Frankfurter Allgemeine Zeitung - 2014

Page 1

07.04.2014, von Piotr Heller

http://www.faz.net/aktuell/wissen/mensch-gene/gesundheit-smartphones-und-armbaender-messen-die-fitness-12881936.html

Computerprogramme messen die Fitness Smartphones und Fitnessarmbänder messen Laufzeiten, Puls oder Blutdruck. Solche Daten sind auch für Krankenkassen von Interesse - Datenschützer sehen das kritisch.

In der virtuellen Laufgruppe hört der Wettkampf nie auf.

A

Auf manche mag diese Selbstvermessung befremdlich wirken, doch die Quantified-Self-Bewegung, deren Mitglied Schreiber ist, hält es für fortschrittlich: Zwei Redakteure des amerikanischen Magazins Wired initiierten sie 2007 mit der Website quantifiedself.org. Heute gibt es 164 lokale Gruppen in 38 Ländern; Andreas Schreiber organisiert zum Anfangs verlangte das sein Arzt von ihm, Beispiel Treffen in Köln; weltweit folgen heute macht Schreiber es freiwillig, trägt über 30 000 registrierte Mitglieder dem die Werte im Handy ein und analysiert Motto „Selbsterkenntnis durch Zahlen“. sie. Als Abteilungsleiter beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Programme quantifizieren das muss Schreiber oft Vorträge halten - und Liebesleben aufgrund der Daten weiß er, dass vorher Entspannungsübungen sinnvoll sind. Dass Zahlen, Datenbanken und Graphen Mittlerweile bewertet Schreiber aber ins Privatleben drängen, scheint nur konnoch viel mehr als nur den Blutdruck: sequent. Der Sport lebt von Unterschieden An der Hose steckt ein Schrittzähler, ein in Sekundenbruchteilen und Statistiken, Armband misst, wie viel er sich bewegt, die Wirtschaft drückt Erfolg gerne in Prosein Mobiltelefon erstellt nicht nur ein zent aus. Selbstvermesser wie Schreiber Bewegungsprofil, sondern fragt ihn zu- schätzen Zahlen ihrer Objektivität wegen, dem nach seiner Stimmung. das Befinden könne dann nicht schöngendreas Schreiber erlitt vor fünf Jahren einen Schlaganfall, seitdem passt der 43 Jahre alte Informatiker auf, dass sein Blutdruck nicht zu hoch steigt. Auf sein Gefühl kann er sich da nicht verlassen, aber auf Zahlen: Viermal am Tag misst er seinen Blutdruck.

Seite 1

redet werden, ob bewusst oder unbewusst. Dafür gibt es allerhand Werkzeuge, die Internetseite der Bewegung listet mehr als 500 Geräte, Software und Internetseiten, wie etwa drinkingdiary.com. Wer dort seinen Bier- oder Weinkonsum einträgt, bekommt einen Kalender entsprechend den konsumierten „Alkohol-Einheiten“ präsentiert: Blau für nüchterne Tage, Violett für einen Vollrausch. Andere Programme quantifizieren das Liebesleben, indem sie die Vibrationen des Bettes messen, oder sie führen über Energieverbrauch und Ausgaben Buch. Besonders datenbesessen scheint man zu sein, wenn es um die körperliche Fitness geht. Auch unabhängig von dieser Bewegung, und davon profitiert die Branche. Spezielle Armbänder, die erkennen, wie aktiv ihre Träger sind, erweitern hier das Angebot an Messgeräten: „Fitbit“, „Jawbone“ und „Nike+Fuelband“ heißen die Verkaufsschlager in diesem wachsenden Markt. Schon im Jahr 2018 könnte ein Wert von über 50 Milliarden Dollar erreicht werden, schätzt das Finanzdienstleistungsunternehmen Credit Suisse. Es wäre das Zehnfache der Summe von 2013, also lässt sich mit dem Massenphänomen gut verdienen. Wie gut das Geschäft läuft, ist indirekt auf der Internetseite des Sportartikelherstellers Nike abzulesen. Dort zeigt ein Zähler an, wie viele Schritte die Nutzer zurücklegten. Über alle summiert sind es bereits mehr als 85 Milliarden.


07.04.2014, von Piotr Heller

Begünstigt wird der Trend zur eigenen Vermessung durch zwei Entwicklungen. Zum einen sind es die sozialen Netzwerke, in denen man gerne bereit ist, Details über sich preiszugeben, zum anderen sind es kleine, kostengünstige Sensoren. In jedem der Spezialarmbänder oder auch im Smartphone steckt zumindest ein Beschleunigungsmesser. Wie sich damit die Anzahl der zurückgelegten Schritte berechnen lässt, wollen Hersteller meist nicht verraten. Die Programmierer der Handy-App „Moves“ sind da offener: „Um den Algorithmus zu trainieren, fütterten wir ihn mit Bewegungen von verschiedenen Menschen“, erklärt Firmenchef Sampo Karjalainen. Daraus habe der Algorithmus gelernt, wie die Beschleunigung aussieht, wenn ein Mensch geht, rennt oder mit dem Fahrrad fährt. Diese Arten der Fortbewegung unterscheidet die App meist allein, fragt den Benutzer aber, wenn Unsicherheiten bestehen, und schickt die Daten zu einem Firmenserver. Dort lagern nun Muster, die damit zugleich Muster von Menschen sind, die Autos fahren, U-Bahnen nutzen oder Pferde reiten. Die Entwickler um Karjalainen verbessern so den Algorithmus, damit er irgendwann auch diese Bewegungen erkennt.

http://www.faz.net/aktuell/wissen/mensch-gene/gesundheit-smartphones-und-armbaender-messen-die-fitness-12881936.html

Werte in soziale Netzwerke ein und geben sie für Freunde und Sportkameraden frei. Sie veröffentlichen Strecken und Laufzeiten, treten in Konkurrenz zueinander und vergleichen sich.

wichtige abnehmen. Etwa die Hälfte war jeweils auf sich allein gestellt, die anderen Probanden waren hingegen über den Kurznachrichtendienst Twitter verbunden und teilten ihre Fortschritte mit: Je aktiver die Nutzer auf Twitter waren, desto mehr Sportwissenschaftler bewerten diese Erfolg hatten sie beim Abnehmen. Schrittzähler positiv, weil sie ihre Träger auf spielerische Weise dazu anregten, sich Fitness und Schrittzähler als zu bewegen. Ob virtuelle Laufgruppen Pflicht in Unternehmen womöglich den Leistungsdruck ungesund steigern, müssten Studien überprü- Diese unterstützende Wirkung des Wettfen. Aber sie sind beliebt: „Abseits von kampfs greifen auch Firmen auf, um die Konkurrenz ist ein wichtiger Aspekt, dass Fitness ihrer Mitarbeiter zu verbessern, man sich identifiziert als jemand, der Teil und verordnen ihnen Schrittzähler. Ohne dieser Gruppe ist“, sagt Bernd Strauß, der Zwang, versteht sich. Die Berliner Sparden Arbeitsbereich Sportpsychologie an kasse zum Beispiel hat 300 ihrer Mitarder Universität Münster leitet. Jede Grup- beiter mit solchen Geräten ausgestattet, pe habe ihre Merkmale des Zusammen- und Andreas Schreiber kam über eine halts, dank deren sich jeder als Mitglied Aktion des DLR zu seinem ersten Schritterkenne und zeige, dass er dazugehört. zähler. Auf einer Online-Plattform konnte „In einer virtuellen Gruppe heißt das, dass er seinen Bewegungsstatus mit dem der ich, wenn mich das interessiert, Selbstent- anderen vergleichen - und war chancenhüllung betreiben muss, damit ich auch los gegen einen Kollegen, der für einen dabei bleibe und identifizierbar bin als ein Ultra-Marathon trainierte. Einen Anreiz Gruppenmitglied. Was wiederum das Ge- zu mehr Bewegung zu bieten dient jedem fühl bestärkt, Teil dieser Gruppe zu sein.“ Einzelnen - und dem Betriebsklima, denn Sport baut Stresshormone ab und entspannt.

„Hier ist die Unsicherheit Teil des Konzepts“ Die Speicherung zu Lernzwecken oder für den Nike-Gemeinschaftslauf zeigt, dass die Nutzer der Geräte es nicht immer in der Hand haben, was mit ihren Daten passiert. „Jede große Datensammlung birgt die Möglichkeit für Erkenntnis und Missbrauch“, sagt Linus Neumann vom Chaos Computer Club. Nicht das Sammeln einzelner Personen sorge ihn, sondern die Tendenz zu großen Datensammlungen bei eigens zu diesem Zweck geschaffenen Anbietern: „Hier ist die Unsicherheit Teil des Konzepts. Die Anbieter analysieren die Daten für ihre Nutzer und haben Zugriff auf alle Daten.“ Nicht nur die Anbieter der Messwerkzeuge haben Zugriff, oft speisen die Nutzer selbst ihre

Ein Sportarmband. Es gibt Auskunft über die Fitness des Trägers - und speichert die Daten.

Durch die Virtualität sei niemand an Raum oder Zeit gebunden: „Sie können sich als Teil einer Gruppe fühlen, aber für sich laufen, wann Sie wollen“, erklärt Strauß. Und den anderen eben die Daten mitteilen. Für den Sportpsychologen ist die Selbstvermessung schlicht eine spezielle Art der Selbstenthüllung. Wie sich diese Öffnung anderen gegenüber auswirken kann, veranschaulicht eine Studie der University of South Carolina. Forscher ließen dort fast hundert ÜbergeSeite 2

Deshalb befürworteten Psychologen wie etwa Tim Hagemann, der den Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und Gesundheitspsychologie an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld innehat, solche Programme generell. Hagemann warnt aber auch davor, dass es sich ins Negative umkehren könnte, wenn der Druck, der dadurch gesetzt werde, größer sei als der Erholungswert. In der Arbeitswelt herrsche bereits Konkurrenz und Druck, was psychisch belastet. „Beim Sport steckt man eine Niederlage normalerweise weg. Aber wenn es eine solche Konkurrenzsituation in einem Betrieb gibt, wo alle die Ergebnisse sehen, dann kann das beim Einzelnen zu Ängsten und zu Unsicherheit führen“, sagt Hagemann. Es sollte keine weitere Quelle für Stress entstehen, daher rät er, solche Maßnahmen nur vorübergehend, freiwillig und spielerisch stattfinden zu lassen.


07.04.2014, von Piotr Heller

Bei der AOK Nordost läuft gerade das Pilotprojekt „AOK mobil vital“. 730 Versicherte der Krankenkasse erhielten eine Handy-App, die aus Körperdaten, Emotionen und Aktivitäten einen sogenannten Health Score berechnet. „Wir werden die anonymisierten Daten des Health Scores auswerten und prüfen, ob wir unser Ziel erreichen konnten, nämlich Menschen mit einer Affinität für moderne Technologien zu einem gesunden Verhalten zu motivieren“, sagt Gabriele Rähse, Pressesprecherin der AOK Nordost. Noch in diesem Jahr soll das Pilotprojekt ausgewertet werden. Eine Tendenz sei schon erkennbar: „Die Teilnehmer sind aktiv, und der Health Score entwickelt sich positiv.“

„Die Menschen bewegen sich zu wenig“ Die Krankenkasse will damit junge Mitglieder ansprechen und ein Bonusprogramm prüfen, wie es das schon etwa beim Nachweis eines Fitnesstests gibt. „Es gibt mehrere Optionen. Eine wäre, den Health Score ergänzend in ein Bonusprogramm einzubauen. Ärztliche Vorsorgeuntersuchungen müssten dann zwar trotzdem nachgewiesen werden, doch der Health Score könnte eventuell als Fitnessnachweis für das Bonusprogramm genügen“, erklärt Rähse.

http://www.faz.net/aktuell/wissen/mensch-gene/gesundheit-smartphones-und-armbaender-messen-die-fitness-12881936.html

Die juristische Frage, ob die Krankenkasse einen solchen Bonus überhaupt an die Aktivität der Versicherten koppeln darf, ist schnell beantwortet: Sie darf, muss jedoch nachweisen, dass sie das Bonusprogramm durch Einsparungen finanziert, die damit erzielt werden. Das soll verhindern, dass Versicherte, die nicht teilnehmen, Kosten dafür tragen. Und was trickreiche Kunden angeht, die etwa das Handy im Auto durch die Gegend fahren, zeigt man sich bei der Krankenkasse selbstsicher. Die App erkenne den Unterschied und verbuche es nicht als Aktivität. Technisch wäre es in Zukunft auch feststellbar, wenn etwa ein Hund als Stellvertreter losgeschickt wird, das zeigt der lernende Algorithmus der App „Moves“.

Die Weiterleitung persönlicher Daten wird kommen

Bleibt die Frage, ob eine Krankenkasse so ein Programm anbieten sollte. Klar dafür spricht sich Peter Ohnemus aus. Er ist Geschäftsführer von Dacadoo, der Firma hinter der AOK-App, und sieht das Gesundheitssystem in Gefahr: „Wir werden immer älter, immer übergewichtiger, und die Menschen bewegen sich zu wenig.“ Ohnemus argumentiert mit Zahlen, die er aus medizinischen Fachartikeln und einem Ratgeber des Gesundheitsministeriums zitiert, wonach knapp 40 Prozent der Deutschen sportlich inaktiv sind.

Peter Ohnemus ist jedoch von diesem System überzeugt. Bisher leitet seine Firma keine persönlichen Daten an Krankenkassen weiter, aber in Zukunft soll das geschehen, sofern ein App-Nutzer zustimmt. „Das wird sicher kommen“, kündigt er an. Und ein internationaler Versicherungskonzern sei sehr daran interessiert.

Seite 3

Mangelnde Bewegung drücke sich aber nicht in den Kosten für die Krankenkasse aus. Das würde er gerne ändern. Bonusprogramme, bei denen die Aktivität mit technischen Geräten gemessen und belohnt wird, sieht die Medizinerin Daniela Hubloher, die Patienten bei der Verbraucherzentrale Hessen berät, dagegen kritisch: „Eine diesbezügliche Abhängigkeit des Beitrags ist ein ganz klarer Ausstieg aus dem Solidaritätsprinzip.“ Benachteiligt würde etwa, wer chronisch krank sei, sich um kleine Kinder kümmern müsse oder durch die Arbeit kaum Bewegungsfreiheit habe.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.