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Ballett der Oper Graz “Ein Plädoyer für das Leben”

“Carmen” und weitere Balletttode und -tödinnen! Ein Plädoyer für das Leben

TEXT: BEATE VOLLACK

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Der anmutigste Tod wird im Ballett gestorben. Der längste in der Oper. Der lauteste im Orchester. Der lyrischste in der Literatur. Der effektvollste im Film. Aber überall wo gestorben wird, wird vorher auch geliebt! In der Kunst geschieht dies meistens leidenschaftlicher als im “normalen”, echten Leben. In dieser Saison wird im Ballett der Oper Graz erstaunlich viel gestorben. Aber genau das ist unser Plädoyer für das Leben und das Ballett: Denn das Ballett kann nicht sterben, es kann nur in ihm gestorben werden! Denn es wurde schon immer getanzt. Und es wird immer getanzt werden! Und wir treiben das Ganze auch noch auf die Spitze – im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich auf die Spitzentanzkunst. “Zum Sterben zu schön”, “Carmen” und “Der Tod und das Mädchen”: Drei Titel, die alle durch den Tod durch Liebe, also dem Liebestod verbunden sind.

Zum Auftakt dieser Reihe startet Jo Strømgren mit seinem Stück “Zum Sterben zu schön”. Er ergründet mit einem Augenzwinkern die Verbindung von Inspiration der Musen und dem Tod einiger Komponisten. Dafür hat er sich uns allen wohl bekannte Persönlichkeiten wie Schubert, Chopin, Smetana und Weber ausgesucht. Was ist mit der Musik dieser Genies geschehen, als sie aus dem Leben schieden? Richtig, ihr Schaffen und ihr Werk sind uns allen auch heute noch bekannt. Ihre Musik lebt weiter. Denn, wie der Titel es richtig beschreibt, ist diese und sehr viel weitere Musik einfach zu schön, um zu sterben. Denn alle Komponisten haben mit ihren Werken und ihrer Musik ein Stück Unsterblichkeit geschaffen.

Mit “Carmen” fokussieren wir uns dann auf ein konkretes Beispiel: Eine Frau, die uns als erstes nicht wegen ihres Todes, sondern wegen der Liebe, die diesem voranging, bekannt ist. Auch unsere Carmen ist nicht irgendeine Frau, die zufällig diesen Namen trägt. Nein, unsere Heldin ist “die” Frau, deren Schicksal in unzähligen Interpretationen, Werken und Genres be- und verarbeitet wurde. Sie ist die starke Frau, die in gleichem Maße verführerisch wie auch unabhängig ist. Ihre Selbstbestimmung steht für sie über allem, dafür ist sie bereit zu sterben. Sie ist die Grenzgängerin, die die abgegriffenen Kategorien Gut und Böse hinter sich lässt und dafür Liebe und Hass etabliert. Die Liebe nährt sie. Die Liebe beflügelt sie. Die Liebe nährt aber auch den Hass. Und so kann am Ende José, dessen große Liebe zu Carmen in noch größere Eifersucht und letztlich unbändigen Hass umgeschlagen ist, nicht anders: Er wird, er muss sie töten. Einerseits aus Egoismus, denn was er nicht haben und besitzen kann, soll niemand haben, aber auch, um sich selbst zu retten.

Carmen ist am Ende der Tod lieber, als sich Konventionen zu beugen. Am Ende muss sie unterliegen, denn wer sich den üblichen Konventionen nicht anpasst, der

wird von ihnen eliminiert. Sie glaubt an die Freiheit ohne Einschränkungen. Sie kämpft, ohne sich zu ergeben. Sie stirbt, aber ihre Ideale leben weiter! Die Stärke des Hasses, der aus dieser tiefen Liebe der Gegensätzlichkeit gewachsen ist, übersteigt die Größe der Liebe. Das ist auch das Faszinosum dieser ungleichen Liebe, denn gegensätzlicher als Carmen und José könnten die beiden Protagonisten und einander Begehrenden nicht sein.

In unserer Grazer Interpretation erklingen dazu nicht nur die allseits bekannten und unverwechselbaren Melodien von Georges Bizet, sondern wir stellen ihr, Carmen, einen “Stier” zur Seite, der gleich wie sie für das Wilde und Unzähmbare steht. Etwas, das alle bändigen, besiegen oder beherrschen wollen. Das woran am Ende alle kläglich scheitern werden. Beide, der Stier und Carmen, zehren von einer unsichtbaren Quelle, die sie mit fast übernatürlicher Kraft mutig und unabhängig jeglicher Konsequenzen handeln lässt. Der Stier tut dies aus seinem tierischen Instinkt heraus. Und Carmen? Fast scheint es, als ob auch sie eine Art animalische Triebfeder besitzt. Aber bei genauem Hinsehen merken wir, dass es bei ihr eine zutiefst menschliche Ursache, nämlich die Sehnsucht nach Freiheit ist.

Am Ende sind beide dem Tod geweiht. Und wir können nur zusehen, wie sie bis zum letzten Moment kämpfen und sich nicht ergeben. Unbesiegt sterben sie und werden so auf ihre ganz eigene Art ebenfalls unsterblich. Ist es nicht das, wonach wir alle streben? Ist es nicht das, was wir Menschen uns wünschen? Frei sein! Unabhängig von Konventionen! Leben und lieben – wen, wo und wie wir wollen. Carmen stirbt dafür in dieser Erzählung. Aber sie ist nicht allein, denn in der Geschichte der Menschheit sind schon viel größere Kriege, für viel weniger Elementares gefochten worden!

Jo Strømgren hat sich zu Beginn der Saison unter anderem schon mit der Person Franz Schubert beschäftigt. Am Ende der Saison werden wir uns nun näher mit seiner Musik auseinandersetzen: Mit seinem wohl schönsten Streichquartett “Der Tod und das Mädchen” wird ein Stück unsterblich schöne Musik erklingen. Dieses meisterliche Werk birgt ebenso wie die Kunst des Balletts viel Leidenschaft, Grazie und Anmut in sich – daher werden wir beide miteinander verschmelzen.

Obwohl Schubert beim Komponieren keine konkrete Geschichte erzählen wollte, tut es die Musik, die er geschaffen hat. Sie tanzt! Und wir mit ihr.

Um die gegenseitige Bedingung von Musik und Tanz noch zu unterstreichen, werden wir ein neues Stück Musik extra für unseren Tanz, unser Ballett, komponieren lassen. David Philip Hefti wird Schuberts Musik mit seiner eigenen Klangfarbe ergänzen. Er wird unter gleichem Titel ebenfalls ein Streichquartett komponieren, das wir dem Schubert‘schen voranstellen.

So werden wir nicht nur sehen, sondern auch hören, wie der Tod von damals und die Tödin aus dem Heute sich langsam dem Mädchen annähern, um es dann schön, anmutig und mit Grazie und Eleganz in ihr Reich zu holen.

Große Namen und tiefe Gefühle warten auf uns. Tänzerisch begeben wir uns auf eine sehr emotionale Reise, die musikalisch von den Meistern ihres Faches begleitet wird. Wir schaffen in dieser Saison also nicht nur unvergessliche Momente, sondern selbst auch ein Stück Unsterblichkeit. Und das Letzte, und unvergesslich Schönste, das dazu erklingen wird, ist Ihr Applaus…

FOTOS: BALLETT OPER GRAZ BALLETT IN DER SAISON 2022/23

Zum Sterben zu schön Ballett von Jo Strømgren zu Musik von Franz Schubert, Robert Schumann, Frédéric Chopin u. a. Premiere 13. Oktober 2022

Carmen Ballett von Beate Vollack zu Musik von Georges Bizet u. a. Premiere 11. Februar 2023

Der Tod und das Mädchen Ballett von Beate Vollack und Sascha Pieper zu Musik von David Philip Hefti und Franz Schubert Premiere, 24. Mai 2023 Short little greats Choreographien aus dem Ballett der Oper Graz Premiere 14. Juni 2023

ABC des Tanzes (Studiobühne) “Zum Sterben zu schön” –Eine Probe mit Jo Strømgren Freitag 23. September 2022 “Carmen” –Erste Einblicke in die neue Kreation Freitag 16. Dezember 2022 Der Pas de deux – Die Kunst des Zusammen-Tanzens Am Beispiel von “Der Tod und das Mädchen” Freitag 14. April 2023 Beginn jeweils 19.30 Uhr Mehr Informationen auf oper-graz.com Tickets: tickets@ticketzentrum.at / 0316 8000

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