26. November 2014 echtzeit, von Stefan Selke http://www.resonanzboden.com/echtzeit/generali-nicht-die-ersten-und-nicht-die-letzten/
Generali: nicht die Ersten und nicht die Letzten
Aktuell bestimmt der Versicherer Generali die Schlagzeilen. Er lockt seine Kunden mit dem Vorhaben, denjenigen bessere Konditionen anzubieten, die per App ihre Fitness-Daten bereitstellen und so belegen können, dass sie einen gesunden Lebensstil pflegen. Dafür erntet der Konzern viel Kritik und stößt die Debatte um „Big Data“ und den „gläsernen Patienten“ neu an. mehr wegzudenken, schon längst werden sie auch zur gesundheitlichen Prävention umfassend genutzt. […] Betriebliche Gesundheitsförderung im 21. Jahrhundert sollte alle Möglichkeiten moderner Informations- und Kommunikationstechnologien einsetzen, um einen gesunden Arbeitsund Lebensstil zu fördern.«
© r2hox via Flickr.com/CC BY
In seinem Buch „Lifelogging“ beschreibt der Soziologe Stefan Selke, dass diese Praxis im internationalen Gesundheitssystem bereits gang und gäbe ist und warum dieser Weg das Ende der Solidargemeinschaft bedeuten kann. Ein Auszug. Bei der unüberschaubaren Vielfalt von Selbstvermessungsmöglichkeiten drängt sich die Frage auf, ob sich diese Methode als Teil unseres Gesundheitswesens etablieren wird. Erste Anzeichen dafür gibt es bereits. Die Reaktionen der Politik auf marktübliche Selbstvermessungsinstrumente sind überwiegend positiv. Das britische Gesundheitsministerium ließ von Bürgern die beste von 500 Apps und technischen Anwendungen zur Selbstoptimierung auswählen und demonstrierte damit, dass es Selbstvermessung nicht für Spinnerei hält. Bei einem Meeting der Berliner Quantified-Self-Gruppe stellt Bayer das Stipendienprogramm Grant4Apps vor, mit dem Mitglieder der Selbstvermessungsszene dazu animiert werden sollen, für den Pharmakonzern Apps zu entwickeln. All das könnte den meisten Menschen egal sein, wenn nicht jede App dazu beitrüge, das Messen zur Normalität zu machen. Wenn immer mehr Selbstvermesser vorauseilend Vitaldaten erfassen und diese online zur Verfügung stellen, wird der soziale Druck auf uns
alle wachsen, sich ebenfalls selbst zu vermessen. Am Ende könnte die offizielle und sanktionierte Implementierung von Lifelogging-Verfahren in die Gesundheitspolitik oder die Programme der Krankenkassen stehen. Das wäre das Ende einer solidarischen Gesellschaft. Die Idee der Prävention geht von einer gesteigerten Selbstverantwortung für die eigene Gesundheit aus. Das ist erst einmal nicht falsch. Gleichzeitig verbinden die gesundheitspolitischen Hauptakteure mit der Präventionsidee eigene Absichten. Unternehmen und Krankenkassen haben ein wirtschaftliches Interesse an der Einhaltung präventiver Verhaltensnormen. Der Staat selbst propagiert Prävention im Kontext eines volkswirtschaftlichen Sparansatzes. Auf diesen Zug springen immer mehr Akteure auf. Vordergründig werden dabei jedoch humanistische und nicht ökonomische Interessen kommuniziert. Dies zeigt zum Beispiel der »AOK-Leonardo-Gesundheitspreis für digitale Prävention«, der im Herbst 2013 ausgeschrieben wurde. Jürgen Graalmann, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, macht deutlich, welches Potential er in Apps für ein gesünderes Leben und gesündere Arbeitsplätze sieht. »Internet und Smartphones sind aus dem Alltag der Menschen nicht
Gesucht wurden Anwendungen, die die Gestaltung gesundheitsgerechter Arbeitsund Lebensbedingungen fördern. Kurz: »Gesünder arbeiten mit App und Web.« Tatsächlich wird das präventive Selbst in vielen Fällen von seinem Verhalten profitieren. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Neben sozialintegrativen Wirkungen können Präventionspraktiken auch sozialexklusive Wirkungen entfalten. Wenn Prävention dazu verhilft, dass es einigen besser geht, dann ist der ungeplante Nebeneffekt, dass diejenigen, die sich nicht an die Spielregeln der Präventionslogik halten, argwöhnisch betrachtet werden, weil sie wissentlich gutes Verhalten ablehnen. Vor diesem Hintergrund ist das Interesse der Krankenkassen und Arbeitgeber für die digitale Selbstvermessung besorgniserregend. Die Arbeitgeber sind an höheren Leistungen am Arbeitsplatz interessiert, die Versicherung an der Optimierung ihrer Beitragszahler. Versicherte, die ihre Vitalwerte nicht messen und Gesundheitstipps dauerhaft ignorieren, könnten bald von Versicherungen mit höheren Beiträgen bedacht werden. Einer AOK-Umfrage zufolge hat schon jeder fünfte Smartphone-Besitzer eine solche App installiert. Michael Bernatek vom AOK-Bundesverband erklärt, dass Selbstvermessung eine gute Ergänzung zur Prävention sei. Die AOK bietet inzwischen selbst Apps an. Die AOK Nordwest bietet als eine der ersten Krankenkassen in Deutschland ein System an, das wie ein Spiel aufgebaut ist. Die Versicherten Seite 1
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können dort ihre Vitaldaten eingeben und sich auf einer Rangliste vergleichen. Das Schweizer Unternehmen Quentiq (»It’s all about you!«), inzwischen umbenannt in Dacadoo, ist darauf spezialisiert, den Gesundheitszustand von Menschen in einfachen und standardisierten Werten vergleichbar zu machen und bietet seine Gesundheitsplattform als Service für Krankenkassen an. Peter Ohnemus, der CEO dieser Firma, ist überzeugt davon, auf wissenschaftlicher Basis einen weltweit vergleichbaren »Health Score« entwickelt zu haben, mit dem sich sowohl die aktuelle gesundheitliche Verfassung eines Menschen als auch seine Einstellung in Bezug auf Gesundheit erfassen lässt. »Damit möchten wir Menschen helfen, gesünder zu werden«, beschreibt er die Motivation seiner Firma, »und die Gesellschaft vor einer Kostenexplosion durch zunehmende chronische Erkrankungen bewahren.« Gesundheit soll »modern und cool« sein, deswegen werden bei Quentiq »spielerische Elemente« integriert, die dazu anregen sollen, den eigenen »Health Score« mit dem der eigenen Freunde zu vergleichen. Das Ziel ist jedoch nicht Spaß, sondern Kostenreduktion. »Ich bin der Meinung, dass
Menschen, die aufgrund ihres gesunden Lebensstils weniger Kosten für die Gemeinschaft der Versicherten erzeugen, finanziell belohnt werden sollten.« Krankenkassen bietet er daher den Vergleich ihrer Versicherten auf der Basis des errechneten Gesundheitswertes an. Dieser basiert auf Alter, Geschlecht, Größe und Gewicht für die erste Abschätzung und kann durch die Angabe weiterer Daten angereichert werden. Auf dieser Basis könnten Krankenkassen Rabatte festlegen. Noch sind das freiwillige Angebote. Dabei winken bislang nur Belohnungen und keine Bestrafungen. Das muss aber nicht so bleiben. Als besonderen Kunden erwähnt Ohnemus die betrieblichen Krankenversicherungen. Dabei erhalten die Krankenkassen nur den Mittelwert aller versicherten Arbeitnehmer, um das Versicherungsrisiko zu kalkulieren und Rabatte zu geben oder zu verweigern. Unklar bleibt dabei, wie das System einzelne Personen vor dem Druck schützen soll, der von oben nach unten weitergegeben wird. An ein wirkliches Solidarsystem der Versicherten glaubt Ohnemus berufsbedingt nicht mehr wirklich. »Das Prinzip der Versicherung bedeutet nicht, dass […] alle Risiken von allen Mitgliedern der Versicherung zu gleichen Teilen getragen
werden müssen.« Stattdessen setzt er auf die »Verantwortung des Einzelnen« und die entsprechenden Anreize: Jeder wird sein Verhalten ändern, wenn es finanziell weh tut. Bereits 90 Prozent der US-Unternehmen bieten Gesundheitsprogramme an. Einige davon motivieren ihre Mitarbeiter ausdrücklich dazu, Lifelogging zu betreiben. Dabei werden die Daten aller Selbstvermesser gesammelt und von einem externen Anbieter für den Arbeitgeber analysiert. Die aggregierten Ergebnisse lassen Rückschlüsse über den Gesundheitszustand und die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter insgesamt zu. So fand der Anbieter Carewise heraus, dass bei den aktiven, sich selbst vermessenden Mitarbeitern die Gesundheitskosten lediglich um knapp ein Prozent pro Jahr steigen, während es bei weniger aktiven 24 Prozent im Jahr sind. Der weltweit zweitgrößte Rückversicherer Swiss RE stattete seine Mitarbeiter unlängst mit einem digitalen Schrittzähler aus, um darauf aufmerksam zu machen, dass sich die meisten Menschen zu wenig bewegen. An der Aktion beteiligten sich 90 Prozent der weltweit 10.000 Angestellten »freiwillig«.
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