Moro Frontier – Krisenherd Mindanao IS. Abu Sayyaf. Ansar al-Khilafa. MNLF (Moro National Liberation Front). MILF (Moro Islamische Befreiungsfront). Al-Kaida. NPA (New People`s Army). Paramilitärs, Rebellen, Kommunisten, Terroristen: Seit Jahrzehnten gilt die südphilippinische Insel Mindanao als politischer Krisenherd. Der Islam erreichte den Archipel bereits im 14. Jahrhundert, worauf sich die einflussreichen Sultanate von Sulu und Maguindanao begründeten, die teilweise bis nach Sabah in das heutige Ostmalaysia reichten. Wirtschaftliche Vernachlässigung und Armut befeuerten seit den 1950er Jahren die Konflikte um Bodenschätze und Landrechte mit der Zentralregierung in Manila. Nach dem Niedergang maoistischer Gruppen wie der NPA, einst bedeutende Widerstandsbewegung gegen die Marcos-Diktatur, gilt heute der Islamismus als größte spaltende Macht der Region. Ein asymetrischer Konflikt zwischen Moro-Guerilla und den Regierungstruppen Manilas, der mittlerweile rund 120.000 Opfer gefordert hat – bei einer Gesamtbevölkerung von 25 Millionen Menschen, von der nur noch 20 Prozent moslemischen Glaubens sind. Die europäische Nahostpolitik übersieht diese Peripherie des Terrors gerne. Während die MNLF schon früh zu Verhandlungen mit Manila bereit war, setzte die 1978 abgespaltene Gruppierung MILF erst mit dem Bangsamoro-Abkommen von 2014 auf Diplomatie. Die berüchtigte Terrorgruppe Abu Sayyaf, seinerzeit von Al-Kaida-Führer Osama bin Laden gegründet und heute weitgehend zerschlagen, wurde 2012 noch für die Entführung des Schweizers Lorenzo V. verantwortlich gemacht. Ausgewiesene Terrorexperten wie Rohan Gunaratna, Leiter des International Centre for Political Violence & Terrorism Research, warnen aber vor einer Vereinigung der untereinander zerstrittenen Kämpfer durch den IS. Die Errichtung eines Kalifats auf Mindanao steht ganz oben auf dessen politischer Agenda. Nicht nur in Europa wird der Islamische Gottesstaat zur neuen Heimat der Enttäuschten – Extremisten buhlen auch auf Mindanao um die Gunst der Jugend. Spione sollen bereits weiträumig auf den ganzen Philippinen aktiv sein, was auch die Entführung eines deutschen Seglerpaares 2014 vor Palawan erklären würde: Die bei Touristen beliebte Insel in der Sulusee zählt für die MNLF zum proklamierten Moslemstaat, dem auch Mindanao, der Sulu-Archipel und Basilan angehören. Die Sicherheitslage ist demzufolge oft wechselhaft und so hat die Tourismusbranche bei der Vermarktung von Mindanao einen schweren Stand. Noch im Frühjahr 2016 wurden im angeblich befriedeten Norden drei Westler und eine Filipina entführt, kurz darauf von Unbekannten ermordet. Auch Drogenhändler und obskure Privatmilizen mischen in dem einträglichen Kidnapping-Geschäft mit. Im Vorfeld zu den diesjährigen Wahlen wird hier ebenso im Frühjahr mit Übergriffen durch die NPA gerechnet. Die aggressive Grundstimmung, die noch 1997 – im Jahr 1996 unterzeichneten MNLF und philippinische Regierung gerade ein weiteres Friedensabkommen - mit beiden Händen greifbar war, ist aber mittlerweile einer stillen Zurückhaltung gewichen: Die Erfolge der Umsiedelungsaktionen christlicher Siedler sind nicht zu übersehen. In den nagelneuen Überlandbussen zwischen Cagayan do Oro und Butuan predigen oftmals entrückte Jünger das Wort Jesu, während neu erbaute Gotteshäuser die frisch asphaltierte Straße säumen. Die katholische Kirche gilt als wichtiger Machtfaktor auf den Philippinen und es geht auch um politische Einflussnahme. Aufschwung? Nicht für jeden. In der Kleinstadt Valencia im Distrikt Bukidnon im Herzen von Mindanao arbeiten die German Doctors (zum Video…) in einem spendenfinanzierten Hospital. Angehörige der Bergstämme, vergessen von der Zentralregierung in Manila und NPA, warten oftmals
stundenlang in der Hitze auf eine kostenlose Behandlung. Die staatlichen Krankenhäuser verlangen für eine Konsultation nur geringe Summen zwischen umgerechnet ein oder zwei Euro, aber für diese verarmte Landbevölkerung dennoch unbezahlbar. Und so schlafen sie auf Holzpritschen und freuen sich über geschenkte Medikamente, freundliche Worte und ärztliche Behandlung. Die Diagnose lautet oftmals Diabetis, Bluthochdruck, Wurmbefall. Ein Schlaganfall kommt einem Todesurteil gleich, die Gelähmten siechen dann oftmals alleine dem Tode entgegen und verhungern schlichtweg. Eine Pflegeversicherung gibt es hier nicht und 25 Prozent der Menschen auf den Philippinen leben noch immer unterhalb der Armutsgrenze. Verbliebene Kinder sind dann leichte Beute für pädophile Sextouristen, denen weibliche Zuhälter in Cebu City oder Manila zuarbeiten. Achtjährige Mädchen in hübschen Kleidern und zwei Nummern zu großen Pumps – „Cinderella“ wird in diesen einschlägigen Bars nicht gedreht. In Surigao im Nordosten von Mindanao herrscht dagegen ein froher Mut. „Hey Joe“, werden männliche Touristen freundlich gerufen. Amerikaner, obgleich Kolonialisten der Philippinen, sind oftmals immer noch sehr beliebt im Lande. Eine Überraschung, denn auf Mindanao gibt man sich sonst eher zurückhaltend bis abweisend oder gar feindselig. Am Hafen abends ein kleiner Nachtmarkt, an dem Studenten, Familien und Pärchen flanieren. Kleine Buden schenken Alkohol aus, kein böser Blick trübt die Stimmung, auch wenn hier kriminelle Drogenbanden agieren sollen. Shabu (Crystal Meth) und Rugby (Klebstoff) sind weit verbreitet in der Bevölkerung und selbst mexikanische Kartelle verdienen mit. Drei tote Schweizer innerhalb von nur wenigen Tagen sorgten 2014 für internationale Schlagzeilen, ebenso wie der mumifizierte deutsche Segler im Frühjahr 2016, dessen Yacht nach einem tödlichen Herzinfarkt von einheimischen Fischern aufgebracht wurde. Surigao ist aber auch das Tor zu der boomenden Inselgruppe Siargao do Norte, wo sich der legendäre Surfspot Cloud 9 findet. Hier am äußersten Ende des Westpazifiks liegt einer der schönsten Orte der Philippinen, noch immer ursprünglich und von der großen Politik bisher weitgehend verschont. In Davao City, mit rund 1,5 Millionen Einwohnern die drittgrößte Stadt der Philippinen, hat Bürgermeister Rodrigo Duterte mit eisernem Besen durchgekehrt und gilt seitdem als ernsthafter Kandidat für die philippinische Präsidentschaftswahl 2016. Die Kriminalitätsrate zählt zu den niedrigsten in philippinischen Städten, aber am Karfreitag diesen Jahres wurde auch hier im tiefen Süden ein geplanter Terroranschlag nur knapp verhindert. Die Präsenz von Sicherheitskräften und Polizei dominiert vielerorts das Straßenbild, so dass sich in der Region viele Rentner oder Auswanderer aus den USA und Australien niedergelassen haben, deren Kaufkraft hoch geschätzt wird. Ebenso sind viele Unternehmen aus der IT-Branche am Golf von Davao vertreten, man spricht bereits von einem Silicon Gulf. Unabhängige Journalisten betreiben in der Metropole auch das Mindanao News and Information Cooperative Center (MNICC), in dem über den laufenden Friedensprozess und tagesaktuelle politische Themen referiert wird. Die leidenschaftlichen Reporter sehen in ihrer Heimat Mindanao eine kulturell vielfältige Region und berichten auch über die vielen positiven Aspekte der oft schlecht beleumundeten Insel. In der ARMM (Autonomous Region in Muslim Mindanao, 1989 gegründet) im Westen von Mindanao herrscht Teilautonomie - die Bevölkerung ist hier überwiegend moslemischen Glaubens. Einen traurigen Höhepunkt erreichte der Terror im Jahre 2009 mit einem Massaker in der Provinz Maguindanao, bei dem im Zusammenhang mit einer Wahl mindestens 46 Menschen ermordet wurden. Laut Human Rights Watch wurden im Anschluss Zeugen ermordet und massiv eingeschüchtert. Die wirtschaftliche Entwicklung in der ARMM zeigt sich bis heute zutiefst bescheiden, trotz der immensen Rohstoffvorkommen auf Mindanao. Wirtschaftsexperten und
ausländische Investoren gehen von einem Volumen von bis zu 800 Milliarden US Dollar aus, wenn Gold, Öl, Nickel, Kupfer, Mangan, Chrom abgebaut werden könnten. So stehen hinter dem jüngsten Friedensabkommen (Bangsamoro-Abkommen) von 2014 zwischen MILF und Zentralregierung in Manila auch handfeste ökonomische und geostrategische Interessen. Von dem Abbau mineralischer Rohstoffe profitieren nicht nur moslemische Rebellen, auch globale Konzerne und mächtige Clans von Sino-Filipinos, deren Stammbaum bis nach China reicht und die auf den Philippinen fast uneingeschränkt die Wirtschaft kontrollieren. Davon unbeeindruckt berichten einheimische Medien auch 2016 immer noch über Sprengstoffanschläge oder abgeschnittene Köpfe von widerspenstigen Dorfvorstehern in Zamboanga oder Basilan. Die lokalen Kriegsherren unterhalten in der ARMM weiterhin ihre Privatmilizen – eine lang gewachsene Kultur der Gewalt und Straflosigkeit wird nicht alleine durch ein Stück Papier beendet. Copyright Ralf Falbe 2016