonas Kaufmann. n

Foto: Gregor Hohenberg

„Ich befürchte, dass dieser Fetisch des Spezialistentums langfristig ungesund ist.“ dem Sänger beigebracht, sich zu entspannen. Er sollte lockerer werden. Sich nicht verausgaben, weniger Kraft und mehr Selbstverständlichkeit in den Ton legen. Sein Timbre veränderte sich, wurde natürlicher, tiefer und erzählerischer. Da hat es „Klick“ gemacht, und Jonas Kaufmann war in der Provinz immer seltener zu hören.

Die Weltkarriere klopfte an die Stadttheatertür in Saarbrücken. Und eine ganz neue Opernstimme sang sich bis ganz nach oben.

Das Stadttheater ist für Kaufmann bis heute das Ideal für eine Gesangsausbildung. Er sagt: „Leider werden die Häuser in Deutschland immer weiter zurückgespart. Dabei haben sie so viele Vorteile: Nicht nur, dass sie jedem Menschen, auch in einer kleineren Stadt, die Möglichkeit geben, an der Faszination Oper teilzuhaben. Sie sind auch die besten Ausbildungsstätten. Gerade die eben angesprochene Rollenvielfalt sorgte ja dafür, dass die großen Aufführungen auf mehrere Schultern verteilt waren. Ich glaube, dass wir dort wieder hinsollten, die Vielfalt ist ein Garant für gesunde Stimmen.“ Unter den aktuellen Tenören ist Kaufmann sicherlich der vielseitigste: Mozart, Verdi und Wagner haben den Münchener in New York, Wien und Tokio zum Welttenor gemacht, wie es ihn seit den Drei Tenören nicht mehr gab, und Kaufmann frisst immer neues Repertoire. „Für mich ist es wichtig, immer wieder neue Formen

Jonas Kaufmann „Du bist die Welt für mich“ (Sony)

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Back to the Roots Auf seinem neuen Album „Klezmer Kings“ findet das David Orlowsky Trio zuerst in die Tiefen New Yorks und am Ende doch ganz zu sich.

Fotos: Ralf Horbaschek; Bob Coat

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as für eine Musik: Grell und aufgekratzt, ein- beim Spielen auf Hochzeiten schon mal die Hosen runterließ. Dort schmeichelnd und aufstampfend, melodiös und der jüngere Gentleman Tarras mit dem geschmeidigen Ton, der bis folkloristisch, orientalisch und angejazzt, melan- ins hohe Alter aktiv war und in der New Yorker Klezmer-Szene zu cholisch und zärtlich. Man möchte aufspringen einer Ikone wurde. Florian Dohrmann, der aus dem Jazz kommt, und tanzen – und dann blutet einem wieder das sagt: „Mir persönlich ist Dave Tarras näher, entspricht mehr dem Herz. Eine ganze Welt von Klängen bietet das David Orlowsky Trio gewohnten, westeuropäischen Ohr. Dagegen klingt für mich Naftule auf seinem aktuellen Album „Klezmer Kings“ – und das mit nur Brandwein fremder, noch verwurzelter in der osteuropäischen Kuldrei Musikern. Zum ersten Mal haben Bandleader und Klarinet- tur, orientalischer, er hat eine andere Art zu phrasieren.“ tist David Orlowsky, Gitarrist Jens-Uwe Das neue Album ist also einerPopp und Bassist Florian Dohrmann seits eine Hommage an dieses spaneine Platte nur zu dritt aufgenommen. nende Musiker-Paar, andererseits auch Auf früheren Alben waren der israeliein Selbstporträt des David Orlowsky David Orlowsky Trio Live sche Mandolinen-Virtuose Avi Avital Trios. Zwar enthält die CD diesmal keine 13.9.14: Berlin, Synagoge Rykestraße dabei, der norwegische BandoneonspieEigenkompositionen des Ensembles, 26.9.14: Wismar, Schloss Hasenwinkel ler Per Arne Glorvigen oder zuletzt, auf sondern ausschließlich Stücke aus dem 27.9.14: Hechingen, Schloss Haigerloch der CD „Symphonic Klezmer“, die KamFundus von Brandwein und Tarras. Den10.10.14: Erlangen, St. Markuskirche merakademie Potsdam. „Das sind halt noch war es dem Trio ganz wichtig, wie 16.10.14: Mönchengladbach, wir drei – und sonst nichts“, sagt Florian Dohrman betont, „dass die traditionelKaiser Friedrich Halle Dohrmann über die neue Platte. „Alles len Stücke unseren Ton, unseren Klang 17.10. und 20.10.14: Krefeld, Seidenweberhaus kommt von uns, und so klingen wir.“ bekommen. Melodien und Harmonien 18.10.14: Esch sur Alzette (Luxemburg), „Chamber World Music“ nennen sind größtenteils die der Originale, wurKonservatorium die drei, was sie machen. Das passt inzwiden von uns aber stark bearbeitet und schen besser, findet David Orlowsky, der neu arrangiert. Denn wir haben einfach sein Trio schon 1997 gründete. „Angeüber die Jahre unseren eigenen Klang fangen haben wir mit traditioneller entwickelt.“ Klezmermusik. Wir sind dann aber relaOrlowsky hatte früh angefangen: tiv bald dazu übergegangen, eigene StüMit sechzehn stellte der klassisch ausgecke zu schreiben. Unsere ganzen letzten bildete Klarinettist für eine FernsehproAlben waren komplett selbst kompoduktion spontan ein Trio zusammen. Er niert, wobei Klezmer nach wie vor ein spielte damals gerade in Tübingen mit wichtiger Bestandteil unserer Musik und dem Kontrabassisten Florian Dohrmann unsere Hauptinspiration ist. Aber als im Orchester. Man blieb zusammen, seit Genrebezeichnung würden wir Klezmer 2005 ist der Gitarrist Jens-Uwe Popp nicht mehr unbedingt verwenden. Denn aus dem hohen Norden dabei, der auch in unserer Musik sind noch viele andere schon Rockmusik gemacht hat. Jeder Einflüsse drin, arabische Musik, zeitgebringt sich mit seinen unterschiedlichen nössische Musik, elektronische Klänge.“ Erfahrungshorizonten ins Trio ein, sagt Das Trio mit Jens-Uwe Popp, Nach der langen gemeinsamen Orlowsky: „Die Stücke von uns komDavid Orlowsky und Florian Dohrmann Reise war es Zeit für neue Ideen. Und die men als Leadsheet in simpler Notation hat das David Orlowsky Trio zunächst einmal mit der Kammeraka- an. Durch Improvisation müssen wir dann etwas finden, was mit demie Potsdam realisiert. Für das Experiment „Symphonic Klez- der Melodie und den Klangfarben der Instrumente mehr ergibt als mer“ ließen sie ihre alten Stücke von befreundeten Komponisten die Summe der Teile – das ist der Prozess, den wir ständig suchen. orchestrieren. Der größere Sound erlaubte einen neuen Blick auf die Die Zutaten bringt sozusagen jeder selber mit, gekocht wird dann Kompositionen der drei, mehr Klangfarben und andere Perspekti- zusammen.“ ven. Mit dem aktuellen Album „Klezmer Kings“ ist das Trio dann Die gemeinsame Suche nach dem magischen Klang hat zum in die entgegengesetzte Richtung gegangen – nach dem Motto: ein Erfolg geführt, das Trio nimmt exklusiv für Sony auf, schon 2008 Schritt zurück, zwei Schritte vor, wie Jens-Uwe Popp erklärt: „Wir wurde das innovative Album „Noema“ mit einem ECHO-Klassik haben uns gedacht: Schauen wir doch mal wieder auf unsere Wur- ausgezeichnet. Und obwohl der große, von Giora Feidman ausgezeln. Und sind dann – nicht beim osteuropäischen Klezmer, son- löste Klezmer-Boom der Neunziger Jahre vorbei ist, kommt die dern bei den Amerikanern gelandet! Das hat wahrscheinlich damit kreative Neubelebung des Genres durch das David Orlowsky Trio zu tun, dass die amerikanischen Musiker in ihrem Stil ja schon eine beim Publikum gut an. Orlowsky erklärt das mit der faszinierenden Fusion aus osteuropäischem Original-Klezmer und Swing- oder Mischung aus schmerzlicher Melancholie und unbändiger LebensJazz-Elementen entwickelt hatten. Und deshalb waren Klezmer- freude: „Alle Stücke haben grundsätzlich beides drin, das kommt Idole wir Naftule Brandwein oder Dave Tarras für unser Projekt auch daher, dass vieles in Moll steht – ich persönlich empfinde das naheliegend.“ gar nicht als traurig. Klezmer hat immer diesen bittersüßen Anteil, Mit ihrem Klarinettenspiel waren Brandwein und Tarras in das liegt an der Doppelbödigkeit der Musik, die ständig zwischen den Zwanziger Jahren an der Lower East Side Manhattans zu wah- beiden Polen pendelt. Auch ein wirklich fröhliches Stück hat immer ren „Klezmer Kings“ avanciert. Wie Millionen von Ostjuden hatten eine nachdenkliche Note. Die Geschichte hat grausam gezeigt: Es sie ihre Schtetl in Galizien und der Ukraine um die Jahrhundertgab nie eine komfortable Sicherheit für die Juden, wende verlassen und ihr Glück in New York gesucht. In den Tanzloman hat immer so ein bisschen am Abgrund kalen, wo auch die traditionelle jüdische Festmusik gespielt wurde, getanzt – und das spiegelt sich auch in der Musik machten die beiden Antipoden Karriere: der exzessive Naftule wieder. Es geht eigentlich immer ums Ganze.“ Brandwein und der elegante Dave Tarras. Hier der skandalträchtige „Klezmer Kings“ David Orlowsky Trio (Sony Classical) Entertainer Brandwein mit dem expressiven Klarinettenton, der 27

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Der Saiten-Dandy

Foto: Uwe Arens / Sony Classical

Wenn man die Möglichkeit bekommt, einen Geigen-Beau wie Charlie Siem zu treffen, schickt man natürlich eine Autorin. Nur muss man dann auch damit rechnen, dass diese leicht ins Schwärmen gerät.

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Foto: facebook

anchmal ist es ein Fluch und Segen gleicherma- sagt Siem: trocken, geistreich, witzig. Das nimmt man ihm sofort ßen, ein gut aussehender Musiker zu sein: Segen, ab. Denn zumindest optisch wirkt der Geiger auch ein bisschen wie weil schöne Plattencover entstehen, die sich aus der Zeit gefallen mit seinen schnieken, maßgefertigten Anzübesser verkaufen und in der Klassik-Szene auch gen, den perfekt liegenden Haaren und dem schelmischen Lachen. bei den jungen Leuten gut ankommen. Fluch, Very charming – ja, das ist er, der Brite mit norwegischen Wurzeln. weil es immer Kritiker gibt, die behaupten: Der ist doch nur erfolgIm Gespräch driften wir immer wieder ab, werden philosoreich, weil er gut aussieht. Der Engländer Charlie Siem ist so ein phisch. Das Gefühl ist paradox: Hier will ein junger Künstler nicht Kandidat. Er ist Geiger, ein richtig guter Geiger. Und er sieht gut mit aller Macht und antrainiertem PR-Text sein Album vermarkten. aus. So gut, dass er Modeshootings für die Vogue macht, auf Events Stattdessen will er über Musik nachdenken, über die Welt um sich von Dolce & Gabbana spielt und selbst Karl Lagerfeld behauptet, herum und das Leben reden. Gerne! Der letzte Gedanke, bevor Sie ein Fan zu sein. Er hat für die Queen gespielt, die dänische Köni- auf die Bühne gehen? „Ich versuche keine Gedanken zu haben. Das gin und Lady Gaga. Er ist sozusagen der Anker zwischen Klassik ist meine Art der Meditation vor dem Konzert. Ich versuche nur zu und Lebensart, ein moderner Dandy des Geschäfts. Da drängt sich sein. Eins mit dem, was ich tue.“ Und wenn die Vorstellung vorbei ist? eine Frage gleich zu Beginn auf: „Wie viele Heiratsanträge haben Sie „Ich glaube, das Konzert ist wie ein Berg. Auf den man hinaufsteigt schon bekommen?“ Die überraschende Antwort: „Keinen!“ und versucht, die Höchstleistung herauszuholen. Man muss sich konWir treffen Siem in Nizza, an der wunderbaren Côte d'Azur. zen-trieren und die Zuschauer davon überzeugen, dass diese Musik Die Sonne sticht vom Himmel, das Meer grüßt am Horizont. Char- so wunderschön ist, wie man sie selbst findet. Und wenn man von der lie Siem sieht auch im realen Leben verdammt gut aus. Dass er Bühne kommt, muss man das, was oben passiert ist, gehen laszudem ein aufmerksamer Gesprächspartner ist und es versen.“ Es sind sehr persönliche Einblicke, die Siem hier gibt, da steht, sich auch außerhalb einer Konzertbühne passend zu will man weiter nachfragen. Wir fordern ihn zu einem Spiel kleiden, macht es nicht leicht, sich mit ihm nur über sein Kurze Fragen, kurze Antworten. Und zu Beginn Newcomer heraus. neues Album zu unterhalten. Bevor er selbst zu erzählen knappe Assoziationen: beginnt, will er noch wissen, wer überhaupt Zuhause? „Zuhause ist, wo immer du sein Gegenüber ist. Der Name des Mediums, bist, denn Zuhause ist kein spezieller Ort – für das man schreibt, reicht ihm nicht. Er hakt Zuhause ist in dir selbst.“ deutlich nach und gibt auf Fragen selten kurze Urlaub? „Ich will ja nicht langweilig sein, Antworten. Für Themen, die ihm wichtig sind, aber: Das ist genau dasselbe. Wo immer man hält er richtige Plädoyers. ist, kann man sich im Urlaub fühlen. Wenn Da ist es schon ein bisschen verwunderman hart arbeitet und sich eine Pause gönnt, lich, dass er als Debütalbum bei der Sony, die kann man das Gefühl haben: Das ist ein kurihn gerade unter Vertrag genommen hat, auszer Urlaub für mich.“ gerechnet eines mit vielen kleinen Stücken Familie? „Wichtig.“ herausbringt. „Under the stars“ heißt es, und Ihre größte Schwäche? „Schokolade. Ist im Grunde ist es eine Einspielung vieler kleidas nicht vielleicht eher eine Stärke?“ ner „Encores“ aus dem frühen 20. JahrhunCharlie Siem in drei Worten? dert. Die ihm aber alle am Herzen liegen, sagt „Charlie Siem ist. Ich bin. Das ist der er. Denn es ist eine Art Tribut an die großen Punkt. Ich will mich nicht einschränken, Geigenspieler dieser Zeit. Ein Stück von der nicht in eine Schublade packen lassen. Ich Auch ein Dandy steht mal Kopf. neuen Platte hat er im Internet entdeckt. „Fritz verändere mich jeden Tag. Ich bin.“ Siem beim Morgensport.

Kreislers La gitana hatte ich noch nie vorher Auf die Frage, was er denn gerne als gehört, fand es aber total spannend, und da es keine Noten dazu gab, Nächstes aufnehmen würde, antwortet er mit einer Aufzählung aller haben wir ein Arrangement aus diesem YouTube-Video gemacht.“ großen Violinkonzerte. Tschaikowsky, Sibelius, Brahms, SchostakoEin Blick auf den Facebook-Account des 28-Jährigen zeigt, dass er witsch eins und zwei. Und Prokofjew, Mendelssohn, alle Mozartsich viel im virtuellen Raum tummelt: Er postet munter Fotos vom Konzerte, die Bach-Solostücke. Eigentlich alles. Es fasziniert ihn, Essen, vom Familienausflug mit den Geschwistern und Aufnahmen Sachen für die Ewigkeit festzuhalten. Und er ist gerne im Stuvom Handstand am Pool (siehe Foto). „Ich bin zwar kein Facebook- dio. Mag diesen Nervenkitzel, wenn das rote Lämpchen leuchtet.

Fanatiker“, sagt er, „aber es macht schon süchtig.“ „Eigentlich ist es egal, was ich aufnehme. Hauptsache ich bin im Siem ist kein Newcomer im klassischen Sinn, schließlich hat er Studio. Das ist kreativ und inspirierend!“ Überhaupt findet er, dass mit drei Jahren begonnen, Geige zu spielen. „Es war tatsächlich so, die Standardwerke der Klassik niemals „zu alt“ oder zu langweilig wie alle immer erzählen: Ich habe als kleines Kind eine Aufnahme werden, um sie zu spielen. Auch ein neues, junges Publikum solle von Yehudi Menuhin angehört. Und da wusste ich, dass ich nur man nicht mit seichtem Klassik-Geplänkel beschallen, die Musik Musiker werden könnte.“ 25 Jahre später hat er mit vielen bedeuten- nicht so verwässern, dass alle sie mögen. Das betont er mehrfach den Orchestern gespielt, er tourt durch die Welt – und er spielt eine und vehement. Siem will neue Zuhörer mit den Meisterwerken Guarneri, die einst genau jenem großen Meister gehörte: Yehudi konfrontieren. Er will sich dem Trend der „seichten Klassik“ widerMenuhin. Natürlich sei es ein schöner Gedanke, dass der Geist des setzen: „Diese Werke können immer und immer wieder entdeckt Geigers irgendwie noch in der Geige schlummere, sagt Siem. Aber werden. So wie ich als Kind das erste Mal Beethoven gehört habe er sei sich sicher, dass jedes Instrument mit seinem neuen Besitzer und es mich total von den Socken gehauen hat, so kann ein Tschaiein anderes wird. Die Beschaffenheit sei zwar gleich, aber die Art, kowsky-Violinkonzert heute für jemanden, der es nicht kennt, das wie es gespielt werde, eine andere. „Es ist mein Instrument. Und es alles verändernde Hörerlebnis sein. Wir haben ist schön, dass es so viel Geschichte mit sich herumträgt.“ dieses Repertoire, wir sollten es auch bewahren Das letzte Buch, das er gelesen hat? „Eins mit Kurzgeschichund bewusst einsetzen.“ Anna Novák n ten von William Somerset Maugham. Ich lese alle seine Kurzge„Under the Stars“ Charlie Siem, Münchner Rundfunkorchester, schichten, ich bin ein großer Fan.“ Mit dem wäre er auch gerne Paul Goodwin (Sony Classics) mal essen gegangen, er wäre sein idealer Dinnerbegleiter gewesen, 29

p e r s o n a l i e n

g e s t o r b e n

Lorin Ma a ze l

R a fa el frühbe c k d e burg o s Nur wenige Tage nach seinem Abschied vom Dirigentenpult des dänischen Nationalorchesters, verstarb Rafael Frühbeck, der in Verbundenheit zu seiner Heimatstadt unter dem Künstlernamen Frühbeck de Burgos auftrat, im Juni in Pamplona. Während seiner letzten Auftritte ging der an Krebs erkrankte deutsch-spanische Dirigent so weit an seine physischen Grenzen, dass einige seiner Musiker vor Sorge mitten im Konzert aufhörten zu spielen. Mit seiner charakteristischen strengen Miene und striktem Dirigat leitete Frühbeck de Burgos unter anderem die Dresdner Philharmonie, das RundfunkSinfonieorchester Berlin und das spanische Nationalorchester. Im Laufe seines Lebens nahm er über 100 Schallplatten auf, wobei

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schen angelegt sind, mal unbewusst, wie bei vielen Kindern, mal bewusst, wie bei Erwachsenen, die sie erlebt haben. Aber wir müssen zum Glück nicht alles erleben, was wir interpretieren, es ist trotzdem in uns – als Ur-Gefühl.“ Es ist dieses Urvertrauen in den Menschen, mit dem sich Maazel so geschmeidig wie er dirigierte durch die Welt der Musik bewegte. Zupackend und klar auf der einen Seite, mit gespreiztem, kleinem Finger auf der anderen. Maazel hat gestritten, wo man

ihm die Macht verweigerte, in Berlin, an der Deutschen Oper, in Wien an der Staatsoper und mit den Berliner Philharmonikern, als sie Claudio Abbado zum Chef ernannten. Und er hat geliebt: die Bayreuther Festspiele, die er als jüngster und als erster US-Dirigent beehrte, seine New York Philharmonics, die er im stolzen Alter von 70 übernahm, und schließlich auch die Münchner Philharmoniker, die er – gegen ein stattliches Salär – nach dem Abgang von Christian Thielemann vor dem Gesichtsverlust bewahrte.

Lorin Maazel ist mit US-amerikanischer Leichtigkeit durch das Leben gegangen, mal Hand in Hand mit PopKlassikern wie Andrea Boccelli, dann wieder auf Entdeckungstour nach Musiknischen mit den größten Orchestern der Welt. Seine Dirigate waren immer besonders, manche werden ewig bleiben: Porgy und Bess etwa, seine Mendelssohn-Symphonien mit den Berliner Philharmonikern, Ravels-Operneinakter, die er in Frankreich ausgegraben hat und natürlich sein Otello mit Plácido Domingo.

Nun ist Lorin Maazel mit 84 Jahren gestorben. Der Tod – wahrscheinlich ist selbst er für Lorin Maazel auch nur eine weitere Selbstverständlichkeit.

Axel Brüggemann

seine besondere Aufmerksamkeit der Spät- Brüggen es, die Blockflöte konzertsaalfähig romantik und den Werken des Komponisten zu machen. Aufgewachsen in einer musikalischen Großfamilie, die mit ihren neun Manuel de Falla galt.

Kindern sehr gut eine ganze Aufführung der Brandenburgischen Konzerte stemmen konnte, begann der Niederländer früh mit In scheinbar legerer Haltung saß der schlak- dem Musizieren. Wann immer sein Schulsige Mann auf seinem Stuhl. Die Beine über- unterricht kriegsbedingt ausfiel – und das einandergeschlagen, den Blick konzentriert war nicht selten, übte Frans Brüggen auf seinach unten gesenkt. In seinen Händen hielt ner Blockflöte und wurde der erste Student, er ein Instrument, das im Allgemeinen eher der in diesem Fach ein Diplom erlangte. In als Kinder- oder Amateurinstrument ver- den 90er-Jahren legte er die Flöte schließschrien ist: eine Blockflöte. Aber die Töne, lich beiseite, das Repertoire war für ihn die er dem hölzernen Instrument entlockte, erschöpft, er wollte keinen Händel mehr ließen seine Zuhörer damals wie auch heute spielen. Von da an widmete Brüggen sich noch ins Staunen und Schwärmen geraten. dem Dirigieren und gründete das „OrchesEs sind warme, weiche Klänge, in virtuosen ter des 18. Jahrhunderts“. Mit dem er sich Läufen schwingen sie sich auf bis in beinahe zeitlebens auf der Suche nach Schönheit schwindelerregende Höhen. Mit seinen und der Nähe zum Komponisten befand. bedachten Interpretationen schaffte Frans Frans Brüggen ist nun 80-jährig verstorben.

fr ans b r üg g en

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Fotos: Molly Peterson

Vielleicht ist es die wissende Naivität, die Lorin Maazel ausgemacht hat, dieses kindliche Staunen über die Einfachheit einer angeblich so komplexen Welt.

Das Wundern darüber, was die Leute eigentlich meinen, wenn sie vom schweren Leben reden, von der komplizierten Musik oder der Schwierigkeit, Geld zu verdienen. Für Lorin Maazel schien all das selbstverständlich zu sein: große Kunst, großes Kassieren – und großes Leben!

Das letzte Mal, als wir uns trafen, haben wir über die Anfänge seiner Karriere gesprochen, über den kindlichen Wundergeiger und das Dirigier-Wunderkind, das zum ersten Mal mit neun Jahren vor einem US-Orchester stand und nachahmte, was der gestrenge Fritz Reiner in Pittsburgh einst vorgemacht hatte: die Energie von Disziplin, Musikalität und Leidenschaft bis in die Fingerspitzen.

Ich wollte von Maazel wissen, wie es möglich ist, dass man weitgehend ohne Lebenserfahrung Themen wie Liebe, Verzweiflung und Tod interpretieren kann.

Und ich war erstaunt, dass er meine Frage zunächst gar nicht zu verstehen schien – weil ihm die Antwort so klar war: „Diese Gefühle sind existenzielle Grundgefühle“, sagte er schließlich, „die in jedem Men-

hören & sehen •

Die besten CDs & DVDs des Monats von Oper über Jazz bis Tanz Attila Csampais neue Entdeckungen (Seite 32) Christoph Schlüren über die „Josephs Legende“ (Seite 43)

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Vivica Genaux, Simone Kermes

Unentschieden! ist dieser Wettstreit! Nur geht er unentschieden aus: Beide Damen sind echte Energiebündel und im Repertoire rund um Hasse, Bonocini, Vinci und Porpora stimmlich mehr als zuhause. Die Kermes ist die gewohnte Explosion an musikalischer Leidenschaft und Energie, die eine Palette an Affekten zeigt, die von flammendem Zorn zur zerbrechlisten Wehmut reichen – Vivica Genaux singt die virtuoseren Koloraturen makellos. Dieses Album lässt den Hörer atemlos zurück! AN

Foto: Gregor Hohenberg / Sony Classical

Was passiert, wenn zwei begnadete Sopranistinnen aufeinandertreffen? Im Falle der italienischen Diven Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni im 17. Jahrhundert war das: Stress! Beide gehörten der gleichen Gesangskompanie an, buhlten folglich um die Hauptrollen und versuchten sich gegenseitig in einem ständigen Diven-Wettstreit zu übertrumpfen. Die Situation eskalierte in einem Primadonnen-Streit während einer Opernvorstellung. Das Prinzip der konkurrierenden Diven haben Vivica Genaux und Simone Kermes für ihr neues Album übernommen. Und welch ein Feuerwerk

„Rival Queens“ Vivica Genaux, Simone Kermes, Cappella Gabetta, Andrés Gabetta (Sony Classical)

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h ö r e n & s e h e n

Die wichtigsten CDs des Monats, ausgewählt von Attila Csampai

Powerfrauen Junge Musikerinnen brauchen eigentlich keine Frauenquote: Im Musikbusiness entscheidet Können und künstlerisches Profil. In den Entdeckungen unseres Rezensenten finden sich daher diesmal erstaunlich viele weibliche Interpreten.

Avantgardisten: Rameaus „Pièces de Clavecin“ von 1727 und Ligetis „Musica ricercata“ von 1953 verbindet eine ähnliche intellektuTrack 3 auf der crescendo Abo-CD: elle Strenge und Radikalität: Rameaus Bildkraft und ausgezirkelte „Toccata in c-Moll“ Fantasie erfährt hier eine spannende Metamorphose in der strenNoch hat der Konzertflügel nicht ausgedient gen formalen Logik und dem subversiven Witz des jungen Ligeti für Bachs Tastenmusik. Was Irma Issakade vor und seiner genialischen elementaren Studien: Das eine wird durch sechs Jahren mit den Goldberg-Variationen das andere überzeugend erklärt. Dass Krier hier für beide Sphägelang, hat jetzt eine junge Französin mit Bachs Toccaten geschafft: ren einen großen Steinway verwendet, ist gleichermaßen überraNämlich auf Anhieb eine ähnlich profilierte und spektakuläre Refe- schend und einleuchtend: Das wunderbar dunkel timbrierte Instrenzmarke zu setzen. Mit ihrer unglaublich stringenten und span- rument und ihr glasklares, fokussiertes Spiel verleihen dem zweifanenden, bis ins letzte Detail perfekt durchgeformten Interpretation chen Zeitsprung eine geradezu unheimliche innere Stringenz und dieser sieben „fantastischen“ Jugendsünden des 20-jährigen Bach Geschlossenheit: Cathy Krier verzaubert durch Intelligenz. hat Amandine Savary diese wunderbaren Stücke zudem auf Dauer rehabilitiert. Wie Gould, der die Toccaten nicht mochte, aber trotzFréderic Chopin: „Études“ Sämtliche Etüden dem aufnahm, verwendet auch Savary einen großen Yamaha-Flügel, Zlata Chochieva (Piano Classics) der freilich deutlich kerniger und „gesünder“ klingt als das unter Track 5 auf der crescendo Abo-CD: „Schluckauf “ leidende Instrument des Kanadiers. Entscheidend ist „Étude op. 10 Nr. 3 E-Dur“ aber der echte Herzenseinsatz und die bohrende Intensität, mit der Savary jedes Stück mit Seele, Drama und einer Art „unaufhaltsamer“ Es gibt unzählige brillante Aufnahmen der EtüLogik ausstattet, und die Gould fast als unbekümmerten Exzentriden Chopins, aber nur wenige, die hinter der virker erscheinen lassen. Savary gelingt das Kunststück, pulsierende tuosen Oberfläche die starke lyrische Kraft und das lodernde Pathos Beats mit konstruktiver Strenge zu einem hohen Grad von belebter dieser „Lieder ohne Worte“ so auszuformen wissen, dass alles TechObjektivität zu verschmelzen, der als Herzensimpuls sofort auf den nische verschwindet. Diese poetische Verwandlung der „ÜbungsHörer überspringt und ihn dauerhaft fesselt. stücke“ gelang jetzt einer noch kaum bekannten jungen Russin, die schon seit ihrem achten Lebensjahr öffentlich auftritt. Die 29-jährige Zlata Chochieva durchmisst selbst die schwierigsten manuel„Rameau, LIGETI“ Pièces de Clavecin, Musica ricercata len Hürden mit einer Mühelosigkeit und einer lyrischen Stringenz, Cathy Krier (Avi) die das komplexe Geschehen einbinden in sogartig fließende meloTrack 7 auf der crescendo Abo-CD: dische Linien. So verwandelt sie alles Materielle, alles Pointiert„L‘Enharmonique“ von Jean-Philippe Rameau Objektive in einen zutiefst romantischen Rausch der wechselnden Rameau und Ligeti – das ist eine verwegene Klangfarben, der weichen Übergänge, der großen Gesangslinien.

Kombination, die die historischen Eckpfei- Das klingt auf eine faszinierende Weise „altmodisch“ und doch klug ler der Klaviermusik einander gegenüberstellt und alles „Roman- fokussiert auf den Seelenkern dieser einzigartigen Charakterstücke. tische“ ausklammert. Auch auf ihrem dritten Album meidet die Man mag da gelegentlich die klare Kontur und die Schärfe von Chojunge Luxemburgerin Cathy Krier ausgetretene Pfade und deckt pins Charakterprofilen vermissen, wird dafür aber etwa in den aufungewöhnliche Beziehungen auf zwischen dem raffinierten fran- gewühlten Schlussstücken beider Zyklen durch Chochievas grandizösischen Barockmeister und dem revolutionären ungarischen ose Schattierungskunst entschädigt. „Bach Toccatas“

Amandine Savary (muso)

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September – Ok tober 2014

„Guitarra Clásica del Perú“ Minuets von Pedro Ximénez, Anónimos u.a.

Alexander-Sergei Ramírez (Avi-Music) Track 6 auf der crescendo Abo-CD: „Menuett Nr. 74 e-Moll“ von Ramírez

Die Gitarre ist „das“ klassische Soloinstrument Lateinamerikas. Und als wahre Schätze erweisen sich die Gitarrenstücke des erst vor Kurzem „wiederentdeckten“ peruanischen Komponisten Pedro Ximénez (1780 –1857). Der in Düsseldorf lebende peruanische Gitarrist Alexander-Sergei Ramirez hat Ximénez so eindringlich mit Noblesse, Feingefühl und großer Herzens-Intensität zum Leben erweckt, dass man schon nach dem ersten der insgesamt 24 „Minuets“, die 1844 in Paris erschienen, der faszinierenden Schönheit seines Spiels erliegt, und sich dann mehr als eine Stunde lang wundert über die musikalische Qualität und die lyrische Kraft dieser meist einfach gebauten, 32 Takte langen Miniaturen. Das ist das schönste, das suggestivste Gitarrenalbum seit Langem und ein weiteres empfindsames Plädoyer für die Intimität und den Zauber der klassischen Gitarre, die, wenn sie so leuchtend und perfekt gespielt wird, endlich auch in unseren Breitengraden mehr Freunde finden sollte.

G. Mahler: „Sinfonie Nr.1 („Titan“)“

Bolschoi Staatsballett Belarus

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Tour 2014/2015

NDR-Sinfonieorchester, Thomas Hengelbrock (Sony Classical)

Gustav Mahler, den man als Symphoniker lange verkannte, ist in den letzten Jahren zu einem „Klassiker“ aufgestiegen. Allein von der viersätzigen Fassung seiner Ersten gibt es knapp 300 (!) Aufnahmen: Jetzt hat Thomas Hengelbrock, neuer Chef des NDR-Sinfonieorchesters, für sein Mahler-Debüt die selten gespielte Hamburger Fassung von 1893 gewählt, die noch den später gestrichenen nostalgischen „Blumine“-Satz enthält. Zu dieser frühen Version verfasste Mahler auch recht blumige poetische Kommentare, die er später bereute. In Hengelbrocks betont frischer, jugendlich-schwungvoller Lesart spürt man keine besonderen „programmatischen“ Akzente. Er reiht sich ein in eine Tradition musikalischer Aufklärer, die vor allem den individuellen Charakter der einzelnen Sätze klar herauszumeißeln suchten: Deutlichkeit, kontrapunktische Vielstimmigkeit, stramme rhythmische Konturen sind seine Maßgaben, und so gelingt es ihm, dem mit Ironie gewürzten Erstling des späteren Mystikers den subversiven Stachel eines rebellischen Jugendwerks zurückzugeben: Hier erobert einer „mit vollen Segeln“ neue Welten. „Alive“

11.12.2014 • Theater im Forum am Schlosspark • Ludwigsburg “SCHWANENSEE” Ticketservice im MIK (07141) 910 39 00 13.12.2014 • Philharmonie München “SCHWANENSEE” München-Ticket (089) 54 81 81 81 15.12.2014 • Theater am Potsdamer Platz Berlin “SCHWANENSEE” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

17.12.2014 • Konzerthaus Dortmund “DER NUSSKNACKER” Konzerthaus Dortmund (02 31) 22 696 200 18.12.2014 Ruhrfestspielhaus Recklinghausen “DER NUSSKNACKER” RZ-Ticket-Center (02361) 1805-2730 19.12.2014 • CCH Hamburg “DER NUSSKNACKER” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

20.12.2014 • Colloseum Theater Essen “DER NUSSKNACKER” Eventim (01806) 57 00 70

Hiromi, The Trio Project mit Anthony Jackson und Simon Phillips (Telarc)

Auch im Jazz gibt es zunehmend weibliche Leitfiguren: die Japanerin Hiromi ist freilich keine normale Pianistin, sondern eine ständig unter Hochspannung stehende Hypervirtuosin, ein echter musikalischer Vulkan, der mit atemberaubenden Läufen durch alle Sphären des Jazz, des Rock, Fusion, Blues und Soul hindurchwirbelt und ihren verwegenen Tastendonner noch mit Elementen aus Klassik und Avantgarde anreichert. Mittlerweile ist die zierliche 34-Jährige mit dem riesigen Haarschopf eine weltweit gefeierte Ikone, die mit den besten Musikern zusammenarbeitet: So auch auf ihrem neuesten Album „Alive“, auf dem sie mit dem RockDrummer Simon Phillips und dem Six-String-Bassisten Anthony Jackson einen hochkomplexen Powertrip unternimmt durch die Stile und Charaktere eines weltoffenen und noch immer kraftvoll geerdeten, vor Lebensenergie berstenden Jazz-Rock. Mit einer solchen charismatischen Zauberhexe braucht man sich nicht zu sorgen um die Zukunft dieses Genres.

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(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

21.12.2014 • Stadthalle Bayreuth “DER NUSSKNACKER” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

22.12.2014 • Congress Centrum Ulm “DER NUSSKNACKER” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

27.12.2014 • Stadthalle Bielefeld “DER NUSSKNACKER” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

28.12.2014 • Theater am Aegi Hannover “DER NUSSKNACKER” 29.12.2014 • Theater am Aegi Hannover “SCHWANENSEE” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

30.12.2014 • Jahrhunderthalle Frankfurt “SCHWANENSEE” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

2.01.2015 • Gewandhaus zu Leipzig “DER NUSSKNACKER” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

3.01.2015 • Georg-Friedrich-Händel-Halle “DER NUSSKNACKER” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

4.01.2015 • Musik- und Kongreßhalle Lübeck “SCHWANENSEE” Eventim (01806) 57 00 70

(0,20 €/Anruf aus d.d. Festnetz, Mobilfunkpreise max. 0,60 €/Anruf)

6.01.2015 • Kultur + Kongress Zentrum Rosenheim “SCHWANENSEE” (08031) 365 9 365 7.01.2015 • Großes Festpielhaus Salzburg “SCHWANENSEE” Kartenbüro Polzer (0043) 0662-845 110

23.12.2014 • Liederhalle Stuttgart “DER NUSSKNACKER” Eventim (01806) 57 00 70

13.01.2015 • Liederhalle Stuttgart “SCHWANENSEE” Eventim (01806) 57 00 70

25.12.2014 • PaderHalle Paderborn “DER NUSSKNACKER” Paderborner Ticket-Center (05251) 299 750

15.01.2015 • Staatstheater Kassel Opernhaus “DER NUSSKNACKER” (0561) 1094 222

26.12.2014 • Jahrhunderthalle Frankfurt “DER NUSSKNACKER” Eventim (01806) 57 00 70

19.01.2015 • Musical Dome Köln “SCHWANENSEE” Köln-Ticket (0221) 2801

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h ö r e n & s e h e n

Lisa Batiashvili

Foto: Sammy Hart / DG

Familienbunde

„Bach“ Lisa Batiashvili (Deutsche Grammophon)

Familiäre Beziehungen kennzeichnen das neue Album der georgischen Geigerin Lisa Batiashvili – auf Seiten der darauf vertretenen Komponisten (sehr bekannte Werke J. S. Bachs werden mit der Triosonate in h-Moll Wq 143 seines Sohnes Carl Philipp Emanuel kombiniert) sowie auf Seiten der mitwirkenden Musiker. Batiashvili, Artist in Residence beim New York Philharmonic Orchestra und neuerdings auch beim Hamburger NDR Sinfonieorchester, hatte bei der Aufnahme ihren Ehemann, den Obois­

Ivan Ilić

Solo

Der ­ ranszendentalist T

Der serbo-US-amerikanische Pianist Ivan Ilić veröffentlicht schon seit mehr als 10 Jahren CDs im Selbstverlag. Nun hat er sich mit dem eigenwilligen Label Heresy aus Irland zusammengetan, das immer für eine Provokation gut ist. Auf seiner ersten CD für das irische Label kombiniert Ilić Musik von Morton Feldman mit Stücken von Alexander Skrjabin – und sieht da eine Verbindung: Ein Freund Skrjabins sei Feldmans erster Klavierlehrer gewesen, und Feldman habe stets betont, wie sehr ihn seine eigenen frühen Kompositionen an Skrjabin erinnert hätten. Wer das für konstruiert hält, sollte in dieses Album ruhig einmal reinhören. Es ist absolut verblüffend, wie nahe manches Skrjabin-Stück der musikalischen Welt von Feldman und John Cage kommt. Ivan Ilić, der bei dem großen François-René Duchâble studierte, entpuppt sich als hervorragender Interpret mit einer berührend persönlichen Note. Ein rundum interessantes Album.

RA

„The Transcendentalist. Musik von Skrjabin, Feldman, Cage, Wollschleger“ Ivan Ilić (Heresy) 34

ten François Leleux, sowie ihr freundschaftlich verbundene Instrumentalisten an ihrer Seite. Technische Vollkommenheit und eine sorgfältige Ausarbeitung jeder einzelnen Phrase bestimmen die Werkinterpretationen; den oft gehörten Kompositionen (wie dem Violinkonzert BWV 1042) wird ein ganz eigener, zumeist kraftvoll-geschmeidiger Ausdruck verliehen. Aber auch und gerade die leisen Töne, wie im Andante der a-Moll-Solo­ sonate BWV 1003, machen die CD zu einem Volltreffer.

JH

Danae Dörken

Lena Neudauer

Fantastisch!

Spannender Mozart

Danae Dörken studierte ab ihrem 10. Lebensjahr bei dem berühmten Klavierprofessor KarlHeinz Kämmerling. Seit dessen Tod wird sie von Lars Vogt gecoacht – ebenfalls ein Kämmerling-Eleve. Doch was die junge Pianistin auf Fantasy zu bieten hat, zeugt von einer ganz eigenen Persönlichkeit und Reife. Dörken ist eine von verschwindend wenigen aus der Riege des jungen Klaviernachwuchses, der man es zutrauen kann, einmal zu den künstlerisch wirklich Bedeutenden zu gehören. Schumanns Fantasie Op. 17 spielt sie mit viel Poesie und trifft auf ideale Weise den speziellen „Ton“, den diese Musik benötigt. Technisch steht Dörken bereits mit ihren 22 Jahren auf dem Zenit: Das zeigt auch die Wanderer-Fantasie, die sie ebenfalls viel feindynamischer gibt, als der pianistische Mainstream. Ihre Lesart der Fantasie fisMoll von C. P. E. Bach ist darüber hinaus eine selbstbewusste Absage an die Alte-MusikSzene mit ihren knöcherig klingenden Originalklangklavieren. Erfrischend!

RA

Ganz ohne PR-Hype und inszenierte Hochglanzfotos kommt diese wunderbare Doppel-CD mit den fünf Violinkonzerten Mozarts daher. Lena Neudauer spielt sie mit einer frischen, lebendigen und ungemein differenzierten Tongebung. Hier ist man tatsächlich vom ersten Takt an gefangen, denn alles passt hier zueinander: der klare Klang des Orches­ ters, das von Bruno Weil zu schlankem, pointiertem Spiel motiviert wird, und die scheinbare Leichtigkeit der immer alerten, aber niemals aufdringlich wirkenden Solistin. Sie führt die Linie flexibel mit satzgreifendem, schwerelosem Bogen, ohne falsches Melos in den langsamen Binnensätzen und energetisch ausbrechend in den schnellen Ecksätzen. Das bereitet große Hörfreude, weil hier alles homogen und verständlich wirkt, im klug austarierten Zusammenspiel natürlich entwickelt ist und der Musik den Vorrang lässt. Hier muss sich kein Wunderkind behaupten und keine Griffakrobatik ausgestellt werden. Deswegen ist diese Neueinspielung so stark.

US

„Fantasy. Musik von Schumann, Schubert, C.P.E. Bach“ Danae Dörken (Ars Produktion) Track 8 auf der crescendo Abo-CD: „Allegro con fuoco“ aus: „Fantasie C-Dur op. 15“ von Schubert

W. A. Mozart: „Violinkonzerte 1-5, Adagio KV 261, Rondos KV 269 & 373” Lena Neudauer, Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern, Bruno Weil (Hänssler Classics) Track 2 auf der crescendo Abo-CD: „Adagio“ aus: „Violinkonzert Nr. 1 B-Dur KV 207“ www.crescendo.de

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September – Ok tober 2014

h ö r e n & s e h e n Marc-Antoine Charpentier

Marienhuldigungen zu Versailles Marc-Antoine Charpentier (1643–1704), Lullys bedeutendster französischer Zeitgenosse, ist den meisten Hörern nur durch das Prélude zu seinem Te Deum bekannt, welches als Eurovisions-Hymne populär wurde.

Charpentier hat herrliche Messen und Motetten geschrieben, doch das wenigste erschien im Druck, und Jordi Savall und sein Team haben das ausgesucht, was ihnen am wertvollsten erschien: eine große Missa assumpta est Maria und den vielteiligen Canticum ad Beatam Virginem Mariam sowie Stücke für Gambenconsort. Das Programm ist auf 2 CDs und einer DVD dokumentiert, wobei die Gegenüberstellung des Versailler Konzertmitschnitts von 2004 und der alten 1989er-Aufnahme des Canticum mit Montserrat Figueras und einem komplett anders besetzten Ensemble sehr interessant ist. Ein aufwändig gestaltetes Booklet ergänzt diese herrlichen Klanggewänder der Marienverehrung, die sehr andachtsvoll vorgetragen werden. CS

Im p r e s s u m Verlag Port Media GmbH, Rindermarkt 6, 80331 München Telefon: +49-(0)89-741509-0, Fax: -11 info@crescendo.de, www.crescendo.de Port Media ist Mitglied im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger und im AKS Arbeitskreis Kultursponsoring

Herausgeber Winfried Hanuschik | hanuschik@crescendo.de

Verlagsleitung Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de

Chefredakteur Robert Kittel (RK, verantwortlich)

Art director Stefan Steitz

REdaktion Anna Novák (AN), Sina Kleinedler (SK)

schlussREdaktion Edigna Hackelsberger

Alte Musik

„Marc-Antoine Charpentier à la Chapelle Royale de Versailles“ Le Concert des Nations, Jordi Savall (Alia Vox) Track 10 auf der crescendo Abo-CD: „Canticum in honorem Beatae Virginis Mariae ...“

Concerto Italiano

Nicht kleckern, sondern klotzen Verzierungen, virtuose Passagen und eine reiche Instrumentierung zeichnen Claudio Monteverdis in Venedig entstandene Werksammlung Selva morale e spirituale aus. Die Vespri solenni per la festa di San Marco feiern den Namenspatron des Markusdoms unter anderem mit Psalmen und Antiphonen aus dieser Sammlung. Monteverdis Musik inszeniert kein stilles Gebet, eher ein rauschendes Fest – und das Ensemble Concerto Italiano versteht sich aufs Feiern. Unter der Leitung von Rinaldo Alessandrini glänzen vor allem die acht SängerInnen, wundervoll ergänzt vom Instrumentalensemble, das auch ohne Gesang brilliert. Nur die Blasinstrumente werden sich nicht immer einig – schade, denn gerade die Posaunen sorgen bei Monteverdi für das festliche i-Tüpfelchen. Dennoch: eine rundum gelungene Aufnahme – und die beiliegende DVD zeigt neben Proben und Aufnahmen auch, wie eine echte italienische Bohnensuppe zubereitet wird.

MW

Claudio Monteverdi: “Vespri Solenni per la Festa di San Marco” Concerto Italiano, Rinaldo Alessandrini (Naïve) Track 11 auf der crescendo Abo-CD: „Motectus in loco antiphonae: Cantate domino“

Autoren Tobias Haberl, Teresa Pieschacón ­Raphael (TPR), Antoinette Schmelter de Escobar (SDE)

Kolumnisten Attila Csampai, Daniel Hope, John Axelrod, Axel Brüggemann, Christoph Schlüren (CS)

Mitarbeiter dieser Ausgabe Angelika Rahm (AR), Uwe Schneider (US), Klaus Härtel (HÄ), Stefanie Paul, Götz Bühler (GB), Ralf Dombrowski (RD), Rainer Aschemeier (RA), Malve Gradinger (GRA), Carla Neumann (CN), Julia Hartel (JH), Maximilian Stössel (STÖ), Barbara Schulz, Katherina Knees (KK), Magdalena Wolf (MW), Dorothea Walchshäusl, Ruth Renée Reif, Holger Wemhoff, Stefan Sell, Hannah Glaser, Angelika Otto & Bob Coat.

Projektleitung plus regional Liselotte Richter-Lux | richter-lux@crescendo.de

Verlagsrepräsentanten Tonträger: Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de Kulturbetriebe: L. Richter-Lux | richter-lux@crescendo.de Hifi & Marke: Heinz Mannsdorff | mannsdorff@crescendo.de Verlage: Hanspeter Reiter | reiter@crescendo.de

Auftragsmanagement Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de Angelika Otto | otto@crescendo.de

Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 17 vom 16.09.2013

Druck Westermann Druck, Georg-Westermann-Allee 66, 38104 Braunschweig

Vertrieb Axel Springer Vertriebsservice GmbH, Süderstr. 77, 20097 Hamburg www.as-vertriebsservice.de

Grigoryan Brothers

Erscheinungsweise

Russisch paradox

crescendo ist im Zeitschriftenhandel, bei Opern- und Konzert­häusern, im Kartenvorkauf und im Hifi- und Tonträgerhandel erhältlich. Copyright für alle Bei­träge bei Port Media GmbH. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht unbedingt die der Redaktion wieder. Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird keine Gewähr übernommen.

Erstens schrieb Tschaikowski Die Jahreszeiten über den Winter 1875/76 hinweg als Zyklus von zwölf Miniaturen für Klavier im Auftrag eines Petersburger Verlegers, der daraus eine Reihe in seiner Musikzeitschrift machen wollte. Zweitens sind es keine Stücke, die häufig als Ganzes aufgeführt und aufgenommen werden – zu leicht, zu unspektakulär, zu salonmäßig. So ist es drittens etwas Besonders, dass die australischen Grigoryan-Brüder diese Sammlung mit akustischen Albumblättern zu jedem Monat in einer Bearbeitung für zwei Gitarren festgehalten haben.

Die Transkriptionen stammen von ihrem Vater, selbst Geiger, Komponist, Arrangeur, und die Interpretationen sind beeindruckend ausgewogen im Wechselspiel von Natürlichkeit, Pointiertheit und Präsenz. Das mag daran liegen, dass der ältere Bruder Slava zuweilen mit Jazzkollegen wie Ralph Towner und Wolfgang Muthspiel arbeitet und auf diese Weise die Flexibilität des Ausdrucks gewohnt ist. Es Neue liegt aber auch am intuitiven Zusammenwirken der Geschwister, die den Stücken noch eine Welten empathische Ebene hinzufügen.

RD

Abonnement Das crescendo premium-Abo umfasst sieben Ausgaben, inklusive­„crescendo Festspiel-Guide“ und zusätzlich sechs exklusive heftbegleitende premium-CDs und kostet 49,90 EUR pro Jahr inkl. MwSt. und Versand (Stand: 1.1.2012). Versand ins europ.

Ausland: zzgl. EUR 3,- je Ausgabe Bank-/Portospesen. Zahlung per Rechnung: zzgl. EUR 5,Bearbeitungsgebühr. Kündigung: nach Ablauf des ersten Bezugsjahres, jederzeit fristlos.

Abo-Service crescendo, Postfach 13 63, 82034 Deisenhofen Telefon: +49-89-8585-3548, Fax: -362452, abo@crescendo.de Verbreitete Auflage: 68.837 (laut IVW-Meldung 1/2014) ISSN: 1436-5529 geprüfte Auflage

Beilagenhinweis: Diese Ausgabe enthält einen Beihefter von CLASS.

Das nächste crescendo erscheint Am 15.10.2014

„Pyotr Ilych Tchaikovsky – The Seasons“ Grigoryan Brothers (Material records) 35

h ö r e n & s e h e n

Berliner Philharmoniker

Orchester

Aufbruchstimmung

dabei weniger überraschend als die unglaubliche Frische, die phänomenale Präzision, und der hohe Respekt, den diese wirklich abgebrühten Elitemusiker dem so oft (zu Unrecht) gescholtenen Sinfoniker Schumann hier entgegenbringen, als spielten sie ihn zum ersten Mal, als wollten sie uns Zuhörer mit ihrem ganzen Herzenseinsatz überzeugen von den Schönheiten, der inneren Vielfalt und dem Farbenreichtum der Schumannschen Partituren. Was Riccardo Chailly zuvor schon beim Gewandhausorchester mit Beethoven versuchte, nämlich die rasenden Tempi der „Historisten“ auf ein großes Traditionsorchester zu übertragen, das gelingt hier Rattle mit souveräner Eleganz, wobei er eine wunderbare Balance findet zwischen romantischem Klangzauber und einer auf totale Transparenz ausgerichteten fein konturierten Vielstimmigkeit: ein überzeugender Befreiungsschlag.

AC

Robert Schumann: „Symphonien Nr. 1–4“ Berliner Philharmoniker, Simon Rattle (Berliner Philharmoniker)

Foto: Richard Curc

Nun haben die traditionsreichen Berliner Philharmoniker (endlich) auch ihr eigenes Label: Damit übernimmt diese „Republik“ freier Topmusiker, wie zuvor schon andere renommierte Klangkörper, die vollständige Kontrolle über ihre Aufnahmen und somit auch die Verantwortung für ihr klingendes Erbe. So hat man ein aufwändiges Startpaket geschnürt mit allen Symphonien Schumanns in einer in feines Leinen gebundenen recht­ eckigen Fibel, die neben einem 50-seitigen Textteil das Musikprogramm gleich mehrfach anbietet: auf zwei herkömmlichen Audio-CDs und als hochauflösende Blu-ray-Disc mit einer Audio- und Videoversion aller Werke. Außerdem enthält jede Box einen kostenlosen Audio-Download des Zyklus und ein 7-Tage-Ticket zum Besuch des neuen eigenen VideoStreaming-Portals, der sogenannten „Digital Concert Hall“. Aber wie steht es um den Inhalt dieser technischen Materialschlacht? Um es kurz zu machen: Simon Rattle und seine Berliner zeigen sich hier in absoluter Bestform und bereichern mit vier herausragenden Aufnahmen die aktuelle Schumann-Diskussion: Dass man diesen Neustart einem deutschen Romantiker widmete, und nicht irgendeinem „Halb-Wiener“, scheint

Hartmut Haenchen und sein Orchester.

Nikolaus Harnoncourt

Hartmut Haenchen

Wie eine Stahlbürste

Abschiedsgruß

„Instrumental-Oratorium“ nennt Nikolaus Harnoncourt die Trias der letzten Mozart-Sinfonien, und er verweist auf deren zyklische Einheit, die Motivverbindungen, die Übergänge. Diese drei zwischen Mitte Juni und Mitte August 1788 ohne Auftrag entstandenen Werke haben Harnoncourt ein Musikerleben lang beschäftigt, kurz vor seinem 85. Geburtstag veröffentlicht er seine spannende, ja elektrisierende Neudeutung. Wie eine Stahlbürste fegt er über die – viel zu oft glattpolierte – Oberfläche gewohnter Mozart-Interpretation und legt die darunter liegende Maserung frei. „Sein“ Concentus Musicus folgt diesem Ansatz virtuos und expressiv, mit beseelter Energie. Das Resultat, voll Farbe und Kontrast, ist ebenso klangästhetisch überzeugend wie verblüffend: Vertraut Geglaubtes klingt aufregend neu, manchmal leidenschaftlich, ja rau, dann wieder zart – eben wie ein aufwühlendes „Seelendrama“, der Maestro hat recht. AR

Im Konzerthaus in Berlin ist am 1. Mai 2014 diese Live-Aufnahme entstanden.

Das Kammerorchester Carl Philip Emanuel Bach beendet damit unter der Leitung von Hartmut Haenchen nach 34 gemeinsamen Jahren seine Konzerttätigkeit. Angesichts dieser Tatsache könnte man Trauer verspüren, wäre da nicht die unwiderstehliche optimistische Energie, die den letzten drei Sinfonien von Wolfgang Amadeus Mozart innewohnt. Das Kammerorchester interpretiert sie mit einer solch leichtfüßigen Inbrunst, dass an Abschiedsschmerz gar nicht zu denken ist. Eher an Freude darüber, dass es diese Musik gibt, die von ausgezeichneten Musikern zum Leben erweckt wird. Die Jupiter-Sinfonie wird von ihren sinfonischen Schwestern in Es-Dur und g-Moll begleitet. Hartmut Haenchens Faible für das Experimentieren mit Mozarts Tempi lässt die Aufnahme ganz besonders lebendig geraten. Für Haenchen ist es oberstes Gebot, so nah wie möglich an die Wünsche und Vorstellungen des Komponisten heranzukommen. Das kann man von der ersten bis zur letzten Sekunde spüren – in der detaillierten Klanggestaltung und in den feinen Nuancen. Mozart pur und vom Feinsten.

KK

Wolfgang Amadeus Mozart: „Sinfonien Nr. 39–41“ Concentus Musicus Wien; Nikolaus Harnoncourt (Sony Classical) 36

W. A. Mozart: „Sinfonien 39, 40, 41“ Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach, Hartmut Haenchen (Berlin Classics) Track 1 auf der crescendo Abo-CD: „Adagio-Allegro“ aus: „Sinfonie Nr. 39 Es-Dur KV 543“ www.crescendo.de

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September – Ok tober 2014

h ö r e n & s e h e n

KLASSIKER AUS WIEN Neuerscheinungen des Labels der Wiener Symphoniker

Foto: Peter Fischli

WS 006, LIVE-AUFNAHME AUS DEM MUSIKVEREIN WIEN, AB SOFORT ERHÄLTLICH AUF CD UND ALS DOWNLOAD

Orchester Claudio Abbado

Für die Ewigkeit Claudio Abbados Tod traf im Januar die Musikwelt. Mit ihm hat sich einer der letzten großen Maestros der letzten gut 50 Jahre verabschiedet. Nur wenige prägten die Interpretationskunst so seriös und in gesunder Distanz zu den Auswüchsen des Musikbetriebes wie er. Erfreulicherweise ist die Zahl der von ihm hinterlassenen Tonträger groß. Sein letztes Konzert dirigierte er im August 2013 beim Lucerne Festival. Noch einmal dirigierte Abbado das von ihm gegründete Festivalorchester, in dem stets nur von ihm eigens ausgewählte Musiker spielten, die seine Ideale gemeinsamen Musizierens teilten. Eine prominente Namensliste, die mit der Präzision eines gleichen Denkens die Details einer selten zu hörenden Klarheit zum Klingen bringt. Auf dem Pult lag die von Abbado geschätzte Kombination der beiden unvollendeten Sinfonien Schuberts und Bruckners. Letztere kann man nun auf CD nachhören, in einer von scheinbarer Gewichtslosigkeit und Transparenz geprägten Lesart, die ohne aufgesetzte Altersmilde einen schlichten, innigtröstenden Ton entfaltet. Ein Bruckner für die Ewigkeit.

US

TCHAIKOVSKY Symphony No. 6 in b minor op. 74 Symphonie Nr. 6 h-moll op. 74

WS 007 HISTORISCHE AUFNAHME 1967, AB OKTOBER 2014 ERHÄLTLICH AUF CD UND ALS DOWNLOAD

Anton Bruckner: „Symphony No. 9“ Lucerne Festival Orchestra, Claudio Abbado (Deutsche Grammophon)

John Axelrod

Brahms und die Liebe Dieses Album dreht sich um die Liebe: um die Liebe zur Musik von Johannes Brahms und um die Liebe von Johannes Brahms, die in seiner Musik spürbar ist. Die Kombination seiner Sinfonien Nr. 1 und Nr. 3 mit Liedern von Clara Schumann ist dramaturgisch durchdacht. Hat sich durch die Gefühle füreinander die Musik, die die beiden Künstler geschrieben haben, verändert? Über diesen Gedanken beim Hören des Albums zu sinnieren, ist fast so, wie einen guten Liebesroman zu lesen.

Oder sogar noch besser. Denn die beim Label Telarc jüngst erschienene Aufnahme ist ästhetisch einfach durch und durch meisterhaft gelungen. Man spürt, dass John Axelrod tief in die Klangwelten des Schumann-Brahms-Kosmos eingetaucht ist – als Dirigent vor dem Orchester und auch als Pianist am Flügel, wenn er den Bariton Wolfgang Holzmair und die Sopranistin Dame Felicity Lott in den Liedern begleitet. Der Klang des Orchestra Sinfonica di Milano Giuseppe Verdi ist satt und ausgewogen, die Streicher nehmen mit hörbarem Genuss ein Bad in den weiten Bögen der Partitur. Ein schöner Kontrast zum sinfonischen Brausen ist die zärtlich-intime Interpretation der Lieder.

KK

„Brahms beloved II“ Damce Felicity Lott, Wolfgang Holzmair, Orchestra Sinfonica di Milano Giuseppe Verdi, John Axelrod (Telarc) 37

GUSTAV MAHLER „The Song of the Earth“, symphony for tenor, alto and orchestra „Das Lied von der Erde“, Symphonie für Tenor, Alt und Orchester

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100 Jahre Ferenc Fricsay

Leidenschaft und Intensität Das künstlerische Wirken Ferenc Fricsays ist untrennbar verbunden mit dem Wiederaufbau des Berliner Musiklebens in den turbulenten Nachkriegsjahren. Zu seinem 100. Geburtstag veröffentlicht die Deutsche Grammophon nun alle Orchesteraufnahmen des Dirigenten auf 45 CDs

I

m Berlin der Nachkriegsjahre leitete der 1914 geborene macht: Denn gerade bei ihm sind die beiden Phasen seiner AktiviBudapester nach 1949 als Generalmusikdirektor die Städ- täten beim RIAS-Symphonie-Orchester (1949–1954) und beim spätische Oper und formte gleichzeitig das 1947 gegrün- ter umbenannten RSO Berlin (1957–1961) durch eine dramatische dete RIAS-Symphonie-Orchester zu einem der führenden Veränderung seines Musizierstils gekennzeichnet: Der ungestüme, Orchester Europas. Zugleich war er einer der wichtigsten jugendlich-drängende, brillante Rhythmiker der Mono-Ära verFörderer der Schallplatte und produzierte für die Deutsche Gram- wandelte sich zunehmend in einen vor Intensität und Leidenschaft mophon zahlreiche herausragende Opern- und Orchesteraufnah- berstenden, tiefschürfenden Geschichtenerzähler, der, wie Yehudi men, darunter die erste in Deutschland produzierte LP (1949) und Menuhin schwärmte, jedes Werk „zu einem Roman“ machte. die erste Stereoaufnahme (1957). Wenige Man kann dies sehr schön an seinem Wochen nach dem Mauerbau, im Septemunvollendeten Beethoven-Zyklus, der ihn „Der ungestüme, brillante ber 1961, dirigierte er die Premierenvorstelvon 1953 bis zu seinem Tod beschäftigte, lung an der neuerbauten Deutschen Oper in Rhythmiker verwandelte sich nachvollziehen. Neben den Wiener KlasBerlin, bevor seine schwere Erkrankung ihn seinen Hausgöttern, engagierte er zunehmend in einen tiefschür- sikern, noch im selben Jahr zum endgültigen Rücksich vor allem für die Werke seiner vormafenden Geschichtenerzähler.“ ligen Lehrer Bartók und Kodály, schätzte zug zwang. Fricsay starb im Februar 1963 im Alter von nur 48 Jahren in Basel und ist aber auch solche Zeitgenossen wie Blaheute, trotz seines umfangreichen klingenden Erbes, etwas in Ver- cher, von Einem, Hartmann, Egk, Hindemith und Fortner. Neben gessenheit geraten. einem breitgefächerten Mainstream-Repertoire enthält die JubiMöglicherweise bewog dieses allmähliche Verblassen seines läumsbox auch eine Reihe legendärer Konzertproduktionen, die Nachruhms die Universal-Bosse, ihn jetzt zu seinem 100. Geburts- Fricsays Gespür für herausragende Solisten eindrucksvoll belegen: tag umfassend zu würdigen: In zwei dicken Boxen wird der gesamte Géza Andas „idiomatische“ Kompetenz ist da etwa zu bestaunen Fricsay-Bestand erstmals auf CD veröffentlicht, und die gerade in den drei Klavierkonzerten Bartóks; oder der leidenschaftliche erschienene erste Folge mit seinen Orchesteraufnahmen umfasst Einsatz der jungen Johanna Martzy im Violinkonzert von Dvořák; 45 CDs, die jeweils in verkleinerte Original-LP-Covers gesteckt und ähnlich charismatisch auch die Mozart-Konzerte mit Clara wurden: Anstatt korrekte Eins-zu-eins-Umschnitte anzubieten, Haskil oder das c-Moll-Konzert Beethovens mit der energischen hat man beim Musikprogramm die größere Kapazität der Silber- Annie Fischer. Alles in allem erhält man hier einen lückenlosen, scheibe voll ausgenutzt und zusätzliche, auf dem Cover nicht ver- akustisch perfekt restaurierten Überblick über das künstlerische zeichnete Titel mit aufgenommen, was teilweise zu absurden Wider- Vermächtnis eines Dirigenten, dessen immenser Beitrag zur deutsprüchen führt, wenn etwa vorne drei Komponisten angegeben sind, schen Musikkultur bis heute nicht ausreichend gewürdigt scheint. sich auf der CD aber nur Werke von Kodály befinden (wie in CD Attila Csampai 25) usw. Weitere Verwirrung stiftet die alphabetische, nach Komponisten anstatt nach Aufnahmedaten geordnete Abfolge des Pro- „Ferenc Fricsay – Complete Recordings on Deutsche Grammophon Vol. 1 Orchestral Works“ gramms, das jetzt Fricsays künstlerische Entwicklung unkenntlich Diverse Solisten, RIAS-Symphonie-Orchester, RSO Berlin, Berliner Philharmoniker u.a. (DG) 38

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September – Ok tober 2014

Das casalQuartett

Foto: Lutz Jaekel

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KammerMusik Julian Prégardien

Richard Strauss

casalQuartett

Eine runde Sache

Eleganter Diskurs

Eleganter Richter

Der Papa hat legendäre Lied-CDs eingesungen, der Sohn legt nach.

Julian Prégardien hat sein Debütalbum vorgelegt: eine Lied-CD mit Werken von vier Komponisten. Ludwig van Beethovens An die ferne Geliebte singt der Tenor darauf mit fantastischer Artikulation und packend sehnsuchtsvoll. Der schelmische Liederzyklus Vier Temperamente beim Verluste der Geliebten von Carl Maria von Weber wiederum ist eine perfekte Bühne für das komödiantische Talent des 30-Jährigen und bei Richard Strauss᾽ Mädchenblumen kann er mit träumerisch-zarten Pianissimo-Tönen in hoher Lage faszinieren.

Zum Schluss wird mit Mörike-Liedern von Hugo Wolf wie An die Geliebte wieder durchdacht der Bogen zum Beethoven-Zyklus geschlagen. Eine runde Sache! Bei alldem zaubert der kongeniale Klangmaler Christoph Schnackertz mal empfindsam-sublim, mal virtuos-furios am Klavier. Eine Freude für das Kunstlied-Publikum! Und bestimmt auch für Papa Christoph.

STÖ

Text oder Musik – was hat Vorrang in der Oper? Diese Frage stellt Richard Strauss’ letztes Bühnenwerk Capriccio, allegorisch verwandelt in den Wettstreit eines Dichters und eines Komponisten um die Gunst der schönen Gräfin Madeleine. Mit seinem „Konversationsstück für Musik“, um 1775 in der Nähe von Paris spielend (wo kurz vorher Glucks Opernreform Aufsehen erregte), gelang Strauss ein eleganter Diskurs, ein kleines feines Parlando-Kammerspiel, das hohe Anforderungen an Orchester wie Ensemble stellt und – sehr geistreich, aber etwas handlungsarm – eher selten auf dem Spielplan steht.

Welch ein „Leckerbissen für kulturelle Feinschmecker“ (Strauss) es sein kann, zeigen Christoph Eschenbach am Pult der Wiener Staatsoper, Marc Arturo Marelli (Regie und Bühnenbild) und das hochkarätig besetzte Ensemble um Renée Fleming als Gräfin mit Charme und Esprit, zwischen biegsamem Geplauder und blühenden Kantilenen. AR

Fraglos gehört Franz Xaver Richter (1709– 1798) zu den ersten Komponisten, die echte Streichquartette geschrieben haben. Mehr noch, nach neuem Forschungsstand könnte Richter gar als Erfinder dieser Gattung gelten.

Denn seine 1768 in London als Opus 5 veröffentliche Sammlung von sechs Quartetten – bei der im Nachdruck 1772 ein Werk ausgetauscht wurde, so dass insgesamt sieben Quartette vorliegen – ist wohl bereits 1756/57 entstanden, also noch vor den Streichquartett-Anfängen eines Boccherini oder Haydn. Das Schweizer casalQuartett beweist dem musikhistorisch Interessierten wie dem „nur“ staunend Lauschenden eindrucksvoll und erstmals komplett auf zwei CDs die große Qualität von Richters sechs dreisätzigen DurQuartetten und dem etwas später entstandenen, viersätzigen g-Moll-Quartett: elegant, ausdrucksstark, einfallsreich und virtuos in den vier kompositorisch gleichberechtigt geführten Stimmen. AR

Lied

„An die Geliebte“ Julian Prégardien, Christoph Schnackertz (Myrios) Track 9 auf der ­crescendo Abo-CD: „An die Geliebte“ von ­Hugo Wolf

Oper

Richard Strauss: „Capriccio“ Bo Skovhus, Renée Fleming, Michael Schade, Angelika Kirchschlager, Orchester der Wiener Staatsoper, Christoph Eschenbach (cmajor)

„Genesis 1757 – F. X. Richter: ­Seven String Quartets op. 5“ ­casalQuartett (Solo Musica) Track 4 auf der crescendo Abo-CD: „Allegro spirituoso“ aus: „Streichquartett op. 5/5b g-Moll“

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Jazz

Gregory Porter

Auf der Überholspur Gregory Porter, der soulpoetische Mützenträger mit dem Footballer-Kreuz und der seelenpinselnden Bärenstimme ist ein Phänomen. Wann gab es zuletzt eine solche musikalische Erfolgsgeschichte um einen Anfang-Vierzigjährigen, der sich zudem vorrangig als Jazzsänger präsentiert? Zum Glück macht der Predigerinnensohn aus Kalifornien auf der Überholspur nicht nur alles richtig, sondern auch reichlich. Wer ihn in diesem Jahr noch nicht in Deutschland live erleben konnte, bekommt im September und Dezember weitere Chancen – einmal vor dem „Metropole Orchester“, später mit Max Herre als Gast. Und wer schon alle Songs von Porters drei wunderbaren Soloalben auswendig kennt, bekommt hier zusätzlichen Stoff. Das Album Issues of Life versammelt, getreu seinem Untertitel „features and

remixes“, Gastauftritte und elektronische Bearbeitungen – von Soul und Funk (etwa dem Titelstück mit den Zbonics aus San Diego) über Hardbop (Moanin’ mit den Great Voices of Harlem) und nahezu avantgardistische Jazz-Klänge oder Gospel-Bebop (mit dem David Murray Infinity Quartet) bis zu moderner Clubmusik (automart und Opolopo-remix).

Dass dieser stilistische Facettenreichtum eher fasziniert als irritiert, ist vor allem Porters Stimme zu verdanken: Ob sie shoutet, scattet, säuselt oder summt, immer berührt sie – mal den Bauch, mal die Beine, immer die Seele.

GB

“Issues Of Life – Features and Remixes” Gregory Porter (Membran)

Otis Brown III

Fabelhaft funktionierend „Was war das Letzte, was der Drummer sagte, bevor er aus der Band flog?“, fragt ein Witz auf drumjokes.com. Antwort: „Wollen wir nicht mal einen meiner Songs spielen?“ Trotzdem gibt es etliche bandleadende Drummer, gerade im Jazz – von Art Blakey über Max Roach bis Jack DeJohnette. Nachdem im letzten Jahr der Schlagzeuger Jaimeo Brown seine faszinierenden Avant-Jazz Interpretationen einiger Gospel-Stücke der „Gee’s Bend Singers“ vorlegte, folgt nun Otis Brown III mit seinem Debüt The Thought Of You, bei dem es ebenfalls „zentral um Glaube und Familie geht“, wie er sagt. Brown hat dafür einige namhafte New Yorker um sich geschart, an deren Seite er in den letzten Jahren oft schon als Drummer zu erleben war. Als Bandleader bringt er Robert Glasper (Keyboards), Keyon Harrold (Trompete), John Ellis (Saxofon), Ben Williams (Bass), Shedrick Mitchell (Orgel) und den noch immer als Geheimtipp geflüsterten Nir Felder an der Gitarre zu einer fabelhaft funktionierenden Einheit zusammen; mit ihrer spontanen Energie und Dichte lässt diese Band die hardboppenden Blue-Note-Traditionen aufleben – und modern wirken. Die gesanglichen Gastauftritte von SoulStar Bilal, der coolen Gretchen Parlato (mit einer wunderbaren Jazz-Version von Shania Twains You’re Still The One) und der Gospel-Queen Nikki Ross bringen The Thought Of You ohne Kompromisse in zugänglichere Regionen. Übrigens: die meisten der Kompositionen auf diesem Album stammen vom Drummer.

GB

„The Thought Of You” Otis Brown III (Blue Note)

Lars Danielsson

Höre und schwelge!

Und dann war da noch der Witz mit dem Touristen auf einer pazifischen Insel, der seinen ortskundigen Reiseleiter fragt, warum er so nervös wirke, während aus der Ferne Getrommel zu hören ist. „Es wird schlimm, wenn die Trommeln aufhören“, kommt die Antwort. „Warum?“ – „Wenn die Trommeln aufhören, kommt das Bass-Solo.“ Spätestens auf Platz 2 der unterschätzten Bandmitglieder stehen also die Bassisten. Auch hier könnte man große Namen von Ray Brown über Charlie Mingus bis zum erst kürzlich verstorbenen Charlie Haden als gute Gegenbeispiele zitieren. Oder man hört sich dieses zweite Liberetto des schwedischen Bassisten und Cellisten Lars Danielsson an und genießt die kraftvolle Leichtigkeit der Band und die durchweg gelungene Mischung aus kompositorischen Konzepten und improvisatorischer Eleganz. Spätestens in Danielssons Miniature kommen Folk-Song und Kammermusik so melodisch zusammen, dass es einem mehr Freude als Gedanken über Genrezugehörigkeiten macht. So soll es sein, meint Danielsson, denn „Musik zu verstehen ist gänzlich eine Sache des ehrlichen Gefühls“. Man höre und schwelge. GB

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„Liberetto II“ Lars Danielsson (Act)

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September – Ok tober 2014

AK T I ON

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Roland Petit

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Tanz Roland Petits Notre Dame de Paris (1965) wirkt in dieser (von Ex-Petit-Solist Luigi Bonino 2013 sorgsam einstudierten) exzellenten Aufführung des Balletts der Mailänder Scala erstaunlich modern. Der 2011 verstorbene französische Meister des Erzähl-Balletts mit Neigung zu Revue und Show konzentrierte sich auf die vier Hauptpersonen von Victor Hugos gleichnamigem historischem Roman von 1831: herrisch die weit ausholende Geste des Erzdiakons; Prinzen-virtuos der Hauptmann; skurril tänzerische Schritte des buckligen Glöckners, den Scala-Primoballerino Roberto Bolle hochsensibel dramatisch gestaltet. Berührend die Pas de deux mit Esmeralda, brillant von der russischen Gast-Ballerina Natalia Osipova. Wenn die zahlreichen, das Ballett auf zwei Stunden streckenden Tänze von Volk, Bettlern, Dirnen und Soldaten die 60er-Jahre verraten, so entwickelt sich doch das marionettenhaft-rhythmisch tanzende Corps in Yves Saint-Laurents Kostümen zwischen Mittelalter und MondrianModerne zu einem bunten, soghaften Kaleidoskop. Auch dank Maurice Jarres filmisch farbiger Partitur ein wahrer Klassiker.

GRA

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Roland Petit „Notre Dame de Paris“ (Opus Arte)

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Michael Tilson Thomas

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Überragende „West Side Story“

nuPro AW-350

NULINE 24

Es ist die erste Gesamteinspielung der West Side Story seit gefühlten Jahrzehnten, und sie ist überragend geworden! Was Michael Tilson Thomas mit seinem San Francisco Symphony Orchestra hier vorgelegt hat, ist absolut sensationell. Es ist die erste wirklich zeitgemäße West Side Story des 21. Jahrhunderts! Man hört das etwa daran, wie viele Freiheiten Tilson Thomas seinem Orchester und seinen Sängern lässt – und dabei trotzdem stets die Zügel in der Hand behält. Hören Sie sich mal den berühmten Mambo an: der pure Wahnsinn, wie die riesige „Big Band“ San Francisco Symphony hierbei regelrecht austickt. Wie aufregend, geradezu ekstatisch hier musiziert wird! Doch es finden sich auch sagenhaft atmosphärische, emotionale Momente („You’re not thinkin’ I’m someone else?“), die zeigen, dass hier quer durch die Bank nicht nur hervorragende Sänger am Werk sind, sondern dass diese auch großartige Schauspieler sind. Dieses Album ist ein glanzvolles Highlight in der bisherigen Veröffentlichungsgeschichte der West Side Story und z. B. Bernsteins eigener, gestelzter Variante aus den 1980ern – damals mit einem lächerlich gockeligen José Carreras und einer ärgerlich devoten Kiri te Kanawa – geradezu turmhoch überlegen. RA

Musical

Audio

Subwoofer

Leonard Bernstein: „West Side Story” Alexandra Silber, Cheyenne Jackson, San Francisco Symphony, Michael Tilson Thomas (SFS media) 41

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Bregenzer Festspiele

Der fliegende Engländer

Buch

Dieser Titel beschreibt ihn perfekt: David Pountney. Von seiner Wahlheimat Cardiff aus jettet der britische Regisseur für Produktionen zu den renommierten Opernhäusern in aller Welt. Seit 2004 ist er hochgeschätzter Intendant der Bregenzer Festspiele, die seit ihrer Gründung jeden Sommer knapp 200.000 Besucher mit großartiger Musik und märchenhaften Kulissen auf und um den Bodensee in ihren Bann ziehen. Niemals zuvor gab es so viele Ur- und Erstaufführungen in Bregrenz, nie zuvor wurden auch zeitgenössische Komponisten so präsent in den Fokus gerückt wie unter seiner Intendanz. Im nächsten Jahr wird die Österreicherin Elisabeth Sobotka die Position übernehmen. Das gab Pountneys persönlicher Assistentin und dem Pressesprecher der Festspiele den Anstoß, in einem liebevoll gestalteten Buch auf elf Jahre enger Zusammenarbeit zurückzublicken. Neben Bildern vom Begrenzer James-BondDreh und Pountney auf seinem Dienst-Klapprad erzählen nicht nur Regisseure, Sänger, Bühnenbildner, sondern auch der Intendant selbst von musikalischen Entdeckungen, spannenden Begegnungen und den Höhen und Tiefen des Festivalalltags.

SK

Rolando Villazón

Wortakrobat

Muss einer, der singen kann wie Rolando Villazón, dessen Name Konzertsäle füllt, dem die Fans zu Füßen liegen, der Cartoons zeichnet und Regie führt, muss er auch noch Romane schreiben? Muss er zu allen Gipfeln auch noch den Literaten-Olymp erklimmen? Er muss wohl, denn die Welt der Bücher ist ihm so wichtig wie die Luft zum Atmen. Und weil Villazón das Lesen und das Denken liebt, hat er viel zu sagen – wobei die Geschichte, die er spinnt, keineswegs linear verläuft: In der Welt des Clowns Macolieta, Hauptfigur des Romans, gibt es Durchlässe im Gewebe der Realität. Für seinen Lebensunterhalt tritt Macolieta mit seinen Freunden, dem Philosophen Claudio und dem Bauchredner Max, bei Kindergeburtstagen und kleinen Festen auf.

Zuhause in seinem Chaos aus Bücherbergen, Schminktöpfen, seiner Sonnenblume und einem Spinnen-Haustier fantasiert sich Macolieta in die Parallelwelt von Balancin, der als gefeierter Weltklasse-Clown das Publikum verzaubert. Wie diese beiden Figuren am Ende zu einer verschmelzen, das ist Villazóns erster literarischer Streich. Keine leichte Bettlektüre, mit all den surrealen Verschiebungen, melancholischen Reflektionen und einer zutiefst romantischen Sinnsuche, aber lohnenswert für alle, die dem tiefgründigen Tenor jenseits seiner Clownerien begegnen wollen.

HG

„Kunststücke“ Rolando Villazón (Rowohlt Verlag)

„Der fliegende Engländer“ Axel Renner, Dorothée Schaeffer (Bregenzer Festspiele)

Alfred Brendel

Bizarr und geistreich „Sterne machen keinen Regenbogen“ oder: „Die Liebe gibt entweder nichts oder zu viel“. Diese kleinen Weisheiten stammen aus den Gedanken des Schriftstellers Jean Paul. Gedanken hat sich auch wieder Alfred Brendel gemacht, der diese Zitate vollkommen unkommentiert zwischen eine Sammlung eigener Aufsätze und Vorträge stellt. Es geht darin um Aufnahmen und das sich stetig im Umschwung befindende Musikleben, um mehr oder weniger sinnvolle Spielgewohnheiten und Interpretationstraditionen. Besonders interessant sind die Geschichten der beiden Pianistinnen Katja Andy und Joyce Hatto. Die eine durch die Flucht vor dem Nazi-Regime in ihrer Konzertkarriere abgebremst, die andere in eine brisante Affäre um auf ihren Namen umgetaufte Einspielungen von mindestens 96 anderen Pianisten verwickelt. Brendels mit Anekdoten gespickte Ausführungen und Kommentare sind auch diesmal wieder: geistreich.

SK

„Wunderglaube und Misstonleiter“ Alfred Brendel (Hanser) Igor Strawinsky

Sehenswerte Musikdoku

Film

Wer denkt beim Namen Igor Strawinsky schon an Kalifornien? Eine ebenso hervorragend gemachte wie kurzweilige Musikdokumentation von Marco Capalbo geht dieser Phase des einstigen Enfant terrible der europäischen Avantgarde nach. Strawinsky war bereits 58 Jahre alt, als er 1939 in die USA auswanderte und sich in Hollywood niederließ. Bis zu seinem Tod 1971 sollte er dort leben. Der Film schildert die Phase der Eingewöhnung mit den glücklosen Versuchen, Filmmusik zu schreiben, die im kommerziellen Studiosystem Hollywoods zwangsläufig scheitern musste und in Enttäuschungen endete, wie im Falle von Disneys Fantasia. Es folgt eine lange Phase der künstlerischen Neuorientierung zwischen Neoklassizismus, Gelegenheitswerken und Suchen, die schließlich in einer Hinwendung zu neuen, von Schönbergs Zwölftontechnik und seriellen Prinzipien beeinflussten Kompositionstechniken mündet. Seltenes Archivmaterial, Zeitzeugenberichte, vor allem mit seinem langjährigen Assistenten und Protgée Robert Craft, illustrieren diese weithin unbekannte Lebensphase. US

„Stravinsky in Hollywood. A Film by Marco Capalbo” (Cmajor) 42

Angelika Kirchschlager, Konstantin Wecker

Unter Göttern

„Liedestoll“ sind Opernsängerin Angelika Kirchschlager und Liedermacher Konstantin Wecker in ihrem gleichnamigen Konzertprogramm – eröffnet von Weckers und Kirchschlagers glockenhellen Kinderstimmen. Von eigenen Kompositionen Weckers geht es querfeldein zu seinen „Göttern“ Schumann und Schubert. Und das Konzept geht auf: Gerade die unkonventionellen Interpretationen der großen Meister und die kluge Platzierung von Weckers eigenen Liedern schaffen eine intime Ebene, auf der Kirchschlager und Wecker hervorragend harmonieren. Schade nur, dass der Blick der beiden zu oft am Textblatt hängt und dabei gerade das Direkte und Persönliche des Vortrags verlorengeht. Durchweg überragend sind die Kompositionen und Arrangements von Pianist Jo Barnikel – und „liedestoll“ sind auch das mitreißende Spring String Quartet und Sebastian Trimolt (Schlagwerk).

MW

„Liedestoll“ Angelika Kirchschlager, Konstantin Wecker (Arthaus) www.crescendo.de

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September – Ok tober 2014

h ö r e n & s e h e n

Einer der kostbarsten Momente unseres Lebens?

Zum 100. Geburtstag von Richard Strauss᾽ „Josephs Legende“

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m 11. Juni war ein Musikliebhaber unter Ihrer Richard Strauss’ 150.

Leserschaft von Herrn Newman Geburtstag, und es daran gehindert worden sein sollte, gibt nur wenige Komdieses Stück zu hören, dann ist er ponisten, die zugleich auf grausamste Weise um einen der so erfolgreich und nach wie vor kostbarsten Momente seines Lebens umstritten sind. Der junge Strauss gebracht worden.“ Na, das ist doch schwang sich, angeregt von Berinteressant! lioz und Liszt, und gewissermaßen Was bei Josephs Legende, Die Christoph-Schlüren-Kolumne Wagners komplexe Harmonik und geschrieben mit immenser FarBrahms’ symphonische Kompaktbenpracht für ein Riesenorchester heit vereinigend, in schwindelerreund über eine Stunde in einem Satz gendem Tempo mit unvergleichliandauernd, auffällt, ist, dass sich das chem Elan zum Großmeister der symphonischen Dichtung empor; er Sujet psychologisch kaum von der Salome unterscheidet. Auch hier führte mit dem Don Juan, Tod und Verklärung und Till Eulenspiegels kann Strauss mit der Personifizierung der Unschuld wenig anfangen lustigen Streichen das Genre zum Höhepunkt mit einem melodisch und stürzt sich mit großer Lust auf die Entfesselung des Chaos weibentfesselten, bei allem glitzernden Luxus und gleißenden Effekt der licher Leidenschaft, die in maßloser Rache gipfelt. Nur landet diesmal Tonsprache stets das organische Ganze entfaltenden, unverkennbar nicht der Kopf des Heiligen in der Silberschüssel, sondern dieser wird machtvollen Personalstil. Wie seine Zeitgenossen Debussy, Sibelius, von einem Erzengel gerettet, und die Protagonistin erwürgt sich mit Scrjabin, Ravel und Schönberg übte er damit immensen Einfluss auf ihrer Perlenkette. Was ist Josephs Legende? Eine instrumentale Oper die nächsten Komponistengenerationen aus. In seinen großen Ton- ohne Worte. Eine ins Extrem der psychologischen Verästelung getriedichtungen wie Also sprach Zarathustra oder Ein Heldenleben erkun- bene symphonische Dichtung. Und ein in weitläufiger Opulenz recht dete er die Grenzen des Fassungsvermögens der einsätzigen sympho- unzeitgemäßes Ballett, für welches eher der Begriff „Tanzdrama“ nischen Form. Dann folgten mit Salome und Elektra jene zwei Opern, taugte, wie ihn später Heinz Tiessen in seiner expressionistischen die mit ihrer orgiastischen Wildheit und geballten Dissonanz Blicke Salambo weiterentwickelte. in eine völlig neue Welt eröffneten, zur Empörung des konservativen Dieses hypertrophe Stück muss kennenlernen, wer Strauss’ Lagers und zur Begeisterung der Umstürzler – doch hiernach voll- Kehrtwende plausibel nachvollziehen möchte, und die Partitur ist zog Strauss eine Kehrtwende zurück ins bürgerlich Kommensurable, mittlerweile erhältlich: Zusammen mit der Edition Peters hat der mit dem Rosenkavalier (1910) und allem, was folgte, zu einer Zeit, als Schott-Verlag eine nobel gebundene Richard Strauss Edition im Stumit Strawinskys Sacre du printemps, Bartóks Wunderbarem Manda- dienformat herausgebracht, die sämtliche Bühnen- und Orchesrin, Schönbergs Erwartung und Pierrot lunaire die ersten Flaggschiffe terwerke umfasst. Beide Teile dieser Edition sind zum Jubiläum zu der klassischen Moderne Kurs aufnahmen. Selbstbewusst bezog er einem unschlagbar günstigen Preis zu erstehen, viele der Werke kann Stellung: „Modern! Was heißt, modern? Betonen Sie mal das Wort man erstmals käuflich erwerben. Hand in Hand damit lohnt die anders! Habt Einfälle wie Beethoven, kontrapunktiert wie Bach, Anschaffung des vorzüglich informierenden Richard Strauss Handinstrumentiert wie Mozart und seid echte und wahre Kinder Eurer buchs (Metzler/Bärenreiter), aus welchem ich insbesondere Jürgen Zeit, dann seid Ihr modern!“ Schaarwächters hervorragenden Artikel „Strauss und die KompoAm 14. Mai 1914, vor 100 Jahren also, wurde in Paris von der nisten seiner Zeit“ hervorheben möchte, auch wenn ich darin mit Truppe Sergei Diaghilevs Richard Strauss’ erstes und einzig nachhaltig Heinz Tiessen und John Foulds zwei seiner wichtigsten und eigenbedeutendes Ballett Josephs Legende unter Leitung des Komponisten ständigsten Nachfolger vermisse. Tiessen übrigens hat einen Führer uraufgeführt. Um dieses Werk entspannen durch Josephs Legende verfasst – der Mann, der sich heftige Auseinandersetzungen. Berühmt treffend konstatierte: „Strauss war als originale ist der Londoner Pressekrieg vom Juni 1914, Vitalität aus der Zeit pathetisch-pessimistischen als Ernest Newman höhnte, Strauss sei „nun Wagner-Epigonentums herausgewachsen und einer der geistlosesten und gleichzeitig überstrahlte eine neue Spiel- und Lebensfreudigheblichsten Komponisten Deutschlands […], keit aus.“ Die vermittelt sich auch heute noch eine müde und desillusionierte Mittelmäßigungebrochen. keit, die hinter seinen Kollegen und hinRichard Strauss Edition: Bühnenwerke 18 Bände (Schott); ter uns herhinkt und uns zu dem Weg ­Orchesterwerke 12 Bände (Edition Peters); zurücklockt, der nirgendwo hinführt“.

Richard Strauss Handbuch (Metzler/Bärenreiter) George Bernard Shaw konterte: „Falls

Unerhörtes & neu Entdecktes

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A k u s t i k

Der neue iKlang

Foto: Screenshot Apple

Es tut sich was: Nachdem sich der Computergigant Apple des Themas Klassische Musik angenommen hat – und mit „Mastered for iTunes“ eine neue digitale Klangqualität anbietet, ­kommen auch die großen Labels mit entsprechenden Angeboten für Tablets und Smartphones.

Dirigent und Komponist Esa-Pekka Salonen spielt dabei den Botschafter.

Esa-Pekka Salonen in einer Szene seines Werbefilms, den er für Apple drehte.

A

nfang des Sommers bekamen wir die Möglichkeit, 10.000 Musikvideos, mehrere zehntausend Hörbücher, über 65.000 im Londoner Studio des Audio-Herstellers Bowers & Filme (zum Ausleihen und Kauf), über 250.000 TV-Episoden und Wilkins der neuen Klangqualität des Computerriesen mehr als 500.000 Apps speziell für das iPad. Seit dem Start des Apple zu lauschen. Das Zauberwort hieß: „Mastered iTunes Store im Jahr 2003 wurden mehr als 25 Milliarden Songs for iTunes“. Zu deutsch: Apples Portal zum Downloa- heruntergeladen.

Nur bekamen die Künstler bisher oft Gänsehaut, wenn sie ihre den digitaler Musik bietet einen sehr großen Teil seiner Tracks in neuer, stark verbesserter Klangqualität an. Selbst historische Auf- Recitals in digitaler Form wiederfanden und daraufhin bewertet nahmen, wie beispielsweise einige Alben von Maria Callas, wurden wurden. Der Konzertsaal Computer und Smartphone war bisher ein nur bedingt geliebter Begleiter. Da scheint die neue Technolovon den Tontechnikern neu formatiert.

Das ist insofern sehr positiv, weil sich viele Fans von klassi- gie ein wahrer Segen: Violinistin Janine Jansen behauptet, es sei bei scher Musik eben genau darüber beschwert hatten: Die Quali- ihrem ersten Test unmöglich gewesen, die Studioaufnahmen von der ‚Mastered for iTunes‘-Version tät bestimmter Aufnahmen hatte vor zu unterscheiden. Gitarrist Miloš allem bei den Feinheiten gegenüber Karadaglić sieht sogar eine neue der CD deutliche Schwächen. Das Dimension: Es gebe absolut gar Downloaden von klassischer Musik keinen Qualitätsverlust im Verhing der von populärer Musik auch gleich zur CD. Die Aufnahme der in den Verkaufszahlen stark hinterher.

Hinter Mastered for iTunes verbirgt sich ein spefranzösischen Pianistin Hélène Viele Labels erzählten von einstelligen zielles Verfahren, das von Apple für die EndabmiGrimaud von Beethovens KlaProzentzahlen, die das Geschäft mit schung von Musikproduktionen entwickelt wurvierkonzert Nr. 5 Emperor mit digitalen Downloads ausmache. Doch de. Es garantiert bestmögliche Klangergebnisse für der Staatskapelle Dresden wurde Apple, Künstler und Labels scheinen Aufnahmen, die bei iTunes als Musikdateien im zum Beispiel für die iTunes Clasdies gerne ändern zu wollen, denn der Format AAC angeboten werden. Apple verspricht, sical Essentials ausgewählt. GriDownloadmarkt ist am Ende ein sehr das Klangbild von Titeln, die mit Mastered for iTumaud sagt dazu: „Für das Vergroßer, wie man am Beispiel des Applenes gekennzeichnet sind, besitze größere Transpaständnis der Vision Beethovens Portals erkennen kann: Der iTunes renz, eine höhere Dynamik und weniger Verzerund die heroischen Themen in Store ist eine Art Super-Dussmann. Es rungen als auf herkömmlichen CDs realisierbar. seinem fünften Klavierkonzert gibt mehr als 37 Millionen Songs, über

Was ist „Mastered for iTunes“?

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September – Ok tober 2014

DG-App Wer die App der Deutschen Grammophon runterlädt und Abonnent wird, kann auf 450 Alben zugreifen.

ECHO KLASSIK

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ist bestmögliche Klangqualität erforderlich.“ Deshalb freue sie sich, dass iTunes die Aufnahme in diese besondere Serie einbezogen hat. Auch Anna Netrebko äußerte sich schon zum Thema: Sie applaudiere für das Engagement und dafür, klassische Musik einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Ihr Statement endet mit einem Netrebko-typischen „Bravo“. Selbst Manfred Eicher ist anscheinend überzeugt: Der Gründer des Labels ECM hat bereits 15 Alben ausgewählt, die jetzt erstmals mit neuem, für iTunes optimiertem Mastering erscheinen – darunter Klassiker wie Tabula Rasa von Arvo Pärt oder Officium Novum von Jan Garbarek / Hillard Ensemble.

Ortswechsel: Apple-Store am Kurfürstendamm Berlin.

Im ersten Stock des riesigen Anwesens sitzt der Dirigent Esa-Pekka Salonen. In dr Hand hält er ein iPad Air. Sein eigenes iPad, und das ist schon allein eine News.

Sie hatte das Denn viele Dirigenten aus der alten Schule lehnen die Gefühl, ihre Street moderne Technik komplett ab. Ein Mariss Jansons, der seinem Orchester mit einem iPad unter dem Arm Credibility sei hier Anweisungen gibt, ist eine komische Vorstellung. Bei gefährdet, sagt Salonen aber wirkt es authentisch. Und er hat auch eine eigene App im Gepäck: Sie nennt sich „Das Papa Esa-Pekka Orchester“, und man kann sie im iTunes Store kaufen.

Salonen.

Es ist eine Art Film-Dokumentation, in der man einzelne Kapitel selbst zusammenstellen kann. Salonen sagt, er wolle mit solchen Apps die klassische Musik greifbarer machen, natürlich vor allem für das junge Publikum. Marktforschung betreibt der Dirigent da gleich in der eigenen Familie. Seine Teenager-Tochter studiert in New York und ist bisher eher in der Heavy-Metal-Szene zu Hause. Er weiß also, dass die Jugend ihre Informationen und Unterhaltung aus dem Smartphone bezieht. Nur, dass ihr Vater für einen Werbespot von Apple auf riesigen Plakaten zu sehen war, fand sie nicht ganz so glücklich. Sie hatte das Gefühl, ihre Street Credibility sei hier gefährdet, sagt Papa Salonen schmunzelnd, und man merkt hier, wie sensibel es ist, zwei Generationen zusammenzuführen, ohne eine davon zu irritieren. Denn vor allem die klassischen Musiker selbst dürfen bei all dem technischen Aufwand nicht an Glaubwürdigkeit verlieren. Ein E-Cello ist für die meisten Konzertbesucher dann doch einen Tick zu viel.

Neben Salonen präsentierte soeben auch Rolando Villazón anlässlich der Salzburger Festspiele die erste Klassik-App des Labels Deutsche Grammophon.

Sie nennt sich DG Discovery und bietet Abonnenten „unbegrenzten Zugang zu erstklassigen Aufnahmen und einem reichhaltigen Fundus an Hintergrundinformationen“. So behauptet es jedenfalls das Label. Wer die App auf seinem Mobilgerät gespeichert und ein Abo abgeschlossen hat, kann im Moment auf 450 Alben zurückgreifen, natürlich nur von Künstlern, die bei Deutsche Grammophon unter Vertrag stehen oder standen. Das Abonnement kann man monatlich oder jährlich abschließen, es kostet 3,99 EUR für das Ein-Monats-Abo und 31,99 EUR (entspricht 2,67 EUR pro Monat) für ein Jahres-Abo. Wie gesagt: Es tut sich was.

Robert Kittel

Sonntag, 26. Oktober 2014 Philharmonie im Gasteig TV-Ausstrahlung 26. Oktober, 22:00 Uhr im ZDF

Eintrittskarten für die Verleihung Vorverkauf: München Ticket telefonisch: 089 54 81 81 81 online: www.muenchenticket.de Alle Informationen zur Verleihung und zu den Preisträgern 2014 www.echoklassik.de www.facebook.com/ECHO.Klassik www.youtube.com/Echomusikpreis #ECHOKLASSIK2014

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Während Leif Ove Andsnes spielt, können die gehörlosen Kinder die Vibration der Saiten und Hämmer des Klaviers spüren.

Fühlen Mit leif-Ove Das Mahler Chamber Orchestra und Pianist Leif Ove Andsnes wollen hörgeschädigten Kindern die Welt der Musik erlebbar machen. Ein beeindruckender Besuch beim Musik-Workshop „Feel the Music“ im norwegischen Bergen. Von Anna Novák Ole ist dran. Der Achtjährige tritt zögernd ein paar Schritte näher: zu „Feel the Music“ klingt logisch, schließlich war auch Beethoven blond, blauer Pulli, spitzbübisches Gesicht, kaum größer als ein zum Ende seines Lebens hin taub und komponierte einige seiner Notenpult. Der Konzertmeister lächelt ihn ermutigend an. Mit einer großen Meisterwerke trotz seines Hörverlusts.

Trotzdem ist es hier anders als bei Beethoven: Die meisten diekleinen Geste zeigt er dem norwegischen Jungen, wo jetzt sein Platz ist: im Lichtspot auf dem Dirigentenpult in den Grieghallen in Ber- ser Kinder haben in ihrem Leben noch nie einen Ton gehört. Kein gen, der Geburtstadt Edvard Griegs. Ole stapft los, hüpft auf das Pult, Blockflötenunterricht in der Schule, keine Kinderreime im Kinderwinkelt die Arme an. Ruckartig reißt er sie nach oben, das Orches- garten und kein Gute-Nacht-Lied. Wie kann man diesen Kindern ter spielt einen ersten lauten, schrillen Akkord. Ole grinst zufrieden. also die Musik irgendwie greifbar machen, die doch über die akustische Wahrnehmung funktioniert? Selbst Leif Ove Andsnes war da Aber gehört hat er nichts, denn Ole ist taubstumm.

Gemeinsam mit rund 15 anderen gehörlosen und hörbehin- am Anfang skeptisch. „Ich dachte, das kann nicht gehen“, sagt er derten Schülern im Alter zwischen acht und 16 Jahren ist Ole an rückblickend. Aber er hat es auf einen Versuch ankommen lassen diesem Tag im norwegischen Bergen Teil des Musikprojekts „Feel und ist Teil geworden von diesem ungewöhnlichen Erlebnis.

Das beginnt schon damit, dass man sich mit den Kindern nicht the music“. Es ist ein Projekt, das aus den Education-Reihen des Mahler Chamber Orchestra erwachsen ist. Der norwegische Star- direkt verständigen kann. Wir treffen die Schüler und ihre Lehrepianist Leif Ove Andsnes ist die Leuchtturmfigur dieses besonderen rinnen vor den Grieghallen in Bergen. Von Weitem sehen sie aus wie eine ganz normale Gruppe Jugendlicher: Versuchs und die Workshops im Rahmen von „Feel the Music“ Sie albern herum, schubsen sich über den „Feel the Music“ sind eingebettet in Andsnes’ beim Beethovenfest Bonn Platz, lachen. Erst wenn man näher kommt, große „Beethoven Journey“, ein Konzert- und 27. und 28. September: Symposium bemerkt man die Stille.

Aufnahme-Projekt, mit dem er seit mittler„Mit allen Sinnen Hören“ Dass es bei den Kindern keinerlei weile vier Jahren durch die Lande tourt und alle 28. September: Familienkonzert mit 30 Berührungsängste gibt, merkt man spätesKlavierkonzerte des großen Meisters mit dem gehörlosen Kindern aus vier Ländern www.beethovenfest.de tens, als vier Orchestermusiker des MCO MCO auf Platte gebannt hat. Die Verbindung 46

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September – Ok tober 2014

Fotos: Holger Talinski (2); Barbara Eickmann; Anna Novák

Workshop mit Bratscherin Anna, das große Dirigier-Experiment, im abschließenden Kunst-Workshop verarbeiten die Kinder das Erlebte.

hinzukommen. Da fallen sich Musiker und Schüler um den Hals, eine besondere Nähe ist spürbar. Eine Woche vor dem großen Workshop-Tag hatten diese vier die norwegischen Kinder für einen Tag in der Schule besucht. Dort durften alle Instrumente angeschaut, angefasst und sogar ausprobiert werden. Und es gab Rhythmus- und Klatschspiele, die jetzt in einem großen Kreis als kleines Warm-up wiederholt werden. Immer mit dabei: zwei Gebärdensprach-Dolmetscher, die den Kindern alles Gesagte simultan übersetzen. „Wir spielen mit dem Visuellen“, erklärt Miriam Bongartz, die Projektverantwortliche vom Mahler Chamber Orchestra. „Im Orchester passiert optisch wahnsinnig viel, die Kinder nehmen das oft viel bewusster wahr, als der normale Konzertgänger.“ Das beliebteste Aufwärm-Spiel bei den Kids ist daher auch: eine Art KlangBall-Spiel. Wie ein fiktiver Ball wird sich der „Klang“ in der Gruppe zugeworfen, Bratscherin Anna muss den Klang dann auf Anweisung der Schüler modulieren. Sie steht in der Mitte und reagiert auf jede kleinste Bewegungsveränderung. Ein kleines Mädchen wirbelt mit ihren Armen schneller und immer schneller, Anna zieht mit, kreist mit der Bratsche wild durch die Luft. Das, was sie spielt, klingt wie ein summender Bienenschwarm. Ein anderer Junge imitiert einen Jojo. Alle lachen über Annas lustige Verrenkungen. Die verrückten Arpeggien, die sie spielt, sind auch klanglich sehr unterhaltsam. Aber die gehörlosen Kinder können es nicht hören, wird einem da schmerzlich wieder bewusst.

Dann geht’s zu Leif Ove Andsnes ans Klavier. Die Kinder stehen um den großen Konzertflügel herum, Andsnes erklärt, wie das Instrument funktioniert. Er setzt sich und spielt Beethovens 5. Klavierkonzert. 30 kleine Hände greifen und fühlen alles, was sie berühren können. Die Saiten schwingen, die Hämmer klopfen, durch den ganzen Korpus wabert der Klang. Andsnes erinnert sich: „Als Kind habe ich immer unter dem Klavier gelegen, weil es da einfach unglaublich laut und klangvoll ist. Deswegen wollte ich, dass die Kinder das auch erleben können.“ Das Mahler Chamber

Orchestra mit seinen jungen, engagierten und offenen Musikern sei genau der richtige Klangkörper für dieses Projekt, sagt Andsnes. „Sie haben eine wunderbare Art, mit den Kindern umzugehen.“ Und das dürfen wir dann in der Orchesterprobe erleben: Die Kinder stürmen auf die Bühne, verteilen sich zwischen den Musikern. Zwei Mädels sitzen links und rechts auf dem Stuhl der ersten Geigerin, einer umarmt den Kontrabass. Die Pauke ist besonders beliebt, da wummert es so schön im Bauch, wenn der Pauker spielt.

Und vorne, da steht Ole und dirigiert. Das Dirigier-Experiment ist der bewegendste Teil von „Feel the Music“. Unglaublich, wie viel Fantasie die gehörlosen Kinder in ihren Bewegungen haben. Welch klare Vorstellungen, furchtlose und verrückte Ideen. Sie lassen einzelne Musiker aufstehen und alleine spielen, erst die linke Seite vom Orchester, dann die rechte. Sie heizen das Orchester an, laut und immer lauter zu spielen. Als Zuhörer will man dabei lachen und weinen. Weil die Schüler so aufgehen in dieser Welt, die sie nur sehen, nicht hören können. Weil man sieht, wie viel Freude ihnen dieser Tag macht. Und weil man doch weiß, dass sie all diese Klangwellen, die im Raum schweben, niemals ganz erfassen können.

In einem Mal-Workshop mit einer norwegischen Künstlerin können alle anschließend das Erlebte visuell verarbeiten. Sie sollen malen, wie sie die Musik empfunden haben. Es entstehen bunte Tupfen, expressionistisches Gekritzel und einer malt den dicken, wummernden Kontrabass.

Der spannendste Teil des Projekts ist für Leif Ove Andsnes aber das abschließende Konzert am Abend. „Manchmal bleiben die Kinder das komplette Konzert da und erleben zweieinhalb Stunden Beethoven bis tief in die Nacht. Obwohl sie nicht hören können, was da vorne passiert. Das Erlebte vom Tag und die enge Verbindung zum Orchester sorgen dafür, dass es sie trotzdem fasziniert. Das Projekt zeigt mir deutlich, dass es etwas hinter unserem Denkhorizont gibt. Es zeigt, wie viele Ebenen die Musik hat und wie sie uns Menschen so unterschiedlich berühren kann.“ n 47

Fotos: Festspielhaus Baden-Baden; Harald Hoffmann / DG

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Festspielhaus Baden-Baden; Künstler Rolando Villazón und Yannick Nézet-Séguin.

Schön-schön!

Holger Wemhoff verbrachte ein paar Tage bei der Baden-Baden-Gala – und versucht zu ergründen, weshalb sich Weltstars gerade hier so wohl fühlen.

Es gibt einen Künstler, dem kann sich das Publikum einfach nicht entziehen: Rolando Villazón. Was er anfasst, tut er aus tiefster Überzeugung, einem Enthusiasmus und einer Intensität und Begeisterung sondergleichen. Nun muss ein solcher Künstler aber auch jemanden oder etwas haben, der oder das ihn lässt, sich auszutoben.

Und diesen paradiesischen Traum-Ort hat er gefunden: In BadenBaden und im dortigen Festspielhaus.

Zwischen diesem Ort und Villazón hat sich eine ganz eigene, besondere Liebesbeziehung entwickelt. Hier darf er sich in all seinen künstlerischen Facetten austoben. In Baden-Baden hat dieser geliebte große Junge seinen großen Spielplatz gefunden. Und das Publikum dankt es ihm. Dankt ihm vor allem für seine vor wenigen Jahren initiierte sommerliche „Baden-Baden-Gala“, die seit 2012 die größten Mozart-Opern auf die Festspielbühne bringt. Erst Don Giovanni, danach Così fan tutte und in diesem Jahr Die Entführung aus dem Serail. Fortsetzung folgt natürlich.

Und zwei wiederkehrende Erfolgs-Garanten gibt es Jahr für Jahr aufs Neue: Das Chamber Orchestra of Europe unter dem großartigen, fabelhaften Mozart-Dirigenten Yannick Nézet-Séguin und – natürlich Rolando Villazón in allen Mozart-Tenorpartien.

Nun hat es gerade die Kritik in diesem Jahr nicht gut mit ihm und dem Belmonte aus der Entführung gemeint. Und zugegeben: Obwohl er sich von Aufführung zu Aufführung gesteigert hat, zitterte man als Zuhörer doch wirklich mit, ob er die (allerdings horrend schwierigen!) Klippen dieser Partie meistern würde, vor allem die der berüchtigten Baumeister-Arie. Sei es drum. Der Rest war allerreinstes Mozartvergnügen, allen voran Diana Damrau als im Moment wohl weltbeste Konstanze.

Und das größte Highlight dieses Zyklus steht uns wohl nächstes Jahr bevor, denn dann gesellt sich zu Villazón, Damrau und Co. noch der großartige Bryn Terfel dazu: In der Hochzeit des Figaro!

Was aber macht diesen Mozart-Abend nun so besonders, so einmalig neben der hochklassigen musikalischen Leistung? Die 48

Antwort ist so naheliegend wie einfach: Es ist die Stadt BadenBaden mit der unmittelbaren Umgebung. Alle Künstler, die sonst rund um den Globus zu den größten Opernhäusern reisen, fahren eben meist in Metropolen: New York, Mailand, Wien, Berlin.

Städte, in denen niemand so richtig zur Ruhe kommt. Anders in Baden-Baden. Wohl die einzige „Opern-Star-Spielstätte“, in der die Künstler auch Urlaub machen, Erholung tanken, größtenteils ihre Familien und, wie im Falle von Diana Damrau, Kind und Kegel mitbringen. In der knapp zweiwöchigen Proben-und Aufführungsphase herrscht ein unglaublich gelöstes Klima und eine fast heitere Anspannung vor den Vorstellungen.

Yannick Nézet-Séguin besucht und dirigiert hier die ersten Proben im Original Mario-Götze-Fußball-Outfit und die Crew macht dazu die „La-Ola-Welle“. In der freien Zeit (und das macht er meistens so) „erjoggt“ sich der weltberühmte Maestro seinen neuen Ferienort und postet bei Facebook munter seine „Selfies“ vor diversen Komponisten-Büsten und Mammutbäumen.

Diana Damrau ist mit ihrem Ehemann und den zwei kleinen Kindern samt Großeltern da und besucht in der freien Zwischenzeit Freunde in den Weinbergen. Und Rolando Villazón geht seiner zweitliebsten Beschäftigung nach und spielt mit diversen Bühnenarbeitern eine Runde „Tischkicker“ auf der Hinterbühne.

Wenn man in Baden-Badens berühmtestem Café bei 27 Grad ein Eis vor sich hin schleckt, kommt auch mal ein Thomas Quasthoff vorbei und hält ein entspanntes Pläuschchen. Ein Synonym für das weitere Besondere in und an dieser Stadt: Sie ist so klein, dass sich Publikum und Weltstars in die Arme laufen: ungezwungen, charmant, auf jeden Fall „weltoffen“.

Und genau diese Atmosphäre überträgt sich auf die Aufführungen und direkt ins Publikum. So kann sich diese alljährlich wiederkehrende „Baden-Baden-Gala“ als echte musikalische SommerDroge entwickeln. Ich für meinen Teil kann behaupten: Ich bin süchtig – und kann den Figaro 2015 kaum erwarten … n www.crescendo.de

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September – Ok tober 2014

„Ich komponiere lieber große Orchesterstücke.“ Michael Andreas Häringer wurde vor 13 Jahren in Barcelona geboren und schloss bereits sein erstes Musikstudium mit der höchsten Auszeichnung ab. Nebenbei komponiert er – und singt.

Ich habe viele Freunde, die Klavier oder Geige spielen, nicht als professionelle Musiker, aber als Hobby. Wenn ich in Barcelona ein Konzert gebe, kommt meine ganze Klasse zum Zuhören.

Du hattest schon viele Auftritte. Bereitet es dir Freude, vor Publikum zu spielen?

Ja, ich liebe das sehr. Mein größtes Konzert war in Luzern. Da habe ich vor 2000 Zuhörern gespielt.

Das hat mir sehr gefallen.

Hast du ein Lieblingsstück, das du besonders gerne spielst?

Ja, die Tarantella Venezia e Napoli von Liszt.

Du befasst dich ja auch mit Pop-Musik …

Als Hobby mag ich es, Pop- und Hip-Hop-Songs zu komponieren und zu singen. Aber mein Beruf soll das nicht werden. Ich möchte beim klassischen Klavier und beim klassischen Komponieren bleiben.

Bei deinem Konzert im Münchner Gasteig am 21. Oktober trittst du mit einem klassischen Programm auf?

Was wirst du spielen?

Den ersten Teil beginne ich mit Bach, gefolgt von Beethoven. So setze ich meistens ein. Letztes Jahr spielte ich eine Partita von Bach und dann die Waldstein-Sonate. Dieses Jahr spiele ich das Italienische Konzert und die Sonate Der Sturm. Danach spiele ich die Komposition Sonrisa del Mediterraneo von mir, die ich schon oft gespielt habe und die vom Publikum sehr gemocht wird. Nach der Pause spiele ich Stücke von Mendelssohn, Chopin und Liszt. Ich schließe immer gerne mit einem „harten“ Stück. Das wird diesmal die Ungarische Rhapsodie Nr. 2. Und wenn es dem Publikum gefällt, spiele ich am Schluss noch Stücke, die ich gerade komponiere.

Interview: Ruth René Reif Michael Andreas Häringer begann mit fünf Jahren Klavier zu spielen und wird seither vom russischen Pianisten Professor Gennady Dzubenko unterrichtet. 2008 hatte er seinen ersten öffentlichen Auftritt.

Im Jahr darauf wurde er am Conservatorio Municipal de Música de Barcelona aufgenommen, das er im Juni als jüngster Absolvent mit der höchsten Auszeichnung abschloss.

Foto: privat

crescendo: Michael Andreas, wie bist du zur klasssichen Musik gekommen?

Michael Andreas Häringer: Schon mit zwei Jahren habe ich zu Hause den ganzen Tag über gesungen. Als ich vier Jahre alt war, fragte meine Mutter einen Freund, was sie mit mir tun solle. Der riet ihr, mich in eine Musikschule zu schicken und dort im Chor singen zu lassen. So kam ich an die Escuela Luthier de Artes Musicales in Barcelona. Dort hatte ich Gelegenheit, Pianisten zu erleben. Ich hörte ihnen beim Spielen zu, das gefiel mir so sehr, dass ich vor meinem fünften Geburtstag meine Mutter bat, Klavier lernen zu dürfen. Sie meldete mich zu einer Probe an und kaufte mir ein erstes kleines digitales Klavier.

Und welche Musik war das, die dich so begeistert hat?

Klassische Klaviermusik.

Du hast auch mit sechs Jahren begonnen, zu komponieren. Welche Stücke hast du da geschrieben?

Meine ersten Kompositionen waren kleine Lieder, manche acht bis zehn Seiten. Ich gab ihnen spanische Titel wie Despedida (Abschied) oder Recuerdos (Erinnerungen). Als ich neun Jahre alt war, starb mein Vater. Danach habe ich ein Jahr lang nicht komponiert.

Und heute?

Heute komponiere ich lieber große Orchesterstücke. Auf einer Tournee durch Katalonien habe ich mit dem Orchester gerade meine achtzigseitige Polonesa gespielt.

Mit acht Jahren wurdest du am Konservatorium von Barcelona aufgenommen. War es schwierig für dich als Kind unter lauter erwachsenen Mitstudenten?

Nein, es war sehr nett, weil alle mich mochten und ich viele Freunde hatte. Nur am Anfang fühlte ich mich ein bisschen komisch. Da war ich noch ganz klein, und es waren lauter Zwanzig- und Dreißigjährige um mich. Später aber fühlte ich mich am Konservatorium sehr wohl.

Die sechsjährige Ausbildung konnte ich innerhalb von vier Jahren abschließen.

Hast du Kontakt zu anderen Kindern, die auch Musik machen, oder ist man einsam, wenn man eine so außergewöhnliche Begabung hat?

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Das European Union Youth Orchestra

Brüder für ein paar „Stille Nächte“ Unter dem Motto „Alle Menschen werden Brüder“ spüren die 39. Fränkischen Musiktage Alzenau dem Gedanken der Völkerverständigung nach – in vielen verschiedenen musikalischen Facetten und mit einer besonderen Uraufführung. Von Julia Hartel Kaum ein Text transportiert den Gedanken der Völkerverständi- besucht werden und stellt eines der traditionsreichsten Festivals für gung eindringlicher als Schillers Ode an die Freude. 1972 wählten junge Künstler dar. Eigens für Alzenau hat der Komponist Gerhard die 47 Nationen des Europarates Beethovens dazugehörige Melodie Müller-Hornbach sich musikalisch des mottogebenden Gedankens zur Europahymne, später auch zur Hymne der Europäischen Union. angenommen: Alle Menschen werden Brüder – Metamorphosen über Freiheit, Frieden und Solidarität. Die wunderbare Musik transpor- Beethovens Vertonung von Schillers ‚Ode an die Freude‘ für Streichtiert genau diese Werte, sie gipfeln in den bewegenden Worten „Alle quartett wird im feierlichen Eröffnungskonzert am 17. Oktober vom Menschen werden Brüder“. Eine kurze Textzeile, die in den heuti- casalQuartett uraufgeführt. In diesem Konzert stehen außerdem die Vocalsolisten Frankfurt auf der Bühne, und der Schauspieler Domigen, turbulenten Zeiten, wichtiger und aktueller scheint denn je. nique Horwitz rezitiert zur Einstimmung Die „Fränkischen Musiktage“, die vom 39. Fränkische MusikTage berühmte Texte, die sich an die Ode an die 17. Oktober bis 25. November in der unterfränAlzenau Freude anlehnen. kischen Stadt Alzenau stattfinden, greifen die17. Oktober bis 25. November 2014 Ein weiteres, geschichtsträchtiges sen Gedanken musikalisch auf: Die VeranstalInformationen und Kartenservice: Beispiel für Brüderlichkeit und Friedtungsreihe, die stets eine umfangreiche Auswahl Tel. +49-(0)6023-50 21 12 fertigkeit unter Menschen verschiedener von Konzerten an verschiedenen historischen chorforum@t-online.de Nationalitäten jenseits politischer InterOrten bietet, kann heuer bereits zum 39. Mal www.fraenkische-musiktage.de 50

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September – Ok tober 2014

Fotos: Peter Adamik; PR

Dominique Horwitz, die Regensburger Domspatzen, Blick auf die Burg Alzenau, eine Erinnerung an den Weihnachtsfrieden von 1914.

essen ist auch der sogenannte „Weihnachtsfriede“: An den Weihnachtstagen 1914 ließen englische, französische und deutsche Soldaten an der Westfront ihre Waffen ruhen, unterhielten sich miteinander und sangen sogar gemeinsam Weihnachtslieder. Im Auftrag des „Internationalen Chor Forums in Deutschland“, das den Fränkischen Musiktagen seit 1991 angeschlossen ist, hat der Komponist Stephan Adam ein Werk für Sprecher, Solisten, Chöre und Orchester geschaffen, das den weihnachtlichen Waffenstillstand musikalisch verarbeitet: das Oratorium Christmas Truce – Weihnachtsfriede 1914. Originalzitate aus authentischen Briefen und Lyrik in den Sprachen der betroffenen Länder dienten ihm als Textvorlage.

Im November wird die Komposition von Mitgliedern nationaler Jugendchöre aus Belgien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland, dem Süddeutschen Kammerchor, dem European Union Youth Orchestra und Preisträgern des deutschen Bundeswettbewerbs Gesang einstudiert. Die Aufführung erfolgt am 15. und 16. November im Rahmen der Fränkischen Musiktage zusammen mit Mozarts Requiem in d-Moll KV 626 unter der Leitung von Gerhard Jenemann.

Dieses Jugendmusikprojekt wird in Kooperation mit politischen Bildungsinstitutionen auch von Workshops und Diskussionsrunden für Jugendliche zum Thema „Krieg und Frieden“ begleitet.

Der Förderverein des Festivals lädt herzlich zu Spenden beziehungsweise zur Beteiligung am Crowdfunding unter www.fraenkischemusiktage.de ein.

Noch weitere junge Künstler werden die Ergebnisse ihrer Arbeit bei den Fränkischen Musiktagen präsentieren: 21 Solisten aus 12 Ländern – alles ausgewählte Preisträger und Finalisten

internationaler Wettbewerbe – finden sich von Mitte Oktober bis Anfang November zum Künstlerforum „Music Campus RheinMain“ zusammen. Gleich mehrere verschiedene Konzertauftritte können die Musiker hier vorbereiten. Beim Projekt „Fratres“ etwa werden zusammen mit der Geigerin Lena Neudauer die Metamorphosen für Streichsextett und Kontrabass von Richard Strauss, Avo Pärts Fratres für Streichquartett und Dvořáks Streichsextett A-Dur op. 48 eingeübt und am 1. November auf der Burg Alzenau dargeboten. Das Projekt „Serenade“, an dem die Klarinettistin Shirley Brill beteiligt sein wird, stellt kammermusikalische Werke der diesjährigen Jubilare C. P. E. Bach und Richard Strauss und damit Kompositionen der Früh- und Reifezeit dieser Gattung gegenüber. Konzerttermin im Domersaal des Schlösschens Alzenau-Michelbach ist hier der 2. November.

Und nochmals wird C. P. E. Bach geehrt: Am 22. November gestaltet Michael Eberth, Professor für historische Tasteninstrumente an der Hochschule für Musik und Theater München, gemeinsam mit Mitgliedern des dortigen Instituts für historische Aufführungspraxis ein Porträtkonzert zum 300. Geburtstag des Komponisten (ebenfalls im Schlösschen Michelbach).

Ein weiteres Highlight im diesjährigen Programm der Fränkischen Musiktage bildet das „Rising Stars Klavierrecital“ am 15. November. Hier wird der junge brasilianische Pianist Cristian Budu sein Deutschland-Debüt geben, das eigentlich bereits für das Klavierfestival Ruhr im Sommer geplant war, jedoch krankheitsbedingt abgesagt werden musste. Budu, Gewinner des Clara Haskil Wettbewerbs 2013, wird nun am 15. November auf der Burg Alzenau Werke von Villalobos, Schumann und Chopin spielen. n 51

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September / Oktober 2014

Die wichtigsten Veranstaltungen auf einen Blick Ihr persönlicher Navigator für Premieren, Konzerte und Festivals

11.9. Berlin Neuköllner Oper Uschi & Bolle/A. Safaian (UA) 12.9.Linz(A)LandestheaterLinz Tosca/G. Puccini 12.9. Wiesbaden GroSSes Haus Die Frau ohne Schatten/R. Strauss 12.9. Berlin Neuköllner Oper TaksimForever/ParkderTräume/Musiktheater von Can Erdogan-Sus u. Kerem Can 12.9. Linz (A) Tabakfabrik Der Schatzgräber/F. Schreker 13.9.HildesheimTheaterfürNiedersachsen Die Zauberflöte/W. A. Mozart 13.9. Weinböhla Zentralgasthof DerKleineHorrorladen/A.Menken;Ltg. Hans-Peter Preu (Musical) 16.9. Basel (CH) Theater Basel Föhn.EinzyklischesWetterspiel/Christian Zehnder, Fortunat Frölich und Urs Widmer (UA, Musiktheater) 17.9. Basel (CH) Theater Basel Les contes d‘Hoffmann/J. Offenbach 18.9. Berlin Staatsoper im Schillertheater Candide/L. Bernstein 18.9. Magdeburg Opernhaus Lohengrin/R. Wagner 19.9.Linz(A)LandestheaterLinz The Turn of the Screw/B. Britten 19.9. Mannheim Nationaltheater Blues Brothers - Unterwegs im Auftrag des Herrn/Ltg. Matthias Gehrt 19.9. Cottbus Kammerbühne im Staatstheater Frida Kahlo/Undine Werchau; cellorazade (Tanzstück, UA) 19.9. Biel Stadttheater Viva la Mamma/G. Donizetti 20.9. Salzburg (A) Landestheater Die Zauberflöte/W. A. Mozart 20.9. Hamburg Staatsoper La Belle Hélène/J. Offenbach 20.9. Chemnitz Theater Flashdance – Das Musical/Robbie Roth (Musical, dt. UA) 21.9. Innsbruck (A)

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Echo vor dem Echo

Tianwa Yang

Foto: Friedrun Reinhold

Premieren

25. Oktober, München, Hochschule für Musik und Theater

Wenn der wichtigste Klassikpreis vergeben wird, feiert das Fernsehen die populären Stars – und verheimlicht viele großartige Gewinner. Wenn im festlich ausgeleuchteten Münchner Gasteig die ZDFKameras ausgehen und die pompöse ECHO Klassik-Gala zumindest für die Late-Night-Zuschauer des ZDF schon vorbei ist, beginnt auf der Bühne erst der echte Verleihungsmarathon: Denn während man aus Zeit- und Prestige-Gründen – in die Fernsehübertragung lediglich die großen Stars, die bekannten Namen und Quote bringenden Musiker quetscht und sie ihren Preis feierlich auf dem Podium abholen lässt, sitzen weitere großartige ECHO-Preisträger in den Publikumsreihen, die sich in diesem Jahr über einen ECHO Klassik freuen dürfen. Um auch diesen Künstlern ein bisschen mehr Ehre zuteil werden zu lassen, gibt es seit letztem Jahr den sogenannten „VorEcho“. Am Abend vor der großen Verleihung dürfen einige Preisträger bereits konzertieren – ganz auf die Musik konzentriert und abseits des großen Medienrummels. In einem abwechslungsreichen Konzert beweisen in diesem Jahr das Berolina Ensemble, das Ensemble Blumina, der Geiger Stephan Schardt, Cellistin Elisabeth Wandt, außerdem Sonja Kemnitzer, Jin Ju, Tianwa Yang und das Leipziger Streichquartett, warum sie einen ECHO mehr als verdient haben.

Ein wunderbarer, musikalisch hochkarätiger Aperitif (übrigens als Benefizveranstaltung zugunsten der Vereinigten Stipendienstiftung der Hochschule für Musik und Theater München) vor dem pompösen ECHO-Spektakel am Folgeabend!

München, Hochschule für Musik und Theater, 25. Oktober

Tiroler Landestheater Salt and Pepper/M. Stockhausen, N. Horecna (Ballett) 21.9. Karlsruhe Staatstheater Der Rosenkavalier/R. Strauss 21.9. Duisburg Theater Gegen die Wand/L. Vollmer 21.9. Bremen Theater am Goetheplatz DieMeistersingervonNürnberg/R.Wagner 21.9. Heidelberg Theater Heidelberg,Marguerre-Saal Echnaton/P. Glass (UA) 21.9. Aachen Theater West Side Story/L. Bernstein (Musical) 21.9.ErlangenTheater/Garage Atmen/DuncanMacmillan(Schauspiel) 25.9. Hannover Orangerie Herrenhausen George/Elena Kats-Chernin & Axel Ranisch (UA) 25.9. Karlsruhe Staatstheater Boris Godunow/M. Mussorgsky 27.9. GieSSen Stadttheater Die Entführung aus dem Serail/ W. A. Mozart 27.9. Berlin Staatsoper im SchillerTheaterWerkstatt Des Simplicius Simplicissimus Jugend/ K. A. Hartmann 27.9. Düsseldorf Opernhaus Ariadne auf Naxos/R. Strauss 27.9. Stuttgart Opernhaus La Bohème/G. Puccini 27.9. Kaiserslautern Pfalztheater Friedenstag/R. Strauss 27.9. Flensburg Stadttheater Die Fledermaus/J. Strauß 27.9. StraSSburg (F) Opéra national du Rhin Quai Quest/ Régis Campo (UA) 27.9. Graz (A) Opernhaus Wilhelm Tell/G Rossini 27.9. Dessau Anhaltisches Theater Die Walküre/R. Wagner 27.9. Coburg Landestheater King Arthur/J. Dryden; H. Purcell (Ballett, Oper und Schauspiel) 28.9. Innsbruck (A) Tiroler Landestheater Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny/K. Weill

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September – Ok tober 2014

Konzerte 12.9. Bad Reichenhall Königliches Kurhaus Bad Reichenhaller Philharmonie, Ltg: Albert Seidl: E. Kálmán 12.9. Berlin Philharmonie Berliner Philharmoniker, Peter Eötvös, Patricia Kopatchinskaja: W. Rihm, P. Eötvös, J. Brahms 12.9. Coburg Landestheater Orpheus und Eurydike/C. W. Gluck 13.9. Hamburg Das neue OpernloftHamburgerTheaternacht/Opera Breve; Junge Musiktheater Hamburg (Meisterwerke der Oper in 90 Minuten) 13.9. München Prinzregententheater Internationaler Musikwettbewerb der ARD 2014: Finale Bläserquintett 13.9. Bonn Beethoven-Haus Leonidas Kavakos, Enrico Pace: L. v. Beethoven, L. Auerbach 13.9. Mainz Rheingoldhalle Mainz 30JahreMainzerMeisterkonzerte/Richard Galliano; Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz,Ltg:Karl-HeinzSteffens: A.Piazzolla,L.Bernstein,G.Gershwinu.a.

13.9. Stuttgart KUltur&Kongresszentrum MünchnerPhilharmoniker,Ltg.Semyon Bychkov; R. Strauss 13.9. Bremen Glocke musica viva Saisoneröffnungskonzert 13.9. SchleiSSheim Schloss SchleiSSheim Viva Verdi! Die große Verdi-Gala/Ltg. StellarioFagone;IlonckaVöckel;VeronikaFarkas;EmilioRuggerio;MatiasTosi 13.9. Berlin Komische Oper Ein Sommernachtstraum/B. Britten

bis 29. September

Hamburg, Länderübergreifend

Fotos: Vahan Stepanyan; Michael Thurm

Vasily Kalinnikov, Francis Poulenc, Sergej Prokofjew, Gabriel Fauré, Alexander Glasunow und Maurice Ravel stehen auf dem Programm des Russischen Kammermusikfests. Elisaveta Blumina, die Initiatorin und Künstlerische Leiterin des Festes, das sich der Aufgabe widmet, vergessene russische Komponisten und Raritäten wiederzuentdecken, legt in dieser Saison den Schwerpunkt auf die Verbindung zwischen Russland und Frankreich. Der kulturelle Austausch zwischen den beiden Ländern war mannigfaltig und erlangte an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert besondere Lebendigkeit. Im Konzert in der Laeiszhalle am 14. September spielt Blumina, die als Bewahrerin der großen russischen Klavier-Tradition gilt, mit dem Pianisten Vassily Lobanov neben Werken von Skrjabin, Debussy und Gavrilin vierhändig auch eine Passacaglia von Lobanov selbst.

Hamburg, verschiedene Spielorte, bis 29. 9., www.russisches-kammermusikfest.de

2. bis 4. Oktober

Lübeck, musikalische Raritäten Erlesene Musik, dargeboten auf höchstem Niveau, das schätzen die Besucher des Lübecker Kammermusikfestes. Veranstaltet von der Scharwenka-Gesellschaft, präsentiert die Künstlerische Direktorin des dreitägigen Festes, die Pianistin Evelinde Trenkner, alljährlich ein Programm mit Kompositionen und selten gespielten Transkriptionen aus der Epo-

Konzertsaison 2014/15, Leipzig

Nordlichter

Kristjan Järvi

Foto: Peter Adamik

28.9. Stuttgart Opernhaus Tristan und Isolde/R. Wagner 29.9. Heidelberg Theater Wirsindnocheinmaldavongekommen/ Thornton Wilder (Schauspiel) 2.10. Mainz Staatstheater The Fairy Queen/H. Purcell 3.10. Berlin Staatsoper im Schiller Theater Tosca/G. Puccini 4.10. Innsbruck (A) Tiroler Landestheater Hänsel und Gretel/E. Humperdinck 4.10. Dresden Semperoper Nachtausgabe/P. Ronnefeld (Dt. EA) 4.10. Freiburg GroSSes Haus Carmen/G. Bizet 5.10. Wien (A) Staatsoper Idomeneo/W. A. Mozart 9.10. Berlin Neuköllner Oper BazaarCassandra/E.Palomar,M.Rosich (UA) 10.10. Baden-Baden FestSpielhaus Giselle/J. Neumeier (Ballett) 10.10. Nordhausen Theater Nordhausen Giselle/A. Adam (Ballett) 11.10. Berlin Komische Oper Die schöne Helena/J. Offenbach 11.10. Leipzig Oper Faust/C. Gounod 11.10.OldenburgStaatstheater Deca-Deci/l‘Arlésienne/A. Eschpai; G. Bizet; A. Jully (UA, Ballett) 12.10. Frankfurt Opernhaus Hänsel und Gretel/E. Humperdinck 15.10. Mainz Staatstheater MyPrivateOdyssey/G.Weizman,R.Haver (Ballett, UA) 19.10. Braunschweig Staatstheater Der Prophet/G. Meyerbeer

„Go North!“ lautet das Spielzeit-Motto des MDR Sinfonieorchesters 2014/15. Nachdem Chefdirigent Kristjan Järvi in den letzten beiden Spielzeiten musikalische Erkundungen im Osten und Westen vorgenommen hat, widmet er sich den musikalischen Landschaften Islands, Dänemarks, der Arktis, des Baltikums, Russlands und Kanadas. Zu Gehör kommen die großen Meister wie Grieg, Mussorgski, Nielsen, Pärt, Rachmaninow, Sibelius, Tschaikowski, Eduard Tubin, aber auch Magnus Lindberg und Erkki-Sven Tüür. Und mit Spannung darf man sich auf eine Uraufführung des litauischen Komponisten Gediminas Gelgotas freuen. Als Gastdirigenten sind Neeme Järvi, Sir Lawrence Foster, Thomas Dausgaard und Markus Stenz geladen, und als Solisten erwartet man die ukrainische Pianistin Valentina Lisitsa, den norwegischen Trompeter Ole Edvard Antonsen, den estnischen Geiger Tiit Kikas, die isländische Band Múm und das New Ideas Chamber Orchestra aus Litauen. Artist in Residence ist der Komponist und Pianist Hauschka, der seine Kompositions- und Klangalchemie in Arbeiten mit dem Orchester präsentiert. Unter den Titeln Northern Lights, Ice, Spring Evening und Midsummer lässt Järvi die Stimmungen des Nordens zudem in vier Festivals überall in der Stadt aufleben.

Leipzig, verschiedene Spielorte, Konzertsaison 2014/15, www.mdr.de/konzerte/sinfonieorchester/

che der beiden Komponisten-Brüder Philipp und Xaver Scharwenka am Umbruch vom Kaiserreich zur Weimarer Republik. Interpreten wie Sontraud Speidel, die mit Evelinde Trenkner vierhändig spielt, der Pianist Alexander Markovich, die Cellistin Natalia Gutman, die Violinistin Nadja Nevolovich und das Berlage Saxophone Quartet sorgen für vollendete Darbietungen. Zum außergewöhnlichen Flair des Festes trägt neben den unkonventionellen Moderationen von Hermann Boie auch das beliebte Fachsimpeln zwischen Publikum und Mitwirkenden im „Treffpunkt Foyer“ statt.

Lübeck, Kolosseum, 2. bis 4. 10., www.scharwenka.de

bis 3. Oktober

Bonn, Beethoven deluxe Am 21. Juni 1813 besiegten die Truppen des britischen Herzogs von Wellington in der Ebene von Vittoria das französische Heer. Aus Anlass dieses Sieges komponierte Beethoven Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria. Das Orchester Wiener Akademie unter Martin Haselböck kombiniert im Gedenken an die historische Aufführung am 27. Februar 1814 das musikalische „Schlachtengemälde“ mit Beethovens Achter Symphonie und bringt die beiden Werke am 1. Oktober beim Beethovenfest in Bonn zur Aufführung. Voran stellt es die Schauspielmusik zu Goethes Egmont. Die Rolle Egmonts übernimmt der Schauspieler August Zirner.

Unter dem Motto „Götterfunken“ bringt das Fest sämtliche Sinfonien, Klavierkonzerte und Violinsonaten Beethovens in Zyklen zur Aufführung und stellt sie Werken des 20. und 21. Jahrhunderts gegenüber.

Bonn, Beethovenfest, verschiedene Spielorte, bis 3. 10., www.beethovenfest.de

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bis 22. September

Berlin, Musikalisches Panorama Alle Sinfonien von Schumann und Brahms an vier Abenden, aufgeführt von den Berliner Philharmonikern unter ihrem Chefdirigenten Sir Simon Rattle, bilden den krönenden Abschluss der 10. Ausgabe des Berliner Musikfestes. Es präsentiert die Orchester des internationalen Musiklebens mit den in Berlin ansässigen Klangkörpern und entfaltet ein musikalisches Panorama, das von Bach bis in die Gegenwart reicht und mit u. a. Peter Eötvös und Wolfgang Rihm die Granden der Neuen Musik versammelt. Außerdem dabei: Die 12 Cellisten und das hornroh modern alphornquartet.

Berlin, verschiedene Spielorte, bis 22. 9., www.berlinerfestspiele.de

bis 20. September, Augsburg, verschiedene Orte

Mozart und mehr

2. bis 10. Oktober

„An der schönen blauen Donau“ lautet das Motto der Herbstlichen Musiktage in Bad Urach am Fuße der Schwäbischen Alb. Das Alt-Wiener StraußEnsemble lädt zu einem „Wien-Abend“ in die Festhalle. Bestehend aus Mitgliedern des Württembergischen Staatsorchesters Stuttgart, widmet es sich der Musik der Strauß-Dynastie, Joseph Lanners und seiner Zeitgenossen. Es spielt in Alt-Wiener-Besetzung und rekonstruiert für seine Konzerte die größtenteils vernichteten Originalarrangements. Auch der Bariton Dietrich Henschel, die Geigerin Julia Fischer, der Cellist Daniel MüllerSchott und der Württembergische Kammerchor begleiten die Festival-Besucher entlang des Stroms durch die Musikkulturen.

Bad Urach, verschiedene Spielorte, 2. bis 10. 10., www.herbstliche-musiktage.de

bis 30. Dezember

Rostock, hochkarätige Hausmusik „Nichts geht über den Zauber der Unmittelbarkeit im Konzert, über den Austausch mit dem Publikum“, betont die französische Pianistin Lise de la Salle. Am 4. Oktober ist sie mit Werken von Brahms, Debussy und Ravel bei „Klassik ganz privat“ zu Gast in der Villa Papendorf bei Rostock. „Große Künstler im kleinen Rahmen“ ist die Idee, die hinter den Kammermusikkonzerten in der Villa steht. Zu den großen Künstlern gehören der Geiger Frank Peter Zimmermann, die Cellisten Daniel Müller-Schott und David Geringes sowie Pianistin Anna Vinnitskaya.

Rostock, Villa Papendorf, bis 30. 12., www.villa-papendorf.de

18. September

Kempten, Mozart konzertant „Werktreue ist keine Frage von Buchstabentreue“, betont der belgische Spezialist für historisch informierte Aufführungspraxis René Jacobs. Seine Mozart-Opern führt er so auf, „wie Mozart selbst“ sie heute aufführen würde. Das Theater in Kempten eröffnet die Spielzeit mit einem Gastspiel Jacobs’ und der Akademie für Alte Musik Berlin. Mit einem Ensemble, dem der Schweizer Tenor Mauro Peter, die amerikanische Sopranistin Robin Johannsen und Cornelius Obonya als Bassa Selim angehören, bringt Jacobs Mozarts Oper Die Entführung aus dem Serail konzertant zur Aufführung.

Kempten, Theater in Kempten, 18. 9., www.theaterinkempten.de

5. bis 19. Oktober

München, Orgelherbst Französische Orgelmusik aus der Tradition von Notre-Dame de Paris bringt der Organist Philippe Lefebvre nach München. Im Rahmen des 6. Münchner Orgelherbstes in der Jesuitenkirche St. Michael, in der bereits seit über 400 Jahren berühmte Musiker wie Orlando di Lasso oder Joseph Gabri-

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Foto: Harald Hoffmann

Bad Urach, HERBSTLICHE MUSIKTAGE Hagen Quartett

Als „Musik von überirdischer Schönheit und ergreifender Wehmut“ beschreibt Rudolf Buchbinder die Kompositionen Mozarts in seinen Erinnerungen. Der Pianist, für den die Faszination der Musik nie aufhört, gastiert beim Festival mozart@augsburg mit den „Stars“ Mozart und Beethoven. „Entertainer“ nennt er sie und betont: „Musik dient der Unterhaltung. Wir Künstler sind alle Unterhalter!“ Tatsächlich ist Buchbinders Spiel großartige Unterhaltung ohne Effekthascherei, getragen von musikalischer Leidenschaft und packender Virtuosität. mozart@augsburg wurde 2012 ins Leben gerufen und zeigte beim Auftakt so durchschlagenden Erfolg, dass es bereits im zweiten Jahr seine Programme verdoppeln konnte. Nach den Vorstellungen seines Gründers und Künstlerischen Leiters, des Pianisten Sebastian Knauer, soll es die Rolle der Stadt Augsburg im Leben Mozarts hervorheben, aber kein ausschließliches Mozartfestival, sondern ein klassisches Musikfestival sein. Daher finden sich in dem Konzert des Cellisten David Finckel und der Pianistin Wu Han Kompositionen von Beethoven, Strauss und Rachmaninow. Und der Pianist Arcadi Volodos spielt Werke von Schubert, Schumann und Brahms. Die Abschlussgala mit dem Hagen Quartett ist allerdings ausschließlich dem Namensgeber des Festivals gewidmet.

Augsburg, verschiedene Spielorte, bis 20. 9., www.mozartaugsburg.com el Rheinberger wirken, spielt er am 17. Oktober Werke von Louis Verne, Maurice Duruflé und Marcel Dupré. Veranstaltet wird das Orgelfes­ tival von Organist Peter Kofler, der mit einem Bach-Konzert vertreten ist.

Zu den weiteren Gästen gehören die Organisten Stephen Tharp aus New York, Thomas Trotter aus London und Jaroslav Tůma aus Prag.

München, Jesuitenkirche St. Michael, 5. bis 19. 10., www.muenchner-orgelherbst.de

bis 19. September

München, Künstler-Sprungbrett 519 Musikerinnen und Musiker bewarben sich um die Teilnahme am 63. Internationalen Musikwettbewerb der ARD. Das ist die bisher höchste Anmeldezahl in der Geschichte des traditionsreichen Wettbewerbs. Die Bewerber kommen aus fünfzig Ländern. An der Spitze steht Südkorea, gefolgt von Deutschland, Japan und Russland. Der Wettbewerb wird jährlich in mehreren Fächern ausgetragen und war bereits für viele junge Musiker und Sänger das Sprungbrett in eine internationale Karriere. In diesem Jahr findet er in den Fächern Violoncello, Klavier, Schlagzeug und Bläserquintett statt. Die Wertungsspiele sind öffentlich, ebenso die Preisträgerkonzerte, die am 17., 18. und 19. September stattfinden.

München, verschiedene Spielorte, bis 19. 9., www.ard-musikwettbewerb.de www.crescendo.de

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September – Ok tober 2014

20.9.Baden-BadenFestpielhaus Belcanto-Arien; Joyce DiDonato 20.9.MannheimNationaltheater Gloria!/A.Vivaldi,G.Puccini,F.Poulenc 20.9. Wuppertal Historische Stadthalle XVII. Konzert&Ball Tango Argentino 20.-21.9.Bregenz(A)Festspielhaus SymphonieorchesterVorarlberg,Ltg.KirillPetrenko;StellaDoufexis:G.Mahler 21.9. München Steinway-Haus VonewigerLiebe,MariaCzeiler;StellarioFagone:J.Brahms,F.Liszt,R.Strauss 22.9. Köln Philharmonie Gürzenich-OrchesterKöln,Ltg:FrancoisXavier Roth; Jörg Widmann: R. Strauss & J. Widmann 22.9. Zürich (CH) Opernhaus Liederabend Bryn Terfel 22.9. Elmau SchloSS Elmau Simone Kermes; Fauré Quartett: R. Strauss/D. Zöllner, G. Mahler 25.9. Kaiserslautern Fruchthalle Camerata Köln: O Numi Eterni 25./26.9.2014 München Herkulessaal/Residenz ChorundSymphonieorchesterdesBayerischenRundfunks/Ltg.BernardHaitink: L. v. Beethoven 26.9.Baden-BadenFestpielhaus Arien und Duette des Belacanto; Diana Damrau; Piotr Beczala, Nicolas Testé 26.9. Essen Philharmonie LarsDanielsson,MagnusÖström(Jazz) 26.9. StraSSburg(F) Palaisdela Musique et des Congrès Ensemble Modern: Magnus Lindberg, Philippe Manoury 27.9.Baden-BadenFestpielhaus ThePercussivePlanet;MartinGrubinger 27.9. Freiburg Kleines Haus Frühlings Erwachen/D. Sheik; S. Sater 27.9. Viersen Jazzfestival Tobias Christl (Jazz) 27.9. Unna St. Martin Daniel Müller Schott & Lauma Skride 27.9.DuisburgTheaterDuisburg !Sing - Day of Song 27.9. München Hochschulefür Musik und Theater Abschlusskonzert des BundesSchulMusikOrchesters Jesuitenkirche St. Michael 27.9. Elmau Schloss Elmau LiederabendChristianeKarg,Malcolm Neuhauser Straße 6 | 80331 München Martineau: R. Strauss 27.9. München ForumUsh_Creszendo_05_Sept_Okt_2014_90x61_Layout 1 23.07.14 11:14 Seite Herkulessaal/Residenz MünchnerSymphoniker,Ltg.KevinJohn Edusei; Marian Kraew, Ulrike Collins: WerbungCrescendo_V02_2014.indd 1 19.08.14 12:21 H. Berlioz, G. Puccini, P. Sarasate u.a.

27.9. Leipzig Gewandhaus MDR Sinfonieorchester/Ltg. Thomas Dausgaard: G. Ligeti, R. Langgaard, C. Nielsen Sonntag, 12. Oktober, 19 Uhr 28.9. Dresden Semperoper   Sächsische Staatskapelle Dresden, Ltg: mit HUGO STRASSER AntoniWit;RudolfBuchbinder:O.MesSonntag, 19. Oktober, 19 Uhr siaen, F. Chopin & W. Lutosławski 28.9. Hamburg Laeiszhalle 24. und 25. Oktober, 19.30 Uhr HamburgerPhilharmoniker,Ltg:Eivind GullbergJensen:J.Sibelius,A.Schnittke & F. Mendelssohn Bartholdy Bürgerhaus Unterschleißheim 28.9. Münster GroSSes Haus Rathausplatz 1 [direkt an der S1 Haltestelle Unterschleißheim] 1.Sinfoniekonzert/FrankPeterZimmerKarten: 089/310 09 200 oder 089/54 81 81 81 tickets.forum@ush.bayern.de mann:M.Ravel,F.MendelssohnBartholwww.forum-unterschleissheim.de dy, M. Mussorgsky

Internationales Orgelfestival in St. Michael 5. bis 19. Oktober 2014

www.muenchner-orgelherbst.de

S P I E L Z E I T 2 014 / 2 01 5

KULTUR IN UNTERSCHLEISSHEIM

BIGBAND SWING

BALLETT: DER FEUERVOGEL

FORUM UNTERSCHLEISSHEIM

Fotos: Muriel Steiner; Villa Papendorf; Harmonia Mundi; Daniel Gelang

13.9. Berlin Philharmonie Late Night: Patricia Kopatchinskaja; MarkusHinterhäuser;LaurenceDreyfus; G. Ustwolskaja 14.9. Soest Neu ST. Thomä DidoundAeneas/H.Purcell,konzertante Aufführung des Städtischen Musikvereins Soest e.V. 14.9. Hamburg Hauptkirche St. Petri Hamburger Bach-Chor 14.9. Ulrichshusen Festspielscheune KonzerthausorchesterBerlin,Ltg.MichaelSanderling;JuliaFischer:J.Widmann, L. v. Beethoven 14.9. Berlin Musikinstrumenten-Museum Arcadia Revisited: J. S. Bach, D. Buxtehude, G. P. Telemann, J. Schmelzer u.a.

14.9. Berlin Philharmonie London Symphony Orchestra/Ltg. Sir John Eliot Gardiner: F. Mendelssohn Bartholdy, R. Schumann 14.9. Berlin Philharmonie MahlerChamberOrchestra/Ltg.Daniel Harding;StefanDohr,RiasKammerchor/ Ltg.FlorianHelgath:J.Brahms,W.Rihm 15.9. Berlin Philharmonie hornroh modern alphornquartet: G. F. Haas, A. Bruckner 16.9. Bad Reichenhall KonzertrotundeimKönigl.Kurgarten KyokoAigner,WalterSeidl&Spassimir Stoytchev: A. Diabelli, C. Kreuzer u.a.

16.9. Köln Loft in der Wissmannstr. 30 Oval feat. Parissa; Michael Vorfeld: Glühlampemmusik (audiovisuelle Performance) 16.9. Berlin Philharmonie DeutschesSymphonie-OrchesterBerlin, Ltg:TuganSokhiev;Jean-FrédéricNeuburger: A. Reimann, R. Schumann, P. I. Tschaikowsky 17.9. Heidelberg Stadthalle 1. Philharmonisches Konzert 18.9. Kempten Stadttheater AkademiefürAlteMusikBerlin;Ltg.:René Jacobs; Die Entführung aus dem Serail/W. A. Mozart (konzertant) 20.9. Amsterdam Concertgebouw AkademiefürAlteMusikBerlin;Ltg.:René Jacobs; Die Entführung aus dem Serail/W. A. Mozart (konzertant) 18.9. Brüssel Palais des Beaux-Arts AkademiefürAlteMusikBerlin;Ltg.:René Jacobs; Die Entführung aus dem Serail/W. A. Mozart (konzertant) 18.9. München Gasteig, Philharmonie MünchnerPhilharmoniker,Ltg.SemyonBychkov;JörgBrückner:R.Strauss,A.Dvorák 18.9. Luxembourg (L) Philharmonie Pierre-Laurent Aimard: J. S. Bach 19.9. Klagenfurt (A) Stadttheater Lange Nacht der kurzen Musik 19.9. Villingen-Schwenningen Franziskaner Konzerthaus SymphonieorchesterVorarlberg,Ltg.KirillPetrenko;StellaDoufexis:G.Mahler 19.9. Berlin Komische Oper Sinfoniekonzert1:HåkanHardenberger; Henrik Nánási: S. S. Prokofjew, T. Brostrom, P. I. Tschaikowski

BENEFIZKONZERT: LICHTBLICKE

www.muenchenticket.de

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ab 10. September

26. September bis 5. Oktober, Bad Wörishofen

Julia Fischer

Foto: Uwe Arens

Festival der Nationen

International renommierte Künstler, die junge musikalische Weltelite und die musikalische Förderung von Kindern und Jugendlichen bilden die Grundpfeiler des Festivals der Nationen im idyllischen Kneippkurort Bad Wörishofen. Zur Feier des zwanzigjährigen Bestehens des Fes­tivals tritt die Geigerin Julia Fischer in einem Galakonzert mit dem vbw-Festivalorchester auf. Das Orchester ist ein Förderprojekt für Schüler und Jugendliche im Alter von elf bis 17 Jahren, die professionelle Anleitung durch Dozenten erhalten und regelmäßig mit international renommierten Künstlern gastieren dürfen. In der „Mozartnacht“ zur Eröffnung des Festivals spielen die Geigerin Vilde Frang und der Bratschist Nils Mönkemeyer mit dem Kammerorchester Basel unter Christoph Poppen. Hélène Grimaud und Sol Gabetta geben einen Duo-Abend mit Werken von Schumann, Brahms, Debussy und Schostakowitsch, die Sopranistin Diana Damrau und der Bassbariton Nicolas Testé sind Solisten einer Operngala des Münchner Rundfunkorchesters. Freuen darf man sich außerdem auf eine „Russische Nacht“ mit dem National Youth Philharmonic Orchestra of Turkey.

Bad Wörishofen, versch. Orte, 26. 9. bis 5. 10., www.festivaldernationen.de

11. bis 14. September

Bad Gastein, SCHUBERT IN GASTEIN „Erfreut, erschüttert, begeistert und oft bis zu Tränen gerührt, genossen wir selige Stunden“, erinnerte sich ein Freund Franz Schuberts an die LiedSoireen, die der Hofopernsänger Johann Michael Vogl einst gab. Vogl fuhr mit Schubert, der ihn selbst am Klavier begleitete, 1825 bis nach Gastein zum Vortrag. Knapp zwei Jahrhunderte später kommt mit Florian Boesch wieder ein österreichischer Bariton nach Gastein, um mit Justus Zeyen am Klavier Schubert-Lieder zu singen. Im Rahmen des Schubert-Festivals gibt er am 13. September im Gasteinertal einen Liederabend mit Schuberts Zyklus Die schöne Müllerin, einem „Werk voll keuscher Reinheit und pantheistischen Überschwangs“, wie der Liedforscher Carl Lafite schrieb.

Bad Gastein, verschiedene Spielorte, 11. bis 14. 9., www.schubertingastein.com

bis 25. Oktober

München, Helfende Freunde Als Lorin Maazel im Juli starb, bedeutete dies einen Schock für die Münchner Philharmoniker.

Der 85. Geburtstag ihres Chefdirigenten im März 2015 war Ausgangspunkt für die Programmplanungen der Spielzeit 2014/15 des Orchesters gewesen. Aufgrund seines Todes musste kurzfristig ein Programmumbau vorgenommen werden. Freunde des Orchesters sprangen unterstützend ein: Zubin Mehta, der Ehrendirigent des Orchesters, der designierte Chefdirigent Valery Gergiev sowie Semyon Bychkov übernehmen Dirigate. Ebenso Asher Fisch, Michael Sanderling, Pietari Inkinen, Eivind Gullberg Jensen, Christoph Eschenbach sowie die drei Debütanten Michał Nesterowicz, Robert Trevino und Andris Poga. Auch die Abonnenten, denen man großzügige Rücktrittsbedingungen anbot, halten dem Orchester die Treue.

München, Philharmonie im Gasteig, Auftaktkonzert am 10. 9., www.mphil.de

23. bis 28. September

Stuttgart, Liedkunst im Wettstreit „Ein Begleiter muss nicht nur gut Klavier spielen können, er muss nicht nur gut zuhören können, und den Text genauso verinnerlicht haben wie der Sänger, sondern darüber hinaus muss in seinem Kopf eine Idealvorstellung dieser Interpretation sein, mit der er dem Sänger dazu verhelfen kann, besser zu singen, als dieser es ohne ihn könnte“, erläutert der Pianist Graham Johnson. Er gehört mit Brigitte Fassbaender, Birgid Steinberger, Robert Holl, Peter Schreier, Kurt Widmer sowie Wolfram Rieger der Jury des Internationalen Wettbewerbs für Liedkunst an. Die Hugo-Wolf-Akademie in Stuttgart veranstaltet den Internationalen Wettbewerb für Liedkunst, der den Komponisten Hugo Wolf und Franz Schubert gewidmet ist, in diesem Jahr zum neunten Mal. Ausgeschrieben ist er für Liedduos.

Ab der zweiten Runde ist er öffentlich. Das Preisträgerkonzert zum Abschluss des Wettbewerbs findet am 28. September statt.

Stuttgart, Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart, 23. bis 28. 9., www.hugo-wolf-akademie.de

bis 5. Oktober

Niedersachsen, Glücksmomente Alljährlich im Herbst bringen sie das ganze Land zum Klingen. Die Niedersächsischen Musiktage präsentieren vier Wochen lang an zahlreichen Orten des Landes Konzerte. „Glück“ ist das diesjährige Thema, für das die Künstler individuelle Programme entwickelt haben. Auf Glückssuche begeben sich der Violinist Giuliano Carmignola und das Ensemble Sonatori de la Gioiosa Marca mit Barockmusik aus Venedig, die Mezzosopranistin Elisabeth Kulman und das Ensemble Amarcord Wien mit Mahlers Liedern, die Mezzosopranistin Vivica Genaux und das Concerto Köln mit Vivaldis Vier Jahreszeiten, das Vokalensemble Singer Pur und der Trompeter Jeroen Berwaerts.

Niedersachsen, verschiedene Spielorte, bis 5. 10., www.musiktage.de

Bad Lauchstädt, THEATERSOMMER

25. September bis 20. Oktober

Als Franz Liszt die musikalische Leitung des Hoftheaters in Weimar übernahm, dirigierte er als Antrittsvorstellung Friedrich von Flotows romantische Oper Martha oder Der Markt zu Richmond. Im Goethe-Theater Bad Lauchstädt, der einstigen Sommerspielstätte Weimars, kommt das vielfach unterschätzte biedermeierliche Werk am 20. September sowie am 12. und 25. Oktober in einer Inszenierung der Oper Halle von Michael McCaffery über 150 Jahre später wieder zur Aufführung. Das musikalisch bestrickende Liebesgetändel um Lady Harriet Durham und ihre Vertrauten Nancy war einer der großen Erfolge der deutschen Oper. Als Lady Harriet ist die Bachpreisträgerin und Koloratursopranistin Marie Friederike Schöder zu erleben. Am Pult steht Kevin John Edusei.

Bad Lauchstädt, Goethe-Theater, bis 25. 10., www.goethe-theater-bad-lauchstaedt.de

Das goldene Konzert, ein Projekt der 1995 gegründeten „Internationalen Stiftung zur Förderung von Kultur und Zivilisation“, hat es sich zur Aufgabe gemacht, vernachlässigte Werke einem größeren Publikum zu präsentieren. Im nun bereits sechsten Konzert der Reihe wird ein Instrument in den Mittelpunkt gerückt, das so alt ist wie die Stücke, die auf ihm erklingen werden: ein 1790 in München gebauter Hammerflügel von Louis Dulcken. Der Klang eines solchen historischen Instruments ist weniger voluminös als der eines modernen Flügels, dafür sehr sanglich und obertonreich. In den Pianisten Malcom Bilson und Zvi Meniker sowie Sopranistin Ruth Holton haben sich drei Künstler gefunden, denen authentische Interpretationen und Werktreue ein großes Anliegen sind. Ge-

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auf Tour, Mozart und seine Freunde

www.crescendo.de

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September – Ok tober 2014

meinsam präsentieren sie ein Programm mit Werken von Linley, Arne, C.P.E Bach und Haydn, die allesamt zum musikalischen Freundeskreis Mozarts zählten. Mit dem Programm „Originalklang Hammerflügel“ gastiert das goldene Konzert in Görlitz, Erfurt, Basel, Wiesbaden, München, Steinfurt und Leipzig.

Auf Tour, verschiedene Spielorte, 25. 9 bis 20. 10., www.internationalestiftung.de

9. bis 12. Oktober

Neuburg (Donau), Eleganter Barock „Eleganz trifft Leidenschaft – Musik des Barock bis zur Klassik“ nehmen sich die 67. Neuburger Barockkonzerte als Thema vor. Im Zentrum stehen ein Trompetenkonzert mit der norwegischen Solistin Tine Thing Helseth und ihrem Ensemble I Musici sowie ein Konzert aus Stimme und Harfe mit der jungen polnischen Sopranistin Maria Skiba und Reinhild Waldeck. Zur Eröffnung präsentiert das Münchner Ensemble Lyriarte unter der Leitung der Cembalistin Olga Watts im Ottheinrichssaal des Neuburger Schlosses inmitten der prachtvollen Gemälde der Staatsgalerie Neuburg „Barockmusik am Zarenhof“. Auf dem Programm stehen Kompositionen von Johann Mattheson, Johann Helmich Roman, Giovanni Verocai und Giuseppe Dall᾽Oglio, der selbst viele Jahre am Zarenhof in St. Petersburg tätig war.

Neuburg an der Donau, verschiedene Spielorte, 9. bis 12. 10., www.neuburger-barockkonzerte.de

10. bis 28. September, Ludwigshafen/Mannheim

Fotos: wildundleise.de; Markus Rössle; Colin Bell / Warner Classics

Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz

Foto: Deutsche Staatsphilharmonie RLP

Schönheit der Zahlen

An die berühmte Anekdote von Newtons Apfel und die Entdeckung der Kernspaltung erinnert die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz mit ihren beiden Konzerten unter dem Titel „Die Schönheit der Zahlen“. Zu hören ist Kammermusik von Paul Hindemith, der mit seinem Schaffen „die geheime Ordnung der Töne“ zu erlauschen suchte, und von Igor Strawinsky, der die konstruktivistischen Regeln der Musik betonte und von sich sagte, er schreibe Musik, wie ein Ingenieur eine Brücke baue. Das Metropolregion Sommer Musikfest Modern Times des Orchesters lädt zu einer Reise durch die Musik des 20. Jahrhunderts. Intendant Michael Kaufmann und Chefdirigent KarlHeinz Steffens wollen den Begriff der Moderne jedoch nicht zu eng fassen, sondern vielmehr „die Faszination vermitteln für die Musik, die zu ihrer jeweiligen Zeit und in ihrem jeweiligen Kontext neue Wege beschritten hat“. Darum stehen auf dem Programm auch der Cool Jazz der Fünfziger- und Sechzigerjahre und Bachs Brandenburgische Konzerte. Denn Bach gehöre unbedingt zu Modern Times. „Johann Sebastian Bach komponierte die Brandenburgischen Konzerte für die ‚Jungen Wilden‘ der Musik“, betont Steffens, „und es ist faszinierend, wie diese Musik den Jazz im 20. Jahrhundert beeinflusst hat.“ Ludwigshafen am Rhein und Mannheim, verschiedene Spielorte, 10. bis 28. 9., www.metropol-kultur.com

28.9. München Gasteig Münchner Philharmoniker, Ltg. Asher Fisch: F. Schubert, A. Bruckner 28.9. Zürich (CH) Opernhaus PhilharmoniaZürich,Ltg.DiegoMatheuz; Anna Stephány: A. Schönberg, G. Mahler, L. v. Beethoven 28.9.AmbergCongressCentrum MünchnerSymphoniker,Ltg.KevinJohn Edusei; Ingolf Turban: F. Mendelssohn, R. Strauss, G. Mahler, F. Schubert 29.9.MünchenNationaltheater BayerischesStaatsorchester, Ltg. Kirill Petrenko; Olga Borodina: G. Mahler 30.9. Frankfurt Opernhaus Liederabend/KwangchulYuon;Burkhard Kehring:DieWinterreisevonF.Schubert 2.10. Dresden Frauenkirche Martin Stadtfeld: J. S. Bach 2.10. Gotha Stadthalle Linus Roth: C. Maria von Weber, M. Bruch, S. Rachmaninoff 3.10. Frankfurt hr-Sendesaal hr-Sinfonieorchester,Ltg.Jean-Christophe Spinosi: G. F. Händel, J. Haydn, G. Rossini & W. A. Mozart 3.10. Neubrandenburg Konzertkirche FestkonzertzumTagderDeutschenEinheit;EugeneMursky;Neubrandenburger Philharmonie,StefanMalzew:G.Gershwin, E. Grieg, F. Liszt 4.10.MünchenMax-Joseph-Saal der Residenz Mozart-Zyklus;Rodin-Quartett:J.Haydn, A. Zemlinsky, W. A. Mozart 4.10. Potsdam Nikolaisaal The King‘s Singers (Jazz) 4.10. Dresden Kreuzkirche KonzerthausorchesterBerlin,Ltg.RoderichKreile;DresdnerKreuzchor;Barbara ChristinaSteude;VirgilHartinger;Andreas Scheibner: J. Haydn 4.10. Berlin Philharmonie Klara Min und das Sinfonie Orchester Berlin: F. Chopin, S. Rachmaninov, P. I. Tschaikowsky 6.10. Frankfurt Alte Oper NDR Sinfonieorchester Hamburg mit ArabellaSteinbacher und Thomas Hengelbrock: J. S. Bach, F. Mendelssohn Bartholdy, J. Brahms 7.10. Potsdam Nikolaisaal Eröffnungsgala des 1. Internationalen Filmfest Potsdam, Deutsches Filmorchester Babelsberg; Eva Lind 9.10. München Prinzregententheater ChristianeIven;LydiaTeuscher;Mitglieder des Chores des Bayerischen Rundfunks,Ltg.:AlexanderLiebreich:G.Ligeti, G. Mahler, M. Djordjevic (UA) u.a.

9.10. Ludwigshafen BASF-Feierabendhaus Mitsuko Uchida: Schubert, Beethoven 9.10. Hamburg Laeiszhalle PhilharmoniaOrchestraLondon/FrankPeterZimmermann;Christophv.Dohnányi 09./12.10.2014 München Gasteig taschenphilharmonie,Ltg.PeterStangel: L. v. Beethoven 11.10. Speyer Dom DeutscheStaatsphilharmonieRheinlandPfalz,Ltg.KarlheinzSteffens:A.Bruckner 11.10. München Herkulessaal Münchner Oratorienchor, Ltg. André Gold: Mendelssohn, Elias 12.10. Frankfurt Alte Oper

Hollywood in Symphony/Best of John Williams/21st Century Symphony Orchestra,Ltg.LudwigWicki(Filmmusik) 12.10. München Allerheiligenhofkirche der Residenz OdeonQuartett:W.A.Mozart,E.Schulhoff, F. Schubert

Klassik im Kino 14.-15.9.OperHandaOperaSydney Puccini:MadamaButterfly(sieheS.8/9) 11.10.LiveMetropolitanOpera Verdi: Macbeth 18.10.LiveMetropolitanOpera Mozart: Le Nozze di Figaro

Festspiele - 14.9. Eisenstadt (A) Intern. Haydntage - 27.9. Schweinfurt Nachsommer Schweinfurt - 28.9. Düsseldorf Düsseldorf Festival!

- 3.10. Bonn Beethovenfest Bonn - 5.10. Hannover Niedersächsische Musiktage 12. - 14.9. Bad Reichenhall Johann-Strauß-Tage 12. - 21.9. Leipzig Mendelssohn-Festtage 12. - 21.9. Erzgebirge Musikfest Erzgebirge 19. - 28.9. Hannover KunstFestSpiele Herrenhausen 19. - 30.9. Osnabrück Morgenland Festival 20. - 27.9. Ludwigsburg Ludwigsburger Schlossfestspiele 20. - 28.9. Bad Homburg Orgelfestival Fugato 20.9. - 10.10. Usedom Musikfestival 21. - 28.9. Kronberg Cello Meisterkurse & Konzerte 26. - 28.9. Viersen Int. Jazzfestival 26.9. - 12.10. Weimar Güldener Herbst, Weimar 26.9. - 12.10. Schwetzingen 39. Schwetzinger Mozartfest 26.9. - 15.10. Echternach (Lu) Festival International Echternach 2.10. - 15.11. Heidelberg/Mannheim/Ludwigshafen Enjoy Jazz 3.10. - 26.11. Thüringen 21. Jazzmeile Thüringen 12. - 18.10. Bad Hindelang Ein Ort wird Musik 17. - 19.10. Donaueschingen Donaueschinger Musiktage Über weitere 200 Festival-Infos undtermineimFestspiel-Guide 2014/15! Diese große Vorschau ist im 15.

Jahrgangerschienen–alsPrintMagazin sowieonlineaufwww.festspielguide.de und als Festspiel-Guide-App!

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r e s o n a n z

Rätsel des klassischen alltags Was verbirgt sich hinter diesem Text?

Oha, ein Skandal. Ein handfester sogar! So schreiben es zumindest die Zeitungen. Dann muss an der Sache wohl auch was dran sein. Dann muss es echt um was ganz Großes gehen. Die Opernwelt ist empört – natürlich! Aber wohl auch ein klein wenig entzückt. Ist es doch mal wieder eine gute Gelegenheit für gepflegten Klatsch und Tratsch und ein bisschen Aufregung. Von Sexismus ist die Rede. Pfui! Von einer plumpen Statur wie aus einem Kinderbuch wird da geschrieben. Oder von einem molligen Bündel aus Babyspeck. Doppel pfui! So etwas sollte man nicht sagen, geschweige denn schreiben. Und schon gar nicht über eine Frau. Und wirklich niemals über den Publikumsliebling! Oberste Kritikerregel: Das Publikum weiß bestimmt, wo dein Auto steht. Und wenn nicht, dann findet es das Publikum ganz schnell heraus. Also werden offene Briefe geschrieben, natürlich mit viel Empörung. Und öffentliche Diskussionen gefordert.

Diese fiesen, alten, knöchrigen Kritiker sollten gefälligst einmal hinter ihren Schreibtischen hervorgekrochen kommen und sich stellen. Oha – ja, das war wirklich ein Skandal.

Das Problem: Frauen sind einfach die besseren Männer. Zumindest in bestimmten Lebenslagen. Und dann sind sie anscheinend auch noch die

besseren Verführer. Tja, Pech gehabt. Sorry, Männer.

Futsch ist die Sophie! Das ist eben wie mit den Kritikern: Die haben ihre besten Jahre meistens auch schon ein Weilchen hinter sich und wollen das einfach nur nicht so ganz einsehen. Einer, der das zum Beispiel hervorragend erkannt hat, war Richard Strauss. Also nicht das mit den Kritikern, sondern das mit dem Alter und dem Verführen. Vielleicht gefielen ihm aber auch einfach nur die schönen Frauenbeine. Von denen gab es am Anfang nämlich jede Menge zu sehen, in diesen kurzen Trikot-Höschen oder den neckischen Pluderhosen. Ach, waren die hübsch anzusehen. Wahrscheinlich ging es damals überhaupt weniger um den Gesang und in erster Linie um die Beine. Ganze Heerscharen von Vätern sollen plötzlich begeisterte Fans von Engelbert Humperdinck und Hänsel und Gretel geworden sein. So wird berichtet. Und das alles wegen ein bisschen Bein. Huch! Wobei Beine an sich ja schon eine Sensation waren. Oder zumindest das, was an den Beinen nun dran war. Das war mal echte Emanzipation. Ohne dieses ganze Gender-Gedöns. Denn am Ende, mal ehrlich, geht es doch gar nicht darum, an jedes Wort brav ein „-innen“ anzuhängen, sondern darum, wer die Hosen anhat.

rätsel lösen und „Jean-Philippe Rameau“-Box gewinnen!

Was ist hier gesucht? Kleiner Tipp: Auch in den Opern von Jean-Philippe Rameau findet sich der gesuchte Begriff ziemlich oft! Wenn ­Sie die Antwort kennen, dann schreiben Sie Ihre Lösung unter dem Stichwort „Alltags-Rätsel“ an die crescendo-­Redaktion, Rindermarkt 6, 80331 München oder per E-Mail an redaktion@crescendo.de.

Unter allen richtigen ­Einsendungen verlosen­wir die DVD-Box „Jean-Philippe Rameau. Les Arts Florissants, William Christie“ (harmonia mundi). Einsendeschluss: 30. September 2014. Viel Glück! Der Gewinner unseres letzten AlltagsRätsels ist Dieter Schmidt aus Leipzig. Die richtige Lösung war „Die Fuge“.

LeserBriefe Nicht nur die Überschrift „Verschont uns mit dem Pimmel des Tenors“ unseres Kolumnisten Axel Brüggeman provozierte die Leser, sondern auch der Inhalt der Geschichte. Hier sind einige Auszüge.

Sorry, leider kein wirklich guter Artikel. [...] Was mir aber seit Längerem auffällt, ist eher eine Krise der Kulturkritik als eine der Opernhäuser. In vielen Städten nimmt die Auslastung der Opernhäuser zu. Gerade in den Metropolen Deutschlands. Man vergleiche ruhig mal die Zahlen der 90er-Jahre mit denen von heute. Natürlich wird auch vermehrt auf die Auslastung geachtet – man hat Angst, gerade die „wichtigen” Werke in den Sand zu setzen. [...] Wenn ein Opernhaus aber mal mutig ist und ein Stück radikal neu deutet, dann wird es garantiert in der Presse verrissen (man kann sich ja so schön aufregen und es macht mehr Spaß, sich aufzuregen, als zu jubeln – übrigens als Schreiber wie als Leser). Beispiele für in der Presse durchgefallene Produktionen: Guth-Ring und -Meistersinger, Don Giovanni von Schwab in Berlin […]. Die Presse will doch gar nichts Innovatives

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haben. Ist es konventionell, auf hohe Auslastung geschielt, ist es für die Presse langweilig. Ist es modern, kann man es auseinandernehmen. Unsere Musikkritik steckt in einer tiefen Krise.

Tobias Hammer Gratulation! Ein hervorragender Artikel dem absolut nichts hinzuzufügen ist. Danke für diese Überlegungen – mögen möglichst viele sie lesen! Wir alle haben einen Auftrag!

Regula Mühlemann Sehr denkenswert. Heute werden nicht Künstler gesucht, sondern vielmehr Produkte, die leicht einsetzbar sind. Singmaschinen, die gut aussehen. Da hätten die Intendanten und GMD᾽s wirklich die Aufgabe, den Regisseuren ab und zu mal nicht zu erlauben, immer nach Körpergröße zu besetzen. So wie es jetzt ist, ist es einfach nicht mehr interessant.

Caecilia Nannesson

Peinlicher Artikel, der im Grunde nur eines zeigt: Früher war doch alles besser, zumindest was den Musikjournalismus betrifft. Schlicht nicht vorzustellen, dass ein Kesting uns mit Geschichten über seine Mutter gelangweilt hätte ...

Tom Hase Danke, Herr Brüggemann. Könnte man eigentlich auch mal darüber nachdenken, eine Oper wiederzufinden, anstatt sie krampfhaft immer neu fassen zu müssen? Mit Demut Werken begegnen, anstatt seine eigene Originalität zu verherrlichen? Carola Sonne Ich sehe die Problematik in Leipzig. Dort hat man die Oper über viele Jahre herunterkommen lassen. Heute gibt es endlich Besserung. Nachdem das Publikum mit schrecklichen Inszenierungen vergrätzt worden ist und sich ab 2005 ein Stardirigent durch Unterlassungen versündigt hat.

Cornelius Ludwig

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September – Ok tober 2014

gesellschaft Schwerpunkt Hollywood: Daniel Hope über seine Reise zu den Exil-Komponisten in L.A. (Seite 60) Interview mit Ron Schönberg und Barbara Zeisl-Schönberg (Seite 66). Woher kommt eigentlich ... Filmmusik? (Seite 68)

Die (Klassik)-Welt in Zahlen HOLLYWOOD

DIE FilmMusik der 40er JAHRE

Von den Nationalsozialisten verfolgte und ins Exil gezwungene Komponisten …………………………………………………… 221 Von den Nationalsozialisten ermordete Komponisten …………………………………………………………………………………… 54 Anzahl der Filme ... ... für die Walter Jurmann Musik komponierte……………………………………………… 71 ... für die Erich Zeisl Musik komponierte…………………………………………………………… 24

Foto: ebraxas/Fotolia.com

... für die Erich Wolfgang Korngold Musik komponierte…………………………… 23

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Foto: Margaret Malandruccolo / DG

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Vor den Toren Hollywoods: Geiger Daniel Hope begab sich in Los Angeles auf Spurensuche.

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September – Ok tober 2014

Der Sound von Hollywood Großartige Komponisten flohen in den 40er Jahren auch in die Traumfabrik von Hollywood. Ein Thema, das den Musiker Daniel Hope seit seiner Kindheit beschäftigt und das er nun mit seinem neuen Album „Escape to Paradise“ dramaturgisch und musikalisch behandelt.

Doch fanden die Herren im Exil von Los Angeles wirklich das Paradies?

Von Barbara Schulz

Hollywood-Sound eine absolut europäische Tradition Herr Hope, Ihre neue CD The Hollywood Album HOLLY WOOD hat.

Natürlich durch Zufälle und Notsituationen entbe-schäftigt sich mit Komponisten, die vor Hitler DIE FilmMusik standen. Aber auch durch geniale Kombinationen: Zum ins Exil geflohen sind. Sie ist aber überschrieben mit der 40er JAHRE Beispiel Max Reinhardt als Regisseur für den SommerEscape to Paradise ... nachtstraum. Die Schauspieler, die Lichtregie – das waren Eigentlich ist das eher als Frage gemeint. Für einige revolutionäre Ideen. Und dazu Mendelssohns Musik, adaptiert von ihnen war es das Paradies, Arnold Schönberg zum Beispiel hatte einmal genau diese Worte verwendet. Andere fanden dort die von Korngold. Mendelssohn und Korngold im Doppelpack – diese trotzige Haltung finde ich fantastisch. Die Nazis waren entsetzt.

Hölle. Für alle war es am Ende ja ein Ort der Zuflucht.

Keine kleine Herausforderung, einen so großen Bogen zu spanGab es einen aktuellen Anlass, sich mit diesem Thema zu nen. Was war der Plan bei der Zusammenstellung des Albums? beschäftigen und daraus ein Album zu machen?

Die Idee hatte ich schon über zehn Jahre im Kopf. Weil es ein sehr Eher im Gegenteil: ich habe mich 15 Jahre mit Musik aus Theresienstadt beschäftigt. Es war langsam Zeit für die Kehrseite. Ich wollte ambitioniertes Projekt ist, hat es entsprechend lange gedauert. Der auch die Frage stellen, was aus den Musikern und Künstlern gewor- eigentliche Ursprung liegt aber noch viel weiter zurück – als ich ein Junge war und Korngolds Violinkonzert zum ersten Mal von Jascha den ist, die überlebt haben – schließlich komme ich selbst aus einer Heifetz auf Platte hörte. Ich war sprachlos: ich habe mir nicht zugeEmigrantenfamilie. Meine Großeltern flohen vor dem NS-Regime traut, es selbst zu spielen, so unglaublich schön war die Interprenach Südafrika, meine Eltern wiederum vor dessen Apartheidsystation: virtuos, emotional und dennoch kontrolliert. Irgendwann tem nach Großbritannien. Zudem hat mich die Stadt Los Angeles – viel älter und ein bisschen mutiger geworden – habe ich es dann aus dieser Zeit immer schon fasziniert. Ich war auf Spurensuche, doch aufgenommen. Ich kann aber nie sofort sagen, welche andehabe zum Beispiel die Villa Aurora besucht. Allein die Vorstellung: Lion Feuchtwanger, Hanns Eisler, Thomas Mann und wie sie alle hießen beim Schnitzelessen in Pacific Palisades – das ist reizend und bizarr gleichermaßen. Genau das aber ist Hollywood. Aber zurück zum Album: Die eigentliche Fragestellung war für mich der HollywoodSound. Woher kommt er, was ist das, gibt ren Stücke ich dazunehme. Ich musste es ruhen lassen, überlegen, es ihn überhaupt? Oder ist es nicht eher ein europäischer Klang? recherchieren ... Zunächst war das Album geplant als reines ExilUnd? Sie haben sicher Antworten gefunden?

Projekt, also nur die Exil-Komponisten. Dann kam Sting dazu – Ich glaube schon. Es kam damals eine ganze Menge zusammen: Hollywood war neu, der Tonfilm war neu, Soundtracks waren neu. das hat sich einfach so ergeben. Und dann merkte ich, das Thema Also musste man auch eine neue Art des musikalischen Ausdrucks war nicht nur Exil, sondern Flucht, Escape. Damit änderte sich alles: Plötzlich wusste ich, dass ich einen frühen Korngold spielen finden, diese großen Spektakel zu untermalen. Viele der Kompomuss. Dass ich aber auch American Beauty haben will, weil Thonisten kamen aus einem spätromantischen, europäischen Erbe: mas Newman der Sohn von Alfred Newman ist, vom Gründer Pate war neben Max Steiner vor allem Erich Wolfgang Korngold, der Hollwood-Clans. Eins kam zum anderen. Es war wie eine Art weil er wie kaum ein anderer in der Mahler-Strauss-ZemlinskiSchicksalspuzzle, das sich im Laufe dieser zehn Jahre so fügte. Und Ära verwurzelt war. Hier konnte er sein gesamtes Talent entfalten. dennoch waren Auswahl und Anordnung der Stücke eine extre­me Und ohne Korngold hätten wir vermutlich keinen John Williams – so sehr ich Williams schätze. Insofern bin ich überzeugt, dass der Herausforderung, auch mit welchem Künstler ich sie machen

„Allein die Vorstellung: Lion Feuchtwanger, Hanns Eisler, Thomas Mann und wie sie alle hießen beim Schnitzelessen in Pacific Palisades – das ist reizend und bizarr gleichermaßen“

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Foto: Margaret Malandruccolo / DG

will. Da steckt sehr viel gedankliche komponieren mussten. Aber was für Arbeit dahinter. eine musikalische Sprache? GroßarSting singt seinen eigenen Text, The tige Musik, komplex, sinfonisch ...

Secret Marriage auf Eislers VertoIhr Interesse gilt aber offenbar vor nung des Brecht-Gedichts An den allem den Biografien hinter der kleinen Radioapparat. Wäre der Musik?

Originaltext nicht konsequenter Immer! Darum mache ich diegewesen? ses Programm live manchmal mit Nicht unbedingt. Sting ist Profi Fotos oder Film-Clips. Es ist eine genug, nur in einer Sprache zu sinwunderbare Möglichkeit, eine gen, die er beherrscht. Natürlich Geschichte weiterzuerzählen. Und kennt und schätzt er den Text von diese Geschichte hat alles: Sie hat Brecht. Er hat aber versucht, seinen tolle Musik, sie hat eine tragische eigenen Zugang zur Musik zu finden.

Seite, sie hat eine glückliche Seite. Sie Und auch bei ihm geht es ja um eine kennt Komponisten, die sehr erfolggeheime Union, also eine Art Paralreich waren wie Korngold, wie Rózsa, lelwelt zum „kleinen Radioapparat“ aber auch jene, für die es absolut Künstler Hope in L.A.: „Es war wie eine Art SchicksalsUnd Max Raabe singt Speak Low elend war. Doch sie alle hatten ein puzzle, das sich im Laufe dieser zehn Jahre so fügte.“ von Kurt Weill ... bewegtes Leben. Und man darf die Ja, es ist wahnsinnig schön, Raabe Kehrseite nicht vergessen: Selbst die auf Englisch zu hören. Ich wollte, dass er die Exilstimme verkörKomponisten, die in Hollywood Karriere gemacht hatten, wurden pert. Genau das also, was man gehört hat. Mit einem tollen Chanin Europa komplett ignoriert. son- oder Jazzsänger aus Amerika hätte es das Thema der EntwurWeil sie sich verkauft hatten … zelung so nicht gegeben.

Es war sehr spannend, mit dem Sohn von Arnold Schönberg und Die kleine Schieflage war also seiner Frau, der Tochter von Zeisl, zu sprechen. Auch Zeisl war nur dramaturgisch gewollt? nach Hollywood gekommen, um sich und seine Familie zu retten.

Von diesen „Schieflagen“ gibt es ja mehr auf der CD! As time goes by Korngold hat diese Arbeit sehr als Mittel benutzt, um Geld zu verist auch eine Art PS von mir. Ich wollte zeigen, dass das nicht einfach dienen. Er wollte nichts anderes, als seiner Familie zu helfen und alles nur schön ist, sondern dass dahinter etwas ganz anderes steckt. die Leute aus Europa herauszuholen. An dem Tag, als der Krieg Menuchims Lied von Eric Zeisl ist unglaublich dramatisch, hat wenig vorbei war, war für ihn Schluss mit Filmmusik, und er schrieb das mit Schönklang zu tun. Meine dramaturgische Überlegung war es, Violinkonzert. Das wird oft vergessen in seiner Biografie: Er wollte das auszuleuchten, um dem Hörer noch einmal bewusst zu machen, zurück, er wollte in Wien sein. wo wir uns befinden. Nun ist die Geschichte 2009 erschien Ihr Buch Familienstücke, in hinter der Musik ja nicht auf den ersten dem Sie die Exil-Geschichte Ihrer Familie Blick sichtbar. aufarbeiten. Floss auch diese Recherche Daniel Hope Live Ist es für einen klassischen Geiger nicht in das Hollywood-Projekt mit ein?

12.10.14: Wien, Musikverein ein bisschen gefährlich, so ein HollyFamilienstücke war sozusagen der Anfang 15.10.14: Wien, Konzerthaus wood-Pathos-Paket zu veröffentlichen? meiner Selbstanalyse. Vieles, was ich seitMan kann es nicht jedem recht machen. her getan habe, geht darauf zurück. Dieses 23.10.14: Hamburg, Laeiszhalle Aber ein Blick auf die Tracklist genügt: Buch hat so viel bewirkt – all die Dinge, 25.10.14: Bremen, Die Glocke Das ist ja nicht die Filmmusik zu Pirates of die ich herausgefunden habe. Das hat mich 27.10.14: Frankfurt, Alte Oper the Carribean, es sind keine neuzeitlichen sehr verändert, inspiriert, schockiert. Und 29.10.14: Nürnberg, Meistersingerhalle Scores. ich werde bis heute konfrontiert mit der 31.10.14: München, Gasteig Mit ein paar Ausnahmen ...

Arbeit daran. Man recherchiert, findet 5.11.14: Essen, Philharmonie Ja, ich habe ganz bewusst drei lebende Sachen und Akten – das ist die eine Seite.

Komponisten mitausgewählt. Weil sie Aber dann kommt jemand, den man nicht den Hollywood-Sound für mich erweikennt, der betroffen ist oder war. Oder der tert haben. Und weil das Sujet der jeweiligen Filme nur mit Flucht noch Bilder hat aus der Zeit. Mich erreichen Briefe von Menschen, zusammenhängt: Schindlers Liste, American Beauty und Cinema die in Berlin unsere Nachbarn waren. Eines Abends nach einem Paradiso. Und ich fand es sehr spannend, Ennio Morricone mit Konzert kam tatsächlich der Sohn des Anwalts meiner Urgroßdazuzunehmen. Er ist Europäer und hat sich nur 20, 30 Jahre spämutter zu mir. Was ich sagen will: Wenn man beschließt, so etwas ter als diese Komponisten in Hollywood nach oben gearbeitet. zu machen, ist es, als würde man den Wasserhahn anmachen – es Aber wie unterschiedlich sind diese Tracks! Korngold, Zeisl, Eisler, fließt einfach. Und das ist extrem spannend. Projekte wie diese fanRózsa – der Bogen geht vom großen pathetischen Wohlklang des gen immer mit einer Idee an, und die wächst dann – nicht geradeBen Hur zu An den kleinen Radioapparat von Eisler. Es mag Leute aus, sondern in die Breite. geben, die das Album als Filmmusik-Platte abtun. Es ist aber viel Und die Message? mehr ...

Muss es ein Message geben? Wenn ja, dann die, dass diese KompoZumal es ja viele Titel gibt, die gar nicht vom Film kommen. nisten Großartiges geleistet haben und auch heute Das zum einen. Zum anderen sollte sich jeder, der bei Filmmusik noch unterschätzt sind. Und ganz sicher die: Dass jener Zeit die Nase rümpft, bewusst machen, was da für Fähigkeiwir alle einen Ort haben, wohin wir fliehen könten dahinterstecken – auf Abruf jeden Stil schreiben zu können! nen. Zuflucht bedeutet für jeden etwas anderes.

Da saßen Leute in den Studios, die mit Ravel studiert hatten und Daniel Hope „Escape to Paradise“ (DG) plötzlich um 15 Uhr einen Foxtrott und um 16 Uhr einen Cancan 62

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September – Ok tober 2014

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HOLLYWOOD

DIE FilmMusik der 40er JAHRE

L.A. Confidential Die Größen Walter Jurmann, Erich Wolfgang Korngold oder Arnold Schönberg flohen in den 40er-Jahren sehr unfreiwillig vor dem NS-Regime in die warmen Hügel Hollywoods – auch, um als F ­ ilmkomponisten zu überleben.

Foto: privat

V O N E b e r h a r d G ö r ne r

A

Walter Jurmann und Bronislaw Kaper auf dem Gelände der MGM-Studios, 1935.

ls sich der Komponist Werner Richard Heymann sechs Jahre nach seiner Rückkehr aus Hollywood im Jahr 1957 um die Wiedererlangung der deutschen Staatsbürgerschaft bewarb, wurde er von der Einbürgerungsbehörde in München gefragt, ob er Kenntnisse über die deutsche Kultur habe. Als Beweis sollte er ein deutsches Volkslied singen, und Heymann soll daraufhin „Das gibt᾽s nur einmal“ gesungen haben, ohne ein Wort darüber zu verlieren, dass er der Komponist dieses Liedes in dem Film „Der Kongreß tanzt“ ist, welcher 1931 auf den deutschen Kinoleinwänden ein rauschender Erfolg wurde, dank so wunderbarer Schauspieler wie Lilian Harvey und Willy Fritsch.

Hätte man seinem Kollegen Walter Jurmann die gleiche Frage gestellt, wären die Ohren der deutschen Einwanderungsbehörde mit dem Lied „Veronika, der Lenz ist da!“ überzeugt worden. Jurmann bediente verschiedenste Genres: stimmungsvolle Wiener Walzer, freche Berliner Schlager, charmante Pariser Chansons und schmissigen amerikanischen Jazz. Berühmte Interpreten wie Richard Tauber, Jan Kiepura und Martha Eggerth, Greta Keller oder Judy Garland sangen seine Lieder.

Aber Walter Jurmann wollte, obwohl die GEMA ihm versprach, einen roten Teppich auszurollen, nicht mehr nach Deutschland zurück. Dass diese Entscheidung gar nicht so leicht war, daran erinnert sich seine Frau Yvonne Jurmann auch heute noch: „Der 63

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Foto: Nischkauer-Archiv der Wiener Internationalen Operettengesellschaft

Auch Kurt Weill, der Komponist von Bertolt Brechts DreigroAufenthalt in Europa ist ihm sehr nahegegangen. Er war in Berlin, München, Hamburg, Zürich, Paris. Er hat seinen Texter Fritz Rot- schenoper ging 1935 von Paris nach Hollywood, weil ihm der Register wieder getroffen und mit Hans Albers ein Mittagessen in Berlin seur Josef von Sternberg versprochen hatte, hier Arbeit für ihn zu fingehabt. Doch Amerika war ihm wichtig geworden. Er lehnte alles ab den. In Hollywood angekommen, war davon keine Rede mehr. Ein mit den Worten: ‚Ich habe jetzt eine schöne junge Frau. Sie ist mir bisschen neidisch schreibt Kurt Weill am 7. Februar 1937 aus Holdas Wichtigste. Sie hat eine bessere Zukunft in Amerika.‘ Jeden Tag lywood an seine Frau Lotte Lenya in New York, dass der Regisseur Ernst Lubitsch für seinen neuen hat er mir geschrieben.“ Film Angel mit Marlene Dietrich Aber von vorne: Im Septemden Komponisten Walter Jurmann ber 1934 – von Paris kommend, für die Filmmusik engagiert hat. wo die Zuschauer die Kinos stürmAber in Hollywood entschieden ten, um den Film Nuits Moscovinicht die Regisseure, wer Filmmutes zu sehen, zu dem Walter Jursik komponiert, sondern das Stumann die Musik komponiert hatte, dio – und Paramount entschied erreichte er New York und küsste sich für Friedrich Hol­laender und den amerikanischen Boden. VielWerner Richard Heymann. Auch leicht, weil er auf ein glückliches Friedrich Hollaender kam ja 1934 Leben in Amerika hoffte. Vielin Hollywood an Bord. Seine großleicht aber auch, weil ihm plötzlich artige Musik für Marlene Dietrich bewusst war, dass ihm der Vertrag Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe mit MGM das Leben gerettet hatte. eingestellt in dem 1930 von Josef Denn er hatte in seinem ersten Exil von Sternberg gedrehten Film Der in Paris in den Zeitungen geleblaue Engel half Friedrich Hollaensen, wie in Deutschland im April der nur bedingt weiter. Er gründete 1934 der erste Boykott der neuen ein Tingeltangel-Theater, mit dem nationalsozialistischen Machthaer sich einigermaßen existenziell ber gegen die jüdischen Mitbürüber Wasser halten konnte. ger brutal über die Bühne geganIn Hollywood sammelte sich gen war. Amerika wurde zum hilfdie künstlerische Prominenz der reichen Ufer, nicht nur für Walter Weimarer Republik. Einer zog den Jurmann. Am 26. Oktober 1934 anderen nach, so wie es glückgab der Direktor für Öffentlichlicherweise dem Komponisten keitsarbeit des New Yorker Hotels Erich Wolfgang Korngold durch Edison die Presseerklärung heraus: Max Reinhardt geschah. Letzterer „Europäische Komponisten, Wallud 1934 Korngold ein, für seinen ter Jurmann und Bronislaw Kaper, Filmplakat für Nuits Moscovites, 1934 Film A Midsummer Night᾽s Dream auf dem Weg nach Hollywood.“ Die Musik von Walter Jurmann, sie eilte ihm voraus. Sein Hit die Filmmusik anhand Mendelssohns Schauspielmusik zu arranNinon, gesungen von Jan Kiepura in dem Film Ein Lied für Dich, gieren. Korngold hatte mit Reinhardt bereits in Europa erfolgreich hatte 1933 ganz Europa erobert, und der Leiter der MGM-Musik- zusammengearbeitet. Für den Film Sommernachtstraum setzte der abteilung, Jack Robbins, erwarb 1935 die amerikanischen Rechte, 37 Jahre alte Komponist neue Maßstäbe in der Musikgeschichte, während Walter Jurmann bei MGM schon fest im musikalischen was jedoch keineswegs bedeutete, dass es ihm deshalb finanziell gut Sattel saß und für die aus Österreich emigrierte Schauspielerin Luise gegangen wäre. Im Gegenteil; seine Frau hatte Glück, etwas dazuRainer den Song You’re all I need komponierte – für den 1935 bei verdienen zu können, indem ihr Yvonne Jurmann, welche in Los MGM gedrehten Film Escapade, was die Schauspielerkarriere von Angeles eine Fabrik für Strickmode gegründet hatte, einen Job in ihrem Unternehmen vermittelte.

Luise Rainer in Hollywood erheblich beförderte.

1936 war Walter Jurmann auf dem Höhepunkt seiner KomKeine Frage, Hollywood wurde zum Rettungsring deutschjüdischer Komponisten. Hätten sie ihn nicht ergriffen, wäre es ihnen ponistenkarriere. Sein Titel San Francisco für den gleichnamigen MGM-Film mit Clark Gable und Jeanette Mac Donald wurde ein Welterfolg. Zwei Jahre später kam Hanns Eisler nach Hollywood. Für Fritz Langs Film Hangmen Also Die nach einem Drehbuch von Bertolt Brecht, schrieb Hanns Eisler die Partitur, wofür er und Walter Jurmann so ergangen wie dem wunderbaren Sänger und in der Kategorie „Beste Filmmusik des Jahres 1943“ sogar für den Komponisten Willy Rosen, dessen Lied Wenn die Geranien blühn Oscar nominiert wurde.

Doch es gab auch andere Hollywood-Schicksale. Yvonne JurWalter Jurmann 1930 als Sänger mit dem Jazz-Orchester John Morris auf Adler-Elektro-Schallplatte einspielte. Willy Rosen ging leider mann erinnert sich: „Nicht alle Musiker-Emigranten hatten Erfolg aus Paris mit dem Schauspieler Kurt Gerron in die Niederlande, wo in Amerika. Doch Walter hätte es lieber gesehen, es wäre ihnen versie das „Theater der Prominenten“ gründeten. Nach dem Überfall gönnt gewesen. Viele Emigranten sind in den USA seelisch kaputt durch Nazi-Deutschland auf Holland wurde ihr Leben in Auschwitz gegangen. Ralph Benatzky zum Beispiel war absolut depressiv. Paul Abraham, dessen Musik ich liebe, ist leider in New York schwer mörderisch beendet.

„Viele Emigranten sind in den USA seelisch kaputt gegangen. Ralph Benatzky zum Beispiel war absolut depressiv. Paul Abraham ist leider in New York schwer krank geworden. Keiner wollte seine Musik.“

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September – Ok tober 2014

Filme, Bücher & CDs zu deN 40ern HOLLYWOOD

Wie erging es jenem Teil der aus Nazi-Deutschland geflohenen Künstler, der im kalifornischen Exil landete?

Als Einführung in diese spannende Thematik empfiehlt sich auf jeden Fall Peter Rosens knapp einstündiger, aufschlussreicher Film „Shadows in Paradise“, obwohl er es dem Zuschauer auf Englisch (trotz deutscher Unter­titel) und mit manchmal pathetischem Ton nicht leicht macht. Falls Sie sich tiefer ins Thema einlesen oder einhören wollen, empfehlen wir folgende Veröffentlichungen und natürlich das Buch des Autors der benachbarten Geschichte (E. Görner: „Walter Jurmann. Sein Leben, seine Musik“).

DIE FilmMusik der 40er JAHRE

DVDs

„Stravinsky in Hollywood“ Marco Capalbo (Cmajor) –siehe auch S. 42 „Shadows in Paradise. Hitler᾽s Exiles in Hollywood“ Peter Rosen (Euroarts)

CDs Erich Wolfgang Korngold: „Captain Blood“ Brandenburg Philharmonic Orchestra, Richard Kaufmann (Naxos) Eric Zeisl: „Kleine Sinfonie nach Bildern der Roswitha Bitterlich, November & Concerto grosso für Cello und Orchester“ UCLA Philharmonia, Antonio Lysy, Neal Stulberg (Yarlung Records) „Erwin Belakowitsch sings Walter Jurmann“ Erwin Belakowitsch (Orlando Records) Erich Wolfgang Korngold: „The Sea Hawk“ The Oregon Symphony, James de Preist (Delos) Hanns Eisler: „Ernste Gesänge“ Matthias Goerne, Thomas Larcher, Ensemble Resonanz (HMF) Walter Jurmann: „The Original Motion Picture Scores“ Kölner Rundfunkorchester, Klaus Arp (Capriccio) Arnold Schönberg: „Moses und Aron“ Franz Grundheber, Andreas Conrad, SWR Sinfonie­orchester Baden-Baden und Freiburg, Sylvain Cambreling (Hänssler Classic)

Bücher „Walter Jurmann. Sein Leben, seine Musik“ Eberhard Görner (Henschel Verlag) „‚I am not a hero, I am a composer‘ – Hanns Eisler in Hollywood“ Horst Weber (Olms Georg AG) „Arnold Schönberg“ Eberhard Freitag (Rowohlt Taschenbuch Verlag) „Apropos Marlene Dietrich“ Lars Jacob (Neue Kritik Verlag)

krank geworden. Keiner wollte seine Musik. Sie hatten erwartet, dass sie gefeiert werden wie in Deutschland. Wir bekamen natürlich Besuch. Robert Stolz war da, Paul Abraham, Emmerich Kálmán, und auch Martha Eggerth und Jan Kiepura waren oft bei uns in Los Angeles zu Gast. Sie haben zuerst auch in Los Angeles gewohnt, in Beverly Hills. Später sind sie nach New York umgesiedelt.“ Ein kluger Kopf hat einmal Hollywood als das „Weimar der USA“ bezeichnet. Kein falsches Bild: Thomas und Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Bruno Frank, Bertolt Brecht, Franz Werfel, Leonhard Frank, Vicki Baum bildeten den literarischen Pool, im filmischen dominierten Marlene Dietrich, Peter Lorre, Luise Rainer, Fritz Kortner, Billy Wilder, Fritz Lang, Josef von Sternberg, Max Reinhardt, Ernst Lubitsch – und die berühmteste Filmmusik wurde geschrieben von Walter Jurmann, Hanns Eisler, Kurt Weill, Friedrich Hollaender, Werner Richard Heymann, Erich Wolfgang Korngold, nicht zu vergessen Hans J. Salter und Arnold Schönberg.

Apropos Schönberg: Der Komponist rettete sein Leben, indem er bereits im Mai 1933 Deutschland verließ. An der Preußischen Akademie leitete er eine Meisterklasse für Komposition, die ihm von den Nationalsozialisten nach deren Machtantritt sofort entzogen wurde. Über Paris und Boston, ließ er sich 1934 in Los Angeles nieder, wo er von 1936 bis 1944 als Professor für Musik an der Staatsuniversität Kalifornien wirkte. Thomas Mann ist Schönberg wohl zum ersten Mal im Haus von Vicki Baum begegnet. Am 8. Mai 1943 notierte Thomas Mann in sein Tagebuch: „Abends mit Schönbergs. Holte ihn viel über Musik und Komponisten-Dasein aus, und es trifft sich gut, daß er selbst auf Verkehr der Häuser dringt. Später Aufbruch.“ Eine große Nähe gab es zwischen Walter Jurmann und Arnold Schönberg nicht, aber man sah und kannte sich. Yvonne Jurmann antwortete mir kürzlich in einem Telefonat auf meine Frage, wie Walter Jurmann zur „Zwölftontechnik“ von Arnold

„Schönberg hatte Walters kollegialen Respekt, und er akzeptierte seine Denkart.“ Schönberg stand (sie ist mit Schönbergs Sohn und seiner Familie gut befreundet) Folgendes: „Walter hat ihn nicht kritisiert, sondern seine Ton-Schöpfung akzeptiert. Er war dafür offen, obwohl es nicht sein musikalischer Geschmack war. Aber Schönberg, der diese Musik kreiert hat, hatte Walters kollegialen Respekt, und er akzeptierte seine Denkart. In den USA wird Schönbergs Musik überall gespielt, und er ist hier ein bekannter Komponist.“ Ohne die deutschen, jüdischen und österreichischen Künstler aus Film, Theater, Musik und Kabarett, die vor Hitler-Deutschland und Europa fliehen mussten, wäre Hollywood nicht zu jenem Mythos gelangt, den es noch heute besitzt.

Die musikalischen Karrieren solcher großartiger Schauspielerinnen wie Judy Garland und Deanna Durbin, sie sind kaum zu denken ohne die Musik der Emigranten.

Beim Schreiben über die Biografie des Filmkomponisten Walter Jurmann wurde mir dramatisch bewusst, welch geistigen, künstlerischen und humanistischen Verlust sich Deutschland zwischen 1933 und 1945 selbstmörderisch zugefügt hat – und wie sich zwei deutsche Staaten von 1945 bis 1990 damit auseinandersetzen mussten. Ein Defizit, das nach wie vor spürbar ist. Deshalb ist es unser aller Pflicht, diese großen Persönlichkeiten, die die Welt mit ihrer Kunst reicher gemacht haben, nicht zu vergessen, sondern sich ihrer dankbar zu erinnern! n 65

G e s e l l s c h a f t

„Sie waren alle freudig schockiert“ Die Komponisten Arnold Schönberg und Erich Zeisl waren beide nach Hollywood geflohen und hinterließen auch ein nichtmusikalisches, ­gemeinsames „Werk“: Schönbergs Sohn Ron heiratete Zeisls Tochter Barbara. Daniel Hope traf das Ehepaar in Los Angeles und stellte uns dieses einmalige Gespräch zur Verfügung.

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crescendo: Könnten Sie versuchen mir einen kleinen Eindruck davon zu geben, wie es für die europäischen Komponisten gewesen sein muss, hier nach Los Angeles zu kommen?

Ron Schoenberg: Ich glaube, sie alle waren zunächst freudig schockiert von dieser intensiven Sonne, und besonders mein Vater, der zuvor in New York ständig kränkelte, dachte, es sei das Paradies mit diesem guten Wetter. Trotzdem war da auch so etwas wie ein kultureller Schock, ein Mangel an Anerkennung – wahrscheinlich für alle von ihnen, die ja daheim in Europa sehr bekannt waren.

Und dann die sprachlichen Probleme, das war für die Schriftsteller natürlich noch wesentlich schlimmer als für alle anderen.

Sie sagten, Ihr Vater beschrieb es als ‚Paradies’, benutzte er tatsächlich dieses Wort?

RS: Ich weiß nicht mehr ganz genau, was er sagte, aber für gewöhnlich war Ironie dabei. Er sprach jedoch auch davon, dass er „ins Paradies gezwungen“ wurde. Es fiel ihm schwer, dort Leute zu unterrichten, die, wie er es sagte, „keinen Hintergrund“ hatten, wenig Vorwissen. Er verbrachte viel Zeit damit, zu unterrichten, und schrieb Bücher über Komposition und Harmonielehre.

Barbara, wie war es für Ihren Vater, Erich Zeisl?

Barbara Zeisl-Schoenberg: Er lehrte am L.A. City College und sprach immer wieder von „ignorance“ und „stupidity“. Die Studenten waren einfach nicht auf dem Level, das er gewohnt war.

Aber wir hatten gute Freunde hier, besonders Erich Korngold, Norman Wright, Hans Kafka, Ingo Preminger, Fritz Zweig … ich erinnere mich sehr genau an alle diese Leute, ich könnte sie auf Fotos erkennen, aber ich war noch sehr klein. Als wir ankamen, war ich gerade einmal zwei Jahre alt.

Welche Erinnerungen haben Sie an Erich Korngold?

BZS: Ich erinnere mich daran, wie er Klavier spielte und wie er auf Partys alle mit seiner geistreichen Art zum Lachen brachte, er hatte einen wunderbaren Humor, genauso wie seine Frau Luzi. Mein Vater war sehr eng mit ihm befreundet. Korngold hatte es etwas 66

Foto: Arnold Schönberg Center, Wien

DIE FilmMusik der 40er JAHRE

Der Komponist Arnold Schönberg vor seinem Haus in L.A.

leichter, er war damals ein angesehener Filmkomponist. Aber als er meinem Vater eine Partitur der „toten Stadt“ gab, schrieb er in der Widmung: „Neue Freunde der alten Stadt in der ganz toten Stadt Hollywood“.

War denn Los Angeles zu der Zeit eine „tote Stadt“?

BZS: Los Angeles hatte kein Zentrum, das war wahrscheinlich das Schlimmste. Die Künstler waren Wien gewohnt, oder Berlin.

Dort gab es Zentren, von denen alles ausging, mit Opernhäusern und Konzerthallen. Hier ist es noch immer so: Will man ein erstklassiges Konzert der L.A. Philharmonic hören, so muss man erst meilenweit reisen. Das war damals ja noch problematischer. Es gab nicht einmal ein Opernhaus, ein sehr enger Freund meines Vaters, Kurt Herbert Adler, brachte die San Francisco Opernkompanie für ein paar Gastauftritte nach L.A., das war es. Der hauptsächliche kulturelle Bezirk war Downtown, aber die meisten Emigranten lebten in West-Hollywood, Beverly Hills und Santa Monica. Sich da zu treffen war also schwierig.

Wie sehr waren Ihre Eltern darüber informiert, was in der Heimat vor sich ging?

RS: Mein Vater war sehr gut informiert und versuchte Leute aus www.crescendo.de

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September – Ok tober 2014

Europa in die USA zu holen. Er hatte großes Interesse an der jüdischen Emigration, und er war sich in jeder Weise dessen bewusst, was da vor sich ging.

BSZ: Mein Großvater blieb in Europa zurück. Nachdem seine Frau 1938 starb, heiratete er ihre Schwester. Kurz darauf wurden die beiden abgeholt. Man brachte sie über Theresienstadt nach Treblinka, wo man sie ermordete. Ein Onkel meines Vaters schaffte es zu überleben, weil er eine christliche Frau hatte, die ihn versteckte.

Er war derjenige, der meinem Vater die Nachricht übermittelte.

Daraufhin erfuhren wir 1945, dass die Nazis ihn aufgegriffen und getötet hatten. Zu dem Zeitpunkt komponierte mein Vater das Requiem Ebraico, den 92. Psalm, das zum ersten auf diese Zeit Bezug nehmenden Werk wurde. Meine Eltern hatten auch einige Jugendfreunde, mit denen sie in Kontakt standen, eine von ihnen war die Schriftstellerin Hilde Spiel, die Wien bereits 1936 verließ.

Meine Familie floh erst am Tag nach der Kristallnacht, also sehr spät. Sie korrespondierte mit meinem Vater, und so hatten meine Eltern während des Krieges detaillierte Informationen über die Tragödie, die dort vor sich ging.

Sah Arnold Schönberg sich selbst als jüdischen Künstler, war das Judentum für ihn ein wichtiger Teil seines Lebensstils?

RS: Ich denke, das Judentum war ein Teil seines Selbst, er engagierte sich sehr für jüdische Angelegenheiten, aber nicht in dem Sinne, dass er zum Gottesdienst gegangen wäre. Ich weiß nicht, ob er jemals eine Synagoge besuchte, außer vielleicht wenn dort eines seiner Werke aufgeführt wurde. Auch wir Kinder wurden nicht jüdisch erzogen, wir wussten kaum, dass wir jüdisch sind. Aber wir feierten Weihnachten. Der Weihnachtsmann war Leonard Stein mit angeklebtem Bart. Er spielte Weihnachtslieder und wir mussten singen, bevor wir unsere Geschenke auspacken durften; da hinten stand ein Klavier. Das war unsere jüdische Religion (lacht).

Haben Sie jemals Antisemitismus in Amerika erfahren?

BZS: Obwohl ich zur katholischen Schule ging, wuchs ich in dem vollen Bewusstsein auf, Jüdin zu sein.In meinem letzten Schuljahr war ich Stufensprecherin. Bei der Aufsicht in der Pausenhalle hörte ich, wie eine Gruppe jüngerer Schüler jemanden als „kike“ (englisches Schimpfwort für einen Juden) bezeichneten, also ging ich hin und sagte: „So ein Wort benutzt du nicht! Benutze es niemals!“ Dass ich Stufensprecherin war, schüchterte sie so ein, dass sie nur zitterten. Sie hatten keine Ahnung, dass ich jüdisch bin.

RS: Mein Vater hat hier sicherlich viel weniger Anerkennung bekommen, als er verdient hätte, aber ich habe nie gehört, dass er die Schuld dafür dem Antisemitismus zuschrieb.

Wir sitzen hier in dem Haus, in dem Ihr Vater lebte. Können Sie uns etwas über dieses Haus erzählen, was es ihm bedeutet hat und was es Ihnen jetzt bedeutet, seit Sie hier leben?

RS: Es bedeutet mir sehr viel, denn es erinnert mich an meinen Vater und an meine Jugend. Ich glaube, er war sehr glücklich mit diesem Haus. Da hinten war sein Arbeitzimmer, wo er sich immer einschloss – da durften wir Kinder nicht hinein. Hier gab er auch Unterrichtsstunden. Er saß da hinten auf dem Stuhl. Auf der Staffelei lagen riesige musikalische Diagramme, denn seine Augen waren sehr schlecht. Er liebte es, draußen zu sein, ging spazieren, spielte Pingpong und genoss das warme Wetter.

Können Sie ihn hier noch auf irgendeine Weise spüren?

RS: Ich weiß nicht, ob ich es so mystisch ausdrücken würde. Aber ich kann mich an ihn erinnern, wie er auf den Treppenstufen stand, direkt hier um die Ecke. Da hatten wir unseren Herrenclub. Wir hüpften die Treppen hinunter und spielten Spiele, daran habe ich noch sehr lebendige Erinnerungen. Wissen Sie, ein Haus

bewahrt immer viele Erinnerungen an die Dinge, die dort passierten.

Kannten Ihre Väter sich?

BZS: Mein Vater war um einiges jünger als Schönberg, und er hatte ein Empfehlungsschreiben von Hanns Eisler, um bei ihm zu studieren, aber er tat es nie. Er wollte nicht vor seiner Tür stehen und sagen „Sehen Sie? Eisler meint, ich habe großes Talent, aber ich habe kein Geld, um für Unterricht zu zahlen“, unwissend, dass Schönberg ihn wahrscheinlich auch umsonst unterrichtet hätte.

Aber wichtiger war, dass er bereits seinen eigenen Stil gefunden hatte. Er war 33 Jahre alt und kam aus der wesentlich konservativeren Wiener Akademie. Auf einer Party fragte er Schönberg, warum er Noten komponierte, die man nicht hören kann, und seine Antwort war: „Wegen der inneren Logik.“ Das hat meinen Vater sehr beeindruckt. Er steckte zu der Zeit in einer tiefen Schaffenskrise, erst dieses Treffen half ihm, sie zu überwinden.

Wie kam es zu dem Kontakt zwischen Zeisl und Hanns Eisler?

BZS: Vielleicht kannten sie sich schon in Wien, sicherlich aber in New York, das war, als Eisler meinem Vater Arbeit in Hollywood organisierte. Es war ein Job für MGM. Er hasste es, aber wir brauchten Geld. Er schrieb nie für einen ganzen Film, mehrere Komponisten teilten sich diese Arbeit.

Es waren zwei Minuten hier und drei dort, wie Fließbandarbeit.

RS: Eisler und mein Vater waren gut befreundet. Als ich einmal krank war und mein Vater kein Geld für den Arzt hatte, lieh Eisler es ihm und bot ihm an, es durch Unterricht zurückzuzahlen. Da sagte mein Vater: „Was du jetzt noch nicht kannst, das wirst du auch nicht mehr lernen.“ Nicht die dankbarste Antwort, aber sie standen sich sehr nahe.

Eisler war auch einer der Künstler, die in den USA erst Zuflucht fanden und gleich darauf direkt wieder verfolgt wurden ...

RS: Mein Vater war sehr wütend auf Eislers politische Haltung. Er dachte, dass Komponisten in der Kunst aktiv sein sollten, nicht in der Politik. Das entfernte sie immer weiter voneinander.

Wie ist es heute für Sie, als Kinder von Exilanten, zurück nach Europa zu kommen – zu dem Ort, wo alles begann?

RS: Das ist eine traurige Realität, der wir entgegentreten müssen, die Deutschen und die Österreicher. Wenn wir zurückkehren, sehen wir dort manchmal noch Spuren von Antisemitismus. Man muss gar nicht selbst zurückgehen, man sieht es im Fernsehen, liest darüber in der Zeitung. Aber dass Schönbergs Musik dorthin zurückkehrt, ist auf irgendeine Weise ein Triumph über die Nazis, über Hitler. Zu sagen: „Wir sind die Deutschen, die Österreicher, wir gehören hierher, nicht die Nazis.“ BZS: Ich war nach dem Krieg einmal mit meiner Mutter in Österreich. Sie würde niemals vergessen, was passiert war, aber sie vergab, denn es war ihr Heimatland, ihre Kultur, ihr Erbe, das spürte sie sehr stark, und ich fühlte es durch sie. Es gibt eine Organisation „Steine der Erinnerung“, sie haben einen Stein vor das Kaffeehaus gelegt, das einmal meinem Großvater gehörte. Viele Leute werden den Stein gar nicht wahrnehmen und darüber hinweggehen, aber einige bleiben auch stehen und lesen den Namen: Sigmund Zeisl.

Es ist die neue Generation, die so etwas macht, sie versuchen eine Art Wiedergutmachung zu leisten, die Vergangenheit zu bewältigen, und das gibt mir ein sehr gutes Gefühl. n

Auf einer Party fragte er Schönberg, warum er Noten komponierte, die man nicht hören kann, und seine Antwort war: „Wegen der inneren Logik.“

Daniel Hope mit Ron Schönberg und Barbara ZeislSchönberg in Arnold Schönbergs Haus in Los Angeles.

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s e r i e

Woher kommt eigentlich ... ...die Filmmusik Holly woods?

Eine Reise von Erich Wolfgang Korngold bis zu Hans Zimmer.

Foto: Sony Classical

HOLLY WOOD Gespräch in Zeiten des Ersten Weltkriegs beschrieben.

Will man heute über die Filmmusik Hollywoods Darin werden Militärflugzeuge am Pariser Himmel mit ­schreiben, kommt man an Hans Zimmer nicht vorbei.

DIE FilmMusik der 40er JAHRE Walküren verglichen und „der Vergleich der Flieger mit Mit über 120 Filmmusiken von Rain Man zu 12 Years Walküren schien ihm zu gefallen“. a Slave hat der geniale Soundarchitekt Ton für Ton Korngold führte diese Erbschaft Wagners in seiner in den Himmel ragende Klanggebäude aufgetürmt. Sie bestimmen derzeit die musikalische Skyline Hollywoods. Die Bausteine Filmmusik fort, definierte sie als „Opern ohne Gesang“. Humperdazu können, wie im Fall von König der Löwen, ganz variabel der dinck, einst Wagners Assistent, nannte Korngold ein “WunderMusik Mozarts oder den Traditionen afrikanischer Zulu-Chöre kind aus dem Feenreich“, Mahler sprach von einem „Genie“. Mit dem Aufkommen des Dritten Reiches war für den jüdischen Komentspringen.

Der aus dem Taunus stammende Zimmer hat sich dafür ponisten Korngold kein Platz mehr in Deutschland. Er folgte dem eigens eine regelrechte Soundwerkstatt eingerichtet. Einst ebenfalls emigrierten Max Reinhardt nach Hollywood, mit dem ihn bereits eine erfolgreiche Zusam„Remote Control“ getauft, firmiert sie menarbeit verband. Als Erstes galt es, heute unter „Media Ventures Crew“, ein auf der Basis von Mendelssohns SomProduktionsbetrieb, dessen Name auf mernachtstraum Musik für den Film A einen industriellen Umgang mit Musik Midsummer Night's Dream zu kreieren. hindeutet. Ein Komponistenstab verKorngold nahm, Zimmers Arbeitstont unter der Sonne Kaliforniens mehweise vorwegnehmend, mendelsohnsrere Filme gleichzeitig. Zum Vergleich: sche Bausteine und ergänzte sie durch Wolfgang Korngold, einer der Pioniere eigene Kompositionen im Stile Mender Filmmusik Hollywoods, hat insgedelssohns. samt circa 20 Filme vertont und kam so Dann begann der klassische Komauf rund zwei Filme pro Jahr. Korngold ponist Korngold, konzertante Musik erhielt zwei Oscars, Zimmer bisher vier. wie etwa seine sinfonische Ouvertüre Schreibt man über Hans ZimSursum Corda (Empor die Herzen) in mer, kommt man an Hans Neusiedler Musik für das Kino zu verwandeln. nicht vorbei. „Hansen Newsidler“, wie 1919 hatte er sich dabei an der Art der er sich nannte, lebte im Nürnberg des sinfonischen Dichtung von Richard 16. Jahrhunderts und spielte Laute. Wie Strauss orientiert und ihm das Werk Traumfabrik-„Neusiedler“ Hans Zimauch gewidmet. Strauss über Korngold: mer heute in Los Angeles war auch er „Diese Sicherheit im Stil, diese BeherrMusiker und Komponist. Für die Laute schung der Form, diese Eigenheit des verfasste er ein „New künstlich LautAusdrucks ..., diese Harmonik – es ist ten Buch“, worin sich ein „guter gassen „Pirates of the Caribbean“-Komponist Hans Zimmer wirklich erstaunlich.“ hauer auf welsche art“ findet. Carl Orff 20 Jahre später nahm Korngold Teile aus Sursum Corda für fand diesen so inspirierend, dass er ihn für vier Xylophone bearbeitete und in sein Schulwerk „Musica Poetica“ aufnahm. Über die Filmmusik The Adventures of Robin Hood. Umgekehrt entdie Sammlung bemerkte er, es seien „Improvisationen, die wie- führte er Elemente seiner Filmmusik in das (!) Violinkonzert opus der zur Improvisation führen wollen“. Diese Anregung nahm sich 35, ein Werk, das aus dem Konzertrepertoire nicht mehr wegzuHans Zimmer 1993 für die Musik des Films True Romance zu denken ist. Im ersten Satz hört man Themen aus Another Dawn Herzen. Seine Version nannte er nun ganz intuitiv You're so cool und Juarez, im zweiten aus Anthony Adverse und im dritten das und schuf aus dem einstigen „gassen hauer“ einen Gassenhauer. Hauptthema aus Der Prinz und der Bettelknabe. Apropos, in dieAls Filmmusik war Orffs Stück allerdings schon 1973 in Badlands ser Mark-Twain-Verfilmung zitiert er Händels Krönungshymne Zadok, the Priest. zu hören.

Die Vorliebe für die scharf abgegrenzten Verhältnisse von Beim Rückblick in die Zeit erahnt man „Hollywood pur“ bereits in Wagners Rienzi-Ouvertüre. Sein Walkürenritt schrieb Schubladen in der Musik hat es lange Zeit schwer gemacht, für sogar Filmmusikgeschichte. Coppolas Idee in Apocalypse Now, Korngold den angemessenen Platz zu finden.

Für ihn selber gab es diese Trennung nicht: „Musik ist Musik, Wagners Walküren mit kriegslustigen Flugangriffen zu kombinieren, könnte Wagnerfan Marcel Proust initiiert haben. Proust ob sie für die Bühne, das Dirigentenpult oder fürs Kino ist.“ hat im letzten Band seiner Suche nach der verlorenen Zeit ein Stefan Sell 68

www.crescendo.de

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September – Ok tober 2014

30.10.2014

Staatsoper im Schiller Theater, Berlin

Kulturmarken® Gala Night of Cultural Brands Jetzt Tickets sichern! kulturmarken.de

30./31.10.2014

Verlagsgebäude Der Tagesspiegel, Berlin

KulturInvest® Kongress CultureInvest Congress Jetzt Tickets sichern! kulturinvest.de

Premiumpartner:

Veranstalter:

causales

G e s e l l s c h a f t

Der Axel-Brüggemann-Kommentar

Auch Künstler SIND Politiker!

Gustavo Dudamel und Valery Gergiev flirten mit den Machthabern ihrer Heimat und handeln sich dabei üble Kritik ein. Aber kann man ihr Vorgehen objektiv bewerten?

Welche Rolle übernimmt Musik, wenn die Welt mal wieder verrückt spielt? Sie kann anstacheln und weitere Unordnung stiften, wie wir seit Platon wissen, oder sie kann beruhigen, zur Besinnung bringen und die Gegenwart ordnen. Derzeit spielt unsere Welt ziemlich verrückt: Krieg in Syrien, die Feindschaft zwischen Israelis und Palästinensern scheint unüberbrückbar, in der Ukraine wird aufs Bitterste gekämpft, in vielen Ländern Südamerikas toben Aufstände.

Musik kennt keine Grenzen, Sänger, Instrumentalisten und Dirigenten müssen in globalen Kategorien denken, sind Globetrotter, die überall verstanden werden, in Moskau, Berlin, Tokio und Caracas. Musiker, so meint man, arbeiten im Auftrag des Humanismus. Aber auch sie sind emotional sozialisiert, mit ihrer Heimat verbunden – und mit deren politischen Gegebenheiten.

Manche Teile der Welt machen es Künstlern nicht leicht, einfach nur ihre Arbeit zu tun. Sie fordern Bekenntnisse, Treue und Hingabe zur eigenen Nation. Zwei Dirigenten bekommen das gerade zu spüren: der Russe Valery Gergiev und der Venezolaner Gustavo Dudamel.

Gergiev hat das St. Petersburger Marinskij-Theater zu einem international anerkannten Haus gemacht, hat von politischen Strippenziehern, dem Moskauer Bürgermeister und der Rückendeckung Wladimir Putins profitiert. Über die politische Weltsituation denkt er wie viele Russen: Schon 2008, in der Georgien-Krise, hat 70

er für Aufsehen gesorgt, als er Schostakowitschs Sieger-Symphonie, die „Leningrader“, aufführte und Russland im Fernsehen pries, das „mörderische Georgien“ zu beschützen. In der Pussy-Riot-Affäre warf Gergiev den putinfeindlichen Pop-Provokateurinnen vor, nur aus PR-Gründen in Hungerstreik getreten zu sein, und einer holländischen Zeitung diktierte er zu Putins Schwulengesetzen, dass Homosexualität für ihn mit Pädophilie gleichzusetzen sei. Statements, die in Moskau gut ankommen, es Gergiev in London oder bei den Münchener Philharmonikern nicht gerade leicht machen.

Auch Gustavo Dudamel verdankt seiner Heimat viel. Er ist durch das von der Chávez-Regierung geförderte Musikerziehungsprogramm „El Sistema“ berühmt geworden, trug persönlich den Sarg des populistischen Staatschefs, dirigierte bei seiner Beerdigung die Nationalhymne und gab ein Jahr später, am 12. Februar 2014, gut gelaunt ein Propaganda-Konzert für Chávez-Nachfolger Nicolás Maduro zum „Tag der Jugend“. Derweil demonstrierten auf den Straßen von Caracas zehntausende Jugendliche für das Ende staatlicher Repressionen, gegen Korruption und für Meinungsfreiheit – sie wurden blutig niedergeschlagen. Das hat Dudamel scharfe Kritik der venezolanischen Pianistin Gabriela Montero eingebracht. Sie forderte den Dirigenten auf, sich vom Maduro-System zu distanzieren. Das aber tat Dudamel nie.

Können, müssen und dürfen wir uns überhaupt ein Urteil über das Handeln dieser Künstler erlauben? Wir, die wir im sicheren Westeuropa hocken? Was ahnen wir schon von den Befindlichkeiten, Ängsten und Anstrengungen des politischen Lavierens, der Kompromisse und dem Versuch, sich bei allen Spagaten zwischen Karriere, Verpflichtung, Dankbarkeit und eigener Mission irgendwie treu zu bleiben? Auf der anderen Seite: Gehört das Menschsein nicht zum Künstlersein? Ist es nicht richtig, dass wir auch Musiker der Vergangenheit nach ihrer moralischen Lauterkeit befragen?

Dass wir uns mit Furtwänglers und Strauss’ Verhalten im NS-System beschäftigen? Müssen wir nicht unweigerlich über den zwiespältigen vir politicus Herbert von Karajan reden, wenn wir gleichzeitig den Mut der politischen Musiker Mstislav Rostropovich oder Yehudi Menuhin feiern? Natürlich müssen wir! Ebenso, wie wir Wagner zwar genießen dürfen, uns aber nicht davor drücken können, seine antisemitischen Schriften zu debattieren.

Oft wird die gleiche Musik zu unterschiedlichen Anlässen gespielt. Und es macht eben einen Unterschied, ob Furtwängler Beethovens Neunte zu Hitlers Geburtstag anstimmt oder Simon Rattle zur Feier der Deutschen Vereinigung. Nicht nur der Ton macht die Musik, sondern auch die Haltung, mit der sie dargeboten wird.

Wenn Musiker sich darüber keine Gedanken machen, handeln sie wie Physiwww.crescendo.de

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September – Ok tober 2014

ker, für die eine Atombombe lediglich ein Europa sich derartige Projekte wirklich leis- Zeit mehr als fraglich war. Thielemann hat ein jahrelanges Tabu gebrochen und dabei spannendes, physikalisches Experiment ist, ten will.

Auch Valery Gergiev, der in den USA immer politisch und humanistisch arguund die argumentieren: „Wir bauen nur, was eh gebaut würde – für den Einsatz verant- und in Europa versucht, politisch korrekt mentiert, auch das war ein zutiefst demozu bleiben, muss wissen, dass seine heimi- kratischer und gesellschaftlicher Akt. wortlich sind allein die Politiker.“ Und dann ist da noch Daniel BarenEin bisschen so hört sich dann auch sche Propaganda für Wladimir Putin ein Gustavo Dudamels aktuelle Argumentation Statement ist, das ihn zwar nicht direkt als boim. Für ihn ist das Musikersein an sich an: „Ich bin kein Politiker, sondern Musi- Künstler, wohl aber als Menschen angreifbar ein politischer Akt, der Mechanismus des ker“, lässt er wissen, „als Politiker würde ich macht. Es ist eben nicht so, dass der Musiker Zuhörens, des Miteinanders, des konstrukfür meine eigenen Interessen kämpfen, aber im Menschen sich vom politisch denkenden tiven Streites und der ergebnisorientierals Musiker muss ich für jeden handeln.“ Teil seines Ichs abspalten kann. Musik for- ten Debatte. Statt Partei zu ergreifen und Mit allem Respekt, Herr Dudamel, nein, dert immer auch eine Positionierung inner- zu polemisieren, zeigt er mit seinem Westdas müssen Sie nicht! Es mag sein, dass die halb einer Gesellschaft – gerade wenn man Eastern Divan Orchestra den handelnden Musik allen Menschen gehört – nicht aber sie als humanistischen Akt und als morali- Politikern, dass politische Lösungen sich durchaus musikalisch herleiten lassen. der Musiker, der sie interpretiert. Eine Beet- sche Instanz versteht.

Letztlich entscheiden Orchester und „Im Nahen Osten haben wir es mit zwei hoven-Sinfonie muss nicht zur Autobahn, die musikalische Erziehung der Jugend nicht das Publikum, ob sie einem Künstler mora- Völkern zu tun, die beide ein legitizur Legitimation für einen Unrechtsstaat lisch vertrauen wollen und ob ein Putin- mes Recht auf das gleiche Stück Erde in werden, der seine eigenen Bürger drangsa- Freund im Stande ist, einer Beethoven-Sin- Anspruch nehmen“, fasst er den aktuellen liert. Musik darf keine Entschuldigung für fonie auch dann gerecht zu werden, wenn Konflikt zusammen. „Um zu einer Lösung machtberauschte Politiker im Sinne von „Es er Schwule und Lesben in Schillers Umar- zu kommen, müssen wir diese Grundkonwar ja nicht alles schlecht“ werden. Genau mung aller Brüder und Schwestern aus- stante zunächst einmal verstehen: Zwei gegensätzliche Meinungen und das aber passiert in Venezuela. Der Auffassungen stehen gleichberechErfolg von „El Sistema“ vertuscht tigt nebeneinander. Nur, wer das Klunkerbehangene Damen haben die politischen Schwierigkeiten des kapiert, kann über Lösungen nachLandes. Und wir Europäer haben bei den Salzburger Festspielen den denken.“ uns lange davon einlullen lassen: Man kann von Barenboim, Klunkerbehangene Damen haben Kindern aus Südamerika zugejubelt, seinen Interpretationen, dem Hang bei den Salzburger Festspielen den denen es verboten war, Waren aus zum Jet-Set und seiner öffentlichen Kindern aus Südamerika zugejubelt, Präsenz denken, was man will. denen es verboten war, Waren aus dem Westen nach Hause zu nehmen. Aber sein politisches Engagement dem Westen nach Hause zu nehist vorbildlich. Er schert sich nicht men. Erst langsam bröckelt die Proschließt. Ich persönlich finde, dass wir als um die Meinung der Mächtigen, er trägt paganda-Fassade.

Jahrelang diente „El Sistema“ als Vor- Publikum ein Recht auf klare Positionie- den palästinensischen und den israelischen bild auch für die deutsche Musikausbildung. rungen haben, und ich finde es gut, dass Pass und motiviert seine jungen Musiker, Erst allmählich begreifen wir, dass die musi- Künstler wie Dudamel und Gergiev die- ihre Wut, ihren Frust, ihre Aggressionen kalische Erziehung von Kindern auch ein ses Recht der Zuschauer nun auch zu spü- zu formulieren, um dann, gemeinsam an Propagandawerkzeug der Regierung Chá- ren bekommen. Dudamel, indem Gabriela einem höheren Ziel, etwa an Beethoven, zu vez war. So unabhängig der Übervater José Montero ihn offen befragt und er eine Ant- arbeiten. Natürlich wird auch er damit den Antonio Abreu tut, ist er nicht. Die politi- wort schuldig bleibt, und Gergiev, indem Nahostkonflikt nicht lösen, aber er tut, was sche Freiheit des Gründers des „Sistema“ ist ihm ein großer Teil des britischen Publi- ein politischer Musiker tun kann: Er zeigt, eine vom Staat verliehene Freiheit. Abreu kums bei den Proms gerade das Vertrauen dass Musizieren an sich ein politischer und beteuert ständig, dass sich der neue Staats- entzogen hat, das von der UNO finanzierte humanistischer Akt ist, in dem die gemeinchef nicht mehr trauen würde, „El Sistema“ „World Orchestra for Peace“ zu dirigieren same Kommunikation und das Zuhören zu schließen, dass die Macht der Musik – es ist der Veranstaltung einfach fernge- die Grundlage bildet.

All das kann und sollte man auch inzwischen größer sei als die der Politik. In blieben. Und nun weigern sich auch SängeWahrheit aber bestätigt Abreu die amtie- rinnen wie Karita Mattila, gemeinsam mit von Musikern wie Gergiev oder Dudamel rende Regierung durch sein Schweigen – Gergiev aufzutreten. Mein Respekt vor so erwarten. Man kann Kunst nicht als Selbstzweck verstehen, als technischen Prozess, viel Mut! ebenso wie sein Jünger Gustavo Dudamel.

Für mich kann sich ein Musiker sei- als Gefühlsduselei oder als KarrieremögDas gesamte System ist vom politischen Willen der Staatsführung abhän- ner politischen Verortung nicht entziehen. lichkeit. „Ich bin doch nur Schauspieler“, gig und funktioniert, das zeigt spätestens Für Nikolaus Harnoncourt beginnt das ruft Mephisto (alias Gustav Gründgens) Dudamels verquere Argumentation, als her- Politische bereits in den Opern von Mozart. am Ende der gleichnamigen Novelle von metische, zutiefst hierarchische und gleich- „Politik ist ja nicht das, was die Politiker Klaus Mann, nachdem er sich auf das Sysgeschaltete Institution. Selbst die neuen jeden Tag im Parlament machen,“ sagt er, tem der Nationalsozialisten eingelassen hat „Sistema“-Satelliten wie der europäische „Politik beginnt damit, wie der Ehemann und von ihm fallengelassen wurde. Nein, Abkömmling, das von der EU finanzierte mit der Ehefrau umgeht.“ Anders politisch Künstler und Musiker sind immer auch und von Marshall Marcus geleitete Euro- zeigt sich Christian Thielemann, der lange Menschen, und wenn ihnen an Demokrapean Youth Orchestra, erinnern in ihrer dafür gekämpft hat, die Opern von Hans tie, Freiheit und Menschlichkeit gelegen ist, Ideologie, seiner unkritischen Verehrung Pfitzner aufzuführen. Dafür steckte er viel sind sie immer auch Politiker – so wie jeder Abreus und des venezolanischen Systems Kritik ein, letztlich aber hat er eine Debatte Zuhörer, jeder Bauarbeiter, jeder Architekt, und im Brainwashing seiner Mitglieder eher beflügelt, ob es legitim ist, einen Kompo- jeder Journalist und jede Kassiererin. Das an eine Musiksekte denn an eine demokrati- nisten für seine Musik zu schätzen, auch gilt gerade in Zeiten, in denen die Welt mal sche Instanz. Es ist Zeit, zu hinterfragen, ob wenn sein politisches Verhalten in der NS- wieder verrückt spielt. n 71

l e b e n s a r t

Monaco ... aus der Sicht eines Musikers Welche Stadt kann schon von sich behaupten, Casino und Oper in einem Haus zu beherbergen? Wir haben das Steuerparadies Monaco und sein Musikfestival Printemps des Arts besucht und die kulturellen Möglichkeiten mal genauer unter die Lupe genommen.

V o n A n n a Nov á k

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September – Ok tober 2014

E

igentlich haben die Monegassen in ihrem kleinen Stadtstaat keinen Platz mehr. Das Fürstentum Monaco ist nach dem Vatikan der zweitkleinste Staat der Erde – und rein geografisch an keiner Stelle breiter als etwa 300 Meter. In manchen Straßen steht man links auf dem Gehweg in Frankreich und rechts in Monaco.

Trotzdem wird überall gebaut. Weil noch mehr Luxus-Apartments, edle Shopping-Malls und Event-Orte untergebracht werden sollen, hat man hier im noblen Monaco eine pragmatische, aber geniale Lösung gefunden: Man baut einfach alte Gebäude ab und an eben jener Stelle etwas anderes wieder auf – höher, schneller, weiter.

Monaco wächst tatsächlich hauptsächlich in die Höhe: Hier reiht sich Hochhaus an Hochhaus. Mit Verlaub: Das kleine Städtchen ist zugebaut ohne Ende. Dennoch gibt es viele (freilich künstlich angelegte) Grünflächen und hübsche Parks – neben vielen Luxusshops. Am Place du Casino gibt's auch die Verbindung aus beidem: Da steht mitten auf dem grün bewachsenen und opulent bepflanzten Rondell eine überdimensionale Prada-Leuchtreklame. Diese sei jedoch nur dazu da, die Baustelle dahinter zu verbergen, erklärt uns eine Monegassin. Das fällt auf: Tatsächlich wird kaum offen einsehbar gebaut, alle Baustellen, Gruben und sonstige potenzielle Schandflecken sind mit schick bemalten Holzwänden versperrt, um den Blick auf das Mittelmeer, den man aus vielen Apartments hat, nicht zu verderben.

Das Meer ist hier der Motor; da stehen die Yachten, die Meerluft weht durch die Stadt und der Meerblick kostet Millionen. Auch außerhalb der regulären Bauflächen soll Platz geschaffen werden für neue Investitionen: Es heißt, ein Stadtteil auf dem Wasser (ähnlich der Hamburger Hafencity) sei in Planung. Und auch die vorhandenen Ressourcen nutzt man so gut es geht; der hochmoderne Bahnhof von Monaco ist mitten in den Berg gebaut, aus edelsten Materialien inklusive frech funkelndem Sternenhimmel im Inneren.

Tatsächlich bekommt man viel davon mit, dass Monaco direkt an die italienischen Alpen grenzt. Der Spaziergang durch die Stadt wird zum ewigen Auf und Ab. Als Millionär fährt man daher natürlich mit dem teuren Wagen vor – schließlich ist Monaco auch für das jährliche Formel-1-Rennen bekannt. Am Place du Cousine sitzen derweil Touristen im berühmten Café Paris und beobachten und fotografieren alles, was vorbeikommt: Autos, Promis, Touristen. In der Hoffnung, dass vielleicht doch ein Millionär dabei ist. Dass sie Glück haben könnten, zeigt die Statistik: Monaco hat 30.000 Einwohner, davon sind fast 20.000 Millionäre. Da verwun-

dert die starke Polizeipräsenz kaum: Auf einen Polizisten kommen in Monaco nur 60 Bürger.

Auch die Adelstradition spielt hier noch eine besondere Rolle.

Erinnern Sie sich noch an die pompöse Hochzeit von Fürst Albert und seiner Charlène? An jener Stelle, wo 2011 der edle, meterlange rote Teppich ausgerollt war, über den Europas Hochadel zur Trauung schritt, wimmelt es von Touristen, die den Palast fotografieren.

Selbst die Bushaltestellen heißen nach Adeligen: „Nächster Halt: Princesse Antoinette“ – „Nächster Halt: Princesse Grace“. Apropos Princesse Grace: Ja, Grace Kelly schwebt immer noch über dem Urlaubsparadies am Mittelmeer. Man meint, die Monegassen hätten ihre prächtigsten Plätze der geliebten und früh verstorbenen Fürstin gewidmet, die einst den entscheidenden Hauch von Hollywood an die Côte d’Azur brachte. So gibt es einen wunderschönen PrincesseGrace-Rosengarten, ein Princesse-Grace-Denkmal und ein Théâtre Princesse-Grace.

Princesse Grace war auch diejenige, die vor 30 Jahren die Schirmherrschaft des Festivals „Printemps des Arts“ übernahm.

Ein Festival mit klassischer Musik, Weltmusik und Jazz, mit Tanz und Theater und allerhand innovativen Projekten, das sich schnell etab-lieren konnte – schon allein, weil es bis heute im Frühling, also einer beinahe komplett festspielfreien Zeit stattfindet. Sein Intendant, Kurator und Mentor Marc Monnet ist das personelle Herzstück dieses Festivals – dank seines klugen Händchens, einer (un-) gehörigen Portion Mut für musikalische und künstlerische Experimente und seinem Kennen der Musikszene rund um Monaco ist das Festival ein echtes Erlebnis und für Klassik-Interessierte ein delikater Leckerbissen. Und es bespielt die ganze Stadt: An fünf Wochenenden im März und April finden im Auditorium Rainer im großen Kongresszentrum und in der Oper Orchesterkonzerte statt, aber auch Kammermusik- und Liederabende in den altehrwürdigen Hotels Hérmitage und Hotel de Paris. Besonderer Renner sind bei den Besuchern, die aus Monaco und aus der südfranzösischen Umgebung anreisen, die von Marc Monnet konzipierten Überraschungsabende. Hier wissen die Zuschauer nur, an welchem Ort sie sich zur Busabfahrt treffen. Von da aus geht es dann in verwunschene Kirchen und an abgelegene Orte zum Musikhören.

Der ungarische Dirigent und Komponist Peter Eötvös kommt in diesem Jahr bereits zum wiederholten Mal nach Monaco. Er hat eine längere Bindung zum Zwergstaat: Für sein Violinkonzert wurde er 2008 mit dem monegassischen Prince-Pierre-Preis ausgezeichnet.

Anschließend bekam er einen offiziellen Kompositionsauftrag. Aber 73

Fotos: Bob Coat, Klaus Rudolph

Peter Eötvös war wiederholt zu Gast beim Festival Printemps des Arts de Monte-Carlo. Der Dirigent und ­Komponist verriet uns seine Lieblingsplätze in Monaco.

l e b e n s a r t

Eötvös hat die Stadt auch abseits immer kam er nur als Gast, durfte der Musikszene nach und nach lienur zuhören. In diesem Jahr kam ben gelernt. Während er beim ersten er erstmals als Dirigent und durfte Mal nur zwischen Hotel und Konunter anderem das Eröffnungswozertsaal pendelte („Ich hab nur tolle chenende dirigieren. Er schätzt die teure Autos und das Meer gesehen“), Arbeit seines Kollegen Monnet sehr, hat er jetzt auch ein paar touristinennt sie progessiv. Und in punkto sche Tipps auf Lager: „Das ozeanomoderne Ansichten passen sie gut graphische Museum ist fantastisch zusammen, die beiden Herren. Am und sehr beeindruckend mit seinen Abend wird der gerade 70 geworriesigen Wasserbecken und einem dene Eötvös das Stück Momente großen Hai! Das ist eine einmalige von Karl-Heinz Stockhausen aufSache.“ Für ihn ist Monaco eine zenführen. Für ihn war das Stück einst trale Stadt, sagt er. Und das bergige ein Erweckungserlebnis, er verAuf und Ab gefällt ihm besonders – gleicht es mit Filmen des berühmda ist der Gang auf den stadteigenen ten Filmemachers Fellini. Natürlich Architekturklassiker: Casino & Oper von Charles Garnier.

Felsen „La Rocher“ unumgänglich. wünscht er sich, dass es beim PubliDen Weg hinauf wagen wir anschließend auch und besukum auch etwas Besonderes auslöst, sagt er. „Aber wenn die Leute irgendwann genug haben und aufstehen und gehen, dann finde ich chen die hoheitliche Kathedrale Notre-Dame-Immaculée. Dort das nicht schlimm. Jeder soll sich nur so viel von der Musik neh- steht zwar „Silence“ an der Tür, aber drinnen wird gerade die men, wie er vertragen kann. Hauptsache, sie machen sich frei von Orgel gestimmt. Der tiefe, durchdringende Klang hat etwas, parErwartungen. Sie sollen nichts erwarten, nur anschauen.“ Und da don, von einem Presslufthammer. Die frisch restaurierte Orgel ist sind die Festivalmacher ganz vorne mit dabei: Das Festival beglei- bunt beleuchtet, man könnte meinen, Orgelstar Cameron Carpentend gibt es immer wieder Uraufführungen. In diesem Jahr werden ter höchstselbst hätte sie entworfen. Ein gewaltiges Instrument mit mehrere Sonaten für Violine solo geschrieben, die an jedem Kon- immerhin 74 Registern auf vier Manualen.

Das musikalische Herzstück von Monaco ist jedoch die Salle zertwochenende vor dem Konzert gespielt werden. „Das Jahresprogramm hier in Monaco ist allgemein sehr bunt“, sagt Eötvös, „und Garnier im von Charles Garnier erbauten Opernhaus. Das ist das ist auch wichtig. Wenn wir überall immer nur Musik aus dem allein schon ein Erlebnis, denn es ist ein Kombi-Bau aus Casino 19. Jahrhundert spielen würden, wäre das doch stinklangweilig.“ und Oper. Man kommt in die güldene Eingangshalle und kann

Tipps, Infos & Adressen Die wichtigsten Reiseinformationen rund um einen kulturellen Besuch im Fürstentum Monaco.

Es ist natürlich kein Geheimnis, dass die großen Hotels im Steuersparparadies Monaco nicht zu den günstigsten gehören. Interessant ist vielleicht zu wissen, dass die drei Platzhirsche unter den Hotels, das Hotel de Paris, das Hermitage und das Monte Carlo Beach der Societé des Bains de Mer (SBM) von Monaco gehören, ebenso wie das Casino und einige hochpreisige Restaurants. Ählich wie in Las Vegas zahlt man also irgendwo immer in eine zentrale Kasse. Anders als in Las Vegas sind die Hotels aber auch wirklich sehr edel und schön. Vor allem natürlich das Hotel de Paris, in dessen Bar Américaine man zumindest mal einen Drink nehmen sollte. Wer es ganz edel und exklusiv mag, kann sich auch die Villa La Vigie (siehe Bild oben) mit sechs Schlafzimmern mieten. Sie gehörte früher Karl Lagerfeld und ist nun ebenfalls im Besitz der SBM. Infos unter www.montecarlosbm.com.

Essen Ebenfalls nicht ganz günstig sind die Restaurants, auch wenn einige anderes vermuten lassen, wie zum Beispiel das Café Bilig. Es liegt in einer der Fußgängerzonen und gehört zu den schönen Adressen von Monte Carlo.

Apropos Adresse: Café Bilig, Rue Princesse Caroline, Stadtteil La Condamine. Ebenfalls zu empfehlen ist – schon allein der Aussicht wegen – das Café de Paris.

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Nicht zu verwechseln mit dem Hotel de Paris gleich gegenüber. Im Café de Paris, direkt an der Place du Casino, sitzen Touristen wie Einheimische und haben perfekte Sicht auf die vor dem Casino vorfahrenden Edel-Karossen. Die Brasserie ist auch für einen Snack vor dem Opernbesuch optimal.

Kultur Kulturtipp Nummer eins ist das Festival Printemps des Arts de Monte-Carlo (www.printempsdesarts.mc), das 2015 vom 20. März bis 12.

April stattfindet. Eine echte musikalische Entdeckungsreise mit Experimenten und begnadeten Musikern! Spektakulär ist natürlich auch das berühmte Zirkusfestival: nächste Auflage vom 15. bis 25. Januar 2015 (www.montecarlofestival.mc).

Jährlich gibt es außerdem ein Orgelfestival auf der neu-restaurierten Orgel in der Kathedrale sowie regelmäßig Pop- und Jazz-Veranstaltungen in der Stadt. Nicht zu vergessen: einen Besuch in der schicken Oper mit anschließendem Abstecher ins Casino!

Anreise Wahrscheinlich verfügt Monaco über eine der schönsten Anreise-Optionen weltweit. Man fliegt nach Nizza und nimmt dann den Helikopter nach Monte-Carlo am Wasser entlang. Meist sogar günstiger als ein Taxi. www.crescendo.de

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September – Ok tober 2014

Fotos: Bob Coat; Centre de Presse de Monaco; Anna Novák

Übernachten

Die Restaurationsarbeiten dann wählen: links das Casino, legten einige echte Schätze wieder geradeaus der Eingang zur Oper. frei, die man in den 50er-Jahren – Hat man dann den musikalischen „weil es heller sein sollte“ – plump Weg eingeschlagen, kommt man mit beigem Farb-Einheitsbrei aus dem Staunen gar nicht mehr übertüncht und mit Teppichen heraus: ein opulenter Raum mit eingeplüscht hatte. Architekt purpurfarbenen Sitzpolstern, ein Charles Garnier, übrigens ebenglamouröser, in allen erdenklifalls Erbauer der berühmten Parichen Farbtönen funkelnder Kronser Oper, hätte sich im Grabe leuchter, die Wände über und über umgedreht, hätte er von dieser in Gold getüncht, Gemälde und Verunstaltung erfahren – schrieb Skulpturen – und Meerblick! Ja, er doch kurz vor seinem Tod in tatsächlich hat die Salle Garnier einem rührenden Brief an die mehrere große Fenster zur MeerMonegassen, man möge sein Bauseite. Die schweren Vorhänge werk doch bitteschön pfleglich werden erst zugezogen, wenn alle Die schönste Fassade Monacos: Hotel Hermitage. behandeln und in seinem UrzuBesucher Platz genommen und stand belassen. Auch musikalisch ist die Salle Garnier eine Schatzsich einmal am tollen Ausblick erfreut haben.

Dass die Oper heute wieder in opulentestem Glanz strahlt, kammer: Neben der Oper und dem berühmten Ballett von Monteist einer Reihe von Restaurationsspezialisten aus aller Welt zu ver- Carlo finden hier auch Jazz- und Popkonzerte statt. Carla Bruni, danken, die die Oper in vierjähriger liebevoller Kleinarbeit Stück Lana del Rey und Prince haben hier ebenso gesungen wie einst für Stück auf Vordermann brachten. Zur feierlichen Wiedereröff- Caruso oder Luciano Pavarotti.

Eins nehmen wir von diesem Besuch in der Mittelmeermilnung 2005, die am gleichen Tag wie die Krönung von Fürst Albert stattfand, gab es dann eine besondere Überraschung für die Mone- lionärsmetropole auf jeden Fall mit: Es geht nicht immer nur ums gassen und ihr damals frischgebackenes Staatsoberhaupt: Gespielt Geld, auch Musik und Kultur haben hier ihren festen Platz. Ein wurde Rossinis Oper Il viaggio a Reims, ein Werk, welches einst zu letzter finanzieller und bei der Millionärsdichte durchaus erstaunEhren König Charles' X. komponiert worden war. Doch statt der licher Nachsatz sei dennoch erlaubt: Für bloß 25 Euro pro Jahr „Carlo, Carlo!“-Chöre sangen die Sänger voll Inbrunst „Alberto, können monegassische Kinder am Konservatorium Musikunterricht bekommen.

Alberto!“ n

Hoteltipp

für globetrotter Die internationalen Höhepunkte im Herbst

Abend wird das Durchschnittsalter auf der Bühne des Teatro Dal Verme drastisch gesenkt: Unter der Leitung von Kristjan Järvi präsentieren der junge Pianist Jan Lisiecki und die Mitglieder der Baltic Sea Youth Philharmonic Edvard Griegs Klavierkonzert in a-Moll.

Karten unter: www.dalverme.org

Termine

Paris 06.10. Ein tiefschwarzes Pro-

gramm hat John Eliot Gardiner gemeinsam mit seinem Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists da zusammengestellt: Scarlattis hochdramatisches Stabat Mater, Bachs Kantate Mein Herz schwimmt im Blut und Händels Dixit Dominus. In der Interpretation dieser Künstler verspricht es jedoch ein wunderbares Klangerlebnis zu werden. Karten: www.citedelamusique.fr

Prag

Brüssel

22.09. Nach zwei Jahren wird Zu-

13.09. Wo das britische A-capel-

bin Mehta gemeinsam mit dem Israel Philharmonic Orchestra erstmals wieder im Rahmen des Dvořák-Festivals auftreten. Auf dem Programm stehen unter anderem Beethovens Egmont-Ouvertüre und Mozarts Sinfonie Nr. 40 – Werke, die für Antonín Dvořák ein persönliches Klangideal darstellten.

Karten: www.dvorakovapraha.cz

Hotel Miramar in Abbazia (Opatija)

la-Ensemble Voces8 auftritt, sind Abwechslung und Unterhaltung garantiert. Im Februar haben sie ihre erste CD herausgebracht, nun präsentieren sie sich mit einem gemischten Programm, das von geistlichen Werken über Romantisches von Rachmaninow bis hin zu PopArrangements und Jazzstücken von Duke Ellington reicht. Karten für dieses „bunte“ Konzert gibt es unter: www.bozar.be

Foto: Miramar

Mailand 28.09. An diesem

Das Adria-Schloss

Wer in der österreichisch-ungarischen Monarchie etwas auf sich hielt, reiste im Winter mit dem kaiserlichen Zug „Majestic Imperator“ an die Adria. Zwischen 1867 und 1918 galt Abbazia, im heutigen Kroatien, als eines der mondänsten Seebäder Europas.

Nach dem Zerfall des habsburgischen Reichs fiel das Urlaubsparadies in einen Dornröschenschlaf. Als der österreichische Hotelier Dr. Holleis hie1r urlaubte, entdeckte er die verfallene „Villa Nettuno“ und eröffnete sie nach aufwändiger Sanierung vor 10 Jahren neu: Heute bietet das Hotel „Miramar“ eine genussvolle Mischung aus elegantem Wohnkomfort, gehobener mediterraner Küche, „bester Wellness-Adresse Kroatiens“ sowie vielfältigen Kulturveranstaltungen und Aktivitäten im milden Klima des historischen kaiserlichen Seebades.

Crescendo-Insider-Tipp: Nehmen Sie sich Zeit für einen Ausflug mit der „Tornado Blue“, einem liebevoll restaurierten 115 Jahre alten Fischerboot. Preis im DZ inkl. Genießer-Halbpension pro Person ab 110 Euro. Infos: www.hotel-miramar.info

l e b e n s a r t

Mit Ravel in Australien

JOHN AXELRODS WEINKOLUMNE

Es war nicht immer alles ruhig an der Westfront, denn zumindest der Wein war leicht zu bekommen. Alkohol war ein Kernstück des französischen Kriegserlebnisses, es war ein Teil des täglichen Lebens in den Schützengräben. Das Bild des Poilu (franz. Soldat) mit seinem Gewehr und Wein ist in französischen Schilderungen des Ersten Weltkriegs allgegenwärtig.

Als Frankreich 1914 in den Krieg zog, wurde den Truppen nur Wasser ausgeschenkt, aber die Armee begann schon im September des Jahres, eine tägliche Ration Wein zu verteilen. Diese Ration bestand aus Pinard (manchmal übersetzt als „Plörre“), einem sehr minderwertigen Rotwein. Obwohl es viele großartige Werke gibt, die in Verbindung mit dem Ersten Weltkrieg stehen, von Vaughan Williams’ Pastoral-Symphony bis hin zu Elgars Cellokonzert, gibt es eine Komposition, die selten in den Programmen zu diesem Thema auftaucht und es verdient, endlich anerkannt zu ­werden.

Joseph-Maurice Ravel war 39 Jahre, als der Krieg ausbrach, und er tat sein Bestes um ein Pilot der französischen Luftflotte zu werden. Sein Alter und seine schwache Konstitution sprachen jedoch dagegen und so trat er als Lastwagenfahrer in den Kriegsdienst. Er hatte bereits mit der Komposition seiner Klaviersuite Le tombeau de Couperin begonnen, die er 1917 fertig stellte. 1919 orchestrierte er das Werk und widmete die

einzelnen Sätze Freunden, die im Kampf gefallen waren. Die Komposition, die als ein „in Andenken geschriebenes Stück“ definiert wird, klingt nicht wie ein Requiem.

Auf diese scheinbar seltsame Inkongruenz angesprochen, erwiderte Ravel, die Todesfälle seiner Freunde seien „traurig genug, in ihrer Ewigen Stille.“ Obwohl es sicherlich nicht Pinard ist und obwohl es viele exzellente französische Weine zu empfehlen gibt, besonders Cham-

„Solch ausbalancierte ­Harmonien klingen sehr nach Ravels Orchesterfassung von „Le tombeau de Couperin“ pagner aus der Region, die im Ersten Weltkrieg am meisten zerstört wurde, gibt es einen guten Wein aus Australien, ja – das ist richtig, Australien, den man mit Maurice Ravel und seinem Mini-Meisterwerk assoziieren kann. Wäre er serviert worden, hätte es vielleicht eine andere Auswirkung an der Front gegeben.

Nach einer kurzen Zeit, in der er LKWs in Paris bediente, wurde Ravel im März 1916 an die Westfront nach Verdun im Nordwesten Frankreichs geschickt. Verdun. Das ist ein Zufall, der zu gut ist, ihn zu übersehen: Denn Verdun Park Wines ist ein Weinproduzent im Besitz der Familie

Voumard. Verdun Park Wines liegt in der kleinen Stadt Verdun am Rande des malerischen Onkaparinga-Tals in den australischen Adelaide Hills und ist spezialisiert auf erstklassige Adelaide-Hills-Weine.

Verdun Parks erste Serie, ein 2009er ‚Lyla’ Sauvignon Blanc, gewann eine Goldmedaille in der Adelaide Hills Wine Show.

Der 2013er, der weniger als 20 € die Flasche kostet, ist ebenso wohlriechend mit krautigen Noten in der Nase, gefolgt von frischer Zitronensäure und tropischen Akzenten am Gaumen. Der Wein ist knusprig und wird aus spezifisch ausgesuchten Trauben mit einer hellen strohgrünen Farbe und einem reinen, frischen Aroma hergestellt, das in einen wunderschön artikulierten Geschmack mündet, voll von Zitrus, weißem Pfirsich und dezenten tropischen Früchten in einer harmonischen Balance.

Solch ausbalancierte Harmonien klingen sehr nach Ravels Orchesterfassung von Le tombeau de Couperin. Lyla ist ein Wein mit einem blumigen, lebhaften Nachhall, ähnlich den überschäumenden, rhythmischen Barocktänzen in Ravels Musik. Der Erste Weltkrieg mag die erste von vielen Tragödien des 20. Jahrhunderts gewesen sein, aber diese Musik und dieser Wein sind herrliche Erinnerungen an das Beste der Menschheit, und es ist möglich, das Glas zu heben, dabei diese Musik zu hören und mit Ehre und Respekt auf diejenigen anzustoßen, die ihr Leben gaben. n

John Axelrod ist Erster Dirigent des Orchestra Sinfonica di Milano „Giuseppe Verdi“. Nebenbei schreibt er Bücher („Wie großartige Musik entsteht ... oder auch nicht. Ansichten eines Dirigenten“) und philosophiert über sein Lieblingshobby: guten Wein. John Axelrods neue CD „Brahms Beloved“ mit dem Orchestra Sinfonica di Milano „Giuseppe Verdi“ ist gerade erschienen.

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Foto: Stefano Bottesi

Unser Hausdirigent und Kolumnist spannt einen gewagten Bogen vom Kriegsdienst Maurice Ravels zu einem bestimmt hervorragenden Wein aus Down Under.

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September – Ok tober 2014

»Ich lese crescendo« Sebastian Knauer, Pianist

Gutschein

€ 50,-

Prämie: Wertgutschein über 50 Euro von Roeckl Handschuhe & Accessoires (solange Vorrat reicht)

Geschenk-CD: Elīna Garanča: Meditation. Latvian Radio Choir, Deutsche Radio Philharmonie, Karel Mark Chichon (Deutsche Grammophon)

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Foto: Steven Haberland

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L E B E N S A R T

Die Dietrich Ihr Exil in Hollywood war zunächst nicht politisch motiviert – Marlene Dietrich verließ Deutschland bereits Anfang der 30er-Jahre, ihrer Karriere wegen.

Und fand die Freiheit, die ihr erlaubte, alles zu werden. Die Geschichte einer Ikone. von Barbara Schulz

HOLLYWOOD

In dieser Absolutheit war sie die glamouröse Antwort Vielleicht war alles nur Zufall. Ihr erster großer Film DIE FilmMusik auf jede Form von Unterwerfung und Angepasstheit, ohne Der blaue Engel, der sie als laszive Lola Lola unter dem der 40er JAHRE genau zu wissen, was Glamour denn nun eigentlich sei: „Niegroßen Regisseur Josef von Sternberg über Nacht berühmt machte. Vielleicht war auch ihre Freude an der Frivolität mand hat dieses Wort erklärt. Es ist ein Begriff von Persönlichkeit, nichts weiter als die narzisstische Lust am Erfolg. Vielleicht war oft Schönheit, auf alle Fälle von Autorität.“ Koketterie hin oder her aber auch genau das nichts weiter als die Erfüllung einer Sehn- – ihr fehlte nichts von alledem. sucht, die ihr in die Wiege gelegt war, als sie im Dezember 1901 Mag ihr modischer Mythos in erster Linie auch daher rühren, zur Welt kam. Immerhin hatte sie bereits als kleines Mädchen den Wunsch, sich neu zu erfinden: Aus Marie Magdalene wurde Mar- dass sie das Weibchenschema mit männlicher Attitüde untergraben lene Dietrich. Aus zwei mach eins. Ein Prinzip, das sie lebte. Jahre hat, dass sie respektlos und sarkastisch war. Nicht weniger aber war es später im ganz großen Stil. Das sie zu der machte, die sie war: die ihre Kraft der Imagination, mit der sie spielte, und eine souveräne klassische Femme fatale, extravagant und unnahbar, von betören- Grandezza, mit der sie ihre Haltung auch im wörtlichen Sinne lebte. der, aber kalter Schönheit. Überhaupt wusste sie wie keine andere Und genau diese Mischung ließ sie zur Stilikone gleich mehrerer das Spiel der Gegensätze zu inszenieren: Sie liebte Männer und Generationen werden. Sie trug die sportliche Schirmmütze nicht weniger elegant wie extravaFrauen, war preußisch streng gante Federgebilde auf ihrem und verschwenderisch, Vamp Kopf, selbst Kopftuch und und Amazone zugleich, Wollpullover wusste sie zu unnahbar und kumpelhaft, inszenieren. Daneben aber kühl und demütig, androgyn beherrschte sie das Spiel mit und weiblich, burschikos und: purer Sinnlichkeit bis in jedes unfassbar elegant. Ohne ihre Berliner Schnauze zu verleugnen. Ein deutscher Weltstar, der raffinierte Detail. Zigarettenetui, Feuerzeug, Pelzboa, Perlen oder selbst Amerika lehrte, was Freiheit ist – politisch, gesellschaftlich, Smoking, Zylinder, Handschuhe, Zigarettenspitze – was durch die modisch. Denn in einem war die Dietrich kompromisslos: in Finger der Dietrich ging, wurde Kult. Inklusive ihrer eigenen Allure ihrem Wissen darum, was sie nicht will – Engstirnigkeit. Und dar- und dem Mut zur Selbstinszenierung: Verrucht die Stimme, verwegen der Blick und über den hohen Wangenknochen (die so besonders aus entwickelte sie ihre größte Tugend: Haltung. markant waren, weil sie dafür einige Backenzähne geopfert hatte) – Die war es letztlich auch, die verantwortlich war für ihr das Leben war für sie eine Bühne. Auf der sie spielte, gern in mondäSelbstbewusstsein, das ihr erlaubte, Normen nicht ernst zu nen Roben, die sie fast nackt wirken ließen und immer ein erotisches ­ ­nehmen und sich auf für die damalige Zeit skandalöse modische Statement waren. Legendär: ihr Bühnenmantel aus Brustdaunen von Gratwanderungen einzulassen – Marlene Dietrich war eine ein- Schwänen (immerhin sollen insgesamt 3000 Schwäne für zwei dieser zige erotische Provokation. Allein die Hose als weibliche Mode zu Mäntel ihr Leben gelassen haben) mit einer drei Meter langen propagieren überschritt die Grenzen des vermeintlich guten Schleppe. Dafür verzichtete selbst sie auf ihr modisches Must – den Geschmacks. Selbstbewusste Frauen allerdings, die sich keinem Hut. Sie wusste sehr genau zu dosieren. Und zu kontrollieren.

Modediktat unterwerfen wollten, vergötterten sie für diesen Tatsächlich war Kontrolle eines ihrer großen Themen bis zum anrüchigen Stil androgyner Weiblichkeit, der sich speiste aus ­ betont maskuliner Lässigkeit. Sie selbst hatte für Mainstream Schluss. Dass sie die letzten Jahre vor ihrem Tod keinen Schritt und schnelle Trends nur wenig gute Worte übrig: „Mode ist im mehr vor die Tür ihrer Pariser Wohnung setzte, mag man als EitelGrunde nur eine bedauernswerte Schaustellung und hat nichts keit abtun, als Unfähigkeit, in Würde zu altern. Vielleicht ist es aber auch nur eine große Geste einer großen Diva. Im besten Sinne. n mit Fashion zu tun.“

„Aus ihrer Engstirnigkeit entwickelte sie ihre größte Tugend: Haltung.“

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Foto: Ullstein Bild

lebensart

HOLLYWOOD

DIE FilmMusik der 40er JAHRE

Der Stil lebt weiter!

Um in die Zeit der Hollywood-Diva Marlene Dietrich zurückzureisen, braucht man kein Geschichtsbuch. Ihre Produkte gibt es auch heute noch zu kaufen – sogar in ihrem Zimmer in Paris kann man nächtigen.

Fotos: Ullstein Bild Sueddeutsche Zeitung / Scherl; Hotel Lancaster

Vo n B a r b a r a S c h u l z

Das Feuerzeug

Click mit Chic Feuerzeuge galten seit jeher als Statussymbol. Marlene Dietrich dürfte am Mythos der Marke Zippo nicht unerheblich beteiligt sein, hat sie sich doch unzählige Male im Film wie im echten Leben ihre Zigarette mit dem ZippoClick angezündet – oder sich anzünden lassen. So wenig weiblich es war, entsprach genau das ihrer Haltung, die nur Stil war und jenseits jeglicher konservativer Normen oder flüchtiger Moden.

Erhältlich über www.zippo.de.

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Der Hut

Immer obenauf!

Ob Borsalino, Turban, Pillbox oder Fascinator: Keine Frau vor und keine nach der Dietrich hat den Hut so konsequent zum frivolen, eleganten oder androgynen Statement gemacht wie sie. Vermutlich hätte sie auch eine Wollmütze sexy zu tragen gewusst, mit dem Modell von Juliette (über Boticca) wäre ihr aber ganz sicher eine gewohnt umwerfende Inszenierung gelungen. Wer betrübt ist über den modischen Untergang der Hutkultur, dem gibt man beim Berliner Salon für Hüte und Accessoires (Hut Salon) recht.

www.bottica.com, www.hut-salon.de

Das Kleid

Ziemlich Marlene!

Die transparenten Kleider von Marlene Dietrich waren buchstäblich atemberaubend.

Legendär: ihre in wochenlanger Arbeit mit Abertausenden von Pailletten, Perlen und Steinchen bestickten (und sie selbst war mit Nadel und Faden am Werk) Abendroben in Nude-Tönen aus einem eigens für sie in Italien gefertigten Gewebe namens „Souffle“. Darunter trug sie auf den Leib geschneiderte hautfarbene, „geheime“ Mieder. So wirkte sie bei aller Eleganz fast nackt und wie mit Sternen übersät – Erotik mit Glamour-Faktor, der auch im langen Schwarzen seine Wirkung entfaltete. Ihr Kommentar zu den mehreren Dutzend Kleidern dieser Art: „Ich kann nicht singen. Also muss das, was ich trage, eine Sensation sein.“

Dieses hier rechts ist von Notte by Marchesa, zu beziehen über www.net-a-porter.com

Die Handschuhe

Bis in die Fingerspitzen Entweder sind sie deplatziert, oder man findet sie so schick, dass man sie auch gerne ins Büro anziehen würde – wo sie eben auch … ja, eben! Die langen Abendhandschuhe sind also den großen, seltenen Marlene-Momenten vorbehalten, graue Alltagshände in noble Verpackung zu stecken ...

Schade, eigentlich! Die Münchner Firma Roeckl hätte das passende Model.

www.roeckl.de Das HotelZimmer

Schöner wohnen!

Wie und wo wohnt eine Diva? Die Antwort findet man im edlen Pariser Hotel Lancaster, das die Suite, in der Marlene Dietrich drei Jahre lang lebte, noch immer als Hotelzimmer vermietet.

Das Haus beherbergt neben dem MarleneDietrich-Flügel noch viele andere Original Accessoires. Abends blickt man von der Terrasse auf den Arc de Triomphe und kann sich mit der hauseigenen schwarzen Limousine in die Opéra Garnier chauffieren lassen.

www.hotel-lancaster.com

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H o p e

t r i f f t . . .

Geiger & crescendo-Kolumnist DANIEL HOPE

die Stimme Amerikas Unser Kolumnist wurde bei seinem Auftritt im Nobel-Ort Aspen vom bekanntesten Radiomoderator der USA für klassische Musik, Fred Child, interviewt.

Hinter der Bühne stellte dann aber Daniel Hope die Fragen ...

Daniel Hope mit Fred Child, der in den USA die bekannteste Klassik-Radiosendung Performance Today moderiert.

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und haben natürlich auch mit Musikern gesprochen. 2015 planen wir eine Reise entlang der Donau mit Wien und Budapest.

Da werden dann schon 160 Hörer dabei sein. Was mir sehr gefällt ist, dass wir die Leute zusammenbringen, die eine gleiche Leidenschaft teilen. Das ist etwas sehr Schönes.

Ich glaube, nicht nur die Hörer schätzen dich, sondern auch die Musiker.

Man merkt, dass du selber Musik machst, und ich habe gelesen, dass du sogar mal als Vorgruppe bei einem Konzert von Grateful Dead aufgetreten bist. Ist das wahr?

Ja (lacht). Ich war vor 30 Jahren mal in einer Band, die African Dance Music gespielt hat, und Mickey Hart, einer der Drummer von Grateful Dead war irgendwie auf unser Album aufmerksam geworden und mochte es. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie unglaublich es ist, vor 20.000 Menschen zu spielen und zu spüren, was da von einem Publikum zurückkommt.

Kannst du noch verraten, wie man dich im Radio oder via Website findet?

Am besten direkt über www.performancetoday.publicradio.org. Auf der Seite ist übrigens auch das Interview, das ich mit dir hier auf der Bühne geführt habe. n

Foto: privat.

Du bist ja sozusagen die Stimme klassischer Musik in den USA. Wie bist du eigentlich in unserem Genre gelandet?

Mein Vater war Luftfahrt-Ingenieur, er arbeitete an der Rakete mit, die Menschen zum Mond fliegen sollte. Wenn er abends nach Hause kam, setzte er sich ans Klavier und spielte. Das hatte etwas Magisches für mich, und ich selbst bat darum, Klavierunterricht zu bekommen. Ich hatte zehn Jahre Unterricht und spielte hauptsächlich für mich selbst, aber als ich diese ganze Welt rund um die klassische Musik kennenlernte, wusste ich, dass ich mein Leben damit verbinden wollte. Ins Radiobusiness bin ich dann eher reingestolpert. Aber beim Radio kann man eben seine eigene Leidenschaft so toll mit den Hörern teilen und –ganz ehrlich – ich fühle mich da wie der glücklichste Mensch der Welt, dass das auch mein Job ist.

Früher war Radio ja geografisch begrenzt, heute ist es möglich, dich via Internet weltweit zu hören …

Ja. Wir versuchen auch gerade rauszufinden, wie viele Hörer wir eigentlich weltweit haben. Ich durfte zum Beispiel gerade bei der BBC als Presenter für die Aufnahme

des National Orchestra of Wales sprechen, weil sie eine amerikanische Stimme haben wollten. Ich fühle mich sehr glücklich, dass ich nicht nur im amerikanischen Radio zu hören bin, sondern auch in anderen Ländern.

Du machst auch Listeners-Tours, also Reisen mit Hörern.

Ja, wir haben das in diesem Jahr angefangen und ganz ehrlich: ich war da etwas skeptisch, ob das funktionieren würde. Aber schon die erste Musikreise nach London im Juni 2014 war sehr schnell ausverkauft. Wir waren mit 50 Hörern unterwegs und haben uns Konzerte angehört und sind in diverse Museen gegangen

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September – Ok tober 2014

TRÄUMEN SIE… …am Fuß der Zugspitze

Informationen unter www.daskranzbach.de oder Telefon +49 (0)8823 928000