Interview vonCaroline Freigang 03.03.2016, http://www.handelszeitung.ch/unternehmen/viele-koennen-sich-ihre-praemien-bald-nicht-mehr-leisten-1003321
«Viele können sich ihre Prämien bald nicht mehr leisten»
Digitalisierung Krankenkassen stecken in der Krise: Hohe Kosten, wenig Effizienz und alte, analoge Systeme behindern die Branche. Dacadoo-Gründer Peter Ohnemus sieht schwarz für die Versicherer. Und weiss Abhilfe. Dacadoo-Gründer Peter Ohnemus: Für die Entwicklung seines Health Scores hat das Startup Daten von 100 Millionen Menschen ausgewertet.
Herr Ohnemus, Sie sagen: «Das heutige analoge Krankenkassensystem hat ausgedient.» Was steckt hinter der Prophezeiung? Peter Ohnemus*: Die Kassen stehen vor zwei Problemen: Zum einen wird die Gesellschaft immer älter und der Anteil an Übergewichtigen nimmt stetig zu. Zum anderen sind die Kosten für die Behandlung des Patienten im Verhältnis zu den Prämien explodiert. EY sagt einen jährlichen Kostenanstieg der Prämien von 6 Prozent im Verlauf der nächsten zehn Jahre voraus – global. Ich kenne keinen, der jedes Jahr eine Lohnerhöhung von 6 Prozent erhält. Viele können sich ihre Prämien bald nicht mehr leisten. Das ist der Anfang vom Ende der analogen Krankenkassen. In Grossbritannien haben wir die erste Pleite: Der National Health Service (NHS), das grösste Krankenkassenwesen Europas, ist bankrott. Dasselbe droht längerfristig auch den Schweizer Krankenkassen. Ist das die Schuld der Übergewichtigen, der Raucher und derjenigen, die wegen Lappalien zum Arzt gehen? Teilweise ja. Viele Menschen haben sich
angewöhnt zu denken, sie könnten leben, wie sie wollten – ohne Konsequenzen. Wenn 50 Prozent der Bevölkerung übergewichtig sind, hohen Blutdruck haben oder Diabetes, wälzen sie das einfach auf die Krankenkasse ab. Irgendwann kann diese die Kosten nicht mehr tragen. Gleichzeitig sind die analogen Kassen nicht auf die Kostenexplosion vorbereitet. Diese fängt bereits im Gesundheitssystem an, wo Arbeitsvorgänge mehrfach wiederholt werden und die Datenerfassung wie im Steinzeitalter anmutet. Lassen Sie mich raten: die Digitalisierung ist die Lösung. Richtig. Nehmen Sie die Darmspiegelung als Beispiel. Diese Routine-Untersuchung kostet ein Spital zwischen 1200 und 2000 Franken. In den USA gibt es mittlerweile die «Pill Cam». Diese schlucken sie zuhause, die Kamera fährt durch den Körper und sie erhalten digitale Bilder über Bluetooth – ohne Schmerzen. Der Patient verfügt über seine eigenen Daten und die Krankenkasse hat 80 bis 90 Prozent eingespart. So eine digitale Alternative gibt es zu vielerlei herkömmli-
cher Behandlungen – nur kommen sie nicht zum Einsatz, da die Regierung sich im digitalen Bereich viel zu langsam entwickelt. Der Gesundheitsmarkt ist der einzige, der keine nachweisbare Leistungsbilanz hat. Dacadoo füllt diese Lücke, indem sie die Gesundheit quantifiziert – und sich somit zum Beispiel messen lässt, wie effektiv die Behandlung einer Krankheit oder der effektive Gesundheitszustand einer Person ist. Eine Bilanz für den Menschen: Wie funktioniert das? Wir haben Daten wie Alter, Gewicht, Bluttyp und Blutfett von 100 Millionen Menschen ausgewertet und daraus einen Index erstellt, den Health Score. Dieser umfasst Werte von 1 bis 1000. Er wird aus drei Säulen berechnet: Meinem Körper, also meinen biometrischen Daten, meinen Gefühlen – «Wie geht es mir?» – und meinen Aktivitäten, das heisst: «Wie viel bewege ich mich, wie schlafe ich, wie viel Stress bin ich ausgesetzt?». 30-35 Prozent der Angaben basieren auf vererbten Eigenschaften des Individuums, 65 bis 70 Prozent basieren auf dem Seite 1