SonntagsBlick - 2015 - Überwachung auf schritt und tritt

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Stéphanie Berger «So muss mein TraumMann sein» Seite 42

Nr. 36 l

Sie zeigt, was heute schon möglich ist: Körperüberwachung dank moderner Technik.

3:2

Unsere Nati sackstark Sport

Jetzt ist die EM zum Greifen nah!

Micheline Calmy-Rey zur Flüchtlings-Krise

«Wer wegschaut, macht sich mitschuldig» Seite 8

6. September 2015 l Fr. 3.90

Krankenkassen planen Total-Überwachung

Wer ungesund

lebt, wird bestraft!

Fotos: Stefan Bohrer, Geri Born, Benjamin Soland, RDB

Seite 2

Gewinnen Sie bis zu

Pfusch im AKW Beznau? Ein Insider packt aus 80 000 Fr Seite 32

Internet www.sonntagsblick.ch l E-Mail sobli@ringier.ch l Redaktion Dufourstrasse 23, 8008 Zürich, Tel. 044 259 64 64, Fax 044 251 80 06 l Hauszustellung 0848 855 955 (8 Rp./Min./Anruf vom Festnetz, Anrufe aus dem Handynetz können preislich variieren) Auslandspreise € 3,60; YTL 7.70 l Aboservice aboservice@ringier.ch

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Editorial Christine Maier Chefredaktorin

@maierchristine

Liebe Leserin, lieber Leser

S

chlafen Sie richtig? Essen Sie ge-

sund? Bewegen Sie sich genug? Wollen Sie das überhaupt wissen? Wenn ja: Es gibt immer mehr «Wearables» – kleine, tragbare Computer, die unsere Lifestyle-Daten erheben. Bald können Sie auch noch Pillen schlucken, die mit Kameras versehen den Zustand des Magens offenbaren; oder sich Sensoren unter die Haut pflanzen lassen, die zeigen, was Ihr Herz so treibt. Ohne Zweifel eine tolle Sache für alle, die Wert auf Fitness und Gesundheit legen. Die anderen haben Pech: Auch sie dürften sich bald widerwillig Fitnessbändeli umlegen und Schrittzähler montieren. Die Krankenkasse wird es ihnen, sagen wir es mal so, sehr ans Herz legen. Die Versicherungsindustrie denkt sich nämlich unter Hochdruck stets neue Prämienmodelle aus, um den steigenden Gesundheitskosten Herr zu werden. Geplant ist, dass künftig weniger zahlt, wer mehr von sich preisgibt.

«Offen gesagt: Das macht mir Bauchweh!»

Nur: Was passiert mit diesen ganz persönlichen Daten? Wer hat die Macht darüber? Können uns die Versicherer bald einen Lebenswandel aufzwingen, der nicht der unsere ist? Diese Fragen machen den Datenschützern Bauchweh. Mir offen gesagt auch. Lassen Sie uns also darüber nachdenken und diskutieren. Mit unserer Frage der Woche auf der nächsten Seite wollen wir diese Debatte heute lancieren. Ach ja, eines noch: Auch wenn Sie keinen Schrittzähler haben – es Einen schönen gibt heute einen kühlen Sonntag Herbstsonntag, der zum wünscht Ihnen Spazierengehen einlädt. Viel Spass dabei!

PS

Vor fünf Jahren verunglückte Samuel Koch bei «Wetten, dass ..?» Das persönliche Gespräch auf Seite 16

2 Titel

Die Krankenkassen wollen

Überwach Schritt un Wer nicht mitmacht, zahlt mehr Prämie

sich auf das Sammeln von Gesundheitsdaten spezialisiert hat. Als eine der ersten Krankenkassen im Land will sich die CSS nun rbeiten Sie im Büro? Dann laufen Sie am Tag durchdie zunehmende digitale Selbstverschnittlich 4000 Schritte. messung zunutze machen. Dafür zählen in Zusammenarbeit mit der Das ist zu wenig und langfristig unETH Zürich und der Universität gesund. Ihre Versicherung könnte Sie für den BewegungsSt. Gallen 2000 CSSmangel künftig bestraKunden freiwillig die Übergewicht fen, etwa in Form von von ihnen hinterlegten Übergewicht und Fettleibigkeit höheren Prämien. Schritte. 10 000 sollten verursachen in der Schweiz jährlich Denn dank der Verbreies täglich sein. Die Kosten von acht Milliarden Franken. tung von Schrittzäheffektive Anzahl wird Diabetes, eine mögliche Folge von lern, Smartwatches schliesslich direkt via Übergewicht, schlägt mit einer und anderen sogeSchrittzähler an die weiteren Milliarde Franken zu Buche. nannten Wearables Versicherung übermitTabak telt und dort gespeiweiss sie jederzeit, was Das Rauchen kostet die Schweiz chert. Das Pilotprojekt Sie gerade treiben – jährlich über fünf Milliarden Franken. dauert noch bis Ende oder eben nicht. Neben medizinischen Behandlungen Jahr. Laut dem Marktforbeinhaltet der Betrag auch Produkschungsinstitut GFK «Wir sind die erste tionsausfälle, beispielsweise durch sind bis Ende Jahr weltKrankenkasse in EuroKrankheit, Invalidität oder Tod. weit über 50 Millionen pa, die einen solchen Daten-Tracker im UmPilot lanciert hat», Alkohol lauf. Neben dem Puls sagt Volker Schmidt Die durch Alkoholkonsum messen die digitalen (43), Konzernleitungsverursachten gesellschaftlichen KosGeräte die Anzahl mitglied und Leiter ten belaufen sich laut Bundesamt Schritte, zählen KaloVersicherungstechnik für Gesundheit auf 4,2 Milliarden rien, zeichnen die Jog& Informatik bei der Franken. Die direkten Kosten für das ging-Strecke oder das CSS. Ziel des Projekts Gesundheitswesen betragen jährlich mit dem Namen MyFitnessprogramm auf. 613 Millionen Franken. Step sei es herauszuUnd was bisher vor alfinden, wie gross die lem schwarz und klobig daherkam, wird immer schicker. So Bereitschaft unter den Versichergibt es heute zum Beispiel Smartten sei, persönliche Daten offenwatches in Gold eingefasst. zulegen. «Bis jetzt ist die Resonanz Für die Versicherer sind die digisehr positiv», so Schmidt. Für ihn ist klar: «Die Digitalisierung ist ein talen Geräte ein Segen. Schliesslich beruht ihr Geschäft darauf, das grosser Vorteil für das GesundRisikoprofil ihrer Kunden zu ermitheitswesen.» Dank ihr sei es mögteln. «Die Messung von Lebenslich, dass sich die Bevölkerung wieder mehr bewege. stildaten ist die Zukunft in der Obwohl die digitalen Hilfsmittel Versicherungsindustrie», sagt Peper Gesetz bis jetzt nur in der Zuter Ohnemus (50), Inhaber von Dacadoo, einem Unternehmen, das satzversicherung eingesetzt werVON MARTINA WACKER, MICHAEL BOLZLI (TEXT) UND GERI BORN (FOTO)

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AKTUELL 6. September 2015

unsere Gesundheitsdaten

ung auf d Tritt den dürfen, ist Schmidt davon überzeugt, dass sich auch die Grundversicherung dem technischen Fortschritt nicht verschliessen könne. «Angesichts der steigenden Gesundheitskosten werden wir nicht darum herumkommen, die Eigenverantwortung zu fördern, um letztlich auch die Solidarität zwischen den Versicherten zu stärken», sagt er. Im Klartext heisst das: Wer sich nicht überwachen lässt, zahlt mehr Prämie! Gleicher Ansicht ist DacadooInhaber Ohnemus. Seine Firma hat einen Gesundheitsindex entwickelt, der sich aus Bewegungs-, Schlaf- und Ernährungsdaten zusammensetzt. Aber auch individuell definierte Gemütszustände fliessen in den Index hinein. Laut Ohnemus interessieren sich derzeit viele Schweizer Lebensversicherer und Krankenkassen für sein Produkt. «Mit den digitalen Geräten bleibt das Solidaritätsprinzip bestehen, auf dem die Versicherungswirtschaft basiert.» Es sei unbestritten, dass kranke Menschen gut versichert sein müssen, sagt er. Aber: «Es ist nicht solidarisch, wenn jemand, der viel Sport treibt und auf seine Gesundheit achtet, gleich hohe Prämien zahlen muss wie einer, der raucht, trinkt und keinen Sport treibt.» Rund ein Drittel der gesamten Weltbevölkerung ist heute laut Bitte umblättern

Frage der Woche Würden Sie Ihre Gesundheit überwachen lassen, um Prämien zu sparen? Bitte schreiben Sie an: Redaktion SonntagsBlick, Dufourstrasse 23, 8008 Zürich Per E-Mail an: leserbriefe@sonntagsblick.ch

Diskutieren und voten www.sonntagsblick.ch GESUNDHEIT

Blutdruck

Herzschlag Ob das Herz rast oder ruhig vor sich hin schlägt, weiss dieses Pflaster mit integriertem Chip. Letzterer löst zudem bei unregelmässigem Herzschlag Alarm aus.

Smartphone Das iPhone ist die zentrale Steuereinheit der Selbstvermesser. Es kommuniziert mit anderen Geräten, erstellt Bewegungsprofile und speichert die Daten.

Haben Sie Stress? Neue BlutdruckMessgeräte senden die Daten innert Kürze aufs Smartphone, wo sie schliesslich miteinander verglichen werden können.

Pulsuhr

Schrittzähler Der Schrittzähler gibt Auskunft über die gelaufenen Distanzen und verbrannten Kalorien. Um gesund zu bleiben, sollte man pro Tag 10 000 Schritte gehen.

Smartwatch Die neuen digitalen Uhren messen nicht nur den Puls und zählen Schritte, sondern führen auch ausführlich Buch über das eigene Fitnessprogramm.

Sauerstoff Das interessiert vor allem Profisportler: Ein kleines Gerät misst innert Kürze den Sauerstoffgehalt im Blut und sendet die Daten aufs iPhone.

Die Pulsuhr misst die Pulsrate und lädt die Daten anschliessend in die Datenwolke hoch. Dank eingebautem GPS-Empfänger erstellt sie auch Bewegungsprofile.


4 Titel Fortsetzung von Seite 3

Schätzungen zu dick. Allein in der Schweiz betragen die Folgekosten von Übergewicht gemäss Bundesamt für Gesundheit jährlich acht Milliarden Franken (siehe Box auf Seite 2). 2002 waren es noch 2,7 Milliarden Franken. «Wir können uns die laufend steigenden Gesundheitskosten nicht mehr leisten», sagt Ohnemus. Der Konsument sei nicht mehr bereit, die jährlichen Prämienerhöhungen hinzunehmen. «Die Krankenkassen gehen bankrott», sagt er. Für die Zukunft schweben ihm deshalb drei Krankenkassenmodelle vor: Das bisherige Modell. Der Versicherte reicht keine persönlichen Gesundheitsdaten ein – und zahlt mehr Prämien. Eine indexbasierende Versicherung. Der Versicherte übermittelt der Krankenkasse viermal jährlich Daten zu seinem Lebensstil. Stellt sich bei der Kontrolle heraus, dass der Kunde regelmässig Sport treibt und sich gesund ernährt, bekommt er dafür eine Prämiengutschrift. Daten gegen Versicherung. Der Versicherte reicht laufend alle Daten ein und bezahlt im Gegenzug deutlich weniger Prämien. Fitnessarmbänder wie Fitbit oder Jawbone seien erst der Beginn einer Revolution im Gesundheitswesen, glaubt Ohnemus. «Irgendwann werden wir uns einen Nano-Chip implantieren lassen, der uns ständig überwacht und sämtliche Daten an eine Zentrale übermittelt.» Damit die Daten nicht irgendwo versickern, sondern auch für den Erfassten ersichtlich bleiben, will ETH-Professor Ernst Hafen (59) zusammen mit seinem Verein «Daten und Sicherheit» in der Herbstsession ein Postulat einreichen. «Dass Daten gesammelt und verbreitet werden, können wir nicht verhindern. Aber wir können ein Recht auf Kopie einfordern», sagt er. Damit wäre für jedermann ersichtlich, welche Daten wo gespeichert wurden – ein entsprechendes Recht auf Dateneinsicht würde in der Verfassung festgeschrieben.

AKTUELL 6. September 2015

Stephan Rietiker über die Zukunft der Medizin

«Die

Patienten erhalten die Macht» Der Chef der Medizinalfirma Lifewatch sieht eine Revolution in der Medizin.

D

ie Schweiz hadert, medizinische Daten zu erfassen. In den USA aber ist es das grosse Geschäft. «Das Gesundheitswesen erlebt gerade eine Revolution», sagt der Schweizer Arzt Stephan Rietiker (58). Als CEO führt er die schweizerischamerikanische Firma Lifewatch – und setzt voll auf «digital health», digitale Gesundheit. Lifewatch erfasst den Herzrhythmus von Menschen, misst ihren

Schlaf. Die Daten werden nonstop analysiert. Erkennt ein Computer eine gefährdende Abweichung, erhält der Patient die Empfehlung, einen Arzt aufzusuchen oder sich medizinisch beraten zu lassen. Gemäss Rietiker befindet sich das Zentrum der digitalen Medizin im Silicon Valley. Also südlich von San Francisco – dort, wo Konzerne wie Apple, Google und Facebook gerade jede erdenkliche Branche umkrempeln. Jetzt nehmen sie sich der Gesundheit an. Die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts erlaubt eine gezieltere, individuelle Behandlung. Diese ist dank digitaler medizinischer Daten sehr effizient. Patienten erhalten

Smarter Schmuck

Bisher waren die meisten Tracker-Armbänder vor allem eines: schwarz und klobig. Nun feilen die Hersteller nicht nur an der Technik, sondern auch am Design. So kann der Schrittzähler auch zum Abendkleid getragen werden, etwa mit dem Armband des Designers Tory Burch (Bild). Für 195 Franken lässt sich der Fitbit-Sensor darin verstecken. Fitbit ist weltweiter Marktführer bei digitalen Daten-Trackern. Allein im vergangenen Quartal verkaufte das Unternehmen 4,4 Millionen Wearables, was einem Zuwachs von 158,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Die Geräte zählen nicht nur Schritte, sondern messen auch den Puls und den Schlaf.

rascher eine Diagnose und schnellen Zugang zu medizinischen Leistungen. «Eine Person, deren Daten digital vorliegen, muss nicht tagelang warten. Sie erfährt online sofort, was zu tun ist», sagt Rietiker. Vor allem verändere sich die Macht. «Weg vom Arzt hin zum Patienten.» Gesunde wie Kranke sammeln ihre eigenen Daten auf eigenen Geräten, etwa mit Sensoren an oder unter der Haut. Auf Servern speichern sie ab, wie viel sie schlafen, was sie essen, wie das Herz schlägt, welche Pillen sie wann schlucken, wo der Blutzuckerspiegel steht, was die Bakterien im Darm anrichten. «Die

Ärzte verlieren Einfluss, der Patient rückt ins Zentrum», so Rietiker. «Ärzte machen künftig weniger Diagnostik und konzentrieren sich vermehrt auf die Therapie.» Kranke tragen ihre Daten zum Arzt, lassen sich behandeln und nehmen die Daten wieder mit. Heute liegen sie verborgen bei einem Arzt. Der Patient weiss meist nicht, was über ihn abgespeichert ist, er hat keinerlei Zugang. Zentral sei, dass die Daten «dem Patienten gehören», sagt Stephan Rietiker. Dafür brauche es einheitliche elektronische Dossiers. Die Computer der Spitäler und Arztpraxen müssten sie lesen können. Diesbezüglich seien die USA und skandinavische Länder schon sehr weit. Die Schweiz und Deutschland aber liegen weit zurück. «Wegen einer weitverbreiteten Angst vor dem Austausch von Daten.» Eine Angst, die Rietiker versteht. «Datenschutz ist unabdingbar.» Zudem glaubt er an einen Quantensprung in der medizinischen Forschung. Universitäten und Pharmafirmen haben Zugang zu einem Schatz von anonymen Daten. Klinische Versuche für neue Medikamente führen somit weit schneller zu Resultaten. PETER HOSSLI


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