10.04.2014 Self-Tracker
http://www.manager-magazin.de/magazin/artikel/messwahn-im-management-mit-hilfe-der-self-tracker-a-961729-4.html
Die Mess-Diener 2. Teil: Die Eigenvermessung kombiniert zwei Megatrends So kombiniert die Eigenvermessung zwei Megatrends der Leistungselite: permanente Verbesserung und Technikbegeisterung. Nur: Macht die Dauerdatenlese tatsächlich schlauer? Führt mehr Kontrolle zwangsläufig zu besseren Ergebnissen?
„Jeder kann sich an seiner Peergroup orientieren und gewinnt Autonomie über seinen Körper zurück.“ Christian Graase, Autor von „Mein digitales Ich“ (Foto: AFP)
Die Mess-Diener - Die „Self-Tracker“ kommen: Dank smarter Technik und permanenter Datenlese lässt sich heute das ganze Leben optimieren. Das fasziniert viele Manager. Doch bringt mehr Kontrolle auch bessere Ergebnisse? Sicher, das alles klingt ziemlich anstrengend, und vielleicht wurde auch an der einen oder anderen Stelle ein wenig geflunkert, aber unterm Strich ist es doch eine ziemlich super Sache, Dave Asprey zu sein. Findet Dave Asprey, der sich selbst Unternehmer und Silicon-Valley-Investor nennt, was ja schon für sich genommen super ist, aber noch längst nicht alles. Denn on top hat Asprey noch fast 50 Kilogramm abgenommen, indem er Kaffee mit Butter trank, hat seinen IQ um 20 Punkte gesteigert und sein biologisches Alter gesenkt, weil er jetzt weniger als fünf Stunden pro Nacht schläft. Nicht zu vergessen den Orgasmus von 20 Minuten Dauer, den er durch intensive Selbstvermessung erreicht haben will. Und weil Asprey nicht nur ein besserer, sondern vor allem ein guter Mensch ist, teilt er seine Erfolge mit anderen. Auf seiner Website Bulletproofexec. com lässt sich lernen, dem Körper einen Turbolader zu verpassen, das Gehirn upzugraden und so zum „bulletproof Executive“ zu werden. Zur kugelsicheren Führungskraft also. Asprey ist ein Exzentriker, „Forbes“ hat über ihn berichtet, das Fernsehen, die „Financial Times“, und so hat er dazu beigetragen, eine Bewegung populär zu machen, die mittlerweile aus den USA nach Deutschland geschwappt ist: Die „Self-Tracker“ zählen Schrit-
te und Kalorien, messen Puls, Schlafqualität, Blutzucker, Körperfett, Launen, Arbeitsabläufe und noch vieles mehr, was sich in Tabellen, Kurven und Grafiken packen lässt. Produkte wie Melon oder Emotiv bieten gar Hirnstrommessung für zu Hause, das kleine EEG für zwischendurch. Self-Tracker messen alles, was messbar ist Das Quantified Self, das „vermessene Ich“ ist der Weg, das Ziel die Selbstoptimierung, die Ego-Verbesserung durch bewussteres Leben in sämtlichen Bereichen: Job, Familie, Sport, Freizeit, Sex. Ganz im Sinne der „schuldigen Subjekte“, wie der Soziologe Hartmut Rosa die Mitglieder der Leistungsgesellschaft nannte. An ihnen nagt stets das Gefühl, nicht alles Nötige getan zu haben. Die Self-Tracker kriegen dieses Nötige jetzt schriftlich, auf Wunsch jeden Tag, jede Minute: „Selbsterkenntnis durch Zahlen“ gaben ihre geistigen Väter, die „Wired“-Journalisten Gary Wolf und Kevin Kelly, als Marschroute vor. Vor gut zwei Jahren fand die erste Quantified-Self-Konferenz in Kalifornien statt. Vom Optimierungsdorado aus haben sich die Mess-Diener über den Erdball ausgebreitet, in alle gesellschaftlichen Schichten hinein. Eine Gruppe musste nicht lange überredet werden: Schon qua Beruf sind Manager dem Kontrollieren, Optimieren und Effizienzsteigern zugetan - die Aussicht, das Benchmarking endlich mit großem Hebel und in allen Daseinsbereichen einzusetzen, war einfach zu verlockend.
Absolut, davon ist Thomas Rabe (48) überzeugt, Leiter des Bertelsmann-Konzerns und einer jener großen, dünnen Männer, die vielfältige Betrachtungen über ihre Körper und Kräfte anstellen. Rabe - ein kunstfertiger Rechner und Zahlendreher, Finanzvorstand im früheren Leben - ist eine prosaische, hochstirnige Natur, ein Ordnungsgeist, gebaut nach Art der Asketen. Würde man ihn in ein weißes Nachthemd stecken, könnte er als Julius Cäsar auftreten. Sein Körperfettanteil beträgt etwa 8 Prozent, so viel wie bei einem Profiradrennfahrer. Auf peppige Fitness-Apps verzichtet der Manager, er kommt mit Pulsuhr und -gurt aus. Auch ohne quirliges Equipment hält er das eigene Dasein seit gut drei Jahren auf Vordermann. Denn als Systematiker springt er nicht einfach in der Gegend herum, wenn ihn der Hafer sticht. Rabe unterwirft sich einer Praxis, die keinen Raum für Ausflüchte lässt. Das 100-Punkte-Ziel des Thomas Rabe Für jeden Kilometer, den er läuft oder rudert (zu Hause auf der Maschine), gibt er sich einen Punkt, ganz gleich, wie lange er dafür braucht. Auch mit dem Rennrad jagt Rabe durch die Landschaft: Fahrradkilometer zählen in seiner Welt indes nur die Hälfte. 100 Punkte versucht Rabe in der Woche zu erreichen. Dies hat er kraft seines Amtes festgelegt. 100 Punkte entsprechen der Länge von zweieinhalb Marathons. Die Grenze ist natürlich so gelegt, dass sie nicht so einfach zu überwinden ist. Aber Reue, Zerknirschung und Gewissensqual sind ja nicht, was die Self-Tracker vermeiden, sondern wecken und herausfordern wollen. Wer seinen Leib nach Zahlen ertüchtigt, der wird sie so hoch ansetzen, dass es weh tut. Bertelsmann ist auf der ganzen Welt tätig und Rabe ständig unterwegs, und er hat sich geschworen, in Form zu bleiben: schläft wenig, isst gesund, trinkt seit 2011 keinen Alkohol
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mehr, dafür reichlich Ingwertee. Dass er nicht raucht, versteht sich von selbst. Im Urlaub, beim Bergwandern in Südtirol etwa, 100 Punkte zu erreichen ist für Rabe ein Kinderspiel. Angestachelt von seinem geradezu fabrikmäßigen Leistungstrieb, duldet der Marathonmann keinen Verzug. Da er in Arbeitswochen aber selten über 80 Punkte kommt, lebt er ständig in Soll und Defizit und läuft sich selbst dauernd hinterher. 3. Teil: Bunte Apps statt drögem Excel Gut 25.000 Mitglieder in 35 Ländern zählt die Seite Quantifiedself.com inzwischen, die lokalen Gruppen in Deutschland bringen es auf 100 Gefolgsleute. Und das ist nur der harte Kern, Menschen zum Beispiel, die ihre Mahlzeiten per Kalorien-App fotografieren, sich jeden Morgen zwecks Blutzuckerbestimmung in den Daumen stechen, dies mit Schlaf- und Mondphasen sowie der Hautspannung vergleichen und dem ebenfalls permanent getrackten IQ abgleichen. Die ganz Harten messen noch via Beschleunigungssensor die Hüftbewegungen beim Sex und sagen Sätze wie „Zu blöd, dass der Körper keinen USB-Anschluss hat“. Die loseren Anhänger, die oft nur ein paar Lauf-Apps nutzen, sind um ein Vielfaches mehr; laut Pew Research bastelt in den USA bereits mehr als jeder Fünfte computergesteuert am eigenen Selbst. Es gibt Tausende Apps allein für Gesundheit; Gabeln, die hektisch blinken, wenn man zu schnell isst (Hapifork), Pillen mit Sensoren oder Implantate, die Körperwerte in die Cloud senden. „Self-Tracking hat die Nerd-Nische verlassen“, sagt Florian Schumacher, Trendscout und Sprecher der Bewegung in Deutschland. Experten sagen dem Markt für 2017 ein Volumen von 27 Milliarden Dollar voraus. Da gibt es Pulsuhren, GPS-Tracker oder EEG-Messer, die sich wie ein Bonsai-Krake am Kopf festkrallen. Drumherum eine kleine App-Industrie, mit zig Millionen heruntergeladenen kleinen Helferlein, saftigen Umsätzen und frisch geschlüpften Imperien wie dem Runtastic-Reich mit seinen 50 Millionen Downloads, an dem der Axel-Springer-Verlag kürzlich die Mehrheitsanteile kaufte. „Fitness-Apps sind vor allem für Couch-Potatoes eine gute Möglichkeit, erste Schritte im Bereich Bewegung und Gesundheit zu machen“, sagt Runtastic-Chef Florian Gschwandtner, „diese Menschen hätten sich wahrscheinlich keine GPS-Uhr für 300 Euro gekauft“. Aber seinen Brustgurt schnallen sie um.
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Bunte Apps statt dröger Excel-Tabellen Seit die bunt animierten Apps dröge Excel-Tabellen ablösten, ist Quantified Self im Mainstream angekommen. Geholfen hat dabei auch der Trend zur „Gamification“. „Daten vergleichen und das eigene Verhalten zu verändern fällt auf spielerische Art eben leichter“, sagt Schumacher. Die Mixtur aus zahlengläubigen Nerds und konsumfreudigen Ego-Modellierern, dazu die Tech-typische SoLoMo-Zauberformel („Social, Local, Mobile“) könnte Quantified Self nun sogar zum nächsten großen Ding machen. Derzeit unterscheidet die Szene mit Blick auf die Gadgets zwischen reinen Trackern und den Nudgern, die ihre Besitzer anstupsen, wenn ein Ziel hinterm Horizont zu verschwinden droht. Fitness-Armbänder wie das Jawbone Up (Slogan: „Know yourself. Live better!“), Fitbit Flex, One oder das Fuelband von Nike funktionieren so. Die neuen Lifestyle-Accessoires messen Bewegungen aller Art, zählen Schritte, Schlafphasen und Nährwerte und vibrieren energisch bei Stubenhockeralarm. Oder sie mahnen düster: „Sitzen kann so ungesund sein wie Rauchen.“ So wird jeder zu seinem eigenen Tamagotchi, was der Beliebtheit von Tracking-Tools in der dauerjoggenden Führungs-Community nicht abträglich ist: Deutsche-Bank-Chef Anshu Jain trägt ein solches Laufband ebenso wie Microsoft-Topmanager Scott Guthrie und Großbritanniens Premier David Cameron; auch Spotify-Gründer Daniel Ek ist bekennender Selbstmesser, er nutzt die Wii-FitWaage oder den Fitbit-Schlafmonitor. 4. Teil: Wer ist der Sportlichste im Web? Nicht zufällig findet der Self-Tracker-Boom bislang vorwiegend im Reich von Fitness und Gesundheit statt. Die Entwickler von Runtastic, Endomondo, My Fitness Pal und anderen konnten auf den Leistungssport aufbauen, wo Athleten seit Langem die Zuckung jeder Zelle überwachen. Die Möglichkeiten sind hier schier uferlos: Fast 100 Milliarden Euro könnten durch „Mobile Health“ EU-weit im Gesundheitswesen eingespart werden, hat das Beraterhaus PwC ausgerechnet. Allein in Deutschland summiert sich der Produktionsausfall aufgrund von Bewegungsmangel auf rund zehn Milliarden Euro jährlich. Zwar traut sich bislang keine Krankenkasse in großem Stil an den Datenschatz aus gesammelten Pulsfrequenzen, Blutzuckerwerten und Sauerstoffsättigungen der Selbstüberwacher heran. Doch als Motivationshilfe für den Einzelnen taugt das Tracking allemal: „Mein Tag ist durchgetaktet. Das Jawbone Up zeigt mir auf einfache Art und Weise, ob ich
mich ausreichend bewegt habe oder nicht“, sagt Axel Wehmeier. Der Telekom-Manager verantwortet das neue Geschäftsfeld Gesundheit, mit dem der Kommunikationskonzern am Hype verdienen will - etwa mit einer Consumer Health Cloud oder sicheren Serververbindungen für Ärzte, die ihre Patientendaten via Smartphone-App im Blick behalten. „Früher waren Gesundheitswerte etwas Abstraktes von irgendeinem Bundesamt für soundso“, sagt Christian Grasse, Autor des Buchs „Mein digitales Ich“. „Mit Quantified Self kann sich jeder an seiner Peergroup orientieren und gewinnt Autonomie über seinen Körper zurück.“ Das läuft dann wie bei einem Computerspiel: höhere Herzfrequenz, besserer Blutzucker, nächstes Level. Spieglein, Spieglein in der App, wer ist der Sportlichste im ganzen Web? Das Teilen der eigenen Erfolge auf einer Plattform wie Nike+ mit ihren vielen Millionen Mitgliedern stachelt den Ehrgeiz der Leistungsträger an. Beinahe wichtiger noch ist den gestressten Führungskräften die Flexibilität: „Feste Trainingszeiten oder gar Strukturen wie im Sportverein sind in meinem Job nicht drin“, sagt Morten Hannesbo (51). Der Chef der Schweizer Automobil- und Motoren AG hat 400 Stunden im Jahr für Sport reserviert, radelt 6000 Kilometer über 100.000 Höhenmeter, bei einem Durchschnittspuls von 123. Der Däne weiß das so genau, weil er ständig technische Hilfsmittel nutzt, „um etwa bei Trainingseinheiten abends im Hotel das Jahresziel nicht aus dem Blick zu verlieren“. Hannesbo greift unter anderem zurück auf die Plattform Dacadoo, die auch mit der AOK kooperiert und für ihre 100.000 User das Ziel ausgegeben hat, alle Gesundheitsparameter in einer Zahl zu kombinieren, mit einem Maximum von 1000 Punkten. Im vergangenen Spätherbst lag Hannesbos Health Score bei 806. 5. Teil: Weniger Tracker, mehr Nudger Egal was die jeweilige App misst: Alle Quantified-Self-Anwendungen basieren auf der Idee, wonach sich mehr anstrengt, wer beobachtet wird - und sei es nur durch sich selbst. Die Wissenschaft spricht vom Hawthorne-Effekt, der verhindert, dass wir abends eine Tüte Chips essen, das Joggen sausen lassen und uns später ärgern, dass die Hose nicht mehr passt. „Der Mechanismus funktioniert besonders gut bei Managern, die ohnehin meist im Wettbewerbsmodus leben“, sagt Jutta Rump, Leiterin des Ludwigshafener Instituts für Beschäftigung und Employability. Wie die Leistungsträger, so die Länder: Die Macher der populären Abnehm-App Noom eröffneten ihre ersten Dependancen außerhalb der USA in
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den klassischen Strebernationen Südkorea, Japan und Deutschland.
zurückfällt“, sagt Mentor-Chef Lukas Kampfmann.
Wer glaubt, sich nach einem anstrengenden Tag voller Messen, Tracken und Monitoren einfach ins Bett fallen lassen zu können, hat die Rechnung ohne ein paar smarte finnische Jungs gemacht. Von einem schmucklosen Rotklinkerhaus in Espoo aus macht sich das Start-up Beddit daran, auch noch die Nachtruhe zu optimieren. „Ursprünglich haben wir Beddit für Menschen mit Schlafstörungen entwickelt“, sagt CEO Lasse Leppäkorpi (34), der gerade 15 Flüge und 40 Meetings binnen 14 Tagen absolviert hat, aber dank seiner App schlafmäßig einigermaßen on track ist.
„Es soll auch Spaß machen“, betont Al Bryant. Neben dem Vorhaben, nach 18 Uhr möglichst keine Kohlenhydrate mehr zu essen, hat der Strategiechef der Werbeagentur McCann Erickson in Berlin auch gelobt, mindestens einmal am Tag jemanden zum Lachen zu bringen. Bryant mag den Zuspruch aus der Community, von Menschen aus Singapur oder Sydney: „Natürlich bin ich nicht plötzlich ein anderer Mensch. Aber ich habe mich selbst besser im Griff und tue vieles bewusster.“
Die neue Produktversion („Turn your bed into a smart bed“) ist schlanker und am Endkunden orientiert; ein mit Sensoren gespickter Gurt misst unter dem Laken Schlafzeiten, Lärm- und Lichtpegel sowie Bewegungen, dazu Herz- und Atemfrequenz - und schickt die Daten direkt aufs Smartphone. „Unsere App analysiert dann, ob die Schlafziele erreicht wurden“, sagt Leppäkorpi, der als ehemaliger Leistungssportler (Triathlon) die Vorzüge gewissenhafter Regeneration schätzen gelernt hat. Die Beddit-Macher sind ebenso wie die Erfinder von Sleep Cycle und ähnlichen Apps fest davon überzeugt, dass tagsüber nur kräftig lospowern kann, wer nachts amtlich gepennt hat. Außer hübschen Kurven und beeindruckenden Tabellen bietet der Schlummercoach auch Handreichungen zur Optimierung der Nachtruhe, etwa Ernährungstipps und Einschlafhilfen. Es ist einer der neuesten Schwenks der Bewegung, wie Runtastic-Chef Florian Gschwandtner sagt: „Die Apps entwickeln sich vom reinen Messen in Richtung Coaching und Unterstützung.“ Abnehm-Apps wie Noom arbeiten bereits nach diesem Prinzip, auch die digitalen Launenmesser (Moodpanda, Moodscope, Track your happiness) tracken weniger und nudgen mehr. Noch bewegen sich die Tipps der meisten Fitnessarmbänder auf dem Niveau von Glückskeksweisheiten - Schwung kommt erst in die Sache, wenn andere Menschen bei der Selbstüberwachung mitmachen. Mit der jüngst kreierten Mentor-App, einem der zahlreichen Selbstmanagementwichtel à la Lift und Everest, stellt sich der Kunde ein flottes Set guter Vorsätze zusammen: mehr lesen, gesünder essen, ins Sportstudio gehen und Mama öfter anrufen. Auf Platz zwei der beliebtesten Ziele findet sich „Mehr Wasser trinken“. Der Nutzer postet seine Vorsätze, „und wie in einer digitalen Trainingsgruppe wird er gelobt für Fortschritte und erinnert, wenn er
Vom Auftunen im Privaten zur Optimierung der Arbeitswelt ist es nur ein kleiner Schritt. Auch wenn er sein Ertüchtigungssystem, wie er ausrichten lässt, nicht auf die Büroarbeit übertrage, ist Punktezähler Thomas Rabe doch ein Abarbeiter, der die Dinge von oben nach unten erledigt, fein säuberlich, ohne etwas zu übersehen oder liegen zu lassen. Beruflich geht der Bertelsmann-CEO hohes Tempo. Er braucht Kraft und Ausdauer. Der Wettbewerb im Medienbetrieb ist entsetzlich. Links und rechts von ihm gehen Rivalen zugrunde, links und rechts ziehen Rivalen an ihm vorbei. Deshalb wacht Rabe streng über den Spielbetrieb, schaut seinen Leuten auf die Finger, ob sie ihre Pflichten erfüllen und ihr Pensum erledigen. Schlendrian toleriert der Westfalen-Express nicht. 6. Teil: Learn to fail - or fail to learn Zahlreiche Apps wie Daytum oder Rescue Time zählen, wofür wir wie viel Zeit aufwenden, Anbieter wie Beeminder fordern vom Nutzer Ziele ein - etwa mehr Verkaufstelefonate oder Mitarbeitergespräche. Nicht mehr fern ist der Tag, an dem Manager ein wichtiges Meeting verschieben, weil eine App ihnen sagt, dass sie just zu dieser Tageszeit am unproduktivsten sind. Till Kaestner, gute zwei Meter groß, begeisterter Analytiker und ehemaliger Handballprofi, trainierte schon als Schüler nach den Büchern von Arnold Schwarzenegger. Privat vertraut der deutsche Linkedin-Statthalter heute auf eine Schlaf-App und Fitnessvideos von „Men‘s Health“, um Kraftsport auch auf Dienstreisen durchzuziehen. Die Messbegeisterung macht nicht Halt an der Bürotür: „Wir sind ein äußerst zahlengetriebenes Unternehmen, das sich ständig verbessern will.“ Kaltakquise, Präsentation, Verhandlung, Aftersales - Kaestners Leute messen, wie viel Arbeitszeit dafür draufgeht und was es bringt. Weil etwa Aftersales viele Stunden frisst und wenig einbringt, überlegen sie jetzt, wie der
Aufwand verringert werden kann. Doch so groß die Begeisterung der Datenapologeten, so ungewiss ist bislang ihr Erfolg. Psychologische Studien widersprechen dem Silicon-Valley-Credo, nach dem jedes Problem lösbar ist, wenn es nur genug Daten gibt tatsächlich sind wenige gute Daten besser als viele wahllos gesammelte. Weil Datensammeln vor allem der Risikovermeidung dient, zweifelt Topmanagementcoach Heinz-Detlef Scheer am langfristigen Nutzen für den Einzelnen: „Wer keine Fehler mehr macht, bleibt stehen. Learn to fail - or fail to learn.“ Nur allzu leicht, meint der Glücksforscher Wilhelm Schmid, werde das Streben nach Glück durch die Optimierung zur Pflicht: „Ich kenne niemanden, der immer glücklich ist. Aber ich kenne viele, die genau dieser Druck unglücklich macht.“ Managementguru Reinhard Sprenger befürchtet durch Self-Tracking im Management gar die „explosionsartige Vermehrung der unseligen KPIs“. Er warnt: „Alles, was über die Zukunft eines Unternehmens entscheidet, ist eben nicht messbar: Kreativität, Innovation, Vertrauen.“ Auch Linkedin-Manager Kaestner weiß, wie wichtig das Nicht-Quantifizierbare ist. Natürlich dürfe man das Tracking nicht übertreiben oder den Teams überstülpen. Aber kleine Anstupser sind okay. Als Nächstes will er mit Aktivitätsprotokollen herausfinden, was erfolgreiche Vertriebler auszeichnet. „Wenn ich weiß, warum ein Fußballer einen Elfer hundertprozentig verwandelt, wird das die anderen auch interessieren.“ Derlei Augenmaß ist Dave Aspreys Sache nicht. Seine Begeisterung für Self-Tracking ist wieder abgeflaut; der Apologet der kugelsicheren Führungskraft macht jetzt Biohacking. Dessen Anhänger experimentieren mit Magneten unter der Haut, lassen sich Chips einpflanzen, um per Funk Türen zu öffnen, oder werkeln an Genstrukturen herum. Kurz: Biohacking ist der ganz böse Bube unter den Do-it-yourself-Optimierungstrends. Die mühsame Datenlese der Self-Tracker, das umständliche Auswerten und die putzigen Apps - für einen Mann vom Schlage eines Dave Asprey war das am Ende wohl einfach eine Nummer zu lasch.