curt Magazin München #80 // Herzblut

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CURT STADTMAGAZIN MÜNCHEN # 80 // FRÜHJAHR 2015

CURT # 80 // STADTMAGAZIN MÜNCHEN // FRÜHJAHR 2015

HERZBLUT


the terrex collection Eine Ausstellung von adidas outdoor und Gian Paul Lozza

13. und 14. März 2015 Goldbergstudios Müllerstraße 46 I 80469 München 15:00 bis 18:00 Uhr – open for Public 13. März, 19:00 Uhr „freisein“ – Vortrag des Alpinisten Michi Wohlleben 14. März, 19:00 Uhr Closing Party Jetzt Ticket sichern unter www.bergzeit.de/terrexcollection

© 2015 adidas AG. adidas, the 3-Bars logo and the 3-Stripes mark are registered trademarks of the adidas Group.


VORWORT Wenn man den Begriff „Herzblut“ bei Google eingibt, bekommt man allerlei erhellende Informationen ausgespuckt. Es tauchen etwa 20 Bücher mit diesem Titel auf, vom Thriller bis zum Alpenroman, mehrere Musikanten, etwa Queen of Metal Doro (was, ihr kennt Doro nicht? Wo wart ihr in den 80ern?) oder irgendwelche Mittelalterspielmänner, haben ihre Alben so betitelt. Sogar Roy Black hatte offenbar mal eine Platte, die so hieß. Man kann Dirndl kaufen, es gibt Kneipen, Piercing- und Tatoostudios, die Herzblut heißen, Partys (komischerweise besonders oft Silvesterfeiern) und Volksmusikveranstaltungen, die unter dem Motto laufen. Dann findet man massenhaft Bilder, die entweder Wälder, Hirsche und Berge mit und ohne verträumt dreinschauende Menschen zeigen oder stilisierte oder anatomisch korrekte Herzen abbilden, aus denen das Blut trieft, die rote Spuren im Schnee hinterlassen oder – eine Kombination – vor Hirschgeweihen auf moosigem Waldboden liegen. Klar wäre es durchaus interessant herauszufinden, wer sich so etwas ausdenkt. Aber offenbar scheint der Begriff „Herzblut” entweder mit Heimat und Romantik oder aber mit Gewalt in Verbindung gebracht zu werden. Was die oberflächliche Suche nicht zutage fördert – und was damit unter dem Radar von wahrscheinlich 98 % der Internetkonsumenten bleibt – , sind Geschichten über Menschen, die ihr letztes Hemd für ihre Ideen und Überzeugungen geben würden. Die vielleicht für wenig oder gar kein Geld anderen Menschen helfen und mit allen Mitteln versuchen, ihre Träume zu verwirklichen. Menschen, die ihre Freizeit damit verbringen, um Projekte anzuschieben, die von der Masse nicht beachtet werden, weil ein Erdbeben in einem Entwicklungsland natürlich aufsehenerregender ist als der arme Schlucker, dem man täglich auf dem Weg zur Arbeit begegnet. Leute also, die sich um die Themen des Lebens kümmern, die sie wichtig finden, die die Masse aber nicht unbedingt auf ihrer Agenda stehen hat. Menschen, die im Großen oder Kleinen viel leisten, aber nicht viel Worte darüber verlieren, sondern einfach machen. Ein paar dieser Menschen findet ihr in diesem Heft. Weil wir die Welt nicht Google überlassen dürfen. Bäm! Euer Thomas


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COVER

{HERZBLUT}

04 EIN EHRENAMT BEKLEIDEN

64 PLACES TO BE

06 ZUFALLSGENERATOR {HERZBLUT VS. -BLATT}

66 DUNK!  FESTIVAL {EIN HERZ FÜ R POSTROCK}

08 ICH UND MEIN HERZBLUT

68 IM HERZRHYTHMUS

36 RADIO MÜ NCHEN IM PORTRÄT

70 IM GESPRÄCH: ZEHRA SPINDLER

40 INITIATIVE GRUNDEINKOMMEN MÜ NCHEN

74 BASTELDIBIX

{IM GESPRÄCH: GABRIELE VON MOERS} 42 KULTURVOLLZUG {IM GESPRÄCH: MICHAEL GRILL}

Ein großes Dankeschön geht an die nette Metzgerei Moll in Giesing, die unsere Fotografin Steffi zum Thema Herzblut spitze beraten und versorgt hat.

76 FOODSHARING MÜ NCHEN 78 S HADES OF LOVE {IM GESPRÄCH: JÜ RGEN ALTMANN}

44 KEIN WIDERSPRUCH

82 1. MÜ NCHNER SCIENCE FICTION FESTIVAL

46 WASCHDLS GRANTNOCKERL

86 T ILMANS BIERE

48 IM GESPRÄCH: RAPHAEL FELLMER

FOTO: STEFANIE GIESDER. fotografin-giesder.de MODEL MIT HERZ: PATRICIA BREU

{IM GESPRÄCH: TILMAN LUDWIG}

52 HERZ VS. HIRN {CURT VERGLEICHT}

90 CURT CRIME {ROMAN}

54 WENN DER VORHANG FÄLLT

92 DIE PASSIONIERTE ZWEIFALTIGKEIT

56 HERZSCHMERZ {BILDERRÄTSEL}

94 IMPRESSUM

58 CURT PRÄSENTIERT

96 WIE VIEL HERZBLUT HAST DU? {PSYCHOTEST}

ZUM THEMA Einige der Themen in dieser Ausgabe sind im Rahmen der gemeinsamen Kampagne „Herzblut” mit Radio München umgesetzt worden. Die multimediale Reportagen dazu findet ihr bei Artikeln mit dem Herz-Visual unter: reportage.stadt-liebe.org/herzblut Eine gemeinsame und offene Aktion gegen Kleinmeierei und Konkurrenz!


ART AVENUE pREsENTs:

THIAGO GOMS

ARTwoRks AVAilAblE AT ART-AVENUE.dE


4 curt

TEXT: SONJA PAWLOWA ILLU: SANDRA BAYER {UUUH-YEAH.COM}

Ein großes Wort, Ehrenamt. Es wird bekleidet, das Ehrenamt. Von Amtsträgern und gemeinnützigen Trägern. Getragen wird es unentgeltlich, freiwillig und mit Leidenschaft. Was also ist ein Ehrenamt? Wie so vieles hat auch das Ehrenamt seine Wurzeln in der griechischen Antike. Die männlichen Bürger hatten damals nicht allzu viel zu tun, da ja Frauen und Sklaven sämtliche Arbeiten übernahmen. Die männlichen Müßiggänger begannen aus Langeweile, sich für das Gemeinwesen zu interessieren.

Im Handumdrehen entwickelte sich eine Art kategorischer Imperativ, der jene Bürger, die sich weigerten, einen Beitrag zum Wohl des Gemeinwesens zu leisten, als „idiotes“ (Privatmenschen) bezeichnete. Möglicherweise hat sich in manchem Punkt nicht so viel geändert in den Jahrtausenden. Auch heute noch gibt es Ehrenämter, die von der arbeitenden Bevölkerung und den Idioten im neuzeitlichen Sinn wegen Mangels an Zeit oder Geld nicht so häufig bekleidet werden. Beispielsweise Ehrenämter mit hoheitlichen Aufgaben. Einige sind hinlänglich bekannt. Etwa ehrenamtliche Richter und Gemeinderäte. Aber auch Delegierte, Vertreter und Referenten, Wahlhelfer oder Konsule gehören in diese Sparte. Schöffen und Helfer bei Volkszählungen sind Ehrenämter, die bisweilen nicht freiwillig bekleidet werden, und eventuell nicht mal ehrenvoll sind. In kleineren Gemeinden können sogar Bürgermeister ehrenamtlich agieren, weil es die finanziellen Verhältnisse der Gemeinde so erfordern. Den Löwenanteil stellen jedoch die Ehrenämter im Sozialwesen. Im Gegensatz zu den oben aufgeführten Tätigkeiten engagieren sich hier die Idioten und Frauen für das Wohl

ihrer Mitmenschen. Dieses Engagement geht auf eine christliche Tradition zurück, nämlich das Liebesgebot der Bibel. Im Mittelalter gegründete Ritterorden wie die Johanniter und Malteser entwickelten sich zu Hospitalorden weiter und widmeten sich der Armenund Krankenpflege. Und obwohl heutzutage Rettungssanitäter, Krankenschwestern und Altenpfleger die klerikalen Liebesdiener ersetzen, konnte nicht das gesamte Tätigkeitsfeld der Caritas säkularisiert werden. Denn Ehrenämter haben zu Abrechnungs- und Verwaltungszwecken einen „Träger“, der in vielen Fällen immer noch kirchlich ist. Im Jahr 2004 waren 70 Prozent aller Einwohner Deutschlands über 14 Jahre ehrenamtlich tätig. Tendenz rückläufig. Von Feuerwehr bis Hausaufgabenbetreuung – das Land würde ohne Freiwillige kollabieren. In den letzten Jahren wurden Ehrenämter von Arbeitgebern allgemein eher negativ beurteilt, da der moderne Arbeitnehmer zu 100 Prozent der Firma zur Verfügung stehen soll. Wir sind also wieder bei den Sklaven des Altertums. Wer ein Ehrenamt bekleiden will, muss Kapital haben, um sich die Freizeit leisten zu können, die unbezahltes Arbeiten im Ehrenamt erfordert.


ART AVENUE pREsENTs:

MR. WOODLAND ARTwoRks AVAilAblE AT ART-AVENUE.dE


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HERZ BLUT

VS HERZ

BLATT Die Leidenschaft in die Arbeit, das Hobby oder ein ganz besonderes Projekt stecken? Oder ist sie nur für die Liebe reserviert? Wir haben uns bei den Münchnern umgehört. Herzblut oder Herzblatt – was hat Priorität?

INTERVIEWS: PATRICIA BREU & CHRISTINA RISINGER FOTOS: ACHIM SCHMIDT

FABIAN, 28 JAHRE {HERZBLUT} Die Arbeit steht meistens vor dem Privatleben, dafür brauche ich mein Herzblut.


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MICHAEL, 34 JAHRE {HERZBLATT} Weil ich lieber verwalte als gestalte.

TINO, 20 JAHRE {HERZBLUT} Wäre ja sonst langweilig!

JONA, 20 JAHRE {HERZBLATT} Weils einfach zum Glücklichsein dazugehört.

ANNA, 47 JAHRE {HERZBLUT} Man hat irgendwann mehr Erfahrung und weiß: Das Leben geht vor. Wir haben nur eines!

VICTORIA, 26 JAHRE {HERZBLUT} Das andere Herz ist Standard – und ein echtes Herz provokativer.

MARLON & ISABELLA, 15 JAHRE {HERZBLATT} Weil man auf die große Liebe hofft. Denn je älter man wird, umso mehr glaubt man daran und sucht danach.


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FOTO: STEFANIE GIESDER PORTRÄTFOTOS: JOHANNES MAIRHOFER INTERVIEWS: ANNIKA LIEBEKNECHT


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Wie trist und grau wäre die Welt ohne all die Macher, die mit viel Herzblut ihr Ding durchziehen ... Für sich, für andere – auf jeden Fall nicht für Kohle. Wir haben ein paar von ihnen zu ihren Herzensan­ gelegenheiten be­­ fragt.


VERONIKA REISER {24} STUDENTIN

MITARBEITERIN BEIM PROJEKT „PERSPEKTIVEN BILDEN“ „Perspektiven bilden“ ist eine Seminarwoche für junge Menschen in Orientierungsphasen, die dieses Jahr vom 12. bis 17. Juli 2015 zum zweiten Mal stattfinden wird. Das Projekt steht unter dem Dach des Münchner Vereins Commit e. V., welcher in der globalpolitischen Bildungsarbeit tätig ist. perspektivenbilden.de


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{HERZBLUT}

{HERZSCHLAG}

Warum fließt dein Herzblut gerade in dieses Ehrenamt? Einige befreundete Kommilitonen und ich starteten das Projekt „Perspektiven bilden“ für junge Menschen in Orientierungsphasen, als wir kurz vor dem Bachelorabschluss standen. Ähnlich wie nach der Schulzeit kamen mal wieder viele Fragen auf: „Was ist mir wichtig?“, „Wo will ich hin?“ und „Wie kann ich die Gesellschaft, in der ich lebe, verändern?“ Mit unseren Erfahrungen und Grundlagen aus dem Ethnologie- und Pädagogikstudium wollten wir Jugendlichen nach der Schule eine Hilfestellung bieten und sie bei diesem Prozess unterstützen. Während der Seminarwoche, die im Juli 2014 zum ersten Mal stattfand, können die Teilnehmenden aus interaktiven Workshops der Themenbereiche „Eigene Stärken und Talente“, „Berufs- und Lebenswege“ und „Gesellschaftspolitisches Engagement“ wählen.

Wie oft schlägt dein Herz für das Projekt? Im Organisationsteam treffen wir uns mindestens alle zwei Wochen. Und vor der Seminarwoche im Juli fließt der Großteil meiner Freizeit in die Projektorganisation.

So ein Projekt aus dem Boden gestampft zu haben, macht unglaublich stolz und motiviert zum Weitermachen. Im Moment sitzen wir an der Planung für 2015.

{HERZENSMENSCH} Geht es dir ums Karma und darum, ein besserer Mensch zu sein? Natürlich um Gutes zu tun! Mir ist es wichtig zu lernen, in meinem Umfeld Verantwortung zu übernehmen und die Gesellschaft, in der ich lebe, aktiv mitzugestalten. Das ist dann für mich so was wie gutes Karma.

{HERZRASEN} Welche Momente lassen dein Herz höher schlagen? Im Seminar findet das „Berufsund Lebenswege Café“ statt. Dort können sich die Jugendlichen in einer gemütlichen Café-Atmosphäre mit Menschen verschiedener (beruflicher) Hintergründe austauschen. Im letzten Seminar meinten die Teilnehmenden anschließend, dass die persönlichen Gespräche ihnen viel Mut und Zuversicht für die Zukunft gegeben hätten. Diese und viele weitere Begegnungen und Freundschaften, die während des Projekts entstehen, sind sehr

bereichernd. Insbesondere, da man weiß, dass all das ohne das eigene Zutun nicht stattgefunden hätte.

{HERZSCHMERZ} Welche Momente lassen dein Herz bluten? Durch unser Projekt habe ich viele engagierte Menschen kennengelernt, die irgendwann aufgehört haben, weiter an ihren Ideen zu arbeiten. Ich verstehe nicht, dass dafür oft die (finanzielle) Unterstützung fehlt.

{HERZINFARKT} Wolltest du schon mal alles hinschmeißen? Immer mal wieder gibt es schwierige Stunden. Insbesondere, wenn mal wieder eine Ablehnung von Förderungsanfragen ankommt. Aber die vielen guten Stunden und die Unterstützung heilen das Herz auch wieder schnell.

{HERZENSWUNSCH} Auf der Fundraising-Plattform betterplace.org kann man finanziell benachteiligten Jugendlichen die Teilnahme ermöglichen. Über Anregungen für Workshops und den Wochenablauf freuen wir uns auch immer!


CONSTANTIN JOHN JOHN, {26} DRAMATURGIEASSISTENT {26} DRAMATURGIEASSISTENT

KONZERTVERANSTALTER IM KAFE KULT KONZERTVERANSTALTER IM KAFE KULT Das Kafe Kult in der Oberföhringer Straße 156 ist ein seit 1999 ehrenamtlich betriebener Veranstaltungsladen, Das Kafe Kult in der Oberföhringer Straße 156 ist ein seit 1999 ehrenamtlich betriebener Veranstaltungsladen am nordöstlichen Ende von München, dessen Wurzeln irgenddessen Wurzeln irgendwo im liegen. Bereich Punk, Hardcore und DIY liegen. kafekult.de wo im Bereich Punk, Hardcore und DIY kafekult.de


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{HERZBLUT} Warum fließt dein Herzblut gerade in dieses Ehrenamt? Ich finde es wichtig, dass subkulturelles Leben in einer Stadt eine ernstzunehmende Alternative zum Mainstream darstellt. Wir vom Kafe Kult schielen nicht nach Trends oder Verkaufsschlagern, sondern machen ein Programm, das uns etwas bedeutet. Unser Publikum ist sehr gemischt und viele Gäste wachsen mit dem Laden mit. Ich empfinde das als spannend und lebendig.

{HERZSCHLAG} Wie oft schlägt dein Herz für das Projekt? Bis auf August, in dem wir uns eine Pause gönnen, sind es monatlich ca. vier Konzerte plus die ganze Organisation. Während des Studiums war ich öfter in Konzerte involviert. Jetzt wird sich zeigen, wie oft ich es neben der Arbeit schaffe.

{HERZENSMENSCH} Geht es dir ums Karma und darum, ein besserer Mensch zu sein? Mir ging es nie darum, mir selbst auf die Schulter klopfen und behaupten zu können, ich mache hier etwas unheimlich Wichtiges. Ein kleiner Beitrag gegen Tristesse und Lethargie ist kein Grund, sich einen Orden ans Revers zu heften.

Mein Engagement entsteht aus dem inneren Bedürfnis, etwas zu erschaffen und es in Bewegung zu halten.

{HERZRASEN} Welche Momente lassen dein Herz höher schlagen? Viele schöne Momente und tolle Menschen erinnern mich immer wieder daran, warum ich im Kafe Kult mitmache. Die Höhepunkte sind aber meistens konzertbezogen: wenn wir Bands veranstalten, die nicht mehr zu den Geheimtipps gehören. Ted Leo und The Notwist waren für mich solche Highlights. Oder neue Bands, von denen man monatelang die Platte hört und die dann plötzlich auf ihrer ersten Europatour in deinem Laden spielen. Und dann sind da noch die Bands, die immer wieder kommen und zu denen sich eine Freundschaft entwickelt. Da kann das Herz schon mal schneller schlagen.

{HERZSCHMERZ} Welche Momente lassen dein Herz bluten? Schlimm wird es für mich, wenn ich mich sehr auf eine Band freue und dann kommen fast keine Leute. Das frustriert natürlich, weil man viel Energie hineingesteckt hat. Auch ärgerlich sind Bands oder Publikum, die nicht schät-

zen, was du machst, und nicht verstehen, wie das Kafe Kult funktioniert. Sie denken, man arbeite hier, werde bezahlt und muss sich deshalb dumme Sprüche oder schlechtes Benehmen gefallen lassen.

{HERZINFARKT} Wolltest du schon mal alles hinschmeißen? Im Kafe Kult aufhören wollte ich nie. Es gab aber Zeiten, in denen mich nicht viele Bands interessierten, die wir veranstalteten. Trotzdem hilft man, denn beim nächsten Konzert geht es vielleicht den anderen genauso.

{HERZENSWUNSCH} Ich würde mir wünschen, dass Leute wieder mehr auf Konzerte gehen und Lust auf LiveMusik und -Performance haben. Das Unmittelbare und die Energie, die bei Konzerten entstehen können, sind sehr besonders. Ohne Publikum können die Bands das Touren nicht mehr finanzieren und werden nicht kommen. Manchmal vermisse ich eine Bereitschaft, sich auch mal auf Unbekanntes einzulassen – nach dem Motto: für weniger Sicherheit und dafür mehr Wagnis.


SABINE RUCHLINSKI {40} GESCHÄFTSFÜ HRERIN BERUFSVERBAND BILDENDER KÜ NSTLER MÜ NCHEN UND OBB. E. V.

INITIATORIN UND VORSITZENDE KULTURRAUM MÜNCHEN E. V. KulturRaum München vermittelt seit drei Jahren kostenlose Eintrittskarten für Kulturveranstaltungen an Menschen mit geringem Einkommen. 32 ehrenamtliche Vermittler kümmern sich darum, dass auf diese Weise inzwischen monatlich ca. 1.300 Kulturbesuche ermöglicht werden. kulturraum-muenchen.de


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{HERZBLUT}

{HERZRASEN}

{HERZINFARKT}

Warum fließt dein Herzblut gerade in dieses Ehrenamt? Es ist eine perfekte Schnittstelle zwischen Gesellschafts-, Sozial- und Kulturpolitik – in diesem Bereich wollte ich immer arbeiten.

Welche Momente lassen dein Herz höher schlagen? Da gibt es zwei: das KulturRaumTeam, in dem sich die verschiedensten beeindruckenden Menschen zusammenfinden und gemeinsam viel auf die Beine stellen.

Wolltest du schon mal alles hinschmeißen? Nein.

{HERZSCHLAG}

Immer wieder zu sehen, wie toll das Projekt funktioniert und tatsächlich bei den Menschen ankommt.

Wie oft schlägt dein Herz für das Projekt? Ca. zehn Stunden pro Woche.

{HERZENSMENSCH} Geht es dir ums Karma und darum, ein besserer Mensch zu sein? Nein, aber es fühlt sich gut an, eine tolle Idee erfolgreich umzusetzen.

{HERZENSWUNSCH} • Münchner Kinos als KulturPartner • MVV-Tickets für Flüchtlinge (um Kulturveranstaltungen besuchen zu können) • Viele Sympathiebekundungen per SMS an 81190, Kennwort KulturRaum (Unterstützung mit 2 Euro pro SMS)

{HERZSCHMERZ} Welche Momente lassen dein Herz bluten? Wenn Gäste ohne abzusagen nicht zu den Veranstaltungen gehen und die Plätze verfallen. Wenn Kulturveranstalter nicht mitmachen wollen.

In den letzten Jahren ist beim KulturRaum München ein breites Netzwerk aus mehr als 340 Sozial- und über 180 KulturPartnern entstanden. Zusätzliche Angebote wie das Projekt KulturKinder, der Veranstaltungskalender Eintritt.frei und unser Lesezirkel LiteraturRaum erfreuen sich großer Beliebtheit. Seit September wird gemeinsam mit Schülern der Willy-Brandt-Gesamtschule das Projekt KulturKick entwickelt, mit dem Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren, die bis jetzt kaum erreicht werden, für Kulturveranstaltungen begeistert werden.


LUCA & MERET {20 & 19} STUDENTEN

SENDUNGSMACHER/-IN BEI RADIO FEIERWERK (RADIO TREIBHOLZ) Radio Feierwerk 92,4 ist seit über 20 Jahren ein Stück Münchner Jugendkultur und damit wichtiger Bestandteil der Förderung junger Kunst, Musik und Kultur Münchens. In seiner Art ist es bundesweit einzigartig, denn es wird von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zum großen Teil selbst gestaltet. radio-feierwerk.de


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{HERZBLUT}

{HERZENSMENSCH}

{HERZENSWUNSCH}

Warum fließt euer Herzblut gerade in dieses Ehrenamt? Weil es Spaß macht, sich selbst mit wichtigen kulturellen und politischen Themen auseinanderzusetzen und auch andere damit zu erreichen. Wir hoffen, dadurch gerade auch bei jungen Menschen ein Bewusstsein und einen Diskussionsanstoß für Themen zu schaffen, die sonst im Radio unterrepräsentiert sind. Es ist schön, am Ende der Woche eine abgeschlossene Sendung präsentieren zu können, in der viel Überlegung, Energie und Recherchearbeit steckt.

Geht es euch ums Karma und darum, bes­ sere Menschen zu sein? Nein, aber lieber Gutmensch als Schlechtmensch.

Radio Feierwerk bietet einen großen Freiraum, sich zu engagieren. Leider wird uns immer wieder das Fördergeld gekürzt und dementsprechend leiden viele Projekte darunter. Über Spenden freuen wir uns immer. Wir, als Treibholz-Clique, freuen uns außerdem über jede(n) neue(n) Hörer(in) – zu hören gibt es uns jeden zweiten und vierten Samstag im Monat von 15 bis 16 Uhr auf der 92,4 oder im Internet. Davon abgesehen wäre es schön, wenn es unter jungen Menschen ein größeres politisches Bewusstsein und Interesse für alternative Medien und mehr Aktivismus gäbe. Frei nach Form: „Alle machen, machen, machen, immer weitermachen!"

{HERZSCHLAG} Wie oft schlägt euer Herz für das Projekt? Wir haben jeden zweiten und vierten Samstag im Monat Sendung. Je nachdem, wie viel Zeit wir verplempern, sind wir ein bis zwei Nachmittage in der Woche davor ein paar Stunden in der Redaktion. Aber natürlich denken wir auch im Alltag ständig darüber nach, was wir gerne senden würden, führen Interviews und suchen Musik.

{HERZRASEN} Welche Momente lassen euer Herz höher schlagen? Kommentare, von Menschen in Südafrika, die zur Abwechslung mal die Qualität von unserem – nicht mal hier funktionierenden – Internet-Livestream loben!

{HERZSCHMERZ} Welche Momente lassen euer Herz bluten? Drei oder vier Sekunden Stille im Radio können schon eine Katastrophe bedeuten. Die Technik ist uns manchmal nicht ganz wohlgesonnen. Tatsächlich ärgerlich ist für uns zwei aber, wenn wir durch jede Menge anderer Verpflichtungen nicht genügend Zeit und Energie haben, zu einem wichtigen Thema einen interessanten und qualitativen Beitrag hinzubekommen. Manchmal bräuchten wir am besten ein ganzes Redaktionsteam.

{HERZINFARKT} Wolltet ihr schon mal alles hinschmeißen? Ja, jedes Mal 15 Minuten vor Sendungsanfang.

Radio Feierwerk ist als nichtkommerzieller Sender abhängig von Förderern. Unterstützen könnt ihr unter: radio.feierwerk-foerderer.de


CHRISTOPH SCHÖNE {47} FREISCHAFFENDER ILLUSTRATOR UND COMICZEICHNER

VORSTAND COMICAZE E. V. Comicaze ist ein gemeinnütziger Verein in München zur Förderung der Comic-Kunst. Der Verein hat sich insbesondere die Förderung des Münchener Zeichner-Nachwuchses und der lokalen Comic-Szene auf die Agenda gesetzt. Jährlich erscheinen ein bis drei Nummern des kostenlosen Magazins in einer Auflage von 10.000 Stück. comicaze.net


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{HERZBLUT}

{HERZENSMENSCH}

Warum fließt dein Herzblut gerade in dieses Ehrenamt? Comics galten lange als Schund, dabei bietet dieses Medium einzigartige Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen. Durch unsere Kostenlosmagazine bringen wir Leute, die üblicherweise keine Comics lesen, dazu, sie zu lesen. Nachwuchszeichner können bei uns in einem professionellen Umfeld veröffentlichen und mir, als Profi, bietet das Magazin die Möglichkeit, auch mal stilistisch zu spielen und neue Techniken auszuprobieren. Und, nicht zu vergessen, es ist einfach schön, junge Talente über die Jahre zu begleiten und zu sehen, dass sie sich zu richtig guten Zeichnern entwickeln. Zudem funktioniert der Verein als großer Freundeskreis. Obwohl viele von uns dieselben Felder beackern, gibt es kein Konkurrenzdenken; vielmehr helfen wir uns, wo es geht.

Geht es dir ums Karma und darum, ein besserer Mensch zu sein? Die Welt zu einem lustigeren Ort zu machen, ist mir schon ein Anliegen, aber es ist auch so, dass ich an organisatorischen Aufgaben reife. AnzeigenAkquise, vor vielen Leuten frei sprechen, Magazine redaktionell betreuen, Ausstellungen kuratieren und den ganzen Flohzirkus hüten – das sind Dinge, die mir zunehmend leichter fallen und die ich auch außerhalb der Vereinsarbeit ganz gut gebrauchen kann.

{HERZSCHLAG} Wie oft schlägt dein Herz für das Projekt? Schwer zu sagen. Als freischaffender Künstler bin ich sowieso 24 Stunden am Tag im „Dienst“, Comicaze läuft irgendwo im Hinterkopf eigentlich immer irgendwie mit, wobei wir die Vereinsmeierei auf ein Minimum beschränken.

{HERZRASEN} Welche Momente lassen dein Herz höher schlagen? Bei Ausstellungen des Comicfestivals helfe ich des Öfteren beim Rahmen etc. Die Originalzeichnungen von Künstlern, die ich seit Langem sehr verehre, in die Finger zu bekommen, das sind schon wunderbare Momente. Vor zwei Jahren habe ich mit Gilbert Sheldon, dem „Freak Brothers“-Zeichner, seinen 70. Geburtstag gefeiert und mich auf Augenhöhe mit Denis Kitchen, dem ehemaligen Verleger von Robert Crumb, über redaktionelle Dinge ausgetauscht. Jedes Magazin, jedes Album, das wir herausbringen, und jede Ausstellung macht einfach Riesenspaß. Momentan arbeiten wir gerade an einem Pro-

jekt über Bier für 2016, an dem sogar internationale Namen mitarbeiten. Und das alles unter „Comicaze präsentiert“. Ein Traum!

{HERZSCHMERZ} Welche Momente lassen dein Herz bluten? Vor Jahren waren wir so blöd, jemandem zum Vorstand zu wählen, der die Seele des Vereins rauben und sein eigenes egozentrisches Supperl kochen wollte. Daran wären wir fast zerbrochen. Bei uns ist jeder willkommen, außer eben dieser einen ganz speziellen Person.

{HERZINFARKT} Wolltest du schon mal alles hinschmeißen? Nö.

{HERZENSWUNSCH} Leute, wenn ihr Interesse am Medium Comic habt, kommt am zweiten Mittwoch des Monats ab 19 Uhr zu unserem Stammtisch im Klenze 17 in der Klenzestraße 17.

reportage.stadt-liebe.org/herzblut


KATHRIN RÖ SCH {27} REDAKTIONSVOLONTÄRIN

MIT EINEM YOUTUBE-TALKFORMAT KULTUR AN DEN MANN UND AN DIE FRAU BRINGEN In Kathrins Kulturklo dürfen Gäste aus dem Musik- und Kulturleben Münchens baden gehen – erstmal brav hinter dem Duschvorhang warten, bis es heißt: Showtime! Die Bands singen unter der Dusche und Talkgäste plaudern bei Schampus in der Badewanne aus dem kulturellen Nähkästchen Münchens. Produziert von Matz TV. kulturklo.net


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{HERZBLUT}

{HERZENSMENSCH}

{HERZINFARKT}

Warum fließt dein Herzblut gerade in dieses Ehrenamt? München ist wie eine Schatztruhe. Von den feinen kulturellen Schätzen erfährt man nur, wenn man den Schlüssel hat. Das kann ein Kulturnerd-Bekannter sein, ein Kulturblog oder eben ein Talkformat auf dem Klo.

Geht es dir ums Karma und darum, ein besserer Mensch zu sein? Natürlich hat das Kulturklo auch für mich positive Seiten. Ich bin leichter an Jobs gekommen und habe viel für meinen Beruf dazugelernt. Am Ende zählen aber die vielen tollen Menschen und Projekte, die ich über das Kulturklo kennenlernen durfte.

Wolltest du schon mal alles hinschmeißen? Wenn draußen die Sonne scheint und du den ganzen Tag im Schnitt bist, dann können schon mal solche Gedanken kommen.

{HERZSCHLAG} Wie oft schlägt dein Herz für das Projekt? Wenn es um die Produktion geht, läuft das Kulturklo unter dem Motto: Wenn es kommt, dann dicke. Dann gehen die Wochenenden für Vorbereitung, Dreh und Schnitt drauf. Was natürlich immer nebenher läuft, ist Social Media … also eigentlich schlägt mein Herz 24/7 für das Kulturklo.

{HERZENSWUNSCH} Kulturklo im Hauptprogramm nach Neo Magazin Royale.

{HERZRASEN} Welche Momente lassen dein Herz höher schlagen? „Ach, du machst das Kulturklo? Ja, davon hab ich schon mal gehört!“

{HERZSCHMERZ} Welche Momente lassen dein Herz bluten? Geplant: 12 Uhr Drehbeginn. 11.45 Uhr: Die Kameraleute sind nach der Partynacht immer noch nicht zurück und keiner geht ans Handy. (Um 11.55 Uhr sind sie dann zum Glück aufgetaucht.)

reportage.stadt-liebe.org/herzblut


STEFAN SCHOTTENHAMMER {25} VERWALTUNG & VERSAND IN EINEM KUNDENCENTER

HELFER BEI DER MÜ NCHEN TAFEL E. V. Münchner Tafel e. V. sammelt Lebensmittelspenden und gibt sie an Bedürftige weiter. Die unabhängige Tafel verteilt jede Woche an ihren Ausgabestellen im Münchner Stadtgebiet Lebensmittel an Menschen in Armut. muenchner-tafel.de


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{HERZBLUT}

{HERZRASEN}

{HERZINFARKT}

Warum fließt dein Herzblut gerade in dieses Ehrenamt? Als ich mich entschieden habe, ein Ehrenamt anzunehmen, ist mir die Münchner Tafel gleich als erstes eingefallen. Es ist ein großes Plus, dass man nur kontaktfreudig, belastbar und wetterfest sein muss.

Welche Momente lassen dein Herz höher schlagen? Meinen schönsten Moment hatte ich im Winter 2013. Eine Mutter, die eine Zeit lang mit ihrer kleinen Tochter zum Abholen kam, verteilte als Dankeschön selbstgebastelte Weihnachtspräsente an mich und Kollegen. Der Moment, in dem mir das Mädchen einen mit Schokoperlen und Schleifen verzierten Tannenzweig über den Tisch gereicht hat – einfach goldig!

Wolltest du schon mal alles hinschmeißen? Hinschmeißen nicht, aber mal eine Auszeit nehmen. Mit einigen Bedürftigen ist es ab und an stressig. Da kollidieren Vorstellungen über gerechte Verteilung und Auswahl der Produkte. Ein Gast will speziell einen Brotlaib, der sich in der hintersten Ecke befindet, um dann den Kümmel darin zu bemängeln. Der Großteil ist aber sehr geerdet und verzichtet auch mal, damit ein anderer, der es nötiger hat, mehr bekommt.

{HERZSCHMERZ}

{HERZENSWUNSCH}

Welche Momente lassen dein Herz bluten? Unser Publikum ist bunt gemischt: Flüchtlinge, Rentner am Existenzminimum, Kranke, Jobsuchende, Arbeitstätige, deren Einkommen nicht reicht. Man denkt, Leute am unteren Rand der Gesellschaft sind teils einfach nicht fähig und willens, ihr Leben zu managen oder die gebotenen Möglichkeiten auszuschöpfen – typisches Harz-IV-Empfängerimage halt. Doch dann ist einer der Gäste Akademiker, hat krankheitsbedingt seinen Job verloren, eine finanzielle Bruchlandung erlitten und holt nun ab, weil er nur notdürftig im sozialen Auffangnetz hängt. Daran sieht man, wie unfair und pauschal die Menschen teilweise in einen Topf geworfen werden.

Viele Firmen führen „Socialdays“ ein. Eine schöne Idee, nur wenn sich dann 20 Leute gegenseitig auf die Füße treten und die Arbeit wegnehmen, ist kein Mehrwert erreicht. Dann lieber eine längerfristige Planung oder eine Geldspende, damit z. B. der Fuhrpark ausgebaut werden kann. Die Kommune könnte sich bei der Unterbringung mancher Verteilstationen mehr einbringen. Statt unter einem provisorischen Zeltdach auf einer Wiese könnte man auf einem überdachten Schulhof verteilen. Teilweise müssen die Helfer und Gäste echt jedes Wetter mitmachen.

{HERZSCHLAG} Wie oft schlägt dein Herz für das Projekt? In der Regel bin ich immer Freitagnachmittag beim Verteilen dabei. Im Schnitt sind das um die drei bis vier Stunden.

{HERZENSMENSCH} Geht es dir ums Karma und darum, ein bes­ serer Mensch zu sein? Kalkül! Ursprünglich ging’s mir darum, für einen neuen Job meine Bewerbungsunterlagen mit einem Ehrenamt aufzupeppen. Die Stelle habe ich längst, bin aber bei der Tafel geblieben. Es ist bei Weitem nicht so, dass ich mich für mein „Karma“ kasteie, sondern das Engagement ist auch eine schöne Ergänzung zu Job und Freizeit.

Spendenkonto: Hypovereinsbank München
 IBAN: DE37700202706850193310 // BIC: HYVEDEMMXXX


KATHARINA WINTER {28} ONLINE-REDAKTEURIN

LIGHTHOUSE WELCOME CENTER – WILLKOMMENHEISSEN VON FLÜ CHTLINGEN Das Lighthouse Welcome Center ist ein Projekt der Lichterkette, der Inneren Mission und der Ingvild Goetz Philanthropy. In einer ausrangierten Wiesn-Hütte stehen Ehrenamtliche täglich von 8 bis 20 Uhr als Ansprechpartner bereit und helfen den Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, sich zurechtzufinden. (Bayernkaserne, Heidemannstraße 60)


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{HERZBLUT}

{HERZENSMENSCH}

{HERZINFARKT}

Warum fließt dein Herzblut gerade in dieses Ehrenamt? Ich finde es wichtig, die Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind, herzlich willkommen zu heißen. Sie sollen nicht das Gefühl haben, hier unerwünscht zu sein. Sie kommen in ein völlig fremdes Land, können die Sprache nicht, haben einen Horror-Trip hinter sich, Familie, Freunde und ihr ganzes Leben verloren. Ich glaube, ein Lächeln ist das Mindeste, was man für die Flüchtlinge tun kann.

Geht es dir ums Karma und darum, ein besserer Mensch zu sein? Mein Karma is eh schon super ;-) Ich möchte, dass die Flüchtlinge sich auch an freundliche Gesichter erinnern, wenn sie an Deutschland denken. Und ich bin neugierig, auf Menschen aus anderen Ländern und auf ihre Geschichten.

Wolltest du schon mal alles hinschmeißen? Nein, das Projekt läuft ja auch erst seit Dezember. Aber es läuft gut und ein Herzinfarkt ist nicht in Sicht.

{HERZSCHLAG} Wie oft schlägt dein Herz für das Projekt? Ich arbeite jeden zweiten Sonntag vier Stunden im Lighthouse Welcome Center.

{HERZRASEN} Welche Momente lassen dein Herz höher schlagen? Es ist besonders schön, wenn man mit den Flüchtlingen ins Gespräch kommt und über Dinge gemeinsam lachen kann – trotz völlig unterschiedlicher Kulturen.

{HERZSCHMERZ} Welche Momente lassen dein Herz bluten? Jeder Pegida-Aufmarsch. München ist bunt und das soll auch so bleiben! Es tut weh zu sehen, dass es Menschen gibt, die aus der Geschichte scheinbar nichts gelernt haben.

{HERZENSWUNSCH} Eine positive Einstellung und eine große Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen in ganz Deutschland wären wünschenswert!


PAUL MÜ LLER {22} DUALER STUDENT {BAUINGENIEUR UND ZIMMERER}

JANNIK HEINZELMANN {22} AUSBILDUNG ZUM SCHREINER

VERANSTALTER VON KONZERTEN UNBEKANNTER BANDS IM SUBKULTUR E. V. Subkultur e. V. in Fürstenfeldbruck bietet Bands und Künstlern aus der Umgebung einen Ort, an dem sie Konzerte spielen und Ausstellungen präsentieren können. Die ganze Organisation und Durchführung geschieht ehrenamtlich. subkultur-ffb.de


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{HERZBLUT}

{HERZENSMENSCH}

{HERZINFARKT}

Warum fließt euer Herzblut gerade in dieses Ehrenamt? Man verbringt seine Zeit mit Menschen, die alle Spaß an der gleichen Sache haben. Außerdem steht man immer wieder vor neuen Herausforderungen, die man selbstständig lösen muss, und lernt dabei viele neue Dinge.

Geht es euch ums Karma und darum, bessere Menschen zu sein? Hauptsächlich macht die Sache an sich wahnsinnig viel Spaß, aber es kommt natürlich hinzu, dass es schön ist zu wissen, dass viele Menschen bei einer Sache, die man selbst auf die Beine gestellt hat, Spaß haben.

Wolltet ihr schon mal alles hinschmeißen? Es war zum Glück noch nie so schlimm, dass es darüber ernsthafte Gedanken gab.

{HERZSCHLAG}

{HERZRASEN}

Wie oft schlägt euer Herz für das Projekt? Eigentlich immer, wenn es darum geht, das Ganze am Laufen zu halten. Während der Veranstaltungszeit jeden Samstag 12 bis 15 Stunden, Sonntag drei Stunden aufräumen und das nächste Wochenende planen. Während der Planungsphase fünf bis zehn Stunden in der Woche. Im Sommer für das Open Air jeden Tag 12 bis 15 Stunden eine Woche lang.

Welche Momente lassen euere Herzen höher schlagen? Es ist jedes Jahr sehr schön, wenn man ein gelungenes Open Air hinter sich hat, bei dem an zwei Tagen etwa 1.000 Besucher und viele Open-Air-Bands eine schöne Zeit hatten. Zudem, wenn man weiß, dass man maßgeblich daran beteiligt war.

{HERZSCHMERZ} Welche Momente lassen euer Herzen bluten? Den schlimmsten Moment gab es so eigentlich noch nicht. Die nervigsten Zeiten sind die, wenn man versucht, mit anderen Leuten etwas zu planen, die nicht wirklich verstehen, wie viel Zeit in etwas steckt, und aus Prinzip erst mal dagegen sind.

{HERZENSWUNSCH} Im Moment läuft das Ganze eigentlich ziemlich gut. Wenn es so weitergeht, freut es uns.


MICHAELA COSENZA {34} FLUGBEGLEITERIN

KATZENSTREICHLERIN AUF DER KRANKENSTATION DES MÜ NCHNER TIERHEIMS, PONY-GASSIGEHERIN Der Tierschutzverein München e. V. wurde im Jahr 1842 gegründet und ist mit rund 12.000 Mitgliedern heute einer der größten, als gemeinnützig und besonders förderungswürdig anerkannten Tierschutzvereine Europas. tierschutzverein-muenchen.de


curt 29

{HERZBLUT} Warum fließt dein Herzblut gerade in dieses Ehrenamt? Ich liebe Tiere von ganzem Herzen. Sie sind die ehrlichsten und treuesten Lebewesen auf diesem Planeten. Leider werden sie von Menschen allzu oft schlecht behandelt und für minderwertig gehalten. Ihnen das Leben ein bisschen leichter und schöner zu machen, ist für mich eine schöne und wichtige Aufgabe.

{HERZSCHLAG} Wie oft schlägt dein Herz für das Projekt? Ich bin zweimal die Woche im Tierheim. Vormittags gehe ich mit zwei Shetlandponys spazieren und nachmittags verbringe ich ca. vier Stunden auf der Katzenkrankenstation zum Streicheln und Spielen.

{HERZENSMENSCH} Geht es dir ums Karma und darum, ein besserer Mensch zu sein? Ich bin mir gar nicht sicher, ob es so was wie Karma überhaupt gibt. Ein besserer Mensch, der mit erhobenem Zeigefinger durch die Welt läuft, möchte ich nicht sein. Ich hoffe, dass ich durch meine ehrenamtliche Tätigkeit Menschen in

{HERZINFARKT} meinem Umfeld ein bisschen aufrütteln und über Missstände informieren kann. Der Tierschutz ist mir eine Herzensangelegenheit und wenn die Wichtigkeit des Themas auch bei anderen ankommt, freut mich das ungemein.

{HERZRASEN} Welche Momente lassen dein Herz höher schlagen? Am liebsten höre ich, dass Katzen vermittelt wurden und ein schönes Zuhause gefunden haben. Es sind aber auch die kleinen Momente: wenn eine Katze, die nicht fressen mag, sich nach Streicheleinheiten und Aufmerksamkeit ihrem Fressnapf zuwendet. Und bei den Ponys ist es schön, wenn das Pferdchen nicht gleich weggeht, sobald ich das Halfter abgenommen habe, sondern es noch bei mir stehen bleibt und gekrault werden möchte. Da geht mir immer das Herz auf.

{HERZSCHMERZ} Welche Momente lassen dein Herz bluten? Schlimm ist es für mich immer, wenn Leute ihre Tiere aussetzen oder gedankenlos ihren Kindern ein Tier zu Weihnachten schenken, das dann schnell lästig und wie ein Spielzeug abgeschoben wird. Wie man so brutal, liebund skrupellos sein kann, ist mir unbegreiflich.

Wolltest du schon mal alles hinschmeißen? Nein, so weit war ich noch nie. Allerdings muss ich mich manchmal zwingen, meine persönlichen Grenzen nicht zu überschreiten. Gerade das Thema Tiere ist für mich mit vielen Emotionen verbunden. Aber wenn das der Fall ist, dann klinke ich mich für ein paar Tage aus und beschäftige mich mit Themen, die gar nichts mit dem Tierschutz zu tun haben. Außerdem habe ich so viele schöne Momente mit den Tieren, die mich immer wieder aufbauen.

{HERZENSWUNSCH} Der Tierschutzverein München und das dazugehörige Tierheim leisten großartige Arbeit. Aber sie sind auf finanzielle und ehrenamtliche Hilfe angewiesen, z. B. für den Bau des neuen Katzenhauses oder das man mit den Hunden Gassi geht. Ich wünsche mir tierfreundliche Menschen, die ein Tier dauerhaft bei sich aufnehmen oder z. B. anstatt sich einen Hund beim Züchter zu kaufen, erst im Tierheim schauen, ob sie einen Hund finden, der zu ihnen passt. Die Chancen stehen gut!


TOMEK ZAPART {37} JOURNALIST

SENDUNGSMACHER BEI SUBSTANZ FM Das Substanz startete 2009 sein eigenes Webradio: SubstanzFM. Es bietet nicht nur Künstlern, DJs und Bands eine Plattform, sondern auch Leuten, die Lust auf Radiomachen haben. Bei Interesse gerne melden! substanz-fm.com


curt 31

{HERZBLUT}

{HERZINFARKT}

Warum fließt dein Herzblut gerade in dieses Ehrenamt? Das Geheimnis hinter dem Radiozauber ist wahrscheinlich, dass ich hier meine Passion für Musik, München, die Kunst und das Reden an sich in einem Paket ausleben kann.

tional spielt sicher die besondere Bindung zur Stadt und zum Club eine Rolle. Es sind einfach Menschen dabei, die einen ähnlichen subkulturellen Flow haben und das Ganze damit zu einem Projekt machen, bei dem man dabei sein möchte.

{HERZSCHLAG}

{HERZRASEN}

Wie oft schlägt dein Herz für das Projekt? Das ist eine Frage, die ich mir manchmal lieber nicht stellen möchte. Seit 2009 hat sich so viel im Radio geändert, dass ich mittlerweile nicht nur die beiden Sendungen „Der Untermieter“ und „Bitklub“ vorbereite und moderiere, sondern mich auch um die gesamte PC- und Audio-Technik kümmere. Dass heißt, dass ich eigentlich jeden Tag in irgendeiner Form mit SubstanzFM zu tun habe. Da wird aus dem Herzschlagen schon mal ein Herzrasen.

Welche Momente lassen dein Herz höher schlagen? Bei insgesamt 500 Sendungen fällt es einem ganz schön schwer, die Top3-Highlights rauszufiltern. Ohne mich hinter diplomatischer Etikette verstecken zu wollen, kann ich eigentlich sagen, dass jede Sendung ein besonderes Erlebnis ist.

{HERZENSMENSCH} Geht es dir ums Karma und darum, ein besserer Mensch zu sein? Karma ist ein Modewort, dass mir einerseits zu trendy und andererseits zu stark religiös konnotiert ist. Ein Kosten-Nutzen-Kalkül im Hinblick auf die Verbesserung meiner Werte irgendwo im Jenseits ist mir dementsprechend fremd. Emo-

{HERZSCHMERZ} Welche Momente lassen dein Herz bluten? Davon gab es zum Glück nicht allzu viele. Im Speziellen gab es einen Moment, der besonders wehgetan hat. Wir machten unser erstes englischsprachiges Interview mit einer PunkBand aus Skandinavien. Wie immer versprachen wir unseren Gästen, das Interview als MP3-Podcast zuzuschicken. Doch dann stellte ich fest, dass zum ersten Mal seit 2009 der Mitschnitt nicht geklappt hatte. Das war mehr als ärgerlich!

Wolltest du schon mal alles hinschmeißen? Ich denke, dass das Hinschmeißen im Non-Profit-Bereich deswegen vielen so leicht fällt, weil sie nicht in der Kosten-Nutzen-Klemme stecken und ein spontaner Projektabbruch keine materiellen Konsequenzen nach sich zieht. Ich habe auch schon mit dem Gedanken gespielt, alles hinzuschmeißen, aber ich weiß, dass ich damit den kleinen Kern im Stich lassen würde. Außerdem gilt auch hier der Satz: Je länger man dabei ist, desto schwieriger wird es loszulassen.

{HERZENSWUNSCH} Wer sich berufen fühlt, seine Freizeit der Subkultur Münchens zu spenden, der ist bei SubstanzFM herzlich willkommen. Daneben bieten wir jungen Menschen die Möglichkeit, im Rahmen eines Praktikums das Radiomachen kennenzulernen. Zudem können uns alle Bands aus München und Umgebung eine Demo zukommen lassen. Der Sound unserer Stadt hat einen festen Platz in unserer täglichen Rotation.


USCHI PHILIPP {71} SEIT 2001 RENTNERIN , BIS 2001 PPA. FÜ R FINANZWESEN IN EINER AGENTUR FÜ R KINOWERBUNG

LEITUNG DES ARBEITSKREISES MÜ NCHEN DER KINDERNOTHILFE Die Kindernothilfe (KNH) wurde 1959 mit dem Ziel gegründet, die Lebensbedingungen Not leidender Kinder in den ärmsten Ländern der Welt zu verbessern. Heute fördert die KNH rund 1,5 Mio. Mädchen und Jungen in 29 Ländern. Eine gesunde Ernährung, medizinische Versorgung und der Besuch einer Schule/Ausbildungsstätte stehen dabei im Vordergrund. kindernothilfe.de


curt 33

{HERZBLUT}

{HERZENSMENSCH}

{HERZINFARKT}

Warum fließt dein Herzblut gerade in dieses Ehrenamt? Erfahrungen und Erkenntnisse aus meinem bisherigen Leben haben mir gezeigt, wie nötig es ist, sich für eine gerechtere Welt einzusetzen. Ich möchte speziell Kindern eine lebenswerte Zukunft ermöglichen. Dies setzt die Kindernothilfe seit mehr als 50 Jahren zielorientiert um und ermöglicht den Ärmsten der Armen eine Zukunftschance. Die am Gemeinwesen orientierten Programme in Projekten und Einrichtungen als Hilfe zur Selbsthilfe haben mich von Anfang an begeistert.

Geht es dir ums Karma und darum, ein besserer Mensch zu sein? Weder noch. Ich möchte im Kleinen dazu beitragen, die Welt ein Stück zu verändern. Den Himmel auf Erden kann ich nicht schaffen, aber mithelfen, die Hölle zu vermeiden.

Wolltest du schon mal alles hinschmeißen? Einem Herzinfarkt konnte ich bisher immer ausweichen, obwohl ich die Grenzen des Machbaren des Öfteren überschritten habe. Hinschmeißen war bisher kein Thema. Dem wirken Motivationserlebnisse, wie die vielen Besuche in Einrichtungen und Projekten der KNH und das gemeinschaftlich starke Engagement in unserem Arbeitskreis, entgegen.

{HERZSCHLAG} Wie oft schlägt dein Herz für das Projekt? Ich gehöre seit 27 Jahren zur großen Kindernothilfe-Familie, habe 1992 den Arbeitskreis München gegründet und bin seither u. a. das „Sprachrohr“ der Gruppe. Da unsere Aktionen umfangreich und vielseitig sind, kommen gut fünf bis sechs Stunden pro Woche zusammen.

{HERZRASEN} Welche Momente lassen dein Herz höher schlagen? Einer der schönsten Momente war der erste Besuch bei unserem Patenkind in Südindien, 1991. In einer fremden, bedrückenden Umgebung zu erleben, dass nicht nur Not und Elend ein Gesicht haben, sondern auch tätige Hilfe. Nicht nur mein Herz schlug damals schneller, bestimmt auch das vieler Kinder in der Tagesstätte. Dieses einschneidende Erlebnis hat letztlich zur Gründung des Arbeitskreises München geführt.

{HERZSCHMERZ} Welche Momente lassen dein Herz bluten? Da hat sich einiges im Laufe der Jahre angesammelt. Bedrückend empfand ich stets das Gefühl der Ohnmacht angesichts der weltweiten Not und der unfassbaren menschenunwürdigen Lebensumstände vieler Menschen.

{HERZENSWUNSCH} Am schönsten wäre es, wenn die KNH irgendwann nicht mehr gebraucht wird, weil wir in einer gerechten Welt leben, die gleiche Chancen und ein menschenwürdiges Leben für alle ermöglicht. Wohlwissend, dass dieser Traum niemals Realität wird, wünsche ich mir, dass sich im Arbeitskreis München immer genügend MitstreiterInnen zusammenfinden, die sich für die gute Sache einsetzen. Außerdem wünsche ich mir, dass wir öfter auf Menschen treffen, die sich für die Notlagen anderer sensibilisieren lassen und die Idee der KNH mitund weitertragen. Zusammenfassend: „Viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern.“


FOTO: STEFANIE GIESDER



EIN FREIES KULTURRADIO FÜ R MÜ NCHEN

{EVA SCHMIDT} GRÜ NDERIN VON RADIO MÜNCHEN

{RADIO MÜ NCHEN IM PORTRÄT}


curt 37

TEXT: KATHARINA WINTER // FOTOS: CHRISTIAN VOGEL

Stell dir vor, es ist Kultur, und keiner geht hin. Die Gesellschaft wandelt sich, und keiner merkt’s. Du wohnst in einer Stadt, und kennst dein Viertel nicht. Mit viel Herzblut setzt sich Radio München dafür ein, dass genau das alles nicht passiert.

{GUTES RADIO BEGINNT IN DER KÜ CHE} Roter Teppich, prunkvolle Verzierung, glitzernde Kronleuchter – so begrüßt das Münchner Künstlerhaus am Lenbachplatz seine Besucher. Biegt man zweimal um die Ecke, landet man an der Rückseite des Gebäudes. Hier stehen mehrere Türen zur Auswahl. Eine davon führt ins Studio von Radio München. „Es ist Zufall und ein großes Glück, dass wir hier produzieren und senden dürfen“, erklärt Eva Schmidt. Sie ist die Gründerin und Geschäftsführerin von Radio München. „Angefangen hat alles in meiner Küche.“ So wie es sich für ein gutes Radio eben gehört. Mittlerweile sendet Radio München schon seit zwei Jahren. Zuerst nur über einen Live-Stream im Internet, dann auch über DAB+. Ganz einfach war der Weg bis dahin nicht. „Klar gab es Momente, in denen ich alles hinschmeißen wollte“, erinnert sich Eva Schmidt. „Aber zum Glück hat dann doch immer alles noch irgendwie funktioniert.“ So wie mit dem Studio zum Beispiel. Lange hat Eva Schimdt nach einem Studio für Radio München gesucht. Bis eines Tages Peter Lang bei ihr angerufen hat. Er sei der Inhaber von Artist Studio und habe gehört, dass Radio München einen Platz zum Produzieren und Senden suche. Er würde seine Räume im Künstlerhaus und sich selbst als Techniker zur Verfügung stellen. Manchmal ist eben alles dann doch ganz einfach.

{HIMMELHOCHJAUCHZEND, ZU TODE BETRÜ BT} Das ständige Auf und Ab des Projekts hat Markus Mitterer von Anfang an miterlebt. Seit der ersten Stunde arbeitet er bei Radio München. „Eva und ich sind durch dick und dünn gegangen“, erzählt er. Markus Mitterer ist Grafiker und entwirft alle Flyer, Logos, Prospekte, Postkarten und was sonst noch so anfällt. „Das Projekt stand oft auf der Kippe, zum Beispiel als wir die Genehmigung für die Frequenz beantragt haben.“ Einfach aufgeben kam für ihn nie infrage: „Das Besondere sind die Energien, die Eva immer wieder bei sich und anderen freisetzt.“ Markus Mitterer genießt bei Radio München vor allem den Freiraum, selbst entscheiden zu können. Das fehlt ihm in seinem Job. Da muss er umsetzen, was andere sich ausdenken. Außerdem arbeitet er als Selbstständiger viel alleine. Deshalb schätzt er die Zusammenarbeit und den Austausch mit seinen Kollegen vom Radio. {EIN FRISCHER KULTURSENDER FÜ R MÜ NCHEN} Mittlerweile hat Radio München so um die 20 Mitarbeiter. Sie kommen aus ganz verschiedenen Bereichen und bringen unterschiedliche Erfahrungen mit. Das garantiert ein vielfältiges und abwechslungsreiches Programm. „Ich will so wenig Vorgaben machen wie möglich“, sagt Eva Schmidt. Ihr Ziel ist ein freier, unabhängiger Kultursender für die Stadt – ohne Strukturen und festgefahrene Regeln.


DAS RADIO-MÜ NCHEN-TEAM IM ARTIST-STUDIO AM LENBACHPLATZ


{HERZBLUT WARUM? „Das ist die Lücke, die wir füllen wollen. Dadurch heben wir uns von den anderen Sendern ab.“ Radio München sendet, was die Menschen bewegt. Macht Kunst und Stadtkultur hörbar. Weckt Neugierde aufs Münchner Leben – ganz ohne Mia-san-mia-Gehabe. Verbindet und vernetzt die Menschen in der Stadt miteinander und mit ihren Vierteln. Legt den Fokus auf die lokale Musikszene und präsentiert einen bunten Mix quer durch alle Genres. {WEIL ICH’S KANN} Auf die Frage, warum sie einen neuen Radiosender ins Leben gerufen hat, antwortet Eva Schmidt mit einem verschmitzten Lächeln. „Weil ich’s kann.“ Bei jedem anderen würde das überheblich und arrogant klingen – bei ihr nicht. Sie spielt damit nicht nur auf ihre 16 Jahre Erfahrung beim Bürger-Radio an, sondern auch auf ihre Lebenseinstellung. „Ich vertraue dem Leben und darauf, dass nichts kaputt geht.“ Nur so kann ein ambitioniertes Projekt wie Radio München funktionieren. Dafür benötigt man viel Vertrauen und auch ein bisschen Mut. Man muss offen bleiben und sich auf den Fluss des Lebens einlassen, der immer seinen Weg findet. Irgendwie. Irgendwann.

{MICHAILA KÜ HNEMANN, MODERATORIN}

„ Ich bin sehr neugierig und kann bei Radio München meine vielen Fragen selbst stellen und beantworten lassen. Mein Herzblut fließt fürs Reden und Improvisieren.“ {FABIO ZINDACO, MUSIKARCHIV UND „FREUNDE DER NACHTMUSIK“}

„ Wir bei Radio München machen unser gemeinsames Ding. Für den allgemeinen Kontakt in die Musikwelt und eine öffentliche Stimme im Netz. Und wegen des Teams.“ {MATTHIAS SCHWEIGER/JOSEF HAJDA, MACHER VON „SAG WAS!“}

„ Wir wollen unseren Podcast auf ein neues Level heben.“ {BERND SCHLUPECK, MACHER VON „ECHT SOZIAL“ & MODERATOR}

„ Ich möchte die Themen, die nicht so sehr stattfinden, nach draußen bringen. Oder aus einem anderen Blickwinkel beleuchten. Es geht mir ums Lernen und Ausprobieren. Und dann auch darum, das Ganze auf eine professionelle Ebene zu heben – damit es nicht nur von Herzblut leben muss.“

radiomuenchen.net {SENDEZEITEN} 24 STUNDEN/7 TAGE DIE WOCHE IM INTERNET-LIVE-STREAM. MONTAG BIS SAMSTAG 0 BIS 10 UHR UND 19 BIS 24 UHR AUF DAB+. IMMER DONNERSTAGS VON 7 BIS 10 UHR UND AB 19 UHR LÄUFT DIE REDAKTIONELLE PROGRAMMEILE.

reportage.stadt-liebe.org/herzblut


40 curt

TEXT: LEA HERMANN // ILLU: MARIUS ROHNE

Die Idee des bedingungslosen Grund­ einkommens (bGE) verspricht Freiheit, Selbstbestimmung, aber auch Raum für Eigeninitiative und Kreativität. Ideale Voraussetzungen also für individuelle Herzblut-Projekte. curt sprach mit Gabriele von Moers, Pressesprecherin der Initiative Grundeinkommen München. Was ist die Initiative Grundeinkommen München? Das bedingungslose Grundeinkommen soll ein Mindesteinkommen sichern. Wir sind eine Gruppe von Menschen, die sich zu diesem Thema einmal im Monat trifft. Der Grundgedanke ist, dass Erwerbsarbeit nicht das Wichtigste im Leben sein sollte. Ich habe bei vielen Gesprächen das Gefühl: Wäre das Grundeinkommen da, würde alles anders und besser laufen. Mein Gott, was

machen wir denn aus dem, was Arbeit ist? Dieses Credo, ich muss Geld verdienen, erst dann bin ich etwas wert, ist leider eine weit verbreitete Seuche.

 Wie lange sind Sie schon aktiv dabei? Ich bin seit 2009, also von Anfang an, dabei. Von dem Kongress, der damals hier in München organisiert wurde, habe ich zufällig gehört. Dann ging alles Schlag auf Schlag. Witzigerweise wurde ich dann auch gleich Pressesprecherin.

ICH MACHE DAS, WEIL ES WICHTIG IST. 

 {IM GESPRÄCH MIT GABRIELE VON MOERS VON DER INITIATIVE GRUNDEINKOMMEN MÜNCHEN}

Was sind Ihre Aufgaben? Neben der Tätigkeit als Pressesprecherin versuche ich, mithilfe von Filmen die Öffentlichkeit zu erreichen. Die Idee kam mir, als die Initiative zu der Veranstaltung „Wirtschaft anders denken“ in der Waldorf-Schule Ismaning


curt 41

eingeladen wurde. Das wollte ich dokumentieren. Ein Film eignet sich gut, um Leute zum Diskutieren anzuregen. Die Motivation hinter meinem zweiten Film „KannMannFrau“ war spezieller. Da ich Mutter bin und früher selbst alleinerziehend war, wollte ich zeigen, dass das Grundeinkommen Familien in dieser Situation helfen würde. Im Film geht es um Männer, die den Haushalt schmeißen, da das noch immer etwas Besonderes ist. Meine Filme sollen neugierig auf das Grundeinkommen machen. Natürlich machen wir als Initiative auch Info-Stände, so sind wir zum Beispiel am Corso Leopold vertreten. Aktuell arbeiten wir an der Planung eines Symposiums, das am 2. Mai stattfinden soll.

 Sie stecken also viel Zeit und Herzblut in diese Sache? Absolut. Das Lustige ist ja

auch immer, wie man so reingerutscht ist. Ich hatte nie die Idee, Filmemacherin zu werden. Natürlich habe ich manchmal das Gefühl, jetzt schmeiße ich alles hin. Mittlerweile würde das aber gar nicht mehr gehen. Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens kann ich nicht einfach ad acta legen. 

 Würde das Grundeinkommen zu einem sinnorientierteren Leben führen? Ja, denn man kann sich den Luxus erlauben zu fragen: Was will ich arbeiten? Für wen will ich arbeiten? Zunächst ist heute der Gedanke da: ich arbeite, weil ich Geld brauche. Würde es für jeden Menschen ein geregeltes Grundeinkommen geben, würden viele sagen können: Ich mache das, weil es wichtig ist, weil ich das gut kann, weil ich glaube, gebraucht zu werden. Und nicht des Geldes

wegen. Momentan ist es ja so, dass es sich kaum noch jemand leisten kann, ältere Angehörige zu pflegen oder zu Hause bei den Kindern zu bleiben. Das Grundeinkommen könnte da helfen.

 Wie sehen Sie die Zukunft des bedingungslosen Grundeinkommens? Das werde ich immer wieder gefragt. Ich antworte dann immer, du musst dich schon selbst dran beteiligen. Generell habe ich ein positives Gefühl, denn ich sehe immer wieder neue Dinge entstehen. Genauso ist mir bewusst, dass es auch Frustzeiten gibt. Mit der Volksabstimmung in der Schweiz 2016 könnte ein Ruck aufkommen. Vielleicht berichten dann auch die Medien mehr über das Thema. grundeinkommen-muenchen.de


KULTUR? VOLLZUG! TEXT: PETRA KIRZENBERGER // FOTO: CHRISTIAN VOGEL

Der „Kulturvollzug“ ist eine OnlinePlattform, auf der sich – säuberlich sortiert nach Kunstgattung und Stadtviertel – Rezensionen, Kritiken und andere Beiträge zum Münchner Kulturund Kunstgeschehen finden. Wir sprachen mit Michael Grill, einem der Mitbegründer, um zu erfahren, was so läuft in Sachen Kultur und Vollzug.


curt 43

Der Kulturvollzug – ein Online-Blog. Das hörst du nicht besonders gern ... Der Begriff ist nicht falsch – die technische Form entspricht durchaus einem Blog. Wir bezeichnen uns aber ganz bewusst als digitales Feuilleton und versuchen, journalistische Kultur, wie sie in Printmedien einst vorhanden war, aufs Netz zu übertragen. Blogs haben in dieser Hinsicht oft weniger Anspruch und geben eher eine individuelle Sicht zum Besten. Woher kommt dieser eigenwillige Name? Es ist in der Tat ein recht kantiges Wort, das sich am münchnerischen Spottbegriff „Kulturvollzugsanstalt“ (Beispiel: Gasteig) orientiert. Was hat euch zur Gründung bewegt? Nach der dritten großen Kündigungswelle bei diversen Münchner Printmedien Anfang der 0er-Jahre kam aus eigenem Betroffensein die Frage auf: Was machen wir mit unserer journalistischen Existenz? Man sah sterbende Zeitungsverlage auf der einen und wilde, bunte Webmedien auf der anderen Seite – aber eben ohne unseren journalistischen Anspruch. 2010 gründeten einige befreundete Medienschaffende den Kulturvollzug – ein erster

Schritt, um unsere Art von Kulturjournalismus in einem neuen Medium umzusetzen. Wie viel mediale Auseinandersetzung mit Kultur braucht München? Kunst ist relativ sinnlos, wenn sie nicht wahrgenommen wird. Natürlich kann jeder Kulturschaffende es dem Zufall überlassen, ob sich ein Publikum findet. Es braucht jedoch noch eine andere Ebene – geschulte Leute, thematisch wie vom schreiberischen Handwerk her, die so etwas aufnehmen, übersetzen und vermitteln können. Wie stehst du zur Diskussion über die Bezahlung von Online-Journalismus? Das Faszinierende und gleichzeitig Anstrengende ist, dass wir eine Goodwill-Plattform betreiben. Wir könnten mit Bannerwerbung o. Ä. sicherlich etwas Geld verdienen, allerdings ist das zu wenig für eine Existenz und kein relevantes Entgelt für unsere Arbeit. Dann lieber die kostenfreie Variante, aus Lust an der Sache! Momentan gibt es eine Art „Umsonst-Mentalität“, die verhindert, dass Journalismus im Internet ordentlich bezahlt wird. Jede Arbeit – geistiger oder körperlicher Natur – sollte eine Entlohnung wert sein. Ein Text ist eine erbrachte Leistung, die ihren

Wert und ihren Preis hat. Da geht es auch um Selbstwert und Achtung! Wir suchen also weiter nach Möglichkeiten, wie man professionellen Journalismus bezahlen kann und probieren seit Kurzem mit „Laterpay“ ein neuartiges Bezahlmodell aus. Das ist alles recht frisch und muss für den Leser erst etwas gewohnter werden. Wir werden sehen, ob es funktioniert. Scheitern ist immer möglich! Deine Zukunftsvision? Für mich steht die Gestaltung einer medialen Zukunft im Vordergrund. Ich wünsche mir weiterhin einen lebendigen Diskurs zum Thema Kultur in München. Der Kulturvollzug ist ein großer Teil meines Lebens, der auch manchmal anstrengend und zeitraubend ist. Aber ich bin davon begeistert und mache das gerne. Natürlich besteht auch Gesprächsbereitschaft bezüglich der Ausweitung auf andere Städte ... kultur-vollzug.de

Das Interview wurde im Rahmen der gemeinsamen Aktion {Herzblut} mit Radio München in dessen Studio aufgenommen. Die ungekürzte Fassung gibt es auf Radio München und als Multimediareportage auf reportage.stadt-liebe.org/herzblut


44 curt

{DAS HERZENSPROJEKT KEINWIDERSPRUCH.DE}

BEHINDERT + ERFOLGREICH = KEIN WIDERSPRUCH! TEXT: CHRISTIAN GRETZ FOTOS: HEIKE ULRICH, JOHANNES MAIRHOFER

Johannes Mairhofer ist auf einem Auge blind und arbeitet erfolgreich als freier Fotograf. Dass Behinderung und Erfolg sich nicht ausschließen, zeigt er in seinem Projekt „Kein Widerspruch“.

{JOHANNES MAIRHOFER} FOTOGRAF

Menschen ohne Handicap sind oft erstaunt, wenn Behinderte in Bereichen des Lebens aktiv und erfolgreich sind, die auf den ersten Blick vermeintlich in einem Widerspruch zueinander stehen: Beinamputierte, die bei sportlichen Wettkämpfen schneller laufen, schwimmen oder Rad fahren, als es die meisten mit gesunden Beinen jemals schaffen werden; Blinde, die Fußball spielen; oder Menschen mit geistiger Behinderung in Berufen, in denen komplexes Denken gefragt ist. Voller Anerkennung und Respekt betrachten die meisten Leute die Leistungen, die diese Menschen „trotz” ihrer Behinderung vollbringen. Und genau das stört den Münchner Fotografen Johannes Mairhofer. Es stört ihn so sehr, dass er Mitte 2013 das Projekt „Kein Widerspruch“ gegründet hat – ein Projekt, das sich dagegen ausspricht, Leistungen zu bewundern, die Menschen mit Behinderung vollbringen.

Aber stellt „Kein Widerspruch“ nicht einen Widerspruch in sich selbst dar? Richtet sich das Projekt etwa gegen einen respektvollen Umgang mit den Leistungen dieser Menschen? Und ist es nicht kontrovers, dass gerade ein Behinderter ein solches Projekt ins Leben ruft? Ganz und gar nicht, meint der Initiator, denn eine Behinderung und eine hohe Leistungsfähigkeit schließen sich ja nicht grundsätzlich aus. Und gerade die Formulierung „trotz Behinderung“ schmälert die Anerkennung der Leistung enorm. Persönlich will Johannes im Vergleich mit anderen Fotografen einfach als guter, motivierter Fotograf wahrgenommen werden. Ohne jegliche Art von „Mitleidsbonus“, nur weil er nicht selbst entscheidet, mit welchem Auge er durch den Sucher der Kamera schaut. Deshalb porträtiert Johannes auch behinderte Menschen, für die ihre Behinderung und Glück und Erfolg im Leben keineswegs einen Widerspruch darstellen.


curt 45

{JOHN PATRICK GARTH} SCHAUSPIELER

Diese Ausstellung ist nun – eineinhalb Jahre später – in greifbare Nähe gerückt. Ebenso ein Buch, das die „Kein Widerspruch“-Testimonials vorstellt – für das aber noch ein Verlag gesucht wird. Online werden Interessierte aber schon jetzt fündig: Mehr als zwei Dutzend Menschen mit Behinderung werden auf keinwiderspruch.de mit ihren Geschichten und Porträtfotos vorgestellt. Die körperlichen Behinderungen sind auf den Fotos übrigens bis auf zwei Ausnahmen nicht zu erkennen. Absicht, wie Johannes erklärt: „Es geht schließlich nicht um die Zurschaustellung von Behinderungen, sondern um schöne Porträts von spannenden Leuten.“ keinwiderspruch.de

AUF CURT.DE/MUENCHEN INFORMIEREN WIR EUCH Ü BER DEN START DER AUSSTELLUNG UND DIE VERÖ FFENTLICHUNG DES BUCHES.

{ERWIN ALJUKICĆ} SCHAUSPIELER, KÜNSTLER


JE SUIS A BISSERL GRANTIG WASCHDLS GRANTNOCKERL

Weißwürschd, Lederhosen und das beruhigende Rauschen der Isar: München ist ein Traum von einer Stadt. Aber weil München nicht München wäre ohne eine ordentliche Portion Grant, lässt curt-Redakteur Sebastian Klug (bayerisch: „Waschdl“) an dieser Stelle in jeder Ausgabe einmal so richtig den Grantler raus und zeigt auf, was schief läuft in der Landeshauptstadt. Diesmal geht es jedoch nicht nur um München, sondern um die ganze digitale Welt – und darum, dass digitale Solidarität echtes Engagement zu ersetzen droht.

TEXT: SEBASTIAN KLUG FOTO: TOBIAS IRL

Anfang des Jahres 2015 betrat ein erfahrener Newcomer die internationale Bühne. Sein Name war und ist Charlie, und dieser unfreiwillige Schritt auf die internationale Bühne war eines der tragischsten Ereignisse, die Europa in den letzten Jahren erleben musste. Zwölf Journalisten verloren ihr Leben und Europa ein gutes Stück seines verbliebenen Glaubens an das Gute im Menschen. Binnen weniger Stunden tauschten Menschen millionenfach ihre Profilbilder auf Facebook und Co. durch die Worte „Je suis Charlie“ aus und bekundeten so ihre Solidarität – von jung bis alt, von Süd bis Nord, von links bis rechts, von schlau bis blöd und von Frank-Walter Steinmeier bis Lutz Bachmann. Solidarität mit der Pressefreiheit, Solidarität mit dem bei dem Anschlag getöteten muslimischen Polizisten Ahmed Merabet („Je suis Ahmed“), Solidarität mit den Opfern der Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt am Folgetag („Je suis Juif“).

Sechs Wochen später ist ein Großteil all dessen verebbt. Versunken in den Tiefen des Profilbilderordners und zu einer zeitgeschichtlichen Episode verkommen. Der ein oder andere hat eine der 7.000.000 Charlie-Hebdo-Ausgaben daheim, die eine Woche nach den Anschlägen von einer Notredaktion erarbeitet wurden (normalerweise hatte das Heft eine verkaufte Auflage von ca. 30.000 Stück), aber „die Presse“ soll doch jetzt bitteschön wieder aufpassen, was sie sagt und wen sie verarscht, „die Juden“ sind wieder eingebildet und wollen unser Geld sowie ein Land, das ihnen nicht gehört, und „der Islam“ will nicht weniger als die Weltherrschaft. Kurzum: Alles beim Alten, aber Hauptsache je suis sensibel und politisch interessiert gewesen durch mein Profilbild. Klar: Je suis an dieser Stelle womöglich un peu provocateur, aber das ist Absicht. Denn sicherlich ist bei Weitem nicht jeder, der sich ein „Je suis“ auf sein Facebook-, Twitter-, Whatsapp-, Tinder- oder sonstiges Profil geholt hat, ein Heuchler. Nicht ansatzweise. Aber eine unreflektierte Profilbilderei unterstützt womöglich


curt 47

subtil eine Kultur der unbewussten Heuchelei und Gewissensbalsamierung, die integraler Bestandteil unserer digitalen Kultur zu werden droht. Denn das Internet, dieses wundervolle und hochpotente internationale Netz- und Feuerwerk der Möglichkeiten, hat eine zentrale Eigenschaft, die Vor- wie Nachteile auf beinahe diabolische Weise verbindet: Es arbeitet mit Distanz. Es verringert räumliche und erhöht zugleich emotionale Distanz und gibt uns damit die Möglichkeit, mit einem Klick für Dinge einzutreten, für die uns ein analoges Eintreten zu aufwendig wäre. Das digitale

Engagement dagegen kostet nur eine geringe Investition an Zeit und Überwindung, belohnt einen aber dafür mit einer hohen emotionalen Dividende. Doch analoge Probleme lassen sich nicht digital lösen. Ein „Je suis Charlie“ unterstützt die Pressefreiheit wenn überhaupt nur für einen Moment, ein „Je suis Juif“ hilft jüdischen Menschen, die auf der Straße beschimpft werden, nicht wirklich weiter. Ein hungerndes Kind kann von einem Like auf Facebook nicht abbeißen und ein Repost der Seite des Münch-

ner Kältebusses macht die winterliche Nacht unter freiem Himmel nicht wärmer. Die Welt wird offline verändert – mit Taten. Die Trommel rühren kann man womöglich nirgends so gut wie in den sozialen Medien, doch der Tanz selbst gehört auf die Straße. Ein offenes Denken gehört in die Köpfe, ein Lächeln ins Gesicht und die Nummer des Münchner Kältebusses, der sich um frierende Obdachlose kümmert, in den Kurzwahlspeicher. Die Likes und Klicks und Posts auf Facebook sind ein erster Schritt, doch für einen echten Weg ist dieser Schritt nur der Anfang. Ist auch gar nicht so schwer. Man kann ja mit den einfacheren Dingen anfangen, beispielsweise mit der Nummer von eben diesem Kältebus. Die lautet 0800 1232321 (gleich eintippen, sonst vergesst ihr es wieder), ist kostenlos und hilft*. Und das mit dem restlichen Analog-Engagement klappt dann auch irgendwann. Je suis zuversichtlich. * Der Münchner Kältebus ist eine Initiative des Vereins Golden Donkey e. V. und hat es sich zur Aufgabe gemacht, vom Kältetod bedrohten Menschen einen Platz zum Aufwärmen sowie heiße Getränke und Kälteschutzbekleidung zu bieten. Über die kostenfreie Hotline 0800 1232321 können aufmerksame Passanten zu jeder Zeit den Kältebus rufen, wenn sie einen Menschen sehen, der akut durch Kälte bedroht ist.


48 curt

!

{IM GESPRÄCH MIT RAPHAEL FELLMER}

GLÜ CKLICH LEBEN! OHNE GELD?


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TEXT: PETRA KIRZENBERGER // FOTOS: ACHIM SCHMIDT

Was ist deine Mission? Ich will etwas Gutes in die Welt stellen, mich aus vollem Herzen dort einbringen, wo ich Sinn und Erfüllung empfinde. Konkret befasse ich mich seit einigen Jahren mit dem Thema Lebensmittelverschwendung. 50 Prozent der produzierten Lebensmittel werden weggeworfen, dagegen muss man was tun! Anfangs war es nur ein Traum, aber ich wollte etwas in Gang bringen, legale Wege finden, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden.

Raphael Fellmer lebt ohne Geld. Seit 2010 befindet sich der 31-jährige Berliner im Konsumstreik – seine Art der Protesthal­ tung, die Aufmerksamkeit generieren soll für die Verschwendung von Nahrung und Ressourcen, die in unserer Gesellschaft erschreckend selbstverständlich praktiziert wird. Er will darauf hinweisen, wie viele Menschen von dem leben könnten, was wir täglich achtlos wegwerfen, und uns daran erinnern, dass die besten Dinge im Leben kostenlos sind. Sitzt man Raphael gegenüber, spürt man eine unbändige Lebens­ freude und auch, wie sehr er seine Vision verinnerlicht hat. Er fährt per Anhalter, mit dem Zug oder seinem Klapprad kreuz und quer durchs Land, verschenkt sein Buch „Glücklich ohne Geld!“, hält unentgeltliche Vorträge und teilt seine Erfahrungen und sein Wissen zum Thema ökologisch leben in diversen Interviews auf allen Medien. 2012 gründete er die Online-Plattform LebensmittelretterInnen, die mittlerweile mit foodsharing.de (siehe hierzu Seite 76) fusioniert wurde. curt sprach mit Raphael über Visionen und Leidenschaft.

Wie sieht der Alltag bei Familie Fellmer aus? Ich lebe geldfrei, meine beiden Kinder auch, meine Frau benutzt noch ein bisschen Geld. Wir versuchen, unseren ökologischen Fußabdruck möglichst klein zu halten, und ernähren uns vegan von geretteten Lebensmitteln. Wir nehmen das Kindergeld für die Krankenversicherung der Kinder, aber Dinge wie Klamotten oder Ähnliches organisieren wir anderweitig. Unseren Wohnraum bekommen wir kostenfrei zur Verfügung gestellt. Prinzipiell geht es uns darum, in ein freieres Geben und Nehmen zu kommen, bedingungsloser zu werden, uns einzubringen mit unseren Begabungen, ohne eine strenge Rechnung aufzustellen und Dinge oder Leistungen gegeneinander aufzuwiegen. Hast du eine Vision von der Welt in 30, 50, 80 Jahren? Man spürt schon jetzt deutlich den Bewusstseinswandel der Gesellschaft. Es gibt immer mehr Ökodörfer, Projekthäuser etc., verschiedene Initiativen verknüpfen sich, die Sache nimmt an Fahrt auf. Unsere Gesellschaftsstruktur und unser Umgang miteinander verändern sich grundlegend. Es wird völlig normal werden, Lebensmittel nicht achtlos wegzuwerfen und Dinge miteinander zu teilen, ehrenamtlichen Tätigkeiten nachzugehen – eben Herzblut in sein Tun zu legen. Ich glaube, Statussymbole


50 curt

und auch Geld werden an Bedeutung verlieren. Das Ganze ist ohnehin nur eine gigantische Schuldenblase! Kulturell und sozial nachhaltiges Engagement werden zunehmen, Menschen werden sich dort einbringen, wo sie das Gefühl haben, richtig zu sein, etwas zu bewegen, ihre Talente zu nutzen. Es werden Netzwerke gespannt werden und so wird man vieles verbinden. Wir stehen noch am Anfang und diese Entwicklung ist keine abrupte, sondern eine natürliche. Drei Dinge, die ich tun kann, wenn ich etwas ändern will? Erstens: Werd dir bewusst, was du tief im Herzen möchtest. Willst du Frieden? Willst du, dass keine Tiere mehr geschlachtet werden oder die Umwelt geschont wird? Man muss sich darüber im Klaren sein, um sich orientieren und auf Kurs bringen zu können.

Zweitens: Stell die Verbindung her zwischen Ursache und Wirkung. Wenn ich nicht will, dass Tiere getötet werden, muss ich meinen Konsum tierischer Produkte einschränken. Um Kinderarbeit oder Ausbeutung in Textilfirmen zu verhindern, sollte ich mir Gedanken machen, ob ich wirklich neue Sachen brauche oder ob man die alten nicht reparieren oder sich anderweitig Klamotten besorgen kann. Drittens: Hast du dir ein Thema ausgesucht, versuche nicht, alles auf einmal zu ändern. Taste dich langsam heran, realisiere kleine Schritte der Veränderung. Jeder Wandel braucht Zeit!! Was lässt dein Herz bluten? Es gibt viele Gründe, die das Herz bluten lassen. Man verliert aber viel Energie, wenn man sich diesem Weltschmerz ergibt. Es ist keinem Menschen, keinem Tier geholfen, wenn ich nur weine. Man sollte das Positive sehen und sich fragen: „Was kann ich tun?“ Ich bemühe mich, ein frohes Herz zu wahren und in einer positiven Schwingung zu bleiben. Was wir denken, inspiriert schließlich unsere Taten – alles ist verbunden. Gute Wellen auszusenden gibt den Mitmenschen mehr Kraft als ewige Traurigkeit ob der Ungerechtigkeit der Welt. Was ist Luxus für dich? Der größte Luxus ist, am Leben sein zu dürfen. Meine liebste Frau und unsere Kinder sind das größte Geschenk. Zeit für meine Kinder zu haben, mit ihnen die Welt zu entdecken, mich als gesunder Mensch einzubringen, anderen Menschen eine Freude zu machen – eine Umarmung, meine Aufmerksamkeit, ein Lächeln oder etwas anderes schenken. Damit tut man auch sich selbst was Gutes! raphaelfellmer.de


T er min e 22. m 채r z 2 6. A pr i l

zusammen mit dem Goethe-Institut


{CURT VERGLEICHT}

HERZ VS. HIRN

ILLU: MOTHERF* AWESOME ANDY WEIXLER

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Ich liebe den Barkeeper in Toby’s Kitchen, der mir nicht das zu trinken geben kann, was ich möchte. „Wir sind hier schließlich nicht in Berlin!“ Ich verstehe das. Es muss auch echt nervig sein, in einem Hipsterladen die ganzen Hipster mit ihren hippen Getränkewünschen zufriedenzustellen. Deswegen gibt’s hier auch nur Spaten und kein gutes Bier. „Mia san mia“ war schon immer der Losspruch der Münchner. Wie konnte ich das vergessen? Als echte Bayerin! Ich gehe nach Hause und traue mich erst wieder ins Glockenbachviertel, wenn ich endlich die Bayernhymne auswendig kann.

Ich liebe meine Nachbarn, die ihre Kartons nicht klein falten und alles in den Restmüll hauen, was sonst so anfällt. Wie der riesige Weihnachtsbaum, der noch von letztem Jahr übrig blieb. Es ist kein Problem für mich, meinen Müll in der Wohnung zu horten. Dafür habe ich immer Platz in meinem Loft und der Geruch stört mich auch nicht.

Ich liebe den Radlfahrer, der noch schnell zu Globetrotter muss, um sich eine neue FunktionsOutdoorjacke fürs Büro zu kaufen. Ihm pressiert’s und ich steh ihm auf dem Gehsteig voll im Weg. Fast wäre ich schuld gewesen, dass er nächsten Winter frieren muss. Ich entschuldige mich herzlich bei ihm.

So, und jetzt fange ich gleich mal an, Kreuzworträtsel zu lösen ...

Oder ich würde die letzten großen Rätsel der Menschheit lösen. Was denken Hunde über ihre Herrchen? Haben Hipster Gefühle? Gibt es Leben außerhalb von München?

Ich stelle mir gerade vor, mein Gehirn würde sich durch regelmäßiges Training aufpumpen wie das Herz. Ich müsste nur jeden Morgen auf nüchternen Magen ein Kreuzworträtsel lösen. Nach wenigen Trainingseinheiten hätte mein Gehirn die Größe eines Kohlkopfes. Nach einem halben Jahr wucherte es mir aus den Ohren. Und nach einem Jahr intensiven Brain-outs bestünde ich nur noch aus breiiger Hirnmasse, könnte mich aber als Rechenzentrum an Google vermieten.

Ein großes Herz ist krank, medizinisch gesehen. Es sei denn, du bist Marathon-Weltmeister oder Apnoetaucher. Bei Ausdauersportlern kann sich das Herz fast bis auf das Doppelte seiner normalen Größe aufpumpen. So wie jeder andere Muskel auch. Alles, was das Herz kann, ist: auf- und zumachen. So wie der Schließmuskel.

Ein großes Herz ist dumm, menschlich gesehen. Frag einfach mal jenen Familienvater, der am Straßenrand eine schmerzgekrümmte junge Frau auflas und ins Krankenhaus brachte. Der Mann blieb auf den Behandlungskosten in Höhe von 7.000 Euro sitzen – die Frau war nicht krankenversichert und hatte sich aus dem Staub gemacht (sein „großes Herz“ hatte ihn eine Behandlungskostenübernahme unterschreiben lassen).

Ich bin groß und doch – ach so schwach. Nennt mich Caritas. Denn ich liebe alle Menschen! Ich liebe die Oma, die am Rande der Tegernseer Landstraße allein nicht in ihr Auto kraxeln kann und auch nicht mehr so recht weiß, wie der Weg heim geht. Ich erkläre ihr gern bis ins Detail, wo sie abbiegen muss, um sicher anzukommen. Trotz Verständnisschwierigkeiten. Dass sie mich nach zehn Minuten anraunzt und die Türe zuschlägt, ist logisch. Denn sie muss dringend an ihre Sauerstoffflasche im Auto – ohne Luft zum Atmen würde sogar ich unhöflich werden!

TEXT: BOB FPAFFENZELLER

TEXT: PATRICIA BREU


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Dieses Jahr kommt ein Film raus, der uns an unsere Jugend erinnern wird. An gute Zeiten mit alten Freunden. Oder an alte Zeiten mit guten Freunden. Denn Michael Münch feilt gerade an seiner Doku über die Hip-Hop- und Rap-Helden von damals und heute. Er sprach mit Größen wie Sido, Samy Deluxe und Marteria. Und wir spra­ chen mit ihm.

WENN DER VORHANG FÄLLT

{DER HIP-HOP-DOKUMENTARFILM VON MICHAEL MÜ NCH}


curt 55

TEXT: CARINA NEUMANN // FOTO: ADRIAN LEEDER

Der Regisseur und Produzent des Dokumentarfilms ist geborener Heidelberger, Teilzeit-Münchner und Selbstständiger in der Filmindustrie. Er bewegt sich zwischen Produktion, Regie und Schnitt, ist 26 Jahre jung, legt Wert auf gutes Essen und lebt derzeit in Frankfurt, wo ihn die Liebe hinverschlagen hat. „Wenn der Vorhang fällt“ heißt sein Werk, das diesen Sommer über unsere Kinoleinwände flackern wird. Der Vorhang fällt aber nicht, weil die Vorstellung vorbei ist. Im Gegenteil: Sie fängt gerade erst an. Besser gesagt, wieder. Es geht um Hip-Hop. Um Deutsch-Rap. Denn der ist wieder im Programm, auf großen und kleinen Bühnen, in Clubs und im Radio, mit alten Hasen und jungem Blut. Michael beleuchtet in seinem Film sowohl das Revival der deutschen Hip-Hop-Szene als auch die Frage, inwiefern sie sich durch die enorme Medienpräsenz unserer Zeit verändert hat: „Wie ordnet man sich gleichzeitig als Mensch, Künstler und Werbeträger in die Musikindustrie ein? Ist Selbstdarstellung via Facebook, Twitter und Co. wichtiger geworden als die Authentizität der Künstler?“ Denn „viele heutige Künstler betreiben Charakter-Comedy und verkaufen ihre Rolle, aber nicht sich selbst. Das wird von den Kids manchmal falsch aufgefasst. Die wissen ja nicht, dass der Zuhälter, der da im Videoclip Koks vertickt, im echten Leben ein ganz normaler netter Typ ist. Nicht, dass koksende Zuhälter nicht nett sein können, aber ... ihr wisst, was ich meine!“ Ehrlich und ungeschminkt soll die Doku werden: „Ich will mit Paul Würdig reden und nicht mit Sido. Ich will nicht mit dem Rap-Charakter reden, sondern mit der Person, die sich mit zwölf Jahren dazu entschieden hat, auf Deutsch Gedichte zu verfassen.“ Der Vorhang fällt also auch, um hinter die Kulissen zu blicken. Hinter die Fassade. „Es ist das erste Zeitdokument, das Hip-Hop im Kinoformat darstellt“, sagt Michael. „Der Film beruht auf tiefer Freundschaft, viel Herzblut und großem Vertrauen darin, dass er am Ende auch gelingt. Wir sind ein eingefleischtes Team und niemand aus der Crew hat Geld für seine Arbeit bekommen.“ 19 Künstler kommen in der Doku zu Wort, darunter Sido, Prinz Pi, Roger und Schu von Blumentopf, Samy Deluxe, Afrob, Fatoni, Roger Rekless, Denyo und ­DJ Mad von den Beginnern, Marteria und Smudo von Fanta Vier. Vielleicht berichten wir soeben über die beste deutsche Doku des Jahres. „Ein Film für alle soll es werden, von 0 bis 90 Jahren.“ Na dann: Film ab! Infos zum Film & Kinostart facebook.com/wenndervorhangfaelltfilm


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{BILDERRÄTSEL}

HERZ SCHMERZ

Es gibt so Lieder, die treffen ohne Umwege mitten ins Herz! Die Redaktion hat ein paar Schnulzen rätselhaft zu Papier gebracht: Erratet ihr die Titel der Schmachtfetzen? Wer spicken muss: Die Auflösung findet ihr auf Seite 89.

IDEE & UMSETZUNG: LORRAINE HELLWIG DANKE AN LEONA GRUNDIG UND MATHILDA!

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{CURT PRÄSENTIERT} FEINE KONZERTABENDE

06}03

JOSÉ GONZÁLEZ {MUFFATHALLE} „Heartbeats“, „Love will tear us apart“ – der schwedische Singer/Songwriter und Junip-Frontmann setzt erfolgreich auf fragile, emotionale Folk-Momente, gern mit minimalistischer Instrumentierung. Akustikgitarre und watteweicher Gesang gehen eine wunderbar stimmige Liaison ein! Das Konzert ist ausverkauft.

08}03

TWO GALLANTS {THEATERFABRIK} Gitarre, Effektgeräte, Mundharmonika, kleines Drumset und eine raue Stimme: Two Gallants aus San Francisco machen aus wenig viel, klingen dabei nie gewöhnlich und schrammen immer ein wenig windschief an Bekanntem vorbei. Neues Album: „We Are Undone“!

12}03

LOLA COLT {FEIERWERK} Wie der namengebende B-Italowestern „Lola Colt ... sie spuckt dem Teufel ins Gesicht“ rotzt das Londoner Sextett psychedelischen Spaghetti-Western-Noir-PopCrossover auf die Bühne. Eine hypnotische Live-Show mit aufregenden, fesselnden Newcomern! „I get high if you get high!“ Und wir so: Yeah!

12–14}03

FRAMEWORKS FESTIVAL 2015 {EINSTEIN KULTUR} Unkonventionell + innovativ + unabhängig + neu = Driftmachine (Berlin) + Gut und Irmler (Berlin) + Thomas Köner (D) + Triple Sun (Bratislava) + Aïsha Devi (CH) + Colleen (FR) + Mo Kolours (UK) + Lambert (D) + Raz Ohara (Berlin). Eintritt frei! Noch Fragen?

TEXTE: MIRJAM KARASEK

ZU ALLEN KONZERTEN VERLOSEN WIR 3 X 2 KARTEN! ALLE GEWINNSPIELE FINDET IHR AUF CURT.DE/MUENCHEN


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14}03

GUSTER {FEIERWERK} Kreativ, originell und immer für Überraschungen gut! Bislang setzte Guster auf Percussion-Instrumente – also alles, was was man mit bloßen Händen spielt. Jetzt sind Drummer Brian Rosenworcel auch Sticks erlaubt. Neues Album „Ever-motion“ gibt’s noch dazu.

23}03

OLLI SCHULZ & BAND {MUFFATHALLE} Mit seinem mittlerweile 6. Album „Feelings aus der Asche“ kehrt der TV-Moderator als Musiker, Geschichtenerzähler und Entertainer zurück auf die Bühne! Kein Gehampel, keine Faxen: Musikalisch gibt sich der Hamburger ernster und reifer. Ganz und gar nicht blöd!

16}03

ALCOHOLIC FAITH MISSION {AMPERE} Anhänger der Alcoholic Faith Mission brauchen keinen Alk, um glücklich zu sein. Vom Duo zum Sextett angewachsen, bietet die dänische Band auf ihrer Orbitor-Tour Wellness-Konzerte mit eigenwilligem, gefühlvollen Art-Pop über das Lieben und Leben, die Lust und den Verlust. Darauf ein Bier!

24}03

THE SCENES {STROM} Die Finnen kommen: aus Oulu und volle Breitseite. Bei ihren Shows jedenfalls soll immer was zu Bruch gehen. Passend dazu ihre Musik: „The Sex Pistols playing Erik Satie“ oder „The Doors updated, with a male Janis Joplin on vocals“. Ein wildes junges Sextett!

20}03

LILABUNGALOW {MILLA} Grundschullehrer Patrick Föllmer hat sich gegen die Beamtenlaufbahn und für die Musik entschieden. Zusammen mit René Kolditz und David Bönsch springt er munter über alle Genregrenzen. Auch das neue Album „Peace To Gold“ ist schwer einzuordnen. „Ist das Pop?“, fragt Clueso. „Ja, engagiert und gut.“

26}03

AWOLNATION {FREIHEIZ} Zu Aaron Brunos Soloprojekt braucht man nur „Sail“ vom Multi-Platin-Debütalbum „Megalithic Symphony“ zu sagen – und schon klingelt´s. Grenzenlose Stil-Disco, die Bruno als „Flucht aus dem Alltag, als musikalische Droge“ versteht.

20}03

LIEDFETT {BACKSTAGE} Liedgerichte mit ordentlich Fett als Geschmacksverstärker. Oder, wie die drei Hamburger ihr Menü selbst nennen: Liedermaching Untergrund – hausgemacht mit Cajon, Gitarre und Gesang! Die Gewinner des „Hamburg Rockt“-Contests 2011 feiern zwischen Punk und Pop – macht garantiert nicht dick!

29}03

SLEEPMAKESWAVES {FEIERWERK} Schlafen könnt ihr wann anders. Bei den vier Jungs aus Sydney schlägt der Postrock hohe Wellen: ganz im Sinne des Genres mit überlangen, vielschichtigen Instrumentalstücken, mal laut, mal leise, mal aggressiv, mal harmonisch. Herrlich!


60 curt {CURT PRÄSENTIERT} ZU ALLEN KONZERTEN VERLOSEN WIR 3 X 2 KARTEN! ALLE GEWINNSPIELE FINDET IHR AUF CURT.DE/MUENCHEN

02}04

STEVEN WILSON {ALTE KONGRESSHALLE} Hyperaktiv? Workaholic? Steven Wilson ist jedenfalls ein hart arbeitender Musiker, Komponist, Produzent und mischt auf allerlei Baustellen mit. Solo geht der vierfach Grammy-nominierte Multi-Instrumentalist mit neuem Werk„Hand. Cannot. Erase“ auf Tour und hat sich die Messlatte gewohnt hoch gelegt.

19}04

EWERT AND THE TWO DRAGONS {AMPERE} In ihrer Heimat Estland sind sie längst Stars, der Titelsong ihres Albums „Good Man Down“ wurde Hit des Jahres, von den Estischen Music Awards ging die Band 2012 mit fünf Preisen nach Hause. Höchste Zeit, München mit ihrem einnehmenden Indie-Folk-Rock zu erobern.

05}04

THE DEVIL MAKES THREE {STROM} Schlagzeug? Pah, braucht das Trio aus Kalifornien nicht. Mit rein klassischer Instrumentierung – Banjo, Gitarre und Kontrabass – wird ein einzigartiger Sound aus Blues, Punk, Folk und Country erschaffen: rhythmisch und intensiv. Und das ganz ohne Drummer!

19}04

A PLACE TO BURY STRANGERS {STROM} „New Yorks lauteste Band“ kommt endlich mit neuem Album zurück nach Deutschland. Das Indie-Noise-Trio präsentiert sich auf „Transfixiation“ so rein und unverfälscht wie möglich – in jedem Fall wird’s wieder brachial laut, chaotisch und voll „Straight“.

09}04

GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR {FREIHEIZ} Über das Ausrufezeichen war sich das kanadische Rock-Kollektiv sehr uneinig, nannte sich Godspeed You Black Emperor!, dann Godspeed! You Black Emperor. Egal, in Sachen Post-Rock herrscht Einigkeit: monumentale Instrumentaltracks, gerne bis zu 25 Minuten lang, episch, bombastisch.

23}04

SCOTT MATTHEW {MUFFATHALLE} Drama, Baby! Wenn der gebürtige Australier Scott Matthew alle Register zieht, bleibt kein Taschentuch trocken. Emotionen im XXLFormat, tief in Moll gebettet, vorgetragen mit einer äußerst markanten Stimmfarbe: Wer da nicht schluchzt, hat kein Herzblut.

14}04

DAN MANGAN + BLACKSMITH {STROM} Schluss mit softem Schmuse-Folk, mit fröhlich-naiven Sing-alongs à la „Robots“. Der kanadische Indie-Star setzt mit neuer Band Dan Mangan + Blacksmith auf Kurswechsel. Die Musik färbt sich nun tief dunkel, härter, realistischer. Quasi Songs für Fortgeschrittene, die bereit sind, für ein besseres Jetzt zu kämpfen.

26}04

DEICHKIND {ZENITH} Deichkind feiert mit seinem neuen Album „Niveau Weshalb Warum“ wieder einen bunten Kindergeburtstag für Erwachsene. Also: Rein in die Mülltüten und ab dafür für so ’ne Musik. Das Konzert ist ausverkauft – aber wir haben noch Freitickets für euch!


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62 curt {CURT PRÄSENTIERT} ZU ALLEN KONZERTEN VERLOSEN WIR 3 X 2 KARTEN! ALLE GEWINNSPIELE FINDET IHR AUF CURT.DE/MUENCHEN

29}04

JESPER MUNK {MUFFATHALLE} Jesper Munks Electric Show 2014 im Ampere war bumsvoll. Deshalb wird’s heuer eine Nummer größer. Trotzdem gilt, flink sein, denn der Jungspund aus München kommt mit seiner rauchigen Stimme und dem virtuosen Gitarrenspiel einfach enorm an. Alles, was echter, grandioser Blues braucht!

30}04

SCHONWALD & BOX AND THE TWINS {8BELOW} Zur Walpurgisnacht lässt lunaland erstmals die Tanzfläche des 8 below Clubs im Rahmen der PartyReihe „White Noise“ brennen: mit den italienischen Post-Punkern Schonwald und den romantischdüsteren Box And The Twins aus Köln. So krachig geht Hexenwerk beim Tanz in den Mai!

05}05

TORCHE {AMPERE} „Four guys playing the loudest and heaviest hard rock“, schwören Torche aus Florida. Ihr viertes Studioalbum „Restarter“ setzt in Sachen Provokation und Härte noch eins drauf. Und live bringen die harten Jungs Bühne und Herzschlag zum Vibrieren. Da rappelt’s im Karton!

19}05

PUBLIC SERVICE BROADCASTING {STROM} J. Willgoose und Wrigglesworth fliegen auf ihrem neuen Album „The Race For Space“ ins All. „Inform – Educate – Entertain“, der Titel ihres gefeierten Debüts, steht bezeichnend für ihr Ziel: „Teach the lessons of the past through the music of the future“. Ein Mix aus Live-Musik, Multimedia-Show und Zeitreise.

23}05

ASIWYFA {AMPERE} So sperrig wie ihr ausgeschriebener Name – And So I Watch You From Afar – sind die vier Iren gar nicht. Brachial ja, aber melodiös. Auf ihrem dritten Album „All Hail Bright Futures“ überzeugen sie wie gewohnt mit knochenharten Gitarren.

{NEU} FRAMELESS {EINSTEIN KULTUR} Eine spannende neue Reihe zu experimenteller Musik und Medienkunst im digitalen Zeitalter – mit internationalen SoundArt-Künstlern am 1. April (mit Tristan Perich, Lesley Flanigan, Stêphan Garin), 14. April (mit Nicolas Bernier, Masayoshi Fujita) und 12. Juni (mit Machinefabriek, Markus Acher/ Rayon und Videokunst von Akihiko Taniguchi). frameless-muenchen.de


NACHT, FLOHMARKT TonHalle München

am

7.

MÜNCHEN

21.

MRZ 2015 11.

APR 2014

im Feierwerk am

MRZ 2015

Sondertermin im MVG-Museum

9.

MAI 2014

TonHalle München

Ostbahnhof · Grafingerstr. 6 Kultfabrikgelände

Feierwerk: Hansastraße 39-41

Einlass ab 17 Uhr Standbuchung nur auf www.NACHTKONSUM.com

umwerk


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{STEP ON COMMON GROUNDS} TANZ UND PERFORMANCE @ VILLA STUCK

{THE TERREX COLLECTION} AUSSTELLUNG VON GIAN PAUL LOZZA

Bis 17. Mai präsentiert die Villa Stuck mit der Ausstellung „Common Grounds“ Künstler aus dem Mittleren und Nahen Osten, die mit ihren Werken den oft manipulativen Pressebildern aus den krisengeschüttelten Regionen künstlerische Perspektiven entgegensetzen. In diesem Rahmen und zur Eröffnung der diesjährigen „ACCESS TO DANCE“-Saison ist am 19. und 20. März Sandra Iché aus Frankreich mit „Wagons Libres“ zu sehen: eine Performance, die sich mit der Frage beschäftigt, auf welche Weise wir unsere Geschichte und unsere Sprechakte und Erzählungen konstruieren. Die Tänzerin und Historikerin präsentiert hierbei ihre Version der Geschichte von „L’Orient-Express” – eines französischsprachigen Magazins, dessen Herausgeber Samir Kassir 2005 durch eine Autobombe vor seinem Haus in Beirut ums Leben kam. Iché interviewte ehemalige Mitarbeiter der Zeitschrift und projizierte die Gespräche ins Jahr 2030: eine Fiktionalisierung, die die tragischen Erinnerungen in Visionen für die Zukunft verwandelt. jointadventures.net

Die Ausstellung des Schweizer Action-Sport-Fotografen Gian Paul Lozza schlägt eine Brücke zwischen Produktdesign und Outdoor-Fotografie. Seine Bildsprache ist präzise und transportiert die Ästhetik und Stärke der Natur. Inspiriert von den Mood-Boards der adidas Designer für die „Terrex collection“ fotografierte Gian Paul Lozza Landschaften in Spanien, Marokko, Wales und in der Schweiz. Das Ergebnis sind faszinierende Bergwelten, die den Betrachter direkt in die Bergkulisse hineinversetzen. Das Gegenstück der Ausstellung bildet die neue terrex Kollektion, die für den multifunktionalen Einsatz am Berg entwickelt wurde. Egal ob beim Laufen, Biken, Fliegen oder Klettern, egal ob rauf oder runter: Bäm! Zusätzlich zur Ausstellung am 13. und 14. März in den Goldbergstudios (Müllerstraße 46) von 15–18 Uhr gibt es am ersten Abend um 20 Uhr einen Vortrag von Michi Wohlleben („freisein“) und am zweiten Abend ab 20 Uhr die Closing Party mit Verlosung einiger Bilder von Gian Paul Lozza.

SANDRA ICHÉ „WAGONS LIBRES“ // 19. / 20. März // 20.30 Uhr @ PLATFORM // 3 x 2 Karten auf curt.de/muenchen gewinnen!

{TERREX COLLECTION} 13. / 14. März @ Goldbergstudios München Karten für die Abendveranstaltungen gibt’s auf bergzeit.de/terrexcollectio

TEXT: MELANIE CASTILLO

TEXT: MIRJAM KARASEK

PLACES TO BE


curt 65

URBAN PLACES – PUBLIC SPACES @ KAMMERSPIELE

Was macht die gute Stadt aus? Und wer macht eigentlich die Stadt? Diesen Fragen stellt sich die dreiteilige globale Debatte „Urban Places“ in den Kammerspielen. An drei Terminen wird jeweils gleichzeitig in München und zwei weiteren Städten diskutiert. Pro Stadt drei Experten: Das ergibt neun Teilnehmer, die sich per Videokonferenz austauschen. Dabei sind Fragen und Meinungen aus dem Publikum ausdrücklich erwünscht. Nachdem im Februar in München, São Paulo und Istanbul über die Gentrifizierung und die akute Flüchtlingsproblematik diskutiert wurde, steht im März und April das urbane Leben im Vordergrund. Wer macht die Stadt? Das fragt sich die Experten-Runde am 22. März und debattiert über die reale und gewünschte Verteilung von öffentlichen und privaten Investitionen in die Stadtgestaltung. In Madrid hallt die Forderung tausender Bürger nach mehr Mitbestimmung und einem Ende der Korruption noch nach, während in New York privat finanzierte Projekte wie der High Line Park auf den stillgelegten Hochbahntrassen neue Räume eröffnen. Unterschiedliche Vorzeichen also, die beste Vorausset-

zung für eine kontroverse Diskussion über die Rückgewinnung öffentlichen Terrains bieten. Daran schließt die Debatte vom 26. April an, bei der in München, Rotterdam und Johannesburg über Utopien der guten Stadt gesprochen wird. Die unsichtbaren Trennlinien zwischen Arm und Reich oder Schwarz und Weiß sind dabei genauso Thema wie die Bedrohung durch Rechtspopulismus oder die Frage, wer überhaupt Zugang zu öffentlichem Raum und Kultur hat. Unter den Experten wird auch der Intendant der Kammerspiele, Johan Simons, sein, der sich im Sommer aus München verabschieden und zurück in seine niederländische Heimat gehen wird. Nach „Mapping Democracy“ und „World Wide : Work“, den beiden erfolgreichen Vorläufer-Projekten, ist „Urban Places“ die gelungene Vollendung der Koop-Trilogie von Münchner Kammerspielen und Goethe Institut, die auf offene und dynamische Diskussionen rund um das Leben in der Stadt hoffen lässt. goethe.de/ges/prj/urp 2 2 . MÄRZ: WER MACHT DIE STADT? @ Münchner Kammerspiele 2 6 . APRIL: WAS IST DIE GUTE STADT? @ Münchner Kammerspiele Freikarten für beide Veranstaltungen auf curt.de/muenchen gewinnen!

TEXT: CLAUDIA PICHLER

{URBAN PLACES} VOM GUTEN LEBEN IN DER STADT


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EIN HERZ FÜ R POSTROCK

DUNK! HEUER WIEDER AUF DEM DUNK! FESTIVAL DABEI: YEAR OF NO LIGHT (FR)


curt 67

{CURT IM AUSLAND} DUNK! FESTIVAL – EUROPEAN’S FINEST POSTROCK-FESTIVAL, ZOTTEGEM {BE}

TEXT: MELANIE CASTILLO

Die Familie Lievens aus Flandern ist in Sachen Herzblut ganz vorne mit dabei. Seit 2005 organisiert sie das „Dunk!Festival – Europe’s finest Postrock-Festival“ im beschaulichen Zottegem. Vor, während und nach dem dreitägigen Musikfestival sind nicht nur die Lievens eingespannt, auch Freunde und Nachbarn unterstützen die Crew in allen Belangen. Die einen kochen Paella, andere schenken Bier aus – auf dem Grundstück eines Spezls campen die Festivalbesucher. Die Premiere des Dunk!Festivals fand als Benefiz-Konzertabend im kleinen Rahmen für das heimische Basketballteam statt. In den darauffolgenden Jahren löste es sich aus dem Sportkontext und gab vielen Postrock-Bands als Nischenfestival eine Bühne – der Name Dunk! blieb. „Schließlich spielen wir alle immer noch gerne Basketball und unterstützen unseren Verein“, erklärt Vater Luc Lievens, gelernter Grafik-Designer und „Präsident des Dunk!Festivals“. Sein Sohn Wout kümmert sich um Organisatorisches und seit 2011 um das hauseigene Label dunk!records. Auf den ersten Release, „If Wolves“ by Kokomo, ist er heute noch stolz. Mittlerweile finden sich über 20 Künstler auf dem Label, darunter auch seine eigene Band „Stories from the Lost“. Als gelernter Medienkünstler zog er mit einer paar Leuten das Multimedia-Portal Stargazer TV auf, bei dem u . a. Festivalmitschnitte, Band-Interviews vor Ort und Dunk!-Teaser unter seiner Regie laufen. Die Energie, Jahr für Jahr das kleine großartige Festival zu stemmen, nehmen die Lievens in erster Linie aus der Liebe zur Musik, aber auch aus dem positiven Feedback der Künstler und Besucher. „Es ist überwältigend und treibt uns an weiterzumachen!“ Dabei konzentrieren sich die Macher nicht auf eine Vergrößerung des Festivals – „It’s important to keep it cozy and friendly!“ –, sondern auf überraschende Neuentdeckungen und besondere Herzensangelegenheiten aus dem Genre. Als Besucher können wir nur in Superlativen sprechen und empfehlen das Festival jedem, der sich für instrumentale Gitarrenmusik begeistern kann und diese für unvergessliche drei Tage in familiärer Atmosphäre, mit hausgemachtem Essen und schmackhaftem belgischen Bier verbringen möchte. Live u. a. mit Caspian, Amenra, Jakob, Maybeshewill, Mono, Wang Wen, Celestial Wolves, Labirinto, Year of no Light ... Das gesamte Line-up findet ihr auf dunkfestival.be DUNK! FESTIVAL {14.–16. MAI 2015} ZOTTEGEM, BELGIEN. WIR VERLOSEN 2 X 1 FREIKARTEN AUF CURT.DE/MUENCHEN


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IM HERZRHYTHMUS Der Rhythmus unserer Stadt steckt voller Leidenschaft. Manchmal muss man aber genau hinhören, um die herzbewegenden Non-Profit-Veranstaltungen aufzuspüren. Unser Herzerl zeigt eine kleine, feine Auswahl, wo in München überall viel Herzblut fließt.

M A J   M U S I C A L   M O N D A Y

TEXT: CARINA NEUMANN­, MELANIE CASTILLO ILLU: STEFANIE GIESDER

Seit 2008 stellt die Crew der experimentellen Rockband Majmoon jeden dritten Montag im Monat in der Glockenbachwerkstatt einen Konzertabend auf die Beine. Die Plattform möchte Bands und Neuentdeckungen aus der internationalen Musikszene eine Bühne geben. Alles, was in der Eintrittskasse landet, geht am Ende des Abends ausschließlich an die Künstler. majmusicalmonday.blogsport.de


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I N N E N . A U S S E N . R A U M S I N S T R U C T   F E S T I V A L

„Unsere Liebe Frau im Walde“ ist nicht etwa ein Fantasiename, sondern tatsächlich die deutsche Übersetzung des italienischen Ortes „Senale“ in Südtirol, wo das Sinstruct Festival jährlich im August stattfindet. Dort gibt es nur Hügel, Wiesen und Wälder. Und eben das Sinstruct. Und allerhand Musik. Und Künstlerisches. Und einen alten Bunker, der mit in das Festival integriert ist. Klein, aber fein ist das Waldwunderland und bewegt sich irgendwo zwischen elektronischer und experimenteller Musik. Die Besucher sollen zu Naivität und Neugier zurückfinden. Hätte Heidi Techno gehört, wäre sie garantiert aufs Sinstruct Festival gegangen! sinstruct.com P

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Ein Sommer in München ohne das „Prima leben und stereo“-Festival am Vöttinger Weiher geht nicht. Seit 22 Jahren stellen musikverliebte Menschen und viele helfende Hände ein famoses Line-up auf die Beine. Heuer vom 31.07. bis 01.08. prima-leben-und-stereo.de

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Das Lunaland ist schon ein schönes Land. Unmengen Licht gibt es da, das sphärisch und geheimnisvoll die Pforten zu einem Paralleluniversum ebnet, in dem Schall und Raum verschmelzen. „Shoegazing“, also „schrammeliger Gitarrensound mit Britpop-90s-Charme“, wie Marc Zimmermann, DJ und Initiator des Lunalands es nennt, bekommt eine Heimat in München. So hält der „Kassettenclub“ monatlich mit Underground und Indie, Electro und Poptronics im Milla Einzug und der „Lostclub“ ist immer wieder für Postpunk, Minimal und New Wave im Sunny Red zu haben. Manchmal zieht das Lunaland auch in alte Fabriken oder ins Freie. Viel fürs Auge, viel fürs Ohr, viel fürs Herz. lunaland.org

innen.aussen.raum ist ein junger Verein, der nicht nur Raum für Kultur, sondern Gehör für Musik schafft, die weit abseits vom Mainstream liegt. So werden Bars und Clubs, aber auch Wohnzimmer und Grünflächen zur Bühne, und nicht selten findet man im Sommer „Isarufer, unterm Baum“ als Veranstaltungsort für komplett unverstärkte Konzerte vor. Neue Musik und Plätze vorstellen und für jede Veranstaltung einen individuellen Raum finden, gehört ebenso zum Vereinskonzept wie die Liebe zum Detail. Am 8. und 9. Mai feiert der innen.aussen.raum sein 5. Jubiläum mit zwei Konzertabenden. Wir wünschen der Crew alles Gute. Bleibt so, wie ihr seid! innen-aussen-raum.net


{ZEHRA SPINDLER} VERANSTALTERIN MIT ZWISCHENNUTZUNGS-RADAR

TEXT: RONIT WOLF // FOTOS: GUNNAR MENZEL

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WIE ZEH RA

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{EIN NACHMITTAG IM BIEBIE MIT ZEHRA SPINDLER} Wir treffen die Stadt-Nomadin in der neu eröffneten Kantine des BieBie. Zehra – heiter bis spitz und selbstironisch bis ins Struwwelhaar – kommt in silbernen Turnschuhen mit Klettverschluss: „Da kann man Menschen, die Klett-Anzüge tragen, gut besteigen“, sagt sie. Ihr neuester Coup: 4 Stockwerke, 11.000 qm in der ehemaligen Druckerei Biering in Freimann. Das BieBie soll für Kunst & Partys offenstehen. Ganz nach Zehras Manier, die zuvor schon mit dem Puerto Giesing und dem Art Babel Münchens Szene stadtbekannt machte. Der Tag beginnt mit Würstel-Shootings in der neuen Kantine. Zehra sieht beim Wurstessen aus wie eine Lehrerin – „da kann man nix machen!“ Wir beschließen, für das Foto-Shooting die pornöse Couch im Erdgeschoss flachzulegen. Davor aber noch einige Fragen.

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Wir schreiben das Jahr 2030, was macht Zehra gerade? Moment, wie alt bin ich da? Ist das schon Rentenalter? Ja! Ist das schon Frührente? Ich würde eine Frührentner-Bande gründen. Eine Rentner-WG mit meinen Rentner-Kollegen. Wir hätten ’ne Menge Spaß zusammen und dann könnten wir so ein „sophisticated Rentner-Leben“ führen. Das würde mir gefallen! Waren deine Kindergeburtstage die besten oder warum bist du Veranstalterin geworden? Zuerst mal: Ich hasse es, im Mittelpunkt zu stehen. Ich veranstalte gerne Partys, aber für andere. Wenn man selbst veranstaltet, muss man auch nicht ständig präsent sein; da kann man die Party auch verlassen und die anderen weiterfeiern lassen. Meine Eltern hatten für mich mal eine Überraschungs-Geburtstagsparty gemacht. Da war ich so sieben oder acht Jahre alt. Das war das Schlimmste! Ich war tagelang sauer auf die und danach bekam ich nie wieder eine Party. Na ja, ich saß da auch die ganze Zeit schmollend auf meinem eigenen Geburtstag in der Ecke. Was ist deine erste Erinnerung? Meine Strumpfhose sammelt sich in den Kniekehlen und in den Schuhen: Das ist unangenehm und sieht komisch aus. Da war ich zwei Jahre, als ich mich das erste Mal daran erinnere. Das geht bis heute so: Der Strumpf zieht sich im Schuh zu Wülsten zusammen und wurstelt im Vorderbereich des Schuhs. {Anmerkung: Und das ist tatsächlich so. Zehra hat uns das später im Büro gezeigt: Die Wollsocke plusterte sich oppulent, unbequem im Schuh nach hinten auf, entblößte ziehharmonikaesk die gesamte Ferse – sehr unangenehm für den Träger, da halber Fuß kälter als Zehen vorne.}


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Was darf niemals ins BieBie? Eine politische Veranstaltung. Welches Event würdest du dir fürs BieBie wünschen? Ich würde gerne einen Senioren-Tanztee machen, hier in der Kantine. Immer sonntags und es würden junge DJs spielen. Etwas, wo die alten Leute Spaß haben dürfen und nicht wie alte Leute behandelt werden, mit gemischtem Publikum – da soll es keinen Unterschied geben. Also eine U-80Party! Die Alten sind eh viel lockerer als die Jungen! Wie alt fühlst du dich heute? Ich fühle mich jung, nicht alt – aber altersweise. Wir sind die LEGO-Generation, wir dürfen länger jung sein. Das ist wie das Gefühl, wenn mir die Socken im Schuh rutschen. Ich fühle mich so alt wie damals ... Scheut der Veranstalter das Horror vacui? Ja, furchtbares Gefühl, erinnert an die Geburt, oder ... nee, eher der werdende Vater vor dem Kreißsaal. Das hast du jedes Mal und du sagst dir: Oh Gott! Es kommt keiner! Gerade bei hochwertigen Produktionen ist das ein Problem. Aber dann ist doch immer jemand da! Es ist, als gäbe es ein Kollektiv-Bewusstsein. Plötzlich kommen alle zusammen. Alles ist miteinander verbunden. Und dann gibt es immer wieder diese Überraschungen. Eine davon war die Swing-Veranstaltung im Art Babel. Die hatte ich einem Newcomer überlassen und alle meinten: Spinnst du? Das war eine der erfolgreichsten Veranstaltungen! Body-Switch: Stell dir vor, du bist über Nacht die ehemalige Pegida-Vorsitzende Kathrin Oertel. Es gibt Dinge, die will selbst ich mir nicht vorstellen. Dazu gehören Fetische, Gummianzüge mit Noppen und der strenge Gesichtsausdruck der Frau Oertel.

Welcher Nerd-Nite-Vortrag ist dir am eindrücklichsten in Erinne­ rung geblieben? Ich bewundere die Moderation von Patrick Gruban. Seine stoische Art, egal in welchem Zustand er ist. Er ist immer gefasst und ruhig, die Moderation immer gleich. Es gab mal einen unfassbar langweiligen, komplizierten Vortrag von einem Typ, der ein neues System erfinden wollte, Straßen zu ordnen. Er war so langweilig und merkte es nicht. Immer wenn er eine Pause machte, versuchten Patrick oder ich, auf die Bühne zu springen, um das zu beenden ... Und natürlich die Frau mit der Laktose-Intoleranz, die durch ihre Blähungen einen Ballon mit dem Po aufblasen konnte ...“ Dein liebstes Spielzeug? Mein Freund, wenn es ihm schlecht geht. Wir provozieren uns gerne. Gesetz, Raum und Geld spielen keine Rolle: Was würdest du in München anstellen? Ich würde dauerhaft die Theresienwiese okkupieren, sodass dort immer etwas stattfindet. Kochst du gerne? Kinderfragen sind einfach meine liebsten Fragen. Ich liebe es, meinen Freund zu bekochen. Es sieht immer schrecklich danach aus und ich koche in riesigen Mengen. Das kann ich nie einschätzen. Zum Beispiel Banane mit Schinken rumgerollt; das sah leider aus wie ein gebratener Penis. Geschmeckt hat es auch nicht. Meinem Freund ist jedes Mal schlecht danach, aber meine Tochter liebt es. Ich wollte ein neues Marshmallow-Rezept kreieren mit pikanter Füllung ... Mit welcher Comic-Figur kannst du dich identifizieren? Peppermint Patty von den Peanuts! Als Mädchen hat man mich immer so genannt


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und ich fand sie am coolsten. Das Androgyne gefiel mir an ihr. Sie war in Charlie Brown verliebt und managte auch das Baseball-Team. Sie hatte so was Sportives: bestimmend, aber kumpelhaft. Du hast vorher erwähnt, das alles miteinander verbunden ist ... Ja, das nicht zu glauben, wäre „philosophischer Analphabetismus“. Alles hängt voneinander ab. Zum Beispiel man geht zum Friseur oder einkaufen und dann lächelt dich jemand an und du fragst dich: Was habe ich getan, dass die Leute heute so besonders nett sind? Es ist die Ausstrahlung und das, was man gibt. Wie ich über Menschen denke, das bekomme ich auch zurück. Bist du Nasenbohrerin? Ja! Das ist meditativ, aber nur, wenn ich unbeobachtet bin. Mmh, das ist eine schöne indiskrete Frage! Gut, ich formuliere sie um. Von Nasenbohrerin zu Nasenbohrerin: Bohrst du gern in der Nase? Also, wenn du so fragst: Das würde ich natürlich nie tun, das macht man ja nicht. Wie kommst du denn da drauf? Das wäre doch ungehörig. Stimmt – so was von! Käme eine andere Stadt für dich infrage? Ein zweiter Wohnsitz? Vielleicht eine Stadt in Frankreich – Marseille. Eine Großstadt muss es sein. Oder Mailand. Aber ich wäre immer eine Hopperin, die klassische Zwischennutzerin, eine Stadt-Nomadin. Da wäre ich nirgendwo für lange Zeit. Aber meinem Freund bin ich treu! Und München! Vielen Dank, Zehra!

BieBie München auf FB


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BA ST EL DI BI

{DER MÜ NCHER BASTEL-BLOG MIT HERZ} „Was man nicht sehen kann, das gibt es nicht.“– behauptet zumindest der Wachtmeister Dimpfelmoser aus „Der Räuber Hotzenplotz“ von Otfried Preußler. Kasperls Ausruf „Schlimperdibix“, das war die zündende Idee für Johannas Alter Ego Basteldibix. Als sie vor zwei Jahren nach einem Namen für ihren Bastel-Blog gesucht hat, sollte der nach Zauber und Leichtigkeit klingen. Nach unserem Besuch bei ihr haben wir festgestellt: Passender kann man sie nicht umschreiben!


TEXT: PATRICIA BREU // FOTO: BASTELDIBIX

Johanna ist in einer großen Familie – mit immerhin sechs Schwestern – in München aufgewachsen, war für die ersten Semester ihres Jurastudiums in Würzburg und kam doch wieder zurück. In der Vorbereitungszeit für ihr erstes Staatsexamen hat sie dann angefangen, noch intensiver zu basteln als früher. Zum Ausgleich, damit man hinter dem Schreibtisch nicht vollkommen vereinsamt und weil das sofortige Erfolgserlebnis glücklich macht. Herausgekommen sind haufenweise krumme, wunderschöne, absolut unperfektionistische Dinge zum Verlieben. Figuren aus Filz, Ketten aus Fimo, Sticker und Bastelkits. Nach dem Examen hat Johanna begonnen, die Sachen auf ihrem Blog einzustellen und sie im Karusa (Humboldtstraße 6 in Untergiesing) zu verkaufen. Gerade macht sie hauptsächlich ihr Referendariat und arbeitet nebenher. Unter der Woche kann sie sich also nur ein paar Stunden Zeit für ihre schrägen Basteleien nehmen und produziert überschaubare Mengen. In einer ganz kleinen Ecke in ihrer WG am Arabellapark stapeln sich die Materialien. Am liebsten arbeitet Johanna mit Papier und Filz, gern auch mal mit Holz – aber die Nachbarn freuen sich nicht gerade übers Sägen im Wohnzimmer. Auf ihrem Blog ist jedem Artikel eine Anleitung anbei gestellt und Johanna freut sich, wenn Leute aus der ganzen Welt ihre Sachen nachbasteln und ihr Bilder davon schicken. Johannas Herzblut ist die Kreativität, das Äußern von kreativen Gedanken. Ob in wissenschaftlichen Aufsätzen oder beim Basteln: Sie will immer Geschichten erzählen. Seit ihrer Schulzeit veröffentlicht Johanna Kurzgeschichten und tritt bei Poetry-Slams auf. Und sie schreibt seit einem Jahr an einem Roman, besser gesagt an einem skurrilen Thriller. Über 200 Seiten stehen schon, er soll dieses Jahr noch fertig werden. Johanna ist abergläubisch und meint, wenn man den Inhalt jetzt erzählt, dann geht alles schief. Deshalb wird die Geschichte hier verschwiegen. Ihre Inspiration holt sich Johanna an vielen Orten in München. Die Danner-Rotunde in der Pinakothek der Moderne ist einer davon, denn der Schmuck dort besteht aus robusten Alltagsmaterialien wie Plastik, nicht aus Gold oder Diamanten. Auch die Jahresausstellungen der Schmuckklasse der Kunstakademie beeinflussen ihre Einfälle. Und die Marionettenabteilung im Stadtmuseum, wo alte Kasperl- und Seppel-Figuren hängen und es nach Geschichte riecht. Oder Flohmärkte, wo verrückte Dinge und Menschen Geschichten erzählen. Die richtig guten Ideen aber hat Johanna tatsächlich abends beim Duschen. Denn erst wenn sie entspannt und aufhört, sich zu fokussieren, kann sie sehen, was es noch nicht gibt. basteldibix.blogspot.de // karusa.de WIR VERLOSEN BASTELDIBIX CURT-FILZ-HERZEN AUF CURT.DE/MUENCHEN


WIDER DEM WEGWURF 76 curt

Marius studiert Kunst. Und er rettet Lebensmittel – als Mitglied im Orgateam des Foodsharing Mßnchen.


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TEXT: NURIN KHALIL // FOTO: ACHIM SCHMIDT

Was genau ist Foodsharing? Das oberste Ziel ist es, die Verschwendung von Lebensmitteln zu reduzieren. Wir möchten darauf aufmerksam machen, dass die meisten Menschen vergessen haben, was für einen Wert ein Lebensmittel hat. Das Mindesthaltbarkeitsdatum hat nicht so viel auszusagen, wie viele annehmen. Es ist ein reines Garantieversprechen des Herstellers für Konsistenz und Geschmack, welche aber ohne Garantie nicht automatisch verloren gehen. Wie lange gibt es Foodsharing in München und wessen Idee war das Ganze? In München gibt es uns seit etwa zwei Jahren, die Idee kommt ursprünglich aber aus Köln und Berlin. Es gab mehrere Leute, die parallel angefangen hatten, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Valentin Thurn drehte einen Dokumentarfilm, „Taste the Waste“, und gründete währenddessen den Verein foodsharing e. V. Raphael Fellmer wiederum begann in Berlin, ein Freiwilligennetzwerk aufzubauen. Dabei trafen sich Leute an verschiedenen Orten der Stadt und holten bei Betrieben oder Märkten

Lebensmittel ab, die noch verwertbar, aber nicht mehr zu verkaufen waren. In München haben wir mittlerweile außer dem Viktualienmarkt rund 40 weitere Betriebe, bei denen wir teils täglich, teils mehrmals die Woche, Lebensmittel abholen und somit retten können. Wie geht ihr dabei vor? Wir organisieren uns hauptsächlich über foodsharing.de. Alle Betriebe, mit denen wir kooperieren, sind hier aufgelistet. Wir haben eine Gruppe bei facebook und es gibt Abholtermine, für die sich jeder eintragen kann. Pro Betrieb gibt es zudem einen Verantwortlichen, der ein Auge drauf hat, dass bei jedem ausgemachten Termin auch jemand erscheint. Das läuft schon sehr koordiniert und zuverlässig. Wie kommt ihr an Kooperationspartner? Das ist immer unterschiedlich, je nach Größe des Betriebs. Einen kleinen Laden besuchen wir meist persönlich. Bei einer Filiale einer größeren Kette fragen wir ganz oben bei der Zentrale an. Da gibt’s eine bundesweite Arbeitsgruppe, die solche Anfragen koordiniert. Was passiert mit den geretteten Lebens­ mitteln? Das kann jeder foodsaver selber entscheiden. Das Wichtigste ist, dass nichts weg-

geschmissen wird, was noch essbar ist, und dass es keinem kommerziellen Zweck zukommt. Wir können es selber essen, können aber auch Essenskörbe auf der Homepage anbieten, die sich andere abholen können. Was es ebenso gibt, sind die Fair-Teiler-Stellen, eine Schnittstelle von privat zu privat. Fährt man beispielsweise in den Urlaub und hat noch Lebensmittel übrig, so kann man sie zu einer Fair-Teiler-Stelle bringen. Jeder, der möchte, kann sich dort bedienen. Und dann gibt es noch Schnippelpartys! Wir laden Leute ein, verschnippeln und verkochen gerettete Lebensmittel. Dazu legt manchmal ein DJ auf oder eine Band spielt. Jeder bringt mit, was er hat. Das Ganze ist natürlich kostenlos. Wie kann man bei euch mitmachen? Wenn man nur wenig machen will, kann man einfach Essenskörbe verschenken. Oder man meldet sich als foodsaver an und hilft, Lebensmittel abzuholen. Es gibt auch verschiedene Arbeitsgruppen – alles ehrenamtlich. Und gerade an neuen Standorten brauchen wir Botschafter, die die ersten Schritte in die Wege leiten – damit sich die Idee immer weiter verbreitet.

foodsharing.de


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Jürgen Altmann ist Kopf und Seele der Aroma Kaffeebar im Münchner Glockenbachviertel – pumpt aber mindestens genauso viel Herzblut in sein Himalaya-Projekt „Shades of Love“.

2004 nahm sich Jürgen eine „soziale Auszeit“ und die führte ihn zufällig nach Ladakh. Die indische Hochgebirgsregion war ihm zuvor völlig unbekannt. Was er auch nicht wusste: Die Bevölkerung leidet extrem unter Augenkrankheiten, da sie den aggressiven UV-Strahlen in der Höhe schutzlos ausgesetzt ist. In den Jahren nach seinem Sabbatical kehrte Jürgen regelmäßig nach Ladakh zurück – mit schützenden Sonnenbrillen im Gepäck. Es wurden mehr und mehr, bis Jürgen schließlich Shades of Love – The Himalayan Eyewear Project gründete. Zigtausende von Sonnenbrillen hat er inzwischen verteilt – und Hunderttausende sollen noch folgen. TEXT: SISSI PÄRSCH // FOTOS: JÜRGEN ALTMANN

Könnte man es messen, dann würde dein Blutbild wohl einen erhöhten Herzwert aufweisen, oder? Herzlichen Dank für das Kompliment, aber ich weiß nicht ... Meine Eisen-Werte sind top. Mein Herz fühlt sich auf jeden Fall sehr voll und glücklich an, wenn ich sehe, was wir mit Shades of Love ausrichten können. Da pumpt es schon gewaltig. Erklär uns dein Projekt doch noch einmal kurz! Ich sammle gebrauchte und neue Sonnenbrillen für die Himalaya-Region, wo viele Menschen unter schlimmen Augenerkrankungen leiden. Sonnenbrillen gibt es dort einfach nicht und die Bevölkerung weiß auch nicht, dass sie sich ganz einfach schützen könnte. Wir bringen die Brillen in die entlegensten Ecken und klären über den Gebrauch und Nutzen auf.


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Wer verteilt die Brillen? Am Anfang bin ich einfach mit meinem Moped durch die Region gefahren. Das mache ich heute noch, aber das Projekt ist immens gewachsen. Inzwischen haben wir Kooperationen mit Organisationen vor Ort, die mobile Eye Camps veranstalten, wo Erkrankte behandelt werden und nun eben auch noch Sonnenbrillen bekommen.

Ans Herz geht auch die Bilderserie all der Menschen, denen du selbst eine Brille übergeben hast. Wie viele Porträts hast du inzwischen? Schwer zu sagen, da ich wirklich jeden fotografiere, dem ich eine Brille aufsetze. Einige, einige Tausende. Sie sind sehr aussagekräftig, oder?

Wie werden die Brillen gesammelt? Es gibt an verschiedenen Orten Sammelboxen. Die sind bei uns online gelistet. Aber natürlich kann man sie einfach direkt bei mir in der Aroma Kaffeebar abgeben oder mir zuschicken.

Absolut, da versteht man deinen Herzblut-Einsatz! Jürgen, wir wünschen dir und Shades of Love weiterhin viel Erfolg!

Wie sieht es mit der Qualität, also vor allem dem UV-Schutz aus? Die Brillen werden alle vom Optiker Freudenhaus professionell überprüft, gereinigt und verpackt – kostenlos! Die Reinigung ist auch superwichtig, um den Menschen nicht womöglich Keime auf die Nase zu setzen.

Wer Shades of Love in irgendeiner Form unterstützen oder sogar sponsern will, der wendet sich direkt an Jürgen unter: shadesoflove.org



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INTRODUCING THE TEAM DER NERDIGSTEN VERANSTALTUNG DES JAHRES: 1. MÜ NCHNER SCIENCE FICTION FESTIVAL {24. BIS 26. APRIL IM EINSTEIN KULTUR}


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ALL Ü BER ALL

TEXT: BOB PFAFFENZELLER FOTOS: JULIA FROMM

Wir schreiben den 24., 25. und 26. April 2015. In München findet an diesen Tagen das „1. Münchner Science Fiction Festival“ statt. Warum? Wieso? Was macht das für einen Sinn? Die Veranstalterin Ronit Wolf und einige der beteiligten Künstler und Wissenschaft­ ler haben denjenigen befragt, der auch Antworten auf Fragen hat, die nie jemand gestellt hat: Deep „Bob“ Thought.


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Ronit: Was soll das Ganze? Deep „Bob“ Thought: Hey, genauso könntest du mich nach dem Sinn des Seins fragen. Aber ok, ich will versuchen, es dir verständlich zu machen: Das „1. Münchner Science Fiction Festival“ ist ein urbanes, offenes, zutiefst irdisches Event zum Thema ScienceFiction. Ich sach mal so: An drei Tagen dreht sich mit allen menschlichen Ausdrucks-, Darstellungs- und Wissenskünsten alles um Sci-Fi. Es gibt Kunst, Performances, eine Oper; Wissenschaftler aus dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt werden sich mit Poetry-Slam-Künstlern batteln; es gibt Vorträge zu Astrologie und Bagonalistik; Kinder werden Ufos naturgetreu designen; Roboter werden Gedichte schreiben; es gibt Jazz und Gedichte; und es gibt Alkohol bis zum interstellaren Abwinken.

{RONIT WOLF} ORGANISATORIN DES FESTIVALS

Ronit: An wen richtet sich das Festival? Deep „Bob“ Thought: Ihr Sci-Fi-ConvenionFreaks, Star-Trek-Nerds und all ihr anderen irdisch-fliehenden Cos-Players da draußen: Das ist keine Veranstaltung für euch. Nicht weiterlesen. Hier geht’s um Wissenschaft. Und Kunst. Und Oper. Und Lyrik. Und echtes Leben. Bleibt in eurem Universum. Denn ihr werdet hier keine Antworten auf eure Fragen finden.

Ronit: Ok, kannst du etwas mehr über die einzelnen Acts erzählen? Was ist z. B. mit der Oper? Deep „Bob“ Thought: 9V. Ronit: 9V? Ist das wieder so was wie „42“? Deep „Bob“ Thought: Von welchem Planeten bist du eigentlich? 9Volt sind DIE Elektro Punk Band aus München. Handgemacht und live mit ausschließlich batteriebetriebenen Geräten. Ronit: Und die haben eine Oper geschrieben? Deep „Bob“ Thought: Die „Space Opera“. Mit Elektro, Sex & Rock 'n' Roll ... Aber warte: Ich stell dir eine Live-Schalte zu den Jungs her ... Steve (der Ältere von 9V): Hi. Tom (der Schönere von 9V): Hi. Ronit: Hi Jungs. Erzählt mal von eurer Oper. Steve: Wir hätten das nicht tun sollen ... Tom: Es war so eine Idee ... Steve: ... und jetzt haben wir eine Oper mit zwölf Songs ...


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Tom: ... von Jazz über Klassik und Trip-Hop bis zu Spacerock ... Steve: ... und eine megageile Bühnenshow mit jeder Menge bekannter und unbekannter Aliens, Laserkanonen und Brustpanzern. Tom: Und wir haben Titten. Deep „Bob“ Thought: Danke Jungs. Du siehst, 9Volt sind universell. Ronit: Äh, ja. Und wie war das mit den Wissenschaftlern? Deep „Bob“ Thought: Nicht einfach irgendwelche Wissenschaftler. Das sind Jungs vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum. Das sind die, die zum Beispiel daran beteiligt

9VOLT

waren, dass erstmals in der Geschichte der Menschheit eine Sonde auf einem Kometen landen konnte. Ronit: Aha. Deep „Bob“ Thought: Nix aha. Die Jungs sind Hardcore-Scientists ... Sergei Bobrovsky (Öffentlichkeitsarbeit DLR): So würden wir das nie sagen ... Deep „Bob“ Thought: Schon klar. Ihr vom DLR würdet sagen: „Wir freuen uns darauf, Menschen zu treffen, die wir sonst nie erreichen würden. Wir freuen uns auf die Gelegenheit zu erzählen, was wir am Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum so machen.

Sergei Bobrovsky (Öffentlichkeitsarbeit DLR): ... und wir wollen unterhalten und Wissen vermitteln ... Deep „Bob“ Thought: ... wenn ihr euch Battles mit Poetry-Slam-Künstlern liefert. Da freue ich mich persönlich schon drauf. Jede Wette, dass ihr Weltraum-Ingenieure den Slammern um Warp-Welten voraus seid. Ronit: Ok, verstehe: Welten begegnen sich. Deep „Bob“ Thought: Und neue Welten entstehen. Ich sag nur PascaniYA Künstlerkollektiv. Echt geiler Scheiß. Ronit: Weil? Deep „Bob“ Thought: Weil die beiden Performancekünstlerinnen Anja Neukamm und Pascale Ruppel ein politisch-aktuelles Thema überirdisch geil auf die Bühne bringen. „Alice will zurück ins Wunderland“ – schau’s dir an. Ronit: Bist du auch auf dem Festival? Deep „Bob“ Thought: You won’t see me. But you will get the feeling of 42.

Mehr Infos und tagesaktuelle News aus dem Universum des 1. Münchner Science Fiction Festivals gibt´s outta space unter facebook.comAllueberAll


DAS HELLE {DER WEINBRANDT IM GEPRÄCH MIT TILMAN LUDWIG}


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TEXT: CHRISTOPH (WEIN)BRANDT FOTOS: STEFANIE GIESDER

Ist schnitten-technisch Hopfen und Malz verloren, begibt sich der sonst so vinophile weinbrandt zum seelischen Aus­ gleich auf ausgedehnte Expedition ins Bierreich. Als er jedoch vom Westfäli­ schen Fasching mit einer signifikanten Pils-Vergiftung zurückkehrt, beschließt er, bis ans Ende seiner Leber tückische kohlenhydrathaltige Kaltgetränke zu meiden und eher hiesige Hefeschnitzel zu präferieren.

Auch Tilman Ludwig schwört auf hochwertigen und ortsansässig produzierten Gerstensaft. Der 30-Jährige liebäugelt aber gleichzeitig mit dem bei uns etwas unüblichen Vollkornsprudel Indian Pale Ale (IPA). Kurzerhand gründete er im April letzten Jahres, zufällig just am Feiertag des deutschen Bieres, sein eigenes Unternehmen und lässt nun mit „Das Helle” seine Idealvorstellung eines typischen Münchner IPAs vom Stapel. 2014 setzten sich die Bayern in der Bierproduktion mit 22,8 Millionen Hektolitern an die Spitze in Deutschland. Der heimische Markt ist folglich ziemlich gesättigt. Was war die Initialzündung für „Das Helle”? Industriell gebrautes Bier trinkt sich meist saulangweilig. Nach meiner Braumeister-Ausbildung an der TUM Weihenstephan arbeitete ich zwei Jahre lang für das kleine Schweizer Brauhaus Huus Braui und durfte da bereits eigene Ideen für deren Spezial-Biere verwirklichen. Unsere Braukultur ist zwar wesentlich älter und traditionell verwurzelter, doch schon damals faszinierte mich die amerikanische IPA-Bierszene, die recht wenig mit dem Reinheitsgebot gemein hat. Die Amis lernten ja eigentlich das Brauen von deutschen und irischen Einwanderern, trotzdem übertraf irgendwann der flexible Schüler den sturen Meister durch ständige Weiterentwicklung. Hierzulande spricht mich indessen das hohe Niveau an Professionalität und Sauberkeit an. Ich möchte all diese Aspekte in meinem Erzeugnis vereinen. Wie würdest du „Das Helle” beschreiben? Ein bernsteinfarbenes Lagerbier, das mit ausgesuchten regionalen Rohstoffen gebraut und mit hochwertigen Aromahopfen aus USA verfeinert wird. „Das Helle” fabriziere ich in der Brauerei Gut Forsting im Landkreis Rosenheim. Lediglich mit einem simplen Schichtenfilter filtriert, schmeckt es würzig-süffig wie ein klassisches Münchner Hell und besitzt dabei das intensiv hopfige und ausgeprägt fruchtige Aroma eines Pale Ales aus USA. Mein Produkt soll ganzheitlich einen hohen Wert aufweisen, z. B. wird zukünftig jedes weitere Label mit Kunst verziert sein.


„Helles“ ist ein klassisches untergäriges Vollbier mit einem Stammwürzegehalt von ca. 12 %, was somit einen Alkoholgehalt von rund 5 % ergibt.


Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Brauerei Gut Forsting? Ich sandte mein Konzept total naiv per E-Mail an zehn Brauereien im Münchner Umland und erhielt gleich fünf positive Rückmeldungen. Letztendlich machte Gut Forsting das Rennen, weil mir da keiner reinredet, ich deren Equipment benutzen und meine Abfüllungen dort lagern darf.

AUFLÖ SUNG

Wie erklärst du den hochtrabenden Namen? Ich bin ein großer Fan von Zweideutigkeiten und betrachte das ohne tieferen Sinn, sondern eher in dem Kontext, dass das Helle an sich ein hervorragendes Bier ausmacht.

VON SEITE 56

FLUGZEUGE IM BAUCH {HERBERT GRÖ NEMEYER} DON´T LOOK BACK IN ANGER {OASIS} FIX YOU {COLDPLAY} CREEP {RADIOHEAD}

TILMANS BIERE AUF DER BRAUKUNST LIVE! // 6.–8. MÄRZ //STAND 93 MÜ NCHNER MVG MUSEUM IN DER STÄNDLERSTRASSE 20

SAG MAL WEINST DU? {ECHT}

DER WEINBRANDT RÄT: Pfoten weg von widerlicher Kinderbelustigungsbrause, sprich garstigem Kopfwehbräu wie „Schöfferhofer Birne-Ingwer“! Das grenzt an Bierquälerei! Wer auf außerordentlich fruchtigen Hopfengeschmack abfährt, der pichelt vorzugsweise „Das Helle“ von Tilmans Biere: tilmansbiere.de

{BILDERRÄTSEL}

HEART BREAK HOTEL {ELVIS PRESLEY}

Du firmierst unter Tilmans Biere, bietest aber derzeit nur ein einziges Getränk an … Ich betreibe das mittlerweile als Vollzeitjob. Bei der Selbstständigkeit war mir die Selbstverwirklichung tausendmal wichtiger als die große Kohle. Glücklicherweise erhielt ich gleich zu Beginn von der Stadt München einen Gründungszuschuss inkl. Sozialversicherung. Dieser ist zwar letzten Oktober ausgelaufen, dennoch hält sich mein Kontostand derzeit gut die Waage und ich kann sogar erste Gewinne verzeichnen. Das Ziel ist, schon in Zukunft ein größeres Sortiment anzubieten. Den Nachfolger – ein recht kräftiges Brown Ale in der 0,33-l-Pulle – braue ich bei Weissbräu Schwendl am Chiemsee und präsentiere ihn dann auf der Braukunst Live!-Messe und in der Bar Nachtmuseum am Sendlinger Tor.

HERZSCHMERZ


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TEXT: BOB PFAFFENZELLER // ILLU: ANDY WEIXLER

HEARTBOILED {EIN ABGESCHLOSSENER ROMAN Ü BER CRIME, LOVE & PEACE}

Samstagnacht. Weit nach Mitternacht. Unter dem Februarsturm zitterten die Plastik-Jalousien vor meinem Bürofenster wie ein CrystalJunkie auf Entzug. Nur leiser und angenehmer. Durch die Glastür meines Büros schimmerte noch Licht aus Selmas Büro. Sie hatte nichts mehr zu tun. Sie hatte den ganzen Tag kaum zu tun. Seit Monaten. Keine guten Zeiten

für Werbetexter. Schlechte Zeiten für TeamAssistentinnen. Sie wartete nur darauf, dass ich endlich mein Büro verließ und sie die Gelegenheit bekam, mit mir auf einen Drink zu gehen. Mit Happy Ending bei ihr. Ich goss mir noch einen Redbreast ein. Jedem Happy Ending wohnt ein Anfang inne. Und Anfangen war nicht mein Ding. Die Jalousien jammerten.

Mein iPhone vibrierte. Selma, du kannst auch einfach in mein Büro kommen und mich in meiner Einsamkeit stören. Macht keinen Unterschied. Das iPhone vibrierte weiter. Das Licht in Selmas Büro erlosch. Das iPhone vibrierte wieder.


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*** Anonym: „Ich habe alles vorbereitet, wie besprochen. Der Schlüssel liegt am vereinbarten Ort. Wann erledigen Sie Ihren Job? Annie“ Das klang nicht nach: „Ich habe hier einen Schnellschuss – können Sie mir bis morgen Abend einen Flyer texten.“ Das klang nach: „Ich habe hier ein Arschloch – können Sie schnell mal schießen.“ Ich goss mir noch einen Redbreast ein. Wär gut, wenn Selma noch hier wäre. Sie konnte mit unerwarteten Situationen und schrägen Typen immer gut umgehen. Ich kann das nicht. Ich bin nicht spontan. Ich bin nicht kooperativ. Ich will nicht reden. Ich bin Texter. Ich will meine Ruhe. Vor den Dingen und den Menschen. Ich las die SMS ein zweites, ein drittes Mal. Der Wortlaut hatte sich nicht geändert. Ich schrieb: „Wie viel?“ Ich goss mir einen weiteren Redbreast ein. Mein iPhone vibrierte. Ich las. Langsam klarte mein Kopf auf wie der jungfräuliche Morgenhimmel nach einem Sturm. Alles blau. Die Jalousien verhüllten still die Welt da draußen.

Der Sturm hatte sich gelegt. Mein Herz blutete. Ich schrieb: „Ich bin bereit. Wo sind Sie?“

Taschenlampe erkannte ich am Ende des Flurs eine offene Tür. Leise Musik war zu hören.

***

Ich bin kein Held. Aber ich wusste, was ich hier gerade tat. Und: Ich tat. Ich textete nicht. Ich beging eine Tat. Mein Herz lechzte nach Blut.

Ich ließ das Taxi zwei Straßen vor der angegebenen Adresse halten. Ich kannte die Taxifahrerin. Ich war schon öfter mit ihr gefahren und sie hatte jedes Mal die Unterhaltung, ja später sogar die Begegnung mit mir gesucht. Erfolglos, ich bin Texter. Aber sie kannte mich und hätte mich bei eventuellen polizeilichen Ermittlungen wiedererkennen können. Ich bin Texter, aber nicht blöd. Ihr Herz blutete.

*** Die Adresse, die die „Anonyme Annie“ mir geschrieben hatte, gehörte zu einem Einfamilienhaus. Alleinstehend mit einem großen Garten ringsum. Die Fenster waren dunkel. Ich blickte mich um. Niemand auf den Straßen um diese Nachtzeit. Ich öffnete das Gartentor und ging zur Eingangstür. Unter der Fußmatte lag der Schlüssel. Ich betrat den Flur. Dunkelheit. Es roch nach Kindheitserinnerungen, nach Kohlrouladen vielleicht. Im Schein meiner

*** In dem Zimmer am Ende des Flurs war nichts. Nichts außer einem Himmelbett, hinter dessen zugezogenen Plissee-Vorhängen eine liegende Gestalt zu erkennen war. Ich schlich mich leise an, zog den Vorhang zurück. „Du, sorry, warum können wir’s nicht so wie alle anderen machen? Du immer mit deinen Role Plays. Wenn’s wenigstens wie Fifty Shades of Grey wäre. Also, los jetzt!“ Selma war heute wohl nicht gut drauf. Egal. Ich erledigte meinen Job. Mit Selma. Mit Annie. Mit Herzblut.

* Ende*


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{DIE PASSIONIERTE ZWEIFALTIGKEIT}

WAS MACHT CURT EIGENTLICH SO CURT? Neulich bei der curt-Redaktionssitzung. Verstrahlte Gesichter. Zermarterte Hirne. Verpestete Luft. Pizza vergammelt in Kartons, während der Sauerstoff längst die Flucht ergriffen hat. Bierdunst wabert durch den Raum, trübe Augen werden klein. In der Ferne bellt ein räudiger Hund. Doch da: Eine Idee blinzelt vorwitzig ums Eck. Macht sich wichtig. Bläht sich auf. Gierig stürzt die Meute sich auf sie, spinnt sie weiter. Gedankenblitze zerschneiden den Nebel. Die Idee wird größer, stolzgeschwellt steht sie auf dem Tisch und fasst sich übermütig in den Schritt. Die Sonne geht unter, die Sonne geht auf – und die Idee sprach: Es werde curt!

ZEIGE FALT-BEREITSCHAFT! FALTE DIESE SEITE SO, DASS SICH DIE PFEILSPITZEN BERÜHREN, UND DU ERFÄHRST, WAS CURT JEDES MAL WIEDER SO WAHNSINNIG CURT MACHT.

IDEE UMD UMSETZUNG: ANDY WEIXLER UND BIRGIT ANDORF


B L A N K LIEGEN DIE NERVEN: DER CURT-DRUCKTERMIN RÜCKT NÄHER UND DER M U T SCH WÄCHELT. 100-STUNDEN-WOCHE, ZU WENIG SCHLAF, ZU VIELE ZIGARETTEN. WEISS EIGENTLICH JEMAND, WARUM DEADLINES IMMER VIEL ZU FRÜH ENDEN? UND TRÄ GE SCHREITET DIE ARBEIT VORAN, DAS BIER FLIESST IN STRÖMEN, ANS P EN NEN IST NICHT ZU DENKEN. DOCH DANN: DIE SONNE GEHT AUF ... UND ALLES WIRD CURT!


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IMPRESSUM FOTO: STEFANIE GIESDER MODEL: PATRICIA BREU


CURT MEDIA GMBH {GESCHÄFTSFÜ HRUNG} Reinhard Lamprecht. lampe@curt.de {ART DIREKTION & CVD CURT MÜNCHEN} Melanie Castillo. mel@curt.de {SCHLUSSREDAKTION & LEKTORAT} Mirjam Karasek. mirjam@curt.de {LITHO & FINAL COUNTDOWN} Petra Kirzenberger. petra@curt.de {DRUCK} Kastner & Callwey Medien GmbH

IN DIESER AUSGABE STECKT DAS HERZBLUT VON: Mirjam Karasek, Melanie Castillo, Christoph Brandt, Stefanie Giesder, Petra Kirzenberger, Patricia Breu, Christian Vogel, Thomas Karpati, Carina Neumann, Sonja Pawlowa, Christian Gretz, Achim Schmidt, Claudia Pichler, Nurin Khalil, Julia Fromm, Johannes Mairhofer, Andy Weixler, Birgit Andorf, Gunnar Menzel, Katharina Winter, Bob Pfaffenzeller, Annika Liebeknecht, Adrian Leeder, Lorraine Hellwig, Ronit Wolf, Henrike Hegner, Christina Risinger, Lea Hermann, Sandra Bayer, Marius Rohne, Birgit Bramlage, Sissi Pärsch und Tilman Ludwig. curt München erscheint 4 x im Jahr in einer Auflage von 10.000 Stück und liegt kostenlos aus. Das idealistische Projekt ist der Zusammenarbeit kreativer Köpfe zu verdanken – Journalisten, Grafiker, Illustratoren, Künstler und Fotografen, die mit Herzblut ein Stadtmagazin von München für München gestalten. Danke an alle Beteiligten! DU WILLST AUCH MITMACHEN? Dann meld dich bei uns! muenchen@curt.de

{CURT MAGAZIN MÜ NCHEN} curt Media GmbH // Geschäftsführer: Reinhard Lamprecht (ViSdP), Gerald Gömmel Widenmayerstr. 38, 80538 München Tel.: 089 520 306 81 // Fax: 089 520 306 15 E-Mail: muenchen@curt.de

DIE NÄCHSTE AUSGABE # 81 ERSCHEINT IRGENDWANN IM SOMMER 2015.

{CURT MAGAZIN NÜ RNBERG} Chefredaktion: Reinhard Lamprecht Bogenstr. 43, 90441 Nürnberg Tel.: 0911 940 58 33 // Fax: 0911 80 15 317 E-Mail: info@curt.de

{DIE CURT-DEALER DER STADT} Feierwerk, Südstadt, City Kino, Café Kosmos, Bergwolf, Trachtenvogl, Substanz, Backstage, Münchner Volkstheater, Muffatwerk, Glockenbachwerkstatt, Corleone, Valentin Stüberl, Zentraler Hochschulsport (ZHS), Deutsche POP Akademie.

Bis dahin sind wir online auf curt.de/muenchen für euch da und lassen nichts anbrennen: Termine, Konzertreviews, Theater, Filme, Rezensionen, massenhaft Verlosungen und Pipapo FACEBOOK.COM/CURT.MUENCHEN

Ein Nachdruck der Texte oder Fotos in curt – auch im Internet – ist nur mit schriftlicher Genehmigung gestattet. Für unverlangt eingesandtes Text- und Bildmaterial wird keine Haftung übernommen.


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{PSYCHO-TEST} HAST DU HERZBLUT?

WOHLTÄTIGE ARBEITEN? {A} Super! Wenn du Arbeit suchst. Stichwort: Social Skills! {B} Super! Wenn das nur nicht so viel Arbeit wäre. {C} Super! Wenn da doch nur mehr Arbeiter wären. DENK MAL AN DEINE OMA. DU ERINNERST DICH: {A} an zauberschöne Weihnachtsfeste – finanziert von ihrem Nachlass. {B} an wen, bitte? Ach, die Alte! Ist doch schon so lange her. {C} an Lebensweisheiten: das Einmaleins der Alzheimerpflege. SPENDEST DU GELD? {A} Logo! An unsere Wirtschaft. Einer muss die ja ankurbeln. {B} Logo! An Weihnachten. Hab ich mal ... glaub ich. {C} Logo! An Waisenkinder. Manchmal bleibt sogar auch noch etwas übrig für – mich! MÜ SSEN DEINE PRAKTIKANTEN KAFFEE KOCHEN? {A} Nein! Die sollen ja was lernen – die Maschine ordentlich zu putzen. {B} Nein! Die sollen ja was lernen – Präsentationen zu erstellen, mit denen ich glänzen kann. {C} Nein! Die sollen ja was lernen – sich mal richtig zu entspannen.

SILVIO BERLUSCONI IST ... {A} ... scheiße! Aber geile Frauen hat der immer! {B} . .. scheiße! Aber, warum stehen diese Frauen immer auf den? {C} ... scheiße! Aber der zahlt gut für Sex. WELCHE ANTWORTMÖGLICHKEIT HAST DU AM HÄUFIGSTEN ANGEKREUZT – A, B ODER C? {A} Alter, du nervst – zähl das gefälligst selbst. {B} Boah, muss ich das jetzt wirklich auch noch machen? {C} c! Wobei ich persönlich ja bei Frage 5 … blablablablubb!

{A} HERZBLUT? NO! Dein Blut ist dunkelrot, oder? Das beobachtet man oft bei Menschen, durch deren Herz zu wenig Lebensmoleküle, dafür aber umso mehr Kalküle und Egomanien fließen. Dies fördert extrem das Bedürfnis, andere nach Herzenslust auszusaugen. Aber es ist auch für dich nicht zu spät, um der Welt etwas Gutes zu tun: Pack deine Koffer, kauf ein Ticket Richtung Mond. Und keine Angst: Wir sind schon mehr als genug freiwillige Helfer, um dich erfolgreich dorthin zu schießen – mit unserem letzten Herzblut. {B} HERZBLUT? YES! Dein Blut ist schön rot, oder? Das beobachtet man oft bei Menschen. Du achtest ja auch immer gut auf dich. Und dich. Und die anderen. Und dann aber auch wieder auf: dich! Das ist gut – vor allem für: dich. Das macht die Welt jetzt nicht schlechter, aber auch kein Stück besser. Statistisch gesehen ist dein Risiko für einen plötzlichen Herzstillstand extrem hoch. Der ist zwar nicht tödlich – die Langeweile in dir aber schon. {C} HERZBLUT? IT’S A MATCH! Dein Blut ist ... WTF? Das ist weg! Das beobachtet man oft bei Menschen, die sich von anderen aussaugen lassen. Dass Herzen wirklich brechen, ist natürlich totaler Quatsch – seit Tinder. Herzen bluten? Ja, das tun sie. Und solange wir noch keine Anti-Herzblut-App entwickelt haben, kannst du uns allen auch weiterhin noch schön unsere Welt verbessern. Danke! Wir würden dir ja gern helfen, sind aber leider viel zu gestresst von unseren eigenen Erste-Welt-Problemen.

IDEE UND TEXT: HENRIKE HEGNER // ILLU: RONIT WOLF

DU FINDEST EIN SÜ SSES KATZEN-BABY EINSAM AUF DER STRASSE. WAS MACHST DU? {A} Schnell fotografieren, auf Facebook posten, macht 50 Likes. {B} Schnell von der Straße retten und irgendwem in den Arm drücken. {C} Schnell die Katze in meinen Armen in meine Wohnung tragen.


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VON ZAIMOGLU /SENKEL REGIE: CHRISTIAN STÜCKL

AB 27 MARZ 2015 KARTEN 089.5 23 46 55

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