Unternehmen Start-ups
Osmoblue Strom aus Abluft «Wir kommen nicht aus der Branche», sagt Elodie Dahan, eine der vier Gründerinnen und Gründer von Osmoblue. «Deshalb sind wir anders an das Problem herangegangen, um Osmose für die Stromerzeugung zu nutzen.» Lediglich Wasserkraft und Abwärme der Industrie benötigt das junge Start-up aus Lausanne, um wirtschaftlich Strom zu erzeugen. Es baut auf eine bekannte Technologie und eine neue Idee: Der Prozess wird durch ein von Osmoblue entwickeltes und patentiertes Molekül angetrieben, das bei geringen Temperaturen wieder regeneriert wird. «Wir verwenden Abwärme von knapp 30 Grad, die in der Papier-, Zement- oder Petroindustrie anfällt», sagt Dahan. Heute verpufft diese Abwärme. Doch dank den Osmoblue-Anlagen lässt sich damit eine Leistung von bis zu einem Megawatt erbringen. Im Moment arbeitet das Team an einem Prototyp und ist auf der Suche nach einem Industriepartner, der die Anlagen später fertigt. Dann steht die Suche nach Investoren auf dem Programm, denn bisher finanzierte sich das Start-up durch Preise und Unterstützung von Stiftungen. Dass sie überhaupt so weit gekommen sind und eine erste Finanzierung gefunden haben, wertet Elodie Dahan als die grössten Erfolge. Oliver Klaffke
Elodie Dahan
Firma : Osmoblue // Geschäftsidee: Stromerzeugung mit Osmose und Abwärme // Sitz: Lausanne // Gründer: Elodie Dahan, Anna Laromaine, Brian Hutchison, Nicolas Abelé // Gegründet: Februar 2013 // Mitarbeiter: 3 //Unternehmenswert: niedriger einstelliger Millionenbetrag* // Umsatzziel 2014: 0 //Profitabel ab: 2017 * Schätzung BILANZ
Die Zukunftsmacher Start-ups von heute können die Milliardenkonzerne von morgen werden. Mit der Bereitstellung von Risikokapital tut sich die Schweiz schwer. MARC KOWALSKY TEXT / DAN CERMAK FOTOS
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Dacadoo Gesundheit in Zahlen «Das Schwierigste war es, das Ganze einfach zu machen», sagt Peter Ohnemus. «Etwas so Komplexes wie den Gesundheitszustand auf eine Zahl herunterzubrechen, ist eine riesige Herausforderung.» Zwei Jahre forschte er daran, simulierte mit 80 Millionen Mannjahren Daten, investierte 20 Millionen Franken aus seinem Privatvermögen, das er als Seriengründer und CEO (unter anderem SQL, Fantastic, Asset4) angesammelt hatte. Und irgendwann hatte er die richtige Formel gefunden für das Health Score: eine Zahl zwischen 1 und 1000, errechnet aus mindestens vier und maximal über hundert Einzelparametern, die der Benutzer selber eingibt oder mittels Fitnessarmband automatisch erhebt. Nicht weniger als 100 000 User in 40 Ländern verfolgen ihr persönliches Score inzwischen auf der DacadooApp, bis Ende Jahr sollen es 250 000 sein. Dafür zahlen sie jeden Monat 4.99 – in ihrer jeweiligen Landeswährung. Wobei meistens der Arbeitgeber zahlt. «Wir gehen bewusst die grössten tausend Firmen der Welt an», sagt Ohnemus. Die Swiss Re etwa zählt zu seinen Kunden und demnächst auch der Elektronikgigant Samsung. Das höchste gemessene Health Score hält übrigens ein Triathlon-Champion mit 923. Ohnemus liegt bei 669. «Ich habe zu viel geraucht», seufzt der Seriengründer. MKY Firma: Dacadoo // Geschäftsidee: Messung des Gesundheitszustandes // Sitz: Zürich // Gründer: Peter Ohnemus // Gegründet: Januar 2010 // Mitarbeiter: 28 // Unternehmenswert: 20 bis 30 Millionen Franken* // Umsatzziel 2014: 10 bis 15 Millionen Franken // Profitabel ab: 2015 * Schätzung BILANZ
Peter Ohnemus
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Unternehmen Start-ups
Die Schweizer Gründerszene boomt. Seit dem Jahr 2004 hat sich die Zahl der Start-ups beinahe verdreifacht.
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ürich Schwamendingen, ein dreistöckiger Bau im Gewerbegebiet direkt neben der Autobahn. Bis vor zwei Jahren diente er als Verkaufs- und Servicepunkt der Amag. Jetzt stehen auf den 1200 Quadratmetern, wo einst VWBusse, Wohnmobile und Lieferwagen ausgestellt waren, Schreibtische dicht an dicht. In den Ecken hängen Flachbildschirme, stehen Pausentische und Töggelikästen. Dazwischen mit Filzstellwänden abgeschirmte Besprechungsnischen. Hier also sollen die neuen Hoffnungsträger der Schweizer Wirtschaft entstehen. «Wir bieten Jungfirmen das erste Büro, das nicht nach WG oder Starbucks aussieht», sagt Gert Christen, CEO von BlueLion. Die Stiftung, benannt nach dem Zürcher Wappentier, fördert Startups aus der ICT- und Cleantech-Branche, mit Büroinfrastruktur, einem Sekretariatsteam und systematischem Coaching. «Keiner ist weiter als 20 Meter von seinem Coach entfernt», sagt Christen. Derzeit arbeiten hier 75 hoffnungsvolle Junggründer in 36 Start-ups: Skybotix, ein ETH-Spin-off, entwickelt Drohnen, die auch innerhalb von Gebäuden ferngesteuert werden können. Eaternity baut eine Datenbank, mit der Grossküchen ihre Rezepte auf CO2-Vermeidung optimieren. Shrebo baut eine Internetplattform, mit der andere Firmen SharingModelle implementieren können. In den nächsten drei Jahren, wenn alles gut geht, haben diese Jungunternehmen zuerst einen funktionierenden Protoyp, dann zahlende Kunden, Umsatzwachstum und eine Finanzierung für die Selbständigkeit. Die Nachfrage nach dem Inkubator ist gross. Jeden vierten Bewerber lehnt Christen derzeit ab, in Zukunft werden es mehr sein: «Wir müssen noch
strenger werden, die Ansprüche nach oben schrauben», sagt er. Kein Wunder, denn die Schweizer Gründerszene boomt. «In den letzten zehn Jahren hat die Anzahl Start-ups jedes Jahr um über zehn Prozent zugenommen», sagt Beat Schillig, Gründer des Instituts für Jungunternehmen (IFJ). Das bedeutet also rund eine Verdreifachung seit 2004. Auch die Gründungszahlen im Handelsregister befinden sich derzeit auf einem Allzeithoch. Diese beinhalten freilich auch jeden neuen Coiffeursalon, Pizzaservice oder Sanitärbetrieb. Zahlen nur für die Hightechbranche gibt es nicht. Doch auch sonst weisen alle Indikatoren nach oben: «Früher gab es an der ETH vielleicht acht Spin-offs pro Jahr, heute sind es mehr als zwei Dutzend», sagt Schillig. Das Förderprogramm Venture Kick verzeichnet 50 Prozent mehr Anmeldungen als im Vorjahr. Der Seriengründer. Den Aufwind kann auch Peter Ohnemus bestätigen. Er ist seit 25 Jahren das, was man einen «Serial Entrepreneur» nennt: Er gründet Firmen, etwa Asset4, The Fantastic Corporation oder Dacadoo (siehe Seite 29). «Es ist immer einfacher, schneller und kostengünstiger geworden, eine Firma aufzubauen», sagt er aus Erfahrung. Kostete es früher etwa ein Vermögen, für ein E-Commerce-Start-up einen Webshop zu entwickeln, kann man diesen heute als Standardmodul bestellen. Server kauft man nicht mehr selber, sondern mietet einfach die notwendige Kapazität im Rechenzentrum. Vor allem aber liegt der Boom daran, dass die Start-ups in der Schweiz heute in nie da gewesenem Ausmass gefördert werden: Bund, Kantone und Städte wie Zürich, Genf oder Lausanne, Kantonalbanken, Universitäten, die staatsnahen Swisscom, Post und SBB, Grosskonzerne wie ABB oder Novartis, private Stif- !
Geosatis Virtueller Knast Ein Genfer Gefängnisdirektor war Geburtshelfer des Start-ups Geosatis in Le Noirmont JU: Seine Haftanstalt war überfüllt. Neben Schwerverbrechern, die für die Öffentlichkeit eine Gefahr bedeuteten, sässen eher harmlose Gesetzesbrecher ein, die den knappen Platz belegten, klagte er José Demétrio. Dessen Idee: GPS und Sensoren in Fussfesseln, die auf elektronischen Karten immer zeigen, wo sich der Delinquent aufhält. «Je nachdem, welche Auflagen ein Richter verfügt hat, wird automatisch Alarm ausgelöst, wenn sich ein Freigänger einem Flughafen nähert oder die Stadt verlässt», sagt Demétrio. Das Prinzip ist schon älter – doch die GeosatisFussfesseln erkennen, wenn man sie abnehmen oder per Funk austricksen will. Mit den GPS-Fussfesseln spart der Staat Geld, denn die Geosatis-Überwachung kos-
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Marc Gitzinger (l.), Marcel Tigges. Marcel Tigges (l.), Marc Gitzinger.
José Demétrio (l.), Urs Hunkeler.
tet nur knapp 1000 Franken pro Monat – einen Häftling unterzubringen, hingegen 8500 Franken. Entsprechend gross ist das Interesse: In fast allen Schweizer Kantonen laufen Pilotversuche. Südafrika hat gerade Fussfesseln für fast drei Millionen Franken bei Geosatis bestellt. In den USA hat die Firma eine Vertretung gefunden. Der Markt für die Geosatis-Lösung ist riesig: «In Europa gibt es 100 Millionen Häftlinge», so Demétrio. Knapp die Hälfte könnte die Fussfesseln tragen. Oliver Klaffke Firma: Geosatis // Geschäftsidee: intelligente Fussfesseln für Straftäter // Sitz: Le Noirmont JU // Gründer: José Demétrio, Urs Hunkeler // Gegründet: September 2011 // Mitarbeiter: 13 // Unternehmenswert: rund 15 Millionen Franken* // Umsatz 2014: rund 3 Millionen Franken // Profitabel ab: 2015 * Schätzung BILANZ
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BioVersys Zeitmaschine für Antibiotika Es ist eines der grössten Probleme der modernen Medizin: Antibiotika verlieren mit der Zeit ihre Wirkung. Heute versagt zum Beispiel bei fast 30 Prozent aller Tuberkulosefälle die Standardbehandlung, weil die Bakterien Resistenzen entwickelt haben. BioVersys hat ein Gegenmittel gefunden. «Wir stellen die Uhr der Resistenzentwicklung wieder auf null», sagt Marc Gitzinger – so, als hätten sich die Erreger den Medikamenten noch gar nicht angepasst. Der Wirkstoff, den BioVersys entwickelt hat, verhindert die Produktion der Resistenzstoffe. «Das ist ein komplett neuer Ansatz beim Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen», sagt der CEO und einer der drei Gründer des Basler Biotech-Start-ups: «Man muss die alten Behandlungen wieder wirkungsvoll machen.»
Seit Mai 2014 arbeitet BioVersys mit der globalen Nummer sieben von Big Pharma, GlaxoSmithKline, und der Universität Lille an Tests für die präklinische Phase. In letzter Zeit sind zwar Konkurrenten aufgetaucht. Doch die Schweizer haben einen Vorsprung. Ihre Technologieplattform nutzen sie auch, um die Resistenzen von Krankenhauskeimen auszuschalten. Eine Proof-of-ConceptStudie ist der nächste Schritt. Oliver Klaffke Firma: BioVersys // Geschäftsidee: Mittel gegen Antibiotika-Resistenzen // Sitz: Basel // Gründer: Marc Gitzinger, Marcel Tigges, Martin Fussenegger // Gegründet: September 2008 // Mitarbeiter: 10 // Unternehmenswert: hoher einstelliger Millionenbetrag* // Umsatzziel: 2014: 0* // Profitabel: bis auf weiteres nicht* * Schätzung BILANZ
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Unternehmen Start-ups
In der Schweiz gibt es bald mehr Supportorganisationen und Unternehmerpreise als gute Start-ups.
tungen und wohlhabende Einzelpersonen stellen die Infrastruktur, helfen mit Know-how und Kontakten, sprechen Fördergelder, beteiligen sich. «In der Schweiz gibt es bald mehr Supportorganisationen und Unternehmerpreise als gute Start-ups»: Dieses Bonmot kursiert in der Szene. Jean-Pierre Vuilleumier, Direktor der Venture-Plattform CTI Invest, spricht gar von einer «totalen Zersplitterung des Supports», unter der die Qualität leide. Doch langsam tragen die jahrelangen Bemühungen Früchte. Wie etwa bei HouseTrip aus Lausanne. Die 2009 gegründete Internetplattform hat inzwischen über sieben Millionen Übernachtungen in Privatwohnungen vermittelt. Weit über 200 Personen beschäftigt die Firma mit Büros in London und Lissabon und soll bereits eine Milliarde Franken wert sein. Und der Zürcher Onlinedienst GetYourGuide, der mit über 100 Mitarbeitenden Nebenleistungen für Reisen verkauft, konnte gerade bei den renommierten amerikanischen Beteiligungsgesellschaften Spark Capital und Highland Capital 25 Millionen Dollar einsammeln. «Wir sind international konkurrenzfähig, unsere Start-ups spielen in der obersten Liga mit», sagt Beat Schillig. Fakt ist aber auch: Die grossen Exits, die Börsengänge, die Milliardenverkäufe bleiben aus, gerade in der Internetszene. Als eines von wenigen Unternehmen hat es Kooaba geschafft. Die auf Bilderkennung spezialisierte Zürcher Firma wurde im Januar an den amerikanischen Chiphersteller Qualcomm verkauft, für einen zweistelligen Millionenbetrag. Preistreibend wirkte, dass auch Apple an der Technologie interessiert war; Qualcomm hatte aber wegen eines vor Jahren gegebenen Förderkredites das Vorkaufsrecht. «In der Schweiz einen Exit zu machen, ist schwierig, weil es hier keine global erfolgreichen Internetfirmen gibt und !
damit keine möglichen Käufer. Die sind alle in Übersee», sagt Till Quack, Mitgründer und zuletzt Chef der Firma. «Als Schweizer muss man überdurchschnittlich gut sein, um auf deren Radar zu kommen.» Kooaba suchte von Anfang an gezielt Kontakte im Silicon Valley, trat an internationalen Konferenzen auf, schuf sich über Jahre ein Netzwerk. «Auch wenn man anfangs Absagen bekam: Es hat sich gelohnt für Kunden, Partnerschaften, Akquisitionen», sagt Quack. Hotspot Pharma. Anders sieht es aus in der Life-Sciences-Branche. In den Bereichen Pharma, Biotech und Medizinaltechnik ist in der Schweiz ein regelrechter Hotspot entstanden – auch dank den hiesigen Pharmariesen. Von einem der «Top-3-Cluster weltweit» spricht gar Dominique Mégret, der die Start-upInvestments der Swisscom verantwortet. So ging die Biotech-Firma EsbaTech, die sich auf die Entwicklung von Antikörpern spezialisiert hatte, 2009 für 590 Millionen Dollar an Novartis. Konkurrent Roche hatte bereits vier Jahre zuvor das ETHSpin-off Glycart, der in einem ähnlichen Gebiet tätig ist, für 235 Millionen Franken übernommen. Der deutsche Pharmakonzern Merz soll für die Lausanner Neocutis, die sich auf Hautpflegeprodukte spezialisiert hat, letztes Jahr ebenfalls einen dreistelligen Millionenbetrag hingelegt haben. Anfang August ging Auris Medical aus Zug an die Börse. Die Firma, die auf Tinnitus-Medikamente spezialisiert ist, konnte letztes Jahr die mit 47 Millionen Franken grösste Finanzierungsrunde der Schweiz sicherstellen. Heute wird die Firma mit 200 Millionen Dollar bewertet – an der Nasdaq. Denn auch das ist hier ein Standortnachteil: Für den Verkauf an das breite Publikum fehlt eine Technologiebörse wie die amerikanische Nasdaq. An der regulären Schweizer Börse tun sich Jungunternehmen aus der Hightechbran- !
Climeworks Climeworks CO Die2 Gasbarone entsorgen Es klingt wie im Märchen: Die Zürcher Firma Climeworks kann CO2 aus der Luft fischen. Die Innovation von Christoph Gebald und Jan Wurzbacher besteht aus einem Molekül, das CO2 in einem Filter einfängt, wo es sich mit geringem Energieaufwand (etwa aus einer Solaranlage) auswaschen lässt. Dann lässt sich das Kolendioxyd verpressen und im Erdboden entsorgen. «Die Anlage ist ein Plug-&-Play-Modul mit den Dimensionen eines Containers und kann einfach installiert werden», sagt Gebald. Statt auf Ökologieprojekte konzentriert sich Climeworks vorerst aber auf umweltfreundliche Industrieanwendungen. Denn CO2 ist ein gefragtes Gas, etwa in der Getränkeindustrie. Mit Coca-Cola arbeitet das Start-up schon zusammen. Auch als Treibstoffquelle dient CO2. Kein Wunder, interes-
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Javier Agüera
Christoph Gebald (l.), Jan Wurzbacher.
siert sich der Autobauer Audi für die Zürcher Technologie. Mit ihr lässt sich klimaneutraler Treibstoff herstellen: Kohlendioxyd und Wasser werden mit Energie aus Sonnenkraft oder Abwärme zu Methan. Damit kann man einen Motor betreiben, ein Haus heizen oder Strom erzeugen. «Mit CO2 lässt sich deshalb nachhaltige Energie speichern», sagt Gebald. «Das Marktpotenzial ist riesig.» Jetzt braucht Climeworks eine Industriehalle mit belastbarem Boden und einem Deckenkran für die erste Grossanlage. Oliver Klaffke Firma: Climeworks // Geschäftsidee: CO2 als Energiequelle nutzen // Sitz: Zürich // Gründer: Jan Wurzbacher, Christoph Gebald // Gegründet: November 2009 // Mitarbeiter: 14 // Unternehmenswert: hoher einstelliger Millionenbetrag* // Umsatzziel 2014: mittlerer sechsstelliger Betrag // Profitabel ab: 2016 * Schätzung BILANZ
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SGP Technologies Climeworks Im Dienste DiePrivatsphäre Gasbarone der «Edward Snowden ist unser bester Werbeträger», sagt Javier Agüera. «Er hat die weltweite Aufmerksamkeit darauf gelenkt, wie die Geheimdienste ihre Bürger ausspionieren.» Und auch sonst wird den Leuten der Wert ihrer Daten immer mehr bewusst. So war das erste Produkt des Start-ups in kürzester Zeit ausverkauft: ein abhörsicheres Handy unter dem Namen Blackphone für 629 Dollar – der holländische Carrier KPN bestellte gleich Hunderttausende Geräte. Inzwischen ist das zweite Modell erhältlich, weitere Produkte, auch Tablets, sollen folgen. SGP Technologies ist kein typisches Schweizer Start-up, denn die Muttergesellschaften Geeksphone (Telefonhardware) und Silent Circle (Verschlüsselungssoftware) sind spanisch bzw. amerikanisch. Doch CEO Agüera und sein Team wählten bewusst Genf
als Standort für die Gründung. Zuvor hatten sie 80 andere Länder geprüft auf die Gesetze, den Datenschutz, die Einhaltung der Menschenrechte. 30 Mitarbeiter hat SGP Technologies derzeit, bis Ende 2014 sollen es doppelt so viele sein. Gerade zieht die Firma vom Genfer Stadtzentrum in ein grösseres Büro am Flughafen. Viel schneller wachsen geht nicht. «Der ganze Rekrutierungsprozess ist sehr aufwendig», sagt Agüera. «Wir müssen aufpassen, dass uns die Geheimdienste keinen Maulwurf ins Team schmuggeln.» MKY Firma: SGP Technologies // Geschäftsidee: abhörsichere Handys // Sitz: Genf // Gründer: Mike Janke, Jon Callas, Phil Zimmermann, Rodrigo Silva Ramos, Ana Gay Puente, Javier Agüera // Gegründet: Februar 2014 // Mitarbeiter: 30 // Unternehmenswert: dreistelliger Millionenbetrag* // Umsatzziel 2014: zwei- bis dreistelliger Millionenbetrag // Profitabel ab: 2016 * Schätzung BILANZ
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Unternehmen Start-ups
Die Schweiz hat sehr viele Millionäre. Etliche sind in Risikokapital investiert – aber nicht in der Schweiz.
che schwer, wie der misslungene Börsengang des Internetreiseanbieters Bravofly Rumbo zeigt: Seit dem IPO im April verlor die Aktie über die Hälfte ihres Wertes. Andere Probleme sind hausgemacht. «Wenn man die Nummer eins werden will, muss man grosse Risiken eingehen, auch mal auf einen Schlag 200 Mitarbeiter anstellen. Das traut man sich hier nicht», sagt Nicolas Berg, der seit den neunziger Jahren in der Schweizer Startup-Szene mitmischt und heute als Mitbegründer von Redalpine einer der wichtigsten Venture Capitalists (VCs) des Landes ist. «Manchmal ist es mir zu gemütlich hier», sagt auch BlueLion-Chef Gert Christen, der zehn Jahre in Asien, Nord- und Südamerika gearbeitet hat. «Es reicht dem Schweizer, fünf Prozent besser zu sein als sein Konkurrent.» Google-Gründer Larry Page hat seinem Konzern den Faktor «10×» verordnet. Alles muss zehnmal grösser, besser, schneller sein, damit es wirklich relevant ist. Dieses «Dream Big» fehlt den meisten Schweizern. !
«Dream Big» fehlt der Schweiz. Auch den Geldgebern. «WhatsApp hätten wir auch in der Schweiz machen können, die Idee hatten ja viele. Aber hier bekommt man nicht einfach 60 Millionen an Risikokapital», sagt Mégret. Andere Start-ups werden trotz guter Businessidee und ersten Erfolgen von der finanzkräftigen ausländischen Konkurrenz überholt – etwa der Zürcher Webclipping-Dienst Memonic, der gegen die amerikanische Evernote am Markt keine Chance hatte und daraufhin sein Geschäftsmodell ändern musste. «In Bezug auf Kapital sind wir nirgendwo», sagt auch Mehrfachgründer Nicolas Berg. Die Finanzkrise hat eine schwere Delle in der sowieso schon bescheidenen Investitionsfreudigkeit der Schweizer Investoren hinterlassen (siehe
«Spuren der Finanzkrise» auf Seite 39). Vergangenes Jahr wurden in der Schweiz rund 260 Millionen Franken an Risikokapital investiert – im Silicon Valley waren es allein im letzten Quartal 7,1 Milliarden Dollar! Die ersten hunderttausend Franken, sogenanntes Seed Money, sind hierzulande noch leicht zu bekommen, sehr leicht sogar. «Ich sehe viele Fälle, die Geld erhalten, wo ich keines geben würde. Es wird zu wenig selektioniert», sagt der 33-jährige Zürcher Dominik Grolimund, der mit Caleido, Wuala und Silp bereits drei erfolgreiche Start-ups in seinem Lebenslauf hat. Danach wird es zunehmend problematisch. «Finanzierungsrunden über eine Million sind hierzulande sehr schwierig, über zehn Millionen fast unmöglich», sagt Jean-Pierre Vuilleumier von CTI Invest. Kein Wunder, holte GetYourGuide ihre 25 Millionen Dollar in den USA. Wäre die Firma bereit gewesen, ins Silicon Valley zu ziehen, hätte Sequoia, einer der renommiertesten amerikanischen VCs, noch mehr Geld gegeben. Auch HouseTrip bekam ihre insgesamt 60 Millionen Franken an Risikokapital vorwiegend aus den USA. In der EU schliesst die Europäische Investmentbank (EIB) die Lücke. Sie vergibt fast 40 Prozent aller Venture-Gelder, indem sie private Investments macht. Das Geld muss zu 80 Prozent im EURaum investiert werden. Zudem fördern die einzelnen Regierungen ihre nationalen Hoffnungsträger durch Zukunftsfonds. Ein Schweizer Pendant fehlt jeweils. «Der Staat pumpt Milliarden in die ETH, aber investiert nichts in die Startups, die daraus entstehen», stellt Vuilleumier besorgt fest. Auch Pensionskassen dürfen hierzulande noch nicht in Jungunternehmen investieren (siehe «Geld aus der 2. Säule» auf Seite 38). Es ist paradox: Die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt, sie hat !
Glycemicon Mit Säure gegen Zucker Weil es immer mehr Dicke gibt, werden die Konten der Glycemicon-Shareholder ziemlich fett. Das ETH-Spin-off hat eine natürlich vorkommende Gallensäure gefunden, die das Fettgewebe von Menschen umbaut. Sie bekommen keinen Alterszucker mehr. «Wir können die Säure im Labor herstellen», sagt Co-Gründerin Nadja Mrosek. Damit lässt sich «Medical Food» herstellen, um Diabetes des Typs II zu behandeln und zu verhindern. «Diabetes wird zu einer immer massiveren Belastung für unser Gesundheitssystem», sagt sie. In 25 Jahren werden knapp 600 Millionen Menschen weltweit daran erkrankt sein. Weil die Glycemicon-Gallensäure im Essen natürlich vorkommt, gelten lockere Zulassungsregeln. Zwei kleinere klinische Studien – dann ist der Weg frei. Im Vergleich mit
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Susanne Wolfrum (l.), Nadja Mrosek.
L.E.S.S. Röhren für den Durchblick Medikamenten kostet die Entwicklung nur ein Zehntel. Investoren finden die Idee super: Bisher haben die Wissenschaftler 1,1 Millionen Franken vor allem bei Stiftungen eingesammelt. Die erste Finanzierungsrunde für Investoren läuft gerade: Etwa 2,5 Millionen Franken sucht Glycemicon für die nächsten Studien. Elf Millionen Franken Umsatz sollen die ersten 20 000 Patienten in die Kasse spülen – in vier Jahren. Oliver Klaffke Firma: Glycemicon // Geschäftsidee: natürliche Gallensäure zur Prävention und Behandlung von Diabetes // Sitz: Schwerzenbach ZH // Gründer: Peter Harboe-Schmidt, Nadja Mrosek, Susanne Wolfrum, Erick Carreira, Christian Wolfrum, Riccardo Cribiu // Gegründet: Januar 2013 // Mitarbeiter: 5 // Unternehmenswert: 5–6 Millionen* // Umsatzziel 2014: 0 // Profitabel ab: 2019 * Schätzung BILANZ
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Hunderte Millionen Menschen starren jeden Tag auf das Display ihres Smartphones oder Tablets. Light Efficient System SA (L.E.S.S.) will dafür sorgen, dass sie dabei ein bisschen klarer sehen. Stolze 800 000 Franken an Innovationspreisen hat das Lausanner Start-up bereits erhalten. Die Gründer Yann Tissot und Simon Rivier haben eine leuchtende Glasfaser entwickelt, die den bisher in den Hintergrundbeleuchtungen verwendeten LED überlegen ist. Der Markt wird auf sieben Milliarden Dollar geschätzt, bereits arbeitet L.E.S.S. mit einem der Grossen der Branche. Das Fundament legten die beiden Brainies mit ihren Doktorarbeiten über Photonik und nichtlineare Physik. «Unsere flexiblen Neonröhren mit dem Durchmesser eines Haares produzieren sehr helles und vor allem
Simon Rivier (l.), Yann Tissot.
homogenes Licht», sagt Tissot. Das braucht man bei der Qualitätskontrolle, ihrem zweiten angepeilten Markt; etwa in der Uhrenindustrie. In Japan hat Hitachi den Vertrieb übernommen. Jetzt wird Deutschland angestrebt – auch die Automobilindustrie und deren Zulieferer sind auf gute Beleuchtung angewiesen. Hier wartet eine weitere Milliarde Dollar weltweites Marktpotenzial. Damit das Licht nicht vorher ausgeht, sucht das Start-up noch 20 Millionen Dollar für die nächsten drei Jahre. Oliver Klaffke Firma: L.E.S.S. // Geschäftsidee: Glasfasern für Beleuchtungssysteme // Sitz: Lausanne // Gründer: Yann Tissot, Simon Rivier // Gegründet: Juli 2012 // Mitarbeitende: 5 // Umsatzziel 2014: 0 // Unternehmenswert: niedriger zweistelliger Millionenbereich* // Profitabel ab: Januar 2015 * Schätzung BILANZ
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die zweithöchste Millionärsdichte. Viele sind stark investiert in Risikokapital. «Aber sie sind es nicht in der Schweiz, sondern bei Kleiner Perkins, Benchmark oder einem anderen amerikanischen Fonds», hat Peter Ohnemus von Dacadoo festgestellt. «Das wird langsam fatal.» Und während in Deutschland regelmässig private Investment Circles stattfinden, in denen sich die wohlhabenden Unternehmerfamilien, die Porsches, Quandts (BMW) oder Maschmeyers (AWD), für Beteiligungen überbieten, steht hierzulande kaum ein Millionär hinter Schweizer Jungunternehmern. Klar, Ex-UBS-Chef Marcel Ospel ist an Centralway beteiligt, dem Inkubator des Risikokapitalgebers Martin Saidler. Roche-Erbe André Hoffmann will mit seiner Beteiligung am Förderprogramm Venture Kick gar ein Zeichen setzen. Henri B. Meier (früher bei Roche) und Willy Michel (Ypsomed) haben ihre eigenen Investmentvehikel, Ernesto Bertarelli (ehemals Serono) und Hansjörg Wyss (früher Synthes) fördern den Biotech-Campus in Genf, Stephan Schmidheiny wirkt über seine Avina Stiftung. Aber: «Von den 330 000 Millionären in der Schweiz wären 2000 fähig und willig, Angel Investor zu sein», sagt Berg. «Es gibt wohl nur einige hundert, und die machen es sehr leise», vermutet Florian Schweitzer, Gründer der Investorenvereinigung BrainsToVentures. Die Signalwirkung fehlt. Dazu passt, dass die Auszeichnung als Business Angel des Jahres 2013 an eine unbekannte Person vergeben werden musste – der Preisträger weigerte sich, öffentlich als Investor aufzutreten. «Das würde in den USA nie passieren», sagt Schweitzer. Dort sind erfolgreiche Investoren wie Peter Thiel oder der ehemalige Netscape-Gründer Marc Andreessen gefeierte Stars.
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Teures Pflaster. Der Mangel an Kapital und die Zurückhaltung des Geldadels sind umso fataler, als die Schweiz für Jungfirmen ein teures Pflaster ist. «In Berlin braucht man gefühlt die Hälfte des Budgets, dort kostet der Quadratmeter Büro acht Euro im Monat und ein Support-Mitarbeiter 2000 Euro», sagt Conny Boersch, der mit seiner Firma Mountain Partners in Wädenswil einer der aktivsten Investoren der Schweiz ist, aber seine Beteiligungen aus diesem Grund fast ausschliesslich in Deutschland sucht. !
Starmind Google für Grosse «Ich verkaufe künstliche Gehirne», sagt Pascal Kaufmann. «Mit diesem Spruch macht man an der Bar was her!» Tatsächlich studierte der 36-jährige Meilemer Gehirnforschung an der ETH, und tatsächlich verkauft er Gehirne – aus Glas, von innen mit Laserstrahlen und Schlagworten angestrahlt. Die dienen aber nur zur Demonstration. Geld macht seine Firma Starmind mit Software, die das Wissen innerhalb eines Unternehmens selbständig katalogisiert – eine Art Google für Grosskonzerne. Mehr als 20 davon, von UBS über Bayer bis Swisscom, haben das System im Einsatz, für jeden der über 100 000 angeschlossenen Mitarbeiter kassiert Starmind zwei bis drei Franken pro Monat. «Wir sind sehr untypisch schweizerisch», sagt Kaufmann. Profitabilität interessiert
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Martin Fengler
Marc Vontobel (l.), Pascal Kaufmann.
ihn derzeit nicht, stattdessen will er schnellstmöglich Marktanteile gewinnen. Bereits hat die Firma Niederlassungen in London und Frankfurt; Singapur und die USA sollen folgen. Leisten kann man es sich, denn Starmind zählt namhafte CEOs und Wirtschaftsgrössen zu ihren Aktionären. Dafür kann das Start-up – ebenfalls untypisch – auf Venture Capital verzichten. «Wir lassen uns nicht herumkommandieren», sagt Kaufmann. MKY Firma: Starmind // Geschäftsidee: Software für Wissensmanagement // Sitz: Zürich // Gründer: Pascal Kaufmann, Marc Vontobel // Gegründet: Mai 2010 // Mitarbeiter: 40 // Unternehmenswert: hoher zweistelliger Millionenbetrag* // Umsatzziel 2014: hoher einstelliger Millionenbetrag // Profitabel ab: 2015 * Schätzung BILANZ
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Meteomatics Fliegende Wetterstationen Wettervorhersagen werden besser, wenn man Temperatur, Wind und Feuchtigkeit bis in zwei Kilometer Höhe misst. Eine Selbstverständlichkeit – aber die Meteorologie ist dort blind, denn eine geeignete Technologie fehlt, um Daten in hoher Frequenz und Genauigkeit zu sammeln. Bisher. Denn genau das kann die von Meteomatics in St. Gallen entwickelte Wetterdrohne. «Die Daten in dieser Luftschicht sind sehr wichtig», sagt Martin Fengler, Gründer des Startups. Nebel, Hochnebel und Gewitter haben dort ihren Ursprung. Mit diesen Daten werden die Wettermodelle künftig viel bessere Vorhersagen liefern als bisher. Ein Milliardenmarkt: Allein in Deutschland sind fehlerhafte Prognosen jedes Jahr schuld an Schäden in Höhe von 200 Millionen Euro. «Fortschritte in der Prognosequa-
lität sind beispielsweise für unsere Kunden im Logistik-, Energie- und Trading-Sektor von grosser Bedeutung», sagt Fengler. Zusammen mit MeteoSchweiz, unterstützt vom Bundesamt für Zivilluftfahrt und mit Startfeld in St. Gallen, wurde die Drohnenidee entwickelt. Mehr als hundert Testflüge haben die Fluggeräte der Ostschweizer Wetterspezialisten inzwischen hinter sich gebracht. Damit sie so richtig abheben können, sucht Meteomatics noch einen strategischen Investor. Oliver Klaffke Firma: Meteomatics // Geschäftsidee: bessere Wettervorhersagen dank Meteodrohnen // Sitz: St. Gallen // Gründer: Martin Fengler // Gegründet: März 2012 // Mitarbeiter: 7 // Unternehmenswert: 12 Millionen Franken* // Umsatzziel 2014: 2 Millionen Franken* // Profitabel ab: Gründung * Schätzung BILANZ
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Unternehmen Start-ups
ARBEITSGRUPPE FÜR ZUKUNFTSFONDS
Geld aus der 2. Säule Umdenken in Bern: Bundesrat und Parlament ebnen den Weg, damit Pensionskassen in Zukunft vermehrt in Start-ups investieren können. Die Schweiz sei zwar weltweit führend, was Innovationen betrifft, sagt Fathi Derder. «Doch bei Gründungen innovativer KMUs schneiden wir schlecht ab.» Das will der FDP-Nationalrat ändern und hat bereits mehrere Vorstösse zum Thema eingereicht – bis anhin allerdings nur mit mässigem Erfolg. Doch jetzt zeichnet sich in Bundesbern ein Umdenken ab, Derder spricht gar von einer «kleinen Revolution». Denn Bundesrat und Parlament sind bereit, die Ursachen für die schwache Entwicklung von Unternehmensgründungen zu eruieren und die Förderprogramme der Nachbarländer zu analysieren. Weiter wollen sie prüfen, ob sie die Anlagerichtlinien für Pensionskassen ändern sollen, damit diese künftig mehr Geld in Start-ups investieren können. Nach dem Bundesrat und dem Ständerat dürfte im September auch der Nationalrat der entsprechenden Motion zustimmen. Konkret schwebt dem Motio-
när und CVP-Ständerät Konrad Graber die Schaffung eines Zukunftsfonds vor, über den Gelder aus der zweiten Säule in Jungunternehmen investiert werden könnten. Der Bundesrat will hierzu auch eine Arbeitsgruppe aus Vertretern des Bundesamtes für Sozialversicherungen und des Staatssekretariats für Wirtschaft einsetzen, die im August erstmals tagen soll. 670 Milliarden Franken. FDP-Politiker Derder hält den Zukunftsfonds für eine «ausgezeichnete Idee». Auch wenn nur fünf Prozent der rund 670 Milliarden Franken der Pensionskassengelder in Start-ups investiert würden, wäre der Effekt beachtlich. Heute seien die Vorsorgeeinrichtungen viel zu zurückhaltend. Besonders enttäuscht ist Derder von der Publica, der Pensionskasse des Bundes und der ETH, die nach heutigem Stand keinen einzigen Franken Rentengeld in Jungunternehmen investiert. Florence Vuichard
! Die deutsche Hauptstadt hat inzwischen ein ganzes Ökosystem für Start-ups entwickelt, das London als Nummer eins in Europa den Rang abläuft. Viele grosse ausländische Investoren haben dort mittlerweile ihren Jour fixe. Kein Wunder, hat der Dienstleistungsvermittler Mila sein Marketing von Zürich nach Berlin verlegt; ähnlich verhält es sich mit GetYourGuide. «Die Schweiz hat den Zug verpasst, trotz ihrer jahrhundertealten multikulturellen Kompetenz, hier ein internationales Start-up-Geschäft auszurollen», sagt Schweitzer. Aber es besteht Hoffnung. Dass Google ihr zweitgrösstes Entwicklungszentrum mit derzeit über 1200 Mitarbeitenden in Zürich betreibt, hat die Stadt auf die Landkarte der internationalen Tech-Szene gesetzt. «Das hat Signalkraft, es kommen immer mehr gute Softwareentwickler hierher», sagt BlueLionChef Christen. Denn an denen mangelt es bisher noch. «Wenn man wirklich schnell beschleunigt, muss man nach London oder ins Silicon Valley. In der Schweiz findet man nicht genug Leute», sagt Nicolas Berg. Auch von den Top-Gründern seien 75 Prozent Ausländer, schätzt Schillig: «Die Schweizer Start-up-Nationalmannschaft sieht genau gleich aus wie die FussballNati.» Die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative hilft der Szene gar nicht. «Viele ausländische Programmierer haben Angst bekommen und wollen sich nicht mehr bewerben», hat etwa
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«Mit gesunden und leistungsfähigen Mitarbeitenden ist ein Unternehmen langfristig erfolgreich.» Susanne Ruoff, CEO Schweizerische Post Gesundheitsförderung Schweiz gratuliert der Post zur Auszeichnung Friendly Work Space ®. Gesundheitsförderung Schweiz zeichnet Unternehmen aus, die sich für gute Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeitenden engagieren. Alle ausgezeichneten Firmen unter: www.friendlyworkspace.ch
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19.08.14 15:18
Florierende Branchen
Innovative Kantone
Spuren der Finanzkrise
Der Life-Sciences-Sektor beansprucht 276 Millionen Franken an Investitionskapital – zwei Drittel des schweizerischen Totals.
Während Basel ganz wesentlich von Life Sciences geprägt wird, ist Zürich in Sachen Start-ups am breitesten aufgestellt.
Seit dem Jahr 2008 dümpelt die Höhe des Risikokapitals in der Schweiz vor sich hin – erst letztes Jahr kam es zum Aufschwung.
6,6 Interdisziplinär
1,3 Healthcare IT
9,6 Verbraucherprodukte 29,9 Cleantech 91,3 Medtech
185,1 Biotech
18,3 ZG
91,5 Informatik und Kommunikation
14,9 Andere
600
114,2 ZH
24,0 BE
Millionen Euro Risikokapital: Spätstadium Start-up Seed
497
500 439
400 331
300
25,2 LU
Mio. Fr.
15,6 AG
227
Mio. Fr.
48,6 BS 64,8 GE
262 217
200 129
100
89,7 VD
2007
2008 2009
2010
2011
2012
2013
Quelle: Swiss Venture Capital Report 2013. © BILANZ-Grafik
Quelle: Swiss Venture Capital Report 2013. © BILANZ-Grafik
Quelle: EVCA. © BILANZ-Grafik
Dacadoo-Gründer Ohnemus festgestellt. Auch vom EU-Forschungsprogramm Horizon 2020 sind die Schweizer IT- und Medizinal-Start-ups ausgeschlossen. Klar ist aber auch: An eigenem Nachwuchs mangelt es nicht. «Junge Talente hat es genug, die Ausbildung an den Hochschulen ist super, hinzu kommen Denkfabriken wie das Paul Scherrer Institut oder die Forschungsabteilungen der grossen Konzerne», sagt Christen. «Jetzt ist die kritische Masse an Jungunternehmern da», sagt auch IFJ-Gründer Schillig: «Heute ist es viel sexier, ein Start-up zu gründen, als bei der UBS zu arbeiten.» In den Bereichen Biotech und Medtech sind die Zukunftsaussichten gut.
Aber auch da, wo die Schweizer Uhrenindustrie ihre Spuren hinterlassen hat: in der Nanotechnologie und der Mikrorobotik. «Wenn wir diese Stärken richtig kombinieren, ist die Schweiz dort Weltklasse», sagt der SwisscomMann Mégret.
folgreichen Exit. Vor knapp zehn Jahren begann die systematische Förderung von Start-ups in der Schweiz, etablierten sich die Universitäten als Firmenbrutstätten, professionalisierte sich die VentureCapital-Szene. «Heute haben wir eine hervorragende Pipeline an Start-ups», sagt Schillig. In den nächsten Jahren dürfte sich das auszuzahlen beginnen. Dann könnte auch aus der Schweiz ein Milliardenunternehmen kommen, auf das die Welt schaut. Vielleicht heisst es HouseTrip oder GetYourGuide, vielleicht auch L.E.S.S., Glycemicon oder Blackphone. Vielleicht entsteht es aber auch gerade erst in der dreistöckigen ehemaligen Autowerkstatt in Zürich Schwamendingen. "
Zehn Jahre bis zum Exit. Hoffnung besteht auf der Kapitalseite: «Bei vielen Family Offices um den Zürich- und den Genfersee kommen jetzt jüngere Leute ans Ruder, die den neuen Technologien offener gegenüberstehen», sagt Investor Conny Boersch: «Die haben sich Venture Capital auf die Agenda geschrieben.» Zehn Jahre dauert es im Schnitt von der Gründung einer Firma bis zum er-
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19.08.14 15:18