Internet World - 2013

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Internet World BUSINESS

TRENDS & STRATEGIEN

15. April 2013

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DATENHOHEIT FÜR DIE NUTZER

Digitale Vermessung des Ichs Die „Quantified Self“-Bewegung gewinnt an Boden. Aufbauend auf der Selbstauswertung von Gesundheitsdaten, könnte der gesamte Mensch im Internet katalogisiert werden. Und: User könnten ihre Daten selbst vermarkten

E

Nieren“ – im Web und unterwegs

sich bewegen und gesund ernähren, denn wenn jeder Diabetes II, Herz- oder Knieprobleme bekommt, explodiert das Gesundheitssystem.“ Dass Krankenkassen mittelfristig auch mit monetären Zusatzanreizen locken könnten, liegt nahe. Ohnemus’ Vision: Wer seinen Healthscore optimiert, soll Beitragsrabatt bekommen.

Big-Data-Spieß umdrehen In Großbritannien hat die ­Vorsorge mit technischen Hilfsmitteln bereits den Segen der Politik. Dort sollen Ärzte auf Anraten des Gesundheitsministeriums Smartphoneund Web-Anwendungen empfehlen. Doch auch hierzulande schaffen immer mehr Menschen ihre eigenen Datenarchive auf dem ­ Smartphone und im Internet. Eine gute Ausgangsbasis, findet David Eicher. Inspiriert von der „Quantified Self “-Bewegung spinnt der Geschäftsführer der Münchner Webguerillas den Faden weiter. Big Data sei derzeit eines der großen Buzzwords in der Online-Marketing-Branche. „Gleichzeitig gewinnt die ,Quantified Self ‘-Bewegung deutlich an Fahrt. Warum dreht man den Big-DataSpieß also nicht einfach um?“ Die Zukunft könnte Eichers Ansicht nach so aussehen: Die User erheben statistische Daten über sich selbst und verkaufen diese personalisierten Informationen an werbungtreibende Unternehmen. „Damit liefern sie den Online Marketern eine solide Datengrundlage und profitieren gleichzeitig von Foto: Fotolia / Andrea Danti

s ist ein bunter Haufen, der sich an einem kalten Januarabend im C-Base trifft. Zum Stelldichein im Berliner Hacker-Treffpunkt erscheinen Sportler, Entwickler, Techniker und Mediziner. Ihr gemeinsames Interesse: sie selbst. Die Gruppe ist Teil einer wachsenden Bewegung von Menschen, die akribisch mithilfe von Apps und Gadgets ihre Körperfunktionen messen und analysieren. „Quantified Self “ heißt der aus den USA herüber­ geschwappte Trend. In über 50 Städten weltweit gibt es inzwischen Gemeinschaften von Vermessungsenthusiasten, unter anderem in Berlin, München und Hamburg, wo die Selbstbeobachter darüber sprechen, wie sich Nahrungsmittelaufnahme, Schlaf, Müdigkeit, Stimmung oder Herzfrequenz als Muster aufzeichnen und dieses optimieren lässt. Die Anhänger kommunizieren in Blogs, treffen sich regelmäßig auf „Show & Tell Meetings“. Einmal jährlich findet die „Quantified Self Conference“ statt. Self Quantifier vermessen viele Quadratzentimeter ihres Körpers und generieren damit wertvolle Daten Was auf den ersten Blick etwas schrullig wirkt, ist längst auch ein handfes- auf die Entwicklung von Geräten, Compu- formationen über den Menschen wie sein tes Businessmodell. Der Markt mit der terprogrammen und Smartphone Apps Gewicht, Körpergröße, Blutdruck, HerzSelbstauswertung boomt. Das eröffnet spezialisiert. Die Anwendungen reichen frequenz und bilden darauf aufbauend einicht nur große Chancen für die Pharma- vom mobilen Schrittzähler über WLAN- ne übergreifende Kennziffer, die Auskunft industrie, die zumindest in den USA schon fähige Blutdruckmessung und Seh- oder über den Gesundheitsstatus gibt“, so heute mit Selbst-Tracker-Daten arbeitet. Hörtests bis zur Überprüfung von Mutter- Ohnemus. Dacadoo lässt sich mit gängiSchließlich helfen Informationen den Un- malen. Sie liefern Millionen und Millio- gen Messgeräten und Gesundheits-Apps ternehmen, ihre Produkte zu verbessern. nen an menschlichen Daten-Bits, die im verknüpfen. Der individuelle Wert, den „Das liegt durchaus in unserem Interesse“, Netz mit Gleichgesinnten verglichen und ein Anwender hier erreichen kann, liegt ­erklärt Florian Schumacher, einer der füh- geteilt werden. Der Markt für die mHealth- zwischen 1 und 1.000. „Bei 1 sind Sie klirenden Köpfe der deutschen „Quantified Dienstleistungen hat gemäß des „Global nisch tot, bei 1.000 sind Sie Superman“, Self “-Bewegung. Sicheren Datenschutz Mobile Health Market Report“ die Phase klärt Ohnemus auf. Der in Kooperation vorausgesetzt kann er sich vorstellen, ­seine der Kommerzialisierung erreicht. Dem mit einem Professor des Massachusetts InErfahrungen mit Unternehmen zu teilen. Bericht des Berliner Beratungsunterneh- stitute of Technology entwickelte Health „Selbst gemessene Daten können für Ver- mens Research2guidance zufolge werden Score basiert auf Vergleichsdaten von über sicherungen oder die Industrie wertvoll die Umsätze bis 2017 auf weltweit 26 Mil- 70 Millionen klinischen Mannjahren. sein, man müsste natürlich sicherstellen, liarden US-Dollar steigen. „Unser Angebot richtet sich nicht an die dass valide Messreihen erstellt werden und Zu denen, die von diesem Trend profi- Hardcore-Sportler. Wir wollen die breite Fehlerquellen minimiert werden.“ Eine tieren, gehört Peter Ohnemus. Der Schwei- Masse in Bewegung bringen“, meint Ohnegroße Anzahl von Firmen hat sich zudem zer Unternehmer ist Erfinder und CEO mus. Gamification – virtuelle Wettkämpfe der Gesundheitsplattform Da- und Austausch mit anderen Anwendern– cadoo.com, die er – damals noch ist deshalb ein wichtiges Element der Anunter dem Namen Quentic – wendung. Dacadoo setzt auf das Business2010 gestartet hat. Gesundheits- to-Business-to-Consumer-Modell. Partnerdaten, so seine These, ließen schaften mit Unternehmen schaffen den sich analysieren wie Börsenkur- Kontakt zu deren Kunden. In Großbritanse. Für seine Plattform, die so- nien kooperiert Dacadoo mit Nuffield wohl online als auch als App ver- Health. Der Anbieter von Fitness- und score fügbar ist, hat er einen „Health Wellness-Ketten bietet den Health­ Score“ entwickelt. „Wir sam- seinen Kunden parallel zum persönlichen meln hierfür möglichst viele In- Fitnessprogramm an. In Deutschland hat Dacadoo bereits Bündnisse mit der Telekom und der AOK Nord-Ost geschlossen. Versicherte erhalten von der Gesundheitskasse ein Jahr lang eine kostenlose Mitgliedschaft bei Dacadoo. 110.000 zahlende Benutzer haben die Schweizer auf diese Weise schon gewonnen. Ohnemus verhandelt mit weiteren Index für die Gesundheit: Dacadoo Partnern. „Die Krankenkassen haben großes Interesse daran, dass die Menschen analysiert den Menschen „auf Herz und

„Bei einem Wert von 1 sind Sie klinisch tot, bei 1.000 sind Sie Superman.“ PETER OHNEMUS

Gründer und CEO Dacadoo

der eigenen Datenhoheit“, so Eicher. Die Idee stammt aus einem Brainstorming der Münchner Agentur für Alternative Werbeformen. Um künftig die Influencer zu erreichen, glauben die Webguerillas, reichen die vorhandenen Informationen über Zielgruppen und Menschen nicht aus. Es brauche personalisierte Daten mit klaren Interessensprofilen. „Die Informationen könnten nach bestimmten Themengebieten und Kategorien klassifiziert werden. Man könnte zudem unterscheiden nach selbst aufgezeichne-


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